Butler Parker 103 – Kriminalroman - Günter Dönges - E-Book

Butler Parker 103 – Kriminalroman E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Diesen Titel gibt es nur als E-Book. "Ein äußerst angenehmer und reizvoller Anblick", stellte Butler Parker wohlwollend fest und musterte eingehend das schlanke, biegsame Girl, das gerade über die Bühne tänzelte und die nächsten Artisten ankündigte. Dieses Nummerngirl gehörte eigentlich auf das Titelblatt einer exklusiven Modezeitschrift. Parker nahm sich die Freiheit und beugte sich ein wenig vor, um das Mädchen eingehender zu betrachten. Es trug einen knappen, einteiligen Badeanzug aus grüner Seide. Das Haar war tizianrot, die Wangenknochen standen hoch, und die Augen erinnerten in ihrem schrägen Schnitt an die einer rassigen Katze. Von dieser Frau ging ein exotischer Hauch aus. Der Applaus dauerte erstaunlich lange und wurde unterstützt von den schwarz behandschuhten Händen des Butlers. "Mäßigen Sie sich, Mister Parker", mahnte Agatha Simpson, die mit ihrem Butler an einem Tisch in einer Seitenloge saß. "Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sie sind doch kein Jüngling mehr!" Josuah Parker war immerhin ein gesetzter Mann unbestimmbaren Alters, von dem viel Würde und Gemessenheit ausging. Sein glattes Pokergesicht verriet nur in seltenen Fällen eine Andeutung von Gemütserregung. Er war ein Mann, der sich meistens unter Kontrolle hatte, trug einen schwarzen Zweireiher, der ein wenig altertümlich zugeschnitten war, schwarze Schuhe derber Qualität, einen steifen Eckkragen und eine schwarze Krawatte. Selbst seinen obligaten Universal-Regenschirm hatte er nicht an der Garderobe abgegeben. Dieses vielseitige Schutzgerät mit dem ausgeprägten Bambusgriff stand an der Logenbrüstung, auf der Parkers schwarze Melone deponiert war. Josuah Parker war rein äußerlich ein Butler, wie er eigentlich nur noch im Film zu sehen ist. Nicht weniger interessant sah Lady Agatha aus. Sie war etwa sechzig Jahre – über ihr genaues Alter sprach sie nicht gern –, hochgewachsen und durchaus vollschlank. Sie besaß ein volles Gesicht, ein sehr energisches Kinn, das ihrem Wesen entsprach, und eine Adlernase.

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Butler Parker – 103 –

Der Kidnapper

Günter Dönges

»Ein äußerst angenehmer und reizvoller Anblick«, stellte Butler Parker wohlwollend fest und musterte eingehend das schlanke, biegsame Girl, das gerade über die Bühne tänzelte und die nächsten Artisten ankündigte. Dieses Nummerngirl gehörte eigentlich auf das Titelblatt einer exklusiven Modezeitschrift.

Parker nahm sich die Freiheit und beugte sich ein wenig vor, um das Mädchen eingehender zu betrachten. Es trug einen knappen, einteiligen Badeanzug aus grüner Seide. Das Haar war tizianrot, die Wangenknochen standen hoch, und die Augen erinnerten in ihrem schrägen Schnitt an die einer rassigen Katze. Von dieser Frau ging ein exotischer Hauch aus. Der Applaus dauerte erstaunlich lange und wurde unterstützt von den schwarz behandschuhten Händen des Butlers.

»Mäßigen Sie sich, Mister Parker«, mahnte Agatha Simpson, die mit ihrem Butler an einem Tisch in einer Seitenloge saß. »Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sie sind doch kein Jüngling mehr!«

Josuah Parker war immerhin ein gesetzter Mann unbestimmbaren Alters, von dem viel Würde und Gemessenheit ausging. Sein glattes Pokergesicht verriet nur in seltenen Fällen eine Andeutung von Gemütserregung. Er war ein Mann, der sich meistens unter Kontrolle hatte, trug einen schwarzen Zweireiher, der ein wenig altertümlich zugeschnitten war, schwarze Schuhe derber Qualität, einen steifen Eckkragen und eine schwarze Krawatte. Selbst seinen obligaten Universal-Regenschirm hatte er nicht an der Garderobe abgegeben. Dieses vielseitige Schutzgerät mit dem ausgeprägten Bambusgriff stand an der Logenbrüstung, auf der Parkers schwarze Melone deponiert war. Josuah Parker war rein äußerlich ein Butler, wie er eigentlich nur noch im Film zu sehen ist.

