Busekow und andere gesellschaftskritische Novellen - Carl Sternheim - E-Book

Busekow und andere gesellschaftskritische Novellen E-Book

Carl Sternheim

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Beschreibung

Dieses eBook wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Die Ausgabe ist mit interaktiven Inhalt und Begleitinformationen versehen, einfach zu navigieren und gut gegliedert. Carl Sternheim (1878 - 1942) war ein deutscher Dramatiker und Autor von Erzählungen und Gedichten. In seinen Werken griff er besonders die Moralvorstellungen des Bürgertums der Wilhelminischen Zeit an. Carl Sternheim wuchs in Hannover und Berlin auf. 1897-1902 studierte er Philosophie, Psychologie und Rechtswissenschaften in München, Göttingen und Leipzig ohne Abschluss. Ab 1900 lebte und arbeitete Carl Sternheim als Freier Schriftsteller zunächst in Weimar, wo er Eugenie Hauth heiratete, aus dieser Ehe ging der Sohn Carlhans Sternheim hervor . Aus dem Buch: "Schrieb er aber, er wollte auf einer Wiese mit Sonne und Bach zum Saufen die Gesellschaft anderer freier Gäule haben, dann donnernd sich entladen, rümpften sie die ästhetische Nase. Begriffen nicht, welches Wesentliche er in Arles für den erblindeten Menschensinn finden wollte, und warum es das in Paris, wo alles ein Gipfel sei, nicht geben sollte. Und er selbst wußte nicht, wie seine Erkenntnisse in Worte stanzen, fürchtete Finten und Fallen der vermaledeiten Umgangssprache. An Gauguin wagte er außer ewiger verstohlener Aufforderung, des Zusammenseins Absicht nicht aufzugeben, überhaupt keine Silbe." Inhalt: Busekow Napoleon Schuhlin Meta Die Schwestern Stork Ulrike Posinsky Heidenstam Der Anschluß Die Hinrichtung Vanderbilt Yvette Die Poularde Die Laus Adrienne Fairfax Gauguin und van Gogh Libussa

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Carl Sternheim

Busekow und andere gesellschaftskritische Novellen

Busekow + Napoleon + Schuhlin + Meta + Die Schwestern Stork + Ulrike + Posinsky + Heidenstam + Der Anschluß + Die Hinrichtung + Vanderbilt + Yvette + Fairfax + Gauguin und van Gogh + Libussa

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0316-1

Inhaltsverzeichnis

Busekow
Napoleon
Schuhlin
Meta
Die Schwestern Stork
Ulrike
Posinsky
Heidenstam
Der Anschluß
Die Hinrichtung
Vanderbilt
Yvette
Die Poularde
Die Laus
Adrienne
Fairfax
Gauguin und van Gogh
Libussa

Busekow

Inhaltsverzeichnis

1913

Bei Anbruch des Tages Epiphanias hielt der Schutzmann im sechsten Revier, Christof Busekow, Posten am Schnittpunkt der Hauptstraßen seit vier Stunden. Anfangs hatte ihn das Bewußtsein, Ordnung und Sicherheit hingen von seiner einzigen Person ab, zu höchster Dienstbereitwilligkeit gestählt; allmählich, da alles sich schickte, verlor seine Aufmerksamkeit das Gespannte, schwang mit der Masse der Bewegenden und Bewegten.

Je näher Ablösung rückte, überwogen in ihm zwei Empfindungen. Es schien regnen zu wollen, er fühlte vor, wie er, mit eingezogenen Schultern auf dem Heimweg sacht auftretend, Pfützen auf den Steinen vermeiden würde; mehr als diese Vorstellung beglückte ihn des Kaffees Duft, der beim Eintritt in die Wohnung auf dem Tisch hergerichtet sein mußte. Nur von Zeit zu Zeit flog sein Wille in die Brille zurück, riß in flüchtiger Empörung Löcher in Gegenüberstehendes.

Dieser bewaffnete Blick packte nicht nur Passanten in Zivil; wie er aufflammend vorwärtsschoß, zwang er auch Busekows Kameraden zur Bewunderung, sie empfanden: der schaut durch Tuch und Haube; ist geborener Polizist.

Von einem tüchtigen Menschen war die Schlappe der Geburt, Kurzsichtigkeit, zu einem Vorteil für sich umgebogen worden, hatte er, seiner Nichteignung für eine Aufsichtsstellung im Urteil zuständiger Instanzen gewiß, alle gesunden Kräfte von andern Organen ins Auge hochziehend, diesem hinter Gläsern so schneidigen Ausdruck verliehen, daß die befugten Personen erklärten, sie erwarteten Besonderes von seinem scharfen Hinsehen. Er wiederum, besorgt, er möchte diese Hoffnung enttäuschen, wandelte, den Körper immer mehr vergewaltigend, im Lauf der Zeiten die gesamte Barschaft an praller Muskelkraft in Späh-und Spürvermögen um, bis seine Schenkel, die unter dem Sergeanten des fünfzigsten Infanterieregimentes gewaltige Tagmärsche zurückgelegt hatten, ihn saftlos und schlapp auf Posten kaum mehr hielten, die einst von Gewehrstrecken geschwellten Arme Lust leidenschaftlichen Zugreifens verloren. Da er aber für gewöhnlich unbewegt auf einer Steininsel zwischen zwei Fahrdämmen stand, an dieser vom Verkehr belebten Stelle außer dem Auge selten der Arm des Gesetzes gefordert wurde, blieb dieser leibliche Mißstand ihm verborgen.

Andererseits hatte er in letzter Zeit begonnen, Kapital der Sehkraft, das er ursprünglich im Bewußtsein reicher Mittel an umgebende Welt vergeudet hatte, sachgemäß anzulegen, lieh Vorübergehenden nur noch dann Kredit auf seine Aufmerksamkeit, wenn er den einzelnen nicht kannte. Denn da der Platz in nächster Nähe einiger Großkaufhäuser und Banken lag, war des Publikums größerer Teil tagaus, tagein der gleiche, und nachdem Busekow in jahrelanger, unwillkürlicher Anteilnahme an jedem einzelnen dessen Erscheinung in sich aufgenommen, erwogen und beurteilt hatte, prägte er sich wissentlich von ihm nur noch einen neuen Hut, Wechsel von Sommer-und Wintermode ein.

Er stand dabei zu seiner Kundschaft in umgekehrtem Verhältnis wie der Bankier schlechthin, als er dem Kunden, je länger er ihn kannte, je mehr Beweise unbedingter Zuverlässigkeit ihm der gegeben hatte, um so weniger vorschoß, während er an einen, der zum erstenmal in sein Gesichtsfeld trat, des Blickes ganze Barschaft wandte und, je zuverlässiger der Neuling sich darstellte, ihn um so bereitwilliger bediente.

Dank dieser Maßnahmen war es ihm einige Male gelungen, an Leuten, die andere Schutzmannsposten als harmlose Schlendriane passiert hatten, Merkmale versteckter Aufregung zu erkennen, sie patrouillierenden Kameraden zu bezeichnen und zu erleben, die Betroffenen stellten sich bei Prüfung als gesuchte Übeltäter heraus. Und so geschah es an diesem Morgen vor seiner Ablösung um sechs Uhr noch zweimal, daß scharf er zusehn mußte, erst als ein Omnibus gegen einen Milchwagen stieß – glücklicherweise konnte Busekows bloßer Wink die Lage entwirren – und dann, da in der Schar jener Frauen, die nächtlicherweise Brot auf demselben Straßenstrich suchen, deren jede ihm bis in den Saum des Unterrocks bekannt war, eine neue auftauchte: hochblond, aufgedonnert, mit einem Blutmal auf der linken Backe am Mundwinkel.

Wie sie zu unwahrscheinlicher Zeit mit der Morgenröte zum erstenmal vor ihn getreten war, beschäftigte sie den Heimkehrenden, der, das innere Auge auf sie gerichtet, nicht spürte, wie es zu regnen begonnen hatte, er stapfend Pfütze auf Pfütze trat. War es möglich, er hätte Zeichen, die das Eindringen einer Konkurrentin in den Ring der auf jener Straße Privilegierten ankündigten, übersehen, oder waren sie nicht gegeben worden? Und warum nicht? Galt sie ihren Schwestern wenig, schien zum Wettkampf nicht gerüstet, und durfte man sie mit Verachtung übersehen? Rief er sich ihre Erscheinung zurück, verneinte er die Annahme. Dem flüchtigen Blick – ein anderer würde ihr in ihrem Gewerbe kaum gegönnt werden – dünkte sie gefällig, wohlbereitet. Busekow, der sich über den Grund ihres lautlosen Auftretens auf seiner Weltbühne keine Rechenschaft geben konnte, ward befangen und kleinlaut vor sich selbst, betrat seine Wohnung mit dem peinlichen Gefühl, in dieser Nacht habe er dem Staat unzureichend gedient, den Platz, der ihm anvertraut war, nicht in völliger Ordnung verlassen. Irgend etwas treibe dort ein ungerechtfertigtes, den beschlossenen Gang der Dinge störendes Wesen.

Er schlürfte verdrießlich Kaffee, legte sich zu seiner Frau ins Bett. Zaghaft lüpfte er die Decke und nahm, sich hinstreckend, eine Rückenlage ein; denn da er, auf den Seiten liegend, zu röcheln und schnarchen begann, war ihm die anbefohlen worden. Wie in allen Dingen, die das Weib anordnete, suchte er den Befehl genau zu befolgen, und aus Furcht, er möchte im Schlaf Stellung wechseln, hatte er sich, beide Hände in die seitlichen Ritzen zwischen Bettlade und Matratze zu krallen, gewöhnt, durch welches Manöver tatsächlich erreicht wurde, daß er in gleicher Lage, wie er eingeschlafen war, aufwachte. Auf welche Weise die Frau bald nach Beginn ihrer zwölfjährigen Ehe seine Unterwerfung unter ihren Willen durchgesetzt hatte, darüber hatte er nie nachgedacht, wußte nur, die Abhängigkeit war bodenlos, ohne Trieb zum Widerstand. Selbst bei den ihm unliebsamen Geheißen schien sie ihm eine milde Gebieterin, da er die Neigung in sich ahnte, auch ihrem zügellosen Verlangen nachzugeben.

