Candida: Ein Mysterium in drei Akten - Bernard Shaw - E-Book

Candida: Ein Mysterium in drei Akten E-Book

Bernard Shaw

0,0

Beschreibung

Candida: Ein Mysterium in drei Akten Bernard Shaw - Candida, eine Komödie des Dramatikers George Bernard Shaw, wurde 1894 geschrieben und erstmals 1898 als Teil seiner Plays Pleasant veröffentlicht. Die Hauptfiguren sind der Geistliche James Morell, seine Frau Candida und ein junger Dichter, Eugene Marchbanks, der versucht, Candidas Zuneigung zu gewinnen. Das Stück hinterfragt viktorianische Vorstellungen von Liebe und Ehe und fragt, was sich eine Frau wirklich von ihrem Mann wünscht. Der Kleriker ist Christsozialist, was Shaw selbst ein Fabian Socialist erlaubt, politische Themen, die zu dieser Zeit aktuell waren, in die Geschichte einzubinden. Shaw versuchte in den 1890er Jahren, eine Londoner Inszenierung des Stücks aufzuführen, scheiterte jedoch, aber es gab zwei kleine Provinzproduktionen. Ende 1903 hatte der Schauspieler Arnold Daly jedoch einen so großen Erfolg mit dem Stück, dass Shaw 1904 schrieb, dass New York "einen Ausbruch von Candidamania" erlebte. Das Royal Court Theatre in London führte das Stück 1904 in sechs Matineen auf. Das gleiche Theater inszenierte von 1904 bis 1907 mehrere andere Stücke von Shaw, darunter weitere Wiederaufnahmen von Candida.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 117

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernard Shaw
Candida: Ein Mysterium in drei Akten

PUBLISHER NOTES:

✓ BESUCHEN SIE UNSERE WEBSITE:

LyFreedom.com

CANDIDA

Ein Mysterium in drei Akten

George Bernard Shaw

Übersetzt von Siegfried Trabitsch

PERSONEN

Pastor Jakob Morell Candida, seine Frau Burgess, ihr Vater Alexander Mill, Unterpfarrer Proserpina Garnett, Maschinenschreiberin Eugen Marchbanks, ein junger Dichter

Ort der Handlung: Die St. Dominikpfarre, Viktoriapark, London E.

Zeit: Oktober 1894.

ERSTER AKT

(Ein schöner Oktobermorgen im nordöstlichen Viertel Londons. In diesem ausgedehnten Bezirk sind die Seitengässchen viel weniger schmal, schmutzig, übelriechend und stickig als in dem viele Meilen entfernten London von Mayfair und St. James. Hier spielt sich besonders das unelegante Leben der Mittelklassen ab. Die breiten, dichtbevölkerten Strassen sind mit hässlichen eisernen Bedürfnisanstalten, radikalen Klubs und Trambahnlinien, auf denen Ketten von gelben Wagen endlos einziehen, reichlich versehn. Doch Sind die Hauptverkehrsadern mit grasbewachsenen Vorgärtchen verziert, von denen man nur den kleinen Streifen betritt, der vom Pförtchen zur Haustür führt. Jene Strassen werden durch die stumm geduldete Eintönigkeit sich meilenweit erstreckender hässlicher Ziegelbauten, schwarzer Eisengitter, Steinpflaster und Schieferdächer arg entstellt. Anständig aber unmodern oder gemein und ärmlicb gekleidete Leute, die an dieses Viertel gewöhnt sind und sich zumeist in aufreibender Weise für andere plagen müssen, ohne sich für ihre Arbeit zu interessieren, bilden ihre Bewohner. Das bisschen ihnen gebliebene Energie und Eifer gipfelt in der Habgier des Londoner Cockneys und in der Begierde, ihr Geschäft vorwärts zu bringen. Selbst die Schutzleute und die Kapellen sind nicht selten genug, die Eintönigkeit zu unterbrechen. Die Sonne scheint klar, es ist nicht neblig, und obgleich der Rauch sowohl die Gesichter und Hände als auch die Mauern aus Ziegelstein und Mörtel verhindert, frisch und rein zu sein, so ist er doch nicht schwarz und schwer genug, um einen Londoner zu belästigen.)

