Butler Parker 116 – Kriminalroman - Günter Dönges - E-Book

Butler Parker 116 – Kriminalroman E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Diesen Titel gibt es nur als E-Book. Agatha Simpson glaubte sich seit geraumer Zeit verfolgt. Erstaunlicherweise fühlte sich die Dame aber nicht belästigt, sondern hatte das sichere Gefühl, um ihrer selbst willen beobachtet zu werden. Sie war sechzig, ein wenig füllig und hätte als Walküre auf einer Bühne ausgezeichnet gewirkt. Die passionierte Detektivin trug ein teures Chanel-Kostüm, das leider recht faltenreich und zerbeult aussah. Sie konnte sich solche Nachlässigkeiten leisten, denn sie war reich und legte auf Äußeres keinen Wert. In ihrer Hand hielt sie einen mit Perlen bestickten Pompadour. Er erinnerte an einen Mini-Seesack und barg wichtige Kleinigkeiten, derer sich Lady Simpson bei Bedarf gern bediente. Der Verfolger mochte ihr Alter haben. Er wirkte straff und trug einen Stadtmantel. Sein gebräuntes Gesicht deutete darauf hin, daß er ein Leben in freier Natur bevorzugte. Die Haarfarbe unter dem Bowler war nicht auszumachen. Es war Mylady schon seit langem nicht mehr passiert, auf solche Art beschattet zu werden. Agatha Simpson fühlte sich animiert und geschmeichelt. Als sie an einem Spiegel vorüberkam, konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, sich zu betrachten. Doch sie fand sich wirklich nicht sehr ansehnlich. Die Eitelkeit stieg in ihr hoch, und sie ärgerte sich, dieses alte und unmögliche Kostüm für ihren kleinen Stadtbummel gewählt zu haben. Agathas Kleiderschränke waren schließlich wohl gefüllt, und sie nahm sich vor, in Zukunft etwas mehr auf ihr Aussehen zu achten. Mylady rückte sich den Hut zurecht, der verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Blumentopf besaß. Spontan nahm sie sich vor, umgehend einen neuen Hut zu kaufen. Sie befand sich immerhin in einem der besten Warenhäuser Londons

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Butler Parker – 116 –

Eine Dame tut das nicht

Günter Dönges

Agatha Simpson glaubte sich seit geraumer Zeit verfolgt. Erstaunlicherweise fühlte sich die Dame aber nicht belästigt, sondern hatte das sichere Gefühl, um ihrer selbst willen beobachtet zu werden.

Sie war sechzig, ein wenig füllig und hätte als Walküre auf einer Bühne ausgezeichnet gewirkt.

Die passionierte Detektivin trug ein teures Chanel-Kostüm, das leider recht faltenreich und zerbeult aussah. Sie konnte sich solche Nachlässigkeiten leisten, denn sie war reich und legte auf Äußeres keinen Wert. In ihrer Hand hielt sie einen mit Perlen bestickten Pompadour. Er erinnerte an einen Mini-Seesack und barg wichtige Kleinigkeiten, derer sich Lady Simpson bei Bedarf gern bediente.

Der Verfolger mochte ihr Alter haben. Er wirkte straff und trug einen Stadtmantel. Sein gebräuntes Gesicht deutete darauf hin, daß er ein Leben in freier Natur bevorzugte. Die Haarfarbe unter dem Bowler war nicht auszumachen.

Es war Mylady schon seit langem nicht mehr passiert, auf solche Art beschattet zu werden.

Agatha Simpson fühlte sich animiert und geschmeichelt. Als sie an einem Spiegel vorüberkam, konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, sich zu betrachten. Doch sie fand sich wirklich nicht sehr ansehnlich. Die Eitelkeit stieg in ihr hoch, und sie ärgerte sich, dieses alte und unmögliche Kostüm für ihren kleinen Stadtbummel gewählt zu haben. Agathas Kleiderschränke waren schließlich wohl gefüllt, und sie nahm sich vor, in Zukunft etwas mehr auf ihr Aussehen zu achten.

