Ein großer Korb voller Luftballons - Helen Perkins - E-Book

Ein großer Korb voller Luftballons E-Book

Helen Perkins

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Beschreibung

Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden! So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche! Das durchdringende Rasseln des Weckers riss Dr. Heike Kreisler mitten aus dem tiefsten Schlummer. Nur sehr widerwillig löste sie sich von der schönen Aussicht auf die Bay von San Francisco und öffnete mit Mühe ein halbes Auge. Der schmale Spalt genügte, um dem Ungetüm aus Blech vom Flohmark mit einem Handkantenschlag den Garaus zu machen. Danach versanken die brandroten Locken mit Genuss wieder unter der geblümten Bettdecke. Heike war eine ausgesprochene Langschläferin, sie gehörte eindeutig zur Spezies der Eulen und liebte an ihrem Beruf als Kinderpsychologin unter anderem die Möglichkeit, Nachtdienst zu schieben. Nicht, dass dabei auf der Pädiatrie der Münchner Behnisch-Klinik allzu viel geschah. Doch Heike war eben noch hellwach, wenn der Mond über die Doppeltürme der Liebfrauenkirche lugte, und hatte dann Ruhe und Muße zum Arbeiten. In den stillen Stunden der Kliniknacht ließ es sich wunderbar schmökern, forschen, und – wenn nötig – konnte man auch die Krankenberichte auf den neuesten Stand bringen. Am Vortag hatte Heike keinen Nachdienst gehabt, war aber doch erst weit nach Mitternacht ins Bett gekommen, weil sie noch sehr ausführlich mit ihrer Schwester Margie telefoniert hatte. Heike war eine echte Berliner Pflanze. Geboren und aufgewachsen in Mitte, mit einem halben Dutzend Geschwistern, von denen sie die Mittlere war. Die Mutter hatte einen kleinen Blumenladen betrieben, der Vater war Busfahrer. Heike war die Einzige der Kreisler-Geschwister mit höheren Neigungen, wie der Vater das ausgedrückt hatte. Sie wollte Abi machen und studieren, Ärztin werden. Nicht ganz leicht in einer Familie von zukünftigen Busfahrern, Verkäuferinnen und Mechanikern. Sie hatte das praktische Talent des Vaters geerbt, konnte alles reparieren, was einen Motor hatte, und die Liebe der Mutter zu Blumen und Büchern. Woher der Wunsch zu studieren kam, war den Eltern ebenso suspekt gewesen wie ihren Geschwistern. Man hatte sie gehänselt und ausgelacht, die Mutter hatte ihr schließlich zur Güte vorgeschlagen, Arzthelferin zu werden. Doch Heike hatte einen ausgemachten Sturkopf.

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Chefarzt Dr. Norden – 1170 –

Ein großer Korb voller Luftballons

Der Fall Momo rührt ans Herz

Helen Perkins

Das durchdringende Rasseln des Weckers riss Dr. Heike Kreisler mitten aus dem tiefsten Schlummer. Nur sehr widerwillig löste sie sich von der schönen Aussicht auf die Bay von San Francisco und öffnete mit Mühe ein halbes Auge. Der schmale Spalt genügte, um dem Ungetüm aus Blech vom Flohmark mit einem Handkantenschlag den Garaus zu machen. Danach versanken die brandroten Locken mit Genuss wieder unter der geblümten Bettdecke.

Heike war eine ausgesprochene Langschläferin, sie gehörte eindeutig zur Spezies der Eulen und liebte an ihrem Beruf als Kinderpsychologin unter anderem die Möglichkeit, Nachtdienst zu schieben. Nicht, dass dabei auf der Pädiatrie der Münchner Behnisch-Klinik allzu viel geschah. Doch Heike war eben noch hellwach, wenn der Mond über die Doppeltürme der Liebfrauenkirche lugte, und hatte dann Ruhe und Muße zum Arbeiten. In den stillen Stunden der Kliniknacht ließ es sich wunderbar schmökern, forschen, und – wenn nötig – konnte man auch die Krankenberichte auf den neuesten Stand bringen.

Am Vortag hatte Heike keinen Nachdienst gehabt, war aber doch erst weit nach Mitternacht ins Bett gekommen, weil sie noch sehr ausführlich mit ihrer Schwester Margie telefoniert hatte.

