Celesta: Glut und Asche (Band 4) - Diana Dettmann - E-Book
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Celesta: Glut und Asche (Band 4) E-Book

Diana Dettmann

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Beschreibung

Das atemberaubende Finale der romantischen Fantasy-Reihe »Celesta« »Unglaublicher Lesesog« »Ganz großes Kino!« »Rasant und packend« (Leserstimmen zur Reihe auf Amazon) Trotz der zahlreichen Rückschläge ist Emmas Kampfwille ungebrochen. Doch während die entscheidende Schlacht zwischen Celesta und Dämonen kurz bevorsteht, befindet sich Emmas Gefühlswelt nach wie vor in Aufruhr. Kann sie Quinn, der sie so oft enttäuscht hat, je wieder vertrauen oder hat das Schicksal seine Entscheidung längst gefällt? Nur der Wunsch, diejenigen zu retten, die sie liebt, gibt ihr die Kraft nach vorn zu blicken... //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.//   //Alle Bände der düsteren Fantasy-Serie:  -- Celesta: Asche und Staub (Band 1) -- Celesta: Staub und Schatten (Band 2) -- Celesta: Schatten und Glut (Band 3) -- Celesta: Glut und Asche (Band 4)//

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Diana Dettmann

Celesta: Glut und Asche (Band 4)

Das atemberaubende Finale der romantischen Fantasy-Reihe »Celesta«

Trotz der zahlreichen Rückschläge ist Emmas Kampfwille ungebrochen. Doch während die entscheidende Schlacht zwischen Celesta und Dämonen kurz bevorsteht, befindet sich Emmas Gefühlswelt nach wie vor in Aufruhr. Kann sie Quinn, der sie so oft enttäuscht hat, je wieder vertrauen oder hat das Schicksal seine Entscheidung längst gefällt? Nur der Wunsch, diejenigen zu retten, die sie liebt, gibt ihr die Kraft nach vorn zu blicken …

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Vita

Danksagung

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© privat

Diana Dettmann ist geboren und aufgewachsen im häufig recht nasskalten Norden von Deutschland. Und weil die Welten und Abenteuer in den Büchern meistens viel interessanter waren als der Blick aus dem Fenster, verbrachte sie oft Stunden damit, sich in eben diesen Welten zu tummeln, mit tapferen Helden Schlachten auszufechten oder mit edlen Ladys in mittelalterlichen Settings durch wildromantische Wälder zu fliehen. Seit 2012 veröffentlicht sie selbst Fantasyromane für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene, die den Spaß an romantisch-abenteuerlichen Geschichten nicht verloren haben.

Prolog

Will

Ein Monat zuvor

Emma und Quinn schlafen. Emma im Bett und Quinn auf der Couch, auf der ich ihn vorhin zurückgelassen habe. Er hat sogar noch das Glas von vorhin in der Hand. Eigentlich bin ich versucht, es ihm abzunehmen, ehe es runterfällt und am Boden zersplittert, aber ich muss um jeden Preis verhindern, dass er aufwacht. Also wende ich mich von den beiden ab und schließe die Tür hinter mir. Meine Finger zittern ein wenig, als ich jetzt allein in dem Raum stehe, in dem sich der Dämon befindet. Ein furchtbarer Geruch schlägt mir entgegen, mein Herz rast, doch ich habe keinerlei Zweifel, das Richtige zu tun, obwohl das Messer in meiner Hand schlagartig kiloschwer zu sein scheint.

Vorsichtig setze ich einen Schritt in das Zimmer hinein und der Dämon, Asher, zuckt hoch. Er blinzelt mich ängstlich an und drückt sich von mir weg gegen den Stuhl. Sein Atem klingt deutlich schneller und sein Blick huscht unruhig im Zimmer umher. Er braucht allerdings nur einen Moment, ehe er im schwachen Licht der einfallenden Straßenbeleuchtung erkennt, wer ich bin, und seine Schultern herabsinken.

Emma hat ihn übel zugerichtet. Da ist überall Blut, ein Auge ist zugeschwollen. Außerdem darf er eine aufgeplatzte Lippe sein Eigen nennen. Mein Magen krampft sich unweigerlich zusammen. Ashers Augen glänzen im gedämpften Licht. Seine Lippen sind kaum mehr als eine dunkle Linie und sein Gesicht ist nahezu konturlos. Die Dunkelheit verschluckt das Blut und die Augenringe fast, aber nicht gänzlich.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich kommst«, flüstert er und ich schlucke die letzten Zweifel herunter.

»Ich hab’s versprochen.« Vorhin, als Quinn Emma aus diesem Zimmer getragen und ins Bett verfrachtet hat. Nachdem Asher mich erkannt und angefleht hat, ihn zu befreien. Er hat mich erkannt, aber nicht verraten. Es ist das Mindeste, was ich tun kann. Als ich mein Taschenmesser zücke, weicht er dennoch ein wenig von mir zurück. »Ich will dich hier nie wieder sehen, hast du verstanden? Hau einfach ab«, brumme ich und Asher nickt ungeduldig, als ich mich an seinen Fesseln zu schaffen mache.

»Warum bist du eigentlich noch hier? Du hast deinen Job erledigt. Sie ist wieder in Thiernan und er hat Wort gehalten, oder?«, fragt Asher und meine Nackenhaare stellen sich auf. Er. Niemand spricht seinen Namen aus, sofern es sich vermeiden lässt. So, als würde er es hören, wenn man es täte.

»Ja, er hat Wort gehalten. Sie ist in Sicherheit, soweit ich weiß.« Sie. Meine Schwester. Alles, was ich noch habe.

»Hast du wirklich geglaubt, du könntest ihm entkommen? Dich verstecken?«

Für meinen Geschmack stellt dieser Junge viel zu viele Fragen. Ich habe die Fesseln längst durchtrennt. Er steht leicht schwankend neben dem Stuhl, auf dem er eben noch saß, und tastet vorsichtig über die Wunden an seinen Handgelenken. Er sollte zusehen, dass er wegkommt. Stattdessen betrachtet er mich neugierig und stellt unnütze Fragen.

»Ich habe es gehofft. Eine Weile zumindest.«

»Doch dann haben die anderen dich gefunden. Seine Leute finden jeden.«

»Ja, und sie haben mich außerdem daran erinnert, wem ich immer noch verpflichtet bin. Das heißt aber nicht, dass es mir leichtgefallen ist, wieder seine Schachfigur zu spielen.«

Asher steht auf und sein Blick gleitet hinüber zur Tür. »Meinst du, du wärst ihr noch wichtig, wenn sie wüsste, was du bist? Wenn sie alles wüsste?«

»Nein, mit Sicherheit nicht. Deshalb sollte sie es unter keinen Umständen erfahren, wenn du verstehst, was ich meine.«

Unsicherheit nagt an mir. Wenn Emma wüsste, was ich bin, was ich getan habe und welche Rolle ich in dieser Geschichte spiele, würde sie mich noch flammender hassen als Quinn.

Asher schaut mich an und ich meine, Mitleid in seinem Blick erkennen zu können. Doch schließlich wendet er sich ab, marschiert hinüber zum Fenster, öffnet es leise und späht hinunter.

»Pass auf dich auf, hörst du?«, murmelt er so leise, dass ich es kaum hören kann, bevor er hinausspringt und nur die Kühle der Nacht zurückbleibt. Mit schweren Atemzügen starre ich ihm nach, während meine Gedanken chaotisch in meinem Kopf herumwirbeln. Asher ist ein Dämon. Und ich ebenso.

Eins

Heute – Der Abend vor der Schlacht

Emotionslos betrachte ich die neue Emma im Spiegel. In einem Anflug von Wahnsinn, gepaart mit einer Spur Spontanität, habe ich mir vor wenigen Minuten die Haare bis auf Kinnlänge zurückgestutzt. Dicke blonde Strähnen liegen sowohl auf dem Boden als auch auf meinem Schoß und eine sehr verstörte Michèle lehnt hinter mir am Türrahmen und hält sich seit sicherlich zwei oder drei Minuten sprachlos die Hand vor den Mund. Als sie schließlich aus ihrer Starre erwacht und sich neben mich auf die Bettkante setzt, ist sie ziemlich blass.

»Ich denke nicht, dass Liam das sonderlich witzig finden wird«, nuschelt sie fast ein bisschen ängstlich, während ich die Überreste meiner einst so wilden Haarpracht aufsammele.

