Chefarzt Dr. Norden 1207 – Arztroman - Jenny Pergelt - E-Book

Chefarzt Dr. Norden 1207 – Arztroman E-Book

Jenny Pergelt

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Beschreibung

Fee Norden freut sich, als Sandra Meyer bei ihr in der Pädiatrie vorbeischaut. Sie kennt Sandra noch aus Daniels Zeit als Hausarzt. Die Familie Meyer gehörte zu Daniels großen Sorgenkindern. Das lag vor allem an Dieter Meyer, dem tyrannischen Familienoberhaupt, unter dessen Alkoholproblemen besonders seine Tochter zu leiden hatte. Als Sandra zehn Jahre alt war, verursachte ihr Vater im Vollrausch einen schweren Verkehrsunfall. Er nahm dem Wagen von Irina und Frank Schröder die Vorfahrt und beging anschließend Fahrerflucht. Die beiden Schwerverletzten überließ er ihrem Schicksal. Dass sie überlebten, verdankten sie nur dem Können ihrer Ärzte. Für die beiden Söhne der Schröders begann eine schwere Zeit. Beide Elternteile lagen im Krankenhaus, Frank hatte es besonders heftig getroffen. Er musste mehrfach operiert werden und leidet noch immer an den Spätfolgen. Plötzlich kommt es zu einer Begegnung zwischen Sandra und den Schröders. Soll Sandra dafür büßen? Sandra mochte die Lobby der Behnisch-Klinik. Sie war weitläufig und erinnerte dank der lauschigen Sitzgruppen und der großformatigen Wandgemälde eher an das elegante Foyer eines großen Hotels. Über dem Empfangstresen hing eine Uhr. Sie sagte Sandra, was sie bereits wusste: Sie war viel zu früh dran. Bis zu ihrem Termin blieben ihr noch mehr als dreißig Minuten. Am Ende der Lobby begann eine schmale Ladenzeile mit einem Zeitungskiosk und ein paar kleineren Geschäften, an denen Sandra achtlos vorbeiging. Sie interessierte sich nur für die Cafeteria, die – versteckt hinter üppig wachsenden Kübelpflanzen – eine ruhige Oase inmitten des betriebsamen Treibens war. Sandra blieb in Höhe eines kleinen Blumenladens stehen. Von hier hatte sie einen guten Blick auf die Cafeteria und konnte sich so einen ersten Eindruck über ihren künftigen Arbeitsplatz verschaffen. Sandra hatte sich als Aushilfe im Service beworben und eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten. Für eine Studentin, die sich über jeden zusätzlichen Euro freute, war das der ideale Job. Die Arbeitszeiten waren flexibel und ließen sich gut mit ihren Vorlesungen an der Uni vereinbaren. Außerdem war die Bezahlung gut, und mit ein bisschen Glück kämen auch noch ein paar Trinkgelder dazu. Nach so einem Job hatte Sandra lange Ausschau gehalten – nun musste sie ihn nur noch bekommen. Sandra überlegte, ob sie bis zu ihrem Termin in der Lobby warten sollte, als ihr die vielen hübschen Sträuße im Schaufenster des Blumenladens auffielen. Sofort dachte sie an eine besondere Frau, die sich darüber sicher freuen würde. Nur Minuten später betrat sie den Fahrstuhl, um zur Pädiatrie hochzufahren. Dort lief ihr Schwester Gitta über den Weg. Gitta sah auf den Blumenstrauß in Sandras Händen.

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Chefarzt Dr. Norden – 1207 –

Die Schuld des Vaters

Soll Sandra dafür büßen?

Jenny Pergelt

Sandra mochte die Lobby der Behnisch-Klinik. Sie war weitläufig und erinnerte dank der lauschigen Sitzgruppen und der großformatigen Wandgemälde eher an das elegante Foyer eines großen Hotels. Über dem Empfangstresen hing eine Uhr. Sie sagte Sandra, was sie bereits wusste: Sie war viel zu früh dran. Bis zu ihrem Termin blieben ihr noch mehr als dreißig Minuten.