(Diese reizlose Wüste hat ihre Oase. Am äussersten Ende der Hackneystrasse ist ein durch ein hölzernes Pfahlwerk abgeschlossener Park von 270 Morgen angelegt. Er enthält Rasenplätze, Bäume, einen Teich zum Baden, Blumenbeete, die Triumphe der vielbewunderten Cockney-Kunst der Teppichgärtnerei sind, und eine Sandgrube, die ursprünglich zur Belustigung der Kinder vom Meeresufer importiert, aber schleunigst verlassen wurde, als sie sich in eine natürliche Ungezieferbrutstätte für die ganz kleine Fauna von Kingsland, Hackney und Hoxton verwandelte. Ein Orchester, ein kleines Forum für religiöse, antireligiöse und politische Redner, Cricketplätze, ein Turnplatz und ein altmodischer Steinkiosk bilden die Hauptanziehungspunkte. Wo die Aussicht von Bäumen oder grünen Anhöhen begrenzt wird, ist es ein hübscher Aufenthaltsort. Wo sich aber der Boden flach bis zu dem grauen Lattenzaun hinzieht und man Ziegel und Mörtel, Reklameschilder, zusammengedrängte Schornsteine und Rauch gewahrt muss die Gegend (im Jahre 1894), trostlos und hässlich genannt werden.)

(Die beste Aussicht auf den Viktoriapark gewinnt man von den Frontfenstern der St. Dominikpfarre; von dort sieht man auf keinerlei Mauerwerk. Das Pfarrhaus steht halb frei, mit einem Vorgarten und einer Vorhalle. Besucher benützen die Stufen, die auf die Veranda führen, Geschäftsleute und Familienmitglieder geben durch eine Tür unterhalb der Treppe in das Erdgeschoß, wo ein Frühstückszimmer nach vorne liegt, das zu allen Mahlzeiten dient; die Küche liegt hinten. Oben, auf einem Niveau mit der Flurtür, befindet sich das Empfangszimmer mit seinem breiten Fenster aus geschliffenem Glas, das auf den Park hinausführt.)

(Hier, in dem einzigen Raume, der von den Familienmahlzeiten und den Kindern verschont bleibt, vollbringt der Pfarrer, Reverend Jakob Mavor Morell, sein Tagewerk. Er sitzt in einem starken drehbaren Stuhl mit runder Lehne am Ende eines langen Tisches, der dem Fenster gegenübersteht, so daß er sich durch einen Blick über die linke Schulter an der Aussicht auf den Park erfreuen kann. Am Ende des Tisches, an diesen anstoßend, befindet sich ein zweiter Tisch, der nur halb so breit ist und eine Schreibmaschine trägt.—Seine Schreiberin sitzt davor mit dem Rücken gegen das Fenster. Der große Tisch ist unordentlich mit Zeitungen, Broschüren, Briefen, Schubladeeinsätzen, einem Notizheft, einer Briefwage und ähnlichen Dingen bedeckt. In der Mitte steht ein übriger Stuhl für die Besucher, die mit dem Pfarrer geschäftlich zu tun haben. Seiner Hand erreichbar steht eine Papierkassette und eine Photographie in einem Rahmen. Die Wand hinter ihm ist mit Bücherregalen zugestellt. Die theologische Richtung des Pfarrers kann ein Sachverständiger an: Maurices "Theologischen Essays" und einer vollständigen Ausgabe der Browningschen Gedichte erkennen, seine politischen Reformideen an einem gelbrückigen Band "Fortschritt und Armut", den "Essays der Fabier", dem "Traum John Bulls" von William Morris, dem "Kapital" von Marx und einem halben Dutzend anderer grundlegender sozialistischer Bücher. Dem Pfarrer gegenüber, auf der andern Seite des Zimmers in der Nähe der Schreibmaschine, ist die Tür. Weiter hinten, dem Kamin gegenüber, steht ein Bücherbrett auf einem Spind, daneben ein Sofa. Ein starkes Feuer brennt im Kamin und davor steht ein bequemer Lehnstuhl, ferner ein schwarz lackierter, blumenbemalter Kohleneimer auf der einen Seite und ein Kindersessel für einen Knaben oder ein Mädchen auf der anderen. Der hölzerne Kaminsims ist lackiert, und in den kleinen Feldern der nett geformten Fächer sind winzige Spiegelgläser eingelegt, und eine Reiseuhr in einem Lederetui (das unvermeidliche Hochzeitsgeschenk) steht darauf. An der Wand darüber hängt eine große Autotypie der Hauptfigur aus Tizians Assunta. So sieht der Kamin sehr einladend aus. Im ganzen gesehen ist es das Zimmer einer guten Hausfrau, die, was des Pastors Arbeitstisch betrifft, an etwas Unordnung gewöhnt ist, aber trotzdem die Situation vollkommen beherrscht. Die Einrichtung verrät in ihrem ornamentalen Aussehen den Stil der in den Zeitungen annoncierten "Saloneinrichtung" des unternehmenden Vorstadtmöbelhändlers; aber es ist nichts Zweckloses oder Aufdringliches in dem Zimmer. Die Tapeten und die Täfelung sind dunkel und lassen das große helle Fenster und den Park draußen kräftig hervortreten.)