»Er ist mein Bruder, nicht mein Vater. Außerdem hab ich mir ja kein Tattoo stechen lassen oder so.«

Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Ich fürchte nur, das hier steht für ihn in etwa auf derselben Stufe.«

Ich schnaube, stehe auf und werfe die abgeschnittenen Strähnen in den Mülleimer zu meiner Linken. Michèle hockt noch immer auf der Bettkante und schaut, die Stirn in Falten gelegt, zu mir auf. Fast so, als befürchte sie, dass ich in Tränen ausbrechen und einem Nervenzusammenbruch erliegen könnte. Oder dass die Tür aufgeht, Liam hereinpoltert und sie einem Nervenzusammenbruch erliegt. Nun, zumindest was den Teil mit meinem Zusammenbruch angeht, ist ihre Sorge nicht ganz unbegründet. Ich habe Will verloren. Ich habe Mum verloren. Ich habe Thea und Finn verloren. Außerdem weiß ich mittlerweile, dass Ezra, dem ich so lange vertraut habe, nicht nur hinter meiner Entführung steckt, sondern auch für alles verantwortlich ist, was mein Leben Stück für Stück zerstört hat. Ich habe keine Ahnung, wo Quinn und ich stehen, und über Jasper will ich gar nicht erst nachdenken. Viele Indizien also, die gegen ein intaktes Seelenleben sprechen. Davon abgesehen bin ich mir sicher, dass der Großteil von Liams Leuten nur darauf wartet, dass ich endgültig durchdrehe. Vielleicht laufen ja sogar Wetten auf mich. Ich hoffe, niemand hat auf ein Happy End gesetzt.

»Fühlt sich ziemlich gut an«, murmle ich, den Kopf testweise hin und her schwingend. Von der neu gewonnen Freiheit bin ich mehr als begeistert. Michèle allerdings guckt weiterhin skeptisch.

»Wir werden sehen, was die anderen zu deinem Umstyling sagen. Offiziell war ich nicht dabei, verstanden?« Die Meinung ›der anderen‹ ist ihr mit Sicherheit ziemlich egal. Angst hat sie vor Liams Reaktion. Damit ich die Unsicherheit in ihrem Blick nicht sehe, steht sie auf, greift sich den Spiegel, den ich für die Aktion aus dem Bad geholt und gegen die Wand gelehnt hatte, und trägt ihn zurück an seinen Platz.

»Denkst du an die Besprechung nachher?«, ruft sie mir aus dem Bad zu und obwohl sie es nicht sehen kann, nicke ich augenrollend. »Ja, ich denke daran. Ich denke quasi an nichts anderes.«

Sie macht sich wahrscheinlich nicht die geringste Vorstellung davon, wie gelogen das ist. Denn ich denke an vieles, aber eben nicht an diese elendige Besprechung oder morgen. Ich denke an den gestrigen Tag, als Finn und Thea getötet wurden, und an gestern Abend, als ich beinahe auch noch Jasper verloren hätte. Ich denke an die vergangene Nacht an seiner Seite und den heutigen Morgen, als Jasper und ich die Asche von Mum, Thea und Finn geklaut und am Meer beigesetzt haben. Ich denke an heute Nachmittag, an diese hässliche Lichtung im Wald, auf der wir drei Urnen vergraben haben, die mit Strandsand gefüllt waren. Und ich denke daran, dass ich nicht in der Lage war, Jasper oder Quinn anzusehen, weil ich nicht weiß, was …

Ich weiß einfach gar nichts mehr. Alles ist falsch. Ich bin falsch. Und feige. Und beiden gegenüber unfair.

»Emma?« Michèles Stimme klingt äußerst vorsichtig. Erst jetzt bemerke ich, dass ich, am Fenster stehend und die Arme vor der Brust verschränkt, die Fingernägel so fest in meine Haut gegraben habe, dass es an einer Stelle zu bluten begonnen hat.

»So ein Mist!«, fluche ich und drücke den Finger auf die kleine Wunde, während Michèle ein Taschentuch organisiert und es mir reicht. Und dabei zieht sie vorwurfsvoll eine Augenbraue hoch.

»Jetzt guck nicht so«, fauche ich und rupfe ihr das Ding angefressen aus den Fingern. »Mir geht’s gut. Wirklich.«

»Ich hab nichts gesagt.« Unschuldig hebt Michèle die Hände.

»Brauchst du auch nicht«, knurre ich und presse das Tuch auf die Wunde. Michèle verschränkt die Arme vor der Brust und bedenkt mich mit einem Ich-weiß-es-doch-sowieso-Blick, also lasse ich schnaufend die Schultern sinken und setze mich auf einen der in der Nähe stehenden Stühle. »Mir geht zurzeit einfach so viel durch den Kopf.«

»Verständlich. Du hast ja auch viel mitgemacht. Niemand macht dir einen Vorwurf, Emma.«

»Das ist Quatsch, und das weißt du. Ich sehe doch, wie mich alle ansehen.«

»Dann lass sie! Keiner von ihnen würde noch einen Schritt vor die Tür setzen, wenn sie mitgemacht hätten, was du mitgemacht hast. Trotzdem bist du hier. Du machst weiter. Und das ist verdammt bewundernswert.«

Wir beide schweigen. Bis sie schließlich leise lacht.

»Jetzt musst du nur noch Liams Reaktion auf deine Haare überleben, dann ist die Schlacht morgen so gut wie gewonnen.« Sie zwinkert mir zu und ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Dennoch schafft die Heiterkeit es nicht, sich mehr als ein paar Sekunden zu halten. Der Schatten des morgigen Tages liegt drückend über uns und erstickt jeglichen Humor.

Michèle greift meine Hand und drückt sie fest. »Alles wird gut, hörst du? Liam kriegt das irgendwie hin, auch wenn es im Moment vielleicht nicht danach aussieht.«

Ich lache leise auf und drücke das Taschentuch ein letztes Mal auf die Wunde, die schon aufgehört hat zu bluten. »Glaubst du das wirklich?«, frage ich leise und knülle es zu einer kleinen Kugel zusammen.

Michèle nickt zuversichtlich. »Ich kenne ihn schon lange, Emma. Liam ist zuverlässig und loyal und –«

»Du musst mich nicht von seinen Qualitäten überzeugen. Ich glaube dir, dass er ein guter Anführer ist und weiß, was er tut. Aber«, ich schnaufe und lasse den Blick hinüber zum Fenster wandern, »da draußen erwarten uns morgen Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Dämonen und wir sind nur eine Handvoll größtenteils unausgebildeter Kämpfer. Celesta oder nicht, wir haben keine Chance. Noch dazu arbeitet Ezra gegen uns. Wir kämpfen also an zwei Fronten gleichzeitig. Selbst Liam ist klar, was das morgen wird. Ein verfluchtes Selbstmordkommando!«

Ich knete meine Hände und rechne damit, dass sie versuchen wird, mich von unseren doch recht rosigen Zukunftsaussichten zu überzeugen. Als ich aber den Kopf hebe, steht sie da, den Blick gesenkt und die Arme wieder vor der Brust verschränkt. Ihre Lippen sind zu einer schmalen Linie verzogen, jeder Muskel ist angespannt. Stöhnend schließe ich die Augen und lasse den Kopf in meine Hände sinken. Großartig, Emma. Motivation ist voll dein Ding. Es hat schon seinen Grund, dass Liam diesen Part übernimmt und nicht du.

Schnaufend stehe ich auf und weil ich befürchte, die Stimmung mit jedem Wort nur noch schlimmer zu machen, gehe ich zu ihr und nehme sie in den Arm. Michèle weint nicht und wird auch auf keine andere Weise emotional, sie lässt sich meine verkorkste Art von Trost einfach nur gefallen. Vermutlich denkt sie, ich hätte diese Umarmung nötiger als sie.

»Tut mir leid«, murre ich, von mir selbst enttäuscht. Sie nickt zögerlich. »Vielleicht passiert ja ein Wunder oder so was.« Ich versuche zu lächeln und reibe mir über die Arme.

»Meiner Erfahrung nach gibt es so was nicht. Aber wer weiß, nicht wahr?« Seufzend streicht sie sich die Haare zurück, wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr und strafft dann wieder die Schultern. »Wir sollten uns auf den Weg machen.«

Ich nicke und tausche das enge Tanktop, das ich für meine Typveränderung getragen habe, gegen einen weiten Pullover.

»Willst du noch immer nicht mit Jasper und Quinn reden?«, fragt sie, bevor wir den Raum verlassen, und da ist es wieder, das mir allzu bekannte Ziehen in der Magengegend, sobald ich an die beiden denke. Dennoch gebe ich mich ahnungslos. »Was meinst du?«

Michèle schaut mich besorgt an. »Es war ziemlich eindeutig heute Nachmittag. Ihre Blicke. Und deine verzweifelten Versuche, den beiden aus dem Weg zu gehen.«

»Ich … Ich brauchte nur ein bisschen Zeit. Jetzt ist alles wieder in Ordnung.«

»Wirklich? Ich meine, wenn du Rückendeckung brauchst …«

»Ich weiß deine Sorge zu schätzen, aber es ist alles in Ordnung. Ich war nur … Die Sache mit Quinn ist ziemlich anstrengend zurzeit.« Ich ziehe die Schultern hoch und zwinge mich zu einem Lächeln. Als wäre das alles nur nebensächlich. Unwichtig. Was es angesichts der bevorstehenden Schlacht auch sein sollte. Doch Michèle lässt sich nicht täuschen.

