Castel del Amore - Thomas P. Martin - E-Book

Castel del Amore E-Book

Thomas P. Martin

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Beschreibung

Das Arschgeweih als Relikt der 90er Jahre verblasst auf dem Steiß einer aufgedunsenen weißen Frau, während ihre bessere Hälfte auf dem Balkon dem Alkoholismus frönt. Er und sie lieben sich. Und so wie jeden Dienstag, werden sie auch heute ihre Sexualität in unästhetischen & rumpeligen Bewegungen vollziehen. Nach all den Jahren funktioniert das erschreckend gut und beide genießen das Zusammenspiel der verfallenen Körper. Trotz aller menschlicher Makel ist dieses Paar durch ein festes Band miteinander verbunden. Doch bei einem erotischen Abenteuer verliert er, der er gefangen ist in Sozialisation, Riten und Denkverboten, seinen Kompass. Sein Leben und seine Beziehung wanken und er und seine Lebensgefährtin erleben eine turbulente Reise durch Sexualität, Zeitgeist, Schmerz und Liebe.

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Seitenzahl: 217

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


Kapitel 1 – Die Jugend
Kapitel 2 – Die Mitmenschen
Kapitel 3 – Das Leben
Kapitel 4 – Die Frau
Kapitel 5 – Die Arbeit
Kapitel 6 – Die Vorfreude
Kapitel 7 - Die Vorstellung
Kapitel 8 - Die Aktion - Reaktion
Kapitel 9 – Die Stufe (Exkurs)
Kapitel 10 – Die weiße Pest
Kapitel 11 – Das Café
Kapitel 12 – Ein Engel
Kapitel 13 – Die Fantasie
Kapitel 14 – Neue Horizonte
Kapitel 15 – Die Vernunft
Kapitel 16 – Das Abenteuer
Kapitel 17 – Das Ende

Thomas P. Martin

CASTEL DEL AMORE

Die Liebe (er)wächst

Thomas P. Martin,

geboren 1984 in Westdeutschland, wuchs im Rheinland auf.

Nach einem Studium an der Universität Köln, wo er einen Abschluss in Sozialwissenschaften erwarb, widmete er sich mit halber Leidenschaft der Musik. Seit einiger Zeit taucht er in die Welt der Literatur ein. Sein Schreibstil zeichnet sich durch eine eindringliche Darstellung menschlicher Beziehungen und tiefgründige Charakterentwicklung aus.

Er beschreibt gesellschaftliche Doppeldeutigkeiten aus vielfältigen Perspektiven, erläutert kulturelle Probleme und erforscht sexuelle Grenzgebiete. Er kommentiert, befürwortet und lehnt ab. Sein Schreiben ist geprägt von einer subtilen Melancholie und Humor, die die Leser dazu einlädt, tief in die Seelen seiner Protagonisten einzutauchen.

Thomas P. Martin

CASTEL DEL AMORE

Die Liebe (er)wächst

ELYSION-BOOKS

Print; 1. Auflage: Juni 2024

eBook; 1. Auflage: Juni 2024

VOLLSTÄNDIGE AUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2024 BY ELYSION BOOKS GMBH, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG:

ISBN (vollständiges Ebook) 978-3-96000-304-5

ISBN (gedrucktes Buch) 978-3-96000-303-8

Mehr himmlisch heißen Lesespaß finden Sie auf

www.Elysion-Books.com

Danksagung

Ich danke all jenen, die mir geholfen haben und ganz besonders: Feline, Daniela & Sven.

„Literatur ist warm, nichtssagend, traurig, liebevoll und langweilig wie das Leben.“

Ich – heute

Kapitel 1 – Die Jugend

Über der großen Stadt liegt die gleißende Hitze. Es ist einer dieser in den letzten Jahren so häufig gewordenen Ausnahmesommer. Die Ernte schlecht, der Wein gut und das Wasser knapp. Und zwischen den verdorrten Ästen eines Parks fährt der Bewohner der Metropole: Dünnes langes Haar, zu einem Dutt geformt, schmückt den Kopf eines Körpers, der wackelig auf einem Longboard durch einen Stadtteilpark fährt. Daheim steht das E-Auto in der Garage neben dem E-Mountainbike. Die Klamotten und Sprüche sind locker und weit und darunter befindet sich das pure Leid.

