Charming Rogue - Olivia Hayle - E-Book

Charming Rogue E-Book

Olivia Hayle

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Beschreibung

Hayden Cole war der Bad Boy der Stadt und der beste Freund meines Bruders. Als ich etwas mit ihm anfing, war niemand wirklich glücklich darüber. Doch das war mir egal, denn wir liebten uns. Plötzlich verließ er ohne ein Wort die Stadt und brach mir mein Herz. Ich wollte ihn nie, nie wieder sehen. Und jetzt, 10 Jahre, später steht er vor mir. Genauso sexy wie früher. Und er will mich zurück… 

Alle Titel der Reihe "Paradise Brothers" können unabhängig voneinander gelesen werden.


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Cover for EPUB

Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Hayden Cole war der Bad Boy der Stadt und der beste Freund meines Bruders. Als ich etwas mit ihm anfing, war niemand wirklich glücklich darüber. Doch das war mir egal, denn wir liebten uns. Plötzlich verließ er ohne ein Wort die Stadt und brach mir mein Herz. Ich wollte ihn nie, nie wieder sehen. Und jetzt, 10 Jahre, später steht er vor mir. Genauso sexy wie früher. Und er will mich zurück…

Alle Titel der Reihe »Paradiese Brothers« können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Olivia Hayle

Olivia Hayle ist eine hoffnungslose Romantikerin mit einer großen Vorliebe für Milliardäre. Da sie leider noch keinen in der der Realität getroffen hat, erschafft sie sie kurzerhand selbst – auf dem Papier. Ob sexy, charmant, cool oder verletzlich – bislang hat sie noch keinen (fiktiven) Milliardär getroffen, den sie nicht mochte.

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Olivia Hayle

Charming Rogue

Aus dem Amerikanischen Englisch von Katja Wagner

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Motto

PROLOG

1: Hayden

Hayden, 11

2: LILY

Lily, 10

3: LILY

Lily, 10

4: LILY

Gegenwart

5: Hayden

Hayden, 11

Lily, 13

6: LILY

Gegenwart

7: Hayden

Hayden, 17

8: LILY

Gegenwart

9: Hayden

Hayden, 18

Lily, 17

10: Hayden

Gegenwart

11: LILY

Lily, 17

12: LILY

Gegenwart

13: Hayden

Hayden, 19

14: LILY

Gegenwart

15: LILY

Lily, 18

16: Hayden

Gegenwart

17: Hayden

Hayden, 19

18: LILY

Gegenwart

19: Hayden

Hayden, 19

20: Hayden

Gegenwart

21: Hayden

Hayden, 19

22: LILY

Gegenwart

23: Hayden

24: Hayden

25: LILY

26: Hayden

27: LILY

28: Hayden

29: LILY

30: Hayden

31: LILY

32: Hayden

Ein paar Monate später …

EPILOG — EIN JAHR SPÄTER

Lily

Impressum

Lust auf more?

»Sie küsste mich. Sie küsste den Teufel. Nur eine schöne Seele wie ihre würde den Verdammten küssen.«

Daniel Saint

PROLOG

Du hast mir alles bedeutet, und dann hast du mir das Herz gebrochen.

Aber ich glaube, das war unvermeidbar. Es war uns vorbestimmt, uns zu lieben. Das ist nur fair, oder, Hayden? Zumindest war es das für mich. Ich glaube nicht, dass ich je wirklich eine Wahl hatte … von dem Moment an, als ich dich vor all diesen Jahren zum ersten Mal sah.

Sicher, damals wusste ich es noch nicht, aber das macht meine Liebe nicht weniger echt. Die Wahrheit ist, dass du mich schon faszinierst, seit ich zehn Jahre alt war.

Ich habe es dir einmal erzählt, erinnerst du dich? Und du hast mich angelächelt mit diesen Bernsteinaugen und gefragt, ob ich »faszinierend« im Sinne von »dieser komische Käfer ist ja faszinierend« meinte, und mir tat das Herz weh in dem Wunsch, dir begreiflich zu machen, wie sehr ich dich liebte.

Wie sehr ich dich immer noch liebe.

Alles hätte so anders sein können, Hayden, wenn du dich auf mich eingelassen hättest, als ich dich das erste Mal darum bat.

Wenn du uns eine Chance gegeben hättest.

Wenn du nach dem Unfall nicht weggegangen wärst.

Vielleicht, nur vielleicht, lässt du dich dieses Mal auf mich ein. Wir sind jetzt älter und klüger. Es sind Dinge passiert, die niemals wieder ungeschehen gemacht werden können. Aber einige Dinge sind geblieben. Unsere Herzen verstehen sich immer noch. Die Entfernung und die Stille zwischen uns haben das nicht geändert.

Manche Liebesgeschichten sind unkompliziert. Doch unsere war es nie.

1

Hayden

Hayden, 11

Es ist schwer, den Tag zu vergessen, an dem man gerettet wurde.

Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen; der Wind, der in den Bäumen heulte, das Geräusch des heftigen Regens, der auf das Blechdach des schäbigen Autos meines Onkels trommelte.

»Sie haben mir einen Job angeboten«, hatte er mir erzählt. »Und wir können dort auch wohnen.«

Aber das Haus am Ende der Auffahrt ist wie keines der Häuser, die ich je gesehen habe. Es ist ein Anwesen. Die Front wird von einer breiten weißen Veranda umrahmt, die selbst in der Dunkelheit zu sehen ist.

»Hier werden wir leben?«

»Nein, unten am Strand gibt es ein Haus, in dem wir wohnen werden.«

»Sie haben ihr eigenes Strandhaus?«

»Ja. Mach uns das bitte nicht unnötig schwer.« Ich höre die Müdigkeit in der Stimme meines Onkels.

Ich zucke die Achseln und wende mich ab. In den letzten zwei Jahren bin ich nichts als unkompliziert gewesen. Zwei Jahre, in denen wir fünfmal umgezogen sind und ich in fünf verschiedene Schulen ging. Ich war das Paradebeispiel für unkompliziert.

Ich habe noch nicht viel von Paradise Shores gesehen, aber eins ist klar: Dies ist ein reicher Ort. Menschen wie wir bleiben hier nicht, jedenfalls nicht lange.

»Sie haben Kinder«, sagt mein Onkel. »Mr. Marchand meinte, er hätte Söhne. Sie sollen in deinem Alter sein.«

»Aha.«

»Das wird toll. Wir werden hier zur Ruhe kommen.«

»Klar.«

Gary stößt einen frustrierten Seufzer aus. »Ich gebe mein Bestes, Junge.«

»Ich weiß.« Ich würge die Worte hervor, die sich bitter in meinem Mund anfühlen. »Danke.«

Eines Tages muss ich niemandem mehr danken. Ich werde so reich und berühmt sein wie diese Stars im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken, die überall hingehen und alles tun können. Eines Tages wird mir selbst so ein Haus gehören.

»Na los. Wir können nicht ewig hier rumstehen.« Gary legt den Gang ein und lässt den Wagen die breite Auffahrt hinaufrollen. Sein linkes Knie wippt auf und ab.

Sonst ist Gary nie nervös. Ich lehne mich vor und versuche, mir einen Eindruck von dem Haus zu verschaffen. Es hat mindestens drei Stockwerke und ist mit weißen Holzpaneelen verkleidet. Die blaue Doppeltür und die Veranda werden von gepflegten Beeten flankiert. Es sieht aus wie ein Haus aus einer Werbung, eines, in dem es Golden Retriever und blonde Kinder mit glücklichen Gesichtern gibt.

