Candlelight Inn – Herzchaos - Barbara Bretton - E-Book
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Candlelight Inn – Herzchaos E-Book

BARBARA BRETTON

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Beschreibung

Wenn jeder Morgen nach Schokoladen-Cookies duftet: Die Kleinstadtromanze »Candlelight Inn – Herzchaos« von Barbara Bretton als eBook bei dotbooks. Das verträumte Paradise Point an der Küste von Maine ist ein echtes Kleinstadtparadies – der Buschfunk ist meist schneller als die Post und herzlicher Klatsch und Tratsch stehen ganz oben auf der Tagesordnung. Daher sind alle völlig aus dem Häuschen, als sich Maddy Bainbridge, die Besitzerin des kleinen Candlelight Inn, in ihren stetigen Konkurrenten Aiden O’Malley verliebt, den charmanten Besitzer des Irish Pubs. Und weil sowieso gerade ein Filmteam in Paradise Point drehen will, steht für alle fest: eine Hochzeit vor laufender Kamera, das wäre doch etwas … ganz egal, ob Maddy und Aidan die Idee gut finden oder nicht. Doch das Scheinwerferlicht enthüllt plötzlich allerhand Geheimnisse, die nicht nur die Gefühle der beiden auf eine harte Probe stellen, sondern auch wie ein Wirbelsturm durch die ansonsten so beschauliche Küstenstadt fegen … »Bücher voller Magie.« Romantic Times Book Reviews Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Cosy-Romance-Roman »Candlelight Inn – Herzchaos« von Bestseller-Autorin Barbara Bretton ist der zweite Band der kuscheligen »Candlelight Inn«-Reihe. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Das verträumte Paradise Point an der Küste von Maine ist ein echtes Kleinstadtparadies – der Buschfunk ist meist schneller als die Post und herzlicher Klatsch und Tratsch stehen ganz oben auf der Tagesordnung. Daher sind alle völlig aus dem Häuschen, als sich Maddy Bainbridge, die Besitzerin des kleinen Candlelight Inn, in ihren stetigen Konkurrenten Aiden O’Malley verliebt, den charmanten Besitzer des Irish Pubs. Und weil sowieso gerade ein Filmteam in Paradise Point drehen will, steht für alle fest: eine Hochzeit vor laufender Kamera, das wäre doch etwas … ganz egal, ob Maddy und Aidan die Idee gut finden oder nicht. Doch das Scheinwerferlicht enthüllt plötzlich allerhand Geheimnisse, die nicht nur die Gefühle der beiden auf eine harte Probe stellen, sondern auch wie ein Wirbelsturm durch die ansonsten so beschauliche Küstenstadt fegen …

»Bücher voller Magie.« Romantic Times Book Reviews

Über die Autorin:

Barbara Bretton wurde 1950 in New York City geboren. 1982 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, dem bis heute 40 weitere folgten, die regelmäßig die Bestsellerlisten eroberten. Ihre Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Sie lebt mit ihrer Familie in Princeton, New Jersey.

Bei dotbooks veröffentlichte Barbara Bretton auch den ersten Band ihrer »Candlelight Inn«-Reihe: »Candlelight Inn – Liebeszauber«. Außerdem erscheint bei dotbooks ihre »Shelter Rock Cove«-Reihe mit den Romanen »Ein Traum für jeden Tag« und »Ein Sommer am Meer«.

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eBook-Neuausgabe August 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »Chances Are« bei Berkley Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Kirschblütenherzen« bei Weltbild.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2004 by Barbara Bretton

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2010 Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Jennie Book / David Barren / violetkaipa / Artiste2d3d / Jay Yuan / Inga Locmele / MM_photos

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-623-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Barbara Bretton

Candlelight InnHerzchaos

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ingeborg Dorsch

dotbooks.

Kapitel 1

Paradise Point, New Jersey

Drei Wochen auf den Tag, nachdem Maddy Bainbridge ihre Verlobung mit Aidan O’Malley bekannt gegeben hatte, fand sie sich halb entkleidet und unter Kuratel in der Brautmodenabteilung von Saks in Short Hills wieder, im Kreise der Ihren und dem ihrer zukünftigen Schwiegerfamilie sowie einer PBS-Produktionsassistentin vom örtlichen Rundfunksender namens Crystal, deren Tattoos nur noch durch die Anzahl ihrer Piercings übertroffen wurde.

Ihre Mutter hatte erklärt, sie wolle sie anlässlich der bevorstehenden Hochzeit zum Essen ausführen, zu einem tollen, lustigen Treffen von Familie und Freunden, um sie alle an der guten Neuigkeit teilhaben zu lassen. Ihr Gaumen hatte sich schon ganz auf diese sagenhaften Hühnchen-Burritos der Casa Mexicana in Spring Lake eingestellt, und sie war völlig entgeistert, als sie an der Ausfahrt vorbei und weiter in Richtung Norden fuhren. Bei der Aussicht auf einen dieser grässlichen Spa-Lunches … drei Salatblätter an einer Kirschtomate, begleitet von schlechtem Gewissen … wünschte sie, sie hätte zusätzlich zur derzeitigen Lieblingsbarbie ihrer Tochter Hannah noch eine Tüte Chips in ihre Handtasche gesteckt.

Wie sich allerdings herausstellte, wäre ein Spa-Lunch noch wesentlich besser gewesen als das, was ihre Mutter tatsächlich beabsichtigte.

»Wo bringt sie meine Kleider hin?«, begehrte Maddy auf, als eine mordsmäßig herausgeputzte Mitarbeiterin des Bekleidungshauses mit ihrem Lieblingsbaumwollpulli und den Jeans verschwand.

»Reg dich nicht auf«, sagte Rose DiFalco zu ihrer Tochter. »Das ist die einzige Möglichkeit, dich daran zu hindern, die Flucht zu ergreifen.«

Ihre modebewusste Tante Lucy ließ ihren kritischen Blick über Maddys nahezu nackte Gestalt streifen. »Kennt Aidan diese Unterwäsche?«, fragte sie, und die versammelten Tanten, Cousinen und zukünftigen Anverwandten brachen in Gelächter aus. Crystal, die Produktionsassistentin, stand an der Tür und gab sich redliche Mühe, nicht aufzufallen, was ihr, angesichts der Szene aus Herr der Ringe, die der Länge nach auf ihren rechten Arm tätowiert war, nicht so recht glücken wollte.

»Dreh dich mal um«, verlangte Cousine Gina von Maddy. »Ich würde gerne sehen, ob auf deinem Hinterteil ›Montag‹ eingestickt ist.«

Der Traum, den sie kürzlich hatte – der, in dem sie nackt in einem Laden stand –, kam ihr nun ziemlich voraussehend vor. Wieso sie auf einem mit rosa Velours bezogenen Podest vor ihren nächsten und liebsten – und zukünftigen – Anverwandten stand – bekleidet mit einem baumwollenen Slip und einem BH aus vorsintflutlicher Epoche, konnte selbst ein Gelehrter des Talmud nicht beantworten.

Sie war eine erwachsene Frau. Sie hatte ein Kind. Sie hatte einen Abschluss von einer angesehenen Universität. Sie hatte es geschafft, Arbeit und Liebesleben in Einklang zu bringen mit den beiden nicht minder anspruchsvollen Aufgaben, Tochter und Mutter zu sein, doch von dem Augenblick an, als sie Aidan ihr Jawort gegeben hatte, schien es, als hätte sie die Kontrolle über ihr Leben einer allumfassenden Macht, Hochzeit genannt, überantwortet.

Die Fragen nahmen kein Ende. Wie viele Brautjungfern? (Vergiss deine Cousinen nicht, Maddy.) Kirche oder Hotel? (Was ist verkehrt am Candlelight?) Lassen wir das Essen kommen, oder machen wir ein gehobenes Buffet? (Sollten wir nicht Tante Lucy fragen, ob sie den Kuchen bäckt?) Eine Band hier aus dem Ort oder ein Orchester aus der Stadt? (Willst du denn nicht deinen Cousin Benny bitten, bei deiner Hochzeit zu singen?) Langes Kleid mit kurzer Schleppe oder kurzes Kleid mit langer Schleppe oder eine noch nie dagewesene Kombination aus allem? Man musste sich Gedanken über die Blumen und das Menü machen, über die Sitzordnung und darüber, wie die gedruckten Einladungen aussehen sollten, doch egal, was man machte, man durfte auf keinen Fall zulassen, dass die Familie sich in die Frisur, das Make-up oder das Wachsen der Bikinizone à la Brazil der zukünftigen Braut einmischten.

Als Gina sie fragte, ob sie registriert sei, dauerte es eine Sekunde, bis Maddy begriff, dass es um die Hochzeitsgeschenke ging und nicht um die Amerikanische Hundezüchtervereinigung.

Sekunden, nachdem sie von den Hochzeitsplänen ihrer Tochter erfahren hatte, war Rose bereits telefonisch mit einer Unzahl von Informationsquellen verbunden, um sich Bands anzuhören, um Besichtigungstermine für Ballsäle auszumachen und um sich mit ihrer Schwester Lucy wegen der absolut vorrangigen Frage des Kleides zu besprechen.

In der Regel war Maddy höchst zufrieden, das Radarsystem ihrer Mutter zu unterfliegen, doch allmählich fühlte sie sich als Gast auf ihrer eigenen Hochzeit.

Wieso klärte einen niemand darüber auf, dass es der leichtere Teil der Geschichte war, seinen Seelenfreund zu finden?