Am Ende der Lobby begann eine schmale Ladenzeile mit einem Zeitungskiosk und ein paar kleineren Geschäften, an denen Sandra achtlos vorbeiging. Sie interessierte sich nur für die Cafeteria, die – versteckt hinter üppig wachsenden Kübelpflanzen – eine ruhige Oase inmitten des betriebsamen Treibens war.

Sandra blieb in Höhe eines kleinen Blumenladens stehen. Von hier hatte sie einen guten Blick auf die Cafeteria und konnte sich so einen ersten Eindruck über ihren künftigen Arbeitsplatz verschaffen. Sandra hatte sich als Aushilfe im Service beworben und eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten. Für eine Studentin, die sich über jeden zusätzlichen Euro freute, war das der ideale Job. Die Arbeitszeiten waren flexibel und ließen sich gut mit ihren Vorlesungen an der Uni vereinbaren. Außerdem war die Bezahlung gut, und mit ein bisschen Glück kämen auch noch ein paar Trinkgelder dazu. Nach so einem Job hatte Sandra lange Ausschau gehalten – nun musste sie ihn nur noch bekommen.

Sandra überlegte, ob sie bis zu ihrem Termin in der Lobby warten sollte, als ihr die vielen hübschen Sträuße im Schaufenster des Blumenladens auffielen. Sofort dachte sie an eine besondere Frau, die sich darüber sicher freuen würde.

Nur Minuten später betrat sie den Fahrstuhl, um zur Pädiatrie hochzufahren. Dort lief ihr Schwester Gitta über den Weg. Gitta sah auf den Blumenstrauß in Sandras Händen. »Kann ich Ihnen helfen? Zu wem möchten Sie denn?«

»Oh … ich möchte niemanden besuchen.« Sandra lächelte schüchtern. »Ich wollte nur diese Blumen für Frau Dr. Norden abgeben. Wenn Sie so nett wären, sie ihr zu geben? Mein Name ist Sandra Meyer. Bestellen Sie ihr bitte schöne Grüße von mir und …«

»Frau Dr. Norden ist in ihrem Büro«, unterbrach Gitta die Besucherin. »Ich kann schnell mal nachfragen, ob sie jetzt Zeit für Sie hat. Dann können Sie ihr die Blumen persönlich geben.«

»Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Ich möchte sie wirklich nicht stören …«

Wieder wurde Sandra unterbrochen. »Du störst nicht, Sandra. Du weißt doch, dass ich mich immer über deinen Besuch freue.«

Lächelnd drehte sich Sandra um. »Aber ich weiß auch, wie viel Sie hier zu tun haben, Frau Dr. Norden.«

Fee Norden, die Leiterin der Pädiatrie der Behnisch-Klinik und Ehefrau des Chefarztes, winkte ab. »Für ein kleines Schwätzchen mit dir nehme ich mir doch gern etwas Zeit. Wir haben uns eine halbe Ewigkeit nicht gesehen.«

»Vier Monate sind keine Ewigkeit«, widersprach Sandra lachend, während sie mit Fee in deren Büro ging.

»Mag sein. Aber wenn ich dich jetzt nicht zufällig hier erwischt hätte, wärst du wieder gegangen und hättest nur die Blumen zurückgelassen. Vielleicht wären bis zu unserem nächsten Wiedersehen dann wirklich ein paar Jahre vergangen.« Fee drohte mit dem Finger. »Das hätte ich dir sehr übel genommen.« Als sie sah, dass das Lächeln im Gesicht ihrer jungen Besucherin erstarb und sie leicht verschreckt die Augen aufriss, ruderte Fee sofort zurück. »Das war ein Scherz, Sandra! Nur ein Scherz!«

»Ja … ja, natürlich, ich …«, stammelte Sandra unbeholfen, und Fee strich ihr tröstend über den Arm.