Nicht weniger interessant sah Lady Agatha aus.

Sie war etwa sechzig Jahre – über ihr genaues Alter sprach sie nicht gern –, hochgewachsen und durchaus vollschlank. Sie besaß ein volles Gesicht, ein sehr energisches Kinn, das ihrem Wesen entsprach, und eine Adlernase. Beherrschend in diesem Gesicht waren die dunklen, stets etwas funkelnden Augen, die sehr abweisend wirken konnten.

Ihre majestätische Gestalt, die auf strammen Beinen stand, war meist bedeckt von unmöglich aussehenden Kostümen aus derbem Tweed. Ihre Füße bewegten stets ausgetretene, alte Schuhe. Auf Myladys weißem Haar saßen unmöglich aussehende Hüte, die an Südwester erinnerten, an ihrem Handgelenk baumelte ein Pompadour mit seltsamem Inhalt. Dieser Inhalt war ein echtes Hufeisen, um das sie aus Gründen der Humanität allerdings stets ein leichtes Taschentuch zu wickeln pflegte. Eine schreckliche und wirkungsvollere Waffe konnte man sich kaum vorstellen. Neckischerweise pflegte Mylady dieses Hufeisen ihren Glücksbringer zu nennen.

Agatha Simpson war immens reich, kümmerte sich aber kaum um ihr Vermögen und um die Stiftungen. Ein ausgeklügeltes System von Kontrollen hinderte ihre Verwalter daran, dieses Vermögen zu mindern oder gar zu gefährden. Die Lady, die mit dem Geldadel der britischen Krone verschwistert und verschwägert war, konnte damenhaft wie eine Herzogin und ordinär wie ein Fischerweib aus Hüll sein. Sie hielt sich für sportlich und handelte dementsprechend recht kühl. Da Agatha Simpson ein wenig kurzsichtig war, übersah sie meist die Gefahren, die am laufenden Band ihren Weg kreuzten. Was ihr überhaupt nichts ausmachte, denn sie liebte das Abenteuer in seiner vielfältigen Form.

Seitdem Parker in ihren Diensten stand, fühlte Mylady sich außerordentlich wohl. Dieses seltsame Zweigespann wirkte auf Kriminal- und Spionagefälle wie ein Magnet auf Eisenfeilspäne. Sie mochten sich noch so sehr zurückhalten, im Endeffekt wurden sie immer wieder mit haarsträubenden Abenteuern konfrontiert, nahmen diese Herausforderungen allerdings auch immer willig an.

Agatha Simpson und Josuah Parker sahen sich das recht durchschnittliche Varieté-Programm an. Einziger Lichtblick war die langbeinige, biegsame Frau, die als Nummerngirl fungierte. Das fanden auch die übrigen Zuschauer. Sie gerieten jedesmal aus dem Häuschen, wenn die Frau auf der Bühne erschien.

Nur langsam ebbte der rauschende Beifall ab, der eindeutig ihr gegolten hatte.

Auf der Bühne erschien eine Soubrette, die schon angejahrt wirkte. Sie sang mit eindeutig zu schriller Stimme von ihrer Liebe zum flachen Land und sehnte sich erstaunlicherweise danach, ein einfaches Leben in den Highlands von Schottland zu führen, wogegen ihre Zuhörer ohne Ausnahme nichts einzuwenden hatten.

In der zweiten Strophe, die sie leichtsinnigerweise ebenfalls noch sang, fragte sie sich bewegt, warum sie dieses Leben nicht lebte, wo doch Schafe, Ziegen und Kühe auf sie warteten.

Einer der aufmerksamen Zuhörer rief daraufhin laut dazwischen, es bestünde dann wohl die Gefahr, die Milch dieser glücklich gepriesenen Kühe könne sauer werden.

Die allgemeine Zustimmung war im Grund wenig vornehm. Die Zuhörer forderten sie fast einmütig auf, möglichst schnell in die Highlands zu fahren und waren bereit, ihr eine Fahrkarte zu spenden. Das nahm die Soubrette übel und verließ schleunigst die Bühne. Ob sie tatsächlich sofort abreisen wollte, war nicht zu ermitteln.