»Bist du wirklich sicher, dass wir hier richtig sind?«

Gary schnaubt. »Ja, ich bin sicher, Junge.«

Die Eingangstür wird geöffnet. Vor dem Licht im Inneren erscheint die Silhouette eines großen Mannes und rechts neben ihm die eines Mädchens. Er hat ihr die Hand auf die Schulter gelegt.

»Gary?«, ruft er. »Sind Sie das?«

Mein Onkel flucht und zieht sich die Jacke bis zu den Ohren hoch. Er vibriert förmlich vor Nervosität.

»Bleib hier«, sagt er und tritt in den Regen hinaus, der seine dünne Bomberjacke durchweicht und ihm das braune Haar an den Kopf klebt. Es ist so anders als mein pechschwarzes Haar, das ich von meinem Vater geerbt habe. Es ist die einzige Äußerlichkeit, die ich mit ihm teile, auch wenn ich das aufgrund seiner Abwesenheit in letzter Zeit nicht so genau sagen kann.

Ich beobachte, wie er mit dem Mann spricht, diesem Mr. Marchand. Das Mädchen an dessen Seite späht in den Regen hinaus. Sie kann mich unmöglich sehen, nicht bei dieser Dunkelheit und dem Regen. Außerdem hat der Wagen getönte Scheiben.

Sie verschwindet im Haus. Mein Magen knurrt wieder, aber ich ignoriere es. Es ist nur nervig, wenn Gary es hört.

Ich hasse es, wenn er sich wegen mir schuldig fühlt. Ich hasse es, eine Last zu sein.

Das Mädchen kommt in einem hastig übergeworfenen Regenmantel aus dem Haus gerannt. In der Hand hält sie einen Regenschirm. Vor meiner Tür bleibt sie stehen und schiebt sich die Strähnen ihres langen rötlich braunen Haars zurück. Sie ist jünger als ich, wenn auch vermutlich nicht viel. »Hallo? Bist du da drin?«

Ich atme tief ein und überprüfe noch mal die Pflaster auf den Knöcheln meiner rechten Hand.

»Lass sie nicht sehen, dass du gekämpft hast«, hatte Gary gesagt und den Kopf geschüttelt, als ich versuchte, ihm zu erklären, ich hätte mich nur verteidigt.

Dann öffne ich die Tür und setze zum ersten Mal einen Fuß in Paradise Shores.

2

LILY

Lily, 10

»Lily!«, ruft Parker aus seinem Zimmer direkt gegenüber von meinem. »Hast du Atlas gesehen?«

Ich kraule den Golden Retriever hinter dem Ohr. »Nein!«

Von seinem Platz in meiner Leseecke aus gibt Rhys ein Schnauben von sich und blättert eine Seite seines Buchs um. »Lügnerin.«

»Wegen ihm hatte ich gestern nur die Hälfte meiner Computerzeit.«

»Ach so.«

»Lily, bist du sicher?!«

»Ja!«

»Ich kann für sie bürgen!«, ruft Rhys. Irgendwie spricht er immer gedehnt, selbst wenn er etwas ruft. Meine Brüder könnten nicht unterschiedlicher sein.

Auf dem Flur erklingen schwere Schritte, und Parkers blonder Kopf erscheint in meiner Tür. Sein Blick fällt auf Atlas, der zu meinen Füßen liegt. »Lily!«

»Was denn?«

»Ich hatte dich gefragt!«

»Hast du?«

Stöhnend geht er auf den Hund zu. Atlas kommt schwanzwedelnd auf die Beine, und Parker tätschelt ihm den Kopf. »Du weißt doch, dass ich diese Woche dran bin, mit ihm Gassi zu gehen.«

»Ach, stimmt ja.«

»Leck mich, Lily.«

»Mom hat dir gesagt, dass du das nicht sagen darfst«, erwidere ich. Ein schwaches Argument, aber bei drei älteren Brüdern habe ich gelernt, alle verfügbaren Waffen zu benutzen.

Parker rollt mit den Augen. »Mom hört uns gerade nicht.«

»Du hast ihr gestern die Hälfte ihrer Zeit am Computer geklaut«, erklärt Rhys, ohne sich die Mühe zu machen, uns anzusehen.

»Natürlich bist du auf ihrer Seite.«

Rhys – älter als Parker und ich, wenn auch nicht ganz so alt wie Henry – schnaubt erneut, als wäre all dies unter seiner Würde. Das kann er erschreckend gut. »Ich bin auf der Seite der Wahrheit.«

»Wenn es dir gerade passt, du Arschloch.«

»Parker!« Nur Dad benutzt dieses Wort.

Rhys schließt hörbar sein Buch. »Also, was liegt dir heute auf der Seele?«

»Nichts.«

»Erspare uns beiden die Mühe, und spuck’s einfach aus.«

Parker spielt mit Atlas’ Halsband. »Ich finde, Dad sollte das Strandhaus nicht vermieten.«

»Aber wir benutzen es doch kaum.«

»Doch, im Sommer schon.«

Ich runzle die Stirn. Zugegeben, ich kann Parker verstehen. Das kleine Häuschen liegt direkt am Strand, nur einen Steinwurf von unserem Haus entfernt. In den letzten Sommern hat Mom uns dort immer kleine Betten aufgestellt. Wir konnten dort herumliegen, durch das Fenster im Dach die Sterne beobachten und Marshmallows essen. Und wenn wir Glück hatten, hat sie uns eine Geschichte erzählt. Die besten waren die, die sie sich ausdachte, weil man nie wusste, wie sie endeten.

Außerdem kamen in ihren Geschichten immer vier äußerst mutige Geschwister vor.

Ich sehe Rhys an. »Wieso lässt Dad jemand anderen dort wohnen? Es gehört doch uns.«

»Wegen Geld«, antwortet Parker finster.

»Nein, du Idiot. Dad hat einen neuen Gärtner gefunden. Der Typ bringt wohl auch ein Kind mit. Also werden sie hier wohnen.«

»Ist es ein Mädchen?«, frage ich.

»Wie alt ist es?«, fragt Parker.

Rhys rollt mit den Augen. »Mehr weiß ich nicht.«

»Hey, wie hast du das überhaupt herausgefunden? Uns haben sie noch gar nichts davon erzählt!«

»Dad hat es Henry erzählt und Henry mir.« Rhys wirft uns beiden einen überheblichen Blick zu. »Sie kommen nächste Woche.«

»Ich hasse es, wenn ich so was als Letzter erfahre.« Parker wendet sich Atlas zu und schnalzt mit der Zunge. »Komm, mein Junge. Lass uns zum Strandhaus gehen, solange wir noch dürfen.«

Rhys wartet, bis die beiden mein Zimmer verlassen haben. Dann kommt er zu mir herüber, stützt sich auf die Lehne meines Stuhls und betrachtet schweigend meine Zeichnungen. Mit angehaltenem Atem warte ich auf sein Urteil. Einmal hat er einen Elfen, den ich gemalt habe, »genial« genannt, und ich habe den ganzen Tag auf Wolke sieben geschwebt.

Er deutet auf ein Bild, an dem ich noch arbeite. »Du zeichnest die Größenverhältnisse jetzt viel besser.«

Der riesige Drache, der sich um ein Schloss windet, ist noch nicht fertig, aber ich nicke zustimmend. »Ich habe geübt.«

»Sieht man.«

Henry und Parker sind sich in vielen Dingen ähnlich, so sind beide zum Beispiel sehr sportlich. Henry schlägt ihn jedoch bei Gesellschaftsspielen wie Scrabble. Er war es auch, der – obwohl er damals selbst noch ein Kind war – Parker das Fahrradfahren beigebracht hatte, während Dad wegen seiner Arbeit unterwegs war.