»Vergiss einfach, was ich gesagt habe. Du weißt doch, wie sehr ich mich über deinen Besuch freue – und über die Blumen. Oder sind die gar nicht für mich gedacht?«

Sandra lachte verlegen und reichte den Blumenstrauß an Fee weiter. »Doch, natürlich. Deswegen bin ich doch extra vorbeigekommen. Ich hoffe, sie gefallen Ihnen.«

»Und wie!« Fee betrachtete den bunten Strauß mit einem verträumten Gesichtsausdruck und steckte dann ihre Nase hinein, um an den Blüten zu schnuppern. »Vielen Dank, Sandra! Sie sind wunderschön! Aber womit habe ich sie verdient?«

»Ich wollte Ihnen nur eine kleine Freude machen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass auf dem Schreibtisch Ihres Mannes immer ein hübscher Blumenstrauß stand. Er erzählte mir mal, dass Sie dafür verantwortlich wären. Damit immer etwas Schönes in seiner Nähe ist, falls die Arbeit ihn mal traurig mache.«

Fee lächelte. »Das stimmt. Ich wundere mich, dass du dich daran noch erinnerst.«

»Ich erinnere mich an viele Sachen«, erwiderte Sandra und hörte sich dabei ein wenig traurig an. »Manchmal wünschte ich mir, ich könnte einiges vergessen, aber das wird wohl nie geschehen.«

»Wahrscheinlich nicht.« Fee wusste, dass Sandra nun von ihrer schwierigen Kindheit sprach. Sie wartete, bis Sandra Platz genommen hatte und holte dann eine Vase aus dem Schrank. »Ich habe es damals sehr bedauert, dass deine Mutter mit dir fortzog und wir uns dadurch fast aus den Augen verloren haben.«

»Sie wissen ja, wie’s damals war. Die Leute haben geredet und uns schief angesehen, nachdem die Sache mit meinem Vater passiert ist. Meine Mutter konnte das nicht mehr ertragen und wollte nur noch fort. In dem neuen Viertel kannte uns niemand, und wir lebten unbehelligt von dem bösen Geschwätz. Ich weiß, das klingt jetzt merkwürdig, aber für mich begann mit dem Umzug eine gute Zeit. Keiner kannte unsere Geschichte, und wir konnten neu anfangen. Die kommenden fünf Jahre zähle ich noch immer zu den schönsten meines Lebens.«

Fee wusste genau, warum das so war. »Weil dein Vater im Gefängnis war«, sagte sie und traf damit ins Schwarze. Ihr Mann Daniel war lange Jahre der Hausarzt der Familie Meyer gewesen. Ihm war nicht entgangen, dass Dieter Meyer ein schweres Alkoholproblem hatte, unter dem besonders seine kleine Tochter leiden musste. Still und in sich gekehrt hatte sie versucht, mit ihrem tyrannischen Vater und einer gleichgültigen Mutter klarzukommen. Das blasse, eingeschüchterte Mädchen hatte damals sehr an Fees Herz gerührt, doch es gab nichts, was sie oder Daniel tun konnten, um der Kleinen zu helfen. Es gab keine Anzeichen für Vernachlässigung oder Misshandlung – zumindest keine körperlichen. Fee wusste, dass das nicht viel zu bedeuten hatte. Dieter Meyer mochte seine Tochter vielleicht nie geschlagen haben, aber auch Worte, Demütigungen und Kränkungen konnten sich verheerend auf eine empfindliche Kinderseele auswirken.

Sandra war gerade zehn, als sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen änderte: Im Vollrausch verursachte ihr Vater einen folgenschweren Unfall. Dabei wurden zwei Menschen schwer verletzt, die er einfach ihrem Schicksal überließ. Er flüchtete und wurde später von der Polizei verhaftet und vor Gericht gestellt.

»Leider hat das Gefängnis keinen besseren Menschen aus ihm gemacht«, sagte Sandra, die froh schien, mit jemanden darüber sprechen zu können. »Nach fünf Jahren wurde er entlassen. Er führte sein Leben weiter, als wäre nichts geschehen. Meine Mutter hat ihn mit offenen Armen empfangen und so getan, als wäre er nur auf einer längeren Dienstreise gewesen.«

Fee setzte sich zu Sandra. »Für dich war das damals sicher sehr schwer«, vermutete sie. Fee ließ ihre Worte absichtlich wie eine Frage klingen. Als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie wusste sie, wie wichtig es war, über traumatische Kindheitserlebnisse zu sprechen. Nur so konnte man sie verarbeiten und einen Abschluss finden. Dass Sandra inzwischen eine junge Frau von zweiundzwanzig Jahren war, spielte dabei keine Rolle.

