Burning Angels - Jagd durch die Wildnis - Bear Grylls - E-Book
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Burning Angels - Jagd durch die Wildnis E-Book

Bear Grylls

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Beschreibung

Will Jaeger, Ex-Elitesoldat und Inhaber einer Firma für Abenteuerreisen, ist im brasilianischen Dschungel nur knapp mit dem Leben davongekommen. Er weiß jedoch nun, wer hinter den Angriffen auf ihn und seine Expeditionsgruppe steckte: Hank Kammler, Vize-Chef der CIA und Kopf eines Geheimbundes, der die Errichtung eines „Vierten Reiches“ anstrebt. Durch unerwartete Verbündete erfährt Will, wo er Kammler findet – auf dessen Anwesen in Tansania, am Fuße des Burning-Angels-Berges. Dort arbeitet er an der Perfektion eines tödlichen Virus. Für Will und sein Team beginnt ein Wettlauf mit der Zeit …

»Riesige Spinnen, tödliche Piranhas, böse Nazis und der Tod hinter jeder Ecke. Was will man mehr?«
Buzz Magazine

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Seitenzahl: 536

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Zum Buch

Weiterhin ein Rätsel für Will ist Irina Narov, die ebenso schöne wie tödliche Ex-Speznas-Soldatin, die im Rahmen der Amazonas-Expedition zu seinem Team stieß. Während sie im Einsatz verlässlich ist wie keine Zweite, so geheimnisvoll gibt sie sich, wenn es um ihre Ziele und ihre Vergangenheit geht. Kann Will ihr tatsächlich vertrauen? Kannte Irina seinen verstorbenen Großvater wirklich, wie sie behauptet? Und wenn ja, woher? Als Irina sich endlich bereit zeigt, ihre mysteriösen Verbündeten zu enthüllen, erfährt Will Dinge, von denen er nicht weiß, ob sie sich als Segen oder Fluch herausstellen werden. »Riesige Spinnen, tödliche Piranhas, böse Nazis und der Tod hinter jeder Ecke. Was will man mehr?«Buzz Magazine

Zum Autor

Bear Grylls ist einer der bekanntesten Survivalisten und Abenteurer der Welt. Er verbrachte drei Jahre als Soldat in den britischen Spezialeinheiten und diente in der 21 SAS. Seine TV-Shows »Ausgesetzt in der Wildnis« und »Abenteuer Survival« gehören zu den meistgeschauten Serien auf dem Planeten mit einem geschätzten Publikum von 1.2 Milliarden. Bear hat 22 Bücher verfasst, darunter seine Autobiografie, die ein internationaler Nummer-1-Erfolg war.

Lieferbare Titel

Ghost Flight – Jagd durch den Dschungel

HarperCollins®

Copyright © 2019 für die deutsche Ausgabe by HarperCollins in der HarperCollins Germany GmbH

Copyright © 2016 by Bear Grylls Ventures Originaltitel: »Burning Angels« Erschienen bei: Orion Books, London

Covergestaltung: zero-media.net, München Coverabbildung: FinePic / München Lektorat: Thorben Buttke E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783959678346

www.harpercollins.de

WIDMUNG

Für Roger Gower – während eines Patrouillenflugs über Ostafrika von Wilderern ermordet.

Und für den Roger Gower Memorial Fund und den Tusk Trust, zwei der wichtigsten Organisationen zum Schutz afrikanischer Wildtiere.

ANMERKUNGEN DES AUTORS

Mein Großvater, Brigadegeneral William Edward Harvey Grylls, Order of the British Empire, 15/19th King’s Royal Hussars – und befehlshabender Offizier der Target Force, der verdeckt operierenden Kampfeinheit, die kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs von Winston Churchill gegründet wurde. Die Einheit war einer der geheimsten Einsatzverbände, die je vom Kriegsministerium zusammengestellt wurden, und sie wurde fast ausschließlich damit beauftragt, geheime Technologien, Waffen, Wissenschaftler und hochrangige Nazi-Offiziere aufzuspüren und zu schützen, zu dem Zweck, die Alliierten im Kampf gegen die neue Supermacht der Welt, den neuen Feind, zu unterstützen: die Sowjets.

Niemand in unserer Familie wusste irgendetwas von seiner geheimen Rolle als kommandierender Offizier der T-Force, bis viele Jahre nach seinem Tod Informationen freigegeben wurden, die zuvor aufgrund der Siebzig-Jahre-Regel des Gesetzes zum Schutz von Staatsgeheimnissen geheim gehalten worden waren – ein Offenlegungsprozess, der dieses Buch inspiriert hat.

Mein Großvater war ein Mann weniger Worte, aber ich erinnere mich aus Kindertagen liebevoll an ihn. Pfeife rauchend, mysteriös, von trockenem Witz und geliebt von jenen, die er anführte.

Für mich jedoch war er immer bloß Opa Ted.

VORSPANN

Daily Mail, August 2015

GOLDZUG DER NAZIS GEFUNDEN: BEICHTE AUF DEM STERBEBETT FÜHRT SCHATZJÄGER ZU GEHEIMEM VERSTECK. POLNISCHER BEAMTER GIBT AN, MIT RADARSTRAHLEN BEWEISE GEFUNDEN ZU HABEN.

In Polen wurde ein Goldzug der Nazis gefunden, nachdem der Mann, der am Ende des Zweiten Weltkrieg half, ihn zu verstecken, ein Geständnis auf dem Sterbebett ablegte. Zwei Schatzsucher, ein Deutscher und ein Pole, erklärten letzte Woche, den Zug in der Nähe der kleinen Stadt Wałbrzych im Südwesten Polens gefunden zu haben – angeblich voller Kriegsbeute.

Piotr Zuchowski, Polens Beauftragter zum Schutz des Nationalerbes, sagt: »Wir wissen nicht, was sich in dem Zug befindet. Möglicherweise militärische Ausrüstung, aber auch Schmuck, Kunstwerke und offizielle Dokumente. Gepanzerte Züge aus dieser Zeit wurden genutzt, um extrem wertvolle Fracht zu transportieren, und dieser Zug ist gepanzert.«

Nach hiesiger Überlieferung glaubt man, dass Nazideutschland das riesige unterirdische Schienennetzwerk unter Schloss Fürstenstein einzig dazu errichten ließ, um dort die Schätze des Dritten Reichs zu verstecken. Unter dem Decknamen »Riese« ließen sie die Insassen der Konzentrationslager endlose Tunnel graben, die als Produktionsstätten für strategische Waffen dienten, da sie dort vor den alliierten Bombern sicher waren.

Sun, Oktober 2015

Wir wissen aus historischen Dokumenten, dass das Regiment der Special Air Service (SAS) 1942 gegründet und 1945 wieder aufgelöst wurde … doch ein neues Buch des renommierten Historikers Damien Lewis zeigt, dass eine einzelne, 30 Mann starke Einheit weitergekämpft hat. Diese Einheit »verschwand« bei Kriegsende, um dem inoffiziellen Auftrag zu folgen, Nazi-Kriegsverbrecher aufzuspüren.

Ihre obersten Ziele waren die Monster der SS oder Gestapo, welche Kriegsgefangene der SAS und Hunderte französische Zivilisten, die dem Feind geholfen hatten, ermordet haben. Bis 1948 konnte die geheime Truppe über 100 der schlimmsten Mörder fassen und vor Gericht stellen, von denen viele den Nürnberger Prozessen von 1945 und 1946 entkommen waren.

Die winzige SAS-Einheit, die den Namen »Geheime Jäger« trug, wurde von einem geheimen Hauptquartier im Londoner Hyde Park Hotel aus befehligt. Finanziert wurde sie schwarz von Prinz Juri Galitzin, einem im Exil lebenden russischen Aristokraten, der für das britische Kriegsministerium arbeitete.

Es waren Mitglieder dieses Trupps, die als Erste die vollen Schrecken der deutschen Vernichtungslager enthüllten … das Konzentrationslager Natzweiler in der Nähe von Straßburg war Schauplatz grausamer Experimente durch die Nazis gewesen. Dort führte Kommandant Josef Kramer Versuche durch, wie er jüdische Gefangene durch die Nutzung von Gas ermorden konnte.

BBC, Januar 2016

FORSCHER SICHER: ÖTZI, DER MANN AUS DEM EIS, HATTE EINEN MAGEN-DARM-VIRUS.

Wissenschaftler fanden mithilfe von aus dem Magen der 5.300 Jahre alten Eismumie extrahierten Mikroben heraus, dass diese vor ihrem Tod an einer Magen-Darm-Erkrankung litt. Ötzi, wie der 1991 in den Ötztaler Alpen gefundene Mann aus dem Eis auch genannt wird, litt an einer bakteriellen Infektion, die den Forschern zufolge heutzutage alltäglich ist.

Das Bakterium – Helicobacter pylori – wurde genetisch analysiert, was ermöglichte, die Geschichte der Mikrobe zurückzuverfolgen, die eng mit der Geschichte der menschlichen Migration verknüpft ist.

Professor Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumien und den Iceman am EURAC-Research-Zentrum in Bozen, sagt: »Eine der ersten Herausforderungen bestand darin, Proben aus dem Magen zu entnehmen, ohne die Mumie zu beschädigen. Daher mussten wir die Mumie erst komplett auftauen, dann erst erhielten wir Zugang durch eine Öffnung …«

1

16. Oktober 1942, Helheim-Gletscher, Grönland

SS-Untersturmführer Herman Wirth wedelte die Schneeflocken beiseite, die seine Sicht behinderten. Er zwang sich, näher ranzugehen, bis sein Gesicht und ihres kaum dreißig Zentimeter voneinander getrennt waren. Als sein Blick durch die trennende Eiswand drang, stieß er ein ersticktes Keuchen aus.

Die Augen der Frau waren weit geöffnet, selbst in ihrem Todeskampf. Und tatsächlich waren sie blau wie der Himmel – wie er es immer gewusst hatte. Doch damit fanden seine Hoffnungen bereits ein jähes Ende.

