Chaoten Cops - Joachim K. Sacharow - E-Book

Chaoten Cops E-Book

Joachim K. Sacharow

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Beschreibung

Ein Kriminalroman, bei dem das »Verbrechen« nicht unbedingt im Vordergrund steht. Die ›Damen‹, die sich im Aussehen gleichen, wurden immer mit exakt 20 Messerstichen vom Leben zum Tode befördert. Zu Lebzeiten leisteten sie ihren Anteil zum Bruttosozialprodukt im ›ältesten Gewerbe‹ der Welt. Die abrupt aus dem blühenden Leben gerissenen Frauen sind die einzig störenden Personen in diesem ›Krimi‹. Trotzdem gehören sie dazu, wie das ›Salz in die Suppe‹. Die Ermittlungsmethoden von KHK Schulz und seinem chaotischen Team werden mit Sicherheit in die Kriminalgeschichte eingehen und auf Fortbildungskursen für Kriminalisten zu lebhaften Diskussionen führen. Sie sind, im Gegensatz zu vielen Kollegen aus Fernseh-Krimis, keine Heiligen. Wie auch zahlreiche Mitmenschen, missachten sie die ›10 Gebote‹ und führen einen Lebenswandel, der nicht den moralischen Vorstellungen der Gesellschaft entspricht. Oft ergibt es sich, dass sie ihre menschlichen Schwächen mit wachsender Begeisterung sogar während der Dienstzeit ausleben. Diverse Verwechslungen führen dabei zu den absurdesten Situationen. Die brachiale Vorgehensweise von KHK Schulz und seinem Team hilft bei der Aufklärung der Morde nicht gerade, sondern hinterlässt eine Spur der Verwüstung...

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Seitenzahl: 382

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Viele Räume der Kriminalpolizei in der hanseatischen Großstadt sind noch verwaist. Es ist 06.00 Uhr morgens und zu so früher Stunde ist es im Spätherbst reichlich finster. Erschwerend kommt hinzu, dass der Himmel voller dunkler Wolken hängt, die sich in kurzen Abständen mit gewaltiger Kraft aus Nordost auf die Stadt entleeren und Unmengen von Wasser über Gehwege spülen. Von den Bäumen abgebrochene Zweige und allerlei Unrat werden vom Wasser mitgerissen und verstopfen diverse Kanaldeckel.

Die wenigen Passanten gehen dicht an den Hauswänden um sich vor den sintflutartigen Regenschauern zu schützen. So richtiges, norddeutsches Sauwetter.

Zu allem Überfluss ziehen Nebelschwaden wie Gespenster über die Elbe, die sich durch den südlichen Teil der Stadt schlängelt. Auf dem Fluss ist reger Verkehr, Ruhephasen kennt der Hafen nicht. Rund um die Uhr werden die unterschiedlichsten Güter in die großen Überseeschiffe geladen und andere Waren werden mit Kränen an Land gehievt. Positionslampen einiger Binnenschiffe sind ab und zu sichtbar. Wie von Geisterhand bewegt, gleiten die Lastkähne beinahe lautlos durch den Nebel. Nur durch das Brechen der Wellen an Bordwänden, oder wenn Treibgut an den Kähnen entlangschrammt, werden Geräusche verursacht.

Immer wenn sich die Kähne aus verschiedenen Richtungen einander nähern, betätigen die Schiffsführer ihre Nebelhörner. Langgezogene Töne sind dann zu hören und unterbrechen die Eintönigkeit: Wwwttt! Ungefähr so hört es sich an.

In den Räumen des Polizeipräsidiums geht in immer mehr Zimmern Licht an. In einigen Zimmern spenden seit gestern Nachmittag Neonröhren durchgehend kaltes Licht. In ihnen arbeiten Beamte der Nachtschicht mit unterschiedlichem Ehrgeiz. Ihre Gesichter erscheinen im unnatürlichen Licht wie helle Masken. Sie werden gleich ihren Dienst beenden.

In den beiden Räumen der Mordkommission, in denen KHK Schulz mit seinem Mitarbeiterstab residiert, geht Licht an. Das ist der Startschuss, gleich wird hier auch gearbeitet. Es wird sogar schon gearbeitet, die ausländische Putzfrau mit ihrem beinahe ganz verhüllten Gesicht (fast könnte man sie für eine vermummte Bankräuberin halten) betritt mit Putzutensilien die Räume und waltet ihres Amtes. Keine 10 Minuten später hat sie die Schreibtische vom Staub befreit und die Papierkörbe geleert. In einem Papierkorb muss sie außer üblichen Müll stets einen ›Flachmann‹ entsorgen. Der ihr unbekannte Verursacher hat sich nie die Mühe gemacht, die leere Flasche wenigstens unter dem anderen Abfall zu verstecken.

Nachdem die Frau dem Eimer eine übel riechende Chemikalie aus einer Plastikflasche hinzugefügt hat, wischt sie den Fußboden und verpestet die bis dahin schon unangenehme Luft noch mehr. Es riecht wie in einem speziellem Trainingsraum der Bundeswehr (Militärjargon: Eichmanns-Hobbyshop: Gaskammer), in denen jungen Rekruten die Handhabung von Gasmasken beigebracht wird.

Bevor sie die Räume verlässt, macht sie sich an den Fenstern zu Schaffen und stellt sie in Kippstellung. Frische Luft vermengt sich zu einem undefinierbaren Gemisch mit den vom Boden aufsteigenden Düften. Die Zimmer sind sauber, fast so steril wie die Räume einer Intensivstation im Krankenhaus sein sollten. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern bis die Räumlichkeiten ihrer eigentlichen Bestimmung gerecht werden.

Minuten später betritt KOK Berger den verwaisten Raum, hängt seinen nassen, in die Jahre gekommenen Mantel an die Garderobe, die schon das ›Tausendjährige Reich‹ überlebt hat. Er geht zu seinem alten Schreibtisch, es ist der Platz, der der Putzfrau die Zusatzlast in Form von ›Flachmännern‹ beschert.

KOK Berger ist 37 Jahre alt und hat demnächst Geburtstag. Wenn er den Raubbau an seinem Körper nicht drastisch reduziert, dann hat er mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit über die Hälfte seines Lebens auf der Oberfläche dieses Planeten hinter sich. Erklärung: Berger musste in jungen Jahren einen Schicksalsschlag verkraften. Seitdem denkt er oft an die Worte eines Poeten: Trauer trage alleine, Freude teile mit Mitmenschen!

Seinen Geburtstag kann er nicht vergessen, denn er ist am 11. November geboren. Der Startschuss für die Karnevalssaison erinnert ihn daran, dass schon wieder 365 Tage (vorausgesetzt es ist kein Schaltjahr) im Höllentempo vorbei gerauscht sind. Seit 20 Jahren nimmt er sich vor, im vollen Bewusstsein in seinen Geburtstag hineinzufeiern. Das ist ihm selten gelungen. Stets lag er, wenn die Uhr den neuen Tag ankündigte, sturzbetrunken mit mindestens 2.5 Promille vor einem Tresen.

Bei Berger sind die Gegensätze krass. Saufen tut er wie ein Loch, aber er hat nie eine Zigarette geraucht, geschweige denn an einem Joint gezogen. Mit der größten Selbstverständlichkeit und todernst macht er den rauchenden Kollegen immer wieder klar, dass der Genuss von Nikotin süchtig macht und das Leben stark verkürzen kann! Berger ist 1.98 Meter groß und wiegt nur 64 Kilo. Bei seinen langen Gliedmaßen kann er ohne sich anzustrengen vom gegenüber liegenden Schreibtisch Papiere entnehmen. Seine Sitzposition braucht er dabei kaum verändern.