(Hochwürden Jakob Mavor Morell ist ein christlich-sozialer Geistlicher der anglikanischen Kirche und ein aktives Mitglied der Gilde von "Sankt Matthäus" und der "Christlich Socialen Union". Ein starker, freundlicher, allgemein geachteter Mann von vierzig fahren, kräftig und hübsch, voll Energie und mit liebenswürdigen, herzlichen, rücksichtsvollen Manieren, mit einer gesunden, natürlichen Stimme, die er mit der wirkungsvollen Betonung eines geübten Redners benutzt. Er verfügt über einen großen Wortschatz, den er vollkommen beherrscht. Er ist ein vorzüglicher Geistlicher, fähig, was er will zu wem er will zu sagen und die Leute abzukanzeln, ohne sich über sie zu ärgern, ihnen seine Autorität aufzudrängen, ohne sie zu demütigen und, wenn es sein muß, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen, ohne dabei zu verletzen. Die Quelle seiner Begeisterung und seines Mitgefühls versiegt niemals auch nur für einen Augenblick; er ißt und schläft noch immer ausgiebig genug, um die tägliche Schlacht zwischen Erschöpfung und Erholung glänzend zu gewinnen. Dabei ist er ein großes Kind, verzeihlicherweise eitel auf seine Fähigkeiten und unbewust selbstgefällig. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, eine schöne Stirn mit etwas plumpen Augenbrauen, glänzende und lebhafte Augen, einen energischen Mund, der nicht besonders schön geschnitten ist, und eine kräftige Nase mit den beweglichen, sich blähenden Nasenflügeln des dramatischen Redners, die aber wie alle seine Züge der Feinheit entbehrt.)

(Die Maschinenschreiberin, Fräulein Proserpina Garnett, ist eine flinke kleine Person von ungefähr dreißig Jahren, sie gehört der unteren Mittelklasse an, ist nett, aber billig mit einem schwarzen Wollrock und einer Bluse bekleidet, ziemlich vorlaut und naseweis und nicht sehr höflich in ihrem Benehmen, aber empfindungsfähig und teilnahmsvoll. Sie klappert emsig auf ihrer Maschine drauf los, während Morell den letzten Brief seiner Morgenpost öffnet. Er durchfliegt seinen Inhalt mit einem komischen Stöhnen der Verzweiflung.)

(Proserpina.) Wieder ein Vortrag?

(Morell.) Ja. Ich soll nächsten Sonntagvormittag für die Freiheitsgruppe von Hoxton sprechen. (Er betont mit großer Wichtigkeit "Sonntag", weil das der unvernünftige Teil des Verlangens ist.) Was sind das für Leute?

(Proserpina.) Ich glaube, kommunistische Anarchisten.

(Morell.) Es sieht den Anarchisten ähnlich, nicht zu wissen, daß sie am Sonntag keinen Pastor haben können. Schreiben Sie ihnen, sie sollen in die Kirche kommen, wenn sie mich hören wollen, das kann ihnen nicht schaden! Und fügen Sie hinzu, daß ich nur Montags und Donnerstags frei bin. Haben Sie das Vormerkbuch da?

(Proserpina hebt das Vormerkbuch auf:) Ja!