Ihr Blick bohrte sich in seinen. Voller Wahnsinn. Stumpf. Wie bei einem Wiedergänger. Ein Paar rot glühende Waffenmündungen, die sich aus dem durchsichtigen Eisblock herausbohrten, in dem sie gefangen war.

Es war unglaublich, doch als diese Frau in den Tod gestürzt war, um in diesem Gletscher begraben zu werden, hatte sie Tränen aus Blut vergossen. Wirth konnte sehen, wo die schäumende, sickernde Röte aus ihren Augen getreten war, um für alle Ewigkeit eingefroren zu werden.

Er zwang sich, wegzuschauen, und sah nach unten, zu ihrem Mund. Von ihm hatte er unzählige Nächte fantasiert, während er zitternd in der arktischen Kälte gelegen hatte, die in seinen dicken Gänsedaunen-Schlafsack kroch.

Er hatte sich ihre Lippen vorgestellt. Hatte unablässig von ihnen geträumt. Sie würden voll sein, gespitzt und herrlich pink, hatte er sich selbst erzählt; der Mund der perfekten germanischen Jungfer, die fünftausend Jahre auf einen Kuss gewartet hatte, der sie wiederbeleben würde.

Seinen Kuss.

Doch je mehr er hinsah, desto größer wurde die Abscheu, die in seinen Eingeweiden heranwuchs. Er drehte sich weg und würgte trocken in den eisigen Windstoß, der durch die Gletscherspalte heulte.

In Wahrheit wäre ihr Kuss ein Kuss des Todes; die Umarmung einer Teufelin.

Der Mund der Frau war überzogen mit einer dunkelroten Masse – ein gefrorener Brei aus Blut. Er stieß in das Eis vor ihr wie ein gespenstisch wirbelndes Leichentuch. Und über dem Mund hatte ihre Nase einen Schwall scharlachroter Flüssigkeit ausgestoßen, ein grauenvolles Ausbluten.

Er neigte den Blick noch tiefer und nach links und rechts, ließ ihn über ihr gefrorenes, nacktes Fleisch wandern. Aus irgendeinem Grund hatte diese uralte Frau sich ihre Kleidung vom Leib gerissen, bevor sie über den Eismantel gekrochen und blind in diese Spalte gestürzt war, die den Gletscher durchschnitt. Sie war auf einer Eisplatte zum Liegen gekommen und innerhalb von Stunden steif gefroren.

Perfekt erhalten … aber alles andere als perfekt.

Wirth wollte es kaum glauben, doch selbst die Achselhöhlen der Frau waren von dicken, zähen Perlen tiefroter Flüssigkeit überzogen. Bevor sie gestorben war – während sie gestorben war –, hatte diese sogenannte nordische Ahnengöttin ihren Lebenssaft ausgeschwitzt.

Er ließ seinen Blick noch tiefer kriechen und fürchtete, was er dort finden würde. Und tatsächlich. Ein großer, roter Fleck umgab ihren Genitalbereich. Noch während sie hier gelegen hatte, hatte ihr Herz mit seinen letzten kräftigen Schlägen ganze Wellen fauligen Blutes aus ihren Lenden hinausgepresst.

Wirth drehte sich weg, ging auf die Knie und übergab sich.

Er würgte seinen Mageninhalt durch das Drahtgitter der Kabine und sah zu, wie die wässerige Flüssigkeit in die Schatten unter ihm spritzte. Er würgte, bis nichts mehr übrig war und das trockene Würgen in kurzes, schmerzhaftes Keuchen überging.

Die Finger in den Draht gekrallt, zog er sich wieder auf die Füße. Er sah nach oben zu den grellen Flutlichtern, die ihr erbarmungslos grelles Licht in die dunkle Eisspalte warfen und überall um ihn herum in einem wilden Kaleidoskop gefrorener Farben funkelten.

Kammlers sogenannte Var – seine geliebte uralte nordische Prinzessin … Sie war nun bereit, ihn zu empfangen!

SS-General Hans Kammler … was sollte Wirth ihm bloß erzählen? Und zeigen? Der berühmte SS-Kommandant war den ganzen Weg hier raus geflogen, um ihrer glorreichen Befreiung aus dem Eis beizuwohnen, und dem Versprechen ihrer Wiederauferstehung, damit er dem Führer die Neuigkeiten persönlich überbringen konnte.

Hitlers Traum, endlich kurz vor der Erfüllung.

Und jetzt das.

Wirth zwang seinen Blick zurück zur Leiche. Je länger er sie betrachtete, desto größer wurde sein Schrecken. Es sah aus, als wäre der Körper der Eisfrau mit sich selbst im Krieg gewesen; als hätte er seine eigenen Innereien abgestoßen, sie aus jeder Öffnung herausgepresst. Wenn sie auf diese Art gestorben war, ihr Blut und ihre Eingeweide dergestalt im Eis eingefroren, dann musste sie noch eine erstaunlich lange Zeit blutend am Leben gewesen sein.

Wirth glaubte nicht länger, dass der Sturz in die Spalte sie umgebracht hatte. Oder die Kälte. Sondern die uralte teuflische Krankheit, die sie erfasst hatte, als sie über den Gletscher getaumelt und gekrochen war.

Aber Blut weinen?

Blut kotzen?

Blut schwitzen?

Sogar Blut pinkeln?

Was in Gottes Namen verursachte so etwas?

Was in Gottes Namen hatte sie umgebracht?

Das hier war etwas ganz anderes als die Urahnin, die arische Mutterfigur, auf die sie alle gehofft hatten. Das war nicht die nordische Kriegerprinzessin, von der er zahllose Nächte geträumt hatte – die bewies, dass ihre glorreiche arische Linie fünftausend Jahre zurückreichte. Dies war keine uralte Vorgängerin des Nazi-Übermenschen – eine perfekte blonde, blauäugige Nordin, gerettet aus einer Zeit jenseits der Geschichtsschreibung.

Hitler dürstete es schon so lange nach einem derartigen Beweis.

Und jetzt das. Eine Teufelsfrau.

Als Wirth ihr in die schmerzverzerrte Miene sah – in diese leeren, aufgerissenen, blutverkrusteten Augen, angefüllt mit der schrecklichen Blindheit der wandelnden Toten –, kam ihm mit einem Mal eine überwältigende Erkenntnis.

Irgendwie wusste er, dass er direkt durch die Tore zur Hölle blickte.

Er taumelte rückwärts, fort von der gefrorenen Mumie, griff nach oben und zog kräftig an dem Seil. »Hoch! Zieht mich hoch! Hoch! Startet die Winde!«

Über ihm sprang ratternd ein Motor an. Der Käfig um Wirth ruckte und bewegte sich aufwärts. Der schreckliche blutige Klumpen Eis blieb unter ihm zurück.

Die Morgensonne warf ihr schwaches Rot über die von Eis und Wind bedeckte Landschaft, als Wirths zusammengekauerte Gestalt wieder die Oberfläche erreichte. Erschöpft stieg er aus der Kabine und trat auf den festen, gefrorenen Boden. Die Wachen zu beiden Seiten des Ausstiegs versuchten, die Hacken zusammenzuschlagen, als er vorbeikam. Ihre riesigen, mit Fell überzogenen Stiefel gaben ein dumpfes Geräusch von sich. Die Gummisohlen waren von einer dicken Eisschicht umhüllt.

Wirth salutierte halbherzig, in peinigende Gedanken versunken. Er stemmte die Schultern gegen den heulenden Wind, zog den dicken Mantel fester um seine tauben Glieder und eilte auf das nahe gelegene Zelt zu.

Die brutalen Böen rissen den schwarzen Rauch mit sich, der aus dem Schornstein stieg, der das Zeltdach durchstieß. Mit Sicherheit war der Ofen zur Vorbereitung eines herzhaften Frühstücks ordentlich angeheizt worden.

Also waren seine drei SS-Kameraden bereits wach, dachte Wirth. Sie waren Frühaufsteher, und da heute der Tag war, an dem die Eisfrau aus ihrer Gruft gehoben wurde, erwarteten sie den Sonnenaufgang bestimmt doppelt so freudig.

Ursprünglich hatten ihn zwei SS-Offiziere begleitet – Obersturmführer Otto Rahn und Obergruppenführer Richard Darré. Dann war ohne Vorwarnung Oberst-Gruppenführer Hans Kammler mit einem Flugzeug angereist, um die letzten Augenblicke der aufwendigen Operation zu begleiten.

Als Befehlshaber der Expedition hatte offiziell Obergruppenführer Darré das Sagen, aber niemand tat so, als würde Oberst-Gruppenführer Kammler nicht über ihm stehen. Kammler war Hitlers Stellvertreter. Der Führer hörte auf ihn. Und ehrlich gesagt war Wirth begeistert gewesen, dass der Oberst-Gruppenführer persönlich angereist war, um Zeuge seines größten Triumphs zu werden.

Zu dem Zeitpunkt – vor gerade einmal achtundvierzig Stunden – hatte alles perfekt ausgesehen. Das perfekte Ende einer ambitionierten Unternehmung. Heute Morgen jedoch … Nun, Wirth verspürte wenig Lust, dem Morgengrauen, seinem Frühstück oder den drei Offizierskameraden gegenüberzutreten.

Warum war er überhaupt hier? fragte er sich. Wirth sah sich als Erforscher antiker Kulturen und Religionen, wodurch Himmler und Hitler auf ihn aufmerksam geworden waren. Der Führer selbst hatte ihm seine NSDAP-Mitgliedsnummer zugewiesen – eine äußerst seltene Ehre.

1935 hatte er die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe gegründet, deren Aufgabe es war, zu beweisen, dass einst eine mythische nordische Rasse die Welt beherrscht hatte – die ursprünglichen Arier. Der Legende nach lebte das blonde, blauäugige Volk in Hyperborea, einem sagenumwobenen Land im eisigen Norden, also vermutlich nördlich des Polarkreises.