Sich in Aidan zu verlieben war so einfach gewesen wie zu atmen. Gerade war sie noch durchs Leben gegangen, bestrebt, die bestmögliche Mutter zu sein, und im nächsten Moment schwebte sie irgendwo im siebten Himmel, wahnsinnig verliebt, und träumte von einem mit Rosen überwucherten Häuschen und einer Satellitenschüssel auf dem Dach. So wie sie es sich vorstellte, vollzog sich der Übergang von Verlöbnis zu Hochzeit nahezu unmerklich, mit höchstens ein paar wohlgesetzten Worten in einer kleinen Kirche, während eine Handvoll ihrer Nächsten und Liebsten sich die Augen abtupften und ihr Glück wünschten.

Pustekuchen. Ihre eigene Sippschaft hatte nicht die leiseste Ahnung von ihren Gedanken. Zusammengenommen waren Großmutter Fays Mädchen sechzehnmal den Gang zum Altar entlanggeschritten, was ganze sechzehn Verlobungsessen, sechzehn Brautpartys, sechzehn Einkaufstouren zu jedem größeren Hochzeitsausstatter im Dreiländereck und sechzehn Hochzeitsempfänge mit Lachen und Musik bedeutete und dem Versprechen, dass es diesmal für ewig sein würde.

Das Problem war nur, es hielt nie ewig. Es trat sogar einmal der denkwürdige Umstand ein, dass die Ehe kaum die Hochzeitsfeierlichkeiten überdauerte. Als Tante Toni das Messer ergriff, um die sechsstöckige Hochzeitstorte von Weinstock anzuschneiden, hörte man, wie dreihundert geladene Gäste den Atem anhielten und beteten, der Bräutigam möge keine falsche Bewegung machen.

Sie überlegte, ob wohl jemand auf die Idee kommen würde, diese Anekdote Peter Lassiter, dem Historiker und Journalisten, zu erzählen, der zurzeit Geschichten aus Paradise Points Vergangenheit für eine Dokumentation über New Jerseys Küstenstädte zusammentrug. Im selben Moment, als Lassiter erfuhr, dass eine DiFalco einen O’Malley heiraten würde, begann seine journalistische Vorstellungskraft auf Hochtouren zu laufen, und er wob seine Chronik rund um die bevorstehende Hochzeit. Die beiden ältesten Familien der Stadt, deren Unternehmen das nördliche und das südliche Ende von Paradise Point bildeten, beabsichtigten, sich vor Mensch und Gott und einigen von PBS besten Kameraleuten zu vereinen. Maddy hatte ein paar Vorgespräche mit Lassiters Untergebenen über sich ergehen lassen, lange und mühsame Frage-und-Antwort-Sitzungen, die Einzelheiten zutage förderten, die nicht einmal ihre eigene Mutter interessant fand. Aidan, den man nicht immer als den umgänglichsten Mann in der Stadt bezeichnen konnte, hatte es bis zur Hälfte seines ersten Interviews geschafft, ehe er die Sache auf eine etwas heftige Art beendete.

»Ich wette, das kommt auch in die Dokumentation«, hatte sie ihn wegen seiner nicht druckreifen Antwort geneckt. Ein Vorgespräch hatte schon in seiner alten Feuerwache stattgefunden, mehr dem Andenken seines toten Bruders geschuldet, als dem Wunsch, sein Gesicht von einer Kamera abgelichtet zu sehen. Sie konnte ihm nicht verübeln, dass er sich nicht erneut einem ausführlichen Gespräch über den Lagerhausbrand aussetzen wollte, der seinen Bruder vor etwa drei Jahren das Leben gekostet hatte. Aidan, der schwer verletzt worden war, war – eine Woche nach Billys Beerdigung – in seinem Krankenhauszimmer für seine Tapferkeit bei der Bekämpfung des Feuers mit einer Feier geehrt worden, ein Umstand, den sie erst von Claire erfahren hatte.

Die Familien O’Malley und DiFalco hatten sich in den frühen Zwanzigerjahren in Paradise Point niedergelassen, Einwandererfamilien, deren einziger Pluspunkt war, dass sie nichts mehr zu verlieren hatten. Nach jahrzehntelangen Anstrengungen konnten beide Familien endlich die Früchte von achtzig Jahren mühevoller Arbeit ernten. Die Stadt war damals noch keine Stadt, sondern nur ein Streifen Sand und Hoffnung mit ein paar baufälligen viktorianischen Häusern mit Blick auf den Strand, eine Erinnerung an bessere Zeiten.

Unter Aidans Führung strebte O’Malley’s Bar and Grill mit Riesenschritten ins einundzwanzigste Jahrhundert und hatte seit Menschengedenken zum ersten Mal ein Quartal mit Gewinn verbucht.

Doch dieser Erfolg war gar nichts, verglichen mit dem, was Maddys Mutter Rose absahnte, seitdem sie die heruntergekommene Pension ihrer verstorbenen Mutter Fay in das bestbesuchte Bed and Breakfast an der Ostküste verwandelt hatte. Es war sogar schon die Rede davon gewesen, die Frühstückspension nebenan zu kaufen und sie auf den Stand des Candle-light zu bringen, doch bis jetzt hatte Rose diesbezüglich noch nichts unternommen. Maddy war davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit sei. Fürs Geldverdienen hatte ihre Mutter ein Händchen.

Von all den DiFalco-Cousinen war es nur Maddy gelungen, dreißig zu werden, ohne eine Scheidung hinter sich zu haben. »Du brauchst gar nicht so selbstgefällig dreinzuschauen«, hatte ihr ihre Cousine Gina letzte Woche im O’Malley’s bei Nachos und Margaritas vorgeworfen. »Das liegt nur daran, dass du Tom nie geheiratet hast. Du warst mit ihm sechs Jahre zusammen, ehe ihr euch getrennt habt – und das ist länger als meine beiden Ehen zusammengenommen –, doch im Ernst, meine Kleine: Er ist eben doch gegangen. Wenn du mich fragst, ich finde, auch du hältst die Familientradition aufrecht.«

Nicht gerade etwas, was Maddy unbedingt hören wollte, doch seit wann hatte sich Gina – oder übrigens sonst jemand ihrer Verwandten – schon Gedanken über die Empfindsamkeit anderer gemacht? Maddy liebte sie alle heiß und innig, doch hin und wieder wurde sie mit der Nase darauf gestoßen, wieso sie fünfzehn Jahre einen ganzen Kontinent weit von ihren wohlgemeinten Bemerkungen entfernt zugebracht hatte. Maddys einzige ernste Beziehung war kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Hannah zu Ende gegangen, und mit ihr auch der Traum, eine Familie zu gründen mit dem Mann, den sie liebte.

Doch dann, eines Tages, änderte sich alles. Maddy verabschiedete sich von ihrem alten Leben in Seattle und zog mit Hannah zurück nach Paradise Point, wo sie sich in Aidan O’Malley verliebte, und das Objekt ihrer Zuneigung erwiderte ihre Gefühle tausendfach. Von all den Überraschungen, die das Schicksal für sie aus dem Hut zaubern konnte, war dies die größte.

Sie ließ ihren Blick durch das große Ankleidezimmer streifen und zählte schnell die Anzahl der Personen. »Wo ist Hannah?«, fragte sie Rose, bemüht, ruhig und gelassen zu klingen, während Visionen ihrer fünfjährigen Tochter, wie sie reihenweise Zehntausenddollarroben vernichtete, ihre Knie weich werden ließen.

Rose blickte von dem Stoffmusterbuch auf, das sie gerade durchgesehen hatte. »Kelly hat sie entdeckt, wie sie Purzelbäume über einem Stapel Brautjungfernkleider schlug.«

»Du lieber Himmel …«

»Sie hat sich Hannah geschnappt und ist mit ihr Eisessen gegangen.«

Gott segne ihre zukünftige Stieftochter dafür, dass sie immer wusste, was zu tun war.

»Die Brautjungfernkleider?« Sie machte sich auf einiges an Schaden gefasst.

»Alles bestens«, erwiderte Rose, deren Aufmerksamkeit zwischen ihrer Tochter und einer Bahn elfenbeinfarbenem Satins geteilt war. »Das Kind ist einfach sehr lebhaft. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

Vor einem Jahr noch hätte Maddy sich nicht einer scharfzüngigen Antwort enthalten können, doch die Zeiten hatten sich geändert. Inzwischen zählte sie bis drei, ehe sie den Mund aufmachte.

»Hast du die Preisschilder auf den Sachen gesehen? Hannah ist imstande, durch ein ganzes Jahresgehalt Purzelbäume zu schlagen, während ich hier in meiner Unterwäsche herumstehe und darauf warte, dass irgend so eine schnippische Verkäuferin mir einen Haufen …«

»Da bin ich schon«, verkündete die schnippische Verkäuferin, als sie in ihre Mitte trat, die Arme voller Kleider. »Ich habe drei in Größe achtunddreißig und eines in vierzig gebracht … für alle Fälle.«

Die Tanten Toni und Connie wechselten vieldeutige Blicke. Maddy war nahe daran, ihnen zu erklären, sie zöge ihre gepolsterten Hüften jederzeit deren hängenden Wangen vor, bezweifelte aber, dass irgendjemand außer Cousine Gina ihre Bemerkung witzig finden würde.

Mach, dass ich hier raus kann, war ihre stumme Bitte an Gina, als sie ein rüschiges weißes Etwas überstreifte, das besser zu einer Scarlett O’Hara gepasst hätte als zu einem über dreißigjährigen Jersey-Girl.

Zu spät, bedeutete ihr Gina grinsend und schulterzuckend. »Da mussten wir alle durch«, flüsterte ihr Tante Lucy ins Ohr, während sie Maddy half, die zu enge Korsage zuzuknöpfen. »Das Schlimmste ist fast schon überstanden.«

Na klar. Den möchte ich hören, der das sagt, wenn er in Unterwäsche dasteht.