Aber Rhys? Rhys ist mein Lieblingsbruder, und ich grinse bei seinem Lob. »Danke.«

Als Erwiderung verwuschelt er mir das Haar und greift wieder nach seinem Buch. »Weißt du wirklich nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist?«

»Wie gesagt, Lils.«

»Könnte ja sein, dass du nur gelogen hast, um Parker auf die Palme zu bringen.«

Rhys verzieht den Mund. »Ich weiß es wirklich nicht.«

»Okay.« Ich nehme meinen Stift und mache mich wieder an die Arbeit. Das lange Warten auf nächste Woche, wenn wir herausfinden, wer der neue Spielkamerad ist, hat begonnen. Ich hoffe, es ist ein Mädchen, und wir werden beste Freundinnen.

In diesem Haushalt bin ich wirklich in der Unterzahl.

3

LILY

Lily, 10

Es war ein Junge, und er wurde der beste Freund meiner Brüder.

Hayden verbrachte die meiste Zeit mit ihnen, spielte unter der heißen Sommersonne Volleyball oder lernte, wie man segelt. Abends lagen sie im Keller zusammen auf der Couch und forderten sich gegenseitig bei Nintendo-Spielen heraus.

Das wusste ich noch nicht, als er hier anreiste. Nein, als er nach Paradise Shores kam, war ich völlig euphorisch. Hayden war im selben Alter wie Parker, doch ich war als Einzige zu Hause, als er und sein Onkel ankamen. Ein Freund nur für mich, dachte ich. Kein Mädchen – was besser gewesen wäre –, aber damit würde ich vorliebnehmen müssen.

Ich werde nie vergessen, wie er damals aussah, draußen in dem Regen vor unserem Haus. Das Wasser tropfte ihm aus dem dichten Haar und rann sein Gesicht hinunter. Selbst in der Dunkelheit konnte ich erkennen, dass seine Augen bernsteinfarben waren. Das hatte ich noch bei keinem Menschen gesehen. Ich würde versuchen, die Farbe zu zeichnen.

»Worauf starrst du denn so?«

Das wurde ich noch nie gefragt. »Auf dich.«

»Tja, dann sieh einfach woanders hin.«

»Das ist albern.« Ich biete ihm an, meinen Regenschirm mit ihm zu teilen. »Es regnet. Komm schon, lass uns reingehen.«

Er schielt zu seinem Onkel hoch, und sein Blick wird trotzig. »Okay.«

»Hast du Hunger? Ich kann dir ein Omelett machen.« Also, so halbwegs. Mom hat es uns letzte Woche versucht beizubringen, und ich erinnere mich an alle einzelnen Schritte. Ganz allein habe ich noch keins gemacht, aber ich fühle mich sehr erwachsen dabei, ihm eins anzubieten.

»Ich mag keine Omeletts.«

So ein Mist. Etwas anderes kann ich nicht zubereiten. »Magst du Cornflakes?«

»Ja.«

»Gut. Komm, wir haben ganz viele verschiedene Sorten. Parker mischt sie gern, aber ich nicht.« Im Dunkeln finde ich seine Hand und ziehe ihn Richtung Haus. »Ich zeige dir sogar, wo die Choco Puffs sind.«

Seine Hand hält meine vorsichtig umfasst. Ich blicke zurück, doch er folgt mir gehorsam. Wir sind gleich groß.

Ich lächle zu Dad hoch, als wir an ihm und dem neuen Gärtner vorbeigehen. »Lily?«

»Ich mache ihm Cornflakes.«

Dad nickt. »Das ist nett von dir, Liebling.«

Der neue Gärtner wirft dem Jungen einen Blick zu, als ob er ihm etwas sagen wollte. Ich weiß nicht, was.

Der Junge nickt.

»Geh nur«, sagt der Mann.

Ich hänge den Regenmantel an Moms Haken und grinse den neuen Jungen an. »Wie heißt du?«

»Hayden«, erwidert er. Er sieht nicht mich an, sondern die geschwungene, doppelte Treppe, die zu beiden Seiten des Foyers in den ersten Stock führt. Mom hat immer eine Vase mit Lilien auf dem Tisch dazwischen stehen. Es sind die Blumen, nach denen ich benannt wurde.

»Hübsch, oder?«

»Schon.«

Ich sehe ihn mir von oben bis unten an. Er wirkt ziemlich mürrisch, dieser dunkelhaarige Junge, der nicht lächelt. Aber ich bin sicher, dass seine Laune sich bessern wird, wenn er etwas gegessen hat. Henry ist genauso, wenn er Hunger hat. »Hier geht’s zur Küche.«

Er wählt die Choco Puffs und mischt sie nicht mit den anderen Cerealien. Ein guter Anfang.

Ich befülle mir selbst eine kleine Schüssel und setze mich auf einen Küchenhocker ihm gegenüber. Hayden isst schweigend, und falls er bemerkt, dass ich ihn dabei beobachte, erwähnt er es nicht.

Aber schon bald siegt meine Neugier. »Also, mein Name ist Lily«, sage ich.

»Aha.« Er isst weiter.

»Hm … du wirst mit deinem Vater im Strandhaus wohnen, oder?«

»Er ist mein Onkel.«

»Oh. Wie schön.« Ich habe noch nie jemanden getroffen, der bei seinem Onkel lebt. Also sollte ich wohl behutsam vorgehen. »Hast du Durst? Kann ich dir ein Glas Wasser bringen?«

»Nö.«

Mom wüsste genau, was zu sagen wäre, sie ist eine tolle Gastgeberin. Wenn sie doch nur da wäre! Ich versuche, ihre weiche Stimme nachzuahmen. »Es wird dir hier gefallen. Die Stadt ist wirklich nett. Und es gibt am Strand eine schöne, kleine Bucht. Die kann ich dir irgendwann zeigen.«

Er nickt nur. Himmel, ist er still! Niemand in meiner Klasse ist so ruhig. Vielleicht stimmt irgendwas nicht mit ihm. Er schaufelt sich den nächsten Löffel voll Cerealien in den Mund, und ich bemerke seine Hände.

»Wieso hast du so viele Pflaster?«

Haydens Augen nehmen einen wachsamen Ausdruck an. »Ich habe mich geschnitten.«

»Tut mir leid.«

»Muss es nicht.«

Ich trage meine leere Schüssel zur Spüle, während ich nachdenke. Er ist still. Er ist ein Junge. Und er sieht ziemlich … tja, unordentlich aus. Meine Mutter würde meine Brüder nie ein Shirt in der falschen Größe tragen lassen wie dieses, das ihm sackartig über die Schultern hängt.

Plötzlich lastet die Verantwortung, die perfekte Gastgeberin sein zu müssen, schwer auf mir. Dad kümmert sich ums Geschäftliche, ich mich um den Jungen.

»Hast du schon mal Nintendo gespielt?«

Sein Kopf ruckt hoch. »Ein- oder zweimal.«

»Möchtest du spielen?«

»Okay.«

»Na schön.« Ich mache mich auf den Weg Richtung Treppe. »Dann los.«

Als Haydens Onkel ihn eine Stunde später abholen kommt, findet er uns schlafend auf der Couch im Untergeschoss. Der Fernseher läuft noch.

4

LILY

Gegenwart

»Lily! Komm schon!«

Beim Klang von Turners Stimme rolle ich mit den Augen. »Ich brauche noch ein bisschen, aber vielen Dank.«

»Nein, tust du nicht. Hast du vergessen, dass ich dein Chef bin?«

»Eigentlich ist das dein Vater. Genau genommen ist er unser beider Chef.«

Aus dem gläsernen Büro kommt ein Lachen. »Das war ein Tiefschlag. Als Vergeltung dafür werde ich jetzt auch dein Mittagessen verdrücken.«

»Nein, nein, ich komme!« Ich klappe meinen Laptop zu und eile die drei Meter von meinem Büro zu seinem hinüber. Turner sitzt am Besprechungstisch, auf dem zwei Poke Bowls stehen. Für mich gibt es ein Mineralwasser und für ihn eine Diätlimo.