Expeditionen nach Finnland, Schweden und in die Arktis hatten keine großen oder geschichtsträchtigen Erkenntnisse gebracht. Dann war ein Trupp Soldaten nach Grönland geschickt worden, um eine Wetterstation zu errichten. Dabei hatten sie aufregende Geschichten von einer uralten Frau gehört, die im Grönlandeis eingeschlossen worden war.

Und so war diese schicksalshafte Operation geboren worden.

Anders gesagt: Wirth war ein begeisterter Archäologe und Opportunist. Er war zumindest kein überzeugter Nazi. Doch als Leiter von Deutsches Ahnenerbe war er gezwungen, sich mit den düstersten Fanatikern aus Hitlers Regime gut zu stellen – von denen zwei im Zelt vor ihm warteten.

Er wusste, dass die Sache nicht gut für ihn enden würde. Es war zu viel versprochen worden – manches davon dem Führer persönlich. Zu viele hochtrabende Erwartungen waren geschürt worden, zu viele unerfüllbare Hoffnungen und Ziele hingen von diesem Augenblick ab.

Doch jetzt hatte Wirth ihr Gesicht gesehen, und die Frau aus dem Eis besaß die Fratze eines Monsters.

2

Wirth zog den Kopf ein und trat durch die doppelte Lage dicken Zeltstoffs: eine Schicht, um die mörderische Kälte und das stürmische Schneetreiben draußen zu halten, und eine zweite Schicht, um die Hitze der menschlichen Körper und des feuernden Ofens drinnen zu halten.

Der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee stieg ihm in die Nase. Drei Augenpaare sahen ihn erwartungsvoll an.

»Mein lieber Wirth, warum so ein langes Gesicht?«, stichelte Oberst-Gruppenführer Kammler. »Heute ist der Tag der Tage!«

»Sie haben unsere schöne Maid hoffentlich nicht auf den Boden der Schlucht fallen lassen?«, fügte Otto Rahn hinzu und grinste spöttisch. »Oder versucht, sie mit einem magischen Kuss zu erwecken, nur um als Lohn eine gewischt zu bekommen?«

Rahn und Kammler lachten.

Der überzeugte SS-General und der irgendwie weibische Paläontologe schienen ein besonders festes Band der Kameradschaft geknüpft zu haben. Wie so vieles im Reich ergab das für Wirth keinen Sinn. Was die dritte, sitzende Gestalt betraf: SS-Obergruppenführer Richard Walther Darré blickte nur finster unter zusammengezogenen Brauen hervor auf seinen Kaffee, die Lippen wie üblich fest zusammengepresst.

»Also«, sagte Kammler, »wie geht es unserer Eisprinzessin? Ist sie bereit für uns?« Er deutete mit einer Hand auf das Frühstücksbüfett. »Oder beginnen wir mit unserem Freudenfest?«

Wirth erschauerte. Ihm war immer noch übel. Er vermutete, dass es besser wäre, wenn die drei Männer die Herrin des Eises vor dem Essen zu sehen bekamen.

»Es wäre vermutlich das Beste, Herr Oberst-Gruppenführer, das vor dem Frühstück zu erledigen.«

»Sie wirken niedergeschlagen, Herr Untersturmführer«, erwiderte Kammler. »Entspricht sie nicht unseren Erwartungen? Ist sie kein blonder, blauäugiger Engel des Nordens?«

»Sie haben sie aus dem Eis befreit?«, warf Obergruppenführer Darré ein. »Ihr Gesicht ist zu erkennen? Was wissen Sie über unsere Freya?« Darré hatte ihr den Namen einer alten nordischen Göttin gegeben – deren Name »Herrin« bedeutete.

»Ich bin mir sicher, sie ist unsere Hariasa«, erwiderte Rahn. »Unsere Hariasa des alten Nordens.« Hariasa war eine weitere nordische Gottheit, eine Kriegsgöttin. Noch vor drei Tagen schien das ein passender Name gewesen zu sein.

Seit Wochen meißelte das Team sorgfältig die Eisschicht fort, damit sie einen besseren Blick auf die Frau bekamen. Als es endlich so weit gewesen war, hatte sich gezeigt, dass die Frau in die Wand der Gletscherspalte schaute und ihnen den Rücken zudrehte. Doch das hatte gereicht. Man sah, dass sie prachtvolle Strähnen langen, goldenen Haares besaß, das zu dicken Zöpfen geflochten war.

Bei diesem Anblick waren Wirth, Rahn und Darré in helle Aufregung geraten. Falls ihre Gesichtszüge ebenfalls dem arischen Rassenbild entsprachen, hatten sie es geschafft. Hitler würde sie mit seinem Segen überschütten. Alles, was sie tun mussten, war, sie aus der Gletscherwand zu befreien, den Eisblock umdrehen und ihr ins Gesicht zu schauen.

Wirth hatte ihr ins Gesicht geschaut … Und ihm hatte sich der Magen umgedreht.

»Sie ist nicht gerade das, was wir uns erhofft haben, die Herren Gruppenführer«, stammelte er. »Am besten werfen Sie selbst einen Blick auf sie.«

Kammler stand als Erster auf, die Stirn leicht gerunzelt. Der Oberst-Gruppenführer hatte den Namen einer dritten nordischen Göttin für die Eismumie vorgeschlagen. »Sie wird von jedem verehrt werden, der sie anblickt«, hatte er verkündet. »Und deshalb habe ich den Führer unterrichtet, dass wir sie Var getauft haben – Die Geliebte.«

Nun, es bräuchte einen wahrhaft Heiligen, um diese blutige Leiche zu lieben. Und Wirth war überzeugt davon, dass in diesem Moment keine Heiligen in dem Zelt standen.

Er führte die Männer übers Eis und fühlte sich, als würde er an seinem eigenen Begräbniszug teilnehmen. Sie betraten die Kabine und wurden nach unten gelassen. Die Flutlichter flammten auf, als sie unter der Erde verschwanden. Wirth hatte angeordnet, dass die Lichter ausgeschaltet blieben, solange niemand die Leiche untersuchte oder daran arbeitete. Er wollte nicht, dass die Hitze der Strahler das Eis schmolz und ihre geduldig wartende Herrin auftaute. Sie musste tiefgefroren bleiben, um den Transport ins Berliner Hauptquartier von Deutsches Ahnenerbe zu überstehen.

Er schaute durch die nach unten gleitende, mit Draht eingefasste Kabine zu Rahn. Sein Gesicht lag im tiefen Schatten. Wohin auch immer er ging, Rahn trug immer einen Fedora mit breiter Krempe. Der selbsternannte Knochenjäger und archäologische Abenteurer hatte ihn zu seinem Markenzeichen erklärt.

Wirth verspürte eine gewisse Kameradschaft zum extravaganten Rahn. Sie teilten dieselben Hoffnungen, Leidenschaften und Glaubenssätze. Und natürlich dieselben Ängste.

Ruckelnd blieb die Kabine stehen und schwang kurz vor und zurück wie ein Pendel. Dann erst kam sie an ihrer Kette zu so etwas wie Stillstand.

Vier Augenpaare blickten der im Eis gefangenen Leiche ins Gesicht. Eis, das von widerwärtigen Wirbeln roten Blutes durchzogen war. Wirth spürte die Wirkung des Anblicks auf seine Kameraden – sie waren umhüllt von lähmendem, ungläubigem Schweigen.

Oberst-Gruppenführer Kammler fand seine Stimme als Erster wieder. Er sah Wirth an, der Gesichtsausdruck nicht zu deuten, wie immer – ein kalter, reptilienartiger Blick.

»Der Führer hat Erwartungen«, sagte er leise. »Wir enttäuschen den Führer nicht.« Eine Pause. »Sorgen Sie dafür, dass sie ihres Namens würdig ist. Machen Sie aus ihr eine Var.«

Wirth schüttelte ungläubig den Kopf. »Wir machen wie geplant weiter? Aber Herr Oberst-Gruppenführer, die Gefahr …«

»Welche Gefahr, Herr Untersturmführer?«

»Wir haben keine Vorstellung, was sie getötet hat …« Wirth deutete auf die Leiche. »Was all … das verursacht hat.«

»Es gibt keine Gefahr«, warf Kammler ein. »Sie starb vor fünf Jahrtausenden. Sie werden sie reinigen. Sie schön machen. Nordisch machen. Arisch … Perfekt. Des Führers angemessen.«

»Aber wie, Herr Oberst-Gruppenführer?«, wollte Wirth wissen. »Sie sehen doch …«

»Tauen Sie sie auf, um Gottes willen«, unterbrach Kammler. Er zeigte auf den Eisblock. »Ihr Leute vom Deutsches Ahnenerbe forscht doch seit Jahren an lebenden Menschen, oder nicht? Friert sie ein und taut sie wieder auf.«

»Das stimmt, Herr Oberst-Gruppenführer«, bestätigte Wirth. »Nicht ich persönlich, aber es gab menschliche Einfrier-Versuche. Hinzu kommt das Salzwasser …«

»Ersparen Sie mir die Details.« Kammler stach mit einem behandschuhten Zeigefinger in Richtung der Leiche. »Hauchen Sie ihr Leben ein. Was es auch kostet, wischen Sie ihr dieses Totenkopf-Grinsen aus dem Gesicht. Vertreiben Sie diesen … Blick aus ihren Augen. Sie muss den schönsten Träumen des Führers entsprechen.«

Wirth zwang sich zu einer Antwort. »Jawohl, Herr Oberst-Gruppenführer.«

Kammler blickte von Wirth zu Rahn. »Falls Sie das nicht schaffen – falls Sie an dieser Aufgabe scheitern –, werden Ihre Köpfe rollen.«

Er rief einen Befehl nach oben, dass man die Kabine hinaufziehen sollte. Schweigend stiegen sie wieder auf. Als sie die Oberfläche erreichten, drehte Kammler sich noch einmal zu den beiden Männern von Deutsches Ahnenerbe um.

»Ich habe nur noch wenig Appetit auf Frühstück.« Er schlug die Hacken zusammen und machte den Nazi-Gruß. »Heil Hitler!«

»Heil Hitler«, erwiderten seine SS-Kameraden.