Rose, ihre als praktisch und nüchtern veranlagt bekannte Mutter, die Frau, die ihr als Erste sagen würde, es sei Zeit, ein paar Kalorien einzusparen, hielt ihr einen engen elfenbeinfarbenen Schlauch hin, der wie ein cremefarbenes Band aussah. »Das würde dir hervorragend stehen.«

»Meiner rechten Hüfte vielleicht.«

»Probier es an.«

»Kommt gar nicht infrage.«

»Madelyn, du kannst ein Kleid nicht beurteilen, solange es auf dem Bügel hängt.«

»Das schon. Es ist zu klein.«

»Ich bin sicher, es wird passen.«

»Sie hat wahrscheinlich recht, Rosie«, ließ sich Tante Toni vernehmen. »Du probierst besser eins in vierzig oder zweiundvierzig an.«

»Ärmellos?«, gab Tante Connie zweifelnd zu bedenken. »Keine Frau über fünfunddreißig sollte etwas Ärmelloses tragen.«

»Ich bin dreiunddreißig«, verwahrte sich Maddy und betete um einen wohlgesetzten Blitzschlag oder ein kleines Erdbeben, das dieser haarsträubenden Szene ein Ende bereiten würde.

»Wie dem auch sei, bei einer Größe über achtunddreißig zeigt man seine Arme nicht mehr.« Tante Connie ließ sich nicht davon abbringen, und ihr Blick heftete sich auf Maddys nicht ganz so perfekte Oberarme, wie der eines Jagdhundes auf eine Ente. »Fall erledigt.«

»Das Fettabsaugen hat wahre Wunder an deinem Doppelkinn vollbracht, Connie«, bemerkte Tante Lucy mit einem frechen Grinsen. »Zu schade nur, dass Dr. Weinblatt auch noch den Rest deines Gehirns mit abgesaugt hat.«

Gina kicherte so laut, dass es auch noch in Pennsylvania zu hören war, und Denise und Pat drehten sich schnell um, damit sie niemand lachen sehen konnte. Lucy und Connie lagen schon länger im Clinch miteinander, als sich jemand erinnern konnte. Das Alter hatte wenig dazu beigetragen, die geschwisterliche Rivalität abzumildern, die seit mehr als sechzig Jahren zwischen ihnen bestand.

Maddy entdeckte plötzlich Aidans Schwägerin Claire im großen Spiegel des Ankleidezimmers. Claire wirkte sowohl belustigt als auch etwas pikiert wegen der Familienzwistigkeiten, doch sie stieg wenigstens nicht in dieses verbale Ping-Pong-Spiel ihrer Verwandtschaft ein. Und dennoch wirkte Claire, als wäre ihr etwas nicht recht. Maddy konnte es zwar nicht benennen, doch trotz des Lachens und der Witzeleien spürte sie es.

Claire schien sie eigentlich gemocht zu haben, bevor sie und Aidan ihre Verlobung bekannt gaben, aber von dem Moment an, als Maddy mit dem Ring am Finger erschienen war, hatte sich Claire merklich frostig ihr gegenüber verhalten, und Maddy tat, sehr zu ihrer eigenen Verwunderung, diese Kälte weh.

Es musste schwer sein für Claire zuzusehen, wie Aidan sich nach all den Jahren als alleinstehender Vater eine neue Familie aufbaute, während sie noch immer versuchte, sich mit einem Leben ohne ihren umgekommenen Ehemann Billy abzufinden. Aidans Bruder, der bei der Feuerwehr gewesen war, war vor drei Jahren bei besagtem Brand ums Leben gekommen, und hatte Claire mit fünf Kindern, einem bis unters Dach beliehenen Haus und einer heruntergekommenen Bar im Arbeiterviertel der Stadt zurückgelassen.

Wer wollte es der Frau verübeln, dass es ihr schwerfiel, mit ganzem Herzen an den Hochzeitsvorbereitungen teilzunehmen? Trotzdem stellte Maddy fest, dass ihr die alte, klugscheißerische Claire fehlte. Sie hatten sich zwar nicht sehr nahegestanden, doch das Potenzial für eine Freundschaft war vorhanden gewesen.

Claire wandte sich etwas zur Seite, und ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Maddy schnitt eine Grimasse, und Claire lächelte freundlich zurück. Es war die Art von Lächeln, das man der Frau hinter sich in der Schlange am Geldautomaten schenkte. Unpersönlich. Schnell vergessen. Trotzdem aber war es besser als der Eishauch, der Maddy in letzter Zeit aus der Richtung ihrer zukünftigen Schwägerin entgegengeweht war, und sie war dankbar dafür.

Unglücklicherweise beging sie genau in diesem Moment den tragischen Fehler, tief zu seufzen, und der oberste Knopf sprengte die Schlaufe und schoss quer durch das Ankleidezimmer auf Tante Toni zu.

Volltreffer.

Toni riss die Hand vor ihr rechtes Auge und heulte auf. »Man hat auf mich geschossen!«

Es würde mehr als eines Blitzes oder eines kleineren Erdbebens bedürfen, um Maddy würdevoll davonkommen zu lassen. »Tante Toni, es tut mir ja so leid. Mein – äh, mein Knopf ist weggeplatzt.«

Toni blickte Maddy wütend durch ihre gespreizten Finger an. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst eins in vierzig anprobieren, oder nicht?«

»Ma!« Ginas Gesichtsausdruck war nachgerade mörderisch. »Kannst du jetzt mal Ruhe geben?«

»Ich brauche einen Arzt«, erklärte Toni, ohne sich von ihrer Tochter beirren zu lassen. »Dieser Knopf schoss wie eine Kugel durchs Zimmer! Er hätte mich das Auge kosten können.«

»Um Himmels willen, Ma.« Nun war Denise an der Reihe. »Er hat dich überhaupt nicht berührt. Ich sah, wie er deinen Ring traf und dann an dir vorbeiflog.«

»Meine eigenen Töchter glauben mir nicht.« Toni wandte sich Unterstützung suchend an ihre Schwestern. »Ist das der Dank für alles, was ich für sie getan habe? Ich hätte tot sein können, und sie stehen nur da und behaupten, es sei nichts geschehen.«

Gina zog ihr Handy heraus und öffnete es. »Du hast recht, Ma. Du hast Glück, dass du nicht tot bist. Es könnte sich tatsächlich um einen Mordversuch handeln. Ich ruf die Polizei an, damit du Anzeige erstatten kannst.« Sie zwinkerte Maddy zu. »Tod durch Knopf von Brautkleid. Das wird sich morgen früh auf der ersten Seite des Star-Ledger hervorragend machen.«

Toni schnaubte beleidigt. Sie hatte im Lauf der Jahre ausreichend Gelegenheit zum Üben gehabt, und so war sie spitze darin. »Ich verstehe sowieso nicht, wieso wir hierher nach Short Hills fahren mussten. Wir hätten zur Hochzeitsscheune in Freehold fahren sollen. Die sind spezialisiert auf Übergrößen.«

»Das reicht«, erklärte Rose und riss die Türen des riesigen Ankleidezimmers auf. »Alle raus!«

»Du wirfst uns raus?« Toni war völlig entgeistert.

»Was hab ich denn getan?«, fragte Connie. »Ich bin es doch nicht, die die Polizei rufen will.«

»Hinaus!«, wiederholte Rose. »Alle miteinander.«

Maddy raffte ihre voluminösen Röcke und stieg vom Podest herab. »Das brauchst du mir nicht zweimal zu sagen.«

»Du nicht«, erklärte Rose und packte sie fest am Handgelenk. »Die anderen alle.«

Die Tanten und Cousinen murrten zwar, aber sie wussten, dass Rose es ernst meinte. Crystal, die Produktionsassistentin, unternahm einen heldenhaften Versuch, sich Rose zu widersetzen, gab sich aber schnell – wenn auch widerwillig – geschlagen. Claire allerdings schien richtig dankbar.

»Meine Schwestern sind riesengroße Ärsche«, sagte Rose, als sie die Tür hinter dem weitläufigen DiFalco-Clan plus zwei schloss. »Sollte ich je daran gezweifelt haben, haben sie es heute erneut bewiesen.«

»Da kann ich dir nicht widersprechen.«

»Knöpfe platzen ständig ab.«

»Klar tun die das«, erwiderte Maddy trocken. »Jedes Mal, wenn man versucht, eine Frau mit Größe vierzig ohne Schuhlöffel in ein Kleid in Größe achtunddreißig zu zwängen.«

»Nimm doch einen abgeplatzten Knopf nicht wichtiger als nötig.«

Du hast leicht reden, Rosie. Du bist ja auch nicht diejenige, deren Cellulitis zur Schau gestellt wurde.

»Ich habe Größe vierzig. Mein ganzes Leben hatte ich schon Größe vierzig. Warum sollte ich so tun, als hätte ich achtunddreißig, wenn es nicht so ist? Ich kann damit leben, wieso dann die anderen nicht?«

»Lucy war es mehr um den Stil gegangen als um die Passform, Madelyn. Sie können sich um die Passform kümmern, sobald du dich für ein Kleid entschieden hast.«

Maddy holte tief Luft, und zwei weitere Knöpfe prasselten auf den Boden. Jetzt war der richtige Moment. »Ma, was das Kleid betrifft …«

Rose half mit, die verspielte Korsage von den Schultern ihrer Tochter zu ziehen. »Ganz und gar nicht dein Stil. Da stimme ich dir vollkommen zu.«

Ein weiterer tiefer Atemzug. Gott sei Dank gab es keine Knöpfe mehr, die abspringen konnten. »Ich fürchte, keines von all diesen ist es.«

Maddy entledigte sich des Kleides. Rose nahm es ungewöhnlich gelassen in Empfang und griff nach dem großen gepolsterten Kleiderbügel.