»Du arbeitest zu hart«, tadelt er mich. »Lass mal Druck ab.«

»Tja, wir haben eben viel zu tun. In fünf Tagen ist Abgabe bei den Andersons.«

»Wir sind fast fertig, Lily. Du hast bei der Raumausstattung hervorragende Arbeit geleistet, ganz zu schweigen von der Gartengestaltung. Die hat die Bauabnahme mit fliegenden Fahnen bestanden.«

Ich nicke und stochere in meinem rohen Lachs herum. Er hat recht. Dennoch, das Anderson-Projekt ist das erste Haus, dessen Entwicklung ich leite, seit ich in Turners Familienunternehmen angefangen habe. Immobilienentwicklung war nie mein Traum, aber ich habe am College genug Architekturseminare belegt, um die Grundlagen zu verstehen – ganz zu schweigen vom Dekor.

Die Mischung aus Verantwortung und Teamwork, die die Immobilienentwicklung mit sich bringt, ist aufregend. Und es macht Dad glücklich. Wieder eins der Marchand-Kinder, das seinen Beruf gewählt hat.

»Danke.« Ich schenke ihm ein Lächeln. »Es ist schon ein Nervenkitzel, oder? Die Baubranche?«

Turner nickt. »Der größte überhaupt. Du kannst jahrelang an einem Projekt arbeiten, dich an jedem Detail abrackern, aber wenn du am Ende durch das fertige Haus gehst …«

»Dann siehst du endlich dein fertiges Meisterwerk«, sage ich und muss an Michelangelo und die Sixtinische Kapelle denken, für deren Bemalung er vier Jahre gebraucht hat. Kunstgeschichte zu studieren, hat sich – wie mein Vater anmerkte – nicht wirklich ausgezahlt, doch es waren einige der besten Jahre meines Lebens.

»Ich werde meinen Vater wissen lassen, dass du seine Bauvorhaben um den Yachthafen herum Meisterwerke genannt hast«, erwidert Turner. »Das wird dich beim Alten noch beliebter machen, als du es ohnehin schon bist.«

Ich lache auf. »Du Schmeichler. Ich weiß doch, dass ich den Job nur wegen dir bekommen habe.«

»Okay, vielleicht habe ich ein gutes Wort für dich eingelegt. Aber vertrau mir, der Vorstand war absolut einverstanden.«

»Danke. Schön zu wissen.«

»Klar.« Er nickt in Richtung des Ingwers in meiner Schüssel. »Machst du da immer noch einen Bogen drum?«

»Jep. Hier.« Ich schiebe ihm die Schüssel hinüber, und Turner pickt sich die Ingwerstücke umsichtig mit zwei Stäbchen heraus. Wenn jemand mir als Teenager gesagt hätte, dass ich eines Tages eng mit Turner Harris, der ultimativen Schulsportskanone und dem arschigen Freund meiner Brüder, zusammenarbeiten würde, hätte ich ihm ins Gesicht gelacht. Aber die Dinge ändern sich wohl. Einst hatte ich mir eine Zukunft erträumt, in der ich Mrs. Hayden Cole wäre und meine eigene Kunstgalerie haben würde.

»Also …« Turner konzentriert sich auf das Öffnen eines Päckchens Sojasoße. »Ich fahre morgen Abend mit Catalina raus. Sie muss mal ein bisschen ihre Segel blähen.«

»Der Wind sollte gut sein. Du und Parker?«

»Tatsächlich habe ich ihn noch nicht gefragt. Ich dachte, du würdest vielleicht gern mitkommen …«

»Ich?«

»Ja.« Er grinst. »Du bist zwar eine Weile nicht gesegelt, aber ich bin sicher, du weißt noch, wie es geht. Ihr seid doch früher ständig auf dem Wasser gewesen.«

Das sind wir, allerdings bin ich mir bei den Knoten immer noch unsicher. Und auch bei meinem Bein …

Es ist nach dem Unfall großartig verheilt, und eigentlich tut es auch nicht mehr weh, nur manchmal spielt es noch immer nicht richtig mit. Ein ganz leichtes Hinken ist geblieben, und hin und wieder blockiert es einfach. Wenn wir in einen Fallwind geraten, besteht die Möglichkeit, dass ich mein Gewicht nicht abstützen kann.

»Das stimmt«, antworte ich. »Danke, aber ich glaube, ich bleibe morgen lieber an Land. Bevor ich wieder Skipper spielen kann, brauche ich wohl erst mal einen Auffrischungskurs.«

»Besser ist das«, frotzelt er. »Ich will doch nicht, dass du auf Catalinas glänzendem neuen Deck seekrank wirst.«

»Igitt, Turner.« Ich schüttele den Kopf. »Ich bin keine völlige Anfängerin.«

»Nein, natürlich nicht.« Er lächelt mich an, und sein Lächeln wirkt irgendwie bedeutungsvoller als sonst. »Gehst du am Wochenende zu der Maze-Party?«

»Ja. Tatsächlich geht die ganze Familie hin. Von euch kommen sicher auch alle, oder?«

Er nickt. »Ja, meine Eltern werden da sein. Aber ich dachte … Wie wäre es, wenn wir zusammen hingehen?«

Ich bin kurz verwirrt. Die Maze-Party ist die größte Veranstaltung des Sommers in Paradise Shores, eine Gartenparty, die immer in der Grünanlage beim Strand stattfindet, mit vielen vertrauten Gesichtern und Cocktails im Überfluss. Es gibt einen kleinen Irrgarten, Maze, der extra für die Kinder aufgebaut wird und der der Party ihren Namen verleiht. Es ist praktisch eine Institution. Über die Jahre sind Turner und ich oft zur selben Zeit dort gewesen.

Aber jetzt will er, dass wir …

»Zusammen hingehen?«, frage ich geistlos. »Wie ein Date?«

Er legt den Kopf schief und errötet leicht. »Ja, wenn du willst. Oder als gute Freunde und Kollegen. Ich verbringe gern Zeit mit dir.«

Mein erster Impuls ist, ihm abzusagen. Es ist aus hundert verschiedenen Gründen eine schlechte Idee. Zuerst einmal habe ich mich noch nie zu ihm hingezogen gefühlt. Dann ist er der Freund meines Bruders. Und auf der Highschool war er irgendwie ein Arsch.

Und dann ist da noch diese kleine, vertraute und nervige Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüstert, dass er nicht Hayden ist. Jedes Mal, wenn ich glaube, dass ich so weit bin, nach vorn zu sehen, kann ich sie hören.

Ich bringe sie zum Verstummen. »Sehr gern.«

Man glaubt, man würde einen Schmerz, Betrug oder Verlust nicht verwinden, aber man tut es. Jeden Morgen steht man auf, und wieder scheint die Sonne. In der Ferne brechen die Wellen immer noch ans Ufer, und deine Mom macht dir immer noch Buttermilchpfannkuchen. Die Welt dreht sich weiter. Und man merkt, wie man selbst auch weitermacht.

Als Hayden weg war, habe ich das Angebot, nach Yale zu gehen, angenommen, und es war alles, was ich wollte. Dort gab es Kunst- und Designseminare, interessante Studentenorganisationen, die Nähe zur Stadt und eine lebhafte Studentenvertretung. Es war nahe genug an New York und damit auch nahe bei Rhys. Ich verbrachte ein Semester in Paris, um an der Sorbonne Kunst zu studieren und mein Französisch zu verbessern.