Mylady rückte sich den Hut zurecht, der verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Blumentopf besaß. Spontan nahm sie sich vor, umgehend einen neuen Hut zu kaufen. Sie befand sich immerhin in einem der besten Warenhäuser Londons und brauchte nur zu wählen. Sie hatte sich bereits jetzt schon für ein Modell entschieden, das von einer weitläufigen Verwandten getragen wurde, nämlich der Queen. Was sich für die Königin schickte, war gerade recht für sie!

Der Gentleman mußte mitbekommen haben, daß sein Interesse bemerkt worden war.

Er griff nach seinem Bowler, grüßte zurückhaltend und schritt dann weiter. Ja, dieser Mann besaß wirklich Lebensart und war nicht aufdringlich oder vulgär zu nennen. Lady Agatha errötete sanft wie eine Primanerin und war so frei, andeutungsweise den Gruß zu erwidern.

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie damit ungewollt ihrem Mörder freie Bahn einräumte. Der Gentleman wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um Lady Agatha Simpson ins Jenseits zu befördern, diskret und ohne jedes Aufsehen. Ein Warenhaus dieser Art war wie geschaffen dazu.

*

Im Gegensatz zu Agatha Simpson wußte der Mörder nicht, daß auch er beobachtet und verfolgt wurde.

Der Mann war ahnungslos.

Er hatte sich ausschließlich auf sein Opfer konzentriert, das ihm von seinen Auftraggebern genau beschrieben worden war. Er hatte das Foto immer wieder genau betrachtet und sich alle Details eingeprägt. Das Bild war ihm zugespielt worden und eine Verwechslung ausgeschlossen. Diese große und stattliche Frau dort in der Hutabteilung war zehntausend Pfund wert! Dieser Betrag war bereits überwiesen worden und lag auf dem Konto einer Schweizer Bank.

Der seriös aussehende Gentleman war Berufskiller, der sein Inkognito bisher geschickt gewahrt hatte. Zu erreichen war er nur über eine Deckadresse in Kanada. Er besaß dort ein kleines Apartment in einem riesigen Wohnsilo, wo die Anonymität eine Selbstverständlichkeit war. Diese Wohnung suchte er so gut wie nie auf, doch er hatte sich eine Möglichkeit verschafft, die dort eintreffenden Anfragen abzurufen. Er war ohnehin nur telefonisch zu erreichen.

Der Berufsmörder hieß Norman Lower, benutzte aber ganz nach Fall und Laune Fremdnamen. Er arbeitete geschickt und präzis. Für gutes Geld lieferte er erstklassige Arbeit. Spuren hatte er bisher noch nie hinterlassen. Er erledigte seine Opfer keineswegs auf die herkömmliche Art und Weise. Schußwaffen schätzte er überhaupt nicht. Norman Lower arbeitete raffinierter. Seine Opfer starben jeweils eines natürlichen Todes.

Genau diese Methode war es, die diesen Mann kennzeichneten. Er sicherte damit nicht nur seine Kunden ab, sondern vermied es auch, daß die Polizei sich einschaltete. Er plante seine Morde mit Verzögerung. Erst viele Stunden nach einem Kontakt mit den jeweiligen Opfern kam es zu den normal erklärbaren Sterbefällen. Norman Lower besaß chemische Präparate, die ihm in jedem Fall einen zeitlichen Vorsprung von vielen Stunden garantierten.

Er amüsierte sich im Moment über die schrullige Alte, wie er sein Opfer insgeheim nannte. Sie schien so etwas wie einen Nachholbedarf zu haben und war nur zu gern und schnell auf seinen gekonnten Flirt eingegangen. Norman Lower hatte seine Maske nicht umsonst so geschickt gewählt. Ein Gentleman mit möglichem militärischen Hintergrund mußte für eine Dame ihres Schlages ansprechend sein.

Er hatte sich mit seinem Opfer genau auseinandergesetzt und es seit einigen Tagen bis ins Detail genau studiert. Ihm war inzwischen bekannt, daß sie eine Art Amateurdetektivin war. In dieser Marotte wurde sie unterstützt von einem Butler, der Josuah Parker hieß, und dann noch von einer Art Gesellschafterin namens Kathy Porter.