Doch nur sein bedingungsloser Gehorsam war es, der die Schüchterne fähig gemacht hatte, Wünsche ihm gegenüber zu äußern, später zu fordern. Und so entfernt blieb sie der Überzeugung wirklicher Macht, daß sie stündlich bei jedem Anlaß erwartete, er möchte es satt haben, kurzen Prozeß mit ihr machen. Denn sie war sich bewußt, das einzige wirkliche Guthaben, das sie bei ihm besaß – jene kleine Summe, die die Sechsundzwanzigjährige dem Vermögenslosen in die Ehe gebracht hatte –, mußte längst verzehrt sein, und weder geistig noch körperlich fühlte sie sich vor ihm begnadet.

Was den Leib anging, verbarg sie seit Jahren schwere Schäden. Ohne daß sie Mutter geworden war, hatte die Zeit ihr mitgespielt. Das einst volle Haar war zu winziger Schnecke auf dem Hinterkopf zusammengeschrumpft, ihr Gesicht, das straffe Haut wohltuend gegliedert, hatte durch deren Nachlassen Löcher und Vorsprünge bekommen; heftiger bewegten sich ihre Brüste, die, flache Teller, mit kaum noch gefärbten Warzen beim Auskleiden von bergenden Händen nicht mehr bedeckt werden konnten. Die zarte Scham, mit der abends und morgens Busekow über diesen Umstand hinwegsah, vergrößerte ihren Kummer, bewirkte, daß sie ihm harten Anruf zum Bett schickte: »Setz Wasser auf den Herd! Scher dich zum Kohlenholen!«

Bei solchen Aufforderungen hatte den Mann oft verlangt, sie möchte ihre Empörung über die Unbill der Natur durch furchtbare Forderung an ihn ausgleichen. Wie sie zur ärmsten Magd Gottes herabgesunken war, dichtete er königliche Befehle in ihren Mund, sah sich in hündischer Demut in Ecken stehen, Pfoten aufwartend gekrümmt. Fürchtete, er habe sie um Großes betrogen, meinte das Kind, das sie von ihm nicht hatte, seufzte und fand sich schuldig. Oft lagen sie mit nach oben gedrehten Gesichtern sprachlos beieinander, geschlossenen Lides, daß keiner dem anderen das Wachen anmerkte. Ihre Herzen klopften: Warum konnte ich sie nicht erfüllen? Was tönten meine Rippen nicht von ihm? Wehmütig griff sie ihre Brüste; er fuhr die mageren Lenden herab; beide fühlten sich dürftig.

Den Betten hing in Öldruck Martin Luther gegenüber. Hand auf ein Buch geballt, machte er eine ausladende Gebärde. Beide Gatten hatten anfangs großen Mut aus dieser Geste zu holen gesucht, wollten sich anreden, die Kluft überspringen. Doch es gab zwischen jenem und ihnen keine Zusammenhänge. Schon begann alles in hoffnungslose Gewohnheit beschlossen zu werden. Man sparte an Blick und Ton füreinander, rief sich, antwortete in Hauptworten, denen Verben und Partikel fehlten, um bei Begriffen, die man als bekannt und erwartet voraussetzen konnte, an den Endsilben zu sparen. Augen wichen sich aus, man sah an Wände; Berührung wurde gefürchtet. Streiften sich bei einer Begegnung die Kleider, schoß beiden panischer Schreck, als hätten sie Allerheiligstes betastet, ins Gebein. Die weibliche Seele war voll Vorwürfen für ihn, er so voll Angst vor ihr, daß sie wußten, ein wohlgebildeter Satz, Gleichnis freundlichen Lebens, hätte sie bis ins Mark erschüttert und vernichtet.

So scheuten sie Güte, erzogen Hartes, Kantiges in sich, schlossen auf Grund rauher Regeln einen letzten Frieden, er, der Hingeschmissene, Unwürdige, Besiegte; sie, die Beleidigte, mulier virgo.

Als er lag und ruhen wollte, schien Sonne ins Fenster, verwirrte seine Augen. Da er sich nicht wenden durfte, bedeckte er das Gesicht mit der Hand; doch schien Licht durchs Blut der Finger. Diese Wahrnehmung verwirrte ihn, als hätte er des Umstandes seines lebendigen Blutes vergessen. In einer Aufwallung streckte er das eine Bein zur Decke, daß über seinem Leib Wölbung entstand, und lächelte. Es schien ihm aber gleich darauf, als neben ihm im Schlaf sie stöhnte, Gebärde und Lachen infam, und er begann, in Strahlen blinzelnd, alle Züge stetiger, zunehmender Niedrigkeit aus seinem Leben zum Bild eines verworfenen, vergeblichen Geschöpfs zu dichten. Wie er in der Schule seines Dorfes schlecht gelernt hatte, zum Hofdienst untauglich gewesen war und einst am Reformationstag in der Kirche, als die Gemeinde im Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« himmlische Andacht einte, den Zopf des vor ihm singenden Mädchens ergriffen, an seine Lippen geführt hatte. Die Kleine hatte aufgeschrien, Nachbarn den Frevel bemerkt, er war dem Pastor zur Bestrafung angezeigt. Der hatte ihn mit Wortschwall überwältigt, Mut der Jugend, Selbstbewußtsein für lange Zeit in Grund und Boden geschlagen. Eine Spur davon war erst nach langen Jahren wiedererstanden, als ihm, dem Unteroffizier, eine Dekade junger Burschen auf Gnade und Ungnade überantwortet wurde. Da hatte er den Schnurrbart gezwirbelt, sich einiger Flüche, die ihn vor sich selbst martialisch machten, bemächtigt. Doch gelang es über geringes Maß nicht, da Wichtigkeit vom Kasernenhof bei Instruktion und Unterricht verblich, merkte er, er blieb im Auffassen des Vorgetragenen hinter Kameraden zurück. Im Verlauf von zehn Jahren hatte der Hauptmann einige Male zu ihm gesagt: »Sie sind in Herz und Nieren königstreu, Busekow. Das ist Sache! Doch haben kein Verstehste.« So wurde Königstreue, die man ihm öffentlich zugestanden, seines Lebens Richtschnur. Und als er einsah, eine Feldwebelstelle war ihm nicht erreichbar, er nur im Staatsdienst Verwendung für seine positive Eigenschaft hatte, gab er sich als Schutzmann ein. Bedenken gegen seine zunehmende Kurzsichtigkeit zerstreute er auf die geschilderte Art.

Da seine Tugend ihm einfiel, wurde die Seele einen Augenblick freier; schnell erleuchtete ihn aber Erkenntnis, wie wenig offiziell sie in seinem heutigen Dasein sei. Im Gegensatz zu jenem Hauptmann hatte seine Frau sie nie erkannt, in ihren Reden war sie nicht erwähnt worden.

Ein elendes, nutzloses Schwein bin ich, dachte Busekow. Diese Frau weiht mir ihr junges Leben, ihren einst blühenden Leib, schöne Gaben. Alles vernichtete ich, unfähig, das mir Anvertraute zu pflegen. Was aber meine Königstreue anlangt (mit letztem Versuch, sich zu erheben, flüchtete er in diesen Gedanken), meine Hingabe an den Dienst – vor seinem Geist stand ein blondes, aufgedonnertes Frauenzimmer, ein Blutmal im befremdenden Gesicht. Da ergriff namenlose Trauer unseren Helden, einschlafend verstand er seines Weibes Größe, die es bei ihm auszuhalten vermochte, nicht mehr.

Er träumte, im leeren Raum ständen sie sich nackt gegenüber. Wie ihre Augen sich ihm sengend ins Gesicht bohrten, war er sie anzusehen gezwungen. Einen schauerlichen Leib erblickte er, Stöcke die Beine, von Hautrunzeln bedeckt. Erbärmlich das übrige. Nirgends war noch der leiseste hüllende Flaum, der Kopf glich einer polierten Kugel. Mit ausgestreckter Hand, die wie eine Kastagnette knackte, klopfte sie an sein gepolstertes Bäuchchen, den Schädel, krächzte Heuwanst, Heukopf! dazu. Und alsbald begann er, Stroh aus seinem Munde zu speien, bündelweis, ohne Aufhören meterweis. Sie lächelte giftig dazu, klopfte und knatterte: Heukopf, Heuwanst, Heukopf. In Schweiß gebadet erwachte er, war mit Ruck aus den Federn, und im Hemd ins Nebenzimmer stürzend, rief er ihr dröhnender, übernatürlicher Stimme zu: »Ja, ja, Elisa, ich bin ein Elender; wirklich ein Unfruchtbarer!« Sie war nicht im Raum. Bei Butterbroten, einer Flasche Bier lag ein Zettel auf dem Tisch mit den Worten: »Ich bin zum Kintopp. Wundre dich nicht. Geburtstag!«

Und nun stellte er sich, da er zu kauen begann, ihre Freude im Lichtspieltheater vor, spürte, tröstliche Stärkung, die er mit dem Zugeständnis seiner Wertlosigkeit hatte gewähren wollen, mußte ihr draußen durch Bilder aus der Menschenkomödie stärker zuteil werden, die sie mit Lachen und Weinen ergreifen würden.