Aber dort gab es nicht das Seafood, das ich so liebte, nicht den Strand und das Meer. Und es gab dort keinen Hayden.

Nicht dass er dort gewesen wäre, selbst wenn er gekonnt hätte. Das hatte er ganz deutlich gemacht. Seit Jahren hat niemand mehr etwas von ihm gehört. In Paradise Shores taucht er nicht auf, und in den sozialen Medien ist er auch nicht aktiv. Als ob er das jemals gewesen wäre.

Ihm in dem ersten Monat damals Nachrichten zu schicken, war gelinde gesagt demütigend. Ich schickte ihm eine nach der anderen, ohne eine Antwort zu bekommen. Bis er mir eines Tages zehn ganze Wörter zurückschrieb.

Ich gehe für eine Weile fort. Pass auf dich auf, Lily.

Tatsächlich elf Wörter, wenn man meinen Namen mitzählt.

Das war alles, was ich bekam. Rhys bekam sogar noch weniger, und Parker war einfach nur verwirrt.

Das eine Foto, das mir unbeabsichtigt in die Hände fiel, kam von Haydens Onkel. Er hatte es meiner Mom gezeigt, die wiederum Henry, und irgendwie ist es dann bei mir gelandet.

Es zeigte Hayden in Uniform. Sein dichtes, dunkles Haar war verschwunden, abrasiert bis zur Kopfhaut. Unter seinem einen Arm steckte seine Mütze, und er stand mit zurückgezogenen Schultern aufrecht da. Er sah schön aus, schön auf fremde, erwachsene Art. Er starrte direkt in die Kamera, und seine Augen, ernst und distanziert, verrieten nichts. War er glücklich beim Militär? Hatte er seine Berufung gefunden?

Der Mann auf dem Foto konnte mir keine Antworten geben … dem echten Hayden nicht unähnlich.

Also verbannte ich das Foto aus meinen Gedanken und konzentrierte mich darauf, etwas aus mir zu machen. Ich verbrachte fünf Jahre in New York, wo ich gegenüber von Rhys wohnte und in einer Galerie nach der anderen arbeitete. Irgendwann wurde es langweilig, und ich vermisste das Meer und meine Familie. Also kam ich nach Paradise Shores zurück und landete bei Harris Property Development, dem Rivalen meines Vaters. Jetzt habe ich mein eigenes Haus nahe am Meer und verbringe fast jedes Wochenende bei meiner Familie, inklusive Pfannkuchenbacken und Brunch.

Es ist ein gutes Leben – trotz des Hayden-förmigen Lochs darin. Was also macht es schon, dass ich Turner noch nie in Erwägung gezogen hatte? Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis. Er ist nett, und wir haben schon viel zusammen gelacht. Es war die völlig richtige Entscheidung, seinen Vorschlag für ein Date anzunehmen.

Ich werde mein weißes Spitzenkleid und meine Sandalen mit den Keilabsätzen anziehen, Champagner trinken und mich mit Turner amüsieren. Keine Erwartungen, keine Angst.

Aber heute Abend kuschele ich mich auf die Couch vor dem Fernseher. Es wäre Unsinn, sich jetzt schon wegen eines Dates zu stressen, das erst in ein paar Tagen stattfindet. Im Fernsehen kommt eine neue Dokumentation über italienische Kunst, die ich mir ansehen möchte.

Die Sendung hat gerade angefangen, als mein Handy summt. Es ist eine Nachricht von Parker.

Rate, wer dieses Wochenende in die Stadt kommt? Hayden!

5

Hayden

Hayden, 11

»Ist doch schön hier, oder?«

Ich sehe mich im Strandhaus um. Wir haben schon ausgepackt, was nicht lange gedauert hat. Es gibt eine Küchenzeile und ein Wohnzimmer mit zwei großen Sofas. Und ein riesiges Badezimmer mit der größten Dusche, die ich je gesehen habe. Eigentlich verfügt das Haus nur über ein Schlafzimmer, aber jemand hat den großen, begehbaren Kleiderschrank neben dem Wohnzimmer zu einem zweiten Schlafzimmer mit einem Einzelbett umgebaut.

Die Böden sind aus Holzdielen, und riesige Fenster geben den Blick auf das Meer frei. Das Geräusch der Wellen hat das Schlafen in den ersten Nächten schwierig gemacht.

»Ja, schon.«

Kopfschüttelnd sieht Gary mich an. »Du wirst dich daran gewöhnen. So wie ich.«

Vermutlich. Gary und ich haben schon schlechter gewohnt. Und in den Jahren davor mit meinem Vater, als es nur ihn und mich gab … Dies hier ist so ganz anders im Vergleich zu überall herumliegenden, leeren Flaschen und plötzlichen Gewaltausbrüchen.

»Wo wollen wir sie hinstellen?« Gary hält das gerahmte Foto meiner Mutter hoch. »Auf den Tresen?«

»Nein.« Ich runzele die Stirn. Dort würde sie uns beim Essen anstarren.

Gary schaut sich um. »So viel Auswahl haben wir nicht, Junge.«

Ich deute auf eine der Fensterbänke. »Wie wäre es da?«

Er stellt das Bild auf und tritt, die Hände in die Hüften gestemmt, ein paar Schritte zurück. »Perfekt. Von hier aus kann sie auch das Meer sehen.«

Eine blonde Frau lächelt uns von dem Foto an. Sie ist gestorben, als ich fünf war, und in meinen Gedanken ist sie zu einer entfernten Erinnerung geworden, einer Frau, die nach Vanille und Umarmungen duftete. Gary sieht seiner Schwester überhaupt nicht ähnlich, aber er ist ein guter Mensch. Er hat ihr Bild immer an jedem Ort aufgestellt, an dem wir gewohnt haben.

»So ist es gut, oder?«

»Ja.« Ich wende mich der dicken Broschüre auf dem Tresen zu. Auf der Titelseite ist ein riesiges Backsteingebäude abgebildet, vor dem glücklich lachende Schüler in Uniformen im Gras sitzen. »Paradise Shores Preparatory School?«

»Genau die.« Mein Onkel nimmt die kleine Ansteckkrawatte hoch, die zu meiner Schuluniform gehört, und dreht sie hin und her.

»Wer nennt seine Stadt Paradise? Was für ein dämlicher Name ist das denn?«

Gary lacht auf. »Ich weiß. Das ist … Hay, das ist völlig bekloppt. Aber die Schule ist gut.«

»Wer bezahlt dafür?«

»Die Marchands. Es ist eine Nebenleistung des Jobs.«

Ich fahre mit der Hand über die gebügelte Hose. Sie schreit nach Geld, teurem Stoff und hohen Erwartungen. Ich habe keine Ahnung, was solche Privatschulen wie diese kosten, aber es muss mehr sein, als Gary verdient. »Eine ganz ordentliche Nebenleistung.«

Er streckt die Hand aus und verwuschelt mir das Haar.

»Nicht!« Ich streiche es glatt, damit es mir wieder über die Stirn fällt.

»Das hier wird toll.«

»Klar.«

»Alle Marchand-Kinder gehen auf diese Schule. Du kannst morgens mit ihnen mitfahren.«

Ach ja. Die Marchand-Kinder.

Da ist Henry, der größte und aufgeblasenste der kleinen Gruppe. Er hat mir die Hand gegeben, als wäre er ein Erwachsener und kein Vierzehnjähriger mit kratziger Stimme.

Dann Rhys, der nicht viel sagte, mich aber von Kopf bis Fuß musterte, als würde er vermuten, ich hätte irgendeine fremdartige Krankheit.