Oft hört man von ganz ›frischen‹ Witwen, die gerade die Reste ihres ›Verblichenen‹ in einer Urne nach Hause getragen haben, dass sie die Asche dort Umtopfen. Nämlich in eine Eieruhr, damit der Dahingeschiedene weiter ›Arbeiten‹ kann und nicht nur faul in einer Vitrine herumlungert. Wenn es bei Berger einmal soweit ist, dann wäre es schade, ihn in einer Eieruhr weiter ›Schaffen‹ zu lassen. Er kann nach seinem Ableben der Menschheit weiter dienen. Präpariert, mit ausgestreckten Armen über ein Holzgerippe gestülpt, würde er sich als Vogelscheuche auf Obstplantagen oder ähnlichen landwirtschaftlichen Anbauflächen eignen. Nicht ein einziger hungriger Vogel würde in die Nähe kommen, sondern beim Erblicken der Trauergestalt, schweißgebadet und mit verklebten Schwingen, sofort die Flugrichtung ändern!

Berger hat die altersschwache Kaffeemaschine in Gang gebracht und sitzt wartend mit lang ausgestreckten Beinen und feuchten Füßen an seinem Platz. Mit Skepsis betrachtet er die alten, nach außen hin abgelatschten Schuhe, die Feuchtigkeit zieht von den Zehen nach oben. Mit einem Bleistift kratzt er an der Schuhsohle und meint: Es ist wieder soweit!

Die Kollegen haben schon oft gedroht eine Sammlung in anderen Abteilungen zu machen, um ihm vom Erlös neue Schuhe zu kaufen.

Doch auf Äußerlichkeiten legt Berger keinen Wert. Erst wenn er feststellt, dass die Füße von unten nass werden und sich langsam seine Fußnägel aufrollen, sieht er ein, dass die Fürsorge der Kollegen nicht unbegründet ist.

Wer jetzt glaubt, dass er eine Großinvestition tätigt und sich neue ›Treter‹ kauft, der ist auf dem Holzweg. Die alten Schuhe werden zu ›Mr. Minute‹ gebracht und dort mit neuen Sohlen und Absätzen versehen. Berger sitzt derweil vor dem Tresen in Socken herum, wo aus einem Loch meist ein großer Zeh hervorlugt. Das alles kratzt ihn nicht. Geduldig wartet er auf die Reparatur der Schuhe und versenkt nach spätestens einer ½ Stunde seine Füße in die wieder hergestellten Schuhe.

Das einzige Hobby (außer Saufen) ist sein Jahresurlaub. Dann geht es an den spanischen Strand zum Tauchen. Natürlich taucht er nicht am Strand, sondern schmeißt sich mutig in die Fluten des Mittelmeers. Berger hat zahlreiche Frauenbekanntschaften, war aber noch nie so betrunken, dass ihn eine Frau in den Hafen der Ehe locken konnte. Das spricht für seine Intelligenz. Trotz seines Alkoholkonsums ist er ein guter Kriminalist und aus dem Team nicht wegzudenken.

Schwungvoll wird die Tür aufgestoßen und KOK Smirnoff betritt den Raum. Die Kollegen begrüßen sich.

– Gerade kündigt die Kaffeemaschine durch eigenartige Geräusche an, dass die letzten Wassertropfen sich durch den Kaffee in der schon mehrmals benutzten Filtertüte quälen. –

Smirnoff hat denselben Dienstgrad wie Berger, ist aber 2 Jahre jünger und hat etliche Dienstjahre weniger auf dem Buckel als sein Kollege. Obwohl Smirnoff intelligenter ist, ist Berger der Stellvertreter von KHK Schulz.

Warum Smirnoff sich den stressigen Job bei der Mordkommission antut, darauf ist kein noch so guter Kriminalist, inklusive der Beamten anderer Dezernate je gekommen.

Smirnoff entstammt einer reichen Fabrikantenfamilie und ist das ›schwarze Schaf‹ seines Clans. Sein Jura-Studium hat er nach dem 5. Semester geschmissen und ist bei der Polizei gestrandet.

Finanzielle Sorgen hat er nicht. Während des Studiums hat er mit riskanten Börsenspekulationen (Waren-Termin) sehr viel Geld verdient. Das angelegte Geld übersteigt sein Beamtengehalt um das Mehrfache. Er besitzt verschiedene Geschäftsbeteiligungen, die ihm ein sorgenfreies Leben garantieren. Smirnoff trägt nur Designer-Klamotten und für ein paar Schuhe gibt er mehr Geld aus als Berger für seine gesamten ›Treter‹ noch nicht ausgegeben hat. Smirnoff nennt unter anderem eine Penthouse-Wohnung sein eigen und bewegt sich immer im neuesten Porsche über bundesrepublikanische Straßen. Für eine Tankfüllung muss er so viel hinblättern wie Berger in 3 Monaten für sein Monatsticket der öffentlichen Verkehrsmittel. Ansonsten ist er ein guter Kollege und Kumpel. Mehreren Kollegen hat er schon oft über finanzielle Engpässe hinweggeholfen. Diese Transaktionen sind stets unter ›4 Augen‹ geblieben.

Da er gerade so günstig steht, schenkt er Kaffee in 2 Becher und stellt einen vor Berger ab.

»Hast du den voll geschenkt. Ich darf nicht so heiß trinken, das kann mein Magen nicht ab. Du weißt genau, dass ich immer einen Schuss meiner Medizin dazugebe«, sagt Berger und bringt sein Klappergestell in die Senkrechte. 1/3 schüttet er zurück in die Kaffeekanne und setzt sich an den Schreibtisch. Er langt links nach unten und hantiert mit seinen langen Hebammenfingern zwischen Aktenordnern herum. Dann hat er den Hals der Cognac-Flasche erfasst und füllt seinen Becher mit dem Spezial-Elixier randvoll auf.

Sofort probiert er und stellt fest: Jetzt ist die Temperatur richtig, ich kann mir die Zunge nicht verbrennen!

Zum ›Frische-Luft-Reinigungsgemisch‹, welches sich in den letzten Minuten im Raum ausgebreitet hat, kommt eine andere Duftnote hinzu. Ein Schelm würde behaupten, dass es irgendwie nach Alkohol riecht.

KHK Schulz duldet Bergers Eskapaden stillschweigend und mit Kriminalrat Reinders ist zu so früher Stunde nicht zu rechnen. Der streicht um diese Zeit bestimmt noch seiner Frau lustlos über den Hintern. Sollte sie ihn wider Erwarten so früh zum Dienst jagen, dann kann Berger immer noch sagen: »Da können sie mal sehen mit welchen scharfen Reinigungsmitteln die Fußböden gewischt werden. Vor Minuten konnte man es nicht aushalten, ich musste trotz des beschissenen Wetters das Fenster auf ›Kipp‹ stellen, Herr Kriminalrat«.

Berger greift erneut unter den Tisch und zieht sich die Schuhe aus. Smirnoff hat sich an seinen Schreibtisch gesetzt, den Stuhl zurückgeschoben und deponiert seine Füße mit den italienischen Edel-Tretern auf eine Ecke des Tisches. Er nimmt Kenntnis von Bergers Aktion und sagt: »Besohlen hilft nicht mehr, kaufe dir endlich neue Schuhe und bringe diese ins städtische Tierheim. Hunde mögen Leder mit intensiven Schweißgeruch«.

»Dafür sind sie zu schade, die werden neu besohlt. Wirst sehen, dann sind die Treter wie neu«, antwortet Berger und schnuppert daran. Schnell verschwindet der Schuh unter dem Tisch und er denkt: Hoffentlich wird der Schuster nicht narkotisiert, wenn er sich den Schuh zu nahe ans Gesicht hält!

Diese Kommissare sind nicht geschlechtslos wie viele ihrer übereifrigen Fernseh-Kollegen und bilden keine Wohngemeinschaft mit einem Kollegen. Sie haben ein Privatleben und wenn sie Bumsen wollen, dann Bumsen sie. Kein blöder Spruch funkt ihnen dazwischen: »Harry, ein Mord, fahre den ›7-BMW‹ vor«.

