Bullshit Economics - Hanno Beck - E-Book

Bullshit Economics E-Book

Hanno Beck

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Beschreibung

Bullshit - das ist der verbale Müll, den Politiker und Ökonomen produzieren, wenn sie Halbwissen forsch als Expertise vertreten. Bullshit kommt emotional daher, gibt sich alternativlos, will vernebeln statt aufzuklären. Einfach nur heiße Luft, ein Ausrutscher? Nein, schlimmer: Bullshit hat Methode. Wir werden systematisch getäuscht und manipuliert. Zeit, sich dem Phänomen zu widmen.

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Hanno Beck/Aloys Prinz

Bullshit Economics

Einleitung: Na dann mal Prost!

»Okay, Gehirn, wenn du dich jetzt anstrengst, füll ich dich nachher wieder voll mit Alkohol!« Homer Simpson (in der Folge »Wir vom Trickfilm«, 4. Staffel)

Als Trinker hat man es nicht einfach. Was machen Sie beispielsweise, wenn Sie in Bayern nach 22 Uhr noch einen heben wollen? Natürlich kommt Ihnen die Idee, sich an der Tankstelle mit Nachschub zu versorgen, aber so einfach ist das nicht: Die Stadt Augsburg beispielsweise brummt 2013 dem Betreiber der Tankstelle »An der Blauen Kappe« ein Bußgeld auf, weil eine Mitarbeiterin am Sonntag, dem 1. Juli, um 4 Uhr morgens zwei Disco-Besuchern Bier verkauft hat. Das Skurrile daran: Wären die Disco-Besucher mit dem Auto zur Tankstelle gekommen, wäre der »Blauen Kappe« das Bußgeld erspart geblieben. Oder um es etwas spitzer zu formulieren: Wenn Sie sicherstellen wollen, dass man Ihnen an einer bayrischen Tankstelle nach 22 Uhr Alkohol verkauft – kommen Sie mit dem Auto. Als Fußgänger kann es Ihnen passieren, dass man Ihnen den Gute-Nacht-Trunk verweigert. Bier gibt es nach 22 Uhr nur für Autofahrer.

Das finden Sie schräg? Geht so. Verglichen mit anderen Politik- und Gesetzespossen ist das bayrische Tankstellen-Trinker-Problem nur Kleingeld: Jahrzehntelang haben deutsche und europäische Bauern Lebensmittel produziert, die anschließend gelagert wurden, zu Schleuderpreisen in die Dritte Welt exportiert wurden – wo sie die dortige Landwirtschaft zerstörten – oder schlimmstenfalls einfach vernichtet wurden. Wir bezahlen (!) an manchen – windigen – Tagen unsere Nachbarn dafür, dass sie uns Strom abnehmen. Wir subventionieren in einem kalten und dunklen Land wie Deutschland eine Technologie, die viel Sonne benötigt. Wir bezahlen Eltern – vorzugsweise aus sogenannten bildungsfernen Schichten – dafür, dass sie zu Hause bleiben und ihre Kinder hüten, statt zu arbeiten und ihre Kinder mit anderen Kindern zusammenbringen – und beschweren uns dann über mangelnde Integration. Wir nehmen murrend Verbote von Glühbirnen und wattstarken Staubsaugern hin, aber nicht ohne uns vorher hinreichend mit Ersatzware für die nächsten zwanzig Jahre eingedeckt zu haben. Mit Blick auf das Quecksilber in den Energiesparlampen ist das vermutlich sogar noch ein umweltfreundliches Verhalten. Dann gibt es auch die Klassiker wie den hier: Zwischen 1988 und 2009 gab es tatsächlich eine Krümmungsvorschrift für Gurken – zum Wohl der Konsumenten, versteht sich.

Es ist leicht, viele Seiten mit politisch induziertem Unfug dieser Art zu füllen, und das ist nur der Unfug, der dem Durchschnittsbürger und Laien sofort ins Auge springt. Je besser man sich auskennt, umso schlimmer wird es, wenn man seine Umwelt dem prüfenden Blick des Experten aussetzt. Irrsinn.