Und einfach so machte sich Oberst-Gruppenführer Hans Kammler über das Eis auf den Weg in Richtung seines Flugzeugs – und nach Deutschland.

3

Heute

Der Pilot der C-130 Hercules-Frachtmaschine drehte sich zu Will Jaeger um. »Bisschen viel, oder, Kumpel? Eine ganze C-130 nur für euch paar Leute anzuheuern.« Er hatte einen schweren Südstaatenakzent, vermutlich aus Texas. »Ihr seid doch nur zu dritt, oder?«

Durch die Tür zum Frachtraum blickte Jaeger zu seinen beiden Kampfgefährten, die auf runtergeklappten Segeltuchsitzen saßen. »Ja. Nur wir drei.«

»Ein bisschen übertrieben, meinst du nicht?«

Jaeger hatte das Flugzeug bestiegen, als plane er einen Fallschirmabsprung aus großer Höhe – er trug einen Helm, der sein Gesicht bedeckte, eine Atemmaske und einen klobigen Anzug. Der Pilot hatte keine Chance, ihn zu erkennen.

Noch nicht, zumindest.

Jaeger zuckte mit den Schultern. »Tja, wir hatten mehr erwartet. Du kennst das ja: Ein paar haben es nicht geschafft.« Er machte eine Pause. »Sie sind im Amazonas zurückgeblieben.«

Er ließ die letzten Worte ein paar Sekunden in der Luft schweben.

»Im Amazonas?«, fragte der Pilot. »Du meinst den Dschungel, richtig? Was war los? Ging der Sprung schief?«

»Schlimmer.« Jaeger löste die Riemen, die seinen Sprunghelm hielten, als müsse er nach Luft schnappen. »Sie konnten nicht kommen – weil sie tot sind.«

Der Pilot horchte auf. »Sie sind gestorben? Wie das? Ein Unfall beim Absprung?«

Nun sprach Jaeger sehr langsam. Er betonte jedes Wort. »Nein. Kein Unfall. Es war eher ein sehr geplanter Mord.«

»Mord? Scheiße.« Der Pilot griff nach vorn und verringerte den Schub der Maschine. »Wir erreichen die Zielflughöhe … Einundzwanzig Minuten bis zum Sprung.« Eine Pause. »Mord? Wer wurde denn ermordet? Und … zur Hölle … warum?«

Als Antwort nahm Jaeger den Helm ganz ab. Zum Schutz gegen die Kälte trug er immer noch die seidene Sturmhaube. Er trug immer eine, wenn er aus neuntausend Metern sprang. In der Höhe war es kälter als auf dem Mount Everest.

Der Pilot konnte ihn noch immer nicht erkennen, doch jetzt war er in der Lage, den Blick in Jaegers Augen zu sehen. Und der allein hätte ihn gerade töten können.

»Ich vermute, dass es Mord war«, wiederholte Jaeger. »Kaltblütiger Mord. Witzigerweise geschah das alles nach dem Sprung aus einer C-130.« Er sah sich im Cockpit um. »Ehrlich gesagt, ein Flugzeug, fast genau wie dieses hier …«

Der Pilot schüttelte den Kopf und wurde allmählich nervös. »Kumpel, ich kann dir nicht folgen … Aber, hey, deine Stimme kommt mir bekannt vor. Das ist das Problem mit euch Briten – einer von euch klingt wie jeder andere, wenn ich das mal sagen darf.«

»Du darfst alles sagen.« Jaeger lächelte. Jedoch nicht seine Augen. Deren Ausdruck hätte einem das Blut gefrieren lassen. »Also, ich vermute, du warst bei der SOAR. Bevor es dich in den Privatsektor gezogen hat.«

»Die SOAR?« Der Pilot klang überrascht. »Yeah, das war ich tatsächlich. Aber woher … kennen wir uns von irgendwo?«

Jaegers Blick wurde zu Stahl. »Einmal ein Night Stalker, immer ein Night Stalker – heißt es nicht so?«

»Ja, das sagen wir so.« Nun klang der Pilot ernsthaft besorgt. »Aber wie gesagt, Kumpel: Kennen wir uns irgendwoher?«

»Ehrlich gesagt, ja. Das tun wir. Auch wenn ich vermute, dass du dir wünschen wirst, mir nie begegnet zu sein. Denn im Augenblick, Kumpel, bin ich dein schlimmster Albtraum. Vor gar nicht langer Zeit hast du mich und mein Team in das Amazonasgebiet geflogen, und unglücklicherweise hat nicht jeder von uns sein Happy End erlebt …«

Vor drei Monaten hatte Jaeger ein zehnköpfiges Team auf eine Expedition in den Amazonasdschungel geführt, um ein verschollenes Flugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg aufzuspüren. Sie hatten dieselbe private Charterfirma engagiert wie heute. Unterwegs hatte der Pilot ihm erzählt, dass er beim 160th Special Operations Aviation Regiment – dem Lufttransportregiment für Spezialeinheiten –, kurz SOAR, gedient hatte. Man kannte sie auch als »Night Stalkers«.

Jaeger kannte die SOAR sehr gut. Während seiner Zeit in der Spezialeinheit hatten die Piloten der SOAR ihn und seine Männer häufiger aus der Scheiße gezogen. Das Motto der SOAR lautete »Der Tod lauert im Dunkeln«, aber Jaeger hätte sich niemals träumen lassen, dass er und sein Team in ihr Visier geraten könnten.

Jaeger griff nach seiner Haube und zog sie ab. »Der Tod lauert im Dunkeln … Das hat er wirklich, vor allem, nachdem du ihm geholfen hast, uns aufzuspüren. Du hast uns fast alle das Leben gekostet.«

Für einen Moment starrte der Pilot ihn an, die Augen weit aufgerissen. Dann drehte er sich der Person im Sitz neben ihm zu.

»Du hast das Kommando, Dan«, sagte er leise und übertrug seinem Copiloten die Kontrolle. »Ich muss mal mit unserem … englischen Freund hier sprechen. Und, Dan, funk Dallas, Fort Worth an. Brich den Flug ab. Wir brauchen von ihnen einen Kurs nach …«

»Das würde ich nicht tun«, unterbrach ihn Jaeger. »An deiner Stelle.«

Die Bewegung war so schnell gewesen, dass der Pilot sie kaum wahrgenommen hatte, geschweige denn, sich hätte wehren können. Jaeger hatte eine SIG Sauer P228-Pistole aus seinem Sprunganzug gezogen. Es war die Lieblingswaffe für Spezialkräfte, und er drückte das flache Ende der Mündung fest gegen den Hinterkopf des Piloten.

Dem Mann wich jede Farbe aus dem Gesicht. »Was … was zur Hölle? Entführst du mein Flugzeug?«

Jaeger lächelte. »Finde dich lieber damit ab.« Seine nächsten Worte richtete er an den Copiloten: »Bist du auch ein ehemaliger Night Stalker? Oder nur ein weiterer verräterischer Mistkerl wie dein Kumpel hier?«

»Was soll ich ihm sagen, Jim?«, fragte der Copilot leise. »Wie antworte ich diesem Hurens…«

»Ich sag dir, wie du mir antwortest«, unterbrach Jaeger. Er löste den Copiloten-Sitz aus seiner Stellung und drehte ihn herum, bis der Mann ihn ansah. Er richtete seine 9 mm auf die Stirn des Piloten. »Schnell und wahrheitsgemäß, ohne Widersprüche, oder die erste Kugel bläst ihm das Gehirn weg.«

Dem Piloten fielen beinahe die Augen aus dem Schädel. »Los, antworte ihm, Dan. Der Typ ist irre genug, das durchzuziehen.«

»Ja, wir waren beide bei der SOAR«, antwortete der Copilot mit rauer Stimme. »Dieselbe Einheit.«

»Gut. Warum zeigst du mir dann nicht, was die SOAR draufhat? Ich kannte euch mal als die Besten. Taten wir alle, bei den British Special Forces. Beweise es. Nimm Kurs auf Kuba. Wenn wir den Luftraum der USA hinter uns haben, will ich, dass du runtergehst. Mit den Wellen schmusen. Kein Radar darf wissen, dass wir kommen.«

Der Copilot warf einen Blick zum Piloten, der nickte. »Tu es einfach.«

»Kurs auf Kuba, verstanden«, bestätigte der Mann, wenn auch durch zusammengebissene Zähne. »Haben Sie ein konkretes Ziel? Denn uns stehen ein paar Tausend Kilometer kubanischer Küstenlinie zur Verfügung, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Ihr lasst uns mit dem Fallschirm über einer kleinen Insel raus. Die genauen Koordinaten erhaltet ihr, wenn wir dort sind. Wir müssen direkt nach Sonnenuntergang über der Insel sein – also im Schutz der Dunkelheit. Berechne die Geschwindigkeit dementsprechend.«

»Viel verlangst du ja nicht«, knurrte der Copilot.

»Halte uns auf südöstlichem Kurs. In der Zwischenzeit hab ich ein paar Fragen an deinen Kumpel hier.«

Jaeger klappte den Navigator-Sitz am hinteren Ende des Cockpits hinunter und setzte sich. Die Mündung der SIG ließ er ebenfalls sinken – bis sie auf die Männlichkeit des Piloten zielte.