Lady Agatha Simpson lachte wie ein Fuhrknecht und wischte sich die Freudentränen aus den Augenwinkeln. Sie amüsierte sich köstlich. Butler Parker gestattete sich sogar, andeutungsweise zu schmunzeln, ein sicheres Zeichen, daß auch er eine gewisse Fröhlichkeit verspürte.

Leider wurde die wohltuende Freude sämtlicher Zuhörer empfindlich gestört, als hinter den Kulissen ein Schuß fiel, dem unmittelbar darauf ein spitzer Schrei folgte.

*

»Sie wird sich doch nicht umgebracht haben, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha hoffnungsfroh bei ihrem Butler. Ihre dunklen Augen funkelten äußerst animiert.

»Ich fürchte, Mylady enttäuschen zu müssen«, gab Parker gemessen und ungemein höflich zurück. »Die Sängerin machte auf meine bescheidene Wenigkeit einen recht robusten Eindruck.«

»Schauen Sie wenigstens mal nach, Mister Parker«, bat Lady Agatha energisch. »Man soll nie die Hoffnung aufgeben.«

»Wie Mylady wünschen.« Parker erhob sich, deutete eine steife, korrekte Verbeugung an, setzte sich die steife Melone auf und griff nach seinem Universal-Regenschirm. Dann entfernte er sich ohne jede Hast aus der Loge.

Lady Agatha beugte sich über die Brüstung der Loge und beobachtete angeregt das Durcheinander unten im Parkett. Die Gäste riefen und schrien durcheinander, rannten aufgeschreckt herum und stürmten entschlossen die Bühne. Möglicherweise rechneten sie wirklich mit dem Selbstmord der Soubrette, vielleicht fürchteten sie aber auch nur um das Leben des langbeinigen Nummerngirls. Es waren handfeste Männer, die fast durchweg zu jener internationalen Gesellschaft gehörten, die draußen im Atlantik nach Öl bohrte.

Als plötzlich das Licht in der Music hall erlosch, war das Tohuwabohu perfekt. Lady Agatha lehnte sich zufrieden zurück und genoß das erfreuliche Treiben. Mit dem ihr eigenen Instinkt witterte sie Komplikationen, ja, sogar einen interessanten Fall. Schließlich war sie zusammen mit ihrem Butler nicht grundlos hierher an die schottische Ostküste gekommen, um in dem Ferienort Montrose südlich von Aberdeen Quartier zu nehmen. Gewisse Kreise hatten sie und den Butler wieder mal gebeten, sich helfend einzuschalten. Der Startschuß dazu schien eben erst gefallen zu sein.

Obwohl es stockfinster im Saal war und die Notbeleuchtung aus unerfindlichen Gründen nicht brannte, obwohl der Lärm riesengroß war, merkte die alte, streitbare Lady plötzlich, daß sie nicht mehr allein in der kleinen Loge war.

Irgendwer mußte sich hereingestohlen haben.

Lady Agatha reagierte augenblicklich und sehr konsequent. Sie versetzte ihren Pompadour am Handgelenk in wirbelnde Bewegung und – stieß mit dem darin befindlichen Glücksbringer auf ein Hindernis. Ein häßliches Knirschen war zu hören, dann ein unterdrücktes Stöhnen und schließlich ein dumpfer Fall.

»Mister Parker?« fragte Agatha. Simpson sicherheitshalber. Als die Antwort ausblieb, in diesem Augenblick aber auch die Notbeleuchtung eingeschaltet wurde, entdeckte sie zu ihrer Erleichterung, daß sie ihren Butler nicht außer Gefecht gesetzt hatte. Zu ihren Füßen lag ein untersetzter, massiv aussehender Mann von etwa vierzig Jahren, der eine hüftlange, schwarze Lederweste trug. Seine Jeans steckten in Gummistiefeln, die brandneu aussahen, in der leicht geöffneten Hand dieses Mannes befand sich ein ansehnlicher Schraubenschlüssel, um den ein Fetzen Schaumstoff gewickelt war.

Lady Simpson hätte selbst einen Taschendieb beschämt, so schnell durchsuchte sie die Taschen dieses Mannes, barg, was sie fand, im Pompadour, richtete sich auf und stieß dann einen Schrei des Entsetzens aus, der die Notbeleuchtung wieder verlöschen ließ.