Der blonde Junge in meinem Alter, Parker, fragte mich, ob ich irgendwann mal hinten auf dem Rasen Lacrosse spielen wollte. Ich habe abgelehnt. Lacrosse hört sich dämlich an.

Zwischen uns liegen Welten, und es gibt nichts, was diese überbrücken könnte. Ich werde es nicht mal versuchen. Ganz sicher bleiben wir gar nicht lange genug in Paradise Shores mit seinen umlaufenden Veranden und seinen teuren Privatschulen, die einen aufs College vorbereiten sollen, um diese Kinder kennenzulernen.

»Wann?«

»Morgen früh um halb acht. Ich habe mit Mrs. Marchand gesprochen. Sie sorgt dafür, dass im Wagen Platz für dich ist.« Gary wirft mir einen ungewöhnlich ernsten Blick zu. »Sei artig in der Schule.«

»Jaja.« Ich sehe weg. Sei artig. Den Rat gab er mir immer, wohin wir auch gingen. Aber es ist schwer, sich gut zu benehmen, wenn man nicht den Eindruck hat, besonders gut zu sein. Nicht dass die jüngste Marchand das irgendwie zu interessieren schien.

Lily hat mich derart neugierig gemustert, dass ich versucht war, sie zu fragen, ob sie nicht lieber ein Foto machen wollte. Doch sie ist nett. Besser als ihre dämlichen Brüder, auch wenn sie definitiv zu viele Fragen stellt.

Und sie ist ziemlich mutig. Ich habe gesehen, wie sie einen lebenden Hummer am Schwanz gepackt und beim Zusammenbinden der Scheren nicht ein Mal gezuckt hat. Ihr Vater soll ihr das beigebracht haben. Vor ein paar Tagen hat sie mir ihren Lieblingskletterbaum gezeigt. Er ist echt hoch und sie für so was eigentlich schon zu alt. Es hat ihr nicht gefallen, als ich das gesagt habe.

»Was weißt du schon?«, hat sie mich angezischt. Ihr Haar leuchtete wie ein feuriger Heiligenschein um ihren Kopf herum, und ihr sommersprossiges Gesicht war zu einer Grimasse verzogen. »Wahrscheinlich hast du bloß Höhenangst!«

Natürlich musste ich auf den Baum klettern, um ihr das Gegenteil zu beweisen. Falls Lily bemerkt hat, dass meine Hände zitterten, als ich wieder runterkam, hat sie es nicht kommentiert. Mit Höhen habe ich es tatsächlich nicht so.

Aber trotzdem. Für eine Paradise-Shores-Göre ist Lily ziemlich nett.

Lily, 13

Hayden streckt eine Hand aus. »Gib mir den Eimer.«

Ich überreiche ihn ihm vorsichtig, damit das Salzwasser darin nicht überschwappt. »Hast du eine gefunden?«

»Nein, aber er wird langsam schwer.«

»Ich kann ihn tragen.«

»Das weiß ich.« Hayden wirft mir einen vielsagenden Blick zu. »Nur weil du etwas kannst, heißt das nicht, dass du es auch tun solltest.«

Angesichts seiner deutlichen Anspielung rolle ich mit den Augen. »Nicht du auch noch!«

Hayden schüttelt den Kopf, dass seine dunklen Locken fliegen, und greift in das flache Wasser. Es ist gerade Ebbe und die beste Zeit, um Muscheln zu suchen. »Keine Sorge. Aber erzähl mir wenigstens, was da in dich gefahren ist.«

»Das habe ich mit Rhys doch schon durchgekaut.«

»Dann kau’s mit mir noch mal durch.«

Das Wasser fühlt sich kühl um meine Knöchel an. Eine kleine, weiche Welle nach der anderen leckt an unseren Beinen. Ich habe Hayden wochenlang nicht gesehen, nicht, seit wir in den Sommerferien nach Europa aufgebrochen sind, und jetzt will er ausgerechnet das hier mit mir besprechen?

»Woher weißt du überhaupt davon?«

Er wirft mir den nächsten vielsagenden Blick aus seinen Bernsteinaugen zu. Musst du wirklich noch fragen?

»Parker sollte echt seine große Klappe halten«, grummele ich.

Hayden verzieht den Mund. »Du schindest Zeit.«

»Was genau hast du denn gehört?«

»Dass du dich geprügelt hast.«

Ich seufze. »Das war so blöd. Ich habe nur versucht, Henry zu verteidigen.«

»Ich glaube nicht, dass er verteidigt werden muss.«

»Doch, irgendwie schon. Einer meiner Cousins hat was … was Dämliches gesagt. Außerdem hatte der mich schon die ganze Woche genervt. Er hat mir immer meine Stifte geklaut und sie versteckt, deswegen konnte ich nicht malen. Und er hat mich wegen meiner Haare aufgezogen.«

Haydens Blick wandert zu meinem Zopf. »Deine Haare?«

»Ja. Er hat was Blödes über Rotschöpfe gesagt. Dabei ist unser Haar nicht mal richtig rot … Mom sagt, es ist kastanienbraun!«

»Idiot.«

»Genau. Also habe ich ihm mit der Faust eine verpasst.«

Hayden grinst verrucht. »Gut gemacht, Lils.«

»Tja, das dachte ich auch. Er hat es verdient. Aber es hat mir jede Menge Ärger eingebrockt.«

»Hörte ich schon.« Hayden grinst immer noch. Es lässt ihn ein bisschen wild wirken, wie damals, als ich ihn das erste Mal mit seinen zu langen Haaren und in dem zu großen T-Shirt gesehen habe. Als käme er von einem anderen Ort, wo Regeln für ihn nicht gelten. »War es das wert?«

Ich denke einen Moment nach. »Ja. Aber es hat höllisch wehgetan.«

Hayden stellt vorsichtig den Eimer zwischen zwei Steinen ab, damit er nicht umfallen kann. »Zeig’s mir.«

Ich mache eine Faust. Sofort schüttelt er den Kopf. »Nein, Lily, so … Du darfst den Daumen nicht mit den Fingern umschließen.«

»Ach so?«

»Ja. Sonst brichst du ihn dir. So …« Er nimmt meine Hand und zeigt mir, wie ich den Daumen platzieren muss und die Faust fest balle, allerdings nicht so fest, dass mein kleiner Finger sich mit nach innen biegt. »Siehst du?«

»Ah. Das fühlt sich besser an.«

»Und wenn du zielst, dann hierhin.« Er tippt sich auf den Wangenknochen. »Wenn du auf die Nase zielst, könntest du sie brechen. Das ist gut, tut deiner Hand aber mehr weh.«

»Du kennst dich echt damit aus.«

Er grinst schief. »Ich hatte ein Leben vor Paradise, Lils.«

Kopfschüttelnd lächle ich ihn an. Das erscheint mir unmöglich. Mein Leben fühlt sich an, als hätte es an dem Tag begonnen, an dem er hier angekommen ist. Er redet nie über seine Vergangenheit … und wenn, dann nur wie eben, in Form von kleinen Hinweisen und Kommentaren.

»Danke. Wenn ich das nächste Mal jemanden hauen will, werde ich dran denken.«

»Ich bezweifle, dass du das tun musst«, erwidert er und lässt langsam meine Hand los. »Du hast jede Menge Leute, die dich beschützen würden.«

»Jaja.« Ich rolle mit den Augen. Diese Überfürsorglichkeit verfolgt mich schon mein ganzes Leben. »Die Brüder-Blockade.«

Hayden sieht nach unten und greift sich den Eimer. »Genau.«

Während wir weiter nach Muscheln suchen, werfe ich ihm verstohlene Blicke zu. Marissa Briggs hat mir neulich in der Schule verraten, dass sie ihn süß findet. Auf fremdartige Weise hat sie gesagt. Ich habe nicht verstanden, was sie damit gemeint hat. Hayden ist so amerikanisch, wie man nur sein kann.