»Ja. Fragen«, sinnierte er. »Eine Menge Fragen.«

Der Pilot zuckte mit den Achseln. »Okay. Was du willst. Schieß los.«

Jaeger warf einen Blick zur Pistole und lächelte dann – bösartig. »Soll ich das wirklich?«

Der Pilot funkelte ihn an. »Ist nur ’ne Redewendung.«

»Erste Frage: Warum hast du mein Team im Amazonas in den Tod geschickt?«

»Hey, davon wusste ich nichts. Niemand hatte irgendwas von Töten gesagt.«

Jaegers Griff um die Pistole wurde fester. »Beantworte die Frage.«

»Geld«, gab der Pilot leise zurück. »Ist das nicht immer der Grund? Aber zur Hölle, ich wusste nicht, dass sie versuchen würden, euch alle umzubringen.«

Jaeger ignorierte die Proteste des Mannes. »Wie viel?«

»Genug.«

»Wie viel?«

»Hundertvierzigtausend Dollar.«

»Okay. Rechnen wir das mal durch. Wir haben sieben Leute verloren. Pro Leben zwanzigtausend Dollar. Ich würde sagen, du hast uns ziemlich billig verramscht.«

Der Pilot warf die Hände in die Luft. »Hey, ich hatte keine Scheißahnung! Die haben versucht, euch auszulöschen? Woher zum Teufel hätte ich das wissen sollen?«

»Wer hat dich bezahlt?«

Der Pilot zögerte. »Irgendein Brasilianer. Ein Einheimischer. Hab ihn in einer Bar getroffen.«

Jaeger schnaubte. Er glaubte kein Wort davon, musste aber weiter drängen. Er brauchte Einzelheiten. Irgendeine brauchbare Information. Er brauchte etwas, das ihm half, seine wahren Feinde aufzuspüren. »Hatte er auch einen Namen?«

»Sicher. Andrej.«

»Andrej. Ein Brasilianer namens Andrej, den du in einer Bar getroffen hast?«

»Yeah. Nun, vielleicht klang er auch nicht wirklich wie ein Brasilianer. Eher wie ein Russe.«

»Gut. Ein starkes Erinnerungsvermögen ist sehr förderlich für die Gesundheit. Vor allem, wenn eine 9 mm auf deine Eier gerichtet ist.«

»Ich hab’s nicht vergessen.«

»Also, Andrej, dieser Russe, den du in einer Bar getroffen hast – irgendeine Ahnung, für wen er gearbeitet haben könnte?«

»Ich weiß nur, dass ein Typ namens Wladimir der Boss war.« Er hielt inne. »Wer immer deine Leute getötet hat, das ist der Mann, der den Befehl dazu gegeben hat.«

Wladimir. Jaeger hatte den Namen schon einmal gehört. Er hatte sich schon gedacht, dass er der Anführer war, wenn es auch mit Sicherheit noch andere, mächtigere Männer über ihm gab.

»Hast du diesen Wladimir je getroffen? Ihn gesehen?«

Der Pilot schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Aber das Geld hast du trotzdem genommen.«

»Ja. Ich hab das Geld genommen.«

»Zwanzigtausend Dollar für jeden meiner Leute. Was hast du gemacht? Eine Pool-Party veranstaltet? Mit den Kindern nach Disneyland gefahren?«

Der Pilot antwortete nicht. Er presste trotzig die Kiefer zusammen. Jaeger war versucht, dem Kerl den Pistolengriff gegen die Stirn zu schlagen, aber er brauchte ihn bei klarem Verstand.

Er brauchte ihn, um dieses Flugzeug zu fliegen wie niemals zuvor und sie über ihr sich schnell näherndes Ziel zu bringen.

4

»In Ordnung, nachdem wir jetzt geklärt haben, wie billig du meine Leute verkauft hast, schauen wir, wie du es wiedergutmachen kannst. Oder zumindest einen Teil davon.«

Der Pilot grunzte. »Was schwebt dir vor?«

»Das Problem ist Folgendes: Wladimir und seine Leute haben eines meiner Expeditionsmitglieder entführt. Leticia Santos. Brasilianerin. Ehemalige Soldatin. Eine junge, geschiedene Mutter, die sich um ihre Tochter kümmern muss. Ich mochte sie.« Eine Pause. »Sie halten sie auf einer abgelegenen Insel vor Kuba fest. Du musst nicht wissen, wie wir sie gefunden haben. Was du wissen musst, ist, dass wir unterwegs sind, um sie zu retten.«

Der Pilot stieß ein gepresstes Lachen aus. »Und wer zur Hölle bist du? James Bond? Ihr seid zu dritt. Ein Drei-Mann-Team. Und was? Glaubt ihr, Typen wie Wladimir haben niemanden, der sie schützt?«

Jaeger richtete seine graublauen Augen auf den Piloten. Es lag eine ruhige, aber lodernde Intensität in seinem Blick. »Wladimir hat dreißig gut bewaffnete Männer unter seinem Kommando. Wir sind zehn zu eins in der Unterzahl. Trotzdem gehen wir rein. Und wir brauchen dich, um sicherzustellen, dass wir diese Insel mit dem Maximum an Überraschung und Unsichtbarkeit betreten.«

Jaeger, der sein dunkles Haar halblang trug und leicht hagere, wölfische Züge besaß, wirkte jünger als seine achtunddreißig Jahre. Doch man sah ihm an, dass er bereits viel erlebt hatte und dass man sich besser nicht mit ihm anlegte, schon gar nicht, wenn er wie jetzt gerade eine Pistole in der Hand hielt.

Das alles entging dem Piloten der C-130 nicht. »Als Angriffstrupp in ein gut verteidigtes Zielgebiet eindringen – bei den US-Spezialkräften haben wir immer so gerechnet, dass die Chancen drei zu eins für uns stehen.«

Jaeger griff in seinen Rucksack und zog ein seltsam aussehendes Objekt heraus. Es erinnerte an eine große Konservendose, deren Etikett entfernt worden war. An einem Ende war ein Hebel befestigt. Er hielt es vor sich ausgestreckt.

»Tja, aber wir haben das hier.« Sein Finger glitt über die eingestanzten Buchstaben, die an der Seite des Kanisters entlangliefen: Kolokol-1.

Der Pilot zuckte mit den Schultern. »Nie davon gehört.«

»Wie auch. Das ist russisch. Aus der Sowjet-Ära. Sagen wir mal so: Wenn ich den Stift ziehe und das Ding werfe, wird dieses Flugzeug mit giftigem Gas gefüllt und abstürzen wie ein Stein.«

Der Pilot sah Jaeger in die Augen und spannte unwillkürlich die Schultern an. »Tu das, und wir sind alle tot.«

Jaeger wollte den Kerl reizen, aber nicht zu weit. »Ich werde den Stift nicht ziehen.« Er steckte den Kanister wieder in seinen Rucksack. »Aber glaub mir, du willst keine Erfahrung mit Kolokol-1 haben.«

»Okay, verstanden.«

Vor drei Jahren hatte Jaeger selbst eine albtraumhafte Begegnung mit dem Gas gehabt. Er war mit seiner Frau und seinem Sohn in den Welsh Mountains zelten gewesen. Die bösen Jungs – dieselben, die jetzt Leticia Santos festhielten – waren mitten in der Nacht gekommen und hatten das Zelt mit Kolokol-1 geflutet. Jaeger hatte das Bewusstsein verloren und wäre beinahe gestorben.

Das war das letzte Mal gewesen, dass er seine Frau und seinen acht Jahre alten Sohn gesehen hatte – Ruth und Luke.

Welcher geheimnisvolle Feind sie auch in seiner Gewalt hatte, er wollte Jaeger mit ihrer Entführung quälen. Um ehrlich zu sein, bezweifelte er nicht mehr, dass sie ihn in jener Nacht ausschließlich aus dem Grund am Leben gelassen hatten, damit sie ihn damit foltern konnten.

Jeder Mensch hat Grenzen, wie viel er ertragen kann. Nachdem er jeden Stein auf der Suche nach seiner vermissten Familie umgedreht hatte, war Jaeger schließlich gezwungen gewesen, die schreckliche Wahrheit zu akzeptieren: Sie waren fort, offensichtlich ohne jede Spur, und er hatte sie nicht beschützen können.

Daran war er mehr oder weniger zerbrochen. Er hatte Trost in Alkohol und Einsamkeit gesucht. Und es hatte einen sehr speziellen Freund gebraucht – und neue Beweise, dass seine Frau und sein Sohn noch am Leben waren –, um ins Leben zurückzufinden. Zu sich selbst.

Doch er war als anderer Mensch zurückgekehrt.

Düsterer. Weiser. Zynischer. Weniger vertrauensvoll.

Ihm reichte seine eigene Gesellschaft. Er bevorzugte sie sogar.

Und der neue Will Jaeger hatte eine ganz neue Bereitschaft gezeigt, geltende Regeln zu brechen, um all die zu jagen, die sein Leben in Fetzen gerissen hatten. Und so war er zu dieser Mission gekommen. Und er war nicht abgeneigt, unterwegs ein paar unfaire Tricks vom Gegner zu lernen. Sunzi, der chinesische Meister der Kriegskunst, hatte ein Sprichwort: »Kenne deinen Feind.« Das war eine ziemlich einfach klingende Regel, doch beim Militär hatte Jaeger sie zu seinem Mantra entwickelt. Kenne deinen Feind – der oberste Leitsatz jeder Mission.

Und inzwischen hatte er auch den zweiten Leitsatz jeder Mission gefunden: Lerne von deinem Feind.

Bei den Royal Marines und der SAS – den beiden Einheiten, in denen Jaeger gedient hatte – hatten sie immer wieder betont, wie wichtig es war, in alle Richtungen zu denken. Für alles offen zu sein. Das Unerwartete zu tun. Vom Feind zu lernen, war die ultimative Ausformung dieser Regel.

Jaeger ging davon aus, dass die feindliche Einheit auf der Insel vor Kuba als Allerletztes erwartete, mitten in der Nacht von demselben Gas getroffen zu werden, das sie selbst benutzt hatten.

Der Feind hatte ihm das angetan.

Er hatte seine Lektion gelernt.

Zeit, es ihnen heimzuzahlen.

Kolokol-1 war ein Giftstoff, den die Russen streng geheim gehalten hatten. Niemand kannte seine genaue Zusammensetzung, doch 2002 war er plötzlich in aller Munde gewesen, als eine Gruppe Terroristen ein Moskauer Theater überfallen und Hunderte Geiseln genommen hatten.