Heike war eine echte Berliner Pflanze. Geboren und aufgewachsen in Mitte, mit einem halben Dutzend Geschwistern, von denen sie die Mittlere war. Die Mutter hatte einen kleinen Blumenladen betrieben, der Vater war Busfahrer. Heike war die Einzige der Kreisler-Geschwister mit höheren Neigungen, wie der Vater das ausgedrückt hatte. Sie wollte Abi machen und studieren, Ärztin werden. Nicht ganz leicht in einer Familie von zukünftigen Busfahrern, Verkäuferinnen und Mechanikern. Sie hatte das praktische Talent des Vaters geerbt, konnte alles reparieren, was einen Motor hatte, und die Liebe der Mutter zu Blumen und Büchern. Woher der Wunsch zu studieren kam, war den Eltern ebenso suspekt gewesen wie ihren Geschwistern. Man hatte sie gehänselt und ausgelacht, die Mutter hatte ihr schließlich zur Güte vorgeschlagen, Arzthelferin zu werden.

Doch Heike hatte einen ausgemachten Sturkopf. Was ihr einmal in den Sinn gekommen war, das kam nicht so schnell wiederheraus. Sie hatte als Jahrgangsbeste ihr Abi hingelegt und sich danach das Medizinstudium mittels Stipendium und Kellnern verdient. Aus dieser Zeit stammten ihr leicht gothicmäßiges Aussehen, ihre Piercings, von denen ihre Mitmenschen nur das an der rechten Augenbraue zu sehen bekamen … Und nicht zuletzt ihre etwas schnodderige Art, die ihr im Umgang mit renitenten Kneipengästen einst ziemlich hilfreich gewesen war.

Nach der Assistenzzeit in der Berliner Charité hatte ihr Doktorvater sie für eine Feldstudie zum Thema frühkindliches Trauma gewinnen wollen. Doch für Heike war das einfach nicht ihr Ding. Sie wollte mit Kindern arbeiten, kleine Seelen verpflastern, wie sie das nannte. Und da war ihr die Stelle auf Dr. Fee Nordens Kinderstation in der Münchner Behnisch-Klinik gerade recht gekommen.

Trotzdem war es Heike nicht leicht gefallen, Berlin zu verlassen. Sie war ein Familienmensch und stand nach wie vor in engem Kontakt zu Eltern und Geschwistern. Die waren mittlerweile alle recht stolz auf ihre Studierte. Man telefonierte fleißig und besuchte sich, wann immer es ging. Am schönsten waren natürlich die richtigen Familientreffen, wenn Papa Kreisler in seinem Schrebergarten den Grill anwarf, Edi, der Älteste der Geschwister, mittlerweile Besitzer einer kleinen Autowerkstatt in Tegel und stolzer Vater von vier Rangen, die Gitarre auspackte, und es zwischen Grillwurst und Sangria ein wenig nach Kindheit duftete und sehr nach Geborgenheit schmeckte. Die Kreislers hielten zusammen, auch wenn sie nicht mehr zusammen lebten. Und es waren die starken Wurzeln, die Heike einfach mit nach München genommen und hier eingesenkt hatte, in der geräumigen Altbauwohnung in Giesing, vollgestopft mit ihren Fachbüchern, großblättrigen Zimmerpflanzen und Seite an Seite mit ihrem Freund Jo Braun. Der Zweimetermann mit dem breiten Kreuz und der Kraft eines Ringers, in dessen Brust das Herz eines sanften Lammes schlug, arbeitete als Pfleger in einem Heim für Schwerstbehinderte.

Jo stammte aus Fürstenfeldbruck, ebenfalls aus einer großen Familie. Die Brauns waren noch Bauern, Jos drei Brüder arbeiteten in der Landwirtschaft. Seine Schwester Marie war Tierärztin, wohl gemerkt fürs Großvieh. Sie war eine kräftige Person mit festem Willen, Heike hatte sie auf Anhieb gemocht. Und in gewisser Weise hatte sie sich auch mit Jos Schwester identifizieren können. Denn Marie hatte es nicht leicht gehabt. Zuerst den Sprung vom Bauernmadel zur Viehdoktorin, dann die Bewährungsprobe in der praktischen Arbeit. Manch ein Bauer hatte sich einen Spaß daraus gemacht, das »Madel« auf den stärksten Stier zu hetzen oder eine giftige Sau behandeln zu lassen.