(Morell.) Ist irgendeine Vorlesung für nächsten Montag angesetzt?

(Proserpina im Vormerkbuch nachschlagend:) Der radikale Klub von Tower Hamlet.

(Morell) Nun, und Donnerstag?

(Proserpina.) Die englische Bodenreform-Liga.

(Morell.) Was dann?

(Proserpina.) In der Gilde von Sankt Matthäus am Montag. In der unabhängigen Arbeitervereinigung, Abteilung Greenwich, am Donnerstag; am Montag darauf in der soziademokratischen Föderation, Abteilung Mile End; am folgenden Donnerstag ist die erste Konfirmationsklasse. (Ungeduldig:) Ach, ich will lieber schreiben, daß Sie überhaupt nicht kommen können; es sind doch nur ein halbes Dutzend unwissende und eingebildete Hausierer, die miteinander keine fünf Schilling haben.

(Morell belustigt:) Ah, aber bedenken Sie, es sind nahe Verwandte von mir, Fräulein Garnett.

(Proserpina ihn anstarrend:) Verwandte von Ihnen?

(Morell.) Ja! Wir haben denselben Vater—im Himmel.

(Proserpina erleichtert:) Oh, weiter nichts?

(Morell mit einer Melancholie, die einem Manne Genuß ist, dessen Stimme sie schon so schön auszudrücken vermag:) Ah, Sie glauben das auch nicht,—jedermann sagt es, niemand glaubt es, niemand! (Schnell zu seinem Gegenstande zurückkehrend:) Gut, gut! Na, Fräulein Proserpina, können Sie keinen Tag für die Hausierer finden, wie ist's mit dem fünfundzwanzigsten,—der war noch vorgestern frei.

(Proserpina aus dem Vormerkbuch:) Auch vergeben—an die Fabier.

(Morell.) Hol' der Geier die Fabier! Ist der achtundzwanzigste gleichfalls vergeben?

(Proserpina.) Bankett in der City. Sie sind von den Hüttenbesitzern zum Speisen eingeladen.

(Morell.) Das geht, ich werde eben statt dessen nach Hoxton gehen. (Sie trägt diese Verpflichtung schweigend ein, mit unerschütterlicher Verachtung gegen diese Hoxtoner Anarchisten, die sich in jeder Linie ihres Gesichtes spiegelt. Morell reißt das Streifband eines Exemplars des "Church Reformer" ab, das mit der Post angekommen ist, und überfliegt den Leitartikel Stewart Hedlams und die Mitteilungen der Gilde von Sankt Matthäus. Diese Vorgänge werden alsbald durch das Erscheinen des Unterpfarrers Morells, Alexander Mill, unterbrochen. Er ist ein junger Mensch, den Morell von der nächsten Missionstelle der Universität bezogen hat, wohin er von Oxford gekommen war, um dem East-End von London die Wohltat seiner akademischen Bildung angedeihen zu lassen. Er ist ein eingebildeter, gutgesinnter, unreifer Mann, von enthusiastischer Natur. Nichts absolut Unausstehliches ist in seinem Wesen außer der Gewohnheit, um eine gezierte Sprache zu erzielen, mit sorgsam geschlossenen Lippen zu reden und eine Menge Vokale schlecht auszusprechen, als ob dies das Hauptmittel wäre, die Bildung Oxfords unter den Pöbel Hackneys zu tragen.)

(Morell, den er durch eine hündische Unterwürfigkeit für sich gewann, blickt nachsichtig von seiner Lektüre im "Church Reformer" auf und bemerkt:) Nun, Lexi, wieder verschlafen, wie gewöhnlich?

(Mill.) Leider ja. Ich wollte, ich könnte des Morgens leichter aufstehen.

(Morell freut sich der eigenen Energie:) Ha, ha! (launig:) "Wache und bete", Lexi, "wache und bete".

(Mill.) Ich weiß. (Er benützt diese Gelegenheit sofort, um einen Witz zu machen.) Aber wie kann ich wachen und beten, wenn ich schlafe; —hab' ich nicht recht, Fräulein Prossi?

(Proserpina scharf:) Fräulein Garnett, wenn ich bitten darf.

(Mill.) Entschuldigen Sie, Fräulein Garnett.