Die Russen hatten nicht lange gefackelt. Ihre Spezialkräfte – die Speznas – hatten das Theater mit Kolokol-1 vollgepumpt. Dann hatten sie sich wie ein Orkan auf das Gebäude gestürzt, die Belagerung durchbrochen und alle Terroristen getötet. Unglücklicherweise hatten zu dem Zeitpunkt auch viele der Geiseln das Gas eingeatmet.

Die Russen hatten nie offiziell erklärt, was genau sie eingesetzt hatten, aber Jaegers Kontakte in Englands geheimen Verteidigungslaboratorien hatten Proben davon in die Finger bekommen und bestätigt, dass es sich um Kolokol-1 handelte. Angeblich war es ein Betäubungsgas, doch einige Moskauer Geiseln waren daran gestorben, nachdem sie ihm zu lange ausgesetzt gewesen waren.

Kurz gesagt: Es passte perfekt zu Jaegers Plan.

Jaeger wollte, dass einige von Wladimirs Männern überlebten. Vielleicht sogar alle. Wenn er sie auslöschte, wären ihm vermutlich die gesamte kubanische Polizei, Armee und Luftstreitkräfte auf den Fersen. Und im Augenblick waren er und sein Team lediglich am Improvisieren; sie mussten möglichst unerkannt rein und wieder raus.

Doch selbst die, die überlebten, würden eine Weile was vom Kolokol-1 haben. Es dauerte Wochen, um sich zu erholen – bis dahin würden Jaeger und seine Leute, inklusive Leticia Santos – längst auf und davon sein.

Und es gab noch einen Grund, weshalb Jaeger wollte, dass wenigstens Wladimir überlebte. Jaeger hatte eine Menge Fragen. Und Wladimir würde ihm Antworten liefern.

»Also«, sagte er dem Piloten, »wir werden Folgendes tun. Wir müssen um Punkt 0200 über einer konkreten Koordinate sein, auf offener See, zweihundert Meter westlich der Zielinsel. Ihr fliegt auf Baumhöhe und zieht auf neunzig Meter hoch, um uns in einem LLP rauszulassen.«

Der Pilot starrte ihn an. »LLP? Das wird eure Beerdigung.«

Ein LLP – »Low Level Parachute Drop«, also ein Absprung aus extrem niedriger Höhe – war eine Infiltrierungstechnik von Spezialeinheiten, die nur sehr selten in Kampfeinsätzen genutzt wurde, da die Risiken enorm waren.

»Sobald wir raus sind, geht ihr wieder so tief wie möglich runter«, fuhr Jaeger fort. »Umfliegt die Insel weiträumig. Verbergt das Flugzeug – und euren Lärm – vor jedem aufmerksamen …«

»Zur Hölle, ich bin ein Night Stalker«, unterbrach ihn der Pilot. »Ich weiß, was ich tue. Das brauchst du mir nicht zu erklären.«

»Gut zu wissen. Ihr entfernt euch von der Insel und fliegt nach Hause. Und damit sind wir fertig. Ihr seid uns los.« Jaeger machte eine Pause. »Verstanden?«

Der Pilot zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen. Das Problem ist: Euer Plan ist scheiße.«

»Dann leg mal los.«

»Ganz einfach. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, wie ich euch übers Ohr hauen kann. Ich kann euch an den falschen Koordinaten abwerfen – wie wäre es mitten auf dem verdammten Ozean? – und euch einfach schwimmen lassen. Oder ich ziehe hoch und funke die Insel an. Hey, Wladimir! Aufwachen! Die Kavallerie kommt – alle drei von ihnen! Himmel, dein Plan hat mehr Löcher als ein verdammtes Sieb.«

Jaeger nickte. »Ja, du hast recht. Aber der Punkt ist, dass du nichts davon tun wirst. Und weißt du auch, wieso? Weil du dich schuldig wie der Teufel fühlst, was meine sieben toten Leute angeht. Du brauchst eine Möglichkeit, das wiedergutzumachen, oder es wird dich für den Rest deiner Tage quälen.«

»Du glaubst, ich hätte ein Gewissen?«, knurrte der Pilot. »Da täuschst du dich.«

»Natürlich hast du eines«, gab Jaeger zurück. »Aber nur für den Notfall: Es gibt noch einen zweiten Grund. Wenn du uns bescheißt, wird der Rest deines Lebens eine einzige Qual werden.«

»Sagt wer? Wie das?«

»Es ist doch so: Du hast gerade einen nicht genehmigten Flug nach Kuba unter der Radargrenze vollzogen. Da du sonst nirgendwo hin kannst, wirst du nach Dallas, Fort Worth zurückfliegen. Wir haben gute Freunde in Kuba, und die warten auf ein Signalwort von mir: ERFOLG. Haben sie das Signal bis 0500 nicht erhalten, informieren sie die US-Küstenwache, dass dein Flugzeug Drogentransporte unter dem Radar durchführt.«

Die Augen des Piloten blitzten auf. »Ich fasse das Zeug nicht mal an! Das ist ein schmutziges Geschäft. Außerdem – die Jungs in Fort Worth kennen uns. Das kaufen die euch nie ab.«

»Ich denke doch. Zumindest werden sie es überprüfen müssen. Sie können einen Hinweis des Leiters der kubanischen Zollbehörde nicht einfach ignorieren. Und wenn das Drogendezernat seine Spürhunde an Bord holt, werden die Tiere ausflippen. Du musst wissen: Ich habe ein wenig weißes Pulver im Heck deines Flugzeugs versteckt. Im Frachtraum einer C-130 gibt es eine Menge Verstecke für ein paar Gramm Kokain.«

Jaeger sah, wie der Pilot die Kiefer zusammenpresste. Er warf einen Blick auf die Pistole in Jaegers Hand. Er würde Jaeger am liebsten angreifen, wusste aber auch, dass er sich damit eine Kugel einfing.

Jeder Mann hatte einen Punkt, an dem er brach.

Man konnte jeden Mann zu weit treiben.

»Zuckerbrot und Peitsche, Jim. Deine Erlösung ist der Zucker. Damit sind wir quasi quitt. Die Peitsche ist ein lebenslanger Aufenthalt in einem US-Gefängnis wegen Drogenschmuggels. Wenn du diese Mission fliegst, bist du mich los. Du lebst dein normales Leben weiter, außer, dass dein Gewissen ein bisschen leichter wiegt. Also, von welcher Seite du es auch betrachtest: Es ist in jedem Fall die bessere Alternative, unserem Plan zu folgen.«

Der Pilot sah Jaeger in die Augen. »Ich bringe euch in die Absprungzone.«

Jaeger lächelte. »Ich sag meinen Leuten, dass sie sich für den Absprung bereit machen sollen.«

5

Die C-130 dröhnte schnell und niedrig heran und schrammte beinahe über die nachtschwarzen Wellenkämme.

Jaeger und sein Team hockten an der offenen Rampe am Heck. Der Wind fegte ihnen um die Ohren und zerrte an ihnen. Außerhalb des Flugzeugs herrschte tosende Dunkelheit.

Hier und dort erkannte Jaeger ein Aufblitzen von Weiß, wenn das Flugzeug dicht über einem Riff dahinflog, an dem sich die Wellen schäumend brachen. Ihre Zielinsel war ebenfalls von scharfkantigen Korallen umsäumt, die es zu vermeiden galt. Wasser würde ihnen eine relativ sanfte Landung bieten, Korallen eine mit zerschmetterten Beinen. Wenn alles wie geplant verlief, würde Jaegers geplanter Absprungpunkt sie in den Ozean innerhalb des letzten Rings eintauchen lassen, nicht weit von der Insel entfernt.

Sobald der Pilot davon überzeugt worden war, dass er keine andere Wahl hatte, als die Mission zu fliegen, hatte er sich der Sache mehr oder weniger mit ganzem Herzen verschrieben. Und Jaeger wurde allmählich klar, dass diese Jungs wirklich das waren, als was sie sich ausgaben: ehemalige Night Stalker.

Die kühle Nachtluft wirbelte durch den Frachtraum, während die vierblättrigen Propeller auf beiden Seiten der Maschine dröhnend die Dunkelheit zerschnitten. Der Pilot flog so niedrig, dass er beinahe die Wellen berührte, und warf die riesige Maschine herum wie einen Formel-1-Wagen.

Das hätte in dem dunklen Frachtraum leicht zu Übelkeit geführt, wenn Jaeger und sein Team einen solchen Ritt nicht gewohnt gewesen wären.

Er wandte sich seinen beiden Kameraden zu. Takavesi »Raff« Raffara war ein riesiger Berg von einem Mann – ein stahlharter Maori und einer von Jaegers engsten Freunden aus seiner Zeit bei der SAS. Raff – ein absolut loyaler Kamerad – war der erste Mann, den Jaeger bei sich wünschte, wenn es galt, Rücken an Rücken zu kämpfen und die Lage ernst wurde. Er hatte Raff – der sein langes Haar geflochten trug, wie es Tradition bei den Maori war – sein Leben während ihrer gemeinsamen Dienstzeit bereits unzählige Male anvertraut. Erst vor Kurzem hatte er es wieder getan, als Raff gekommen war, um Jaeger am Ende der Welt vor Suff und Ruin zu retten.

Sein zweites Teammitglied war eine stille, nymphenhafte Gestalt, der in dem reißenden Luftstrom das blonde Haar um die zarten Gesichtszüge geweht wurde. Irina Narov, ehemalige Agentin der russischen Spezialkräfte, war gut aussehend und nicht aus der Ruhe zu bringen, und sie hatte während ihrer Expedition in den Amazonasdschungel immer wieder bewiesen, dass man auf sie zählen konnte. Das bedeutete aber nicht, dass Jaeger sie einschätzen konnte – oder sie irgendwie weniger schwierig fand.

Seltsamerweise hatte er dennoch angefangen, ihr zu vertrauen. Sich sogar auf sie zu verlassen. Trotz ihres unbequemen, manchmal schlicht in den Wahnsinn treibenden Verhaltens war sie auf ihre eigene Art ebenso zuverlässig wie Raff. Und wenn der Moment kam, hatte sie sich als ebenso tödlich erwiesen – eine eiskalte, berechnende Killerin, wie es wohl keine zweite gab.