Die Tür wird geöffnet und ein weiteres Mitglied des ›manchmal‹ erfolgreichen Ermittler-Teams kommt herein. In den mehr schlecht wie recht abgedroschenen Fernseh-Krimis gehört oft eine Frau zum Ermittler-Stab. Wer auch hier eine junge, emanzipierte Frau mit einem tollen Gesamterscheinungsbild und ›Einsteins IQ‹ erwartet, wird bitterlich enttäuscht, denn der Benjamin dieser Truppe, KK Röder ist da.

Röder ist 25 Jahre alt und in den Augen der Kollegen ein kleiner Trottel, denn er ist verheiratet und hat trotz seiner wenigen Lebensjahre 4 Töchter. Vielleicht hat er sein vorschnelles Ehegelöbnis schon bitterlich bereut, denn sein Schreibtisch ist nur von Fotos seiner Töchter übersät. Gerade auf einem Foto ist wie durch Zufall seine Angetraute mit abgelichtet.

Als Röders Frau 2 Mal innerhalb von 4 Monaten dafür sorgte, dass ein Reparaturbetrieb sich ausgiebig mit dem alten Familien-Kombi beschäftigen musste um ihn wieder fahrbereit zu machen, schenkte er seiner Frau nach dem zweiten selbstverschuldeten Unfall einen Blumenstrauß nebst Karte. Auf der Vorderseite stand in dicken Lettern: FRAUEN FAHREN BESSER

Im Innenteil: MIT ÖFFENTLICHEN VERKEHRSMITTELN

In der folgenden Woche musste Röder seine Butterbrote selbst zubereiten, dann glätteten sich die Wogen wieder.

Berger sagte einmal zu ihm: »Du musst eigentlich mit Nachnamen ›Biber‹ heißen, denn die bauen doch bekanntlich ihren ›Bau‹ mit dem Schwanz.«

Als Smirnoff zum Besten gab: »Hättest dich wenigstens einmal zusammengerissen und etwas länger ›Gehoppelt‹, dann wäre vielleicht ein Stammhalter zustande gekommen.«

Röder hat einen trockenen Humor, er antwortete: »Dafür kann ich nichts, wenn meine Frau sich einen Slip von mir durch die Beine zieht, dann ist sie schon befruchtet«.

In einem früheren Gespräch zwischen Berger und Smirnoff meinte Smirnoff grinsend: »Viele Frauen können nicht einmal richtig Kochen, geschweige denn einen ganzen Haushalt führen. Die Anschaffung einer Gummipuppe wäre nicht das Verkehrteste, die halten wenigstens ihr Plappermaul.«

Darauf Berger: »Habe ich für akute Notfälle. Nur das Aufblasen macht mich so kaputt, dass ich anschließend keine Lust mehr zum Bumsen habe«.

Zurück zu Röder:

Röder ist überdurchschnittlich intelligent. Wie er es allerdings geschafft hat eine Karriere als Kriminalist zu starten, ist für seine Kollegen unerklärlich. Er ist korpulent und misst gerade einmal 1.65 Meter. Der erste Eindruck täuscht allerdings, unter seinen Klamotten ist Röder muskulös und durchtrainiert. Trotz der Korpulenz ist er ein guter Sportler. Bei den Landesmeisterschaften hat er im ›Freistil-Ringen‹ den zweiten Platz belegt. Den Erfolg kommentierten die Kollegen wie folgt: Wenn du noch ein paar Kilos zulegst, dann wirst du ein guter Sumo-Ringer!

Zurück zur Handlung:

Die Kollegen begrüßen sich und Röder richtet die Fotos auf seinem Tisch aus. Die Putzfrau hatte sie bei der Reinigungsaktion etwas verschoben. Jetzt stehen sie wieder in Reih und Glied wie die Zinnsoldaten bei der Parade.

Erst jetzt zieht Röder seine Jacke aus und wirft die Mütze mit einem gezielten Wurf auf die 4 Meter entfernte Fensterbank. Bei der Aktion braucht er keine Angst haben, dass die Mütze an einem Kaktus oder anderen Gewächs hängen bleibt, denn Grünzeug gibt es in dieser Männertruppe nicht. Gardinen können den Vorwärtsdrang der Mütze auch nicht stoppen, denn auch die gibt es nicht. Die Sicht nach draußen wird durch nichts behindert.

Das einzige aus dem Rahmen springende in diesen Räumen ist ein Papagei, der sitzt noch im Nebenraum im Käfig und genießt seine Nachtruhe. Der Papagei spricht nur 4 Wörter, aber die kommen bei Berger nicht gut an. Immer wenn der Papagei Berger sieht, dann kräht er: Schenk ein, mach Striche!

Die Worte hat Röder dem Vogel als kleine Genugtuung für die erduldeten Hänseleien beigebracht.

Die Beamten sind weit davon entfernt, ›Heilige‹ und ›diensteifrige‹ Polizisten zu sein. Diese Chaoten-Truppe besitzt die maßlose Unverschämtheit und unterhält sich über private Dinge, anstatt sich über den aktuellen Fall auszutauschen.

Einige Minuten vergehen und die Kaffeemaschine zwängt gurgelnd die letzten Tropfen der 2. Wasserladung durch ihre verkalkten Eingeweide. Gerade hat Smirnoff einen Witz erzählt, die Kollegen lachen, da geht die Tür auf und der Chef dieses auf Gedeih und Verderb zusammen gewürfelten Haufens kommt herein. KHK Schulz schmeißt die Tür hinter sich ins Schloss und sagt: »Guten Morgen, die Stimmung ist ja schon wieder auf dem Höhepunkt.«

In KHK Schulz sind Eigenschaften mehrerer Fernsehkommissare vereint. Sein Mantel entstammt der ›Colombo‹ Kollektion und seine Pfeife raucht er nach Kommissar ›Maigret‹ Manier. Schulz ist 59 Jahre alt und seit 3 Jahren verwitwet. Seine Frau hat vollends ihre Ruhe, sie braucht nicht in der Eieruhr ›Ackern‹ und sich auch nicht in einer Vitrine bewundern lassen.

Wenn man Fotos von ihr betrachtet, dann kommt ein gehässiger Mensch leicht auf den Gedanken, dass sie ebenfalls präpariert und in voller Körperlänge von 1.68 Meter, mit ausgebreiteten Armen und einem Strohhut auf dem Kopf, noch nützlich sein kann. Auf einem landwirtschaftlich genutztem Stück Erde im Abstand von 50 Metern neben Bergers sterblichen (noch in weiter Ferne) Überresten, könnten beide eine Anbaufläche von 5000 Quadratmetern ›Vogelfrei‹ halten.

Auch die Nähe zur Nord- und Ostsee veranlasste Schulz nicht, ihre sterblichen Überreste der See zu übergeben. Er ließ sie nach jahrhundertealtem christlichem Brauch 7 Fuß in die Erde einbuddeln!

KHK Schulz ist 1.80 Meter groß und von bulliger Statur. Sein Stiernacken wird noch dadurch betont, dass er seine vollen, roten Haare nach bester amerikanischer GI-Manier geschoren trägt. Die buschigen Augenbrauen bilden eine durchgehende Linie. Von seiner äußeren Erscheinung verkörpert KHK Schulz jedenfalls nicht das Idealbild, welches einigen Frauen schlaflose Nächte bereitet und sie dann mangels Erreichbarkeit ihres Idols die halbe Nacht an sich herumspielen!

Wer Schulz das erste Mal sieht, geht unweigerlich auf Distanz. Aber seine ›manchmal‹ ruhige, gemütliche Art lässt das ›Eis‹ schnell brechen und schon viele Kriminelle haben bei Verhören bereut, dass sie sich von ihm so schnell ›Einlullen‹ ließen. Erst beim Abführen in die Zelle schnallten sie was sie da unterschrieben haben und ihre übereilte, nicht durchdachte Handlung mit großer Wahrscheinlichkeit viele Jahre betreute, staatliche Fürsorge gewährleistet!

