Chiara, Simona und die anderen - Sarah Sajetti - E-Book

Chiara, Simona und die anderen E-Book

Sarah Sajetti

3,9

Beschreibung

Chiara schlägt sich mit zahlreichen Jobs und noch mehr Affären durchs Leben. Eines Abends kommt in der Bar die Idee auf, einen Film über ihr turbulentes Liebesleben zu drehen. Das Projekt gewinnt trotz vieler Hindernisse Gestalt, der erste Drehtag steht an. Doch die Hauptdarstellerin erscheint nicht am Set. Ist sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Die ermittelnde Kommissarin Alessandra Pastore will sich als Chiaras neuste Geliebte in die Mailänder Lesbenszene einschleusen lassen. Chiara ist skeptisch, doch sehr bald schon findet sie nicht nur an dem Plan Gefallen … Turbulent, spannend, politisch, romantisch, witzig - eine Story voller italienischer Lebensfreude und Mailand-Flair.

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FRAUEN IM SINN

 

Verlag Krug & Schadenberg

 

 

Literatur deutschsprachiger und internationaler

Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

historische Romane, Erzählungen)

 

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

rund um das lesbische Leben

 

Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

Sarah Sajetti

Chiara, Simona und die anderen

Roman

Aus dem Italienischenvon Julika Brandestini

Der Ort des Verbrechens

Mailand. Ich liebe diese Stadt. Sie stinkt, ich weiß. Sie ist voller Autos, geltungssüchtiger Emporkömmlinge, in die Jahre gekommener Yuppies und junger Berlusconi-AnhängerInnen, für die Geldverdienen und schöner Schein entschieden mehr zählen als das Sein – eine Stadt, deren Werte immer schwieriger zu teilen sind. Mailand hat eine Generation von Aperitifsüchtigen hervorgebracht – meine Generation –, in der Negronis getrunken werden wie Fruchtsaft und alle mehr oder weniger dem Konsum verfallen sind, ebenso wie den leichten und harten Drogen.

Aus diesen und noch vielen anderen Gründen bin ich gegangen, aber ich habe es nicht ausgehalten. Ich habe sechs Jahre lang auf dem Land gelebt, fasziniert von der Umgebung, in der jede Jahreszeit ihre eigenen Düfte und Reize hat. In der Stadt wird der Schnee innerhalb weniger Stunden zu ekeligem Matsch, auf dem Land dagegen bleibt der weiße Mantel tagelang intakt, bis der Schnee schließlich an Kompaktheit verliert und sauber und wohltuend zu schmelzen beginnt. Früh am Morgen, wenn es Nachtfrost gegeben hat, sind die Zweige der Bäume und die Gräser weiß von Raureif, wie von Stickereien ummantelt, pure Poesie. Noch nie habe ich in Mailand Raureif gesehen, außer morgens auf den Autoscheiben, als gefrorene Kruste, der unmöglich beizukommen ist. Auf dem Land verströmt der Frühling mit seinen tausendfachen Blüten Düfte von Honig und Jasmin, und in der Stille werden Geräusche hörbar, die in der Stadt vom Verkehrslärm verschluckt werden: das Summen der Insekten, tausend verschiedene Vogelstimmen, sogar das Nagen der Holzwürmer. Und dennoch. An bestimmten Frühlingstagen weht in Mailand ein sanfter Wind, der die Luft mit Lindenduft erfüllt, auch wenn Stefania, meine Liebste, behauptet, ich sei verrückt, niemand außer mir könne das wahrnehmen.