*

»Eine beschämend magere Ausbeute, Mister Parker«, stellte Lady Agatha eine knappe Stunde später fest. Sie befand sich zusammen mit ihrem Butler im »St. Cyrus«, einem kleinen, angenehmen Hotel am Stadtrand von Montrose. Der Butler hatte sie in ihre Zimmerflucht hinaufgeleitet und sah sich jetzt die Gegenstände an, die seine Herrin erbeutet hatte.

»Wenn Mylady gestatten, möchte ich widersprechen«, antwotete Josuah Parker und sortierte die Gegenstände, »aus dem Lohnzettel geht hervor, daß der ungebetene Besucher von Myladys Loge ein gewisser Dan Mulligan ist, der für die ›Battersea Oil Company‹ arbeitet, und zwar als Vormann, wie hier zu ersehen ist.«

»Was besagt das schon?« ärgerte sich die streitbare Dame. »Ich bereue es jetzt, daß ich dieses Subjekt nicht mitgeschleppt habe.«

»Diesem Unterfangen hätten sich mit Sicherheit einige Schwierigkeiten entgegengestellt«, behauptete der Butler gemessen, »besagter Dan Mulligan wird sich jederzeit finden lassen.«

»Wollte er mich wohl umbringen?« Lady Simpson deutete auf das Klappmesser, das sie ebenfalls in den Taschen des Mannes gefunden hatte.

»Man wird Mister Mulligan bei Gelegenheit danach fragen müssen, Mylady.«

»Ich freue mich schon jetzt darauf.« Lady Simpsons Augen funkelten animiert. »Dieses Subjekt ist von mir doch viel zu sanft behandelt worden.«

»Möglicherweise dürfte Mister Mulligan darüber erheblich anderer Ansicht sein, Mylady«, gab der Butler zurück, der den Glücksbringer natürlich kannte. Während er noch redete, nahm er drei Ansichtspostkarten hoch. »Ein erstaunlich schreibfreudiger Vorarbeiter.«

»Drei verschiedene Adressen, aber alle in London«, sagte Lady Simpson, die die Postkarten bereits kannte. »Dieser Lümmel teilt den Empfängern mit, daß es ihm gutgeht. Seine nächste Ansichtskarte wird nicht mehr so optimistisch klingen, hoffe ich wenigstens.«

Josuah Parker überflog die wenigen Zeilen auf den drei Postkarten, die nichtssagend klangen und dem üblichen Text auf Ansichtskarten entsprachen. Dennoch fertigte Parker sich gewissenhaft Kopien dieser knappen Texte an und notierte sich auch die Anschriften. Kleinigkeiten, das hatte ihn die Erfahrung gelehrt, waren oft wichtiger als lautstarke Ereignisse.

»Mister Mulligan scheint ein eifriger Besucher der Music hall zu sein«, stellte der Butler fest und zeigte seine Herrin ein halbes Dutzend abgerissener Eintrittskarten. »Mister Mulligan scheint in der vergangenen Woche jeden Abend Gast der Vorstellung gewesen zu sein.«

»Was folgern Sie daraus?« Lady Simpson sah ihren Butler erwartungsvoll an.

»Er dürfte ein Liebhaber des Varietés sein, Mylady.«

»Sie haben eben keine Phantasie, Mister Parker«, tadelte sie prompt, »ich als Schriftstellerin und Künstlerin sehe das ganz anders.«

»Mylady haben bereits eine bestimmte Theorie?« Parker wußte nur zu gut um das neue Hobby der Agatha Simpson. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Mylady arbeitete an ihrem ersten Kriminalroman, der die Fachwelt in Erstaunen und Entzücken zugleich versetzen sollte. Sie arbeitete daran schon seit einigen Monaten und gab sich noch den unbedingt notwendigen Vorstudien hin.

Seit dieser Zeit entwickelte die Detektivin am laufenden Band Themen und Theorien. Ihr Erfindungsreichtum in dieser Hinsicht war mehr als erstaunlich. Selbst Butler Parker war kaum noch in der Lage, den Gedankensprüngen der streitbaren Lady nachzukommen.