Mittlerweile lebte Narov in New York und war amerikanische Staatsbürgerin. Sie hatte Jaeger erzählt, dass sie im Geheimen operiere, für eine internationale Organisation, deren Identität er noch nicht ganz hatte lüften können. Das alles schien ziemlich zwielichtig, aber es waren die Mitglieder dieser Organisation – Narovs Leute –, die die aktuelle Mission zur Rettung von Leticia Santos finanzierten. Und im Augenblick war das alles, was für Jaeger zählte.

Und dann war da noch Narovs rätselhafte Verbindung zu Jaegers Familie, insbesondere zu seinem schmerzlich vermissten verstorbenen Großvater, William Edward »Ted« Jaeger. Großvater Ted hatte während des Zweiten Weltkriegs bei einer britischen Spezialeinheit gedient und Jaeger dadurch inspiriert, ebenfalls zum Militär zu gehen. Narov behauptete, Großvater Ted wie einen eigenen Opa geliebt zu haben und noch immer in seinem Namen und ihm zu Ehren zu kämpfen.

Für Jaeger ergab das keinen Sinn. Er hatte niemals gehört, dass irgendjemand in seiner Familie Narov auch nur mit einer Silbe erwähnt hätte, auch nicht Großvater Ted. Am Ende ihrer Expedition in den Amazonasdschungel hatte er sich geschworen, ein paar Antworten von ihr zu bekommen; das Geheimnis zu lüften, das sie verkörperte. Doch ihre aktuelle Mission hatte Vorrang.

Dank Narovs Leuten und ihrer Kontakte in die kubanische Unterwelt hatte Jaegers Team den Ort herausfinden können, wo Leticia Santos festgehalten wurde. Dies waren wertvolle Informationen für sie, und als Bonus hatten sie noch eine detaillierte Beschreibung Wladimirs erhalten.

Was Jaeger jedoch Sorge bereitete, war die Tatsache, dass Leticia in den letzten Tagen verlegt worden war – aus einer relativ gering gesicherten Villa auf die abgelegene Insel vor der Küste. Die Wachen waren verdoppelt worden, und Jaeger befürchtete, dass er sie endgültig verlieren könnte, wenn man sie erneut verlegte.

Es stand noch eine vierte Person im Frachtraum der C-130. Der Lademeister war durch ein Sicherungsseil fest mit der Wand des Flugzeugs verbunden, damit er auf der Laderampe hocken konnte, ohne von dem wütenden Luftstrom hinausgerissen zu werden. Er presste sich die Kopfhörer enger an den Kopf, während er einer Nachricht des Piloten lauschte. Er nickte, dass er verstanden hatte, stand auf und spreizte kurz alle fünf Finger seiner Hand: noch fünf Minuten bis zum Absprung.

Jaeger, Raff und Narov erhoben sich. Der Erfolg der anstehenden Mission hing von drei Faktoren ab: Schnelligkeit, Aggressivität und dem Überraschungsmoment – auf Englisch: »Speed, Aggression and Surprise«, oder SAS, dem inoffiziellen Slogan der gleichnamigen Spezialeinheit. Deshalb war es wichtig, dass sie wenig Ausrüstung bei sich hatten, damit sie sich schnell und lautlos über die Insel bewegen konnten.

Abgesehen von einem LLP-Fallschirm trug jedes Teammitglied einen Rucksack mit Kolokol-1-Granaten, Sprengsätzen, Wasser, Notrationen, Verbandszeug und einer kleinen, scharfen Axt. Der restliche Raum wurde von ihren CBRN-Schutzanzügen und Atemmasken eingenommen.

Als Jaeger dem Militär beigetreten war, hatten die Schutzanzüge nur das Kürzel ABC getragen: zum Schutz gegen atomare, biologische und chemische Kampfstoffe. Inzwischen hieß es CBRN: chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren – die neuen Begriffe spiegelten die neue Weltordnung wider. Als die Sowjetunion der Feind des Westens gewesen war, war die größte Gefahr ein Atomsprengkopf gewesen. Doch in der heutigen zersplitterten Welt voller Schurkenstaaten und Terrorgruppen waren chemische und biologische Kriegsführung – oder noch wahrscheinlicher Terroranschläge – die gefährlichste Bedrohung.

Jaeger, Raff und Narov trugen jeder eine SIG P228 mit extragroßem 20-Schuss-Magazin sowie sechs Reservemagazine. Und jeder hatte sein Messer dabei. Narov trug ihr Fairbairn-Sykes-Kampfmesser, eine rasiermesserscharfe Klinge, absolut tödlich im Nahkampf. Es war eine unverwechselbare Waffe, die im Zweiten Weltkrieg an britische Kommandotruppen ausgegeben worden war. Narovs Verbundenheit mit ihrer Klinge war ein weiteres Rätsel, das Jaeger faszinierte.

Doch heute plante niemand, den Gegner mit Messer oder Kugeln auszuschalten. Je lautloser und sauberer sie die Sache erledigen konnten, desto besser. Sollte das Kolokol-1 seine geräuschlose Arbeit machen.

Jaeger sah auf die Uhr: noch drei Minuten bis zum Sprung. »Bereit?«, rief er. »Denkt dran, gebt dem Gas Zeit, um zu wirken.«

Die anderen nickten und streckten den Daumen hoch. Raff und Narov waren Profis – die besten –, und er spürte nicht den winzigsten Hauch von Nervosität. Ja, sie waren zehn zu eins unterlegen, aber er ging davon aus, dass das Kolokol-1 diesen Nachteil ausgleichen würde. Zugegeben, niemand von ihnen war wirklich scharf darauf, das Gas einzusetzen. Aber wie Narov gesagt hatte: Manchmal musste man sich eines kleinen Übels bedienen, um ein großes zu bekämpfen.

Während er sich mental auf den Sprung vorbereitete, spürte Jaeger eine gewisse Sorge: Kein LLP war wie der andere.

Bei der SAS hatte er viel Zeit damit zugebracht, hochmoderne, neuartige Ausrüstung auszutesten. Während der Arbeit mit dem Joint Air Transport Establishment (JATE) – einer geheimen Truppe, die Luftinfiltrierungstechniken erforschte, die James Bond neidisch gemacht hätten – war er aus den extremsten, physikalisch möglichen Höhen abgesprungen.

Doch seit Kurzem verfolgte das britische Militär eine gänzlich andere Vorgehensweise. Statt vom Rande der Erdatmosphäre aus abzuspringen, war der LLP entwickelt worden, um es einem Fallschirmtrupp zu ermöglichen, quasi aus Bodennähe abzuspringen und trotzdem zu überleben.

Theoretisch war es möglich, aus 76 Metern abzuspringen und dies zu überleben, das Flugzeug also deutlich unter dem Radar zu halten. Anders gesagt: Eine Einheit konnte nahezu unentdeckt in feindliches Gebiet eindringen – genau der Grund, weshalb er diese Absprungvariante für diese Mission ausgewählt hatte.

Da dem LLP-Schirm nur Sekundenbruchteile blieben, um sich voll zu öffnen, hatte er ein flaches, breites Design, mit dem er so viel Luft wie möglich einfing. Trotzdem brauchte es die Hilfe kleiner Raketenpacks, damit der Schirm sich vollständig öffnete, bevor der Springer aufschlug. Und auch mit dem Raketenpack – im Grunde ein Öffnungsmechanismus, der den Fallschirm sofort hoch in die Luft katapultierte – blieben dem Springer gerade einmal fünf Sekunden, um seinen Sturz zu bremsen und zu landen.

Das ließ keine Zeit für Fehler.

Im Gegenzug blieb dem Gegner keine Zeit, den Springer zu entdecken oder davon abzuhalten, lebendig den Boden – oder das Wasser – zu erreichen.

6

Die Lampe über ihnen leuchtete grün auf – bereit zum Sprung.

Es dauerte nur Millisekunden, und Jaeger, Raff und Narov stürzten sich nacheinander aus der offenen Rampe der C-130. Sie wurden in die tosende Leere gerissen. Jaeger wurde herumgeworfen wie eine Stoffpuppe in einem riesigen Windkanal. Unter sich sah er den schäumenden Ozean auf sich zurasen – in wenigen Sekunden würde er aufschlagen.

Keinen Augenblick zu früh öffnete er mithilfe des Projektils seinen Fallschirm, und plötzlich war ihm, als würde er am Heck einer donnernden Rakete in den Himmel geschossen werden. Einen Wimpernschlag später erstarb die Rakete, und der Schirm breitete sich in der Dunkelheit über ihm aus.

Er blähte sich mit einem kräftigen Ruck und stemmte sich gegen die Luft, nur Sekunden nachdem das Raketenpack seinen höchsten Punkt erreicht hatte. Jaeger drehte sich einige Male der Magen um … und dann segelte er sanft der wogenden See entgegen.

Als seine Füße das Wasser berührten, trennte Jaeger den Schirm augenblicklich ab und damit auch das klobige Sprunggeschirr. Die herrschende Strömung führte nach Südosten, würde die Fallschirme also auf den offenen Atlantik ziehen – vermutlich würde sie also niemand je wiedersehen.

So hatte Jaeger es geplant: Sie mussten rein und wieder raus, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Die Hercules über ihm verschwand schnell, ihre geisterhaften Umrisse wurden von der finsteren Nacht verschluckt. Tosende Dunkelheit war das Einzige, was Jaeger noch umgab. Es war nichts zu hören außer dem Rauschen der Meeresbrandung; und Jaeger spürte nichts als das leichte Schlagen und Ziehen des Karibischen Meers, dessen salziges Aroma seinen Mund und seine Nase füllte.

Jeder ihrer drei Rucksäcke war außen mit wasserdichten Canoe-Bags bestückt. Die reißfesten schwarzen Beutel verliehen den schweren Rucksäcken so viel Auftrieb, dass sie als Schwimmhilfen dienten. Sie hielten die Rucksäcke vor sich und strampelten dem Rand eines Palmenwalds entgegen, der die Küste säumte. Die kräftigen Wellen trieben sie weiter aufs Land zu. Nur Minuten nachdem sie das Wasser berührt hatten, erreichten sie Land, krochen auf den Strand und schleppten sich klitschnass in die nächstgelegene Deckung.