»Und die Sache mit Jasper?«, fragt sie pragmatisch und ich sehe in ihrem Blick, dass sie von meinem Gefühlschaos weiß. Wahrscheinlich keine Kunst, aber ich schäme mich und weiche ihrem Blick aus.

»So offensichtlich, ja?«, murre ich, bevor ich mit dem Handrücken über meine juckende Nase reibe.

»Wenn man dich ein wenig kennt, ja.« Sie legt mir eine Hand auf den Arm. »Hör zu, ich hab keine Ahnung, was genau da zwischen euch los ist, aber ich bin da. Wenn du reden willst, meine ich.«

Ich lache und jede Faser meines Körpers schmerzt dabei. »Auch auf die Gefahr hin, wieder pessimistisch zu klingen: Ich denke, wir haben im Moment größere Probleme.«

»Nicht, wenn dich dieses hier morgen ablenkt. Oder einen der beiden.«

Daran habe ich auch schon gedacht, aber ich kenne sie. Weder Jasper noch Quinn wird sich von diesem Drama ablenken lassen. Ich muss es nur irgendwie hinkriegen, nicht auf ihrem Radar zu erscheinen. Und sie nicht auf meinem.

»Keine Sorge. Alles ist bestens. Wirklich.«

»Wenn bei dir mal alles bestens ist, fress ich nen Besenstiel.« Mit hochgezogener Augenbraue schiebt sie sich an mir vorbei und ich ziehe wehleidig schmunzelnd die Tür hinter mir ins Schloss.

Zwei

Als wir den Raum erreichen, in dem Liam die Besprechung angesetzt hat, ist es erstaunlich ruhig in der Baracke. Der Großteil der Männer hat sich auf die Zimmer zurückgezogen – vielleicht, weil ihnen klar geworden ist, dass dies womöglich unsere letzte Nacht sein könnte, und sie gern noch ein wenig allein sein möchten.

Die von tagelanger Anspannung schmerzenden Muskeln in meinem Nacken melden sich überdeutlich, als ich mit durchgedrückten Schultern die Tür passiere und unangenehm viele Blicke auf mir spüre. Michèle muss meine Anspannung bemerkt haben, denn sie legt mir beruhigend eine Hand auf den Rücken, was mir tatsächlich ein wenig hilft. Ich bahne mir unsicher einen Weg hinüber zu einem der freien Stühle und nehme Platz. Jegliche Gespräche – und ich gehe davon aus, dass hier bis gerade eben noch ziemlich viel geredet wurde – sind verstummt. Quinn, der neben Liam sitzt und mich bei meinem Eintreten ziemlich schockiert gemustert hat, ballt nun die Hände zu Fäusten und wendet den Blick ab. Liam starrt mich offen, aber sprachlos, an. Dean und Conor nehmen einfach nur zur Kenntnis, dass ich nun da bin, und Jasper lehnt drüben am Fenster und versucht sein Grinsen zu verstecken. Seine Reaktion gefällt mir am besten und ich sinke, ein wenig entspannter als zuvor, in meinem Stuhl zurück.

»Wann genau denkst du dir solche Aktionen eigentlich aus? Man sollte annehmen, Langeweile käme gerade nicht auf, oder?«, mault mir Liam über den Tisch hinweg zu, woraufhin sich Michèle neben mir etwas kleiner macht. Als hätte sie damit seine Aufmerksamkeit erst recht auf sich gezogen, schnellt sein Blick zu ihr. »Wusstest du davon?«

»Ich hab mir die Haare ganz allein abgeschnitten, wenn du das meinst. Und zusammengestaucht hat sie mich schon. Du kannst dir die Mühe also sparen.« Ich lächle Liam an, der daraufhin säuerlich vor sich hin knurrt.

»Ich denke, wir haben größere Probleme als die Haare deiner Schwester, oder?«, wirft Jasper ein, zieht sich einen Stuhl zurück und nimmt Platz.

»Nicht, wenn wir an ihrer mentalen Gesundheit zweifeln müssen. Was ich ja, am Rande bemerkt, schon lange tue.« Ich funkle Dean über den Tisch hinweg böse an, doch der zuckt nur mit den Schultern. Die Aktion mit dem Auto hat er mir wohl noch nicht verziehen.

»Sie hat sich die Haare abgeschnitten. Und, am Rande bemerkt«, äfft Jasper Deans Tonfall nach, »ist das nicht die schlechteste Idee, wenn man in eine Schlacht zieht. Solltest du auch mal drüber nachdenken.«

Dean, dessen Haare tatsächlich ein wenig zu lang sind und bereits ungewollt wild an den Seiten abstehen, will aufspringen, doch Liam hält ihn zurück. Säuerlich schüttelt Dean dessen Hand ab und wirft Jasper einen giftigen Blick zu.

»Sagt ja wohl der Richtige.«

Anstatt auf Deans Seitenhieb einzugehen, lächelt Jasper die Beleidigung einfach weg und freut sich offensichtlich darüber, einen Celesta zum Ärgern gefunden zu haben. Der Schalk verschwindet jedoch schnell aus seinen Augen und er wirft einen strengen Blick in die Runde, der mich allerdings ausspart.

»Und jetzt sollten wir uns alle beruhigen. Sie hat sich keine Glatze rasiert und trägt auch kein Tütü. Kein Grund also, an ihrer Einsatzfähigkeit zu zweifeln. Sie ist eine starke Waffe und wir werden sie brauchen. Also könnten wir bitte zur Sache kommen?«

Ich werfe Jasper einen dankbaren Blick zu, doch er weicht mir aus, was mein Magen mit einem kurzen schmerzhaften Ziehen quittiert. Ich habe ihn vorhin bei der Beerdigung ignoriert. Er ignoriert mich jetzt. Der ultimative Kindergarten.

Liam faltet die Hände auf dem Tisch und nickt schließlich, allerdings ahne ich, dass das Thema noch nicht erledigt ist. »Gut. Jasper hat recht. Es gibt noch ein paar Dinge zu klären. Ich werde die Männer morgen einweisen.«

»Welche Männer denn? Ich meine, wer zieht denn überhaupt in die Schlacht? Wie hast du dir unseren Einsatz morgen gedacht, Liam? Gibt es einen Plan? Einen Hinterhalt? Irgendwas? Wir tappen bisher alle vollkommen im Dunklen.« Quinns Stimme klingt nicht vorwurfsvoll, sondern fordernd. Er spricht genau das aus, was ich denke. Wahrscheinlich bin ich nicht die Einzige, die der Annahme ist, dass wir so gut wie tot sind, wenn wir morgen dort auftauchen und jeder kopflos herumrennt.

»Ein paar gute Männer werden für uns kämpfen. Celesta, denen ich blind vertraue. Außerdem wollen noch einige Dämonen sowie ein paar der Celesta, die mit Bekka gekommen sind, am Kampf teilnehmen.«

»Bekka selbst auch?«, platze ich dazwischen, woraufhin Liam mich anfunkelt.

»Ja, Bekka selbst auch.«

»Das heißt, du vertraust ihr?«

»Ich habe kaum eine andere Wahl, oder?«

»Du könntest sie dort lassen, wo sie ist«, schlage ich vor, obwohl ich von seiner Zwickmühle weiß und dennoch nicht will, dass Bekka in der Nähe ist. Ich vertraue ihr nicht.

»Dann müsste ich auch ihre Leute lassen, wo sie sind, und die Dämonen gleich mit. Wir können uns den Luxus nicht leisten, wählerisch zu sein.«

Mir liegen Tausende Widerworte auf der Zunge, doch ich schlucke sie mürrisch herunter. Liam schaut in die Runde und spricht schließlich weiter. »Das Militär und die Polizei haben mir weitere Männer zur Verfügung gestellt. Nicht viele, aber immerhin ausgebildete Kämpfer. Sie wissen, was uns bevorstehet, und wie ihr euch denken könnt, werden sie natürlich nicht tatenlos zusehen. Sie beobachten die Sache aus der Ferne, aber wenn es eskaliert –«

»Warum?«, fragt Quinn, woraufhin Conor sich ihm augenrollend und schnaubend zuwendet. Quinn ignoriert die Geste. »Ich meine, warum beobachten sie nur? Warum sind sie nicht mittendrin, um ihre Stadt zu schützen? Warum kämpfen sie nicht an unser Seite?«

»Es gibt eine Abmachung zwischen den Celesta in dieser Stadt, dem Militär und der Regierung. Sie schützen unser Geheimnis, wir kümmern uns um ihr Dämonenproblem. Wenn sie mit einem Großaufgebot an Leuten an unserer Seite aufmarschieren würden, was glaubst du, würde passieren?« Conor sagt das so verdammt ruhig, klingt so verdammt sicher, dass es sogar mich einschüchtert.