»Du hast erst ein Kleid anprobiert, Madelyn. Ich finde, du solltest nicht so schnell die Hoffnung aufgeben.«

»Ma, das alles geht mir etwas zu schnell. Ich bin mir nicht sicher, ob Aidan und ich überhaupt eine große Hochzeit wollen.«

»Deine Hochzeit ist schon in vier Monaten.« Rose hängte das Kleid auf den Bügel und an die Stange in der Ecke. »Wäre es nicht an der Zeit, sich zu entscheiden?«

Vier Monate, drei Wochen und elf Tage. Die Buchhalterin in ihr behielt alles genauestens im Auge. »Ich dachte, wir könnten einfach noch ein bisschen länger verlobt sein, ehe wir mit der Planung der Hochzeit beginnen.«

»Ich verstehe«, erwiderte Rose, obwohl Maddy klar war, dass sie dies eben nicht tat, »aber wenn du vorhast, Ende September zu heiraten, dann müssen wir jetzt mit dem Planen beginnen.«

»Es ist noch nicht einmal Juni, Ma. Wir haben noch viel Zeit.«

»Die besten Lokalitäten werden schon Jahre im Voraus gebucht. Wir sind jetzt schon im Verzug.«

»Dann planen wir eben keine große Hochzeit.« Schachmatt! »Wir machen nur eine kleine, intime Feier.«

Das musste man ihrer Mutter lassen, Rose verzog keine Miene. »Eine große Hochzeit ist der Traum jeder Braut.« Eine kurze Pause. »Vor allem, wenn die Braut einer großen Familie entstammt.«

»Die DiFalcos haben schon mehr als genug Hochzeiten erlebt. Noch eine würde in der Menge doch nur untergehen.«

»Wir haben weiß Gott mehr Hochzeitsgeschenke als nötig an deine Cousinen verteilt. Es wird Zeit, dass wir jetzt welche bekommen.«

Eine diplomatische Frau hätte sich in ihre Ecke zurückgezogen, um den Kampf an einem anderen Tag fortzusetzen, doch alte Gewohnheiten sind schwer abzulegen. Die Worte ihrer Mutter erweckten den in Maddy schlummernden Teenager, den gleichen, der Roses Leben vor langer Zeit so schwer wie möglich gemacht und jede Minute davon genossen hatte.

»Aidan meint, wir sollten durchbrennen.«

Diesmal wandelte sich Roses Gesichtsausdruck von überrascht zu geschockt und dann von geschockt zu entrüstet. »Ich kann nur hoffen, dass dies deine Art ist, einen Witz zu machen.«

Oh Gott. Warum hatte sie das bloß gesagt? Eine Handgranate hätte weniger Unheil anrichten können als diese fünf Worte. »Er – äh, er meinte, wir sollten Kelly und Hannah mitnehmen und nach Vegas fliegen.« Das nächste Mal, wenn jemand für totale Ehrlichkeit plädierte, würde sie diesen fürchterlichen Augenblick erwähnen.

»Ich hatte ihn für klüger gehalten.«

Sie wollte schon hinzufügen, dass Aidan dies wahrscheinlich scherzhaft gemeint hatte, doch die Bemerkung ihrer Mutter hatte sie getroffen. »Also, ich halte es eigentlich für eine recht gute Idee. Du würdest eine Menge Geld sparen, und ich müsste nicht in meiner Unterwäsche herumstehen, während sich deine Schwestern über mein Hinterteil lustig machen.«

»Deine Tanten sind nun mal so. Bekäme ich ein Fünfcentstück für jede Beleidigung, die auf mich abzielt, wäre ich Besitzerin jeder Frühstückspension von hier bis Maine. Du bist einwandfrei zu dünnhäutig, Madelyn. Warst du schon immer.«

»Offensichtlich ist meine Haut das Einzige an mir, das zu dünn ist.«

Rose ließ kurz den Blick über sie gleiten. »Tja, du hast ein paar Pfunde zugelegt seit Weihnachten.«

»Danke«, fauchte Maddy. »Lauter tröstliche Worte seitens der Mutter der Braut. Vergiss nur nicht, Crystal meine Maße zu geben, damit sie sie in ihrer Dokumentation verwenden kann.«

»Ich habe nicht gesagt, dass es unvorteilhaft aussieht. Du bist groß. Du verträgst es.«

»Klar tu ich das«, entgegnete Maddy. »Ich hätte wohl das mittelalterliche Korsett übersehen sollen, das die Verkäuferin mir gebracht hat.«

»Die passende Unterbekleidung ist das A und O einer festlichen Robe.«

»Ich brauche wirklich keine Unterweisung in Hüftgürteln, Mutter.«

»Ich habe nie gesagt, du bräuchtest einen Hüftgürtel. Hochzeitskleider brauchen eine gewisse Unterfütterung. Entweder man lässt Fischbeinstäbe in das Kleid einnähen, oder man trägt ein Strapsbustier. Das gehört eben zu dem Ganzen dazu.«

»Vielleicht will ich aber das Ganze gar nicht.«

»Es handelt sich um einen Tag in deinem Leben, Madelyn. Es geht doch um die Familie.«

»Nein, geht es nicht«, blaffte Maddy zurück. »Es sollte um Aidan und mich gehen. Um niemand sonst.«

Rose wandte sich ab, doch Maddy hatte schon das Glitzern in ihren Augen gesehen. Ihre Mutter weinte nie. Das einzige Mal, als sie Rose hatte weinen sehen, war an jenem fürchterlichen Tag im letzten Jahr, als sie Hannah ins Krankenhaus bringen mussten und es so aussah, als würden sie sie verlieren. Es war ein Tag heftiger Gefühle gewesen, voller Zorn, Schuld und Angst. Und danach die fast als strafend empfundene Erleichterung, als Hannah ihnen wiedergegeben wurde.

»Ma«, sagte Maddy, hin- und hergerissen zwischen Zorn und Schuldgefühlen, »wein doch nicht.« Sie rang sich ein Lachen ab. Sie fühlte sich nackt und verletzbar, wie sie so dastand in ihrer schäbigen baumwollenen Unterwäsche. Mehr Kind ihrer Mutter als Mutter eines eigenen Kindes. »Besorg einen Schuhlöffel. Ich werde versuchen, mich in das Kleid zu zwängen, wenn dir so viel daran liegt.«

»Nicht nötig«, sagte Rose, als sie sich wieder zu Maddy umdrehte. Die Tränen hatten der wohlbekannten stählernen Entschlossenheit Platz gemacht, die Maddy dazu gebracht hatte, sofort nach der Highschool bis ans andere Ende des Landes zu flüchten. »Es ist schon fast halb zwei. Ich glaube, wir alle könnten jetzt ein Mittagessen vertragen.«

»Aber warum machen wir nicht …«

»Ich hole deine Kleider.«

Maddy saß in der Falle. Rose war schon halb zur Tür hinaus, und es war klar, dass Maddy ihr in BH und Slip nicht folgen würde. Sie konnte nur warten, bis die schnippische Verkäuferin Rose ihren Pulli und die Jeans übergab, und sich dann zum Rest des Clans zum Lunch gesellen.

Mitgefangen, mitgehangen.

Ein Lieblingsmotto der DiFalcos.

»Ich habe ein Priscilla-of-Boston-Modell gefunden, mit angeschnittenen Ärmeln, das Ihrer Tochter bestimmt hervorragend stehen würde.« Die Verkäuferin, deren unauffälliges Namensschild sie als Dianne auswies, deutete auf einen Vulkan elfenbeinfarbenen Satins und gleichfarbiger Spitze, der auf die wulstige Chaiselongue drapiert war. »Und das in Größe vierzig, immerhin. Sie können sich ja nicht vorstellen, wie schwierig es ist, etwas Anständiges in Größen über achtunddreißig zu finden. Wir geben uns die größte Mühe, auch die etwas fülligere Braut zufriedenzustellen, aber …« Ihr Seufzen über die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen klang nicht sehr überzeugend. »Was soll ich sagen? Die meisten unserer Kundinnen unterziehen sich einem straffen Trainingsprogramm, vor allem, je näher der große Tag rückt.«

Miststück.

»Wir lassen die Sache für heute gut sein«, erklärte Rose und brachte ein höfliches Lächeln zustande, obwohl sie eigentlich diesem Weib das Herz aus dem Leib reißen wollte. »Doch trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe.«

»Sie hat aber nur ein Kleid anprobiert.«

»Richtig«, erwiderte Rose freundlich.

»Man kann doch aufgrund eines einzigen Kleides keine Entscheidung treffen.«

»Natürlich«, stimmte Rose ihr zu. Wenn es etwas gab, das Rose als Wirtin zur Perfektion gelernt hatte, dann war es die Kunst des Sichverstellens. »Deshalb machen wir auch für heute Schluss und gehen essen.«

Das stark mit Botox aufgespritzte Gesicht der Verkäuferin ließ etwas erkennen, das einer menschlichen Regung ähnelte. Es war überraschend, wie es ihr gelang, mit so wenigen beweglichen Teilen im Gesicht derartige Verachtung auszudrücken.