»Natürlich habe ich eine bestimmte Theorie«, gab die Sechszigjährige also zurück, »da das Programm bis auf das Nummerngirl miserabel ist, hat er sich entweder in dieses Nummerngirl verliebt, oder aber er hat einen anderen Grund, den wir noch herausfinden müssen.«

»Sehr überzeugend, Mylady«, erwiderte der Butler, ohne eine Miene zu verziehen.

»Was ist denn das?« fragte Agatha Simpson und wechselte das Thema, als sie auf einen billig aussehenden Ring stieß, den ihr Butler aussortiert hatte. »Ist das nicht geradezu geschmacklos? Wie kann man nur solch einen Glasstein mit sich herumschleppen?«

Parker hielt den Ring mit dem einfach gefaßten Glasstein prüfend gegen das Licht.

»Ich möchte nicht unbedingt widersprechen«, sagte er dann in seiner unnachahmlich höflichen Art, »aber Mylady irren möglicherweise.«

»Wieso?«

»Dieser angebliche Glasstein, Mylady, ist ein Diamant!«

»Ausgeschlossen, Mister Parker!« Sie sah ihn und dann den Stein verächtlich an. »Ich weiß doch schließlich, was Qualität ist!«

»Gewiß, Mylady.« Parker verzichtete auf lange Erklärungen, ging zum Fenster und ließ die Kante des großen Steins über das Glas gleiten. Es knirschte sanft, während ein deutlich sichtbarer Kratzer zurückblieb.

»Lassen Sie dieses impertinente Grinsen«, hauchte Mylady ihren Butler daraufhin an, obwohl Parker nun wirklich keinen Muskel im Gesicht verzogen hatte. »Ausnahmsweise haben Sie mal das große Los gezogen. Wie kommt solch ein Subjekt an solch einen teuren Stein, der wenigstens einen halben Karat schwer ist?«

»Darauf vermag ich im Moment nicht zu antworten«, gestand Josuah Parker, »aber lange wird man wohl nicht warten müssen, bis besagter Mister Mulligan versuchen wird, sich den Stein wieder zurückzuholen. Eine gewisse Vorsicht für den Rest der Nacht dürfte demnach angeraten sein.«

»Sie machen mir Hoffnung«, freute sich die ältere Dame und sah in diesem Augenblick sehr grimmig aus. »Ich hoffe, daß er mich nicht enttäuscht!«

*

Das langbeinige Nummerngirl befand sich in seiner sehr kleinen Garderobe und benahm sich recht eigenartig.

Die junge fünfundzwanzigjährige Frau hatte sich das mehr als knappe Kostüm abgestreift und schlüpfte gerade in einen dünnen Schminkkittel. Sie huschte zur Tür, lauschte nach draußen und lief dann zu der winzigen Dusche, in der ein Hocker stand. Sie stieg auf diesen Hocker, stellte sich auf die Zehenspitzen und schob ihren Kopf an das Entlüftungsgitter heran, das total verrostet war.

Stimmen waren mehr als deutlich zu hören. Sie gehörten einer Frau und einem Mann.

»Nun hab’ dich bloß nicht so«, sagte die Frau verächtlich. »Warum sollte der Schuß ausgerechnet dir gegolten haben?«

»Das Ding pfiff haarscharf an mir vorbei.«

»Einbildung.«

»Ich habe doch deutlich den Luftzug gespürt. Ein paar Zentimeter näher, und ich wäre draufgegangen, Lana.«

»Daß du immer alles dramatisieren mußt, Herbert«, erregte sich die Frau, die Lana hieß, »du hast nur Angst, das ist es!«

»Und ob ich Angst habe! Wir hätten uns nie darauf einlassen sollen, Lana. Ich hab’ das Gefühl, daß man uns bereits durchschaut hat.«

»Wer denn?«

»Na, die Gegenseite, Lana. Du weißt doch auch, daß hier mit verdammt harten Bandagen gekämpft wird.«

»Dafür verdienen wir auch nicht schlecht. Soviel Geld haben wir noch nie so schnell gemacht.«

»Laß uns verschwinden, Lana, noch könnten wir es schaffen!«

»Ausgeschlossen, Herbert, den Schnitt hier lasse ich mir nicht entgehen.«

Das Nummerngirl hätte liebend gern weiter zugehört, doch es hatte die ganze Zeit über die Tür zur kleinen Garderobe nicht aus den Augen gelassen. Es sah jetzt, wie der Türknauf vorsichtig bewegt wurde. Ein ungebetener Besucher schien hereinkommen zu wollen, heimlich und verstohlen.