»Es würde einiges an Aufmerksamkeit mit sich bringen. Und unangenehme Fragen«, antwortet Jasper und Conor nickt leicht.

»Wenn sie an unserer Seite kämpfen, haben wir bald die Aufmerksamkeit von Leuten, auf deren Radar wir lieber nicht auftauchen wollen. Wir hätten Presse, Videos, Bilder. Einen Haufen neugieriger Menschen. Wir wären aufgeflogen, ehe der Kampf überhaupt im Gang wäre. Und genau das gilt es so lange wie irgend möglich zu verhindern. Die Abmachung bleibt also bestehen.« Conors Stimme klingt streng, als er sich zurücklehnt, und sein eisiger Blick unterstreicht seine Worte. »Die Menschen riegeln das Gelände ab, behalten die Sache im Auge und geben uns die Chance, die Sache selbst zu regeln. Wenn es allerdings hart auf hart kommt, werden sie die Einwohner von Thiernan beschützen. Mit allem, was nötig ist.«

»Das heißt übersetzt, wenn wir kurz davor sind zu verlieren, stehen wir ebenso unter Beschuss wie die Dämonen?«, mutmaße ich und Liam zieht die Schultern hoch.

»Sie wissen, wo wir aufeinandertreffen, und sind darauf vorbereitet, das ganze Gelände in die Luft zu jagen. So was lässt sich verhältnismäßig leicht vertuschen.«

»Ach ja? Wie wäre es denn mit echter Hilfe, statt der Hau-drauf-Methode?«, rufe ich und stehe auf.

»Sie haben uns sowohl Männer als auch Waffen zur Verfügung gestellt. Mehr können wir nicht verlangen.«

»Toll! Wir sollen also nicht einfach nur eine Schlacht schlagen, sondern auch noch möglichst unauffällig krepieren, ja? Ist denen verdammt noch mal klar, worum es hier geht?«

»Es geht um Celesta, Emma, nicht um die Menschen.«

»Das ist reichlich kurzsichtig gedacht. Was denkst du, würde passieren, wenn die Dämonen gewinnen?«, fauche ich und Liam blinzelt mich wütend an.

»Das werden sie nicht.«

»Ach stimmt ja! Eher jagen sie uns alle in die Luft«, mault Jasper sarkastisch. Liam funkelt erst ihn und dann mich säuerlich an.

»Es geht hier darum, möglichst viele Interessen unter einen Hut zu bekommen, und das ist nicht einfach, Emma. Wenn wir unser Geheimnis bewahren wollen –«

»Scheiß auf das Geheimnis, Liam! Sollen sie doch sehen, wer wir sind und was wir für sie tun. Vielleicht ist die Welt ja bereit dafür? Ich meine, wann, wenn nicht jetzt? Wir könnten alle draufgehen, verdammt!«

»Darüber gibt es keine Diskussion!«, donnert Liam und auch wenn ich keine Angst vor ihm habe, zwingt mich das zaghafte Zupfen von Michèles Fingern an meinem Pullover dazu, wieder Platz zu nehmen. Schwer atmend starre ich ihn an, weil ich seine Engstirnigkeit kaum ertragen kann.

»Also. Weiter im Text. Bekka hat uns eine Nachricht von Ezra überbracht. Er hat uns ein Ultimatum gestellt: Entweder wir liefern Emma aus oder wir stellen uns dem Kampf. Wir gehen davon aus, dass er ahnungslos ist, was unsere Allianz mit Asher betrifft. Außerdem dürfte er keinen Schimmer davon haben, dass wir von seiner Dämonenüberraschung wissen.«

»Was verleitet ihn zu der Annahme, dass wir dort wirklich auftauchen werden? Nur weil er uns so nett bittet?«, fragt Quinn und Liam lächelt bitter.

»Er weiß natürlich, wo wir sind. Er hätte uns die ganze Zeit über angreifen können, aber das ist es nicht, was er will. Zumindest behauptet er das. Er will ein neutrales Gelände, weit weg von der Stadt. Für den Fall, dass wir uns weigern und nicht auftauchen sollten, wäre er allerdings bereit die Sache auszuweiten.«

»Seine Worte?«, frage ich, woraufhin Liam wortlos einen abgegriffenen Brief auf den Tisch pfeffert. Ich angle danach und überfliege ihn. Kein Zweifel. Das ist Ezras Schrift und auch seine Art, sich auszudrücken. Er bietet uns die Möglichkeit eines fairen Kampfes. Er überfällt uns nicht. Er verschont die, die nicht mit uns kämpfen. Edel. Nobel. Aber auch die Tatsache vertuschend, dass seine Dämonenfreunde an genau diesem Ort darauf warten werden, seine eigenen Leute zu töten.

»Wir tappen also direkt in seine Falle, ja?«, knurre ich und lege den Brief zurück auf den Tisch.

»Wir machen das, was er von uns erwartet. Er weiß, dass ich nicht feige bin. Ebenso wie er sich der Tatsache sicher sein dürfte, dass ich nicht riskieren würde, unser Geheimnis auffliegen zu lassen oder die Menschen von Thiernan in Gefahr zu bringen. Nichtsdestotrotz besteht die Möglichkeit, dass er sich überzeugen lässt, mit uns und gegen die Dämonen zu arbeiten, wenn er die Wahrheit erfährt.«

»Warum sollte er uns glauben?«, frage ich kühl und starre ihn an.

»Keine Ahnung. Aber die Möglichkeit besteht.«

»Und wenn nicht? Wenn er stur ist und seinen Plan durchziehen will? Was dann?«, fragt Jasper.

Liam ballt abermals die Hände zu Fäusten, zögert einen Moment. »Dann kämpfen wir an zwei Fronten.« Ein kollektives Schnauben geht durch den Raum, weil wir alle wissen, was das bedeuten würde. »Ezra will, davon bin ich überzeugt, so wenig Opfer auf unserer Seite wie möglich. Wahrscheinlich nur mich und die, die von seinem Plan wissen und ihm nicht mehr folgen würden. Er ist nicht darauf aus, Unschuldige abzuschlachten.«

»Er ist darauf aus, seine eigenen Leute abzuschlachten, Liam«, werfe ich ein und Liam nickt träge.

»Er hält sie allerdings nicht für unschuldig. Keinen von ihnen.«

Mir dröhnt der Kopf und ich frage mich, wie Ezra diesen Plan jemals erfolgreich durchführen wollte. Mit all den Stolpersteinen, die sich auf dem Weg boten. Wie zum Teufel konnte er all das planen? Noch dazu über einen so langen Zeitraum?

»Angenommen«, brummt Jasper und streicht sich die Haare aus dem Gesicht, »du hast recht. Wir kriegen ihn und diese Übermacht aus uns hassenden Celesta innerhalb weniger Minuten überzeugt, dass wir uns alle ganz doll lieb haben müssen, weil die Dämonen die Bösen sind …« Conor knurrt genervt, doch Jasper ignoriert ihn. »Angenommen, dieser unwahrscheinliche Zustand tritt ein. Dann bleiben immer noch die Dämonen.«

Liam räuspert sich und wirft einen ruhelosen Blick in die Runde. »Ezra hat aller Wahrscheinlichkeit nach ein Druckmittel gegen die Dämonen, das wir vielleicht geschickt einsetzen können.«

»›Aller Wahrscheinlichkeit nach‹? ›Vielleicht‹? Reichlich viel Spekulation für einen Schlachtplan«, murmelt Jasper rau und verschränkt vorwurfsvoll die Arme vor der Brust.

»Das ist ja auch kein Schlachtplan«, antwortet Quinn und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Wir haben viel zu wenig Informationen, auf die wir uns verlassen können. Wir kennen unseren Gegner nicht, haben keine Ahnung, wie viele Dämonen uns dort erwarten oder was sie können. Wir haben keine Ahnung, wer mit uns kämpfen wird – oder gegen uns. Wir wissen ja nicht einmal, ob die, die auf unserer Seite kämpfen, auch wirklich auf unserer Seite sind. Das Einzige, was wir sicher wissen, ist die Uhrzeit und der Ort, an dem wir ihnen gegenübertreten.« Quinn stützt sich auf dem Tisch vor sich ab und funkelt Liam an. »Das ist ein verdammtes Selbstmordkommando, kein Schlachtplan.«

»Du kannst gern den Schwanz einziehen, Cinder«, faucht Liam gereizt.