Es konnte sich natürlich nur um Laien handeln, doch er nahm sie keineswegs auf die leichte Schulter. Nach seinen jüngsten Informationen befanden sich die beiden Personen zur Zeit aber nicht in Agatha Simpsons Nähe. Sie hatten die resolute Dame nur vor dem Warenhaus abgesetzt und waren in einem schrecklich altertümlichen Wagen weitergefahren. Nein, diese schrullige Alte dort in der Hutabteilung gehörte ihm ganz allein! Es war nur noch eine Frage von vielleicht dreißig Minuten, bis er sie nach seiner altbewährten Methode »impfen« konnte. Diese zehntausend Pfund waren ihm sicher, wenngleich sie schon überwiesen waren. Norman Lower hatte saubere Geschäftsprinzipien. Bisher war es ihm noch nie passiert, daß er im voraus kassiertes Geld wieder rücküberweisen mußte.

Er pirschte sich noch näher an die seiner Meinung nach schrullige Alte heran, die gerade einen neuen, unmöglichen Hut probierte. Er lächelte in sich hinein. Die Käuferin beschäftigte sich da mit Dingen, die sie nicht mehr brauchen würde. Ihr Tod war bereits vorprogrammiert.

*

Kathy Porter war zwar zusammen mit Butler Parker weitergefahren, doch es hatte sich nur um ein taktisches Manöver gehandelt. Nach einer kleinen Schleife um den Geschäftsblock war sie ausgestiegen, nachdem sie ihr Aussehen noch im Wagen verändert hatte.

Kathy Porter, Lady Agathas Gesellschafterin, glich jetzt einer etwas streng aussehenden Sekretärin, trug eine große Brille und einen leichten, nicht gerade modisch aussehenden Hänger. Sie hatte Lady Agatha schnell aufgespürt und ließ sie nicht aus den Augen. Sie und auch Butler Parker kannten ihr exzentrisches Wesen nur zu gut. Ihr Temperament entzündete sich leicht an Kleinigkeiten. In solchen Fällen neigte Lady Simpson dazu, nachdrücklich zu reagieren. Sie war eine Frau, die sich nichts gefallen ließ.

Das war aber nicht der einzige Grund, um Agatha Simpson vorsichtig zu beschatten. Auf verschlungenen und geheimen Umwegen war Josuah Parker zu Ohren gekommen, daß gewisse Kreise etwas gegen die ältere Dame im Schild führten. Lady Agatha hatte sich unbeliebt gemacht. Vor einigen Wochen war es ihr praktisch im Alleingang gelungen, den »Import« von gut und gern drei Zentnern Marihuana auffliegen zu lassen. Es war reiner Zufall gewesen, doch das ließen die Rauschgifthändler bestimmt nicht gelten. Sie waren um ein kleines Vermögen gebracht worden und würden sich dafür bestimmt rächen.

Kathy Porter wandelte also nicht von ungefähr auf den Spuren der unternehmungslustigen Detektivin. Ihre Tarnung galt vor allen Dingen Lady Agatha. Sie durfte einfach nicht wissen, daß man sich um sie sorgte. Sie hätte sich solch eine Absicherung energisch verbeten.

Die streng aussehende Sekretärin war auf den seriösen Herrn aufmerksam geworden, der inzwischen sogar mit dem Gegenstand ihrer Sorge ins Gespräch gekommen war. Der Mann gab sich sehr höflich, zeigte erstklassige Manieren und ging zusammen mit Lady Simpson hinüber zum Lift.

Damit war Kathy Porter nun gar nicht einverstanden. In solch einem Lift konnte viel passieren, zumal dann, wenn keine anderen Mitfahrer vorhanden waren.

Schien Agatha Simpson das zu ahnen?