»Als er entlassen wurde, war ich fast erwachsen. Ich konnte jetzt besser mit ihm und seiner Trinkerei umgehen.« Sandra zuckte die Achseln. »Ich habe mich irgendwie mit der Situation arrangiert, weil ich wusste, dass mir nur noch ein paar Jahre bis zu meiner Volljährigkeit fehlten. Als es dann so weit war, bin ich sofort ausgezogen. Zuerst zu einer Freundin und später ins Studentenwohnheim.«

»Ja, das hattest du mir mal erzählt. Wie läuft es mit deinem Jurastudium?«

»Prima. Das Grundstudium habe ich ja inzwischen abgeschlossen. Ich bin jetzt im Hauptstudium und habe als Schwerpunktfach Familienrecht gewählt.«

»Ausgerechnet Familienrecht«, sinnierte Fee. »Das überrascht mich jetzt nicht. Ich denke, das ist wirklich perfekt für dich. Du wirst später Kindern, die Hilfe brauchen, eine gute Anwältin sein.«

»Sie und Ihr Mann waren mir auch immer eine große Hilfe.«

»Aber wir haben doch gar nichts getan.«

»Doch. Mehr als Sie vielleicht wissen. Wenn ich bei Ihrem Mann in der Praxis war, habe ich mich immer geborgen gefühlt. Ich wusste, ich könnte mich jederzeit an ihn oder an Sie wenden, sollte ich gar nicht mehr weiterwissen. Sie waren wie ein Joker in der Hinterhand, und ich habe mich dadurch weniger allein und hilflos gefühlt.« Sandra sah auf die Uhr und stand schnell auf. »Es tut mir leid, aber ich muss schon wieder los. Ich habe in ein paar Minuten einen Termin in der Cafeteria.«

»Eine Verabredung mit einem jungen Mann?«, neckte sie Fee.

Sandra lachte verlegen. »Nein, keine Verabredung, sondern ein Vorstellungsgespräch. In der Cafeteria wird eine Aushilfe im Service gesucht. Ich könnte mir dort ein bisschen Geld zu meinem BAföG dazuverdienen.«

»Im Service? Das ist eine tolle Idee. Es ist gut, wenn du einen Job machst, bei dem du unter Menschen bist. Das wird dir und deiner Selbstsicherheit guttun. Obwohl du da schon sehr große Fortschritte gemacht hast. Du kannst wirklich stolz auf dich sein.«

»Vielen Dank, Frau Norden.« Sandra griff zu ihrer Winterjacke, die sie auf dem Stuhl neben sich abgelegt hatte. Fees Augen glitten wie von selbst zu der Jacke in Sandras Händen. Sie war sauber und unversehrt, aber schon lange nicht mehr modern. Dass sie ihrer Besitzerin bereits einige Jahre treue Dienste leistete, sah man ihr an.

»Sandra, falls du irgendwann mal meine Hilfe brauchen solltest …« Fee stoppte sich noch rechtzeitig. Sie wusste, dass Sandra empfindlich reagierte, wenn Fee ihre Unterstützung anbot.

»Ja, da fällt mir sofort etwas ein.« Sandra hatte bereits die Türklinke in der Hand und drehte sich nun lächelnd zu Fee um. »Drücken Sie mir bitte die Daumen für das Vorstellungsgespräch. Ich möchte den Job unbedingt haben.«

*

Frank Schröder war nicht allein, als Dr. Daniel Norden, der Chefarzt der Behnisch-Klinik, zu ihm kam. An seinem Bett saßen seine Frau Irina und die beiden erwachsenen Söhne. Irina Schröder kannte Daniel bereits. Sie war bei der Klinikaufnahme ihres Mannes dabei gewesen. Ihre Söhne, Lukas und Christoph, stellten sich ihm jetzt vor. Als Daniel in Lukas’ Gesicht sah, runzelte er nachdenklich die Stirn.

»Kann es sein, dass wir uns bereits kennen?«

Lukas grinste. »Nicht persönlich, Dr. Norden. Aber es wäre möglich, dass Sie mich schon öfter in der Behnisch-Klinik gesehen haben. Ich lungere hier nämlich recht häufig rum.«

»Gibt es dafür einen Grund?«, fragte Daniel schmunzelnd.