Doch Quinn fährt ungerührt fort: »Ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass ich nicht dabei bin. Wird bestimmt spaßig in der ersten Reihe.«

Ich schaue ihn an und abermals zieht sich mein Magen zusammen. Quinn ist zynisch. Das gehört nicht zu den Wesensmerkmalen, die ich ihm zuschreibe. Bisher zumindest.

»Eine gute Portion Wahnsinn scheint bei euch in der Familie zu liegen«, erwidert Liam nach einer kurzen Pause böse lächelnd.

Quinn legt den Kopf schief. »Wie meinst du das?«

Liam nickt Dean zu. Dieser steht auf, geht hinüber zur Tür, öffnet sie und spricht mit jemandem. Und nur Sekunden später betritt dieser Jemand den Raum. Eine Person, von der ich dachte, dass ich sie niemals wiedersehen würde. Trotz all der Zeit, trotz der dunklen Augenringe und der eingefallenen Wangen erkenne ich sie sofort. Ohne Umwege bahnt sich mein Hass seinen Weg direkt in meine Fingerspitzen und hinterlässt rußige, schwarze Spuren auf der Tischplatte. Quinn, Jasper und ich stehen so ruckartig auf, dass mein Stuhl und der von Quinn scheppernd umkippen. Während Quinn allerdings sofort bei mir ist und seine Arme mich grob umfangen, sprintet Jasper hinüber zur Tür, reißt unseren Besucher gänzlich in den Raum hinein und presst ihn mit unerbittlicher Härte an die Wand, noch ehe Dean sich ihm in den Weg stellen kann. Der kleine Frauenkörper wirkt in Jaspers unbarmherzigen Griff noch viel zerbrechlicher als ohnehin schon und ich erkenne tatsächlich Angst in ihrem Blick. Dean steht nervös daneben, die Waffe gezogen und auf Jasper gerichtet, doch sein Blick klebt hilfesuchend an Liam. Er hat keinen Schimmer, was er jetzt tun soll.

»Nimm die Scheißknarre runter!«, kreische ich.

»Was tut sie hier?«, bellt Quinn Liam entgegen und seine Worte vermischen sich mit meinen, während ich mich noch immer gegen ihn stemme und versuche seinem Griff zu entkommen. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, ihn leicht anzukokeln, damit er mich loslässt, verwerfe die Idee aber schnell wieder. Auch wenn sie verlockend ist.

Liam bleibt trotz des Tumults ruhig und bedeutet Dean mit einer knappen Kopfbewegung, die Waffe wegzustecken. Ein klein wenig zuckt sein Mundwinkel und ich werde das Gefühl nicht los, dass ein kleiner Teil von ihm das hier tatsächlich genießen könnte. »Deine Schwester hat mich kontaktiert und ihre Hilfe angeboten. Und da wir im Moment jeden brauchen können …«

»Aber sie … Sie ist … eine verdammte … miese … Verräterin«, keuche ich und versuche Quinn meinen Ellenbogen in die Rippen zu rammen, um von ihm loszukommen. Was allerdings darin endet, dass er mich fluchend zu Boden wirft und dort festhält.

»Beruhig dich! So bist du niemandem eine Hilfe, okay? Jasper hat sie im Griff«, keucht er angestrengt und starrt mich eindringlich an.

Mit zusammengebissenen Zähnen starre ich zurück, atme einige Male tief durch und nicke dann. Er hat recht. Wenn ich ihr jetzt an die Kehle gehe, bin ich tatsächlich niemandem, außer mir selbst, eine Hilfe. Also entspanne ich mich und lasse den Kopf leise fluchend nach hinten auf den Boden fallen. Quinn klettert, nach kurzem Zögern, von mir herunter und reicht mir seine Hand, um mir auf die Beine zu helfen. Nur widerwillig lasse ich mich von ihm hochziehen und zurück auf meinen Stuhl bugsieren. Er bleibt allerdings hinter mir stehen, eine Hand auf meiner Schulter.

Schwer atmend starre ich hinüber zu Jasper, der Fox noch immer an die Wand gedrückt hält und sie erst auf Liams Bitte hin freigibt. Doch ähnlich wie Quinn bei mir bleibt er dicht bei ihr stehen, als sie auf einem der Stühle Platz nimmt und unsicher in die Runde schaut. Sein Gesicht gibt nicht viele Emotionen preis. Doch ich erkenne den nur schwer unterdrückten Hass genau.

»Was zur Hölle tut sie hier?«, frage ich betont ruhig, obwohl meine Finger prickeln und ich ihr noch immer am liebsten den Hals umdrehen möchte.

»Emma, ich weiß, du willst mich hier nicht sehen, aber –«, hebt sie an, doch ich schneide ihr sofort das Wort ab.

»O nein, du weißt gar nichts. Ich will dich nicht nur nicht hier sehen, ich wollte dich nie mehr wiedersehen. Hörst du? Nie wieder! Und dennoch bist du hier.«

»Ich wollte eigentlich …« Sie zögert und ihr Blick schweift unsicher im Raum umher, bleibt kurz an Quinn hängen und sinkt dann auf ihre verkrampften Finger, die bleich auf ihren Knien ruhen. Sie wirkt so wahnsinnig eingeschüchtert, wie ich sie noch nie erlebt habe. »Nach der Sache mit Jasper«, sie bewegt den Kopf in seine Richtung, wagt es aber nicht, ihn direkt anzusehen, »und dir hat meine Position im Clan … stark gelitten, könnte man sagen. Ich bin zu weit gegangen. Ich hab in meinem Hass auf dich aus den Augen verloren, worum es eigentlich ging. Sie … Sie haben mich verstoßen und ich war plötzlich ganz allein. Sean hat die Leitung im Clan übernommen. Ich meine«, sie lacht und senkt den Blick auf den Tisch, »ich habe immer geglaubt, wir alle würden die Celesta gleichermaßen hassen, nach allem, was sie uns angetan haben. Ich dachte, das würde selbst für Sean gelten und dass sie ihn bestenfalls … na ja, dulden würden. Aber sie haben ihn zum Oberhaupt gewählt und nach dem, was ich gehört habe, macht er seine Sache gut.« Dieses Mal lacht sie nicht, sondern starrt einfach nur weiter auf den Tisch und knetet die Hände. »Ich hatte viel Zeit, um über alles nachzudenken. Und … ich weiß jetzt, dass ich Fehler gemacht habe. Viele. Ich bin hier, um einige davon wiedergutzumachen. Ich hab von Sean erfahren, was ihr vorhabt. Ich bin hier, um zu helfen.«

»Und du glaubst, nur weil du herkommst und uns deine traurige kleine Geschichte auftischst, würde ich vergessen, was du getan hast?«, knurre ich und habe Mühe, meine Stimme im Zaum zu halten. »Oder er?« Ich deute mit dem Kinn auf Jasper und Fox rutscht auf ihrem Stuhl noch ein wenig weiter nach vorn.

»Mir war klar, welcher Gefahr ich mich aussetze, wenn ich hierherkomme. Ich wusste, wie sehr du mich hasst, Emma. Von Jasper ganz zu schweigen. Und ich habe euren Hass verdient. Ich will nicht, dass ihr mir vergebt oder wir so tun, als könnte zwischen uns irgendwann wieder alles okay sein. Aber ich will meinen Teil beitragen. Lasst mich euch bitte helfen.«

»Wer garantiert uns, dass du nicht gegen uns arbeitest? Uns in den Rücken fällst?«, zische ich und Quinns Finger an meiner Schulter drücken etwas fester zu.

»Es wäre einfacher gewesen, euch morgen einfach zu folgen und das Chaos in der Schlacht auszunutzen, um mich unter eure Leute zu mischen und meinen Teil beizutragen. Ich hätte mir das hier sparen können. Aber es ist mir wichtig, euch zu sagen, dass es mir leidtut und ich bereue, was ich getan habe.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust und presse die Zähne aufeinander. »Ich vertraue ihr nicht.«

»Sie ist eine gute Schützin und im Kampf als Cinder kaum zu schlagen. Sie wäre uns eine große Hilfe«, wendet Quinn ein und ein Prickeln erfasst meinen Nacken.