Sie hatte auf jeden Fall etwas in einer Vitrine entdeckt und blieb stehen. Sie ließ sich von der Verkäuferin Modeschmuck zeigen, um dann unvermittelt den Lift anzusteuern, vor dem sich inzwischen einige Kunden eingestellt hatten.

Zufall oder Absicht?

Kathy Porter wußte es nicht mit letzter Sicherheit zu ergründen. Sie beeilte sich, schloß auf und schlüpfte mit den übrigen Kunden in den Lift. Sie sorgte dafür, daß sie nicht in Lady Simpsons Blickfeld geriet.

Ihre Chefin unterhielt sich gerade nicht besonders leise mit ihrem Verehrer. Lady Simpson verfügte immerhin über einen energisch klingenden Baß, der nicht zu überhören war. Sie hatte sich zu einem Kaffee einladen lassen, und auch zu einem Kognak, wie sie deutlich hinzufügte.

Von der Seite aus studierte Kathy Porter das Gesicht des seriös aussehenden Mannes. Sie gewann sofort den Eindruck, es mit einer glatten Maske zu tun zu haben. Der Mann spielte mit Sicherheit seine Rolle. Aus Zufall hatte er sich bestimmt nicht an Lady Agatha herangemacht. Kathy Porters Mißtrauen wuchs.

Das oberste Stockwerk war erreicht.

Von hier aus führte eine breite Treppe zum Dachgarten, wo sich auch die Cafeteria befand. Der Seriöse geleitete Agatha Simpson, die einen recht aufgekratzten Eindruck machte, hinüber an einen Tisch, der in einer Art Nische stand. Höflich rückte er ihr den Stuhl zurecht und winkte dann der Bedienung.

Kathy Porter befand sich in Alarmstimmung.

Die Nische war nicht gut einzusehen. Falls der Mann etwas plante, hätte er sich keinen besseren Platz aussuchen können. Kathy Porter hielt Ausschau nach einem passenden Tisch, konnte aber leider nichts finden. Also blieb sie stehen und besichtigte die reichhaltig bestückte Kuchentheke.

Die Serviererin erschien mit dem Kaffee und einem gut gefüllten Kognakschwenker. Mylady hatte sich einen doppelten Kreislaufbeschleuniger bestellt, wie Kathy Porter automatisch feststellte.

Kathy löste sich von der Kuchentheke. Ihre Sorge wuchs. Die junge Dame wollte unbedingt einen Blick in die Nische werfen. Lady Simpson hatte sich auf ein Abenteuer eingelassen, das unter Umständen dramatisch werden konnte.

Leider wurde Kathy Porter genau in diesem Moment vom Geschäftsführer der Cafeteria angesprochen. Der Mann hatte ihre Unschlüssigkeit beobachtet und wollte Kathy unbedingt einen freien Tisch in Fensternähe besorgen. So bugsierte er sie sehr höflich, allerdings auch sehr nachdrücklich von der Nische weg. Um nicht aufzufallen, mußte Kathy notgedrungen der Aufforderung Folge leisten.

Sie passierte den Tisch hinter dem Paravant, der die Nische bildete. Kathy Porter sah gerade noch, wie Agatha Simpson sehr gekonnt den Kreislaufbeschleuniger hinunterkippte.

*

Norman Lower war sich seines Opfers sicher.

Die Alte war ihm auf den Leim gegangen, dachte er, und saß jetzt mit ihm an einem Tisch. Sie trank ihren Kognak und bemerkte überhaupt nicht, daß er blitzschnell ihren Kaffee präparierte. In diesen Dingen besaß der Berufskiller viel Erfahrung. Das war schließlich seine Methode, nach der er zu arbeiten pflegte.

Trank sein Opfer jetzt den Kaffee, so passierte zuerst mal gar nichts. Die ersten Anzeichen würden sich nach etwa dreißig Minuten einstellen, doch dann wollte er sich längst von seiner Bekanntschaft verabschiedet haben.