Gegen sieben, seine Frau war nicht zurück, ging er zur Polizeiwache in den Dienst. Um Mitternacht bezog er Posten am Schnittpunkt der Hauptstraßen. Doch da es in Strömen regnete, gelang es ihm von Anfang nicht, die heroische Haltung, die er während erster Minuten seiner Wache vor einem vierarmigen Gaskandelaber sonst einnahm, zu markieren. Im Gummiumhang, Schultern eingezogen, Haupt gesenkt, sah er, da Wasser an ihm niedertroff, kläglich aus. Zudem verwirrten ihn hinter nassen Scheiben seiner Brille rote, grüne, weiße Lichter der Fahrzeuge. Sich bemerkbar zu machen, hob er von Zeit zu Zeit einen Arm, ließ ihn, ohne des Eindruckes innezuwerden, wieder sinken. Nur mit Mühe unterschied er den Aufmarsch bekannter Gestalten; Frauen der Kaffeekellner, die ihre Männer holten, Stammgäste der in der Nähe befindlichen Wirtschaften, den Mann mit dem fliegenden Streichholzhandel und, eine nach der anderen, die Nymphen der Straße. Dicht an die Häuser gedrängt, hüpften sie Schutz suchend an ihm vorbei, mit eingezogenen Flügeln Vögeln gleich, die, Land gewöhnt, ins Wasser gefallen sind und sich retten möchten. Sie schritten auf ihren bis zu Knien freien Ständern über den Fahrdamm, teilten Aufmerksamkeit zwischen Wassertiefen, die sie durchqueren, und dem Wild, das, diesen Abend spärlich genug, sie jagen mußten.

Beim Anblick ihres namenlosen Elends hob Busekow zum erstenmal am heutigen Tag den Kopf. Diesen war er, wie er den Maßstab anlegte, tausendmal überlegen. Er dachte an seinen Traum und meinte, produzierte er als letzte Formel von sich Heu und Stroh, sei das saubere Sache. Wie aber würde sich diesen das Gleichnis ihrer ausgespienen Eingeweide in Träumen darstellen? Und anderen, weniger verächtlichen, doch tief unter ihm stehenden Klassen, dem männlichen Gelichter, das an ihm vorüberstrich. Stand er hier nicht – Donner und Doria – für Kaiser und Reich, sah alle Welt nicht einen tüchtigen Beamten in ihm? Als es aber heftiger vom Himmel goß, er tiefer in sich hineinkroch, erschien der Leib seiner Frau, wie er ihn heute im Schlaf gesehen, wieder; Erde ward abermals wüst und leer.

Mit gedunsenem Auge stierte er in die Luft, einmal rechts, links einmal, geradeaus, als sich aus dem Gewissen die Frage nach dem Verbleib jenes Weibes hob, das er am Morgen zum erstenmal erblickt hatte. Gehörte sie von nun an zu den Figuren, die vor ihm spielen würden, oder war sie zu einem Gastspiel auf dieser Straße erschienen? Dafür sprach das Verhalten der Kolleginnen, die ein einmaliges Kommen und Gehen dulden durften, dauernde Etablierung aber, wie er es in anderen Fällen erlebt hatte, mit Hohn und Gewalttat zurückgewiesen hätten.

Es schlug zwei Uhr morgens, als sie hinter einem jungen Menschen in aufgeweichten Lackstiefeln auftauchte. Zugleich sah Busekow eine lange Schwarzhaarige sie bei den Schultern fassen, hörte, wie sie ihr zuzischte: »Nicht an meinen Kleinen heran!« und der Neuen Antwort: »Nur sacht!«

Schon sammelte ein Kreis erregter Frauenzimmer sich um die beiden, fiel mit schnatterndem Schwall im Chor ein. Man sah drohend gehobene Arme und Schirme. Da schleuderte Busekow Regen von sich, war mit zwei Schritten bei den Streitenden, und, Gewitter aus empörten Augen blitzend, herrschte er die Auseinanderstiebenden erzener Stimme an: »Keinen Streit, meine Damen. Weitergehen!«

Nur sie blieb ihm gegenüber. Sekundenlang sah er in ein erschrockenes Gesicht, trat an seinen Platz zurück. Eine Sehne straffte sich an ihm. Der Blick, den sie ihm von jetzt an bei ihrem allnächtlichen Erscheinen zuwarf, strahlte Dankbarkeit. Er entzog sich ihm nicht, empfing ihn als seines öden Lebens Zuckerbrot. Und als er Nacht-mit Tagdienst tauschte, war das Gefühl des Bedauerns, diesen Blick in Zukunft entbehren zu sollen, groß. Doch kam sie schon am zweiten Tag Straße herauf an ihm vorüber, und da geschah es, daß er, ihren Gruß erwidernd, das Haupt neigte.

Schnell spannen sich Fäden schlichter Vertraulichkeit zwischen ihnen. Mir geht es immer so, bin immer die gleiche, sagte ihr Blick. Stehe für Kaiser und Reich, rief er zurück. Monatelang. Bis er eines Tages, vom Dienst heimkehrend, sie streifte, die in einem Haustor stand.

»Keinen Auflauf bilden, Fräulein«, sagte er witzig, lächelte sie an. Sie senkte den Blick vor ihm. Meinte er, Samtenes schlage Flügel, und verwirrte sich bedeutend.

Ein andermal, da er an einem Urlaubstag gegen Abend spazierte, traf er sie, ging ihr nach. Sie trat in einen Flur, sah nicht um. Er folgte, stieg Treppen hinter ihr hoch, schlüpfte in einen Flur, den sie aufschloß, und im Dunkeln standen sie sich, ohne daß ein Wort fiel, gegenüber. Nur Atem blies, Auge glühte sich an. Berührung wurde nicht gewagt. Schließlich lehnte sie, Halt suchend, gegen die Wand; er, schräg an sie gebeugt, schlang in alle Öffnungen ihres Leibes Hauch. Beide wankten. Sie fiel zuerst. In schmerzlich süßer Lähmung blieb ein Knie erhoben, reckte den Schoß auf. Stürzender Felsblock senkte er sich ein.

Auch später war kein Wort gefallen; da er losgebunden von ihr schwand, blieb sie am Boden hingenagelt. Geschlossenen Auges lächelte sie; ihr Atem ging, feine Musik, aus ihr, in rhythmischen Abständen zitterte der Leib.

Acht Tage später wieder frei, begab er sich im Schutz der Dämmerung zu ihr. Da er an die Tür klopfte, öffnete sie, zog ihn in ein erleuchtetes Zimmer, in dessen Mitte, dem Klavier gegenüber, ein gedeckter Tisch stand. Busekow hörte des Wasserkessels Summen, roch eines Kuchens Duft, sah in weißen und gelben Farben Blumen gebunden.

Sie blieb aufrecht vor ihm, legte einen Arm um seinen Hals, strich ihm mit der anderen Hand Haar aus der Stirn. Dabei hing ihr Blick in seinem. Ein Wort wollte er sagen, vermochte nichts; lächelte sie und bewegte verneinend den Kopf. Plötzlich lief der Kessel über. Sie ließ den Mann, war mit zwei Schritten am Tisch, hob das kupferne Gefäß, schwang es gegen die Kanne, ließ heißes Wasser in sie stürzen. Verharrend folgte er der Bewegung. Wie sie goß, zuteilte, zurechtstrich, winkte. Da setzte er sich zu ihr ins Sofa.

Überstürzte Frage und Antwort schwirrte. Alles Wie und Was ihres heutigen Lebens saugten sie in sich hinein, verständigten sich stürmisch über Gelände und Grenzen ihres Glücks. Und als nirgends der Abgrund auftauchte, der augenblickliches Halt rief, war mit ihnen ein einziges Glück. Sie hatte beide Arme erhoben, saß mit aufgerissenen Augen stumm wie eine Schreiende. Er hieb die geballte Faust in den Tisch.

Da später Dunkelheit, des Bettes Decke auf ihnen ruhte, nahm sie seine Hände, faltete sie ihm auf die Brust, hauchte an sein Ohr: »Vater unser, der Du bist im Himmel!« und murmelte weiter. Er aber erschrak und schämte sich, weil heute und sonst Gebet ihm fremd war. Doch bewegte er Lippen, stellte sich, als folgte er in jeder Silbe. Trotz seiner Lüge wurde des Gebetes Sinn in ihm erfüllt, denn Ruhe war an die Stelle brennenden Verlangens getreten, als er seinen Arm sacht um sie legte, Glied an Glied fügte, reiner Atem aus seinem Mund auf sie wehte. Sie hielten sich schwebend, aus Erz gegossen. Noch spürte jeder den eigenen Umriß, die verhaltene fremde Person.

Da rief sie »Christof«, und zugleich sah er ihres Auges Blau sich verschleiern und schwinden; rund quoll Weißes über den ganzen Ball. Und zum andernmal erschrak er vor ihr, wußte nicht, wie sich in Einklang mit ihr bringen. Bebend stieg er in sein Innerstes, brachte Konfirmationstag, seiner Mutter Sterbestunde herauf. Doch auch so versehen, holte er die Seele der vor ihm Ausgebreiteten nicht ein, seine Anker griffen nicht in Mutterland der Hingegebenen.

Doch schmolz viel harte Schale an ihm. Schon wurde mancher Zelle Kern erweckt, goß sich in den Kreislauf der Säfte. Und jede Welle Leben, die er in sie schickte, kam, brausende Sturmflut, die Schutt und Asche fortriß, in sein Blut zurück, bis sie, an des Lebens Nerve donnernd, den Mund zu hellem Ruf aufspreizte. Da, während er an des Bettes andere Wand zurückwich, verklärte himmlischer Schein des Weibes Gesicht.

Er erfuhr von Gesine, Vater und Mutter habe sie früh verloren, Ernährerin jüngerer Geschwister sein müssen. Emsig verglichen sie ihr Kinderleben, freuten sich, dieselben Spiele gespielt zu haben, und als beide ihre Vorliebe für gleiche Speisen in jener Zeit entdeckten, waren sie noch glücklicher. An diesem Tag blieben sie närrisch ihrer Jugend hingegeben. Eltern, Brüder, Schwestern lernten sie kennen, Haus, Hof, Knecht und Vieh. Vom Getreide sprachen sie, von Saat und Frucht; wie Dung am besten in die Scholle gebracht würde, und was es der Freuden und Verlegenheiten bäurischen Volkes mehr gibt. Erst als sie auf ihren Glauben zu sprechen kamen, Gesine ihre katholische Religion bekannte, ergriff beide Scheu voreinander, Fremdes stieg zwischen ihnen auf. Der märkische Protestant brachte aus der Kindheit so feindseligen Begriff für diese Lehre, die er nicht kannte, mit, sie war ihm als ein so Götzendienerisches, deutschem Wesen Fremdes hingestellt worden, daß er die junge Frau mit der Neugier, die man an ein wildes Tier wendet, besah. In diesen Augenblicken war von dem fanatischen Haß seiner Mutter gegen andersgläubige Christen in ihm, seiner Mutter, die vor des Nachbarn katholischer Magd ausgespuckt, behauptet hatte, die verhexte dem Armen Familie und Gesinde.