Es gibt Ecken in der Stadt, die mit so vielen Emotionen verknüpft sind, dass ich sogar bei hektischen Autofahrten, wenn ich mich zwischen Mopeds und lebensmüden Passantinnen und Passanten hindurchschlängele, von einem unbestimmten wohligen Gefühl ergriffen werde, und obwohl diese Erinnerungen nicht immer nur glücklich sind, sind sie doch die Erinnerungen an die glücklichen Tage meines Lebens. Es ist ein bisschen so, wie wenn man auf einer Reise ist, bei der alles schiefgeht, weil es in der Gruppe oder mit der Freundin ständig Streit gibt, die Museen wegen Restaurierung geschlossen sind, die Stadt hässlich ist und man sich langweilt und die sich dann ein Jahr später in der Rückschau trotzdem in einen absurden, aber sehr vergnüglichen Urlaub verwandelt. Man würde gerne noch einmal hinfahren, um die Museen anzuschauen, die inzwischen sicher wieder geöffnet haben, um in diesem netten Lokal zu essen, in dem man damals keinen Platz bekommen hat. Ich habe nie verstanden, warum das so ist, aber es ist so. Genauso ist es auch mit Mailand und den Dingen, die mich dazu gebracht haben, die Stadt zu verlassen: Ich weiß, dass ich tausend Gründe hätte, die Stadt zu hassen. Und dennoch.

Auf dem Land sind die Menschen entspannt, ehrlicher, hilfsbereiter und weniger hektisch, und das sollte es eigentlich erleichtern, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Doch wenn man in der Bar sitzt, um ein Schwätzchen zu halten, merkt man, dass die alltäglichen Erlebnisse derart eingeschränkt sind, der Austausch mit anderen derart selten, die intellektuellen Anreize derart spärlich und die Tätigkeiten der Personen so ähnlich, dass die Qualität der menschlichen Beziehungen im Endeffekt auch nicht besser ist als in der Stadt. Als ich auf dem Land lebte, ging ich irgendwann nur noch in Begleitung anderer in die Bar. Das hat sowohl meine Leber als auch mein Portemonnaie geschont, doch es hat mich eines großen Vergnügens beraubt: Fremde zu treffen, die einem ihre unterschiedlichen Lebensgeschichten erzählen, abends auszugehen, ohne vorher zu wissen, was geschehen wird, wen man treffen wird, ob man etwas Neues entdecken, über Politik, Gartenkunst oder Häkeln sprechen wird. Doch eine Sache habe ich mehr als alles andere vermisst, als ich fort aus Mailand war: die Frauenlokale und die Möglichkeit, jederzeit dort hinzugehen. Denn letztlich macht vor allem das mein Mailand aus: die Stadt der Frauen. Eine Stadt für sich, die den meisten unbekannt ist, die vor allem aus Bars, Privathäusern, Clubs und Diskotheken besteht, eine nächtliche Stadt, in der Freundschaften und Lieben unauflöslich verwoben sind, in der sich große Leidenschaften und große Tragödien abspielen, wo man über die Liebe diskutiert (sehr viel), aber auch über Politik und Kultur. Das ist die Stadt, in der ich aufgewachsen bin und die mir mehr als alles andere gefehlt hat in den sechs Jahren meines selbstverordneten Exils, und es ist die Stadt, in der dieser Roman spielt.

Die Kriminalgeschichte ist für mich eher ein Vorwand gewesen, um von einem Mailand zu erzählen, das nur wenige kennen, von Menschen, die täglich mit Forderungen und Fragen konfrontiert sind, von denen außer den direkt Beteiligten niemand etwas ahnt. Diese Stadt ist geboren aus Wünschen und Ängsten, aus der Schwierigkeit, die eigene Homosexualität offen zu leben, aus dem Wunsch, Gleichgesinnte zu treffen, der Hoffnung, sich einen Platz an der Sonne zu erkämpfen, und auch aus der Feindseligkeit und Gleichgültigkeit eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft. Wenn euch das alles übertrieben erscheint, dann denkt an die Polemiken, die der Gesetzesvorschlag zur eingetragenen Lebenspartnerschaft hervorgerufen hat, zählt einmal nach, wie viele offene Lesben es in Musik, Sport, Politik und Literatur gibt, lest die Erklärungen des Vizebürgermeisters von Mailand (dem anderen Mailand), De Corato, zur Ablehnung der Finanzierung des schwul-lesbischen Filmfestivals und die von Bürgermeister Moratti über die Ausstellung homosexueller Kunst, die von Sgarbi gefördert wurde und schließlich der Zensur zum Opfer gefallen ist.