Nach weiteren dreißig Minuten hatte dann die schrullige Alte mit Herzkrämpfen zu rechnen. Wahrscheinlich würde sie Gleichgewichtsstörungen haben, vielleicht auch ohnmächtig werden. Mit Sicherheit landete sie aber in einem Krankenhaus. Und dort wurde dann der Schlußpunkt unter diesen Auftrag gesetzt. Man würde dieser Frau Anregungsmittel für das stolpernde Herz spritzen und sie damit töten! Genau diese Mittel verbanden sich mit seinem Gift zu der wirklich tödlichen Dosis ...

Norman Lower dachte an die zehntausend Pfund und an die Dummheit seiner bisherigen Opfer.

Lady Agatha hatte ihr Glas abgesetzt und griff wunschgemäß nach der Kaffeetasse. Der Mörder ließ sich nichts anmerken, lächelte höflich-neutral und bat um die Erlaubnis, sich eine Zigarette anzünden zu dürfen.

»Was für eine Frage«, dröhnte Lady Simpsons Baß ihm entgegen. »Ich werde mir gleich eine Zigarre zu Gemüt führen. Tun Sie sich nur keinen Zwang an!«

Der Berufskiller bedankte sich durch eine leichte Verbeugung und beobachtete, wie die ältere Dame die Tasse hochführte und ... jetzt wieder absetzte!

»Hoffentlich haben Sie nichts gegen Frauen, die rauchen?« erkundigte sich Agatha Simpson neckisch.

»Auf keinen Fall, Madam«, sagte der Mörder, der seine Enttäuschung geschickt verbarg. Warum, so fragte er sich, warum trank die Alte nicht endlich? Sie sollte es gefälligst hinter sich bringen. Er wolle noch den Zug erreichen, den er für den frühen Nachmittag gewählt hatte. Der Mörder lebte auf dem Land, fernab vom Leben und Treiben der Metropole London.

Endlich, sagte sich der Mörder, als Lady Simpson erneut die Tasse zum Mund führte. Er hatte sich inzwischen die Zigarette angezündet und nickte ihr neutral zu.

Ja, jetzt war es endlich soweit! Der Tassenrand hatte bereits die sich öffnenden Lippen erreicht...

»Normalerweise lasse ich mich nicht ansprechen«, stellte Agatha Simpson in diesem Augenblick fest und ließ die Tasse wieder sinken.

»Selbstverständlich nicht, Madam.« Der Mörder lächelte und griff nun seinerseits nach der Tasse. Durch sein Beispiel wollte er die Schrullige animieren. Warum trank sie denn nicht? Mußte sie unbedingt solch einen verdammten Unsinn reden ...?

Sein Beispiel steckte an.

Sie hob erneut die Tasse und führte sie zum Mund. Der Mörder trank ein wenig und musterte seine Tischpartnerin dabei über den Tassenrand. In der nächsten Sekunde war es soweit. Gleich mußte auch die Detektivin den ersten tödlichen Schluck zu sich nehmen. Um sie in Stimmung zu halten, trank der Mörder weiter und setzte dann die leere Tasse ab. Wohlig lehnte er sich zurück.

»Ausgezeichneter Kaffee«, meinte er. Sein Ton war immer noch höflich und verbindlich, obwohl er nun doch leicht gereizt war. Die verrückte Alte hatte immer noch nicht getrunken. Ja, sie setzte die Tasse sogar wieder ab und lächelte zurück ...

Doch es war nicht dieses Lächeln, das er eben erst noch in ihren Augen gesehen hatte. Es war ein anderes Lächeln, kalt und auch ein wenig boshaft.

»Ausgezeichneter Kaffee«, stellte Agatha Simpson dann ebenfalls fest. Sie sprach mit einer seltsamen Betonung.

Der Mörder stutzte und verlor teilweise die Selbstbeherrschung. Eine schreckliche Ahnung dämmerte in ihm. Er hüstelte und sah Lady Simpson verdutzt an.

»Ein wunderbarer Kaffee«, sagte die ältere Dame jetzt deutlich boshaft. »Möge er Ihnen bekommen!«

Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.