Er hat wirklich schöne Haare. Das fand ich schon immer. Aber süß?

Hayden ist so viel mehr als nur süß. Außerdem ist er mein Freund. Einer meiner besten Freunde sogar, Jamie nicht mitgerechnet. Aber … vielleicht ist er tatsächlich ein bisschen süß.

Freunde dürfen doch süß sein, oder?

6

LILY

Gegenwart

Vor Parkers Tür zögere ich kurz.

Dahinter ist Hayden.

Bin ich verrückt, weil ich hergekommen bin, um ihn wiederzusehen? In dem Wissen, dass er jetzt hier ist?

Meine erste Reaktion war totale Ablehnung. Für wen hielt er sich, dass er hier einfach so in Paradise Shores auftauchte? Und es Parker erzählte anstatt mir? Nach zehn langen Jahren. Die Art, wie er ohne jede Nachricht verschwunden war, war für mich unerträglich. Ich wollte ihn nicht sehen. Nein, nein, Schluss, aus. Diskussion beendet.

Was sie natürlich nicht war. Jede Zelle in meinem Körper reagierte angesichts der Chance, ihn wiederzusehen. Ich musste es, musste mit eigenen Augen sehen, wie er jetzt aussieht, wie die Jahre ihn verändert haben.

Parker hatte mir von ihren Plänen berichtet. Sie wollten Freitagabend essen gehen, aber vorher bei ihm noch ein paar Bier trinken.

Willst du dazukommen?

Eine simple Frage, auf die es keine simple Antwort gab.

Doch letzten Endes saß ich im Auto und fuhr wie benommen zu meinem Bruder hinüber. »Neugier ist der Katze Tod« sagt man ja, und ich war kurz davor, zu einem sehr toten Kätzchen zu werden.

Ich klopfe.

Parker grinst mich an, als er mir die Tür öffnet. »Lils, da bist du ja. Hast du in der Auffahrt geparkt?«

»Ja, wie immer.«

»Gut. Auf der Straße findet man hier nie einen Parkplatz.«

»Ich weiß«, erwidere ich abwesend und trete ein. »Ich war schon öfter hier.« Hayden ist nicht im Wohnzimmer. Vielleicht ist er noch gar nicht da?

Parker grinst mich weiter an. »Klar, aber eines Tages könntest du es vergessen … und würdest mir die Schuld für den Strafzettel geben.«

»Genau.« Ich folge ihm in die Küche. Und dort, an den Tresen gelehnt, steht Hayden.

Mein Verstand stellt kurzfristig seine Funktion ein.

Er ist breiter geworden. Das ist mein erster Gedanke. In meiner Erinnerung ist er immer noch derselbe, doch wenn ich ihn jetzt ansehe, wird mir klar, dass Hayden damals noch ein Junge war.

Jetzt ist er ein Mann.

Sein Oberhemd spannt sich über breiten Schultern, und der Schnitt seiner Hose betont seine kräftigen Oberschenkel. Auf seinen Wangen und seinem Kinn liegt ein leichter Bartschatten. Den hatte er vorher nicht.

Seine Haltung erinnert mich an den jungen Mann auf dem Foto. Das Militär hat ihn verändert … von dem jetzt kürzeren Haarschnitt bis hin zu den Muskelpaketen, die sich unter seiner Kleidung verstecken.

Aber seine Augen wirken vertraut, und sie sehen mich direkt an. Sie haben dieselbe dunkle Bernsteinfarbe, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere. Diese Augen, die einst so viele Gefühle ausdrückten. Jetzt ist sein Gesicht ausdruckslos, und zum ersten Mal habe ich nicht die leiseste Ahnung, was in ihm vorgeht.

Was denkt er gerade?

»Hi, Lily«, sagt er. Auch seine Stimme ist tiefer geworden, und ich bekomme eine Gänsehaut. Jahrelang habe ich darum gefleht, diese Stimme am Telefon zu hören. Jeden Anruf aus einem anderen Bundesstaat und jeden mit unterdrückter Nummer habe ich angenommen, nur für den Fall. Fast immer sind es irgendwelche Verkäufer gewesen.

Ich lege meine Tasche auf dem Tisch im Flur ab. »Hallo.«

»Hier, bitte.« Parker gibt Hayden einen Klaps auf den Rücken und reicht ihm ein Bier. »Schön, dich wieder hierzuhaben, Mann.«

»Danke. Es fühlt sich gut an, wieder hier zu sein.«

»Ist schon eine Weile her«, sage ich und frage mich, ob man den säuerlichen Tonfall in meiner sonst ruhigen Stimme bemerkt. Falls ich jemals angenommen hatte, den Ärger über sein Weggehen verwunden zu haben, stellt sich gerade heraus, dass ich komplett falschgelegen habe.

Sein Blick ruht weiter auf mir, und ich bin nicht sicher, ob ich es mir einbilde … aber sehe ich da nicht einen Anflug von Verlegenheit in seinen Augen? »Zu lange.«

»Wo bist du gewesen?«

»An vielen Orten. Zuerst in Wisconsin. Danach auf einer Basis in Utah, bevor ich zur Navy gegangen bin. Ich bin fünf Jahre auf der Beringstraße patrouilliert. Dann bin ich wieder auf die Militärakademie gegangen und Commander geworden.«

Parker schenkt mir das breiteste Grinsen überhaupt. »Er ist jetzt Lieutenant.«

»Oh.« Meine Stimme klingt hohl. »Meinen Glückwunsch.«

»Danke.«

Der Mann vor mir wirkt wie eine erwachsenere Version von Hayden, und er redet auch so, aber seine Worte kommen mir völlig fremd vor. Seit wann hatte er sich für das Militär interessiert?

»Hast du gerade Urlaub?«

»Ja.«

»Wo übernachtest du, Mann?« Parker setzt sich auf die Ecke der Couch. »Du weißt, dass du eines der Gästezimmer drüben im Haus haben kannst. Ich bin sicher, dass Mom dich liebend gern sehen würde.«

Haydens undurchdringlicher Gesichtsausdruck wirkt wie sorgfältig antrainiert. »Danke, aber ich wohne in einem Haus in der Elm Street.«

»Wie nett. Gemietet?«

»Mhm.«

Ich runzle die Stirn. »Warst du schon bei Gary?«

»Ja.«

Tja, die Stille zwischen uns dreien ist nicht gerade angenehm, und ich frage mich, ob Parker es bemerkt. Er nippt an seinem Bier und schenkt mir sein unverwechselbares Grinsen. Nein, sieht nicht so aus.

Hayden schaut von mir zu meiner Tasche. Doch erst, als er zu meinem Bein blickt, wird mir klar, dass er nach einem Stock sucht. Altbekannter, giftiger Ärger flammt in mir auf. Natürlich fragt er sich das. Er ist fortgegangen, bevor mein Bein nach dem Unfall völlig ausgeheilt war.

»Nur ein leichtes Hinken«, sage ich. »Unwesentlich.«

Er nickt knapp, sagt allerdings nichts. Der Hayden, an den ich mich erinnere, war immer still, wenn er sich unwohl fühlte oder von Emotionen überwältigt wurde. Aber ich habe keine Ahnung, was das für den neuen Hayden beim Militär bedeutet, der vor zehn Jahren ohne ein Wort des Abschieds einfach verschwunden ist.