Ist das Gefühl, älter zu werden, gleich dem Leid, der das Leben begleitet? Ist das Altern das Reifen eines schlechten Weins zu einem guten Wein, oder ein Verfall, an dem man bei vollem Bewusstsein teilnehmen muss? Ist der Mensch jung, so sind die Körper ohne Mühe straff und fest. Selbst wenn zu wenig Fleisch oder zu viel Fett die Knochen umfassen, sieht der Körper doch überwiegend und subjektiv gesehen begehrenswert und erstrebenswert für unsere zerstörerische und jugendzentristische Gesellschaft aus. Das kurzweilige Gut der Jugend wird beneidet und die veralteten Menschen tun alles, was in ihrer Macht steht, um dieses Gefühl und die damit verbundene Festigkeit zu konservieren. Es ist wie mit dem Menschen, dessen Haar sich lockt und dem anderen, der mit glattem Haar und purem Neid rüber schaut. Wenn man jung ist, weiß man es nicht zu schätzen. Der Mensch raucht, säuft, gibt seinen Körper für so manchen Mist hin. Fährt zu schnell Auto, radelt alkoholisiert nachts, ohne Helm. Macht halt alles, was der alte Mensch beneidet. Warum? Weil es großartig ist. Es ist wunderbar, betrunken zu sein, ohne am nächsten Tag zu leiden. Es ist lustig neben jemanden Fremden aufzuwachen und danach panikerfüllt dem Partner (der in einem Jahr Vergangenheit sein wird) nichts zu erzählen. Man geht an Montagabenden aus und hat kein Geld. Nie hat man Geld. Aber es ist irrelevant. Warum Geld? Alles ist möglich. Der Gang der Möglichkeiten ist unendlich lang, alle Türen stehen offen und so macht man sich um nichts Sorgen. Also natürlich sind Sorgen da. Aber sie haben keine Relevanz. Warum auch? Alles ist korrigierbar. Die Straße vor sich ohne Ende, mit vielen Windungen und tollen Ausblicken. An jeder Abfahrt wartet das ungeplante Glück und winkt einen hastig zu sich. Wer braucht da Geld? Niemand, um den das Attribut „jung“ schwebt. Und wenn ein junger Mensch glaubt, Geld zu benötigen, wurde er von seinen Eltern verzogen und ist für die Gesellschaft ein unerträgliches Stück Dreck, welches ungeliebt in Strategieberatung, Investment Banking oder Psychiatrie unglücklich verrotten soll. Gott sei Dank gibt es diese Gattung Mensch recht selten. Der Löwenanteil der Jugend hat kein Geld, die Ampel auf grün und flattert wie ein kleines Vögelchen durch den wunderschönen Abendhimmel eines warmen Sommers, der nie enden wird. Der alte Mensch hingegen kriecht als klebrige Schnecke quer über eine Autobahn. Das Ziel ist die andere Seite dahinten. Na ja, total fit, geil und durchtrainiert kommt kaum einer an. Aber dafür hat er das Geld. Kann Steuern, Sozialbeiträge, städtische Abgaben und Versicherungen ohne Probleme begleichen. Kann Urlaube lange im Voraus planen. Kauft teures Essen im Delikatessengeschäft, lädt Freunde zu sich daheim ein, serviert teuren Wein, kauft wertige und nachhaltige Klamotten aus lokaler Schurwolle, kauft die Instrumente, die er als Jugendlicher geliebt hat und nicht erwerben konnte. Sitzt nun mit schütterem, weißem Haar und der Les Paul Gitarre für viele Tausend Euro auf dem Designer Sofa und greift mit den Arthrose befallenen Fingern schwerfällig die Akkorde der Songs, die er selbst jung liebte und niemand mehr hören will. Aber eine Sache kann er sich nicht kaufen: die Jugend. Präziser: das Gefühl der Jugend. So sehr der Mensch auch investiert: Haartransplantation, Brazilian Butt Lift, Lipfiller, Botox, Hyaluron, Haarfärbemittel, Q10 Gesichtscremes. Nichts wird ihn jung machen. Männer und Frauen mit glatt gebügelten Gesichtern, aufgeblasenen Busen und gestrafften Bäuchen stehen beisammen, tragen „moderne Klamotten“, benutzen die letzten fünf Jugendwörter, die in der Tagesschau verlesen wurden, und freuen sich über die schnelle und ach so digitale Vernetzung auf veralteten Sozialen Netzwerken (Facebook etc). Sie nennen sich digital, offen und sagen Sätze, die jugendlich wirken sollen, aber befremdlich und peinlich aus den Plastikgesichtern kommen. Sie blicken auf die jungen Frauen und Männer mit einem Neid, der Hass zum Verwechseln ähnlich sieht. Die jungen Menschen können kleine Brüste, viele Pickel, etwas zu dick, etwas zu dünn sein und einen unsicheren Blick haben und trotzdem wissen die Alten, dass sie hier machen können, was sie wollen: Sie werden nie wieder diese unbeschwerte Freude im Herzen tragen wie damals. Sie sind nur noch Zaungäste bei dieser exklusiven Veranstaltung. Sie können sich noch so sehr verkleiden und den Schönheitschirurgen mit Geld überschütten. Aber sorry. Access Denied. Diese Party bleibt verschlossen und jede kleine und große Investition in dem Versuch, innerhalb der Zeit rückwärts zu reisen, wird mit Verachtung von würdevollen Alten und dem Amüsement junger Menschen quittiert.