KHK Schulz zieht seinen Trenchcoat aus und hängt ihn an die Garderobe. Dann geht er mit Rauchutensilien in seinen Raum und kommt mit einer gestopften Pfeife und dem Papageienkäfig samt Inhalt zurück. Den Käfig stellt er auf die Fensterbank. Der Papagei sieht einen nach dem anderen aus verschlafenen Augen an. Auf Berger bleibt sein Blick haften, dann krächzt er: Schenk ein, mach Striche!

Schulz setzt sich auf die Ecke von Röders Schreibtisch und hat von dort direkte Sicht unter Bergers Tisch. Die Schuhe stehen immer noch neben seinen Füßen.

»Stelle deine Samba-Latschen wenigstens zum Trocknen auf die Heizung. Was nützt es, wenn du gleich wieder in die nassen Treter schlüpfst. Kaufe dir mal neue Schuhe, die Dinger kann man nicht mehr besohlen. Jetzt wollen wir uns dem Tagesgeschehen widmen. Habt ihr euch bei den Kollegen erkundigt, ob sie über unseren Fall neue Erkenntnisse haben?«, fragt Schulz und sieht fragend in die Runde.

Außer Achselzucken kommt von Berger und Smirnoff keine Reaktion, nur Röder steht auf und schenkt für Schulz Kaffee ein. Dieser zündet seine Pfeife mit einem Streichholz an und sieht seinen Taubstummen-Verein an. Schulz wundert nichts mehr, im Gegenteil, er würde stutzig werden, wenn ein Redeschwall über ihn hereinbrechen würde.

»Ich erkundige mich«, sagt Röder nach endlosen Sekunden und verlässt den Raum.

Berger bringt seine Schuhe zur Heizung und legt sie verkehrt herum darauf. Eine Zehe schaut nicht aus seinen Socken, dafür ist die rechte Socke am Hacken durchgescheuert. Die Hornhaut an den Fersen ist eingeweicht, hoffentlich kommt er nicht auf die Idee, sich den ›Käse‹ abzukratzen.

Der entzündete Tabak in Schulzes Pfeife bringt ein neues Aroma ins Zimmer und nach mehrmaligem Inhalieren kann der Raum mit den Nebelschwaden auf dem Fluss konkurrieren. Ein Gutes hat es: Der Papagei hält sein Schandmaul, demonstrativ dreht er sich um und sieht beleidigt aus dem Fenster.

Bergers Blick wandert zum Papagei. Unweigerlich sieht er seine Schuhe, die unter dem Käfig auf der Heizung stehen. Durch die Verdunstung steigen Qualmwolken auf und er denkt: Hoffentlich kippt der Vogel nicht von der Stange!

KK Röder kommt zurück und kann den Kollegen nichts Neues über den Fall berichten. Zielstrebig geht er zu seinem Schreibtisch und nimmt einen Schluck von dem inzwischen lauwarmen Kaffee.

»Röder, du bist einmal in Schwung, mime den Vorturner und fasse unsere bisherigen Ermittlungsergebnisse zusammen«, sagt Schulz und verdichtet beim nächsten Ausatmen die Nikotinwolke.

»Immer ich«, sagt Röder und schleppt seine gestreckten 1.65 cm zur Tafel, die fast die Hälfte der einen Wand einnimmt.

Zum Fall:

In den letzten Wochen wurden auf der Reeperbahn in einschlägigen Häusern 3 Prostituierte ermordet. Sie hatten Gemeinsamkeiten, waren zwischen 30 und 40 Jahre alt und hatten blonde Haare. Bei den Obduktionen stellte sich heraus, dass nur eine Naturblond war, 2 trugen Perücken. Eine Hure hatte unter dem Bauchnabel eine pechschwarze, borstige ›Haarmatratze‹. Wie ein jahrelang benutzter Handfeger, den man von der Unterseite betrachtet, sah die Frau aus. Die dritte ›Dame‹ war teilrasiert, nur ein ganz schmaler Streifen roter Haare zeigte ›ortsunkundigen‹ Freiern die Richtung, wo sie den ›Bohrhammer‹ oder ›Hämmerchen‹ ansetzen mussten.

Die Frauen waren auf Betten an den Bettpfosten mit roten Schnüren gefesselt und mit 20 Messerstichen in den Oberkörper getötet worden. Nicht einer mehr oder weniger. Daraus kann man folgern, dass der Mörder zumindest bis ›20‹ zählen kann!

Eine weitere Gemeinsamkeit war die rote Reizwäsche, die durch das viele Blut leider nicht mehr richtig zur Geltung kam.

Außerdem hatten sie alle die gleiche üppige Figur, mit ihrer Oberweite hätten sie noch andere Frauen ausstaffieren können.

Bei den breiten Hintern der Damen musste Röder zwangsläufig an den letzten Zoobesuch mit seinen Töchtern denken, denn die Rückansichten der Frauen erinnerten ihn irgendwie an das lange Verharren vor dem Elefantengehege.

In allen Fällen deutete nichts darauf hin, dass die ›Damen‹ Geschlechtsverkehr hatten. Nur die körpereigenen Flüssigkeiten konnte der Rechtsmediziner analysieren. Der ermittelte Todeszeitpunkt war jeweils zwischen 20.00 und 21.00 Uhr.

Man kann daraus schließen, dass der Mörder einen festen Zeitplan hat und zu Beginn der Spätnachrichten in seinen 4 Wänden sein will. Möglich ist auch, dass er noch nicht volljährig ist und aus dem Grund um 22.00 Uhr zu Hause sein muss!

Eine Hure wurde zuletzt in Begleitung eines korpulenten Herrn mit Vollbart, als Ausgleich dafür war sein Schädel blankrasiert, gesehen. Er zog das rechte Bein leicht nach. Sein Alter konnte die Zeugin nicht schätzen, denn der tief ins Gesicht gezogene, breitkrempige Hut verhinderte es. Beim Betreten eines Zimmers lüftete der Mann den Hut kurz, da sah die Zeugin nur die Rückansicht und von hinten sehen alle Glatzköpfe beinahe identisch aus. Die Aussage machte eine Frau, die ihren Lebensunterhalt ebenfalls im horizontalen Gewerbe verdient, gegenüber einem Streifenpolizisten. Der Polizist hatte ›leider‹ seinen Kugelschreiber und den Schreibblock im Streifenwagen vergessen und konnte sich Namen und Anschrift der Zeugin nicht notieren. Die Dame reagiert auf den schönen Namen ›Linda‹. Das hat der Beamte sich gerade noch gemerkt. – Vollbart, Glatze und das Hinken können auch Tarnung sein. –

Röders Bericht endet mit der Feststellung: Hoffentlich kommt nicht die Meldung über einen weiteren Mord, wo eine Hure, die in das Muster passt, mit 19 Messerstichen getötet wurde, sonst haben wir es womöglich mit 2 Mördern zu tun!

Aus den Tatsachen kann man die irrsinnigsten Schlüsse ziehen.

Gespannt hörten die Kollegen sich Röders Zusammenfassung an. Sogar der Papagei drehte sich herum, verkrampfte seine Krallen in die Holzstange und lauschte leicht schwankend Röders Worten.

Berger wird nervös, er steht auf und holt seine Schuhe. Dann setzt er sich und beugt sich vor um die Schnürsenkel zu binden. Im selben Moment entgleitet ein gewaltiger Furz seinem Hintern und lässt seine schlabberige Hose vibrieren. Schnell ändert der Papagei seine Position und schaut wieder aus dem Fenster.