»Ja, die Liebe«, mischte sich Christoph, der ältere Sohn der Schröders, ein und griff sich theatralisch ans Herz.

Lukas rollte nur mit den Augen und erklärte Daniel dann: »Ich bin mit Jette Köpcke zusammen. Sie arbeitet …«

»… unten in der Cafeteria«, beendete Daniel lächelnd den Satz des jungen Mannes. »Ihre Freundin hat hier eine große Fangemeinde. Ihre Backkreationen sind sehr beliebt. Seit Jette hier arbeitet, findet man zur Kaffeezeit nur selten ein freies Plätzchen in der Cafeteria.«

Alle nickten zustimmend. Dann sahen sie ihn erwartungsvoll an. Sofort fühlte sich Daniel daran erinnert, dass er nicht hergekommen war, um über die fantastische Konditorin der Cafeteria zu plaudern. Die Schröders wollten nun endlich alles über den MRT-Befund wissen und erfahren, wie es mit der Behandlung weitergehen sollte.

»Dr. Norden, bitte machen Sie es nicht so spannend«, bat Frank Schröder. »Wie schlimm steht es denn nun um mich?«

Seit Wochen quälten Frank unerträgliche Schmerzen in der Hüfte und machten ihm sein Leben schwer.

Daniel sah, wie Irina Schröder die Hand ihres Mannes ergriff und sie festdrückte. Vielleicht wollte sie ihm dadurch etwas Halt zu geben; vielleicht hatte sie den aber selbst gerade sehr nötig.

»Es ist so, wie wir befürchtet haben«, begann Daniel einfühlsam. »Die Schmerzen kommen von Ihrem Hüftgelenk. Es ist entzündet und so stark beschädigt, dass wir es nicht mehr retten können. Wir müssen es durch ein künstliches Gelenk ersetzen, sobald wir die Entzündung losgeworden sind.«

Alle wechselten einen entsetzten Blick. Frank fand als Erster seine Sprache wieder. »Das ist doch nur etwas für ältere Leute. Ich bin erst neunundvierzig und soll ein neues Hüftgelenk bekommen? Ist das nicht ein bisschen früh?«

»Die meisten Patienten mit einer Endoprothese sind tatsächlich älter als sechzig. Bei ihnen sind die Gelenke altersbedingt so verschlissen, dass sie ersetzt werden müssen. Wenn jüngere Menschen, so wie Sie, ein neues Hüftgelenk benötigen, liegen die Ursachen dafür oft in anderen Bereichen: Sportverletzungen, bestimmte Krankheiten, angeborene Fehlbildungen oder Unfälle.«

»Unfälle!«, rief Christoph ungehalten aus. »Wusste ich’s doch! Das hängt alles mit dem Autounfall zusammen!«

»Christoph!«, ermahnte Irina ihren Sohn. »Das kannst du gar nicht wissen.«

»Ich denke, Ihr Sohn hat recht.« Daniel wandte sich wieder an seinen Patienten. »Neben den vielen anderen Verletzungen haben Sie sich damals auch einen komplizierten Beckenbruch zugezogen. Die Ärzte gaben ihr Bestes, um Sie wieder zusammenzuflicken. Aber seit dem Unfall wird Ihre linke Hüfte stärker belastet als üblich. Dadurch kam es zu einer vorzeitigen Arthrose des Gelenks.«

»Na also!«, wetterte Christoph wieder los. »Es ist so, wie ich’s vermutet hatte!«

Irina schüttelte ärgerlich den Kopf. »Bitte beruhige dich und sei vernünftig …«

»Wie denn?« Christoph sprang von seinem Stuhl auf. Seine Miene zeigte, welche Gefühle in seinem Inneren tobten. Daniel erkannte Kummer und Wut, aber auch die Angst, die Christoph Schröder um seinen Vater hatte. »Seit dem Unfall sind zwölf Jahre vergangen und noch immer muss mein Vater darunter leiden, während dieser … dieser Mistkerl ein ganz normales Leben führt. Für ihn hat sich nichts geändert!«