So muss man zwischen zwei Ebenen des Alters unterscheiden: das physische und das mentale Alter. Während das physische Alter all die beschriebenen Früchte und all diesen Grimm in diese Welt trägt, so gibt es auch ein mentales Alter. Grundschüler, die mit am Rücken verschränkten Armen einer Gruppe Spaziergänger im gemächlichen Schritt folgen und alte Menschen, die Offenheit, Liebe und Neugier im Herzen tragen. Eine verkehrte Welt. Die Entkopplung der Kausalität. Ist der Körper alt, ist die Psyche alt und vice versa gilt nicht. Oder besser, nicht immer. Schade, wenn das mentale und das physische Alter sich nur ganz kurz treffen: Sollte der Grundschüler mit den hinterm Rücken verschränkten Armen, mit Mitte dreißig vom Zug erfasst werden oder an einer Lebensmittelvergiftung verstorben sein, werden er und die Welt nie Zeuge, wie sein psychisches und sein physisches Alter eine kurze Liaison eingehen. Das wäre sicherlich erst in seinen Sechzigern oder später. Jammerschade. Was ist der Welt hier nur entgangen? Das ist eine von der Philosophie getragene Frage, welche man sich stellen kann. Aber sicherlich nicht muss. So gibt es viele Menschen auf diesem schönen Planeten, die frei von diesen zerreibenden Fragen sind. „Er“ beispielsweise ist von dieser Frage befreit. Er stellt sich keine philosophischen Fragen. Er musste und wird sich nie diesen Fragen stellen müssen. Er hat mit all diesen Themen einfach nichts zu tun. Er ist frei von Betrachtungen, Ansätzen und Überlegungen. Er hat mit alle dem nichts am Hut.