Aber mit Methode. Wir glauben, dass dieser Irrsinn – bevormundete Bürger, widersinnige Steuerregelungen, überteuerte öffentliche Bauprojekte, verschleuderte Steuergelder, unsinnige Gesetze – Methode hat. Nein, keine Verschwörung von Tempelrittern, Freimaurern, Erzkapitalisten oder -kommunisten, es ist eher eine unglückliche Verkettung von Dummheit und Intelligenz, von Faulheit und Gier, von Zynismus und falschen Anreizen. Niemand will, dass nur Autofahrer nach 22 Uhr Bier an Tankstellen kaufen. Niemand will, dass Lebensmittel vernichtet werden. Niemand will, dass die Baukosten für ein öffentliches Projekt um Milliardenbeträge überschritten werden. Aber trotzdem kommt es mit unschöner Regelmäßigkeit dazu. Niemand will teuren Strom produzieren und anschließend dafür bezahlen, dass jemand diesen Strom kauft – und doch passiert genau das. Das ist erklärungsbedürftig.

Wir bieten eine Erklärung für diesen Unsinn höherer Ordnung an, die wenig schmeichelhaft für uns alle ist: Es ist ein fataler Cocktail aus rationalem Desinteresse, eigennützigem Verhalten, moralisierendem Besserwissertum und intellektueller Bequemlichkeit, garniert mit fehlerhaften staatlichen Institutionen und einer gnadenlosen Logik, die zu erstrangigen Politik-GAUs führt. Welchen Namen kann man so einem Gemisch geben? Wir haben einen Namen gewählt, der mit einem wenig schmeichelhaften Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore bei der amerikanischen Kaderschmiede MIT, das Massachusetts Institute of Technology (50 Nobelpreisträger), verbunden ist. Bullshit. Starke Worte, da sind wir eine Erklärung schuldig. Was ist Bullshit?

1. Was ist Bullshit?

»Warum passieren mir immer Sachen, die sonst nur dämlichen Menschen passieren?« Homer Simpson

1.1 Nobelpreis, Oscar und Bullshit

Al Gore ist ein erfolgreicher Mann: Für seinen Kampf um den Klimaschutz bekommt er den Friedensnobelpreis, sein Film zum gleichnamigen Buch »Eine unbequeme Wahrheit« wird mit einem Oscar ausgezeichnet. Er hat es zum Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gebracht, der ganz große Wurf allerdings – Präsident – bleibt ihm versagt. Aber trotzdem – behandelt man einen solchen Mann respektlos? Vielleicht schon, jedenfalls dann, wenn man Absolvent der amerikanischen Kaderschmiede MIT ist. Mit einem Abschluss vom MIT gehört man zur intellektuellen Elite des Landes, da kann man sich einiges erlauben, beispielsweise sich ein Spiel auf Kosten des amtierenden Vize-Präsidenten zu gönnen: Bullshit-Bingo.

Bingo ist ein einfaches Spiel: Man bekommt ein Kärtchen, auf dem in fünf Reihen je fünf Zahlen zwischen 0 und 100 gedruckt sind – auf jeder Karte stehen andere Zahlen. Dann zieht jemand Zahlen aus einer Lostrommel und liest sie vor, und jeder Spieler kreuzt die Zahlen an, die er auf seiner Karte findet. Wer zuerst eine waagrechte, senkrechte oder diagonale Fünferreihe mit Zahlen vorweisen kann, steht auf, ruft »Bingo« – und gewinnt das Spiel.

So weit, so einfach. Aber welcher Erwachsene spielt schon Bingo? Mehr als Sie denken. Im Berufsleben, im Arbeitsalltag und auch in der Politik wird fast jeden Tag irgendwo Bingo gespielt, allerdings in einer anderen Variante: Auf dem Bingo-Zettel stehen nicht Zahlen, sondern Phrasen, Floskeln, Blähvokabeln oder Hohlwörter – all das, was niemand hören will, weil es Wörter sind wie Flasche leer. Woher diese Variante des Bingo kommt, ist ungeklärt, das Wall Street Journal macht einen Software-Ingenieur im Silicon Valley aus, der 1993 ein Computerprogramm zur automatischen Generierung von Bullshit-Bingo-Karten in die Welt setzt. Historisch überliefert ist aber die Runde Bullshit-Bingo, welche die MIT-Elite-Absolventen anlässlich der Rede des damaligen amerikanischen Vize-Präsidenten anlässlich der Abschlussfeier der amerikanischen Technologieschmiede spielen. Der Name des Vizepräsidenten: Al Gore. Gore war berüchtigt für seine Floskeln und Leerformeln, weswegen die Studierenden vor der Rede Bingo-Karten mit typischen Gore-Formulierungen verteilen.