Als Gesine nach ihm griff, wich er beiseite, trat ins Zimmer, schickte sich eilig zum Gehen. Und da ihr Antlitz mit weißen Augäpfeln wieder vor ihm erschien, manches Seltsame, das er nicht hatte deuten können, brachte er’s mit ihrem verdächtigten Bekenntnis in Zusammenhang, entfloh mehr, als daß er ging.

Doch war ihres Leibes Eindruck schon zu bedeutend gewesen; von Stund an, wo er stand und ging, verließ ihn ihrer Liebkosung Glück nicht mehr.

Den nächsten Urlaubstag verlebte er mit seiner Frau. Schuldbewußtsein hielt ihn an ihrer Seite. Doch vergrößerte er es, kam ihm bei keiner ihrer Bewegungen die entsprechende seiner Geliebten aus dem Sinn. Da er sich abends legte, sie, sich entkleidend, ein Päckchen Wolle aus dem Haarknoten hervorzog und auf den Tisch legte, war Mitleid, das ihn um sie bewegt hatte, hin; er lächelte spöttisch. Ihr Körper, den er beim Schein der Lampe durchs Hemdtuch umrissen sah, erregte Lachlust in ihm. Wie sie mit mageren, nach innen gekrümmten Beinen von einer Tür zur anderen trat, er keine gefällige Linie an ihrem Leib sah, schlug stürmische Scham über sie ihm in die Stirn. Zum erstenmal stand Trotz in ihm auf, aus ihrer Dürftigkeit gewann er große Rechtfertigung für sich. So blieb ihr heute schon wiederholter Vorwurf, die Kameraden im Revier sprächen von einer Zunahme seiner Kurzsichtigkeit, sie aber glaube nur an gesteigerte Teilnahmslosigkeit und Faulheit, so gut wie ungehört. Im Gegenteil trat er am anderen Morgen wuchtiger als sonst beim Barbier ein, hatte unter der Serviette das Gefühl gesteigerter Bedeutung, empfand sein Bild, wie es im Sonnenglanz im Rock von Blau und Silber prangen würde, als körperliche Wohltat. Und wer ihn an dem Tag auf Posten sah, nahm das Gefühl mit, in dem Mann geht Veränderung vor sich. Unablässig trat er auf seiner Insel hin und her, ließ es nicht beim Ins-Auge-Fassen Vorübergehender, doch bewegte sich hilfebringend auf eine geängstigte Frau, ein verwirrtes Kind zu. Hob auch Stimme zum Kommandoton, schob die eingesunkene Brust in die Luft, rührte unablässig weisend, richtend beide Arme. Kurz, war ein froh zugreifender Schutzmann, gab dem Leben an dieser Stelle der Erde ein munter Bewegtes. Wäre es angegangen, hätte er für einen Bettler, der vorbeischlich, in die Tasche gegriffen. So mußte er sich begnügen, für den Hinkenden den gesamten Fahrverkehr zum Stehen zu bringen, ihm einen Übergang über den Straßendamm zu schaffen, wie ihn sonst nur höchste Personen genossen. Der Bettler grinste, winkte mit der Hand einen Gruß, Busekow lachte fröhlich auf. Als Gesine erschien, erhielt seine Haltung Heldisches. Er flog, wippte auf Draht, schlug mit der Linken mächtigen Bogen gegen nahendes Gefährt, der Platz hallte von seiner Stimme. Vor einem passierenden General riß er Hände stramm an die Hosennaht, rührte den Kopf so jugendlich auf, daß die Exzellenz wohlwollend nickte. Von ihr fort sandte er Gesine einen strahlenden Blick, der ihr kündete: Du mein geliebtes, angebetetes Leben!

Er kam wieder zu ihr, und von Mal zu Mal wurden sie mehr eins. Mit gelassenem Behagen gaben sich die Körper dem Gefallen aneinander hin, als sei ihnen gegenseitiges Begehren für alle Zukunft gewiß. Mit immer frischem Appetit setzten sie sich an den Tisch ihrer Sehnsucht, aßen, standen erst leicht gesättigt, das Herz von Dank für den Schöpfer gefüllt, auf. Auch in Gesprächen vermieden sie Grenzen des ihnen Faßbaren, gaben sich nur über tägliches Leben Rechenschaft. Insbesondere drang Gesine in das Wesen seines Dienstes ein. Bald war ihr Reglement und Praxis vertraut, sie erörterten manche Möglichkeiten an Hand eines älteren Rapportbuches, in das er Vorfälle und Schuldige aufgezeichnet, das er ihr zum Geschenk gemacht hatte. Mit scharfem Instinkt griff sie menschlich packende Dinge aus ihm heraus, führte sie, Herz und Überlegung an sie gegeben, aus dem Bereich des Zufälligen zum symbolisch Gültigen auf; füllte ihn mit der Überzeugung, er stehe an seinem Platz mit tausend Fäden ins innerste Menschentum verflochten, gab ihm von seines Amtes Wichtigkeit bedeutendes Bewußtsein. Darüber hinaus suchte sie ihn auf jede Weise von seiner besonderen Eignung für seine Stellung zu überzeugen. Wie ihre Schwestern auf der Straße niemandem Achtung wie ihm zollten, die Kameraden seiner Laufbahn gewiß seien. So daß er, erhoben, süß geschwellt, Säbel und Revolver mitzubringen, sämtliche Griffe und Manöver an ihnen zu zeigen, gelobte.

Er hielt das Versprechen. Unter dem Mantel brachte er beides, und da sie vom Sofa aus zusah, übte er mit so machtvollen Tritten und Ausfällen vor ihr, daß des Zimmers Boden dröhnte, Gläser klirrten, die Gardine flatterte. Ihr aber war der Blick verklärt, und als er mit glänzender Säbelparade zwei Angreifer in die Schrankecke geschlagen hatte, flog sie ihm hingegeben an den Hals. Da hatte Busekow zum erstenmal im Leben das Gefühl seiner Notwendigkeit zur Evidenz.

Das Bewußtsein äußerte sich im Dienst. Mit Sicherheit der Ereignisse Gang voraussehend, griff er auf der Straße in des Geschehens Speichen. Im Revierdienst begann er sachkundig Vorschläge zu machen. Zu wichtiger Frage gab er so einleuchtenden Rat, daß der Polizeileutnant »Dieser Busekow – fabelhaft!« rief.

Und man begann, ihn mit wichtigen Posten zu betrauen. Bei Fürstenbesuchen gehörte er zur Bahnhofsmannschaft. So sah er manch außerordentliche Szene, sein Leben wurde durch Anschauung reicher, er überlegen. Sie hörte, das von ihm Mitgeteilte sinngemäß in sein Dasein zu ordnen, nicht auf.

An Kaisers Geburtstag hatte einer für den anderen wichtige Mitteilung. Er war zum Wachtmeister ernannt. An sein Ohr sinkend, gestand sie Mutterschaft.

Von Erspartem lebend, war sie seit Wochen ihrem Beruf fremd. Da die Überraschungen an den Tag waren, faßten sie sich bei Händen, ließen Glück des Einverständnisses in Blicken sprechen. Dann, über gemeinsam Erlebtes hinausgehend, griff er in ihr Persönliches, forschte nach ihrer Innerlichkeit. Welche Hoffnungen, Entwürfe sie für das Zukünftige bewegten, ob sie es nur mit ihm oder Höherem verknüpft glaubte, wie das Göttliche ihr vorschwebte; kurz, Fragen stellte er, die sie, die Frau, einst angerührt, und da sie seiner Seele Zustand erkannte, schnell verlassen hatte.

Sie aber fröstelnd, leicht erhitzt, bebte in Gliedern über seine Fieber und schwieg. Tiefer drückten sich seine Finger in ihr Fleisch, dringender wurde seine Rede, leichter Schaum erschien auf Lippen. Doch während rote Sonnen in ihrer Stirnhöhle drehten, kam kein Laut Antwort von ihr. Sie ließ ihn sich erschöpfen, diesen Abend ohne Aufschluß gehen.

Nun klopfte ihm auf dem Heimweg stürmisch das Herz vor dem Wiedersehn mit seiner Frau. Da seine Manneskraft durch Gesines Eröffnung bewiesen stand, wurde dieses Weibes Hauptbuchseite ihm gegenüber zu einem Blatt der Schuld. Gelogen ihres Daseins Überlegenheit, ins Gegenteil verkehrt. Eine Handvoll Sand war sie; kein Gott machte sie trächtig; er aber, wohin er seinen Finger legte, mußte schaffend sich beweisen.

Prachtvoll großer Haß blies in dem Mann, ließ ihn ein schreitendes Denkmal sein. Wäre sie ihm gegenüber gewesen, wie Föhn hätte Hauch von ihm ihre Eingeweide bloßgefegt, seine zarteste Handlung sie zertrümmert.

Doch starb Erbitterung an ihrer eigenen Kraft und Überzeugung. Da nicht der geringste Einwand gegenüberstand, von seiten des Weibes kein Aber zu denken blieb, war Elisa aus Wirklichkeit, in der sie bis heute durch Kraft eines zu Unrecht vorgetäuschten Zornes gelebt hatte, gelöscht, nur noch Erinnerung von ihr begann zu leben. Je näher Busekow seinem Haus kam, wurden Gefühle der in ihm Hingeschiedenen gegenüber, wie für Tote überhaupt, weicher, und als er das Amen über ihr Leben sprach, erschien ihr Bild, wie sie im Hochzeitskleid, eine Rose auf der Brust, einmal jung in seinen Arm gekommen war, freundliche Erinnerung heischend vor ihm.