Und so versucht das lesbische Mailand – Gleiches gilt übrigens für jede andere Stadt Italiens –, sich vor den zudringlichen Augen jener zu verstecken, deren Unverständnis man fürchtet. Mein größter Wunsch ist es, dass es mir gelingen möge, dieses Mailand ein wenig verständlicher zu machen, zugänglicher und realer auch für diejenigen, die bisher vielleicht nicht einmal über dessen Existenz nachgedacht haben – durch ein Schmunzeln hie und da über die Geschichte des Buches, die Gefühle sowie Laster und Tugenden der Personen, die denen aller anderen Menschen so ähnlich sind.

Es ist jedoch wahr, dass ich dieses Buch vor allem in Gedanken an die anderen Lesben geschrieben habe, die es lesen werden und die, so hoffe ich, sich wiedererkennen und amüsieren werden wie ich beim ersten Mal, als ich den Text noch einmal las.

S.S.

Ich danke Stefania, die mein endloses nächtliches Getippe ertragen und ermutigt hat, und ich danke Elena Dall’Ovo, Autorin und Theaterschauspielerin, die mich bei der Ausarbeitung der Drehbuchszenen im Text unterstützt hat.

1

Tot. Seit Stunden schon lasse ich meine Gedanken um dieses Wort kreisen, ohne zu verstehen. Ab und zu höre ich mit dem Denken auf, um zu Simo zu sagen: »Verdammt, das ist doch nicht möglich! Ich habe gestern um halb elf noch mit ihr gesprochen…«, und ähnliche Banalitäten, als ob der Tod sich anzukündigen pflegt und diesmal eine unbegreifliche Ausnahme gemacht hat.

Wir hatten vor dem Kiosk gestanden, bereit für die erste Aufnahme, mit einer etwas zusammengewürfelten, aber enthusiastischen Truppe; die Statisten standen in den Startlöchern, und der Zeitungsverkäufer, der in der ersten Szene des Films erscheint und sich selbst spielt, platzte fast vor Stolz.

Es lag ein Knistern in der Luft, und auch wenn sich die spielerische Leichtigkeit, mit der wir das Projekt ins Leben gerufen hatten, inzwischen in einen enormen Leistungsdruck verwandelt hatte – ganz tief drinnen waren wir außer uns vor Freude. Wir hatten es geschafft, es ging los, alles war bereit, nur eine fehlte: ich. Das heißt, nicht ich fehlte, sondern Silvia, die die Rolle der Chiara, also mich, spielen soll, pardon, sollte.

Wir haben immer wieder versucht, sie anzurufen, zuerst wütend, dann besorgt, und schließlich gaben wir auf: Bei ihr zu Hause ging niemand ans Telefon, auch auf dem Handy nicht, und so blieb uns nichts anderes übrig, als den so sehnsüchtig erwarteten ersten Take zu verschieben, überzeugt, es handle sich um den üblichen coup de foudre, dem immer wieder mal eine von uns zum Opfer fällt, die dann tagelang verschwindet, ohne sich um Arbeit, Mutter oder Partnerin zu scheren. In so einem Fall kennt jedoch eine gute Freundin den geheimen Rückzugsort – für Notfälle–, die dann ihrerseits zwei weitere gute Freundinnen ins Vertrauen zieht, die es wieder zwei anderen erzählen und so weiter, bis am Ende alle wissen, wo man sich aufhält und mit wem, inklusive dem Arbeitgeber, der Mutter und der inzwischen zur Ex gewordenen Liebsten. In Silvias Fall jedoch war es unmöglich, diese Informationen zu bekommen, denn niemand kannte sie. Sie hatte jahrelang in London gelebt und war gerade erst nach Italien zurückgekehrt; bei dem Filmprojekt wollte sie auch deshalb mitmachen, um ein paar Freundinnen zu finden. Also mussten wir abwarten, bis sie von sich hören ließ, um ihr den Kopf zu waschen, sie uns vorzuknöpfen und herauszubekommen, mit wem sie sich eingelassen hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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