»Darf ich noch fragen, wie ihr das Modell von Wang gefallen hat?« Sie schlug einen Notizblock auf und nahm die Kappe von ihrem Stift ab. »Ich führe Buch über die Vorlieben der zukünftigen Bräute.«

»Das finde ich großartig«, erwiderte Rose. »Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?«

»Bitte, gerne. Ich freue mich über Anregungen.«

»Nächstes Mal versuchen Sie, die zukünftige Braut nicht mit der Größenangabe auf dem Etikett zu beleidigen. Ist schlecht fürs Geschäft, meine Liebe, und noch schlechter für das Selbstvertrauen der jungen Frau.«

Das war zwar nicht der linke Haken, den sie gerne angebracht hätte, doch der verbale Schlag auf das Kinnimplantat war fast genauso befriedigend. Rose hatte das Gesicht ihrer Tochter gesehen, als sich das Gespräch um Kleidergrößen und schlaffe Muskeln drehte, und sie wünschte sich inständig, sie hätte das Ganze besser durchdacht, bevor sie diesen katastrophalen Einkaufstrip geplant hatte. Es war eine Sache für Rose, den zunehmenden Taillenumfang ihrer Tochter oder deren Geschmack in puncto Kleidung sanft zu kritisieren. Aber es war eine ganz andere Sache, wenn irgendjemand anders an so etwas auch nur zu denken wagte.

Rose wurde zur Löwin, wenn es um Maddy oder um Hannah ging. Die Tiefe ihrer Liebe machte ihr sogar manchmal Angst. Sie machte sie vom Leben, vom Schicksal verwundbar; und bei einer Frau wie Rose schürte das deren tiefste Ängste. Als man bei ihr vor fünf Jahren Brustkrebs diagnostizierte, galt ihr erster Gedanke ihrer Tochter. Sie hatte vor sehr langer Zeit damit aufgehört, zur Messe zu gehen, doch am Tag vor ihrer Operation fand sie sich plötzlich in der letzten Reihe von Unsere liebe Frau von Lourdes wieder, betete aber nicht für sich selbst, sondern dafür, dass ihrer Tochter ein gleiches Schicksal erspart bleiben möge.

»Die Kleider meiner Tochter«, herrschte sie die Verkäuferin an, und empfand auf einmal das dringende Bedürfnis, diesem parfümierten, riesigen Salon zu entkommen.

Obwohl offensichtlich war, dass es zu keinem Kauf kommen würde – vor allem nicht heute –, blieb die Verkäuferin trotz der entschwindenden Provision professionell. Rose war beeindruckt. »Ich werde sie ihr sofort bringen.«

Auf einmal sah sie ihre Tochter so, wie sie eine Verkäuferin nie würde sehen können. Ihren schönen Körper, nicht mehr der Körper eines Mädchens, sondern der einer Frau. Einer Mutter. Die kaum sichtbaren silbrigen Linien auf ihrem Bauch und ihren Brüsten. Die weichen Rundungen, die eine Geburt und das Stillen eines Kindes mit sich brachten. Maddy war nie in ihrem Leben schöner oder durch die Kritik anderer verletzbarer gewesen.

Und sie, Rose, hätte es besser wissen sollen, als ihr Kind diesem auszusetzen.

»Ich nehme sie mit«, sagte sie und wartete, während die Verkäuferin die ausgeblichenen Jeans und den handgestrickten Pullover aus irgendeinem Kabuff weit entfernt von den Wang-, Acra- und Priscilla-Modellen holte.

Lucy schickte vom anderen Ende der Brautmodenabteilung einen Blick mit hochgezogener Augenbraue in Richtung Rose, während ihre anderen Schwestern böse Gesichter machten und sich abwandten. Es war genauso wie vor fünfzig Jahren, als sie sich wegen eines Tellerrocks oder wegen des Nachbarsjungen gezankt hatten. Sie stritten nun nicht mehr über Kleider oder Männer – Gott sei’s gedankt –, doch alles andere auf dem Erdball war ein gefundenes Fressen, allem voran ihre Kinder.

Kinder waren sie natürlich inzwischen nicht mehr. Bis auf Maddy waren alle ihre Töchter bereits verheiratet, geschieden und wieder verheiratet. Es gab sogar schon Anzeichen dafür, dass sie ihre Mütter in diesem Heirats-Bäumchenwechseldich übertreffen würden, indem sie es auf eine Häufigkeit brachten, die einem das Herz brechen konnte, würde man lange genug darüber nachdenken. Es wäre Maddys erster Gang zum Altar, und Rose wollte, dass dieser Tag für sie so feierlich und außergewöhnlich würde, wie es ein Hochzeitstag nur sein konnte. Doch am meisten wünschte sie sich, dass es eine gute Ehe würde, eine, die immer stärker, inniger würde, lange nachdem die Hochzeitsalben schon weggepackt worden waren.

Die Verkäuferin kam mit Maddys Kleidern zurück. Rose bedankte sich und ging damit in das Ankleidezimmer.

Maddy hockte in einer Ecke der Chaiselongue auf der Kante zwischen einem Ballen schneeweißer Spitze und einem Stapel Musterbüchern. Sie hob den Kopf, als sie die Tür gehen hörte, und wandte sich ab, als sie Rose dort mit ihren Jeans und ihrem Pulli stehen sah.

Rose gab ihr die Kleider. »Ich dachte mir, du hättest wahrscheinlich inzwischen genug von unserer Freundin Dianne.«

Maddy zog den hellgelben Baumwollpulli über den Kopf und zupfte ihn zurecht. »Danke.«

»Wir warten bei den Autos auf dich.«

»Okay.«

Rose hielt an der Tür kurz inne. »Dieser Einkaufsausflug war wohl doch keine so gute Idee.«

»Wirklich?«, erwiderte Maddy. »Wo ich mich doch so amüsiert habe.«

Rose hätte sich gerne entschuldigt. Die Worte »Es tut mir leid« lagen ihr auf der Zunge, doch sie brachte es nicht über sich, sie laut auszusprechen. Musste man sich dafür entschuldigen, das Beste für sein Kind zu wollen? War es ein Kapitalverbrechen, von einer Bilderbuchhochzeit zu träumen, wie sie einer Prinzessin zugestanden hätte?

»Lass dir nicht zu viel Zeit«, sagte Rose stattdessen. »Es gibt nur bis zwei Essen bei Bernino’s, und es ist noch ein gutes Stück bis dorthin.«

»Etwas, worauf man sich freuen kann«, murmelte Maddy, als Rose die Tür hinter sich schloss.

Stecken und Stein bricht dein Gebein, doch Worte können dir nichts anhaben.

Derjenige, der das gesagt hat, hatte offensichtlich keine Kinder.

Kapitel 2

Claire Meehan-O’Malley musste alle ihr zu Gebote stehende Selbstkontrolle aufbieten, um vor Rose nicht auf die Knie zu fallen und ihren Cocktailring zu küssen. Sie war nahe daran gewesen, einen Herzanfall vorzutäuschen, um aus diesem giftgeschwängerten Ankleidezimmer zu entkommen, als Rose kurzerhand die ganze Bande hinauswarf, und das keine Sekunde zu früh.

Claire hatte immer gedacht, ihre eigene Familie hätte den Markt für Verhaltensgestörte fest im Griff, doch nachdem sie die DiFalcos persönlich und aus nächster Nähe erlebt hatte, musste sie zugeben, dass es einen neuen Bewerber um den ersten Platz gab. Verglichen mit den DiFalcos waren die Meehans und die O’Malleys ausgesprochene Amateure.

Diese beiden alten Kühe Connie und Antoinette schienen einen Countdown bis zum nächsten Kampf zu zählen. Claire lief ihnen ein paarmal die Woche über den Weg und hörte sich jedes Mal ein Dankgebet aussprechen, dass sie niemals einer von beiden morgens am Frühstückstisch gegenübersitzen musste. Kein Wunder, dass ihre Familien so kaputt waren. Generation um Generation von DiFalco-Frauen gelang es mit tödlicher Sicherheit, sich die falschen Männer auszusuchen.

Claire wollte niemanden verurteilen. Die DiFalco-Cousinen waren ein ganz netter Haufen – die meisten von ihnen jedenfalls –, aber ihre romantischen Eskapaden und Fehlgriffe waren, in manchen Fällen zumindest, etwas für das Stadtarchiv. Maddys Geschichte dagegen war weit weniger extravagant, doch auch ihr war es nicht gelungen, die Pechsträhne ihrer Familie in puncto Liebesglück zu unterbrechen.

Gina und Denise standen flüsternd neben einem Arrangement von mit strassbesetzten Manolo Blahniks, die mehr als Claires monatliche Hypothekenrate kosteten. Als Claire sich dann zwischen den Vera-Wang-Kleidern und den Manolos umsah, stieg ihr plötzlich der unverwechselbare Geruch von Geld in die Nase. Was tat sie eigentlich hier? Saks war nun mal nicht ihre Art von Geschäft. Sie konnte in diesem Laden nicht einmal eine Strumpfhose kaufen, geschweige denn das Outfit für eine Hochzeitsparty. Und falls die Brautjungfern nicht doch noch bei Target eingekleidet würden, müsste sie einen Weg finden, dieses Privileg mit Anstand abgeben zu können, oder ihrer Jüngsten erklären, dass der Besuch eines College leider nicht mehr zur Debatte stünde.

»Ich weiß nicht, wofür sie sich eigentlich hält«, stellte Connie laut genug fest, dass es jeder auf der Etage hören konnte. »Sie kann uns doch nicht rauswerfen. Der Laden gehört ihr doch nicht.«

»Sieh dir mal mein Auge an.« Toni hielt Claire ihr Gesicht unter die Nase. »Ist da irgendwo Blut?«

Keine von beiden schien es auch nur im Geringsten zu stören, dass sich das tätowierte Mädchen von PBS, neben einem Modell von Badgley Mischka stehend, eifrigst Notizen machte.

Claire wollte schon etwas Unfreundliches und wahrscheinlich Unverzeihliches sagen, als sich die Tür des Ankleidezimmers öffnete und Rose zum zweiten Mal erschien.