Marie hatte sich mittlerweile Respekt bei der Bauernschaft erworben. Und in Jo ihren tatkräftigsten Unterstützer, denn der hatte von klein auf zur Schwester aufgeblickt. Wie sie mit jedem Viecherl auf dem Hof hatte umgehen können, das war eine wahre Pracht gewesen. Schon in frühen Jahren hatte sie sich was vom Veterinär abgeschaut, wenn der auf dem Hof erschienen war. Ging es aber darum, ein Tierchen zu pflegen, zu hätscheln, dann war Jo an der Reihe gewesen. Und daran hatte sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert, denn unter seinen großen Händen gedieh jedes Pflänzlein auf Heikes schmalem Balkon, da wurde jedes kranke Tierchen wieder munter und jedes menschliche Seelchen, wie zerfleddert und gebeutelt es auch sein mochte, das blühte wieder auf, das reckte und streckte sich und heilte.

Heike war fast wieder eingeschlummert, als Jo ihr hübsches Gesicht aus der Blümchendecke schälte, ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte und sie mahnte: »Schatzerl, Zeit zum Aufstehen!«

Heike brummte unwillig. »Noch nicht, ein bisschen kuscheln kann nicht schaden …«

»Wir kommen zu spät«, gab er zu bedenken.

»Ach, Bär, sei doch nicht so ungemütlich.« Sie schlang die Arme um seine breite Brust und seufzte. So angschmiegsam mochte ihr Jo sie, das war ihre stärkste Waffe. Doch leider nicht am frühen Morgen, wenn die Arbeit wartete. Denn ihr Freund hatte eben ein sehr ausgeprägtes Pflichtbewusstsein.

»Gemütlichkeit kommt nach Feierabend«, stellte er mit einem gutmütigen Lächeln klar, schenkte ihr einen Kuss und mahnte dann noch einmal mit Nachdruck: »Auffi geht’s, mein Preußenmadel, aus den Federn hupft!«

Heike seufzte. »Ich liebe es, wenn du bayrisch wirst, mein Bärchen. Also schön, ich komme …«

Wenig später saßen die beiden in der gemütlichen Küche und frühstückten. Es war ein warmer Junimorgen, die Balkontür stand offen, und eine leichte Brise brachte den Duft von Wicken, Geißblatt und Vanilleblume herein. Obwohl der Balkon nicht sonderlich groß war, hatte Jo daraus eine eingegrünte Oase zum Wohlfühlen geschaffen, in der auch noch schmackhaftes Gemüse wuchs. In den Nistkästen an der Hauwand zwitscherte es munter, und die Insekten labten sich an jeder frisch erblühten Blume. Es war ein richtiges kleines Paradies.

Jo hatte bereits eine Handvoll Monatserdbeeren aus einem Topf neben der Balkontür geerntet und über Heikes Müsli gestreut. Sie schloss bei diesem Genuss verzückt die Augen und seufzte: »Wunderbar! Ich glaub, ich steh wirklich im Wald …«

Jo lachte. »Hauptsache, du bist zufrieden, mein Herzerl.«

»Bin ich.« Sie grinste. »Bei dem Service …«

»Du, ich wollte noch was mit dir bereden. Es geht um Momo. Seine Mutter hat jetzt einen OP-Termin.«

Heike nickte. »Das wird auch Zeit, die Bandscheibe macht ihr doch schon ziemlich lange Probleme.«

»Ja, sie hat allerweil gezögert, weil sie Momo nicht allein lassen wollte. Immerhin dauert das Ganze ein paar Wochen. Die OP und danach die Reha. Momo ist ja nur in der Tagesbetreuung, das ist okay für ihn, weil er’s so gewöhnt ist. Sie wollte ihn nicht im Heimbereich unterbringen. Da kennt er keinen und würde sich gewiss recht einsam und unglücklich fühlen. Deshalb hab ich mir gedacht, dass wir den Momo für diese Zeit nehmen könnten. Wärst damit einverstanden?«