Er hob die Hand, winkte einen Abschiedsgruß. Trat bei sich ein, entkleidete sich halbgeschlossenen Auges, legte sich zu ihr, nahm ihrem in ihm vollendeten Abscheiden zu Ehren im Bett die gewohnte Rückenlage ein.

Sie aber empfand, in diesem Mann habe höhere Einsicht gegen sie entschieden, zog unter der Decke das Knie an die Brust und fürchtete sich sehr.

Und ob sie ihrer Schuld klares Bewußtsein verabscheute, mußte sie ihm in dieser Nacht schon in die Augen sehen, wie es kündete, was sie oft aus sich selbst empfunden hatte: In allem Wesentlichen, von Gott Gegebenen und Hinzuerrungenen ihm hintangestellt, wagtest du frecher Stirn eure Ansprüche aneinander derart zu fälschen, daß du betrügerischer Untreue aus seinen Mitteln zu deinen Gunsten schöpftest und es darzustellen wußtest, als bliebe er dir schuldig. Und in Zukunft ward ihr bewußt, wie ihr Verbrechen an ihm größer war, als daß es auf dieser Erde noch getilgt werden konnte.

Immerhin kann dies zu ihrer Entlastung berichtet werden, entschlossen zog sie jede Folge aus der Erkenntnis. Demütigte, unterwarf sich, hörte auf seinen Atemzug als einzigen Laut in der Welt; lag seinem Antlitz in bewundernder, gerührter Unterwürfigkeit nächtens zugewandt. Seine gekrallten Hände aus Bettritzen hochzuziehen, wagte sie ehrfürchtig nicht. Seufzer, Geständnisse, Versprechen, scheue Küsse hauchte sie gegen ihn, doch blieb ihm alles, Leid und Geste, verborgen.

Für ihn – und es kam die Nacht, in der es Elisa begriff war sie nur Kunde von sich selbst. Andenken, Leichenstein.

Gesine empfand alsbald, nun sei ihr mit Christof das letzte Heil gekommen. Da er wieder zu ihr trat, war menschlich Befangenes aus seiner Gebärde geschwunden, Gegenstände und sie griff er mit großer Machtvollkommenheit, wußte aus befreiter Natur Allerselbständigstes. Die Stimme fand aus Ecken größeren Widerhall, ihr schlug jedes Wort von ihm durchs Trommelfell an die Herzwand. Da zögerte sie nicht länger, legte sich frei. Entschleierte ihr Gewissen, ließ seinen Blick in innere Kanäle. Er las berauschte Frömmigkeit. Vom Schöpfungstag angefangen lag Gott mit allen Wundern in dieses Weibes Leib. Zu Bildern, die aus ihr strahlten, begannen die Lippen herrliche Gleichnisse zu stammeln. Alle Texte der Schrift hatte sie aufgefangen, mit Blut genährt, lebendig erhalten. Es stiegen Adam und Abraham aus ihr zu ergreifendem Licht. Als sie von Saul und David zu sprechen begann, begriff sie, von Gnade beweht, die männlichste Tragik, und da ihre Stimme pathetisch heulte, trieb es sie beide von der Matratze hoch. Auf Knien zum Fenster gewandt, parallel beieinander hochgerichtet, tranken sie jedes schallende Wort. Ihr waren die Brüste aufgestanden, auf seinen Schenkeln spreizte sich jedes Haar, Brille fiel ihm vom Ohr, hing quer über das lefzende Maul.

Nasse Wärme quoll aus den Körpern, eng hämmerten Atome aneinander, Glieder waren geballt. Gesines Scheitel schien feucht und hell beleuchtet.

Schon hub Christof mit Rede in ihre hinein. Glühende Stahltropfen fielen Silben auf ihre Satzenden. Gebell blieb es mehr, als daß Verständnis zustand kam; doch half es ihr zu voller Ekstase. Rasend schrie das Weib die biblischen Namen, befeuerte so des Geliebten Hingabe, daß ihre Glaubensmacht die Wände der Beschränkung brach, den letzten Sinn alles Geschriebenen bloßlegte.

Wie in starker Musik, im Spiel vermischter Themen der musikalische Leitgedanke nicht verlorengeht, übertönte Davids Name in ihrer Darstellung alle Harmonien des Alten Testaments. Und es gelang Gesine, das Vermächtnis hingegangener Judengenerationen in aufstehender Gestalt als Jesus in Marias Schoß zu pflanzen, daß Christof, von Davids heldischem Reiz befangen, ihr willig in den Kult folgte, den sie um den fleischlichen Leib der Mutter als Erhalterin und Wiedergebärerin erlauchten messianischen Samens exekutierte.

Ihre aufgesperrten Finger hatten sich verflochten. Schädel, Knochen an Knochen sanken gleiches Gebein in die Kissengrube.

In jenen Augenblicken, da sie Marias Begegnung mit Elisabeth erzählte, bei dem Satz: Und es begab sich, als Elisabeth Marias Gruß hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib! – als unter ihnen das Lager rollte, Sausen in Lüften war – brach sie die geflüsterte Rede ab, zog des Mannes Finger auf ihren Bauch, und beide fühlten, siehe – es hüpfte das Kind in ihrem Leib!

Und Blicke flogen auf über das rhythmische Spiel der Glieder, von Himmeln mit Stolz sich anstrahlend, beteuerte jedes und stellte fest das hocheigene Teil, sich selbst zu diesem Wunder. Dann warf es sie Rippe zu Rippe.

Moses, David, Jesus und alle Helden des Buches war Christof in dieser Nacht. Es strömte heroische Männlichkeit von Jahrtausenden aus ihm. Sie nahm hin und schmeichelte ihm hold, daß keine Kraft aus seinen Lenden wich, er hochgemut bis zum Morgen blieb, als sie in leichten Schlummer verzaubert sank. Da riß er sich von ihr, reckte die Brust in den Tag, fand sich ans Klavier. Hingezogen von Gefühlen, suchend, hochreißend aus Erinnerung, drückte er mit einem Finger in die Tasten: Heil dir im Siegerkranz! Und mit Stimme folgend, mächtiger anschwellend, variierte er über beiden Pedalen vom Baß bis in höchsten Diskant – da klang es ihm selig.

Heil dir im Siegerkranz! Fühl in des Thrones Glanz Die hohe Wonne ganz, Heil, Kaiser, dir.

Gesine spürte im Schlaf: So ist’s recht, Christof. Wohl, recht – wohl.

Am Abend dieses Tages, man schrieb den fünfzehnten Februar, leitete Busekow vor dem königlichen Theater der Wagen Auffahrt. Aus seinem Glück war er nicht erwacht. Durch Netz von Klang-und Taktreizen, das aus letzter Nacht noch um ihn hing, drang Gegenwart nicht in sein Bewußtsein. Es schüttelte ihn eine liebliche Erinnerung um die andere; auf Fersen hob er sich, seines Körpers Ausmaß zu längern, stammelte vor sich hin. Dann, als Rufen in der Menge scholl, hob Begeisterung ihn zu Wolken. Er weitete, füllte sich, schwebte auf; wollte rechts und links mit sich nehmen, mußte aus einem Jauchzen heraus, das ihn mit Entzücken aufspannte, stürmisch vorwärtsschießen. Man sah, wie er die Arme mit herrlicher Gebärde gen Osten reckte, hörte aus seinem Mund einen siegreichen Schrei – und hob ihn unter dem Automobil herauf, das anfahrend ihn schnell getötet hatte.

Napoleon

Inhaltsverzeichnis

1915

Napoleon wurde 1820 zu Waterloo im Eckhaus, an dem sich die Steinwege nach Nivelles und Genappes trennen, geboren. Sein Kinderleben verließ historischen Boden nicht.

Über die durch Hohlwege gekreuzten Flächen, auf denen des Kaisers Kürassiere in Knäueln zu Tod gestürzt waren, gingen seine Soldatenspiele mit Gleichalterigen. Sie lehrten ihn ewige Gefahr, Wunden und Sieg.

Zwölf Jahre alt, nahm er von Kameraden beherrschten Abschied, sprang zum Vater in die Kalesche, fuhr nach Brüssel hinüber, wo er vor ein Gasthaus abgesetzt wurde. In der Küche des Lion d’or lernte er Schaum schlagen, Fett spritzen, schneiden und schälen. Gewohnter Überwinder der Kameraden auf weltberühmter Walstatt, ließ er auch hier die Mitlernenden hinter sich, war der erste, der die Geflügelpastete nicht nur zu des Chefs Zufriedenheit bereitete, auch nach Gesetzen zerlegte.

Er selbst blieb von allen Speisenden der einzige, den der Vol-au-vent nicht befriedigte; doch nahm er Lob und ehrenvolles Zeugnis hin, machte sich, siebzehnjährig, auf den Weg, betrat an einem Maienmorgen 1837 durch das Sankt-Martins-Tor Paris.

Als er auf einer Bank am Flußufer die strahlende Stadt und ihre Bewegung übersah, wurde ihm, was er in Brüssel geahnt hatte, zur Gewißheit: Nie würde er aus den allem Verkehr fernliegenden Küchenräumen die enge Berührung mit Menschen, die sein Trieb verlangte, finden. Tage hindurch, solange die ersparte Summe das Nichtstun litt, folgte er Kellnern in Wirtschaften gespannten Blickes mit inniger Anteilnahme; verschlang ihre und der Essenden Reden, Lachen, Gesten. An einem hellen Mittag, da eine Dame Trauben vom Teller hob, den ihr der Kellner bot, trat er in die Taverne auf den Wirt zu, empfahl sich durch Gebärden, flinken Blick als Speisenträger.

Nun brachte er Mittag-und Abendmahl für alle Welt herbei. Von beiden Geschlechtern kam jedes Alter, jeder Beruf zu seinen Schüsseln, sättigte sich. Unermüdlich schleppte er auf Tische, fing hungrige Blicke auf, satte, räumte er ab. Nachts träumte er malmende Kiefer, schlürfende Zungen, ging anderen Morgens von neuem im Bewußtsein seiner Notwendigkeit ans Tagwerk.