Ich drehe den Kopf, um ihn fassungslos anzustarren. »Ist das dein verdammter Ernst?«

»Emma, wir müssen jetzt größer denken und jede Hilfe annehmen, die wir kriegen können. Und Fox wird uns eine Hilfe sein.«

»Sie ist keine Hilfe, Quinn! Sie ist eine Wahnsinnige!«

»Emma, bitte!«

»Sie hat versucht, mich umzubringen. Und beinahe hätte sie Jasper umgebracht. Herrgott, mach die Augen auf! Nur weil sie deine Schwester ist, können wir sie unmöglich –«

»Ich bin Quinns Meinung!«, beendet Liam ruppig meinen Redeschwall und ich wende mich ihm sprachlos zu. »Sie bleibt. Und ich erwarte von euch ein professionelles Miteinander.« Hat er nicht gehört, was ich gesagt habe? Ist er so verzweifelt, dass er selbst diese Frau auf seine Leute loslässt?

»Liam, du hast keine Ahnung, wozu sie –«

»Ich will nichts mehr hören, Emma. Sie bleibt. Das ist mein letztes Wort!« Sein Blick gleitet zwischen mir und Jasper hin und her. Es ist klar, wem dieses Machtwort gilt.

Ich sitze da, starre erst ihn und dann Fox an, die jedoch verbissen den Blick gesenkt hält, brav das Unschuldslamm spielend. Jasper steht nach wie vor hinter ihr, sieht mich allerdings immer noch nicht an. Blanke, frustrierende Verzweiflung macht sich in mir breit. Ich kann nicht länger hier sein, nicht länger so tun, als wäre ich damit einverstanden. Mag ja sein, dass Liam bereit ist, jeden Preis zu zahlen. Ich bin es nicht. Knurrend stütze ich die Hände auf den Tisch, will aufstehen, doch Quinn drückt mich zurück auf den Stuhl. Womit er wohl aber nicht rechnet, ist meine doch ziemlich kindische, verzweifelte Gegenwehr. Unkoordiniert schlage ich seine Hände von mir weg, funkle ihn böse an und stehe auf.

»Emma«, hebt Liam noch einmal an, doch ich habe genug gehört und genug gesehen. »Du bleibst hier! Wir sind noch nicht fertig.«

»Oh, ich bin fertig. Glaub mir«, fauche ich ihm entgegen.

»Du bleibst! Das ist ein Befehl«, bellt er, als ich mich der Tür nähere.

»Dann zwing mich doch, Bruderherz!«

Liam steht auf, doch Jasper schiebt sich ihm wortlos in den Weg und gibt mir somit genug Zeit, den Raum zu verlassen. Im Laufschritt sprinte ich den Flur zu meinem Zimmer entlang, hin- und hergerissen zwischen meiner Pflicht zu bleiben und dem Wunsch, alles hinter mir zu lassen und zu gehen. Auf der Stelle. Meine Brust ist eng vor Wut und Enttäuschung.

Sie ist hier! Diese miese Verräterin ist wirklich hier und hat meinen Bruder um den Finger gewickelt. Alles läuft schief. Alles ist falsch. Und niemand hört mir zu, weil sie mich für eine labile, verrückte Kuh halten, die keinen klaren Gedanken fassen kann. Und Quinn? Der Gedanke an ihn schmerzt unwahrscheinlich. Denn erneut hat er sich auf ihre Seite gestellt. Nach allem, was war, hält er noch immer nicht zu mir.

Keuchend erreiche ich mein Zimmer, reiße die Tür auf und schlage sie mit so viel Wucht hinter mir zu, dass es scheppert. Und dann gehe ich auf die Knie und brülle, bis meine Kehle sich anfühlt, als würde sie zerspringen.

***

Ich liege die halbe Nacht wach und warte darauf, dass jemand kommt, um mir zu sagen, wie kindisch ich mich verhalten habe und dass mich auf diese Weise nie jemand ernst nehmen wird. Ich rechne am ehesten mit Liam oder Michèle, hoffe insgeheim auf Jasper und fürchte mich davor, dass es Quinn sein könnte. Doch niemand kommt und irgendwann falle ich in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.

Drei

Der nächste Morgen begrüßt mich mit Hektik und einem dumpfen, unguten Gefühl, das ich nicht abschütteln kann. Als ich kurz nach Sonnenaufgang ziemlich unsicher den Platz vor der Baracke betrete, rumort mein Magen. Ich kann nicht behaupten, gut geschlafen zu haben und bin schon lange wach. Die schier endlose Zeit bis Sonnenaufgang habe ich damit zugebracht, in meinem kleinen Zimmer auf dem Bett zu sitzen, die Wand anzustarren und zu versuchen, irgendwie mit der absurden Leere in meinem Kopf zurechtzukommen. Und mit der Angst.

Bisher war es mir ganz gut gelungen, die Gedanken an diesen Tag und das bevorstehende Ereignis zu verdrängen. Natürlich war mir immer klar, dass es passieren würde. Ich habe mich nicht der Illusion hingegeben, eines Morgens in einer Welt aufzuwachen, in der sich alle Probleme wie von Zauberhand in Luft aufgelöst hätten. Aber bisher war da einfach immer noch so viel Zeit, bis es wahr werden würde. Wochen, Tage, Nächte. So viel Zeit … Und jetzt? Jetzt eben nicht mehr.

Mein Herz klopft schneller. Nur ein bisschen, nicht viel. Mein Atem geht ruhig und gleichmäßig. Meine Hände sind nicht schwitzig. Von außen betrachtet erwecke ich also vermutlich denselben halb wahnsinnigen, aber gelassenen Eindruck, den sie von mir kennen. Innerlich brodelt es allerdings.

Ich lasse den Blick über die vielen bekannten, teilweise lieb gewonnenen Gesichter gleiten und bei allem Optimismus: Ich kann nichts dagegen tun, dass sich ein klaffendes Loch in meiner Brust auftut und mich kurz schwanken lässt. Sie. Ich. Wir. Wir alle könnten heute sterben. Diese Geschichte, so lang und schmerzhaft, wäre auf einen Schlag vorbei. Einfach so. Dabei habe ich keine Angst davor, getötet zu werden. Ich habe Angst davor, einen von ihnen zu verlieren. Selbst Liam.

»Emma, rauf auf den Wagen mit dir oder du bleibst hier«, bellt er, als hätte er meine Gedanken gelesen, und ich zucke zusammen. Obwohl seine Stimme harsch klang, ist sein Blick weich und er nickt mir aufmunternd zu.

Ich hebe also das Kinn, drücke den Rücken durch und stakse auf den Wagen zu, auf dessen Ladefläche ich Quinn und Jasper entdeckt habe. Quinn, der inzwischen aufgesprungen ist, reicht mir die Hand und hilft mir hochzuklettern.

»Alles okay?«, fragt er und Sorge lässt die feinen Falten um seine Augen herum tiefer erscheinen. Weil ich meiner Stimme nicht traue, nicke ich nur angestrengt lächelnd und sehe mich nach einem Sitzplatz um. Es wundert mich nicht, dass neben Jasper noch einer frei ist. Grimmig und stur wie ein Wikinger auf Beutezug hockt er da und starrt auf den Boden. Quinn folgt meinem Blick, lässt meine Hand los, nickt zustimmend und setzt sich wieder. Mit einem Grummeln im Magen balanciere ich, das leichte Schaukeln des anfahrenden Fahrzeugs ausgleichend, zu Jasper hinüber.

»Darf ich?«, frage ich gerade so laut, dass ich die Männer und die Geräusche der anderen Wagen übertöne. Ich bin mir sicher, dass er mich gehört hat, obwohl er nicht antwortet und mich auch nicht ansieht. Der junge Soldat, der ohnehin ein ganzes Stück von ihm entfernt sitzt, rutscht kurzerhand noch weiter weg. Also lasse ich mich einfach ohne Jaspers Einverständnis neben ihm nieder, während ich mir die hoffentlich richtigen Worte zurechtlege, um mich bei ihm zu entschuldigen. Dafür, dass ich ihm seit gestern aus dem Weg gegangen bin. Dafür, dass alles so schwer ist. Doch in dem Moment, in dem ich ein paar gefunden habe, die nicht total beknackt klingen, dreht er den Kopf in meine Richtung und sieht mich an. Sofort sind die Worte weg und mein Kopf fühlt sich wie leer gepustet an. Da liegt irgendwas in seinem Blick, das ich nicht kenne – und nicht mag. Ich befürchte, das habe ich ganz allein zu verantworten und augenblicklich ist meine Kehle wie zugeschnürt.

»Jasper, ich … ich wollte nicht …«, hebe ich hilflos an und habe keine Ahnung, was ich eigentlich sagen will. Oder sagen sollte.