Er sitzt hier an einem frühen Abend im Herzen einer mittelgroßen Stadt in den neuen Bundesländern (Osten, DDR, SBZ, etc.) und denkt, er sei glücklich in einer Beziehung und er denkt, dass, wenn er das Wort Liebe verwendet, er wisse, was dieses Wort zu bedeuten hätte. Er hat Freunde und Familie. Sagt und glaubt auch, dass dies das Wichtigste und Wertvollste im Leben sei. Wenn einer diese beleidigt oder angreift ... oh, lá, lá ... dann hat man es mit ihm zu tun. Wäre jetzt keine große Gefahr für den Angreifer, aber was soll‘s. Aber bei Ehre, Familie, Freundschaft und Vaterland kennt er keinen Spaß. Das zählt. Das hat Wert. Er denkt, dass er die normalen Schritte eines typischen bzw. normalen Lebens geht. Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schule (hier Realschule), Ausbildung. Während der Ausbildung angefangen mit Bier und Schnaps. Lustig, lustig alles und so weiter. Gab auch mal Ärger wegen Rangeleien, Saufgelage auf dem Marktplatz und Hebens des falschen Arms und so weiter. Aber nichts, was ernsthaft Konsequenzen hatte. Mit achtzehn hat er dann dieses Mädchen kennengelernt. Er, achtzehn und draufgängerisch und sie siebzehn, total frech und mucksch. Die perfekte Symbiose. Total verliebt. Erste Mal was mehr als nur geküsst. Total aufregend. Die verliebten Augen. Die Eifersuchtsdramen und die vielen Partybilder Arm in Arm, das Durchwälzen des Käseblattes, um eine geeignete Wohnung zu finden. Dann doch von ihrem Onkel über Vitamin B eine gescheite Bude gefunden. Zwei Zimmer, Balkon, Unterschichtküche und superzentral in dem kleinen Städtchen, in dem sich abends Asylbewerber und Neo-Nazis mit gegenseitigem Hassen und Jagen die Langeweile vertreiben. Der Einzug mit den Schnittchen bzw. dem daumendicken Mett auf dem trockenen Weizenbrötchen. Das obligatorische warme Bier auf der gerade reingehobenen roten Couch, in der zusammengestelzten Wohnung, die klar und deutlich die vorhergehenden zwei getrennten Kinderzimmer ausschwitzt. Die Diskussionen um Wandfarbe, Billigmöbel und Deko dominieren die folgenden Tage und Monate. Bis es sich alles eingegrooved hat. Statt seiner Mutter und seinem Bruder sieht er jetzt seine Freundin Caro abends mit der Zahnbürste durch die Wohnung tigern. Schön sieht sie aus. Sie ist wirklich ein hübsches Ding, denkt er häufig. Selbst seine Jungs haben beim letzten Mal Bundesliga schauen an einem Samstagnachmittag bei Bier und selbstgemachten Burgern gesagt, dass die Caro schon echt „hot“ sei und dass er glücklich sein könne, sich damals auf der Geburtstagsfeier kennengelernt und dann nach mehreren Begegnungen Nummern getauscht und sich nach ein paar Spaziergängen tatsächlich geküsst zu haben und erst ein Paar und dann sogar ein „festes Paar“ geworden seien. Er kann es noch gar nicht richtig fassen, dass da diese Frau ist, die mit wippenden, freien Brüsten unter dem engen Shirt, in dem String mit Snoopy vorne drauf, morgens an ihm, mit dem Butterbrot, vorbeihuscht. Er findet es richtig gut.

