Der Ehrgeiz einer Mutter - Jenny Pergelt - E-Book

Der Ehrgeiz einer Mutter E-Book

Jenny Pergelt

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Beschreibung

Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden! So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche! Vor der Behnisch-Klinik hielt Nadja Dannehl kurz inne. Sie sah an dem Gebäude hoch, auf der Suche nach einem bestimmten Fenster in der dritten Etage. Das musste es sein. Ein schmales, unscheinbares Fenster, an dem sie oft gesessen hatte, um das geschäftige Treiben vor dem Haus zu beobachten, in der Hoffnung, für kurze Zeit ihren großen Kummer vergessen zu können. Dreißig Jahre war es her. Nadja musste schlucken. Eine halbe Ewigkeit. Unbewusst strich sie über die schmale, kaum sichtbare Narbe an ihrem linken Handgelenk. Nur leicht erhaben, etwas blasser als ihre Umgebung, wirkte sie unschuldig und bedeutungslos. Doch das war sie nie gewesen. Weder damals, nach dem Unfall, noch heute. Diese Narbe erinnerte sie in jeder Minute ihres Lebens daran, was das Schicksal ihr genommen hatte: Eine große Karriere als Violinistin. Sie war Anfang zwanzig, als sie sich bei einem harmlos anmutenden Sturz das Handgelenk brach – mit gravierenden Folgen: zersplitterte Knochen, beschädigte Bänder. Ihr Handgelenk hatte dadurch einen Teil seiner Beweglichkeit unwiederbringlich verloren und zudem eine schmerzhafte Arthrose entwickelt. Für eine Violinistin mit riesigen Ambitionen eine schreckliche Katastrophe. Dort oben, in diesem kleinen Krankenhauszimmer, hatte sie ihre großen Träume und Hoffnungen von einer ruhmreichen Karriere tränenreich begraben. Es hatte nie einen Plan B gegeben, sondern immer nur ihre Geige. Nie war ihr das Leben so trist und sinnlos erschienen wie an diesen Tagen. Horst war ihr in dieser schweren Zeit kaum von der Seite gewichen. Er musste geahnt, nein, gewusst haben, wie oft sie darüber nachdachte, dieses kleine Fenster da oben zu öffnen, um ihrer Qual für immer zu entfliehen.

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Chefarzt Dr. Norden – 1165 –

Der Ehrgeiz einer Mutter

Sophie verlangt ihr eigenes Leben zurück

Jenny Pergelt

Vor der Behnisch-Klinik hielt Nadja Dannehl kurz inne. Sie sah an dem Gebäude hoch, auf der Suche nach einem bestimmten Fenster in der dritten Etage. Das musste es sein. Ein schmales, unscheinbares Fenster, an dem sie oft gesessen hatte, um das geschäftige Treiben vor dem Haus zu beobachten, in der Hoffnung, für kurze Zeit ihren großen Kummer vergessen zu können. Dreißig Jahre war es her. Nadja musste schlucken. Eine halbe Ewigkeit.

Unbewusst strich sie über die schmale, kaum sichtbare Narbe an ihrem linken Handgelenk. Nur leicht erhaben, etwas blasser als ihre Umgebung, wirkte sie unschuldig und bedeutungslos. Doch das war sie nie gewesen. Weder damals, nach dem Unfall, noch heute. Diese Narbe erinnerte sie in jeder Minute ihres Lebens daran, was das Schicksal ihr genommen hatte: Eine große Karriere als Violinistin.

Sie war Anfang zwanzig, als sie sich bei einem harmlos anmutenden Sturz das Handgelenk brach – mit gravierenden Folgen: zersplitterte Knochen, beschädigte Bänder. Ihr Handgelenk hatte dadurch einen Teil seiner Beweglichkeit unwiederbringlich verloren und zudem eine schmerzhafte Arthrose entwickelt. Für eine Violinistin mit riesigen Ambitionen eine schreckliche Katastrophe.