Das ›Luft-, Reinigungs-, Alkoholgemisch‹ mausert sich zu einer bedrohlichen, hochexplosiven Substanz. Wenn das so weiter geht, dann muss der ›Kampfmittel-Räumdienst‹ hier seine Fähigkeiten unter Beweis stellen.

Durch die auf ›Kipp‹ gestellten Fenster entweicht ein Teil des Konzentrats. Bestimmt fallen gleich die ersten Eichhörnchen vom kahlen Baum, der in unmittelbarer Nähe wächst.

»Offenes Feuer vermeiden, Smirnoff, zünde bloß keine Zigarette an, sonst ziehen wir mit einem lauten Knall und dem ganzen Laden mit mehrfacher Überschallgeschwindigkeit auf ›Wolke 7‹ um«, sagt Berger trocken und bindet die Schnürsenkel seines zweiten Schuhs zu. Dann steht er auf und geht aus dem Raum. Sein Weg führt ihn in die Asservatenkammer, dort arbeitet ein guter Bekannter von ihm. Berger hat bei ihm Hochprozentiges gebunkert und will seinen ›Pegel‹ auf den Normalstand bringen. Vor seinen Kollegen wollte er zu so früher Stunde nicht schon die zweite ›Medizin‹ zu sich nehmen.

Mit dem Kollegen wechselt Berger einige Worte und geht nach Einnahme der selbst verordneten Medizin durch das Treppenhaus. Er traut seinem Hintern nicht, denn im Fahrstuhl will er keinen weiteren Furz derselben Güteklasse lassen.

Das kann nur am Bohneneintopf liegen, den ihm seine Nachbarin gestern gebracht hat. Das ›Muttchen‹ hat großen Anteil daran, dass er außer der hochprozentigen Nahrung seinen Verdauungsorganen hin und wieder feste Nahrung gibt. Sofern man bei Suppe von ›fest‹ reden kann. Seinen Gedankengang muss er unterbrechen. Er betritt das Büro. Von der Fensterbank hört er: Schenk ein, mach Striche! Berger wirft dem Federviech einen verhassten Blick zu und kommt der Aufforderung des Papageis nicht nach.

Emsiges Treiben herrscht im Büro. Röder hat sich die Papiere des klapprigen VW-Golf geschnappt. Während Bergers Abwesenheit ist kein neuer Mord an einer Prostituierten, womöglich mit 19 oder 21 Messerstichen gemeldet worden. Die Kollegen haben Glück, sie brauchen weiterhin nur einen Mörder zur Strecke bringen!

»Fahrt mir hinterher, ich muss meinen Wagen noch in die Werkstatt meines Vertrauens bringen und Winterreifen aufziehen lassen«, sagt Smirnoff.

»Ich muss noch zu ›Mr. Minute‹ und meine Treter runderneuern lassen«, sagt Berger und sieht zu Röder, der seinen Parka an hat. Smirnoff wirft sich seinen Kamelhaarmantel über die Schulter und auch Berger schlüpft in seinen Mantel.

Schulz blickt in die Runde und kratzt sich am Kopf, dann sagt er zu Röder: »Willst du vielleicht schnell deine Frau abholen und mit ihr ins Küchenstudio fahren? Ihr wollt doch eine neue Küche kaufen. Das könnt ihr auf dem Weg erledigen, wo ihr schon einmal unterwegs seid. Ich sehe es kommen, der Mörder stirbt irgendwann in freier Wildbahn an Altersschwäche. Kommt endlich in die Hufe. Wenn ihr die Kneipen nach der Linda durchforstet, dann macht nicht wieder so viele Spesen. Kriminalrat Reinders Gesicht nimmt jedes Mal die Farbe eines Feuerlöschers an, wenn ich ihm eure kreativen Spesenabrechnungen auf den Schreibtisch werfe.« Beleidigt gehen sie, Schulz hält mit dem Papagei die Stellung. Berger will gerade die Tür zuziehen, da krächzt der Papagei: Schenk ein, mach Striche!

Auf dem Hof sagt Smirnoff: »Ihr wisst ja wo meine Werksatt ist, ich fahre schon vor«.

Verstehend nicken die Kollegen und gehen auf den verrosteten Golf zu. Röder öffnet ihn, schiebt den Sitz nach vorne und setzt sich. Jetzt reichen seine Füße bis an die Pedale. Dann öffnet er die Beifahrertür, Berger zieht sie auf. Je weiter der Winkel wird, umso tiefer hängt die Tür durch. Er zwängt sich rein und zieht die Tür schnell ins Schloss, bevor sie ganz von den Haltebolzen reißt.

Mit dem Sicherheitsgurt ist es auch so eine Sache, der ist an einer Stelle durchgescheuert. Vor Tagen hat Röder ihn einfach wieder zusammengeknotet. Jetzt passt der Gurt aber nur noch um dürre Klappergestelle wie Berger, weil der Knoten nur bis zur oberen Öse am Dachholm geht und nicht durch die schmale Führung hindurchpasst.

– Ein dunkles Brummen, Smirnoff rauscht im Porsche vorbei. –

Röder startet den GOLF und staunt, denn die Klapperkiste ist schon nach dem 3. Startversuch angesprungen. Er fährt rückwärts aus der Parkbucht und legt den Vorwärtsgang ein, dann beginnt mit einer scharfen Linkskurve die rasante Fahrt. Ein sich vom Wagen entfernendes Scheppern ist zu hören. Erstaunt macht Röder sich lang und sieht aus dem Fenster.

»Was war das?«, fragt er und sieht zu Berger.

»Wir haben nur Ballast abgeworfen, die vordere Radkappe auf meiner Seite hat sich verabschiedet. Die finden wir sowieso nicht mehr, sie ist unter den Bus der Bereitschaftspolizei gerollt«, sagt Berger und lehnt sich zurück.

Die Bremsen sind auch nicht mehr die Besten, nur knapp vor dem sich senkenden Schlagbaum kann Röder den Wagen zum Stillstand bringen, die halbe Motorhaube ist schon unter der Barriere hindurch. Der Schlagbaum ist direkt vor der Windschutzscheibe. Gerade sehen sie noch das Heck vom Porsche, der sich in den morgendlichen Berufsverkehr einordnet. Der Schlagbaum geht hoch und der stressige Alltag der Ermittler beginnt.

»Hoffentlich verlieren wir nicht noch den Auspuff«, sagt Röder und wirft wieder einen Blick auf die Fahrbahn. Der Rest Bremsbeläge wird heute bestimmt auch noch abgeschliffen, denn der Verkehr verlangt es, dass er alle paar Meter stoppen muss.

»Da vorne ist der Schuster, beim nächsten Stopp springe ich raus. Hole Smirnoff ab und dann kommt ihr zu mir«, sagt Berger und macht schon die Tür auf. Sekunden später geht er auf das Geschäft zu.

Der Schuster hat gerade die Jalousien hochgezogen und die Tür aufgeschlossen, da sieht er mit langausholenden Schritten Berger kommen. Am liebsten hätte er den Schlüssel wieder in die andere Richtung gedreht und sich unsichtbar gemacht. Aber es ist zu spät, Berger drückt die Tür auf und sagt: »Morgen Chef, du hast wieder die Gelegenheit dein Meisterstück abzuliefern. Etwas stimmt mit den Schuhen nicht, ich bekomme bei Regen nasse Füße. Wie kann so etwas nur passieren?«.

Der Inhaber sieht auf Bergers Schuhe und sagt: »Ich betreibe dieses Geschäft seit 9 Jahren und ebenso lange kenne ich das Paar Schuhe. Die einzigen Originalteile daran sind die Metallösen wo die Senkel durchgezogen werden. Irgendwann musst du dich von den Tretern verabschieden«.