Norman Lower hatte begriffen. Er wußte zwar genau, daß sie unmöglich Zeit und Gelegenheit gehabt hatte, die beiden Tassen zu vertauschen. Es war einfach ausgeschlossen, daß er den vergifteten Kaffee gerade getrunken hatte. Und dennoch mußte sie es geschafft haben! Nackte Angst würgte den Berufsmörder. Er schnappte nach Luft, beugte sich vor, sah wieder die Boshaftigkeit in ihren Augen und wollte aufspringen. Er mußte so schnell wie möglich zu einem Arzt. Wenn er sich beeilte, wenn man ihm den Magen auspumpte, dann war ihm vielleicht noch zu helfen ...

»Sie dummer Lümmel!« Lady Agathas Stimme klang wie eine tiefe Orgel. »Lassen Sie sich Ihr Lehrgeld zurückzahlen.«

Der Berufskiller drückte sich hoch... setzte sich dann wieder. Er tat es nicht freiwillig, sondern nahm Platz, weil ihn Myladys Pompadour an der linken Schläfe getroffen hatte. Da sich in diesem Handbeutel ein echtes Hufeisen befand, das nur andeutungsweise mit Schaumgummi umgeben war, fiel die Berührung sehr nachdrücklich aus. Der Mann hatte das deutliche Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein.

Agatha Simpson sah grimmig auf den ohnmächtigen Mann, der weich und schlaff in seinem Sessel hing. Sie hatte sich also keineswegs getäuscht. Dieser Flegel war auf ihren Bluff hereingefallen und mußte ihr aus irgendwelchen Gründen etwas in den Kaffee gegeben haben. Sie fand das empörend.

Die Detektivin wuchtete sich hoch und kümmerte sich um den seriös aussehenden Mann. Bevor der Geschäftsführer herbeieilen konnte, hatte sie bereits blitzschnell die Taschen durchsucht. Es gab ihr zu denken, daß dieser Mann nichts, aber auch gar nichts mit sich führte. Sämtliche Taschen waren sorgfältig leergeräumt worden.

»Wo bleiben Sie denn, Kindchen?« grollte sie, als die streng aussehende Sekretärin vor der Nische erschien und den Geschäftsführer nachdrücklich zur Seite drängte.

»Sie... Sie haben mich erkannt, Mylady?« fragte Kathy Porter verdutzt.

»Natürlich, Kindchen«, gab Agatha Simpson zurück. »Was machen wir jetzt mit diesem Subjekt? Ich bin fest davon überzeugt, daß er mich umbringen wollte.«

*

»Wenn man Sie mal braucht, sind Sie natürlich nicht da, Mr. Parker«, grollte Lady Simpson und ließ sich auf dem Rücksitz des seltsamen Wagens nieder.

»Wie Mylady meinen«, gab Josuah Parker höflich und gemessen zurück, ohne sich aus seiner sprichwörtlichen Ruhe und Gelassenheit bringen zu lassen. Er startete den Wagen und besorgte das mit der Kühnheit eines Rallyefahrers. Mit Vollgas und einem gekonnten Slalom fädelte er sich in den herrschenden Verkehr ein. Das wütende oder auch entsetzte Hupen einiger Verkehrsteilnehmer überhörte er ebenso diskret wie das schrille Quietschen von Bremsen. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er am Steuer.

Schon rein äußerlich glich er einem Butler, wie er eigentlich nur noch in einschlägigen Filmen oder Fernsehserien zu finden ist. Er trug einen schwarzen Zweireiher, schwarze Hosen, ein Hemd mit einem Eckkragen und einen schwarzen Binder. Auf seinem Kopf thronte eine schwarze Melone.

»Man wollte mich umbringen«, beschwerte sich Agatha Simpson.

»Sie sehen mich überrascht, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, ohne jedoch Bestürzung zu zeigen. Er nahm noch nicht mal andeutungsweise den Kopf herum.

»Man wollte mich vergiften«, steigerte die Detektivin anklagend.

»Das zeugt nicht von Lebensart, Mylady, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf.«

»Mehr haben Sie dazu wohl nicht zu sagen?« Wie Donnergrollen klang die Stimme der älteren Dame.