Dort oben, in diesem kleinen Krankenhauszimmer, hatte sie ihre großen Träume und Hoffnungen von einer ruhmreichen Karriere tränenreich begraben. Es hatte nie einen Plan B gegeben, sondern immer nur ihre Geige. Nie war ihr das Leben so trist und sinnlos erschienen wie an diesen Tagen. Wenn Horst nicht gewesen wäre …

Horst war ihr in dieser schweren Zeit kaum von der Seite gewichen. Er musste geahnt, nein, gewusst haben, wie oft sie darüber nachdachte, dieses kleine Fenster da oben zu öffnen, um ihrer Qual für immer zu entfliehen.

Irgendwann wurde es dann leichter, das Unvermeidliche zu ertragen. Und irgendwann hatte sie sich in Horst verliebt und ihn geheiratet. Als dann Sophie, ihre kleine, süße Sophie zur Welt kam, war die Trauer um ihre zerstörten Träume ausgestanden. Sie hatte eine Tochter, um die sie sich kümmern konnte und die mit dem gleichen, großartigen Talent gesegnet war wie ihre Mutter. Ihr Leben bekam nun wieder einen Sinn. Schon als Sophie mit vier Jahren die ersten Streichübungen auf ihrer winzigen Kindergeige machte, hatte Nadja gewusst, dass es ihr Engelchen weit bringen würde. Auch Sophies Geigenlehrerin hatte früh davon gesprochen, dass das kleine wissbegierige Mädchen ein Ausnahmetalent sei. Das Beherrschen des Instruments hatte ihr nie Mühe bereitet. Wie von selbst fanden ihre zarten Finger stets den richtigen Ton auf den Saiten. Es dauerte nicht lange, bis Sophie die ersten Preise gewann und aus immer bedeutenderen Wettbewerben als Siegerin hervorging. Als dann die Erfolge bei internationalen Ausscheidungskämpfen dazukamen, flatterten bald Angebote von Agenturen ins Haus. Sophie war gerade mal siebzehn, als Nadja für sie den Vertrag bei einer New Yorker Agentur unterschrieb. Schon am nächsten Tag verließen sie gemeinsam München. Jetzt, nach zehn Jahren, gehörte Sophie zu den besten Violinistinnen der Welt. Sie hatte es weit gebracht. Viel weiter als ihre Mutter, der dieser dumme Sturz die Chance auf ein erfülltes Leben genommen hatte.

Nadja betrat die Behnisch-Klinik und ging durch die lichtdurchflutete Lobby. Ihrem Vorhaben, direkt zum Chefarzt der Klinik zu gehen, widerstand sie. Sie hatte noch eine Viertelstunde Zeit bis zu ihrem Termin. Nadja konnte es nicht leiden, wenn sich die Menschen nicht an verabredete Zeiten hielten. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie zu früh oder bereits zu spät dran waren. Für beides brachte sie kein Verständnis auf.

Zügig ging sie die kleine Ladenzeile am Ende der Lobby entlang. Für die Geschäfte mit ihren hübschen Auslagen hatte sie keinen Blick übrig. Auch nicht für die Cafeteria, die sie zu ihrer rechten Seite liegen ließ. Sie kannte nur ein Ziel: den wunderschönen Klinikpark, der von der früheren Besitzerin der Klinik, Jenny Behnisch, eigenhändig angelegt worden war.

Sie trat durch die zweiflügelige Terrassentür hinaus ins Grüne und atmete tief durch. Mit dem Duft der Frühlingsblumen und der Fliederbüsche strömten auch Erinnerungen in ihren Geist. Erinnerungen an eine Zeit, in der sie hier, inmitten der üppig wachsenden Natur, lernte, den Schmerz über das Ende ihrer Karriere zu überwinden.

Wie von selbst führten sie ihre Füße einen schmalen Weg aus behauenem Granit entlang, vorbei an riesigen Strauchpäonien bis zu einer kleinen, versteckt liegenden Holzbank. Hier hatte sie mit Horst in endlos langen Stunden zusammengesessen und schließlich ihre Liebe für ihn entdeckt. Mit einem leisen, wehmütigen Seufzer sah sie sich um. Die kleinen, zarten Pflanzen waren inzwischen zu stattlichen Büschen und kräftigen Bäumen herangewachsen. Und natürlich wuchsen nicht mehr dieselben Blumen in den Beeten. Aber Nadja hätte den Garten trotzdem unter allen Gärten dieser Welt wiedererkannt, so vertraut war er ihr noch heute.