Berger ignoriert es und setzt sich auf einen Hocker, zieht die Schuhe aus und sagt: »Bastele mal eine neue Sohle darunter. Und wenn du schon dabei bist, dann kannst’e auch gleich neue Hacken anbauen. Dieses Mal will ich aber ›Garantie‹ auf deine Arbeit, ich habe keine Lust die Schuhe nächstes Jahr schon wieder zum Reparieren zu bringen. So langsam geht das ins Geld.«

Der Schuster betrachtet die Schuhe und rauft sich die Haare. Dann meint er: »Die kann ich nicht auf die Schnelle reparieren, die Dinger müssen erst trocknen«.

»Komme in die Hufe, du wirbst doch damit, dass du jeden Schuh in einer Stunde reparierst«, antwortet Berger trocken.

»Hätte ich auf meine Eltern gehört und in der Schule besser aufgepasst, dann wäre mir so was erspart geblieben«, sagt der Schuster und sieht zu einem Regal, in dem reparierte Schuhe stehen.

Er geht darauf zu und nimmt ein paar ›Elbkähne‹ heraus, die lang auf dem Regalbrett stehen. Als Kindersärge könnte man die Schuhe zweckentfremden.

Der Schuster hält Bergers ›Treter‹ an die Sohlen der Schuhe aus dem Regal. Dann sagt er: »Probiere mal, das sind Schuhe, die Kunden zum Reparieren brachten und nicht abgeholt haben. Das Paar steht schon Jahre hier, für die Reparaturkosten überlasse ich sie dir. Deine Treter müssen mindestens einen Tag trocknen. Morgen Nachmittag kannst du sie abholen.«

Berger schaut auf den Zettel, der an einem Schuh befestigt ist: 18.00 Euro steht darauf. Er probiert sie an und sagt: »Die sind maßgeschneidert und auch noch mit einem elastischen Gummizug. Das ist Klasse, da brauche ich mich nicht so oft bücken, um die Schnürsenkel neu zu binden«.

– Dabei denkt er an seine Furzerei. Die Hose wird so noch 3 Jahre länger halten, wenn sie nicht ewig die Luft aus seinem Hintern abfangen muss und dann hat die außerplanmäßige Ausgabe von 18.00 Euro sich bezahlt gemacht. –

Trotzdem fragt er: »Können wir etwas handeln?«

»Wir sind nicht auf dem Basar. Siehe mal die Qualität, die kannst du noch Jahre schleppen. Kaufe heute mal ein Paar in der Größe und Qualität, du kennst die Preise nicht mehr. Ich wette, dass du die letzten 10 Jahre kein Schuhgeschäft von innen gesehen hast«, sagt der Schuster und merkt, dass das Gespräch stark an seinem Nervenkostüm rüttelt. »Du hast mich überzeugt, dafür darf ich meine Socken solange auf die Heizung legen, bis meine Kollegen mich abholen«, antwortet Berger und hat die Socken schon ausgezogen.

»In Ordnung, dafür berechne ich nichts extra«, sagt der Schuster und geht hinter den Tresen.

Berger legt die Socken auf die Heizung.

Jetzt geht der Schuster zur Heizung und deponiert Bergers Schuhe dort. Schon überlegt Berger, ob er den nassen Mantel auch dort ablegen soll. So abgebrüht will er sich nicht geben und fragt stattdessen: »Kann ich diese Schuhe morgen mitbezahlen? Ich habe nur 20.00 Euro dabei und muss nachher noch einkaufen. Sonst muss ich meine Kollegen anpumpen«.

»Kannst morgen bezahlen, wegen der fehlenden 18.00 Euro melde ich keinen Konkurs an. Aber du holst die Schuhe ab, nicht das die den Platz von dem Paar einnehmen«, sagt der Schuster und zeigt auf das Paar vor Bergers Füßen.

»Kannst dich drauf verlassen. Ich habe mich so an die Schuhe gewöhnt und sie an mich, ich bin mir sicher: Wenn ich sie nicht hole, dann würden sie von ganz alleine angelatscht kommen und bei mir vor der Wohnung stehen«, antwortet Berger und sieht zum Fenster. – Noch ist mit der Ankunft der Kollegen nicht zu rechnen –

Die Beiden unterhalten sich über Politik und das beschissene Wetter. Die Minuten fliegen dahin. Lautes Gehupe veranlasst sie zum Fenster zu sehen, die Kollegen sind da. Schnell holt Berger seine Socken und schlüpft hinein. Ohne zu Furzen ist Berger in die ›Secondhand‹ Schuhe geschlüpft und verschwindet mit einem: »Bis morgen, ich verlasse mich ganz auf dein handwerkliches Geschick, enttäusche mich nicht«.

Jetzt betrachtet der Schuster Bergers Schuhe richtig und denkt: Mann oh Mann, vielleicht sollte ich alle Schuhe verschwinden lassen und heute Nacht einen Einbruch vortäuschen, indem ich die Schaufensterscheibe einschlage. Die Arbeit an den Tretern kann der mir überhaupt nicht bezahlen! Schnell verwirft er den Plan.

Berger lässt sich in den verschlissenen Sitz fallen. Smirnoff sitzt hinter Röder, dort hat er durch den nach vorne geschobenen Sitz fast die Beinfreiheit wie in einer Stretch-Limousine.

– Die Fahrt geht weiter, der ›sündigen Meile‹ entgegen –

»Bei dem Scheißwetter habe ich wenig Lust durch die Botanik zu latschen, wollen wir nicht den Vorschlag vom Chef annehmen?«, fragt Berger.

»Welchen Vorschlag?«, will Röder wissen.

»Wir holen deine Frau ab und suchen eine neue Küche aus, vier Augenpaare sehen mehr als 2«, antwortet Berger seelenruhig.

»Du musst schon wieder Medizin genommen haben, sonst würdest du nicht solchen Blödsinn reden«, kommt Smirnoffs Kommentar von den billigen Plätzen.

»Wir latschen doch von Kneipe zu Kneipe, da kann uns der Regen nicht viel anhaben«, sagt Röder.

Sie erreichen das berüchtigte Viertel, vor ihnen wird eine Parkbucht frei. Geschickt manövriert Röder den Schrotthaufen hinein. Kurz darauf stehen sie unter einem Vordach und teilen sich den Bezirk ein. Dann schwärmen sie aus.

Berger geht in einen Hauseingang, greift in seine Tasche und fördert einen Flachmann zutage. Ein kräftiger Schluck und sein Motor hat die Antriebskraft um wieder reibungslos eine Stunde zu funktionieren. Gerade sieht er Kollege Röder in eine Kneipe verschwinden. Es wird Zeit, dass ich mit der Arbeit beginne, sonst erröte ich, wenn ich mein Gehalt von der Bank abhebe, denkt er und steuert auf eine einschlägige Pension zu.

Berger betritt den verwahrlosten Schuppen und staunt. Maler und andere Handwerker könnten sich hier wochenlang austoben um die Hütte auf Vordermann zu bringen. Die Stromkabel laufen noch wie vor dem Krieg auf der Wand entlang. In einer Ecke ist ein dickes Fallrohr zu sehen. Berger nimmt an, dass die Scheiße aus den oberen Klos direkt hier am Empfangstresen vorbeirauscht.

Im Krieg wurde die Hansestadt stark zerbombt, ausgerechnet diese Lasterhöhle haben die alliierten Streitkräfte vergessen, denkt er und ruft laut: Hallo!

Absolut keine Reaktion. Nichts deutet darauf hin, dass in dieser hochherrschaftlichen Behausung jemand anwesend ist. Berger sieht auf eine Wand und denkt: Wenn die Anstreicher hier starten, dann wird ihnen ein Teil der Arbeit abgenommen, denn die schmuddelige Tapete rollt sich teilweise von der Wand. Im unteren Bereich ist sie von Schimmel befallen und bildet dadurch einen interessanten Kontrast zum Muster der Original-Tapete.