»Madelyn wird uns in der Parkgarage treffen, und dann fahren wir zum Essen zu Bernino’s.« Sie ließ ihren Blick in die Runde schweifen und zählte im Geiste die Köpfe. »Kelly und Hannah sind noch immer nicht zurück?«

»Ich hab sie nicht gesehen«, erwiderte Lucy stirnrunzelnd. Connie und Toni wandten ihnen den Rücken zu und ignorierten das ganze Gespräch.

»Kelly wollte mit Hannah Eisessen gehen«, erklärte Rose. »Ob wohl jemand …«

Das brauchte man Claire O’Malley nicht zweimal zu sagen. Sie ergriff die Gelegenheit beim Schopf.

»Ich suche sie«, erklärte sie, »und treffe euch dann bei den Autos.«

»Ich begleite dich«, erbot sich Lucy. »Es ist ein großes Einkaufszentrum. So können wir uns aufteilen.«

»So groß ist es nun auch wieder nicht«, sagte sie zu Lucy, kaum dass sie Saks verlassen hatten.

»Solange die anderen das nicht wissen, bin ich aus dem Scheider.« Sie zwinkerte Claire zu. »Glaubst du, du bist die Einzige, die ein Schlupfloch gesucht hat?«

Sie verschwanden hinter einer Gruppe riesiger Hummer, die aussahen wie mit Steroiden gemästete SUVs.

»Normalerweise sind wir gar nicht so«, erklärte Lucy, als sie gegenüber von Tiffany stehen blieben, um sich den Plan der Mall anzusehen.

»Jede Familie hat mal einen schlechten Tag«, erwiderte Claire. Bei Lucy war es leicht, großherzig zu sein, auch wenn man es nicht so meinte.

»Tatsächlich war das unser Sonntagsbenehmen.« Sie zwinkerte zu Claire hinauf. »Kaum zu glauben, nicht?«

Das stimmte, doch Claire hielt es für besser, ihre Meinung für sich zu behalten. »Meine Schwestern und ich brauchten einmal den ganzen Parkplatz von Kmart bei einer unserer Auseinandersetzungen.«

»Den bei Wildwood?«

»N…nein«, erwiderte Claire. »Den großen in der Nähe von Atlantic City.«

Lucy pfiff leise. »Ich bin beeindruckt. Ich kann mir vorstellen, dass das alle da oben mitgekriegt haben.«

»Wir haben eine ganz schöne Show abgezogen«, sagte Claire. »Meine Schwester Vicky musste danach einen Monat lang eine Perücke tragen.«

»Ich bin viel zu wohlerzogen, um nach den Einzelheiten zu fragen«, bemerkte Lucy lachend, »aber es klingt, als wären wir alle Kandidaten fürs Nachmittagsfernsehen. Hast du gesehen, wie unsere tätowierte Freundin sich Notizen gemacht hat? Mir graut, wenn ich daran denke, was meine Schwestern Peter Lassiter erzählt haben könnten.«

»Triffst du dich denn nicht heute Abend mit ihm?«, fragte Claire und bemühte sich, den vorwurfsvollen Ton aus ihrer Stimme zu verbannen. Sie hasste Peter Lassiter und seine ganze Mannschaft, die ihre Nasen in Dinge steckten, die sie nichts angingen, und Fragen stellten, die kein vernünftiger Mensch beantworten würde.

»Sieben Uhr fünfzehn«, bestätigte Lucy. »Er möchte sich die Alben von dem Kleidergeschäft ansehen, das ich an der Main Street hatte.«

»Also, das ist doch etwas, woran es sich zu erinnern lohnt«, erwiderte Claire. »Doch ich wette, du erinnerst dich nicht daran, dass ich für dich gearbeitet habe.«

»Glaubst du? Du warst mit Abstand die schlechteste Verkäuferin, die ich je hatte.«

Claire zuckte zusammen. »Im Umgang mit Menschen hatte ich damals noch einiges zu lernen.«

»Du hast meine Schwester Rose aussehen lassen wie Madeleine Albright.«

»Hab ich mich jemals dafür bedankt, dass du mir geholfen hast, den Job in der Bäckerei zu bekommen?«

»Ja«, sagte Lucy, »und meine Kunden auch. Das waren drei der längsten Tage meines Lebens.«

Claire musste lachen. Lucy beleidigte sie nicht. Es war nur die Wahrheit, an die sie sich gern erinnerte. »Für mich auch«, räumte sie ein.

»Meine Mutter erklärte mir ohne Umschweife, ich müsste mir das Geld für das Kleid für meinen Abschlussball selbst verdienen oder ich müsste auf ihn verzichten. Ich dachte mir, wenn ich für dich arbeiten würde, bekäme ich einen Mitarbeiterrabatt. Kein Mensch hatte mir verraten, dass man einen Hochschulabschluss in ›Psychologie des Abnormen‹ benötigt, um Kleider zu verkaufen.«

»Warum glaubst du wohl, hab ich mich mit meiner Nähmaschine und der Schneiderpuppe im Arbeitsraum versteckt? Da draußen war es nämlich gefährlich.«

»Mir scheint, ich hatte Glück, diesen dritten Tag lebend zu überstehen.«

»Ich hoffe, ich habe dir den Rabatt trotzdem gegeben.«

»Hast du«, bestätigte Claire. »Und du hast mir auch noch ein herrliches Paar Satinhandschuhe zu dem Kleid geliehen.«

»Das ist nun wenigstens eine Geschichte, bei der ich nichts dagegen hätte, wenn sie in der Dokumentation gebührend erwähnt würde«, erwiderte Lucy scheinbar erleichtert. »Wenn ich jetzt noch meine Schwestern und ein paar meiner Exehemänner bestechen könnte, Milde walten zu lassen, könnte ich wieder aufatmen.«

Sie plauderten noch immer angeregt über das Kleidergeschäft und Lucys Geschick als Schneiderin, als sie an der Tür der Eisdiele angelangten. Große selbst fabrizierte Schilder schmückten die Fenster und priesen die ausgefallensten Eissorten an.

»Eiscreme in Waffeltüten mit Schokostreuseln«, stellte Claire fest und konnte nur mit Mühe ihre Lust darauf verbergen. »Meinst du, wir haben genug Zeit, um uns eine Portion dieser Köstlichkeit zu gönnen?«

»Schätzchen, wenn du glaubst, ich hätte den ganzen Weg gemacht, um dann ohne eine Waffeltüte mit Erdbeereis abzuziehen, dann kennst du mich aber schlecht.«

Zu schade, dass Lucy nicht vierzig Jahre jünger war. Das war eine DiFalco, die Claire gern als Aidans neue Frau in die Familie aufgenommen hätte.

»Vanille, Waffel, Schokostreusel«, sagte sie, während sie auf die Theke zuging und in ihrer Tasche nach ein paar Münzen fischte.

Lucy winkte ab. »Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nach dem Zirkus, den meine Schwestern veranstaltet haben.«

»Ich seh mal im Nebenraum und auf der Toilette nach. Du behältst die Tür im Auge.«

»Lass dir Zeit«, riet ihr Lucy mit einem boshaften Grinsen. »Kann der Bande nicht schaden, sich in der Garage ein wenig die Beine in den Bauch zu stehen.«

TJ’s erinnerte Claire an Farrell’s, eine Eisdiele, die damals in war, als sie und Billy geheiratet hatten. Die fröhliche Ragtimemusik. Die altmodische Einrichtung des Cafés mit den Pseudozeitungsausschnitten, die an die Wand geklebt waren. Die Kellner in voluminösen weißen Hemden, schwarzen Hosen mit Hosenträgern – und sie machten einen zutiefst amerikanischen, gesunden Eindruck, dass sie sich nicht gewundert hätte, wenn sie pasteurisiert, homogenisiert und mit einem Haltbarkeitsdatum versehen gewesen wären.

Sie stand im Durchgang zum Speiseraum und betrachtete die Leute. Es war die übliche Montagsmischung. Ältliche Kunden, die wieder Kraft schöpften für den Rückweg nach Hause, eine Handvoll Mädchen im Teeniealter, die Eisbecher mit Karamellsoße aßen, junge Mütter mit ausgelassenen Kleinkindern und Babys in Windeln oder gar im Leib.

Claire wurde wehmütig zumute, als sie diese dicken Babybäuche sah. Sie war gerne schwanger gewesen. Die ganze Sache lag ihr. Sie fühlte sich besser, sie aß besser und schlief besser als je sonst in ihrem Leben, all die fünf Male, die sie schwanger war. Ihre Freundinnen beklagten sich darüber, während ihrer Schwangerschaften geschlechtslos und hässlich zu sein, doch nicht so Claire. Nie hatte sie sich reizvoller oder lebendiger gefühlt. Sogar Billy war der Unterschied aufgefallen, und ihr Liebesleben hatte eine süße Wildheit entwickelt, an die sie sich noch immer gern erinnerte.

Spät nachts, wenn ihr manchmal das Bett sehr groß und sehr leer erschien, kramte sie diese Erinnerungen hervor, staubte sie ab und versuchte, sich das Gefühl zu vergegenwärtigen, wie es war, berührt, umarmt und beinahe geliebt zu werden.

Billy und sie hatten sich große Mühe gegeben, damit es funktionierte, doch die Chancen standen von Anfang an schlecht für sie. Wenn sie vielleicht etwas älter und etwas klüger gewesen wären, hätten sie dies erkannt, ehe es zu spät war, doch in ihren ehrlichen Momenten war sich Claire bewusst, dass sie alles wieder genauso machen würde.