Allmählich sah er Unterschiede des Essens von schmatzenden Lippen ab, kannte den gierigen, weitgeöffneten Rachen des Studenten, durch den Bissen in ein nie gestopftes Loch fielen, unterschied den Vertilger eines nicht heißhungrig ersehnten, doch regelmäßig gewohnten Mahles von jenem Überernährten, der sich ungern zum Tisch niederließ, gelangweilt Leckerbissen kostete und zurückschob. Prägte die kauende, trinkende Menschheit in allen Abstufungen sich fest und bildhaft ein.

Durch Kennerschaft wurde er ihr Berater und Führer; wies Hungrigen feste Nahrung, bediente die Satten mit Schaum und Gekröse; von ihm zu allen Tischen lief ein Band des Verständnisses. Hob der Gast die Karte, fiel von Napoleons Lippen der gewünschten Speise Name.

Jahrelang blieben die seine Lieblinge, deren leibliche Not die Kost stillen sollte. Ein saftiges Stück Fleisch, von kräftigen Zähnen gebissen, schien ihm die gelungenste Vorstellung. Doch machte er Unterschiede zwischen Sorten. Ließ er Kalb und Lamm im Hinblick auf ihre festere Zusammensetzung gelten, war ihm Wild, Geflügel wenig sympathisch. Von Fischen, Austern und Verwandtem hielt er der lockeren Struktur wegen nicht das geringste. Inbegriff guter Nahrung war ihm das Rind. Unwillkürlich sah er die Begegneten beim Hin-und Heimweg auf ihre Muskulatur hin an. Die schienen ihm wohlbereitet, die über straffem Knochenbau gedrängte Materie trugen. Magere verachtete er, die mit losem Fett Gepolsterten waren ihm verhaßt. Einem gut aufgesetzten Körper folgten seine Blicke zärtlich, zerlegten ihn in gigots, selle, côtes und Kotelettes. In der Einbildung streute er Pfeffer und Salz hinzu, garnierte, schnitt, servierte das Ganze mit passendem Salat; dann lächelte das junge Gesicht, hingerissen ahnte er nicht, in welcher Zeit er lebte; unterschied Sommer, Winter, Trockenheit, Regen, Überfluß und Notdurft nicht, wußte nur: dies freut den Gast!

Immer hitziger wurde sein Trieb, dem zu Bedienenden sättigende Kost zu bieten. Gewürz und Zutat sah er nur in dem Sinn, wie sie die bestellte Speise fest und ausdauernd machten. In seine Vorstellung bildete sich des leeren Magens Raum, in der er Nahrung aus Beton baute.

Ging der Gesättigte, der schlappen Schrittes gekommen war, wuchtig zur Tür hinaus, hing Napoleons Blick, als sei dessen Lebendigkeit sein Werk, an dem Schreitenden. Er brauchte, vor sich bestehen zu können, das Bewußtsein schöpferischer Tat, steigerte es zur Überzeugung, ohne ihn und seine Pflege sei der Betroffenen Lebensarbeit unmöglich. Die festzustellen, merkte er der Gäste Namen; nahm an ihrem Vorwärtskommen teil.

Es geschah, als er am freien Tag durch Wege der Versailler Parks schritt, in der Einbildung, er habe gerade eine riesige Wurst mit Höchstwerten menschlicher Nährstoffe gestopft und schnitte den Wartenden Scheiben herunter, daß aufschauend sein Auge zu einem jungen Weib fiel, das ein Kind am entblößten Busen hängen harte. Gebannt blieb Napoleon stehen, prägte sich das Bild rosiger, geblähter Rundheiten an der Frau und dem Säugling in aufgetane Sinne. War das eine Apotheose seiner Träume von kraftvoller Nahrung und ihrem besten Verbrauch! An die Nährende hätte er niederfallen, durch Umschlingung ihres und des Kindes Leibes am erhabenen Vorgang teilnehmen mögen.

Das Bild verließ ihn nicht, veranlaßte ihn, flüssigen Stoffen gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken; dann hob es den Wert der Frau, der bis heute ihrer geringen Lust zum Essen wegen für seine Welt nicht groß gewesen war, sich jetzt aber gut ins große Bild tafelnder Menschheit einordnete. Zum erstenmal besah er das Mädchen an der Anrichte, dem er bisher nur den kräftigen Gliederbau bestätigt hatte, immer eindringlicher, als prüfte er es auf gewisse ihm einleuchtende Möglichkeiten. Er fand, sie nähme zuviel leichtes Zeug als Nahrung, belade sich mit Geblasenem und Aufgerolltem, das im Magen zu einem Nichts zusammenfiele, warnte vor Klebrigkeit und Süßem, forderte sie eines Tages geradezu auf, mit ihm ein Mahl zu nehmen, das bis ins kleinste von ihm zusammengestellt, in seinem Wert für sie erörtert werden sollte. Das Mädchen nahm des Mannes Kauderwelsch für Umschweif, willigte ein, und an einem der nächsten Tage gingen sie ein Stück über Land, traten in einen Gasthof ab.

Dort verschwand Napoleon und erklärte zurückkommend der schmollenden Suzanne, er habe bis ins kleinste in der Küche vorgesorgt. Mit einem Ragout von Hammel in Burgunderweinsoße beginne man, gehe, falsche Vorspiegelungen verschmähend, geradezu auf ein wundervolles, halbblutiges Rindlendenstück, an das er englische Gurken und Zwiebeln habe braten lassen, zu.

Als das Essen aufgetragen war, wies er sie, Bissen langsam zu kauen, ohne Zukost von Brot zu schlucken, ruhte nicht, bis das letzte Stück auf der Schüssel vertilgt war, befahl ihr und sich ein Gläschen Schnaps zu besserem Bekommen an.

Da sie nach Tisch im Grase lagen, breitete er Arme und Beine aus, riet ihr, Gleiches zu tun. Ein schmächtiger Bursche sei er gewesen, seine Gewebe nur durch vernünftige Nahrung, angemessene Verdauung fest und kräftig geworden. Dabei ließ er Muskeln der Arme und Waden durch Beugung zu kleinen Bällen schwellen, worauf sie, in der Eitelkeit gepackt, auch die Glieder spielen ließ, ihn zur Prüfung der festen Beschaffenheit einlud. Doch bestritt er alles von vornherein, meinte, bei ihrer bisherigen Ernährung sei es nicht möglich, forderte sie, in Zukunft nach seinen Vorschriften zu leben, auf. Dann werde, was nicht dasei, kommen.

Er gefiel ihr. Der nüchterne Sinn machte Eindruck auf sie, sie bemühte sich, seine Erwartung zu erfüllen. Beim nächsten Ausflug blieb sie plötzlich stehen, bäumte den Arm, ließ seine Hände die Anschwellung fühlen. Doch kam durch Wochen nur ein Schnalzen von ihm, das ihr, sie sei auf rechtem Weg, bedeutete. Bis sie eines Tages beim Versuch, ein gelöstes Schuhband zu knüpfen, ihm ein so mächtiges Rückenstück entgegenhob, daß runde Anerkennung seinen Lippen entfuhr. Gleich lag sie an seiner Brust; bot ihm den Mund zum Kuß.

Der Besitzer der Taverne starb, und Napoleon wurde des Speisehauses Inhaber. Er konnte schalten, wie er wollte, entfernte alle Spielereien von der Karte. Die gleichbleibende Kundschaft, er selbst und Suzanne waren gewichtige Personen, die eine Rede deutlich in den Mund nahmen, geworden. Es gab kein Getuschel in seinen Räumen, doch dröhnendes Lachen zu schallenden Worten. Forsches Zugreifen und Fortstellen. Überzeugte Meinungen, Entschlüsse für kühne Tat.

Napoleons Vaterunser und Einmaleins hieß: in allen Molekülen drängende Kraft. Von Suzannes Kind, das sie von ihm unter dem Herzen trug, rechnete er, es müßte nach Menschenermessen ein Herkules werden.

Des Hauses Ruf hatte sich verbreitet. Einer rühmte es dem andern, brachte ihn zu einem Versuch mit. Schließlich reichte der Raum, die Gäste zu fassen, nicht. Einen frei werdenden Stuhl besetzte gleich ein anderer Hungriger. Große Tagesumsätze wurden erzielt, immer bedeutendere. Verglich aber der Wirt zum Jahresabschluß Einnahme und Ausgabe, kam kaum ein Guthaben zu seinen Gunsten heraus. Anfangs, bevor er das Ziel seines großen Rufes erreicht hatte, ließ er es gehen; als der in Paris feststand, begann die schlechte Abrechnung ihn zu wurmen. Er war dreißig Jahr alt, hatte große Pläne, und schien Reichtum nicht seine letzte Absicht, mußte er mit dem übrigen kommen. Nochmals nahm er die Bücher gründlich vor und stellte fest, der geforderte Preis war in Anbetracht der hervorragenden Beschaffenheit und Menge der gereichten Speisen zu niedrig. Da ihm aber einleuchtete, er könnte der Konkurrenz wegen keinen Preisaufschlag eintreten lassen, sah er sich vor der Entscheidung, alles beim alten zu lassen oder des Gebotenen Qualität zu verschlechtern. Treu seinen Grundsätzen entschloß er sich zu ersterem, stand aber den Essenden nicht mehr mit alter Unbefangenheit gegenüber. Bei jedem Filet, das der Kellner mit schönem Schwung zum Gast niedersetzte, stellte er den Vergleich zwischen Ware und erzieltem Preis an, kam dazu, daß eine Platte, je besser sie gelungen, je reichlicher sie serviert wurde, ihn um so mehr in qualvolle Erregung setzte. Besonders konnte er den Blick von einem Gast nicht wenden, der mit dem Gebotenen nicht zufrieden, Bedienung und Küchenbrigade durch anfeuernde Reden zu höchster Leistung gespornt hatte, wahre Fleischtrümmer, die er mit Mengen alles Erreichbaren würzte, vorgesetzt bekam. Dazu warf er Napoleon triumphierende, anerkennende Blicke zu, die diesen erbitterten, endlich zu heller Empörung brachten. Der Vielfraß war ein Kanzleibeamter, von dem besonderes Verdienst nie verlautet hatte, und der Herr des Gasthauses fragte sich, mit welchem Recht, für welches bedeutende Vorhaben der Betreffende solche Anforderungen für seinen Magen stellte. Man wisse zu welchem Zweck, schlänge ein Thiers, Balzac solche Mengen in seine Därme. Dieser Durchschnittsbürger aber schweife widerlich aus, garniere er den faulen Bauch täglich mit solchen Prachtfleischstücken. Überhaupt begann der Wirt des Veau à la mode, seine Stammgäste auf ihre Verdienste hin anzusehen, und stellte vor seinem Gewissen fest, keiner habe die Sorge, die man jahrelang an seine Ernährung gewandt hatte, durch Erfolge vergolten. So folgte er ihrem Schlingen mit scheeleren Blicken, und als seines Grolls Maß aufs höchste gestiegen war, brüllte er eines Tages dem Hauptkoch, der über ein Tournedos ein volles achtel Pfund Butter goß, zu, ob er von Gott verlassen sei, ihn durchaus ruinieren wollte.