Kakerlaken und andere Tierchen haben hier eine prima Spielfläche und brauchen nicht hungern. Bestimmt ist das Ungeziefer schon in der 7. oder 8.Generation hier polizeilich gemeldet, denkt er und brüllt aus voller Kehle ein zweites Mal: Hallo!

Zuerst hört er schlurfende Schritte, dann eine weibliche Stimme: »Mal keine jüdische Hast, ich bin kein D-Zug«.

Sehen kann er die Person immer noch nicht, aber die schlurfenden Geräusche werden lauter und Berger hat die berechtigte Hoffnung, dass er noch vor dem Mittagessen eine Ansprechpartnerin hat.

Jetzt wird eine bis dahin angelehnte Tür aufgedrückt und eine alte Frau betritt die Bühne. Berger ist einiges gewohnt, aber jetzt muss er sich doch zusammenreißen. Die Lady ist bestimmt 80 Jahre alt und geschminkt, als wenn sie gleich den ›Autostrich‹ durch ihre Anwesenheit bereichern will. Die Klamotten scheint sie im Kleiderschrank ihrer Ur- Enkelin gefunden zu haben. In ihrer Glanzeit hat sie vielleicht ›Hitlers SS-Schergen‹ in einem Wehrmachtspuff frohe Stunden bereitet und ihnen Andenken in Form von diversen Geschlechtskranken mit auf den Weg in den Krieg gegeben, denkt er im Bruchteil einer Sekunde und konzentriert sich wieder auf den Anlass seines Besuchs.

Berger fragt, ob eine ›Dame‹, die auf den schönen Namen ›Linda‹ hört, hier bekannt ist und beschreibt die Frau.

»Ich kenne einige ›Lindas‹, aber keine auf die die Beschreibung passt«, antwortet sie und will sich abwenden.

Berger hat einen Geistesblitz, die Linda, die sie als Zeugin suchen, passt ins Raster der ermordeten Huren. Vielleicht ist sie schon tagelang tot und gammelt in einer Absteige vor sich hin? Er rennt womöglich bei dem Scheißwetter durch die Botanik und die hat die Frechheit, sich ermorden zu lassen und ihren Körper den Maden zur Verfügung zu stellen. Berger ist in der Stimmung, dass er einen Schluck ›Medizin‹ vertragen könnte, aber er reißt sich zusammen und denkt: Ich bin kein Alkoholiker!

Berger überreicht der Lady seine Visitenkarte und bittet sie ihn umgehend anzurufen, falls die vermutliche Zeugin hier auftaucht. Er verabschiedet sich von der ehemals bestimmt erfolgreichen ›Penis-Dompteuse‹ und verlässt das Panoptikum.

Draußen sieht er sich um, der Regen hat nachgelassen. Wieder typisch, denkt er: Ich habe anständige Treter an den Füßen und kann nicht feststellen, ob die Dinger wasserdicht sind.

Berger ist nicht dumm. In 10 Metern Entfernung sieht er eine Wasserpfütze. Dort werde ich den ›33 Sekunden-Test‹ machen, sagt er sich und geht darauf zu. Mitten in die Pfütze stellt er sich. Das dreckige Wasser reicht genau bis zur Naht, wo der Hacken mit dem Schuh verbunden ist. So will er testen, ob die Nähte dicht sind. Es ist ihm allerdings zu blöde auf die Uhr zu schauen.

Die ersten vorbeiflanierenden Passanten sehen ihn mitleidig an. Nach geschätzten 33 Sekunden macht er 2 Schritte und hat wieder trockenen Boden unter den Elbkähnen. Er ist zufrieden, den 1. Belastungstest haben die ›neuen‹, bestimmt 10 Jahre alten Schuhe erfolgreich bestanden. Berger ist sich sicher, dass die noch nicht vorgenommene Investition von 18.00 Euro kein aus dem Fenster geschmissenes Geld ist und reibt sich die Hände. Er geht weiter und überlegt, ob er die Kollegen informieren (Linda fault vielleicht vor sich hin) soll. Er greift in die Innentasche des Mantels um das Funkgerät herauszunehmen. Das Gerät ist aber glattflächig geworden? Hat die Putzfrau es dermaßen abgewischt, dass alle rauen Stellen abgescheuert sind, denkt er. Sofort merkt er, dass es nicht an dem ist. Er hat in die falsche Tasche gelangt und den ›Flachmann‹ in der Hand. Als wenn die Medizin direkt mit der ›Oberleitung‹ der Deutschen Bundesbahn verbunden ist, lässt er den Freudenspender los.

Berger kommt vom ursprünglichen Vorhaben ab und denkt: Bis heute Mittag werde ich Leute befragen, dann fahren wir sowieso ins Präsidium um den ungenießbaren Kantinenfraß hinunterzuwürgen und mit dem Chef das weitere Vorgehen zu besprechen. Er geht weiter. Immer wieder ertappt er sich beim Anblick einer Pfütze dabei, direkt hindurchzulatschen. Nur durch eiserne Disziplin umgeht er die kostenlosen Testobjekte.

Zeitgleich zu Bergers Aktionen:

Smirnoff geht in ein Bistro und wählt in Tresennähe einen Tisch. Die mit allen weiblichen Reizen ausgestattete Bedienung nimmt seine Bestellung eines ausgiebigen Frühstücks entgegen. Keine 2 Minuten vergehen und sein Frühstück naht.

Nachdem er den Verdauungsorganen genug zum Verarbeiten zugeführt hat, steckt er eine Zigarette an. Nach der zweiten Zigarette geht er zum Tresen und bezahlt. Er verlässt den wohltemperierten Raum und geht raus ins Hamburger Schmuddelwetter.

Zuerst steuert er eine Spelunke an die rund um die Uhr geöffnet ist und wo sich unter anderem arbeitsscheues Gesindel und der Überbleibsel der Nacht herumtreibt. Diesen amtlich genehmigten Treffpunkt von Tagedieben und Taugenichtsen sucht er seit dem ersten Nuttenmord in Abständen von 3 Tagen auf. Bisher hat er dort nichts erfahren, aber die Lage kann sich von Tag zu Tag ändern. Nur wenige Meter trennen ihn vom Eingang. Das laute Gegröle der Gäste vermischt sich mit der Musik aus der mehrere 100 Watt-Anlage. Gewaltig, denkt Smirnoff, denn die Eingangstür ist zu und auch keines der beiden Fenster geöffnet.

Smirnoff öffnet die Tür und muss nach einem Meter einen dicken, klebrigen Vorhang zur Seite schieben, um in das Herzstück dieses Bumsladens zu gelangen.

Ein undefinierbarer Duft kommt ihm entgegen. Da er ein guter Kriminalist ist, analysiert er, dass es sich um Zigarettenqualm und abgestandenen Alkohol handelt, der seit mindestens gestern Abend hier konzentriert wirkt. Notfalls kann man die ›Substanz‹ zum Einschläfern von alten, kranken Haustieren nutzen. In dieser Höhle würde der Papagei keinen Tag überleben, denkt Smirnoff und macht einen weiteren Schritt in den Raum, der den Anwesenden als zweiter, oder auch erster Wohnsitz dient.

Alle verstummen und blicken ihn an, nur die Musikanlage dröhnt, dass die Boxen ›Samba‹ tanzen und die Gläser im Regal klirren.

»Na ihr Sittenstrolche und Zuhälter, blockiert mein Anblick eure Stimmbänder. Fehlt noch, dass ihr zum Amt geht und einen Behindertenausweis beantragt. Gerade habe ich euch aus 30 Metern Entfernung prima gehört«, sagt Smirnoff und blickt in die Runde ›Stummer‹.