»Es ist eine große Verantwortung«, gab Heike zu bedenken. »Aber wenn es für dich in Ordnung geht, Bär, dann bin ich natürlich einverstanden. Momo ist ein lieber Kerl.«

Jo strahlte. »Wunderbar, Schatzerl! Da wird der Gisela gewiss ein Stein vom Herzen rollen.«

»Kriegst du es denn auch praktisch geregelt?«

»Freilich, ich seh da keine Probleme. Momo kann in unserem Gästezimmer schlafen. Mit dem Insulin-Pen kommt er schon gut zurecht. Und den Tag verbringen wir wie gewohnt in unserer Betreuung. Das sollte hinhauen.«

»Prima, wie immer hast du an alles gedacht.« Heike lächelte ihrem Schatz zu. »Dann kriegen wir also Familienzuwachs.«

»So kann man es auch nennen«, lachte er. »Der Momo wird Augen machen, wenn er es erfährt. Und er freut sich bestimmt sehr.«

»Ich frage mich, wer von euch beiden sich mehr freut«, neckte die junge Ärztin ihren Schatz und schenkte ihm einen dicken Kuss. »Ich hab dich lieb, mein Großer.«

»Und ich hab dich lieb, Prinzessin«, versicherte er ihr innig.

*

Zur gleichen Zeit, gar nicht so weit entfernt im benachbarten Münchner Stadtteil Haidhausen saßen auch Gisela Schubert und ihr zehnjähriger Sohn Momo zusammen am Frühstückstisch.

Die hübsche junge Frau mit den kurzen, kupferroten Locken und den klaren grünen Augen war seit ein paar Jahren Witwe. Ihr Mann Markus war Fernfahrer gewesen, ein ruhiger, verträglicher Mensch. Als Momo mit dem Down-Syndrom, einem Herzfehler und einer Insuffizienz der Bauspeicheldrüse, die rasch zur frühkindlichen Diabetis geführt hatte, geboren worden war, hatte er Gisela getröstet, ihr immer wieder Mut gemacht. Sie hatte einfach nicht gewusst, wie umgehen mit diesem Berg von Problemen, wo sie doch eigentlich nur ein fröhliches Baby erwartet hatte.

»Es wird«, hatte Markus dann gesagt. »Er ist unser Kind, wir haben ihn lieb, so wie er ist. Und wir helfen ihm, das Beste aus dem zu machen, was der liebe Herrgott ihm zugeteilt hat. Auch wenn es nicht viel ist …«

Tatsächlich hatten sie das geschafft. Momo entwickelte sich nur langsam, die meiste Zeit seines jungen Lebens verbrachte er beim Arzt. Doch er war von Anfang an ein fröhliches Kind, das viel lachte und die Welt mit großen Augen betrachtete. Markus hatte recht behalten; sie hatten gelernt, Momo lieb zu haben und nicht bitter zu werden. Jeden Augenblick mit ihm zu genießen und sich zu freuen, wenn er glücklich war. So war es nicht verwunderlich, dass sie sich noch weitere Kinder gewünscht hatten. Aber dann war Markus tödlich verunglückt, ‚auf der Straße geblieben’, wie die Brummifahrer das nannten.

Drei Jahre waren seither vergangen, Gisela vermisste ihren Mann noch immer, auch wenn sie sich ihr Leben neu eingerichtet hatte. Mit der kleinen Witwenrente und einer Abfindung hatte sie eine Lizenz als Marktfrau erworben und verkaufte seither Blumen auf dem Viktualienmarkt. Das machte ihr Spaß, das Auskommen war leidlich, und der Kontakt zu den anderen Marktleuten sorgte dafür, dass sie sich nicht zu sehr in ihrer Trauer vergrub.

Seit Momo sieben war, verbrachte er die Wochentage in der Betreuungseinrichtung der Caritas, lernte dort Lesen und Schreiben, Rechnen und Zeichnen. Er war ein aufgeweckter Junge und trotz seines Herzfehlers sportlich. Besonders Basketball hatte es ihm angetan. Für seine Mutter war das eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits war es natürlich gut, wenn Momo sich in Maßen bewegte. Zumal er geschickt und wendig war. Doch Gisela sorgte sich immer wegen seines Herzfehlers. Wenn ihm nur nichts zustieß! Dieser Gedanke war ihr ständiger Begleiter.