Über alles das hatte er schlaflose Nächte, bis er sich zu fester Anschauung durchgerungen hatte: Die Mahlzeit hat ein Äquivalent der durch tägliche Arbeit verausgabten Kräfte zu sein. Und stellte den Blick seiner Kundschaft gegenüber auf Feststellung dieser Tatsache ein, fand, er könnte ruhigen Gewissens mit der Beschaffenheit, dem Maß der Portionen heruntergehen und leiste immer noch ein Mehr in den Magen der Speisenden. Auch Suzanne gegenüber, die ihm ein Mädchen geboren hatte und noch in derselben Stellung bei ihm war, nahm er diesen Standpunkt ein. Auf Grund seiner Erziehung war sie, ihren und ihres Kindes Körper mit ausgesuchter Eßware zu stopfen, gewöhnt. Jetzt wies er sie hin, Schande sei es, ungeheueren Nahrungsmengen, die sie genösse, ein so winziges Maß an Leistung gegenüberzustellen. Sie möge Leib und Geist mehr tummeln oder ihren Eßverbrauch einschränken.

Damit hatte der Prozeß kein Ende in ihm. War gegen Mitternacht das Geschäft vorbei, das Haus leer, blieb er am Herd, begann, schmorend und bratend, Versuche mit Surrogaten, die er den Speisen beimischte, zu machen, von Überzeugung geführt, er habe das Recht und die Pflicht, es den Verbrauchern gleichzutun, die auch an Stelle persönlichen Wertes für das Menschengeschlecht falsches Vorgeben, hohle Gesten und Phrasen gesetzt hatten.

Langsam begann er, seine theoretischen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Äußerlich blieb alles, Name, Anrichtung der Speisen, beim alten. Bedachte er aber, wie ein Stück Fleisch durch Klopfen und Lockern der Atome geschwollen, durch Beimischung scharfer Gewürze Kiefer und Gaumen jetzt mehr durch Beize reizte, schmunzelte er, trieb die entdeckte Kunst zu größerer Vollendung. Da hatte er am Schluß des Jahres zwar die Genugtuung außerordentlichen Überschusses, fühlte aber, ihn befriedigten die Grundsätze, nach denen er heute Wirt sei, weder in bezug auf die Beschaffenheit der Gäste noch hinsichtlich der Mittel, die er, ihre Erwartungen zu erfüllen, anwandte.

An einem Sonntagabend lief vor seinen Augen die Wendeltreppe zu Räumen im ersten Stock des Restaurants ein Persönchen empor, das mit Rockrüschen und Volants, ein Quirl über seiner Stirn hüpfte. Beine in weißseidenen Strümpfen nahmen zwei, drei Stufen auf einmal, bei jedem Satz federte der Körper hoch auf in Gelenken, dazu flogen Haare, Federn, Pelzwerk um den Kopf, empörtes Hundekläffen kam von ihrem vermummten Busen her. Mit einem Sprung schwang sie sich oben zu zwei Herren an den Tisch, rief klingenden Stimmchens: »Hunger!« Napoleon, der auf Zehen vor sie getreten war, durchfuhr’s, hier sei seine ganze Speisekarte fehl am Ort, und während Röte sein Antlitz malte, schlug das Herz in hastiger, aussichtsloser Erregung Generalmarsch, was er diesem Püppchen bieten könnte.

Als Madame Valentine Forain stellte sie einer der Herren vor, und Napoleons Unruhe wuchs, als er hörte, er habe die berühmte Tänzerin, die Paris seit Wochen bezauberte, vor sich. »Stillen Sie meinen Hunger mit Luft«, sagte sie, »die den Leib nicht beschwert. Sie sehen aus, als verstehen Sie Ihre Kunst. Diesem süßen Ungeheuer«, sie wies auf das safranrote Hundeschnäuzchen, das aus Spalten ihrer Taille schnüffelte, »reichen Sie ein Schälchen zerkleinerte Kalbsmilch.«

Einen Augenblick blieb Napoleon auf dem Gang zur Küche im Dunkeln an einem Pfeiler stehen, als habe er einen Schlag an die Stirn bekommen, müßte sich zu neuem Leben sammeln. Gleich aber schoß die Stichflamme der Erkenntnis hoch, hier gelte es Zukunft, er spürte den aus Kämpfen der letzten Wochen gesammelten Willen zu gänzlich Neuem als Lichtmeer über sich fluten. An den Herd er glitt, schnitt, mischte, quirlte; hob es in kleinster Kasserolle nur eben ans Feuer, nahm’s fort, als erster Wrasen stieg, und mit vier Sprüngen die ganze Treppe nehmend, servierte er das Schüsselchen in frühester Hitze: Taubenpüree mit frischen Champignons.

Sie kostete, murmelte, schluckte und schlug ein Paar kornblumenblaue Augen zu ihm auf. Er stürzte in die Küche zurück, setzte den Herd in heißere Glut, ließ über eine Handvoll Spargelspitzen, die er den jüngsten Sprossen abgeschnitten, Dampf, in dem er sie gar kochte, schlagen. Im letzten Augenblick gab er eine Schwitze von Sahne und Sellerie auf das Ganze. Als drittes, letztes Gericht bot er frische, geschälte Walnüsse mit Himbeeren à la crème. Dem Hündchen hatte er Trüffeln an die Kalbsmilch getan.

Nun stand er in der Nähe, sah, wie nach wenigen Bissen von jeder Platte die sanfte Röte auf ihrer Haut lag, der Körper sich tiefer in des Sofas Kissen drückte, ein Fauchen aus ihrem Mund, winzige Tropfen Feuchtigkeit aus den Augen kamen, ansagend, das zarte Leibchen ziehe Kraft aus dem Genossenen. Keiner der Herren sprach in diesen Augenblicken, da auf der Frau Antlitz andächtiges Lächeln lag, als sei es ausgemacht. Zitternden Zwerchfells lachte Napoleon, schütternden Leibes in heller Seligkeit dazu, bis die Augäpfel in Tränen schwammen. Er war mit ihm eins, lobte Gott in der Höhe!

Die Begegnung wurde geänderten Lebens, neuer Ziele Anfang. Als er am gleichen Abend heimkehrend Suzannes kräftigen Leib in den Bettkissen fand, schnitt er der Schlafenden eine angewiderte Grimasse. Wütend deckte er ein freiliegendes Rundteil von ihr zu, schloß die Augen und träumte der Tänzerin behende Gestalt in Wolken Seide und Band. Vor seinem geistigen Blick prüfte er die schlanken Arme, schmale Hand, ihre zierliche Erscheinung und stellte fest, wie wenig fleischliche Person die Begnadete sei, wie geringer Kost sie zu künstlerischer Leistung, durch die sie eine Nation zum Entzücken hinriß, bedürfe. Für welche Tat sei der Leib neben ihm so aufgemästet, zu welchen Fortschritten brauchte er die täglichen mächtigen Rationen? Mit was für Gesindel habe er, Napoleon, sich bis über sein dreißigstes Jahr abgegeben, welchen steilen Weg zu lohnendem Ziel müßte er noch steigen! Er fühlte, keine Minute sei zu verlieren, alles Heil ruhe im Anschluß an die verehrte Gastin. So widmete er ihr vom zweiten Erscheinen sein Trachten und Vermögen. Dachte bis zu ihrem Kommen nichts, als was er ihr vorsetzen, wie er ihre Erwartungen übertreffen müßte. Lief vom Markt in Hallen und Krämereien; suchte, tüftelte Frischestes, Zartes, Rarstes heraus. Zur Vorstellung ihres winzigen Kernes in einer Hülle von Tüll und Tand dichtete er aus Schaum, Krusten, Farce und Soßen das assoziierende Speisengebild; schabte, preßte in Tücher, seihte, überquirlte ein dutzendmal, bis, eine Wolke, das Gekochte schwebend zum Teller sank. Dann sah er es entzückt zwischen zwei leuchtenden Zahnreihen auf schmaler Zunge zergehen.

Einst gönnte sie ihm ein Wort der Anerkennung. Ihm schien’s ein Rauschen, hallte ihm lange im Ohr. Zum Schluß riet sie, das Stadtviertel des soliden Bürgers zu verlassen, jenseits des Flusses, mitten im Herzen des vornehmen Paris, ein Restaurant, das trotzdem jeder entbehrte, der an Küche und Keller höchste Anforderungen zu stellen gewillt sei, zu schaffen. Sie würde mit Freunden kommen; wollte seiner außerordentlichen Kunst Verkünderin sein.