Sie treffen nach dem Umzug jetzt neuerdings auch wieder mehr Freunde. Natürlich nur andere Paare, da die einzelnen Männer bzw. Jungs noch zu draufgängerisch sind und die Frauen/Mädels nur Gefahr und unentspannte Momente bedeuten. Da wird mit den anderen Paaren prüde gefeixt und da werden schmierige Andeutungen gemacht. Alle sind total glücklich miteinander und nennen sich „Baby“ oder „Schatz“. Das Thema Sex ist so gut wie durch. Das war davor. Und von Problemen wird erst recht nicht gesprochen. Es geht primär um TV-Formate, Serien auf Streamingdiensten, Kochen, Wohnen, Hobbies, Camping und Einrichtung. Diese Zusammenkünfte finden dann auf einer Bowlingbahn im Gewerbegebiet statt. Davor wurde das neue Restaurant (Systemgastronomie) ausprobiert. Megageile Süßkartoffe- lpommes mit Homemade Mayo und dazu die besten Burger mit 100 % deutschem Rindfleisch. Die Buns, auch aus eigener Produktion, sind gelb-braun gebacken. Am Ende dieser Veranstaltungen fahren die beiden heim im überlassenen Twingo von Caros Stiefmutter. Egal, wie viel Bier bei ihm oder Strawberry Daiquiris bei ihr gekippt wurden. Es geht immer im Auto heim und er fährt. Zuhause angekommen beginnt immer die gleiche Leier: Er scharwenzelt um sie herum, um den Begattungskampf einzuleiten, und sie erwidert seinen Wunsch nicht. Seitdem sie umgezogen sind, läuft nichts mehr. Er versteht es nicht. Sie hat davor gesagt, dass sie einen ruhigen Ort brauchen würde, um zu entspannen. Zack, wurde die Wohnung gefunden. Dann wollte sie nicht, weil alles so stressig sei, dann ging es nicht, weil sie doch gerade erst „angekommen“ seien in der Wohnung und jetzt sei alles gerade so stressig. Es macht ihn wahnsinnig. Er bekommt diesen leckeren Schinken hier hingelegt und kann nicht zugreifen. Warum nur? Das ist eine Qual. Ihr Sex ist doch super. Sein Penis hat die Form, dass er sie schon nach wenigen Penetrationen zum Orgasmus bekommt. Sie stöhnt und scheint sehr zufrieden zu sein. Seine Finger und/oder seine Zunge hat er nie einsetzen müssen. Er findet, dass das zwei Vorteile hat: Zum einen lässt er noch Steigerungspotential in ihrer Beziehung bzw. ihrem Sexualleben zu und zum anderen will er derzeit nicht so gerne diese Feuchtigkeit spüren. Er hat einmal vorher seinen Finger hastig in eine Unterhose gedrückt beim Knutschen mit 15 und dieses feuchte, wabschige Gefühl will er nicht nochmal an den Fingern spüren. Und dann noch, wenn er gekommen ist. Dann ist das ja ne riesige Sauerei. Da jetzt mit dem Finger oder, Gott bewahre, mit der Zunge dran. Igitt. Er braucht ja auch nicht. Er ist nicht so ein Loser, der stundenlang da rumwurschteln muss. Er weiß, er fickt die Caro über den Berg und das in null Komma nichts. Also er macht es, wenn sie mal wieder will. Sie leben jetzt schon seit vielen Monaten in der neuen Wohnung und bis auf einen schnellen Akt in der ersten Woche ist nichts mehr gegangen. Zuerst hat er es sportlich genommen und sich auf das nächste Mal gefreut. Dann hat er die beleidigte Leberwurst gegeben. Das lief nicht so gut, denn wie jeder weiß, ist der beleidigte Mann das unsexyste Wesen auf diesem grün-blauen Planeten. Kein Mensch mit Anstand lässt sich über ein beleidigtsein auf ein erotisches Abenteuer ein. Zu guter Letzt hat er nur noch aggressiv reagiert. Sie hat sich dann immer zurückgezogen und war so traurig, dass er häufig ein weinendes Häufchen Elend im Schlafzimmer am rosa Schminktisch mit den Lichtkugeln vorfand und sie tröstete. Auch heute merkt er relativ schnell, dass er hier auf Granit beißt, wenn er versucht, seine Freundin zu verführen.

Im Grunde ist er begeistert von der „NoFap“ Bewegung. Aber er scheitert regelmäßig an den Grundsätzen dieses selbstverständlich aus den USA („Du darfst machen, was du willst, es darf dir halt keinen Spaß machen“-Country) stammenden Unsinns. Ziel ist es, auf jegliche männliche Masturbation zu verzichten. Doch die ganzen versteckten Socken beweisen, dass er nur den „soft mode“ einhalten kann. Dieser besagt, dass Masturbation ohne Pornographie okay sei. Im „normal mode“ fällt die Masturbation ganz weg. Das hat er aber noch nie geschafft und schämt sich ein wenig für die Willensschwäche. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist dann doch zu schwach. Also macht er es heute, wie fast jeden Abend: Sobald sie sich mit dickem „Gute-Nacht“ Schmatzer ins Bett verzieht, schleicht er sich zehn Minuten später in das kleine WC. Dort gibt es nur einen kleinen Spiegel, ein kleines Waschbecken und eine Toilette. Am Anfang hat er versucht, sich im Sitzen zu befriedigen. Das kam ihm am Hintern komisch vor. Außerdem ist das kleine WC nicht mit einer Heizung versehen und somit nicht sehr warm. Also stellt er sich immer vor das Waschbecken. So auch heute. Er schließt langsam die Tür hinter sich, tritt vor das Waschbecken und zieht sich die Hose leicht runter. Nur ein klein wenig. Sein Hoden bleibt abgequetscht im Gummibund seiner karierten, weiten Boxershorts und es fängt an. Schnell, hastig und unleidenschaftlich. Das ist nicht gelebte Selbstliebe, das ist Arbeit. Da wird schnell versucht, das Ventil zu öffnen. Dabei vermeidet er jeden Blick in den Spiegel vor sich. Bloß nicht in den Spiegel blicken. Das hat er ein paar Mal gemacht und es sah einfach nur peinlich aus. Er will diesen Akt schnell hinter sich kriegen und schrubbt und schrubbt. Mit geschlossenen Augen geht er seine spärlichen erotischen Erfahrungen durch und bleibt fast immer an derselben Stelle hängen: Er ist versehentlich ins Bad gekommen, als sie sich duschte. Und bevor er unter lautem Gezeter aus dem Bad verwiesen wurde, brannte sich dieses Bild in seine Erinnerung. Es war für ihn der Inbegriff von Sexualität und Leidenschaft. So kramt er auch dieses Mal dieses Stillleben aus der Mottenkiste seiner mentalen Erotik. So, da ist es. Er muss es nur noch vollenden. Er spürt die Lust steigen und die Säfte in ihm aufkochen. Dabei umziehen sein Gemächt und seine Hand ein kühler Windzug. Doch wo kommt dieser her? Er öffnet die Augen und blickt nach rechts in Richtung Toilette. Nichts. Dann nach links. Sie.