Ihre Beziehung war keine Märchenbuchromanze gewesen wie die von Maddy und Aidan, keine dieser mondlichtbeschienenen, verzauberten Lovestorys, die hervorragenden Stoff für Fernsehsendungen lieferten, doch sie war auch nicht schlecht gewesen. Sie hatten zusammen eine Familie gegründet, fünf wunderbare Kinder in die Welt gesetzt. Trotz allen Ärgers, trotz der Enttäuschungen waren sie eine Gemeinschaft gewesen. Sie waren eine Familie gewesen, eine richtige Familie, unvollkommen und laut, aber echt und beständig. Und aus einer Vielzahl von Gründen würde sie dies nie bereuen.

Sie verstand Frauen wie Maddy nicht, die von zu Hause auszogen und sich ein neues Leben fern von Familie und Freunden schufen. Dieser Gedanke war Claire so fremd wie für ihren Sohn Billy ein Leben ohne Fußball. Man wuchs dort weiter, wo man eingepflanzt wurde. Sicher nahm man Veränderungen vor, etwas mehr Licht, etwas mehr Wasser, vielleicht ein kluger Rückschnitt ab und zu, doch man kam zurecht. Man tat es für seine Eltern und für seine Kinder, und während man älter und ein bisschen weiser wurde, begann man zu merken, dass man es auch für sich selbst tat.

Als Maddy mit eingezogenem Schwanz nach Hause zurückkam, konnte Claire nicht umhin, sich zu fragen, ob diese Rückkehr jemals stattgefunden hätte, wenn Tom Lawler Maddy und Hannah nicht verlassen hätte. Sie war bereit, ihre Lieblingsohrringe darauf zu setzen, dass Rose DiFalcos Tochter andernfalls glücklich und zufrieden in ihrem schicken Penthaus in Seattle geblieben wäre, ohne einen Gedanken an Paradise Point zu verschwenden.

Du bist gemein, flüsterte ihr die leise und störende Stimme der Vernunft ins Ohr. Ihre beiden mittleren Töchter, Willow und Courtney, gingen direkt nach der Highschool zur Army, um sich ihr Collegestudium finanzieren zu können. Wieso sollte dies so anders sein als das, was Maddy gemacht hatte? Die Zukunft bedeutete manchmal, woanders zu landen – und mit jemandem, den man sonst nie kennengelernt hätte.

Eine der jungen Mütter sah auf und ihr Blick begegnete Claires. Sie lächelten sich über den Kopf des geräuschvoll nuckelnden Babys der Frau an, einer dieser magischen Momente der Verbindung zwischen vollkommen Fremden.

Genieße jeden einzelnen dieser Augenblicke, hätte Claire ihr gern geraten. Sie sind schon Erinnerung, noch ehe du den nächsten Atemzug tust.

Doch ihr war klar, die Frau würde ihr niemals glauben. Sie war jung und vielleicht sogar glücklich, und sie hatte alle Zeit der Welt.

Genau wie Claire vor langer, langer Zeit gedacht hatte.

»Ich will zu meiner Mommy.« Hannahs eigensinniges kleines Kinn schob sich vor, was Kelly O’Malley rasch als aufkeimenden Ärger deutete. »Ich will nicht mehr hierbleiben.«

Kelly war klug. Kelly war verantwortungsbewusst. Sie ging fast jeden Sonntag zur Messe. Dies hier war ganz und gar unmöglich. Sie hielt die Tür der Toilettenkabine mit ihrem Fuß zu und fragte sich, was sie wohl angestellt hatte, dass Gott so sauer auf sie war. Ihr fiel keine andere Erklärung dafür ein, wie es dazu kommen konnte, dass sie sich auf der Toilette von TJ-Süßwaren die Seele aus dem Leib kotzte, während ihre zukünftige Stiefschwester zusah und wahrscheinlich alles notierte.

»Es tut mir leid, Hannah«, erwiderte sie und schloss die Augen vor dem aufsteigenden Schwindelgefühl. »Das Eis muss mir wohl nicht bekommen sein.«

»Von Eis wird den Leuten nicht schlecht«, erklärte Hannah. »Von Eis geht es einem besser.«

»Nun, diesmal …« Sie begann wieder zu würgen, doch ihr Magen war längst leer. Trocken zu würgen war doch eine nette Abwechslung.

Hannah begann zu heulen, laute lang gezogene Klagelaute. Wenn es Kelly nicht so schlecht gegangen wäre, hätte sie vielleicht mitgeheult. Von allen dämlichen Gelegenheiten, bei denen einem übel werden konnte, war dies die schlimmste. Wenigstens war keine von Maddys furchterregenden Tanten da, die sie sehen konnten. Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, was sie dazu sagen würden. Sie war sich sicher, dass sie jedes Mal, wenn einer Frau unter fünfzig schlecht wurde, nach ihrer Taille spähten und hinter ihrem Rücken flüsterten. Bei dem Gedanken musste sie sich beinahe erneut übergeben, doch sie machte einen tiefen Atemzug und zwang ihren Magen, sich zu beruhigen. Es konnte einfach nicht sein. Ganz vollkommen unmöglich.

Fast unmöglich, flüsterte eine kleine Stimme. Die Nonnen hatten schon recht gehabt, als sie Enthaltsamkeit als die einzige hundertprozentige Form der Empfängnisverhütung priesen – wenn man die Jungfrau Maria außer Acht ließ. Kondome, die Pille, Diaphragmas, Spiralen, Cremes und Schaum – sie alle versagten hin und wieder.

Seltsam, wie man etwas wissen kann und gleichzeitig auch wieder nicht. Die Statistiken waren ihr jahrelang in Sexualkunde eingehämmert worden, diese verschwindend geringe Fehlerquote, die das Leben für immer ändern konnte, doch man hatte nie geglaubt, dass es etwas mit einem selbst zu tun haben könnte, oder damit, wie man sich jedes Mal fühlte, wenn er den Raum betrat und einen auf diese besondere Weise anlächelte.

So etwas passierte doch nur anderen, irgendeinem Mädchen, das nicht so klug oder vorsichtig wie man selbst ist. Jemandem, der kein Stipendium für die Columbia-Universität hatte oder einen fertigen Schlachtplan für den Rest seines Lebens.

Seth würde auch nach New York an die Columbia gehen, was so perfekt war, dass es ihr schon fast wieder Angst machte. Sie würden die vier Jahre bis zu ihrem Bachelor-Abschluss zusammen sein, dann würden sie heiraten, an der Columbia oder anderswo ihren Master machen und dann in neblig goldener Zukunft schließlich eine Familie gründen.

Hannahs Heulen ging in einen Schluckauf über. Das kleine Mädchen sah zu ihr hoch und hickste erneut. Kelly konnte nicht anders, sie musste kichern. Der ganze Tag war schon verrückt gewesen. Die furchterregenden DiFalco Tanten. Ihre eigene Tante Claire, die so aussah, als wollte sie sich verdrücken. Maddy, ihre zukünftige Stiefmutter, die man zwang, in ihrer Unterwäsche dazustehen. Und nun sie, die auf dem Boden der Toilette einer Eisdiele im versnobten Einkaufszentrum von Short Hills saß und Hannah zusah, die auf den Weltrekord im Schluckauf hinarbeitete.

Hannah hickste noch einmal und fing dann auch zu kichern an, und als Nächstes lagen sie sich in den Armen und lachten, bis sie Seitenstechen bekamen.

»Ich muss mal«, erklärte Hannah, als das Lachen verebbte. »Jetzt sofort!«

»Nur zu«, erwiderte Kelly und begann wieder zu lachen. »Wir sind ja schon in der Toilette!«

»Nein«, entgegnete Hannah deren eigensinniges Kinn wieder zu zittern begann. »Du darfst nicht hier drinnen sein, wenn ich muss.«

Kelly stand auf und klopfte sich die Rückseite ihres Jeansrocks ab. »Brauchst du Hilfe?«

Hannah schüttelte den Kopf. »Geh!«

»Ich warte draußen«, sagte Kelly und öffnete die Tür der Kabine. »Ruf mich, wenn du mich brauchst.«

Hannah drückte die Tür hinter ihr zu, und Kelly musste lächeln, als sie hörte, wie sich das kleine Mädchen mit dem Schloss abmühte.

»Schließ nicht ab, Hannah«, schlug sie ihr vor. »Ich pass auf, dass niemand reinkommt.«

Sie hielt mit der Hand die Tür zu und lehnte ihre Stirn gegen die kühle, gestrichene Oberfläche. Wenigstens drehte sich jetzt der Raum nicht mehr. Das war schon ein Fortschritt verglichen mit der Achterbahnfahrt, die begonnen hatte, kaum dass sie zwei Löffel ihrer Eiscreme verschlungen hatte. Auf dem Zeug sollte ein Warnhinweis angebracht sein. Vor allem, nachdem man sich die letzten paar Wochen fast zu Tode gehungert hatte, um dieses fabelhafte, trägerlose Kleid zum Abschlussball tragen zu können. Wahrscheinlich war das der Grund dafür, dass ihr übel geworden war. So eine Menge Eis auf leeren Magen, das würde jedermanns Verdauung durcheinanderbringen.

Und was ist mit gestern und vorgestern? Das kann man nicht auf die Eiscreme schieben.

Sie hörte das Rascheln von Papier hinter der Kabinentür, gefolgt vom Schnalzen eines Gummibandes und Gemurmel. Hannah war kürzlich fünf geworden. War das alt genug, alleine zurechtzukommen? Sie wünschte, sie könnte sich erinnern, wie es um ihre Fähigkeiten in jenem Alter bestellt war, doch es war so lange her, dass sie keine Einzelheiten mehr wusste.

»Alles in Ordnung?«, rief sie.