So geschah’s. Nachdem er in einer Seitenstraße bei der Oper das passende Lokal gefunden hatte, verkaufte er die alte Wirtschaft mit Nutzen, ließ die Wände der gemieteten Räume mit weißsilbernen Malereien, die zum reichen Silber, der Wäsche der Tischreihen stimmten, zieren. Ein roter Teppich deckte den Boden. Kraft eines Schlagwortes, das auf und über die Boulevards flog, wußte Paris von der Existenz des Chapon fin, daß Kenner gewählten Bissens dort auf ihre Rechnung kämen. Vier Wochen nach Eröffnung ging die beste Welt, als habe sie nie einen anderen Ort des Stelldicheins gekannt, bei Napoleon ein und aus. Der Ruhm seiner Küche beruhte auf der leichten Platten Vorzüglichkeit. Man konnte ein Chateaubriand, Seile de chevreuil wie anderswo bekommen, doch wies der Maitre d’hôtel den Gast mit Augenzwinkern auf des Hauses Spezialität: Muschelgerichte, Ragouts, Pürees in Pfännchen; Überraschungen in winzigen Schälchen und Kasserollen. Der Gast folgte und war regelmäßig zufrieden.

Denn was der Herr des Hauses für die Tänzerin erdacht hatte, vervollkommnete, vermehrte er von Tag zu Tag. Schalentiere ließ er aus Krusten, Geflügel von Knochen brechen, nahm Gekröse vom Tier, von Gemüsen Spitzen. Frikassierte, mischte verblüffende Gegensätze, verband Widerstrebendes in Soßen von Sahne, kostbaren Eiersorten, Pilzen und duftenden Essenzen. Das letzte Geheimnis seines Erfolges aber war die »kurze Hitze«, in der die Speisen gar werden mußten. Oberster Grundsatz hieß: was zu lange Feuer gerochen, ist für den Ruch verdorben.

Nach wie vor blieb Valentine die erste, die jede neue Schöpfung kostete. Zwischen ihr und dem Patron webte schöne Vertraulichkeit, geboren aus Blicken dankbarer Anerkennung, mit denen die Essende Napoleon nach jeder von ihm selbst angerichteten Platte beschenkte. Allmählich lernten sich die Augen sonst auch suchen, nach dem lauten Scherzwort eines Gastes, unzarter Bemerkung von irgendwoher, bei jedem Vorkommnis. Fühlten, wie es in der Blicktiefe des anderen ein Geheimnisvolles gab, durch das das eigene Schauen an feinen Häckchen schmerzvoll süß harangiert wurde. Dazu fuhr die Frau freundschaftlicher Würde ihm Beobachtungen und Anregungen mitzuteilen fort, die sie aus sich selbst, von anderen zur Vervollkommnung des Betriebes nahm. Auch fragte sie ihn, legte er die kostbare Pelzhülle ihr um die Schultern, nach dem praktischen Erfolg, und er war glücklich, ihr von Mal zu Mal eine höhere Summe als erzielten Gewinn zuflüstern zu können.

Die Gefährtin seiner Lehrjahre und ihr Kind hatte er mit einer Summe abgefunden, aus seiner Nähe verbannt. Anfangs sah er sie noch hin und wieder, dann stand sie als Gleichnis der Hausmannskost und kleinbürgerlicher Umstände im Schrank seiner Erinnerungen.

Auf den Rat seiner Gönnerin widmete er der Zufriedenheit jener Frauen Aufmerksamkeit, die nach dem Theater in kostbaren Toiletten in Begleitung von Lebemännern aßen. Er merkte ein Besonderes, eine Laune der Betreffenden, spielte das nächste Mal vertraut freundschaftlich darauf an. Das Luxusgeschöpf sieht vom ernsten Mann sich ernst genommen, errötet vor Vergnügen, wird seine treue Kundin. Neben dieser Kategorie und ihrem Anhang stellte er sich Diplomaten und Staatsmännern zur Verfügung, indem er ihnen, kamen sie mit wichtigen Gesichtern von einer Sitzung, um zu einer Sitzung zu gehen, ein stilles Eckchen anwies, wo sie ungestört blieben; nicht duldete, daß sich ein Kellner näherte, sie für Augenblicke durch ausgesuchte Leckereien der Bürde ihrer Verantwortlichkeit enthob. Da er aber fühlte, im Umgang mit Spitzen politischer Abteilungen ging ihm aus Unkenntnis ihres Wirkens und Wollens die nötige Sicherheit ab, lud er sie in ein abgelegenes Zimmer, durch dessen Wand er ihre Gespräche von seinem Kontor hören, ihre Mienen beobachten konnte. Da lernte er, durch welche Spitzfindigkeiten und Umschweife aus Eifersucht und Ehrgeiz der Handelnden strittige Fragen zwischen politischen Parteien des Vaterlandes oder den verschiedenen Nationen, aus logischem Gelenk gerissen, zu Entscheidungen wurden, die Zwischenfälle, Krisen, ein Mißtrauensvotum für das Ministerium hervorriefen. Er sah Frankreichs Führern ihr Stirnrunzeln, das ironisch überlegene Lächeln, die knackende Handbewegung, die ein Ultimatum bedeutet, ab, hörte sich in die inner-, außerpolitischen Strömungen vollkommen hinein. Bald konnte er dem eintretenden Minister, Attaché oder Abgeordneten so treffende Anmerkung zur gerade wichtigen Affäre zuzuraunen wagen, daß der einen bedeutenden Eindruck von ihm bekam und weitergab. Doch auch des galanten und Geschäftslebens Kenntnis verschaffte sich Napoleon durch seine Horchspalte, sah er verliebten Paaren, feilschenden Geldleuten angespannter Aufmerksamkeit zu, bis sich die in Erregung aufgesperrten Kiefern krampften. Am erregendsten blieb es, verließ ein Teil des Paares für Augenblicke das Zimmer, und der Zurückbleibende, sich allein glaubend, verlor alle Haltung, wurde Mensch mit seinen Hoffnungen und Sorgen, zählte die Barschaft in der Brieftasche oder suchte durch Prüfung der zurückgebliebenen Kleidungsstücke des anderen auf dessen wirkliche Lebensumstände zu schließen. Kurz, der Wirt des Chapon fin wurde Kenner, der in der Menschheit Unbewußtsein hinabsah.

Binnen Jahresfrist lag ihm Paris zu Füßen. Er beherrschte es als gütiger Fürst durch Kenntnis seines Magens, lächelte, als man ihn zaghaft, vereinzelt, dann allgemein König Napoleon im Gegensatz zum Kaiser nannte. Rührung und Glück aber ergriff ihn, als Valentine das erstemal seine Hand drückte. Das war Beweis nicht nur geschäftlichen Erfolges, doch erreichten gesellschaftlichen Ansehens, da die Gefeierte einen unter ihr Stehenden nicht vor aller Welt so ausgezeichnet hätte. Nun wuchs er von Tag zu Tag mehr in eine überlegen menschliche Haltung hinein, die veranlaßte, daß auch der höchstgestellte Gast ihm die Hand gab, gutgelaunt auf die Schulter klopfte.

Für den Mann der Provinz wurde es bei der Rückkehr in die Heimat Glanzstück des Berichtes der in der Hauptstadt erlebten Abenteuer, konnte er nicht nur bemerken: Ich habe beim »König« gespeist, doch hinzusetzen: der mich auf die Schulter schlug und fragte: »Nun, Baron, wie wäre es mit einer Boule au jus tutu?«

Als er von einem fremdländischen Herrscher das erste Ritterkreuz erhalten hatte, dessen violette Rosette er am gleichen Abend im Knopfloch trug, forderte Valentine ihn auf, sie am nächsten Tag um fünf Uhr nachmittags aufzusuchen. Er erschien nach schlafloser Nacht, dem ruhelosesten Morgen, fand sie im Raum auf der Erde, wo sie mit dem Hund balgte. Sie sprang hoch, steckte das entfesselte Haar auf, saß ihm in niedrigem Sessel so nah gegenüber, daß er das vergötterte Antlitz vor sich hatte, es sich zum erstenmal andächtig einprägen konnte. Sie machte keine Bewegung, ließ ihn sich satt sehen. Dann gab sie die Hand, die er inbrünstig küßte. Sie selbst war einfacher Herkunft, ehrte Tüchtigkeit, die ihm seinen außerordentlichen Platz verschafft hatte. Umgehend mit Männern vornehmster Geburt, fesselte sie an ihn das Band gleicher Vergangenheit, bei ihm durfte sie Gefühle, die ihren Freunden fremd waren, voraussetzen. In die Erzählung der Mühsale auf steilem Weg zum Erfolg vertieften sie sich, sprachen mit kräftig eindeutigen Worten, genossen mit kicherndem Sich-lustig-Machen die Schadenfreude, die sie für die Welt, über die sie jeder auf seine Art herrschten, empfanden. Napoleon kramte seine kleinen Geheimnisse, Mittel vor ihr aus, mit denen er sich in der oberen Tausend Vertrauen geschlichen hatte; erzählte von seiner durchsichtigen Kontorwand. Sein Vertrauen erwidernd, gab sie ihm ihres Aufstieges Hauptdaten, nannte drei, vier Männer, denen sie als Frau und Künstlerin verpflichtet war, zeigte, vor ihm tanzend, durch welche choreographischen Einfälle sie die Menge bezwungen hatte. Schwebte, bog sich ohne Ziererei, und da sie im leichten Hausrock war, wurde er durch Zufälle im Rock-und Kleiderfall entzückt. Zum Schluß, einen Csárdás hinreißenden Rhythmusses stampfend, kam sie aus des Zimmers entfernter Ecke auf Zehen gegen ihn, das Bein bei jeder Taktsenkung wie einen bohrenden Pfeil gegen sein Antlitz streckend.

Bei seinem zweiten Besuch wurde sie mit reizender Natürlichkeit seine Geliebte. Diese Frau, die Männern das Bild eines buntschimmernden Vogels von phantastischer Seltenheit, blasierter Ungeduld zu genügen, hatte geben müssen, war an seinem Hals das schlanke Mädchen aus dem Volk. Es bedurfte nichts Außerordentlichen von seiner Seite, der Umarmten Sehnsucht zu stillen.