Sie schloss die Augen und hielt ihr Gesicht der wärmenden Frühlingssonne entgegen. Entrückt lauschte sie dem sanften Rauschen der Blätter, die sich in dem lauen Frühlingswind wiegten. Plötzlich wünschte sie sich, sie könnte für immer hier sitzenbleiben und einfach nur sie selbst sein. Oder ein wenig länger in ihren Erinnerungen verweilen. Erinnerungen an eine Zeit, in der sie nicht die knallharte Geschäftsfrau und Managerin ihrer berühmten Tochter war, sondern einfach nur eine liebende Mutter - und Ehefrau. Der Gedanke an Horst und an ihre Ehe, die vor vielen Jahren zerbrochen war, brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie sprang auf und verließ den Park so schnell, als hätte sie Angst, nie wieder aus ihm oder ihren Erinnerungen herauszufinden.

Bevor Nadja an die Tür, die ins Vorzimmer des Chefarztes führte, anklopfte, überprüfte sie hastig den korrekten Sitz ihres eleganten Businesskostüms und kontrollierte mit flinken Handgriffen, ob der leichte Wind ihrer strengen Hochsteckfrisur geschadet hatte. Ihr gutes Aussehen war Nadja wichtig. Nicht nur, weil ihr die anerkennenden Männerblicke schmeichelten. Ein makelloses Erscheinungsbild passte zu ihrem Wunschbild von Perfektion und gediegener Eleganz.

»Mein Name ist Nadja Dannehl. Ich habe einen Termin bei Dr. Norden.« Nadja sprach kühl und ein wenig herablassend, als sie sich der Assistentin des Chefarztes vorstellte. Ihr war es recht, wenn sich Fremde von ihrem Auftreten einschüchtern ließen. Sie trat nie als Bittstellerin auf, sondern als diejenige, die forderte und keinen Widerspruch duldete. In einer Welt, die immer noch von Männern dominiert wurde, durfte sie nicht schwach wirken. Das machte sie nur angreifbar und verletzbar. Das Musikgeschäft war hart, und es überlebten nur diejenigen, die die Regeln verstanden und danach lebten. Nadja hatte früh gelernt, dass es vorteilhafter war, für eine eiskalte, gefühllose Geschäftsfrau gehalten zu werden als für ein liebenswertes Dummchen. Sie hatte ihr Verhalten so schnell angepasst, dass sie inzwischen selbst nicht mehr wusste, was davon bloße Fassade war.

»Guten Tag, Frau Dannehl«, empfing Katja Baumann, die Assistentin des Chefarztes, ihre Besucherin mit einem freundlichen Lächeln, das ehrlich und nicht aufgesetzt wirkte. »Dr. Norden wird gleich bei Ihnen sein. Er ist im Augenblick noch …« Sie brach ab, als sich die Tür öffnete und Daniel Norden hereinkam.

»Frau Dannehl!«, begrüßte er sofort seine Besucherin. »Es ist schön, Sie wiederzusehen!«

»Ja, mir geht es genauso, Dr. Norden. Sophie und ich sind nur für wenige Tage in München. Ich freue mich, dass Sie es einrichten konnten, mich zu empfangen.«

Daniel begleitete Nadja Dannehl in sein Büro und bot ihr einen Platz an. Nachdem Katja ihnen den Kaffee gebracht hatte, sagte er: »Ich hoffe, Sie sind nur der guten, alten Zeiten wegen vorbeikommen und nicht wegen gesundheitlicher Probleme.«

Nadja lächelte. »Nein, keine Sorge. Mir geht es gut. Ich wollte es mir einfach nicht nehmen lassen, meinen ehemaligen Hausarzt zu besuchen. Ich war sehr überrascht, als ich erfuhr, dass Sie inzwischen Chefarzt der Behnisch-Klinik sind. Ich hatte immer gedacht, dass Sie Ihre Praxis niemals aufgeben würden.«