Das Wort Bullshit hat sich längst eingebürgert für diese Art von Kommunikation – ob in der Wirtschaft, in der Politik, in der Kirche oder wo auch immer. Wörter auf Inhaltsdiät, Leerfloskeln, Dampfbegriffe, Moralappelle – wo immer ohne Sinn und Verstand geredet, debattiert, räsoniert und geplappert wird, spricht man von Bullshit. Die Liste der Bullshit-Generatoren, die Sie im Internet besuchen können, wird von Tag zu Tag länger. Ein deutsches Nachrichtenmagazin hat sogar den »Merkel-Phrasomat« bereitgestellt, mit dessen Hilfe man sich seine eigene Rede nach dem Vorbild der Kanzlerin zusammenstellen kann – zu jedem Themenbereich, versteht sich. Und garantiert immer passend.

Nun kann man dieses Phänomen belächeln und achselzuckend zur Tagesordnung übergehen, aber wir denken, dass mehr dahinter steckt: Der verbale Bullshit, der in Politikerreden produziert wird, ist mehr als nur heiße Luft, er verbirgt systematisch, wie wir getäuscht und manipuliert werden, wie Politiker ihre eigenen Interessen als Gemeinwohl ausgeben und wie aus mehr oder weniger guten Absichten schlechte Politik wird. Das ist es, was wir Bullshit nennen. Zeit, sich dem Phänomen Bullshit zu widmen – was ist Bullshit?

1.2 Fakten-Shopping und Gutachten-Hopping

Bullshit, so wie wir ihn definieren, besteht aus sechs Elementen, und das erste Element ist das, was wir Fakten-Shopping und Gutachten-Hopping nennen wollen. Beginnen wir mit dem Fakten-Shopping.

Nehmen wir einmal an, Sie sind Politiker und wollen Wählern ein bestimmtes Programm verkaufen – beispielsweise mehr oder weniger Sozialausgaben. Welche der beiden Positionen Sie einnehmen, hängt weniger von Ihrer Überzeugung ab als von der Parteilinie und Ihrer Einschätzung, womit Sie mehr Wähler gewinnen können. Nun geht es daran, den Wählern Ihre Politik zu verkaufen. Aber wie? Natürlich mit eindrucksvollen Fakten. Glücklicherweise gibt es haufenweise Fakten zum Thema Sozialpolitik, da kann man aus den Vollen schöpfen. Oder?

Unglücklicherweise ist gerade in der Politik die Faktenlage nie ganz eindeutig, und Schwarz-Weiß-Situationen gibt es fast nie. Wie also soll man mit widersprüchlichen Informationen umgehen? Wissenschaftler würden versuchen, sich ein Bild zu machen, Fakten gegen Fakten abzuwägen, Studien lesen, selbst forschen und zu einem hoffentlich ausgewogenen Ergebnis kommen, das dann in der Regel in Wenn-Dann-Sätzen und einem »ganz genau können wir es nicht sagen« endet.

Für Politiker ist das indiskutabel: Kein Wähler will Sätze hören wie »ganz genau wissen wir es nicht« oder »wir müssen weitere Studien abwarten« oder »es kommt darauf an«. Warum also soll man sich lange mit der Recherche von Fakten aufhalten? Außerdem wissen Sie ja schon, was Sie als Ergebnis gerne hätten. Also machen Sie etwas anderes: Sie suchen sich aus dem Meer der Fakten nur jene heraus, die Ihre Meinung stützen und tragen diese zu Markte. Damit verleihen Sie Ihrer Forderung nach mehr oder weniger Sozialleistungen den scheinbaren Adel wissenschaftlicher Präzision – wenn wissenschaftliche Studien sagen, dass etwas gut oder schlecht ist, dann wird das doch auch so sein, oder? Man kann das auch Fakten-Eklektizismus nennen – eine gezielt willkürliche Zusammenstellung von Fakten, die nur einem Ziel dient: die eigene Meinung stützen.