Hannahs Antwort ging im Geräusch der Toilettenspülung unter, und Kelly beschloss, dies als ein Ja zu interpretieren.

Kurz darauf zog Hannah an der Tür. Kelly ließ los, und die beiden marschierten zu der Wand mit den Waschbecken, wo Kelly das Kind hochhob, damit es sich die Hände waschen konnte.

»Seife«, bat Hannah und wedelte mit den Fingern. »Ich brauch mehr.«

Kelly drückte erneut auf den Spender, und ein Strahl goldener Seife schoss heraus und in Hannahs Hand.

»Wir sollten uns beeilen«, sagte sie, während sie Hannah erneut hochhielt, damit das kleine Mädchen zu dem heißen Luftstrom des Handtrockners hinaufreichen konnte. »Deine Mom wird schon eine Suchmannschaft nach uns ausgeschickt haben.«

»Ich hab mein Eis nicht aufgegessen«, erklärte Hannah mit der zwingenden Logik einer Fünfjährigen. »Es steht noch dort.«

»Wahrscheinlich ist es geschmolzen. Du kannst beim Essen ein Eis haben.«

Sie hatte es sich zum Prinzip gemacht, Kinder niemals anzulügen. Sie vergaßen zwar, wo sie ihre Schulsachen gelassen hatten, doch sie vergaßen es nie, wenn ein Erwachsener sie angelogen hatte. Sie mussten zum Essen irgendwo anhalten. Es war ausgeschlossen, dass sie den ganzen Weg nach Paradise Point mit leerem Magen zurückfuhren – nicht, wenn Tante Claire dabei war –, und jedes Restaurant in New Jersey bot Eiscreme an.

Hannah zupfte Kelly ungeduldig am Handgelenk. »Ich will jetzt gehen.«

Kelly spritzte sich am Waschbecken Wasser ins Gesicht und brachte Hannah zum Lachen, als sie ihren Kopf zur Seite neigte, um damit in den Luftstrom des Trockners zu kommen.

»Also hier findet die Party statt.« Tante Claire war in der Tür aufgetaucht, einen verwunderten Ausdruck im Gesicht. »Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«

»Hast du mein Eis gesehen?«, wollte Hannah wissen. »Ich hab es nicht aufgegessen.«

»Das hast du nicht? Wow! Meine Mädchen haben ihr Eis immer aufgegessen.« Tante Claires Blick wanderte von Hannah zu Kelly. »Wie das?«

Nein, Hannah, bitte nicht!

»Kelly war schlecht geworden, und ich musste mit ihr gehen.«

Tante Claire hatte eine Art, einen anzuschauen, die einem das Gefühl gab, sie wüsste schon, was man dachte, noch ehe man es überhaupt gedacht hatte. Als kleines Mädchen hatte Kelly oft gesehen, wie sich dieser gefährliche Blick ihrer Tante auf ihre eigenen Töchter richtete, und sie war jedes Mal dankbar dafür gewesen, dass sie keine großen, dunklen Geheimnisse zu verbergen hatte. Sie wünschte, sie könnte das auch jetzt behaupten.

»Kel?« Ihre Tante konnte mehr in ein Wort legen als irgendwer sonst, den sie kannte.

»Nicht der Rede wert«, erwiderte sie. »Das Eis ist mir nicht bekommen.«

Claire legte die Hand auf ihre Stirn und sah Kelly tief in die Augen. Kelly wäre nur zu gerne ihrem Blick ausgewichen, doch sie konnte es nicht. Die Berührung ihrer Tante war ihr so vertraut wie ihr eigener Herzschlag. Claire war immer schon da gewesen, direkt im Zentrum von Kellys Leben, so weit sie zurückdenken konnte. Claires Tür war für Kelly und ihren Dad immer offen gestanden. Es hatte immer für sie einen Platz am Tisch gegeben, sogar in der Zeit, als Claires eigenes Familienleben durcheinandergeraten war.

Das war vor langer Zeit. Kelly liebte ihre Tante von ganzem Herzen, doch Claire würde sie nie verstehen. Nicht in einer Million Jahre. Maddy schon. Sie wünschte, es wäre Maddys Hand auf ihrer Stirn, Maddys sanfte Stimme, die fragte, ob alles in Ordnung sei.

»Alles in Ordnung mit dir?«, hakte ihre Tante nach.

»Klar. Was sollte nicht in Ordnung sein?«

Claire musterte sie, was Kelly wie eine Ewigkeit vorkam, und sie hätte sich zu gerne in ihre Arme gestürzt, so wie sie es in Hannahs Alter getan hatte.

Ich habe Angst, Tante Claire … mach, dass es besser wird … mach, dass es aufhört …

Hannah drängte sich zwischen sie und zerrte am Saum von Claires hellgrünem Baumwollpulli. »Können wir jetzt gehen? Toiletten riechen komisch.«

Kelly nahm ihre zukünftige Stiefschwester bei der Hand. »Komm«, sagte sie und zwinkerte ihrer Tante zu. »Ich glaube ganz bestimmt, dass deine Großmutter zum Essen auch Eiscreme eingeplant hat.«

»Komm doch heute zum Abendessen vorbei«, lud Claire Kelly ein, während sie ihnen mit dem Ellbogen die Tür aufhielt. »Wir müssen uns unterhalten.«

»Würde ich gerne«, log Kelly, »doch heute muss ich noch in den Matheclub.«

»Dann morgen.«

»Da gehe ich zu Maddy.«

Upps. Falsche Antwort. Das Gesicht ihrer Tante schien sich jedes Mal zu versteinern, wenn Kelly Maddys Namen erwähnte.

»Dann Samstagmorgen zum Frühstück.«

»Ich würde wirklich gerne, Tante Claire, aber ich bin eine von den fünfen, die am Samstagmorgen für die Dokumentation interviewt werden. Wir sind die fünfundsiebzigste Abschlussklasse und …«

»Dann wirst du dir eben nächste Woche Zeit nehmen, Kelly Ann. Ich will wissen, was los ist.«

Kelly beugte sich zu ihr und drückte einen Kuss auf die Wange ihrer Tante. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du dir zu viele Sorgen machst?«

»Nein«, antwortete Claire und zerzauste ihr liebevoll die Haare. »Du bist die Erste.« Sie rückte den Kragen von Kellys Bluse zurecht. »Dein Vater weiß gar nicht, welches Glück er hat.«

Es schmerzte, solche Worte zu hören und zu wissen, dass sie nicht zutrafen. Immer war sie das brave Mädchen gewesen, die Leistungsorientierte, diejenige, bei der man sich darauf verlassen konnte, dass sie das Richtige tat. Als ihre Cousinen Mist bauten und in Schwierigkeiten gerieten, räumte Kelly, die Gute, die Einsen nur so ab und wurde zur Klassensprecherin gewählt. Ihre Cousinen hatten Probleme mit chaotischen Freunden, ab und zu Akne, etliche eingedellte Kotflügel und setzten sich so oder so oft über das Ausgehverbot hinweg, während Kelly mit Rückenwind davonsegelte.

Je kunterbunter es in der O’Malley-Familie zuging, desto stärker empfand Kelly den Zwang, alles richtig zu machen. Niemand verlangte Perfektion von ihr. Das brauchte auch keiner. Sie war von Anfang an so veranlagt gewesen, strebte eine idealisierte Vorstellung von sich selbst an, der sie eigentlich nie gerecht werden konnte. Das hielt sie aber nicht davon ab, es zu versuchen. Sie mochte das Gefühl von Ordnung, das aus dem Befolgen von Regeln entstand. Sie erstellte gern Listen und hakte dann jeden erledigten Punkt ab. Ihr gefiel der Gedanke, dass ihr Vater und ihre Tante sich keine Sorgen darüber zu machen brauchten, dass sie ihr Leben verpfuschen könnte, indem sie einen dummen, dummen, einmaligen Fehler machte …

Hannah beobachtete sie genau; ihre großen blauen Augen nahmen alles auf, verstauten es, bis sie nach Hause kam und es Rose und Maddy in allen Einzelheiten erzählen konnte. Von der Eiscreme angefangen bis hin zu Kelly, die die Toilettenschüssel umarmt.

Eine schöne Aussicht.

Kapitel 3

Rose hatte einen Tisch für vierzehn Personen im Hauptraum von Bernino’s Steak and Seafood Restaurant reserviert, das auf einem der vielen sanften Hügel Nordjerseys stand. Maddy trödelte noch in der Lobby, indem sie so tat, als wäre an Hannahs Ärmel etwas zu richten, bis ihre Tanten ihre Plätze an dem einen Ende der Tafel eingenommen hatten und sie sich mit ihrem kleinen Mädchen, außer Schussweite, am gegenüberliegenden niederlassen konnte.

Nur leider hätte sie sich Plätze in Delaware suchen müssen, um deren Aufmerksamkeit zu entgehen.

»Das Mädchen isst seinen Brokkoli nicht.« Tante Toni unterstrich ihre Bemerkung mit einer schwunghaften Bewegung ihrer gut beladenen Gabel. »Sie vergeudet die guten Sachen.«

Tante Connie nickte weise. »Ich habe keines meiner Kinder je aufstehen lassen, bevor sie ihr Gemüse aufgegessen hatten.«

»Womit sich wahrscheinlich die Zunahme an Essstörungen in Paradise Point erklären ließe«, flüsterte Gina Maddy ins Ohr.

»Du bist unhöflich, Gina.« Toni funkelte ihre Tochter böse über den Tisch an. »Sag das, was du zu Maddy gesagt hast so, dass es alle hören können.«

Ginas Lächeln war scheinheilig harmlos. »Ich habe Maddy nur von damals erzählt, wie du und Vater O’Donnell unter …«