Als ich in seinem Gesicht vergeblich nach etwas Wärme oder Verständnis suche, schließe ich den Mund wieder. Er will meine Entschuldigung nicht hören. Ich nehme an, er weiß besser, was ich sagen will und warum, als ich selbst. Und er hat recht. Er hat jedes Recht, sauer auf mich zu sein. Dennoch tut es wahnsinnig weh, als er sich wieder abwendet und stur auf seine Schuhe schaut. Doch dann, ohne ein Wort oder weiteren Blickkontakt, schließt sich seine Hand um meine und zieht sie von meinem Schoß zwischen unsere Beine. Warm und fest, verborgen zwischen unseren Körpern, geschützt vor den Blicken der anderen. Ich versteife mich und schlucke schwer. Jetzt klopft mein Herz doch schneller. Viel schneller.

»Konzentrier dich da draußen auf die wichtigen Dinge. Sieh nicht zu mir oder zu Quinn. Verstanden? Schau nicht ein einziges Mal zurück«, raunt er mir zu, ohne mich anzusehen.

»Dasselbe gilt für dich«, piepse ich und drücke seine Hand etwas fester.

Er schaut mich wieder an und dieses Mal ist sein Blick weicher, vertrauter. Seine Augen bohren sich tief in mich hinein, bringen mich wieder einmal aus dem Takt. »Kämpfe. Und überlebe. Das ist ein Befehl.«

Mein Mund ist trocken, als das Gefährt über die unebenen Straßen knattert, raus aus der Stadt und zu dem verlassenen Gelände, auf dem wir uns mit Ezra treffen und um unser Leben kämpfen werden.

Um uns herum geht gerade die Welt unter. Es ist laut, die Stimmung erfüllt von Tatendrang, Angst und Nervosität. Doch ich habe mich mit Jasper in eine schützende kleine Blase zurückgezogen, in der es all das nicht gibt. Ich drücke seine Hand so fest, dass meine Finger schmerzen, während er nicht mal mit der Wimper zuckt.

»Ich will, dass du mir auch was versprichst«, fordere ich mit kehliger Stimme und nach kurzem Zögern nickt er. »Versprich mir«, hebe ich an, stocke aber, weil ich weiß, dass Quinn zu uns herübersieht. Ich senke den Blick und die Schuld frisst sich tief in meine Brust. »Versprich mir, dass heute nicht unser letzter Tag ist«, flüstere ich, spüre eine Träne über meine Wange perlen und streiche mit meinem Daumen über die raue Haut seines Handrückens. Ich spüre seine inzwischen so vertraute Wärme, die durch meine Haut bis in mein Inneres vordringt, um dort Tausende von Fackeln zu entzünden. »Versprich mir, dass wir uns heute nicht zum letzten Mal sehen.«

Ich will nicht viel – und doch irgendwie alles. Denn ich will heute nicht sterben.

Außerdem will ich, dass er heute nicht stirbt. Und ich will, dass er danach trotzdem noch ein Teil meines Lebens ist. Irgendwie. Wahrscheinlich sind das zu viele Wünsche. Dennoch fühlt es sich an, als könnte ich mit weniger nicht leben.

Jasper dreht den Kopf in meine Richtung, lässt unsere Unterhaltung beiläufig aussehen, so als würden wir lediglich banale Dinge austauschen. Doch sein warmer, so ungewohnt vertrauter Blick ist es, der mir kurz den Atem verschlägt. »Ich verspreche dir, dass das heute nicht unser letzter Tag ist«, raunt er eindringlich und meine Kehle wird noch ein wenig enger. »Wir sehen uns heute nicht zum letzten Mal. Versprochen.«

Er sieht mich an. Lange. Eingehend. Und gar nicht mehr so unauffällig wie noch wenige Momente zuvor. Mein Herz hämmert schmerzhaft und viel zu schnell und ich möchte mich Jasper entgegenlehnen, ihn in den Arm nehmen, mich an ihn schmiegen, wie ich es an dem Abend in seinem Zimmer getan habe, obwohl sich dieser Moment gerade unendlich weit weg anfühlt. Seine Nähe gleichzeitig so falsch und so richtig, dass es mich zerreißt.

Meine Augen brennen und ich wende das Gesicht ab, um diese dämlichen Tränen unauffällig mit dem Ärmel fortzuwischen, als wir langsamer werden und der Wagen schließlich zum Stehen kommt. Dann bricht Hektik aus, denn irgendwo in der Ferne kann ich Liam hören. Wir sind angekommen und sofort atme ich schneller.

Die Männer, die sich mit uns auf dem Wagen befinden, springen auf, drängen sich an uns vorbei, versperren mir den Blick auf Quinn.

»Thea und Finn waren ein Paar, Jasper«, wispere ich in einem ausgewachsenen Anflug von Panik. Aber ich will, dass er es weiß. Denn obwohl er mir eben das Gegenteil versprochen hat, könnte es sein, dass einer von uns oder sogar wir beide den heutigen Abend nicht erleben werden, und ich habe versprochen, dass Jasper es erfährt. Er versteift sich, starrt mich an, sagt aber nichts. Ich schniefe leise und streiche mir die Haare hinter die Ohren. »Finn … er … er hat es mir gesagt, bevor er …« Ich verschränke meine Finger ineinander und konzentriere mich auf einen schwarzen Fleck am Boden. Wir sind inzwischen fast allein auf dem Laster. »Finn wollte, dass du es weißt. Sie waren … glücklich.« Ich bekomme tatsächlich ein kleines Lächeln zustande und wage es endlich, ihn anzusehen. Es ist gesagt. Ich habe mein Versprechen gehalten. Allerdings kann ich absolut nicht einschätzen, ob ihn diese Nachricht verletzt oder den Schmerz über ihren Verlust ein wenig lindert. Er sitzt nach wie vor da, mit starrer Miene und verbissenem Blick. Hilflos schniefe ich noch einmal, hole tief Luft und stehe auf. Gerade als ich mich an ihm vorbeischieben und ihm eine Minute Zeit geben will, um das Gehörte zu verdauen, erhebt er sich ebenfalls. Zögerlich sehe ich zu ihm auf. Seine Augen sind viel dunkler als sonst. Ich sollte etwas sagen, sollte ihm erklären, warum ich es so lange für mich behalten habe und wieso ich ausgerechnet jetzt damit rausplatze, doch bevor ich auch nur den Mund aufmachen kann, liegen seine Hände an meinen Wangen und seine Lippen auf meinen.

Es ist ein verzweifelter Kuss. Nicht zärtlich, nicht sanft, sondern verletzlich, echt und leidenschaftlich. Einer von der Sorte, bei der man die Luft anhält und die Zeit für einen Moment stehen bleibt. Und das tut sie. Bei Gott, genau das tut sie.

Doch dieser Moment, dieser Kuss, ist vorbei, ehe ich registriert habe, was passiert ist, ehe ich den Geschmack seiner Lippen gekostet oder seinen Geruch in mir aufgenommen habe – und ehe ich ihn erwidern konnte.

Er löst sich von mir und haucht einen weiteren zarten Kuss auf meinen Scheitel, bevor er seine Stirn an meine lehnt. »Bring deinen Arsch lebend hier raus, verstanden?«, brummt er, nur Millimeter von meiner Haut entfernt.

Noch immer nicht in der Lage, Worte zu formen, nicke ich nur. Dann, schlagartig und ohne Vorwarnung, wendet er sich von mir ab, marschiert mit ausgreifenden Schritten zum Ende des Wagens, springt herunter und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Die Gedanken zu einem chaotischen Knäuel verknotet bleibe ich zurück, hebe die Finger an meine Lippen und versuche, meinen zitternden Atem unter Kontrolle zu bringen, bevor mich jemand so findet.

Natürlich dauert es nicht, bis Quinn wie zufällig an der Ladefläche auftaucht und zu mir aufschaut. Glücklicherweise interpretiert er meinen aufgelösten Zustand als Zeichen der Furcht vor dem, was uns erwartet – denke und hoffe ich zumindest. Mit einem Satz ist er wieder auf der Ladefläche und kommt auf mich zu. Jede Faser meines Körpers will zurückweichen, ihn von mir wegdrücken, weglaufen. Stattdessen verharre ich hilflos, starr und steif und lasse mich in eine Umarmung ziehen, die sich nicht halb so schrecklich anfühlt, wie ich es mir wünsche. Verzweifelt drücke ich mein Gesicht an seine Brust und versuche, wieder zu Atem zu kommen und einen klaren Gedanken zu fassen.

»Geht’s wieder?«, fragt er behutsam und ich trete einen Schritt von ihm zurück, nicke hektisch und versuche zu lächeln.