Politiker nutzen die Wissenschaft in diesem Spiel in etwa so wie Betrunkene Straßenlaternen: sie suchen Halt, nicht Erleuchtung. Man stellt sich wie im Supermarkt die Fakten zusammen, die einem in den politischen Kram passen – alle anderen Fakten werden ignoriert oder im Zweifel als »ideologisch«, »zweifelhaft« oder »unfundiert« abgekanzelt. Fakten-Shopping eben.

Will man sich als Politiker an einem besonders dicken Laternenpfosten festhalten, so ergänzt man diese Strategie um das, was wir Gutachten-Hopping nennen – was die Verfasser dieses Bändchens einmal am eigenen Leib erlebt haben. Es begann mit der Anfrage einer renommierten Stiftung – ob man ein Gutachten zu einem aktuellen politischen Thema anfertigen könne. Erfreut willigt man ein, macht ein Angebot, in dem man auch ein wenig erläutert, welche Methoden man verwendet und welche Aussagen die wissenschaftliche Theorie zu dem Thema macht. Danach hört man nie wieder etwas von dieser Stiftung und hakt das Ganze ab.

Durch Zufall aber trifft man noch einmal Jahre später einen Vertreter der Stiftung, kommt ins Plaudern und fragt, warum das mit dem Auftrag damals nichts geworden ist – ob man zu teuer gewesen sei? Auf diese Frage erntet man ein eher mitleidiges Lächeln – zu teuer? Iwo, das Institut, das den Zuschlag bekommen hat, sei dreimal so teuer gewesen. Aber was sei dann der Punkt gewesen? Ganz einfach, erklärt der Vertreter der Stiftung unverblümt: es waren die Ergebnisse. Man befürchtete, dass sie nicht dem entsprechen würden, was die Stiftung gerne als Ergebnis gehabt hätte. So geht Gutachten-Hopping.1

Fast jeder unserer Kollegen, auch diejenigen, die in der Politik sind oder waren, können über solche Erlebnisse berichten. Gutachten werden nach streng politischen Prinzipien genutzt – entweder man versucht die Ergebnisse bereits im Vorfeld abzuklären, oder aber man ignoriert alle Gutachten, die nicht dem entsprechen, was man für politisch nötig hält. Holger Bonus, ein mit politischen Prozessen vertrauter Wirtschaftswissenschaftler, hat das einmal so formuliert: Die Politik will keine Beratung, sondern Bestätigung. Das erklärt auch die Einschätzung vieler Medien und Ökonomen, warum beispielsweise die dicken Gutachten des Sachverständigenrates für Wirtschaft – der sogenannten »fünf Weisen« – von der Politik mehr oder weniger ignoriert werden. Kein Wunder, dass beispielsweise SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck über die Gutachter höhnte, dass er Ihnen kein Wort glaube, dass diese »… sogenannten Weisen vor allem viel heiße Luft produzieren«. Man habe in den Ministerien genügend Kompetenz, und die Regierung sei selbstverständlich auf dem richtigen Weg, Gutachten hin oder her. Bezeichnenderweise sagte Struck das der Zeitschrift »Super Illu«, nicht gerade ein Organ des politischen Berlin. Der Mann weiß, wo man deutlich werden kann oder muss. Der Frankfurter Allgemeinen hätte er das vermutlich so nicht gesagt.

Die Missachtung der Gutachten ist teils legendär: Im Sommer 1964 sprachen sich die fünf Weisen in einem Sondergutachten für die Aufwertung der D-Mark und flexible Wechselkurse aus. »Das Gutachten haben wir zum Kanzleramt geschickt und danach nie mehr etwas davon gehört, es gab nur die Quittung des Pförtners«, erinnert sich der damalige Wirtschaftsweise, Herbert Giersch.