Seit Jo Braun sich um ihren Sohn kümmerte, hatten die Sorgen etwas nachgelassen. Jo war verlässlich und sehr bedacht im Umgang mit seinen Schützlingen. Gisela war überzeugt, dass Momo nichts zustoßen konnte, wenn Jo bei ihm war.

Dass er angeboten hatte, sich während ihres Klinikaufenthaltes auch nach Feierabend um Momo zu kümmern, war für Gisela eine große Erleichterung. Trotzdem wünschte sie, die OP bereits hinter sich zu haben und wieder für ihren Sohn da sein zu können, wie er es gewöhnt war.

Die junge Frau war bereits seit Stunden auf den Beinen, denn vor dem gemeinsamen Frühstück mit Momo stand die Fahrt zur Markthalle an, um Blumen und Pflanzen zu besorgen. Gisela hatte sich daran gewöhnt, sozusagen mit den Hühnern aufzustehen. Und wenn sie heimkam, Momo weckte und Frühstück machte, war sie munter und aufmerksam und umsorgte ihren Sohn mit all der Liebe und Fürsorge, die er so nötig brauchte und einforderte.

»Iss auf, Momo, wir müssen bald los«, mahnte Gisela ihn nun.

Der Junge beobachtete einige Meisen, die in der alten Kastanie vor dem Fenster ein Nest gebaut hatten. Darüber konnte er leicht alles andere vergessen.

»Die Meisen sind flink, manchmal seh ich sie gar nicht. Und dann sind sie doch da.« Momo lachte, dass seine dunkelbraunen Augen nur so blitzten. »Sie sitzen im Nest auf ihren Eiern wie in einem großen Korb voller Luftballons!«

Das war Momos Lieblingsausdruck, wenn ihm etwas gefiel. Die Farbe der imaginären Ballons zeugten vom Grad seiner Begeisterung, das hatte Gisela herausgefunden.

»Und wie sehen die Luftballons aus?«, fragte sie.

Momo musste nicht lange überlegen. »Rosa und himmelblau!«

Das war wirklich ein großes Lob für die kleinen Vögel vor dem Fenster. »Sie müssen so flink sein, denn ihre Brut hat sehr viel Hunger«, erklärte sie. »Die winzig kleinen, neuen Vögelchen müssen wachsen, sie kriegen Federn und alles, was ein Vogel so braucht. In ein paar Wochen sehen sie dann aus wie ihre Eltern und können für sich selbst sorgen.«

Momo hatte aufmerksam zugehört, nun warf er seiner Mutter einen traurigen Blick zu und sagte leise: »Ich seh nicht aus wie du, ich bin anders. Und für mich selbst sorgen kann ich auch nicht. Bist du enttäuscht, Mama?«

»Nein, Momo, ich bin stolz auf dich. Und dein Papa im Himmel war es auch. Wir haben dich beide vom ersten Moment an sehr, sehr lieb gehabt!«

»Warum?«

»Weil du unser Sohn bist. Das ist so. Alle Eltern haben ihre Kinder lieb und wünschen ihnen nur das Beste im Leben.«

»Auch die Meisen?«

Gisela musste schmunzeln. »Ich denke schon. Wir wissen es nicht, denn sie können es uns ja nicht sagen. Aber so, wie sie sich mühen und sorgen, glaube ich, dass sie ihre Kinder auch lieb haben. Und dass sie zufrieden und glücklich sind, wenn es ihnen gut geht. Ja, das glaube ich fest.«

Momo legte seine Hand auf die seiner Mutter und sagte leise: »Ich hab dich lieb, Mama.«

»Ich dich auch, mein Schatz.« Sie drückte ihn behutsam, dann stellte sie fest: »Jetzt müssen wir aber los. Jo wird schon auf dich warten.«

»Ja, bei dem schönen Wetter spielen wir bestimmt wieder Basketball zusammen. Darauf freue ich mich schon!«

»Es ist schön, dass ihr euch so gut versteht. Wenn ich ins Krankenhaus muss, wird Jo auf dich aufpassen. Und du darfst dann vielleicht auch bei ihm und seiner Freundin wohnen. Würde dir das gefallen?«