»Das kam für viele sehr überraschend.« Daniel schmunzelte. »Selbst ich hätte es mir Jahre zuvor nicht vorstellen können. Aber ich liebe nun mal Herausforderungen, und die ärztliche Leitung einer Klinik zu übernehmen, stellte eine sehr große dar. Ich konnte einfach nicht widerstehen. Außerdem wusste ich, wie viel Gutes ich hier bewirken kann.«

Nadja nickte verstehend. »Jeder Arzt hätte diese Chance ergriffen. Zumindest jeder, der etwas auf Prestige und Ansehen hält und ein wenig ehrgeizig ist. Der Chefarztposten ist sicherlich der höchste Punkt auf der Karriereleiter, den ein Arzt überhaupt erreichen kann.«

Das Lächeln auf Daniels Gesicht ließ deutlich nach. »Sie irren sich, Frau Dannehl, wenn Sie annehmen, dass es der Wunsch nach Ansehen oder Karriere war, der mich dazu brachte, meine Praxis abzugeben. Ich bin Arzt geworden, weil ich kranken Menschen helfen wollte. Ob in einer kleinen Hausarztpraxis oder in einer großen Klinik, hat dabei nie eine Rolle gespielt. Ich habe meine Arbeit als Hausarzt sehr geliebt und nie als gering eingeschätzt.«

»Natürlich, Dr. Norden«, erwiderte Nadja mit einem dünnen Lächeln. Sie verstand nicht, dass es einigen Menschen so schwerfiel, offen und ehrlich zuzugeben, wie wichtig ihnen Erfolg, Ruhm und Anerkennung waren. Dr. Daniel Norden mochte ruhig weiter so tun, als würde er aus edlen, uneigennützigen Motiven handeln. Sie wusste es besser.

»Sie wissen vielleicht, dass Sophie einige Auftritte in München hat«, kam sie zum eigentlichen Grund ihres Besuchs.

»Ja, sie wurden in allen regionalen Zeitungen schon vor Monaten angekündigt.« Daniel war froh, dass Nadja Dannehl das Thema wechselte. Er hatte weder die Zeit noch die Geduld, eine langwierige und wenig erfolgversprechende Diskussion über ärztliche Ethik und Moral zu führen. »Ich habe gehört, dass alle Tickets schnell vergriffen waren. Meine Frau und ich sind deshalb sehr froh, noch zwei für Sophies Auftritt im ›Gasteig‹ bekommen zu haben.«

Nadja winkte seufzend ab. »Ach, die Sache im ›Gasteig‹ ist kaum der Rede wert. Sophie ist dort nur ein Akt unter vielen anderen. Ein kurzer Auftritt von nicht mal zehn Minuten! Ich verstehe nicht, warum Sophie darauf bestanden hatte, dieses Angebot anzunehmen.«

»Vielleicht gefällt es ihr einfach, in ihrer alten Heimatstadt zu spielen?« Nachdenklich runzelte Daniel die Stirn. »War sie überhaupt jemals wieder in München, seit sie vor zehn Jahren die Stadt verlassen hat?«

»Nein! Warum sollte sie auch? München ist schon längst nicht mehr ihre Heimat. Es gibt hier nichts, was ihr etwas bedeuten könnte.«

»Ich dachte immer, dass Sophies Vater in München lebt. Außerdem hat sie doch sicher auch noch Freunde hier.«

»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Nadja leichthin. »Sophie hat sich ein neues, ein sehr gutes Leben aufgebaut. Da ist für alte Freundschaften kein Platz. Und was ihren Vater anbelangt …« Nadja verzog unwillig den hübschen Mund. »Er hatte nie verstanden, wie wichtig Sophies Karriere war. Da braucht man sich nicht zu wundern, dass es keine enge Bindung zwischen ihm und seiner Tochter gibt. Mit der Zeit sind sie sich einfach fremd geworden.«