Ihre Augen sagen alles. Widerwille, Ekel, Hass und Abneigung. Aber das Schlimmste im Blick erkennt er auch: Enttäuschung. Er reißt sich die Hose hoch und macht einen Schritt auf sie zu. Sie geht den Schritt nach hinten, reißt ihre Hände vor das Gesicht und fängt nach einem schauerlichen kleinen Schrei an zu weinen. Er redet auf sie ein und sagt, dass das doch alle machen und ganz normal sei. Es scheinen Antworten zu sein, auf Fragen, die hier nie gestellt wurden. Von ihr ist nur ein Brummeln zu hören in denen die Wörter „Enttäuschung“, „ekelhaft“ und „Widerling“ sich immer und immer wieder aneinanderreihen. Nach stundenlanger, ergebnisloser Diskussion legen sie sich schlafen. Er liegt neben ihr und weiß, dass diese Beziehung keine Zukunft mehr haben kann. Es geht einfach nicht. Er will und sie nicht. Das passt nicht. Das muss ein Ende haben.

Zwei Jahre später trennt sie sich von ihm. Warum? Irgendetwas mit neuen Perspektiven und geöffneten Augen. Jahre später erfährt er, dass sie auf einem freikirchlichen Seminar einen Mann kennengelernt hat und mit ihm und Jesus ein glückliches Leben führt. Aber es hat ihm ja gut gepasst. Muss er nicht so einen großen Aufriss machen und ein Trennungsgespräch beginnen. Außerdem kann er sich das erste Mal in seinem Leben überlegen, was er in seinem Leben, besser mit seinem Leben, machen möchte. Nachdem er ein paar Monate in seinem alten Kinderzimmer bei seinen Eltern geschlafen hat, steht sein Entschluss fest: Er geht „in den Westen“ für eine zweite Ausbildung, für einen zweiten Anfang. Ende mit dem grauen Alltag hier.

Kapitel 2 – Die Mitmenschen

Zwanzig Jahre später. Mit zittriger Hand versucht er das Fahrrad an den nassen, kalten Fahrradständer zu ketten. „Tremor“, denkt er, „immer dieser Tremor ...“ Das leidige Zittern. Andere Menschen nehmen Kokain, Speed oder MDMA, um diese unwillkürliche und oszillatorische Bewegung der Hände zu spüren. Für ihn reichen drei Biere und vier Shots und das große Zittern startet. Im Grunde startet sein Zittern nach dem ersten Bier. Er fühlt nie eine Steigerung im Suff. Er trinkt etwas und ist sofort oben auf der Welle. Jedes weitere Getränk hält diesen Status. Nicht mehr, nicht weniger.