Parker lächelt mich an. »Du kommst doch heute mit zum Essen, oder, Lils? Ich gehe mit Hayden in den Yachtclub, um seine Rückkehr zu feiern.« Er verpasst Hayden erneut einen Klaps auf die Schulter. »Der verlorene Sohn ist zurückgekehrt!«

Ich brauche eine Ewigkeit, um meine Gedanken zu sammeln, aber als ich damit fertig bin, sind sie glasklar. Abendessen mit meinen Brüdern – mit Hayden am Tisch – ist mehr, als ich ertrage. So lange kann ich keine Höflichkeit vortäuschen, nicht in Gesellschaft der Menschen, die mich am besten kennen. Nicht, wenn ich eigentlich nur eines machen möchte: Hayden zu fragen, wieso.

Wieso musste er mir das Herz brechen? Warum hat er nie angerufen? Und wieso, um alles in der Welt, ist er plötzlich zurückgekehrt?

»Nein«, entgegne ich und schnappe mir meine Tasche. »Ich habe noch was vor und bin nur hergekommen, um Hallo zu sagen. Genießt euer Essen.«

Und dann fliehe ich, laufe davon vor dem aufgewühlten Blick aus diesen Bernsteinaugen, die ich nie habe vergessen können.

Am nächsten Morgen wache ich spät auf. Das Sonnenlicht fällt durch meine Vorhänge. Es ist ein wunderschöner Tag in Paradise Shores, ein Samstag. Der Tag, an dem ich so eine Art Date mit Turner habe.

Der Tag der Maze-Party.

Hayden. Oje.

Ich lege mir das Kopfkissen aufs Gesicht und mache zehn tiefe, beruhigende Atemzüge. Die Anspannung lässt etwas nach, aber nicht völlig.

Ich schwinge meine Beine aus dem Bett und öffne die Vorhänge. Der Anblick des Meers am Morgen, zu beobachten, wie die weich wogenden Wellen den Horizont küssen, ist für mich das Schönste auf der Welt. An manchen Tagen mache ich vor der Arbeit einen Spaziergang. Ich schaffe es dabei fast bis zum Haus meiner Eltern, bevor ich umdrehe.

Doch heute wird mir der Ausblick versperrt. Neben meinem Tor steht ein großer Mann mit schwarzem Haar. Er ist leger gekleidet und hält einen Hammer in der Hand. Gerade dreht er sich um, um einen Nagel in das Tor meines Zauns zu schlagen.

Das kann doch nicht wahr sein!

Ich ziehe mir meinen seidenen Morgenmantel über, unter dem ich meine Pyjamashorts und das Top verstecke, und verknote den Gürtel. Im Flur schlüpfe ich in das erstbeste Paar Schuhe, das ich finde. Dann fliege ich förmlich zur Tür hinaus und die Stufen hinunter.

»Was, glaubst du, tust du da?«

Hayden blinzelt nicht mal. »Dein Tor ist kaputt. Ich repariere es.«

»Ich weiß, dass es kaputt ist«, erwidere ich ärgerlich. »Aber wieso bist du hier und reparierst es?«

»Weil kaputte Dinge repariert werden sollten, Lily«, antwortet er gedehnt, als ob er mit einem Kleinkind reden würde. Das belustigte Funkeln in seinen Augen macht deutlich, dass er weiß, wie sehr er mich damit auf die Palme bringt.

»Grrrr!«

Auf seinem Gesicht erscheint ein Lächeln. »Tief durchatmen.«

»Hör verdammt nochmal auf, mich zur Weißglut zu bringen.«

»Was für ein schöner Tag«, sagt er. »Die Sonne scheint, die See ist ruhig. Es ist Samstag, und jemand repariert kostenlos dein Tor. Was daran könnte einem nicht gefallen?«

»Woher weißt du, dass ich hier wohne?«

»Von deinem Bruder.«

»Ich bringe ihn um.«

»Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war Geschwistermord im Bundesstaat Maine noch illegal.«

»Hör auf, mit mir zu diskutieren. Wieso bist du hier, Hayden?«

Er bückt sich – die Gelassenheit in Person – nach einem weiteren Nagel. »Ich hörte, dass du ein Problem hast, das gelöst werden muss. Also löse ich es.«

»Aber ich habe dich nicht darum gebeten. Und indem du auf dieser Seite des Zauns stehst, begehst du genau genommen Hausfriedensbruch.«

Er tritt durch das Tor und führt seine Arbeit vom Gehweg aus fort. »Jetzt stehe ich auf neutralem Boden.«

»Das kannst du nicht tun. Du kannst nicht einfach zehn Jahre lang verschwinden und dann hier plötzlich auftauchen und Dinge reparieren!«

»Ich bin bald fertig«, entgegnet er seelenruhig. »Also, du arbeitest jetzt in der Immobilienentwicklung?«

Überrumpelt von seiner Frage ziehe ich meinen Morgenmantel fester um mich. »Äh, ja. Aber das bedeutet nicht – «

»Erzähl mir davon.«

»Es ist nicht so, dass ich … Ich helfe bei ein paar Projekten, kümmere mich um Zulieferer und überprüfe Entwürfe. Und ich treffe fast alle Entscheidungen hinsichtlich Stil und Einrichtung, bevor die Häuser verkauft werden.«

Unter seinem ernsten Blick schlucke ich unbehaglich. Er sieht mich an, als wären wir immer noch Freunde. Als hätten wir immer noch diese Verbindung aus unserer Kindheit.

»Hört sich anspruchsvoll an.«

»Nicht sehr. Ich meine, manchmal ist es das schon, zum Beispiel bei Fristabläufen …« Ich schüttele den Kopf. »Wir werden diese Unterhaltung nicht führen. Nicht bis du mir gesagt hast, wo du warst.«

»Das habe ich dir doch gestern erzählt.«

»Jaja, ›das Militär‹. Diese Antwort ist eindeutig zu kurz.«

Er wendet seinen Blick von mir ab und hebt seelenruhig einen weiteren Nagel auf. Für einen Moment werde ich von dem Anblick seines Arms in dem grauen T-Shirt abgelenkt, als er den Hammer schwingt. Hayden war irgendwie schon immer breitschultrig und gut gebaut. Doch jetzt sind seine Muskeln die eines kräftigen, schön definierten Mannes, der seinen Körper regelmäßig benutzt.

Es fühlt sich an, als wäre er ein Fremder.

»Wie ich gestern schon sagte, war ich eine Weile auf einer Ausbildungsbasis in Utah. Dann habe ich fünf Jahre für die Navy gedient. Danach habe ich ein paar Jahre bei der Ausbildung neuer Rekruten geholfen. Und jetzt bin ich hier.«

»Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich je für das Militär interessiert hättest. Das hast du mir nie gesagt.«

Hayden hält einen Moment inne. Seine eine Hand schwebt direkt über einem der kaputten Scharniere. Er sieht mich nicht an, sein Blick ist auf seine Arbeit gerichtet. »Na ja«, sagt er schließlich und beugt sich hinunter, um näher hinzusehen. »Es schien mir eine gute Option zu sein. Ich hatte schon eine Weile darüber nachgedacht.«

»Na klar.«

Er sieht zu mir hoch, und ein schelmischer Ausdruck tritt in seine Augen, als sein Blick über mich in Pyjama und Morgenmantel gleitet. »Warst du noch im Bett, Lily? Um zehn Uhr morgens?«

»Es ist Samstag!«

Sein Blick fällt auf meine Füße, und er fängt an zu lachen. Ich habe dieses Lachen seit zehn Jahren nicht gehört und selbst damals nur selten. Auf meinen Armen spüre ich eine Gänsehaut.

»Echt jetzt?«, fragt er.