An einem Tisch sitzen 3 Personen. Zwei Möchtegern-Zuhälter mit verschmierten Haaren und billigen Schmuck. Natürlich gehört eine ROLEX aus China (unter Brüdern 25.00 Euro) dazu. Die dritte Person ist eine betrunkene Hure, ihre Haare stehen in allen Richtungen vom Kopf. Die Schminke ist verlaufen, der Lidschatten hat sich wohl gesagt: Warum soll ich nur die Augen zur Geltung bringen? Über die halben Wangen haben sich Farben und Cremes verteilt. Die Dame wäre bei jeder mitternächtlichen Groofti-Veranstaltung auf einem Friedhof die Hauptattraktion. Scheinbar ist der Frau warm ums Herz, denn die linke Hängetitte hat sie freigelegt und zur Kühlung auf einem Teller, wo noch die Reste von Kartoffelsalat und Senf zu sehen sind, abgestützt.

Smirnoff kennt die Drei von früheren ›Besuchen‹, geht auf sie zu und sagt: »Es wird behauptet, dass eine ›Pflaume‹ 3 Eckhäuser in bester Lage wert ist, aber bei ihr reicht es nur für diesen Edel Gastronomiebetrieb, der vom Autor des jährlich neu erscheinenden Reiseführers mit den städtischen Sehenswürdigkeiten seit Jahrzehnten ignoriert wird«.

Die Kinnladen der ›leicht‹ alkoholisierten Möchtegern-Zuhälter klappen herunter und legen lückenhafte Reihen gelber Zähne frei. Smirnoff hat freien Blick auf arg strapaziertes, teilweise schon faules Zahnfleisch. Ein penetranter Geruch kommt ihm entgegen, er denkt: Jeder Zahnarzt würde sich beim Anblick der Gebisse die Finger reiben, weil er sich bei der Behandlung dumm und dämlich verdienen kann. Bestimmt unterbricht der Zahnarzt die Erstellung des Kostenvoranschlags für die ›Kauleisten‹ und bestellt sich beim Autohändler seines Vertrauens das neueste Modell des ›12-Zylinder Jaguar‹ mit Ledersitzen und Echtholz-Armaturenbrett!

Der Gedanke lenkt Smirnoff nur einen Sekundenbruchteil ab. Die Lady in der Runde legt den Kopf in den Nacken. Dadurch rutscht ihr Busen vom Teller und verteilt Senf und Mayonnaise auf ihre ohnehin nicht saubere Bluse. Sie wundert sich bestimmt, dass ihre ›Bekannten‹ schlagartig die Sprache verloren haben. Erst jetzt nimmt sie Smirnoff richtig wahr und sieht ihn aus glasigen Augen an. Stimmt nicht ganz, mit dem einen Auge schaut sie in Richtung ›Cuxhaven‹ und mit dem anderen nach ›Kiel‹. Mit anderen Worten: Die Dame schielt gewaltig! Eine Fliege, die den Herbst überstanden und beschlossen hat, hier zu überwintern, kommt dem einen offenen Mund gefährlich nahe. Der moderige Geruch aus der Mundhöhle veranlasst sie die Flugrichtung schnell zu ändern. Mit einer eleganten Linkskurve nimmt sie direkten Kurs auf den Tresen, wo auf einem Teller zum Verzehr freigegebene Frikadellen angeboten werden.

Die Hure erkennt Smirnoff und versucht Worte zu formen, das misslingt gänzlich. Nur Speichel, vermengt mit den Leckereien die sie zuvor zu sich genommen hat, rinnt aus dem linken Mundwinkel und versucht sich mit Senf und Mayonnaise auf der linken Titte zu vermengen. Bestimmt findet sie einen perversen Freier, dem es Spaß macht, das Vorgekostete abzuschlecken.

Mit einem Zuhälter geht eine seltsame Wandlung vor. Der hat doch wohl nicht unter dem Tisch eine Flasche vom wundersamen Heilwasser aus ›Lourdes‹ versteckt und Smirnoff ist entgangen, dass er davon einen Schluck getrunken hat? Der Mann kann wieder sprechen, wenn auch unbeholfen. Den lallenden Worten entnimmt Smirnoff, dass es nichts Neues in Sachen ›Linda‹ gibt.

Dem anderen Zuhälter sinkt der Kopf auf den Tisch und er fängt an zu Schnarchen, die Hure zeigt sich solidarisch und legt den Kopf auch auf den Tisch. Die freigelegte Hängetitte lagert jetzt noch platter an der Tischkante, dafür hat die ›Dame‹ ihre Stirn auf den vielseitig verwendbaren Teller gelegt.

Smirnoff kann das Elend nicht mehr sehen. »Hör dich weiter um, soll dein Schaden nicht sein«, sagt er zum einzigen begrenzt aufnahmefähigen des Trios und geht auf den Tresen zu.

Besser ist die Situation da auch nicht, das Publikum gehört dem gleichen ›Berufsstand‹ an. Zwei ›Damen‹ mit ihren männlichen Security-Leuten sitzen auf zerschlissenen Barhockern und halten sich am Tresen fest. Eine Hure hat an beiden Knien ihre Strumpfhose durchgescheuert.

Smirnof denkt: Das ist die Spezialistin für Blasmusik, die im Park kniend den Kerlen im Schnelldurchgang Beethovens 9. bläst, dass den Freiern die Hüte davonfliegen. Schon will er der Hure den Vorschlag machen, dass sie Knieschützer benutzen soll, wie ›Estrichleger‹ sie haben. Das verkneift er sich jedoch.

Bis eben hat der Wirt mit einem fettigen Tuch Gläser poliert, jetzt legt er den Fetzen zur Seite und hält das polierte Glas gegen die schummerige Lampe. Ohne Kommentar wirft er das Glas in den Abfallbehälter und widmet sich seinem neuen Gast. »Wir haben Augen und Ohren offen gehalten, aber es ist wie verhext, von der Linda haben wir nichts gehört«.

Zustimmend nickt das Quartett am Tresen. Nach Sekunden bekommt die eine Hure, die den Mund bei der Arbeit nicht so strapaziert, die Zähne auseinander und sagt: »Eine auf die deine Beschreibung passt, habe ich oft gesehen, nur die letzten Tage nicht. Vielleicht arbeitet sie nicht mehr ›freischaffend‹ auf der Straße. Sie ist bestimmt die ›Karriere-Leiter‹ hochgeklettert und hat eine ›Festanstellung‹ im Bordell, Herr ›Oberwachtmeister‹.«

Smirnoff nickt mit dem Kopf, sein Blick wandert zum Teller mit den Frikadellen. Auf der obersten hat sich die Fliege häuslich niedergelassen und lässt es sich schmecken. »Dann bis die Tage«, sagt er und wendet sich ab. Im Augenwinkel sieht er, dass der Wirt sich das Tuch greift und das nächste Glas schnappt. Aha, denkt Smirnoff, Nachschub für den Abfalleimer. Sekunden später hat er den Vorhang und die Tür hinter sich. Smirnoff atmet die frische Luft ein und geht weiter.

Zeitgleich ist auch Röder aktiv, er betritt ein Stundenhotel. Das Haus ist im Gegensatz zu dem, welches Berger aufgesucht hat, der reinste Luxusbau. Sauber tapeziert, keine Stromkabel sind sichtbar und die Scheiße wird in Rohren innerhalb der Wände der städtischen Kläranlage zugeführt.

Er geht auf den Empfangstresen zu. Dahinter sitzt ein alter Mann und blättert in einem abgegriffenen Pornoheft. Damit er auch die kleinste Kleinigkeit erkennen kann, hat der Opa sich eine Lupe zu Hilfe genommen.

»Mensch Opa, mit dem Brennglas muss dir ja das kleinste ›Muschi-Haar‹ wie eine durch Schlamm kriechende Würgeschlange vorkommen. Gucke bloß nicht genau ins Loch, sonst denkst du, dass du den ›Vesuv‹ aus der Hubschrauberperspektive siehst und bekommst einen Herzinfarkt. Zeige mal, ist möglich, dass ich die Lektüre konfiszieren muss«, sagt Röder und grinst den Mann an.