Während er seine bebende Hand beobachtet, wie diese verzweifelt versucht, den Schlossstift in die Schlossmutter zu schieben, bedauert er sich und seine Gestalt am folgenden Tag. Er weiß, dass die Nacht kurz und schlecht wird. Anschließend die entsetzten Blicke der Frau und die lauten Stimmen der Kinder beim Frühstück. Bereits in der Bahn wird man sich angewidert abwenden, sobald man ihn sieht beziehungsweise riecht. Im Büro werden seine Kollegen mit ihrem Alkoholkonsum der letzten Nacht prahlen, während ihm, stetig heiß und kalt zugleich, jegliche Konzentrationsfähigkeit fehlt. Er beneidet die Männer, die bei Betriebsausflügen und privat bis spät in die Nacht Biere „zischen“ und Shots unter großem Gegröle „kippen“, um 5:00 Uhr ins Bett fallen und um 7:30 Uhr am Frühstückstisch einer namenlosen Hotelkette sitzen, sich aufgeregt unterhalten und Konvenienzrührei inhalieren. Dabei sitzen die frisch gegelten Haare (2006 Style, Robbie Williams, David Beckham, etc.), man(n) trägt karierte Kurzarmhemden, tut sich mit dem Englischen schwer und wählt AfD (heimlich). Zu den Kollegen fällt häufiger der Satz, dass es ja „so wie es ist, nicht weitergehen könne“. Aber es wird und wurde ja immer gut. Bisher zumindest.

Er schiebt die klebrige Tür der Fast-Food Klitsche mit der Schulter auf. Egal, wie stark er auch angetrunken ist, so sicher ist er, dass er niemals die metallenen Griffe der Tür anfassen wird. Neurotiker bleiben Neurotiker. Wenn sie saufen, sind sie betrunkene Neurotiker. „Gut so“, denkt er sich. Man wird ja nicht gleich seine Würde verlieren und von den goldenen Prinzipien Abstand nehmen, nur weil man zu viel trinkt. Würde und Trinken korrelieren ja schließlich nicht oder sind sie nicht kausal?! Oder ist das andersherum? Wer weiß. Was eine bescheidene Fragestellung. Wäre man jetzt klar im Kopf, würde man sich diese Frage stellen und mit ein wenig Recherche beantworten können. Alles ist möglich. Nüchtern. Wenn man das wollte und nicht immer angesoffen und betrunken wäre, könnte man nüchtern und ausgeschlafen die größten Fragen beantworten oder philosophisch mit anderen gebildeten Menschen mitdiskutieren: Der Sinn des Lebens oder wann jetzt ist. Alles kein Thema. Aber ausgeschlafen muss man dafür sein. Das spielt jetzt aber keine Rolle, denn jetzt braucht er Salz, Fett und Kalorien. Ansonsten wird der morgige Tag nicht der Limbus, sondern die Hölle selbst.