Dort warteten sie etwa fünf Minuten, horchten in die Schatten hinein und beobachteten ihre Umgebung mit Adleraugen.

Falls irgendjemand gesehen hatte, wie die C-130 sie abgeworfen hatte, würde er vermutlich jetzt kommen. Aber Jaeger entdeckte nichts. Keine ungewöhnlichen Geräusche. Keine unerwarteten Bewegungen. Es schien, als wäre die Insel komplett unbewohnt. Abgesehen vom rhythmischen Schlagen der Wellen am schneeweißen Strand umgab sie nichts als völliges Schweigen.

Jaeger spürte, wie der bevorstehende Angriff das Adrenalin in seine Adern strömen ließ. Es war Zeit, zuzuschlagen.

Er zog ein kleines GPS-Gerät hervor, um seine Position zu überprüfen. Es kam vor, dass Piloten ihre Männer an falschen Koordinaten absetzten, und ihr heutiger Pilot hatte mehr Grund als die meisten anderen dafür.

Doch sie waren richtig. Jaeger holte einen winzigen, phosphoreszierenden Kompass heraus und nahm damit Peilung auf. Dann gab er ein Zeichen, und sie brachen auf. Narov und Raff reihten sich hinter ihm ein, und lautlos verschwanden sie im Wald. Zwischen so kampferprobten Kameraden waren keine Worte nötig.

Dreißig Minuten später hatten sie die größtenteils verlassene Insel überquert. Sie war von dichten Palmenwäldern bedeckt, durchzogen von breiten Schneisen aus schulterhohem Elefantengras, in dessen Deckung sie sich wie unsichtbare Geister bewegen konnten.

Jaeger signalisierte den anderen, stehenzubleiben. Seinen Berechnungen zufolge müssten sie etwa hundert Meter von der Villa entfernt sein, in der Leticia Santos festgehalten wurde.

Er ging tief in die Hocke, und Raff und Narov hockten sich neben ihn.

»Ausrüstung«, flüsterte er.

Ein Gas wie Kolokol-1 war auf zwei Arten gefährlich: zum einen, wenn man es einatmete, und zweitens, wenn man es über die Haut aufnahm. Sie trugen Raptor-2-Schutzanzüge, die Version der Spezialeinsatzkräfte aus ultraleichtem Material, aber mit einer Innenbeschichtung aus aktivierten Kohlenstoffkügelchen, die alle Tröpfchen eines Gases binden konnten, das den Träger umhüllte.

Die Raptor-Anzüge waren heiß und klaustrophobisch eng, und Jaeger war froh, dass sie ihren Angriff nachts durchführten, wenn die Temperaturen auf Kuba am niedrigsten waren.

Außerdem trugen sie hochmoderne Avon FM54-Gasmasken, um Gesicht, Augen und Lunge zu schützen. Auch die waren allerneueste Technik, mit flammengehärteter Außenhaut, einer einzelnen Sichtscheibe und einem extrem flexiblen, eng anliegenden Design.

Dennoch hasste Jaeger es, Gasmasken aufzusetzen. Er liebte alles Offene und Wilde und verabscheute es, gefangen zu sein; gefangen oder auf unnatürliche Art eingeschränkt.

Er wappnete sich und senkte den Kopf nach vorn. Er zog die Maske über seinen Schädel und ging sicher, dass das Gummi sich luftdicht an seine Haut presste. Dann zog er den Riemen fest und spürte, wie die Maske sich noch enger um sein Gesicht legte.

Jeder von ihnen hatte eine Maske dabei, die individuell für seine eigene Gesichtsform angepasst war, doch sie hatten eine etwas loser sitzende Schutzhaube für Leticia Santos mitgebracht. Diese Hauben besaßen eine Standardgröße, boten aber dennoch für eine ausreichend lange Zeit Schutz vor hohen Gaskonzentrationen.

Jaeger legte eine Hand auf den Filter der Atemmaske und atmete scharf ein, womit er die Maske noch fester an sein Gesicht saugte und gleichzeitig überprüfte, dass die Maske auch wirklich luftdicht saß.

Er sog ein paarmal die Luft ein und hörte das fremdartige Saugen und Blasen seines eigenen Atems in seinen Ohren dröhnen.

Nachdem er die Maske überprüft hatte, stieg er in die unhandlichen Überstiefel aus Gummi und zog die Kapuze seines CBRN-Anzugs über den Kopf, den elastischen Bund schloss er um die Vorderseite der Maske. Abschließend zog er dünne Baumwollhandschuhe und die schweren Gummihandschuhe über, um seine Hände doppelt zu schützen.

Seine Welt war nun auf das Sichtfeld reduziert, das die Maske ihm ließ. Der klobige Filter war linksseitig angebracht, um seine Sicht nicht zu blockieren, doch er spürte bereits, wie die Klaustrophobie Besitz von ihm ergriff.

Ein Grund mehr, die Sache schnell hinter sich zu bringen.

»Mikrofon-Check«, sagte er und sprach in das winzige Mikrofon, das im Gummi seiner Maske verborgen war. Man brauchte keine Knöpfe drücken, sie alle übertrugen durchgängig alles, was sie sagten. Seine Stimme klang seltsam dumpf und näselnd, aber zumindest erlaubte das Kurzstrecken-Funkgerät ihnen, während des anstehenden Kampfes miteinander zu kommunizieren.

»Check«, antwortete Raff.

»Check … Jäger«, fügte Narov hinzu.

Jaeger erlaubte sich ein Lächeln. »Der Jäger« war sein Spitzname, den er sich auf ihrer Mission im Amazonasdschungel verdient hatte.

Auf Jaegers Signal bewegten sie sich in die Dunkelheit vor ihnen. Kurz darauf erblickten sie die Lichter des Zielgebäudes, die funkelnd durch die Bäume schimmerten. Sie überquerten ein Stück trockenes Land, bis sie direkt gegenüber der Rückseite der Villa standen. Alles, was sie noch davon trennte, war eine schmale Schotterpiste.

Aus der Deckung der Bäume heraus beobachteten sie das Ziel. Die Villa wurde von Scheinwerfern in eine Glocke grellen Lichts getaucht. Im Augenblick hätte es keinen Sinn, ihre Nachtsichtausrüstung zu benutzen. Das helle Licht würde sie überlasten, sodass nichts als blendendes Weiß zu sehen sein würde.

Trotz der nächtlichen Kühle war es heiß und stickig in dem Anzug und der Maske. Jaeger spürte Schweißtropfen seine Stirn hinablaufen. Im Versuch, sie wegzuwischen, fuhr Jaeger mit einer behandschuhten Hand über den Sichtschirm seiner Maske.

Im zweiten Stock der Villa, das Einzige, was vom Gebäude jenseits der hohen Schutzmauer, die das Gelände umgab, sichtbar war, brannte Licht in den Fenstern. Von Zeit zu Zeit sah Jaeger eine Silhouette vorbeilaufen. Wie erwartet hielten Wladimirs Männer sorgfältig Wache. Er bemerkte einige Geländewagen, die neben der Mauer parkten. Die würden sie lahmlegen müssen, nur falls irgendjemand versuchte, sie zu verfolgen. Er richtete den Blick zu dem Flachdach des Gebäudes. Mit Sicherheit waren dort Wachen postiert, aber er konnte keine Bewegung ausmachen. Das Dach schien leer zu sein. Doch wenn es irgendeinen Zugang dorthin gab, wäre das Dach der einzige Ort, den sie nur schwer unter Kontrolle bekommen würden.

Jaeger sprach in sein Mikrofon: »Grünes Licht. Aber achtet aufs Dach. Und wir schalten die Fahrzeuge aus.«

Die anderen bestätigten seine Befehle.

Jaeger führte sie in schnellem Lauf über das offene Gelände der unbefestigten Zufahrt. Sie erreichten die Fahrzeuge und brachten Granaten an, die auf Bewegungen reagierten. Sobald jemand versuchte, eines der Fahrzeuge zu bewegen, würden die Granaten explodieren.

Raff ging alleine weiter in Richtung der Hauptstromversorgung. Er würde ein kompaktes Sabotagegerät nutzen, um einen kraftvollen Stromstoß durch die Leitungen der Villa zu jagen und damit sämtliche Sicherungen und Glühbirnen im Haus zu überlasten. Wladimir hatte mit Sicherheit ein Notstromaggregat, aber das würde ihm wenig helfen, da die gesamten Leitungen durchgeschmort wären.

Jaeger schaute zu Narov. Er legte seine Handfläche auf die Oberseite seines Kopfes – das Zeichen für »bei mir bleiben«. Dann richtete er sich auf und lief zum Eingang der Villa. Sein Puls hämmerte ihm in den Ohren.

Wenn es einen Augenblick gab, an dem die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, am höchsten war, dann jetzt, während sie sich darauf vorbereiteten, die hohe Mauer zu erklimmen. Jaeger kroch Zentimeter um Zentimeter um die Ecke und bezog neben dem Eingangstor Position. Einen Sekundenbruchteil später hockte Narov neben ihm.

»In Position«, hauchte er in sein Mikrofon.

»Verstanden«, antwortete Raff flüsternd. »Licht aus.«

Eine Sekunde später ertönten ein Zischen und die Geräusche von platzendem Glas aus der Villa.

In einem Funkenregen versank der gesamte Komplex plötzlich in tiefer Dunkelheit.

7

Jaeger ging in die Hocke, verschränkte die Hände und bot Narov so einen Tritt. Sie stieß sich nach oben ab, packte die obere Kante der Wand und zog sich hinauf. Dann streckte sie sich runter und half ihm, sich ebenfalls nach oben zu ziehen. Kurz darauf ließen sie sich auf der anderen Seite wieder fallen.

Alles war in tiefste Dunkelheit getaucht.