»Danke. Ich meine … Danke«, stammle ich und will endlich von dieser Ladefläche runter, doch Quinn bleibt im Weg stehen und schaut mich an. Mit diesem ganz bestimmten Blick, der mich befürchten lässt, dass er gleich irgendetwas sagen oder fragen wird, das alles noch viel schlimmer macht. Er weiß es, schießt es mir durch den Kopf. Er hat etwas gesehen, Gesprächsfetzen gehört …

Doch statt meine Befürchtungen zu bestätigen, schaut er mich einfach nur noch einmal sehr aufmerksam an, dreht sich dann allerdings wortlos um, springt von der Ladefläche herunter und reicht mir seine Hand, damit ich folgen kann. Ich hole tief Luft, starre in den inzwischen trüben Himmel und schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass dieser Tag nicht in einer Katastrophe enden möge.

***

Liam schart seine Leute um sich, während die Wagen uns mitten im Nirgendwo zurücklassen. Die Straße ist kaum mehr als solche zu erkennen. Nur noch der klägliche Rest eines schmalen, asphaltierten Weges, der inzwischen an so vielen Stellen aufgebrochen ist, dass die Natur ihn in Kürze verschlungen haben wird – und den Ort hinter uns wahrscheinlich gleich mit.

Das augenscheinlich bereits seit langem verlassene Gelände, überwuchert und von der Zeit angefressen, liegt dunkel und bedrohlich vor uns, eingehüllt in eine so gespenstische Stille, dass sich die feinen Härchen in meinem Nacken aufstellen und ich mich fester in meine dünne Jacke wickle.

Michèle tritt neben mich und lächelt mich aufmunternd an, als Liam das Wort an uns richtet. Er muss sich nicht einmal Gehör verschaffen, denn niemand wagt es zu sprechen. »Ich sollte euch jetzt sagen, dass alles gut wird und ich fest an unseren Sieg glaube. Ich … Ich sollte euch sagen, dass dieser Sieg Opfer verlangen wird und dass er jedes Opfer wert sein wird. Ein guter Anführer hätte die richtigen Worte, um euch in diese Schlacht zu führen. Die Wahrheit ist allerdings …« Er hebt die Hände, lässt sie jedoch sofort wieder sinken. »Ich wollte niemals ein Anführer sein, der seine Leute in eine Schlacht führen muss, und ich … ich habe keine Worte für so was hier.« Ein Raunen geht durch die Reihen, doch Liam ist noch nicht fertig. »Ich kann euch nur versprechen, dass ich für und mit euch kämpfen werde. Mein Blut für jeden einzelnen von euch, und zwar ganz egal, ob Dämon, Cinder, Celesta oder Mensch. Heute sind wir gleich. Wir kämpfen für etwas, das größer ist als wir. Nicht nur gegen die Dämonen und für die Menschen dieser Stadt, sondern dafür, dass der Hass endlich ein Ende findet. Wir kämpfen dafür, dass wir am morgigen Tag in einer neuen, besseren Welt aufwachen und weiterleben können. Ich für euch und ihr mit mir!«

Das Raunen verwandelt sich in zustimmende Rufe, die lauter werden. Es verwandelt sich in Stampfen, Trommeln, Klatschen, in einen Rhythmus, der eine Gänsehaut über meine Arme treibt und mich zu dem Mann aufsehen lässt, den ich einst gehasst habe. Mein Bruder ist ein Arschloch – keine Frage –, aber der geborene Anführer ist er eben auch. Michèle neben mir lächelt ein bewunderndes Lächeln in seine Richtung, als Liam sich umdreht und an der Spitze unseres Trupps marschiert. Ausnahmslos alle folgen ihm. Ganz so, als hätten sie keine Angst davor, jetzt ihren letzten Weg anzutreten.

Vier

Ich finde mich inmitten eines sich zügig vorwärtsbewegenden Pulks aus Menschen, Dämonen, Cinder und Celesta wieder, der sich brüllend einen Weg vorbei an dem gammeligen Zaun, der das Grundstück einfasst, auf das Gelände bahnt. Wir sind trotz der heroischen Stimmung und den Rufen, die schmerzhaft in meinen Ohren dröhnen, so erschreckend wenig, dass mir einen Moment lang schlecht wird. Mit so wenigen Mitstreitern hatte ich nicht gerechnet. Auch wenn Liam für eine beeindruckende Bewaffnung und mit seiner Rede auch für den entsprechenden Kampfgeist gesorgt hat – angesichts der Tatsache, dass wir nur mit einer Handvoll Männern in diese Schlacht ziehen, sind unsere Chancen, das hier zu überleben, quasi nicht vorhanden.

Nun ja, es ist nicht so, dass ich große Pläne für meine Zukunft gehabt hätte. Eigentlich wage ich es seit einiger Zeit kaum noch, über den nächsten Tag hinauszudenken, geschweige denn Pläne zu schmieden. Aber hier und jetzt wird mir ein Mal mehr bewusst, dass ich heute nicht sterben will. Zusammen mit diesem Gedanken sickert die bekannte Angst wieder in mein Bewusstsein. Mein Atem zittert und ist flacher als sonst. Meine Finger sind kalt, aber ruhig. Das Klopfen meines Herzens kann ich am besten ignorieren. Immerhin habe ich darin jede Menge Übung.

Ich hebe das Kinn, hole tief und gleichmäßig Luft, bevor ich sie langsam und kontrolliert wieder entweichen lasse. Dabei ruht meine Hand auf der Waffe rechts an meinem Bein. Die Waffe, die ich am schnellsten erreiche. Als ich mich umsehe, erkenne ich, dass ich nicht die Einzige bin, die sich auf diese Weise zu beruhigen versucht. Männer und Frauen klammern sich an das, was sie vor dem Tod bewahren könnte, und dennoch, trotz der Waffen, trotz ihres Kampfgeists, steht ihnen blanke Angst ins Gesicht geschrieben.

Der Großteil von uns hat keinerlei Schlachterfahrung. Im besten Fall haben ein paar unserer Soldaten einige Male an einer Patrouille durch die Stadt teilgenommen, im allerbesten Fall einen Dämon getötet. Aber eine Schlacht?

Ich sehe in die vielen bekannten und unbekannten Gesichter, schlucke schwer und balle die freie Hand zur Faust. Ich fühle mich an Mum erinnert, fühle die Schuld, etwas losgetreten zu haben, das alle Albträume in den Schatten stellen wird, die ich jemals geträumt habe. Und diese Schuld wiegt schwer.

Blinzelnd zwinge ich meinen Atem weiterhin in regelmäßigen, tiefen Zügen in meine Lunge, setze einen Fuß vor den anderen und möchte am liebsten weglaufen. Doch dann gleitet mein Blick über eines der mir bekannten Gesichter. Asher. Der junge Dämon, der uns seine Hilfe angeboten hat, ist blasser als sonst und seine Augen huschen immer wieder über die Köpfe der anderen hinweg, hinüber zum Horizont. Ich nehme an, ihm geht gerade durch den Kopf, dass er geliefert ist, wenn einer seiner Leute ihn in unseren Reihen entdecken sollte. Immerhin ist uns allen klar, dass die Dämonen hier irgendwo lauern. In unmittelbarer Nähe. Darauf wartend, dass erst wir zuerst einander zerfleischen, damit für sie selbst nicht mehr so viel zu tun ist. Wie außerordentlich praktisch und –

Ich halte inne und spule meine Gedanken zurück. Natürlich! Die Dämonen sind bereits hier. Irgendwo in der Nähe und im Moment warten sie einfach nur. Darauf, dass unsere private kleine Schlacht geschlagen ist. Was aber, wenn wir das Spiel nicht mitspielen?

Ich sprinte nach vorn, auf Asher zu. Als ich meine Hand auf seine Schulter lege, zuckt er zusammen und fährt zu mir herum. Er blinzelt mich erschrocken an, während die anderen an uns vorbeiziehen, und ich erkenne Zweifel, womöglich auch ein wenig Angst in seinem Blick. »Emma! Was ist los?«

»Du musst etwas für uns tun. Du musst den Angriff eher starten lassen.«

Verständnislos blinzelt er mich an. »Wie meinst du das? Wir … Wir wollen doch verhindern, dass die Dämonen –«

»Wir können nicht verhindern, dass sie angreifen. Das werden sie so oder so, egal was wir tun. Aber sie werden sicher abwarten, bis die Celesta mit uns fertig sind. Wenn der Angriff allerdings früher startet, dann –«

»Sehen Ezras Leute, dass ihr die Wahrheit gesagt habt und ihr Anführer ein Lügner ist«, beendet er meinen Satz und ich nicke atemlos.

»Die Chance, dass sie sich uns anschließen und wir gemeinsam gegen die Dämonen kämpfen, ist groß, wenn das Timing stimmt.«

»Die Idee ist gut, aber ich hab keine Ahnung, wie ich das anstellen soll.«

»Dann lass dir was einfallen«, knurre ich und Asher stemmt nachdenklich die Hände in die Hüften.