(Proserpina.) Sie müssen heute alle Arbeit allein erledigen. (Mill.) Warum?

(Proserpina.) Fragen Sie nicht, warum. Es wird Ihnen wohl bekommen, Ihr Abendbrot einmal zu verdienen, bevor Sie es essen, wie ich es täglich tue. Los, trödeln Sie nicht. Sie sollten schon seit einer halben Stunde unterwegs sein.

(Mill starr:) Spricht sie im Ernst, Herr Pastor?

(Morell in bester Laune—seine Augen glänzen:) Ja. Heute werd' ich einmal bummeln.

(Mill.) Sie? Sie wissen ja nicht, wie man das macht.

(Morell herzlich:) Ha, ha! Weißichdasnicht? Diesen Tag will ich ganz für mich haben, oder doch wenigstens den Vormittag! Meine Frau kommt nämlich zurück, um elf Uhr fünfundvierzig soll sie hier eintreffen.

(Mill erstaunt:) Schon zurück—mit den Kindern? Ich dachte, sie wollte bis Ende des Monats fortbleiben.

(Morell.) So ist es. Sie kommt nur für zwei Tage her, um für Jimmy etwas Flanellwäsche einzukaufen und um zu sehen, wie wir hier ohne sie fertig werden.

(Mill ängstlich:) Aber lieber Herr Morell, wenn das, was Jimmy und Flussy gefehlt hat, wirklich Scharlach war, halten Sie es für klug?—

(Morell.) Unsinn, Scharlach! Masern waren es, ich habe sie selbst von der Pycroftstraße aus der Schule nach Hause gebracht; ein Pastor ist wie ein Arzt, mein Lieber, er muß der Ansteckung ins Auge sehen können wie ein Soldat den Kugeln. (Er erbebt sich und schlägt Mill auf die Schultern.) Trachten Sie, Masern zu bekommen, wenn Sie können; Candida wird Sie dann pflegen, und was für ein Glücksfall wäre das für Sie, —was?

(Mill unsicher lächelnd:) Es ist schwer, Sie zu verstehen, wenn Sie über Frau Morell sprechen.—

(Morell weich:) Mein lieber Junge, seien Sie erst verheiratet! Verheiratet mit einer guten Frau, und dann werden Sie mich verstehen. Es ist ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns in dem himmlischen Reich erwartet, das wir uns auf Erden zu gründen versuchen. Dann werden Sie sich schon das Bummeln abgewöhnen! Ein braver Mann fühlt, daß er dem Himmel für jede Stunde des Glücks ein hartes Stück selbstloser Arbeit zum Wohle seiner Mitmenschen schuldig ist. Wir haben ebensowenig das Recht, Glück zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen, als Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben. Suchen Sie sich eine Frau wie meine Candida, und Sie werden immer Schuldner sein, wieviel Sie auch abzahlen. (Er klopft Mill liebevoll auf den Rücken und ist im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Mill ihn zurückruft.)

(Mill.) Oh, warten Sie einen Augenblick, ich vergaß… (Morell bleibt stehen und wendet sich um, die Türklinke in der Hand.) Ihr Herr Schwiegervater wird hierherkommen, er hat mit Ihnen zu sprechen. (Morell schließt die Tür wieder, mit vollkommen verändertem Wesen.)

(Morell überrascht und nicht erfreut:) Burgess?

(Mill.) Ja! Ich traf ihn mit jemandem im Park, in eifrigem Gespräch. Er sprach mich an und bat mich, Sie wissen zu lassen, daß er hierherkommt.

(Moroll halb ungläubig:) Aber er ist seit Jahren nicht hier gewesen. Sind Sie sicher, Lexi? Sie scherzen doch nicht etwa?—

(Mill ernst:) Nein, Herr Pastor, ganz bestimmt nicht!

(Morell nachdenklich:) Hm, hm, er hält es an der Zeit, sich wieder einmal nach Candida umzusehen, ehe sie gänzlich aus seinem Gedächtnis verschwindet. (Er fügt sich in das Unvermeidliche und geht hinaus; Mill sieht ihm mit begeisterter, närrischer Verehrung nach. Fräulein Garnett, die Mill nicht schütteln kann, wie sie möchte, läßt ihre Gefühle an der Schreibmaschine aus.)