Am Abend erzählte Daniel seiner Frau von Nadja Dannehls Besuch. »Ich hatte mich wirklich auf ihr Kommen gefreut«, sagte er abschließend. »Aber sie hat sich sehr verändert. Nicht nur äußerlich. Ich musste schmunzeln, als ich sie sah. Es gibt nicht mehr viel, was an die bescheidene, nette Hausfrau von früher erinnert. Glanz und Gloria scheinen ihr inzwischen sehr wichtig zu sein.«

Fee stellte die Schale mit dem frischen Salat auf den Tisch und sagte: »Ich denke, diese Sachen waren ihr schon immer sehr wichtig gewesen. Sie hatte immer nach Höherem, nach etwas Besserem gestrebt. Nadjas übertriebener Ehrgeiz, den sie an ihrer Tochter auslebte, war ziemlich auffällig. Wahrscheinlich hat es Sophie deswegen so weit gebracht.«

»Vergiss nicht Sophies großes Talent. Ohne dem wäre sie bestimmt keine Stargeigerin geworden.«

»Talent ist nicht alles, mein Liebling«, erwiderte Fee und setzte sich zu ihrem Mann an den Tisch. »Es muss gefördert und gepflegt werden. Und da hat Nadja Dannehl ganze Arbeit geleistet. Ihr Ziel war es schon immer gewesen, Sophie ganz groß rauszubringen. Das ist ihr gelungen.«

Daniel gab ihr nun endlich den Umschlag, den er als kleine Überraschung dabeihatte.

»Was ist das?«, fragte Fee.

»Nadja Dannehl hat mir zwei Karten für Sophies Konzert im ›Prinzregententheater‹ gegeben.«

»Für das am nächsten Samstag?«, rief Fee freudig aus. »Das ist seit Monaten ausverkauft!«

»Ich weiß, Feelein«, erwiderte Daniel lächelnd. »Frau Dannehl meinte, sie würde sich sehr freuen, uns dort zu sehen. Natürlich nur, falls wir nichts anderes vorhaben.«

»Wir haben ganz sicher nichts anderes vor!« Fee nahm ihm den Umschlag aus der Hand und holte die Karten heraus. »Wir werden uns dieses Konzert bestimmt nicht entgehen lassen!«

*

Ein ausverkauftes Haus! Diese Nachricht löste in Sophie Dannehl keine Jubelstürme mehr aus. Seit Jahren spielte sie nur in ausverkauften Häusern. Die Menschen rissen sich darum, ihrem virtuosen Geigenspiel zu lauschen, und die Presse überschüttete sie schon im Vorfeld mit Lobeshymnen.

Sophie stand hinter dem schweren Vorhang, spähte durch einen schmalen Schlitz in den Zuschauerraum und sah zu, wie er sich stetig füllte. Ein Fehler, wie sie wusste. Es tat ihr nicht gut und steigerte nur ihr Lampenfieber. Lange hatte sie gehofft, dass ihre schreckliche Angst, vor Publikum zu spielen, nachlassen würde. Sie würde mit der Zeit routinierter und gelassener werden, hatte sie sich eingeredet. Doch statt dass es leichter wurde, nahm ihre Aufregung von Auftritt zu Auftritt zu. Nur mit dem Wissen, dass das Lampenfieber weg war, sobald sie draußen stand und den ersten Bogenstrich machte, schaffte sie es überhaupt, eine Bühne zu betreten.

»Was machst du denn hier?«, zischte Nadja Dannehl neben ihrer Tochter. »Ich suche dich schon überall!«

»Ich wollte nur mal sehen, ob ich ein bekanntes Gesicht entdecke. Schließlich spiele ich in München. Wäre doch möglich, dass jemand von früher …«

»Lass mal sehen!« Nadja schob ihre Tochter zur Seite und sah nun ihrerseits zu den Zuschauern hinaus. »Dr. Norden ist mit seiner Frau gekommen. Aber ansonsten kenne ich niemanden.« Sie trat zurück und sagte mit einem gereizten Unterton: »Und nachdem wir das nun geklärt haben, sollten wir endlich von hier verschwinden, damit du dich für deinen Auftritt vorbereiten kannst. Hast du dich schon eingespielt?«

Sophie seufzte. »Ja, Mama. Darum brauchst du dich wirklich nicht zu kümmern. Ich weiß, was ich tue.«