Das Nummerngirl reagierte augenblicklich und sehr geschickt. Viel Zeit stand der jungen Frau nicht mehr zur Verfügung. Sie streifte sich blitzschnell den dünnen Schminkmantel vom Körper, schob den Hocker vor die Dusche und sorgte dafür, daß der Plastikvorhang nicht völlig geschlossen war. Dann wandte sie der Tür ihre nackte Kehrseite zu und hantierte an beiden Wasserhähnen.

In die Garderobe schob sich ein untersetzter, dicklicher Mann von etwa fünfzig Jahren, der einen abgetragenen Smoking trug. Vorsichtig schob er die Tür hinter sich ins Schloß und blieb dann stehen. Aus gierigen Augen beobachtete er das Nummerngirl, das unter dem herabströmenden Duschwasser stand und sich einseifte.

Das Nummerngirl besaß die Erfahrung einer Stripperin.

Da sie wußte, daß sie beobachtet wurde, gönnte sie diesem Beobachter natürlich nicht die Einblicke, die der Mann erwartete, doch sie sorgte auf der anderen Seite dafür, daß er durchaus auf seine Kosten kam.

Der Mann im Smoking fuhr mit dem Zeigefinger in den zu eng gewordenen Hemdkragen und stahl sich vorsichtig näher an die Dusche heran. Sein feistes Gesicht war gerötet.

Die nackte Frau sah aber auch wirklich zu aufreizend aus. Die schmalen Schultern gingen über in schlanke Hüften und dann in lange Beine. Die junge Frau drehte sich plötzlich wie unbeabsichtigt ein wenig zur Seite und ließ ihre festen Brüste sehen, die von einem Bikini-Oberteil aus Seifenschaum gehalten wurden.

Erst jetzt tat die junge Frau so, als habe sie den Eindringling bemerkt.

Sie stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus und wußte im Moment augenscheinlich nicht, was sie machen sollte, raffte dann den Plastikvorhang an sich und wickelte sich darin ein. Da dieser Vorhang fast durchsichtig war und ihr Körper naß, bot dieser Vorhang überhaupt keinen Sichtschutz. Die aufreizenden Linien ihres Körpers waren jetzt vielleicht noch deutlicher und plastischer zu sehen als wenige Sekunden vorher.

»Mister Kelson!« Die junge Frau wickelte sich noch enger in den Vorhang.

»Nur keine Aufregung.« Ernie Kelson, der Besitzer der Music hall, bemühte sich um Selbstverständlichkeit. »Die Polizei möchte auch Sie noch vernehmen. Das wollt’ ich Ihnen nur gesagt haben.«

»Aber … Aber es ist doch nichts passiert«, wunderte sich das Nummerngirl.

»Wennschon, aber es ist immerhin geschossen worden«, erklärte Ernie Kelson und ließ sich in dem einzigen Sessel nieder, der in der Garderobe war und vor dem Schminkspiegel stand. Er ließ sie nicht aus den Augen und konnte nicht verbergen, wie sehr er fasziniert war.

Als Besitzer dieser Music hall hatte er selbstverständlich schon ganze Legionen von gutaussehenden und auch willigen Frauen gesehen, doch dieses neu engagierte Nummerngirl übertraf alles, was in der Vergangenheit seinen Weg gekreuzt hatte. Sie war frisch, unverbraucht und wirkte stets ein wenig scheu. Dadurch forderte sie ihn nur noch mehr heraus. Ganz abgesehen mal von ihrer Figur, die von tierhafter Geschmeidigkeit und Unschuld war.

Ernie Kelson hatte sie vor zwei Wochen sofort engagiert und sich gehütet, zu viele Fragen zu stellen. Solch eine Frau ließ er sich nicht entgehen. Er wollte sie so schnell wie möglich fest an sich binden, zumal sein Kompagnon Besitzansprüche angemeldet hatte.

»Könnten Sie mir den Schminkmantel reichen?« bat das Nummerngirl, das verlegen wirkte. »Auf wen ist eigentlich geschossen worden?«

»Keine Ahnung«, antwortete Kelson achselzuckend, ohne sich um den Schminkmantel zu kümmern. »Sie haben nichts beobachtet?«