Der Innenraum der seelenlosen Fresskette beherbergt ca. 20 bis 30 Personen. Er sieht nach rechts und nach links, doch vergisst sofort, wer mit wem, wo sitzt. Alles nur blabernde Menschenmasse. Nicht weiter beachten, sofort nach vorne. Ran an das fettige Essen, welches den abartigen Säufertrieb nach Junkfood nur stillen kann. Die Filiale hatte bereits ein „Renewal“ erhalten. Die Tische, an denen aufwendige Vorrichtungen angebracht waren, woran man sich unzählige Strohhalme und Servietten nehmen konnte, sind weg. Für die kleinen Assipisser der achten Klasse muss das ein riesiger Verlust sein, aber ihm ist es herzlich egal. Er greift an den neuen und futuristisch anmutenden Bestellautomaten. Ein großer Touchscreen, mit hunderten Burgern und Snacks, die zur Auswahl stehen. Er weiß, was er will. Wie immer. Burger + Pommes + Mayo + Limo. Loser Menu. Der Säufertraum à la carte. Langsam und behutsam drückt er auf den riesigen Touchscreen. Es tut sich nichts. Er drückt und drückt. Doch der Alkohol und der Tremor machen ihn verrückt. Warum will das hier nicht? Warum will die Welt nicht so, wie ich das will? Ich will das jetzt essen. Dafür muss ich hier jetzt bestellen. Und das will einfach nicht. Wie gestochen und aus dem nichts ballert er auf das Gerät ein und schreit einen aggressiven kleinen Satz heraus, den kein Anwesender, auch nicht er selber, versteht. Zeitgleich verpasst er dem Gerät eine Linke. Es schmerzt sofort und erinnert ihn daran, dass das hier eine unangebrachte Aufführung ist. Seines dümmlichen, impulsiven Verhaltens ist er sich bewusst. Daran ändern kann er nichts. So ist er nun mal. Gefestigt im Leben mit allen dazugehörenden Schattenseiten. Die heraneilende Angestellte ist mindestens 20 Jahre jünger und vermutlich arabischer Herkunft. So denkt er zumindest. Er wundert sich stets, woher all diese Frauen auf einmal kommen. Er sieht sie in Supermärkten, in der Gastro und neben den anderen hübschen Abiturientinnen. Die sind auf einmal irgendwie da. Kamen die alle 2015? Aber die sprechen doch so gut deutsch? Was ist das, zum Teufel. Farida, Nilufar, Darya … Er kennt sie nicht. Sie waren nicht auf seiner Schule. Kein Freund, kein Bekannter kennt sie. Null Schnittstelle. Aber wenn man cholerisch auf den Bestellautomaten einschlägt, kommt der Kontakt nun doch zu Stande. Da steht sie nun, mit ängstlichen Augen. Doch darauf achtet er erstmal nicht. Ins Auge fällt ihm sofort die Schönheit und Anmut dieser neuen Person in seinem Leben. Sie ist toll, aber kleidet sich ganz komisch. Das passt doch alles nicht zusammen. Und warum trägt die offensichtlich keinen BH? Er versteht es einfach nicht, findet es lächerlich, wie diese Musik, die deutsch klingt, aber doch ganz anders ist als die „Hosen“ aus Düsseldorf. Na ja, was solls. Dann lernt er heute den Freie-Brüste Trend an dieser orientalischen Schönheit in der Nachtschicht in diesem Drecksloch kennen. Na ja, gut findet er es schon. Sollen die ganzen Weiber doch ihre Titten so zeigen. Er freut sich. YES! Wieder gratis Wichsmaterial gesammelt. Araberin mit dicken Möpsen, superdunklen Nippeln und pechschwarzen Haaren. Super! Wenn er da mit roter Birne, schwitziger Stirn und brennendem Schwanz vor dem Spiegel im Bad steht und sich heimlich einen runterholt und sich nicht traut, sich selbst im Spiegel anzusehen, wird er seinen weißen Germano Fettkloß vergessen und an die hier denken können. Perfekt – al’amr. Die ängstlichen Augen dazu müssen noch durch sinnlich, fordernde Augen retuschiert werden. Egal wie besoffen, das geht immer. Die Photoshopmaschine der Gelüste läuft solide und kennt keine Pannen. 24/7 nonstop. Macht aus jeder flachbrüstigen Magd ein bayrisches Busenmonster. Lippen noch was dicker, die Pickel weg und Arsch ist ihm immer egal gewesen. Einbahnstraße und so.

Da steht er nun mit erbärmlicher Begierde vor der Mitarbeiterin und hört nicht zu. Er kann es nicht. Es kann auch gar nicht gehen: Suffbirne, Geilheit und Aggression. Die Dreifaltigkeit des enthemmten, weißen und privilegierten Mannes. Er säuft zu viel, weil er gelangweilt ist von seinem Leben. Er fickt zu wenig, weil er weder kann, noch will. Die Aggressivität verbindet und kanalisiert all die Schwächen, die das Leben so ausmacht. Dazu kommt, dass er klein ist. Das sind die Gene. Aber so klein ist schon gemein und dazu hat er einen Bauch bekommen. Einen richtigen stolzen „Bierbauch“. Darauf wird bei Kindergartenfeiern gehauen und stolz verkündet, dass dieser viel Arbeit und recht teuer sei. Super lustig. Die Wahrheit ist, dass er die Kontrolle verloren hat, als er die rote Linie der Coolness übertrat: 40. Danach hat er das Flugzeug der körperlichen Selbstbeherrschung in die Alpen krachen lassen. Andreas Lubitz wäre stolz gewesen. In den Trümmern ist ihm endgültig bewusst geworden, dass er, fett, weiß, aufgedunsen, nicht mehr an die schönen Frauen kommt. Wäre er vorher schon nicht, aber nun folgte die harte Erkenntnis. Erst recht nicht an dieses unwirklich hübsche Wesen vor ihm. Nicht damals, nicht heute. Keine Illusion. Hier umdrehen. VIP Bereich. Du hast hier nichts verloren.