Chimba - Manoz - E-Book

Chimba E-Book

Manoz

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Beschreibung

Chimba erzählt die spannende und packende Geschichte von Mono, einem Schweizer Rucksacktouristen in Kolumbien. "…Eigentlich war das Ganze als einfacher Abenteuerurlaub geplant: Ein wenig an Stränden rumhängen, in Hängematten pennen und kiffen. Doch es entwickelte sich schnell zu einem gefährlichen Netz von vermeintlichen Zufällen, die mich fast in den Wahnsinn treiben sollten…" Der einem Reisebericht ähnlichen Erzählung wegen, erinnert Chimba phasenweise an Alex Garlands »The Beach«. Die vermeintlichen Zufälle, die sich einem sinnvollen Zusammenhang gehörig erweisen, rufen die Erkenntnisse aus James Redfields »Die Prophezeiungen von Celestine« in Erinnerung. Und gemäss dem Mythos, das Glück ständig in der Ferne zu suchen, ist Paulo Coelhos »Der Alchimist« der passendste Vergleich zu Chimba.

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Seitenzahl: 342

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Manoz

Chimba

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Flug nach Bogotá

Hotel Platypus

Reise nach Santa Marta

Fredo

Das erste Mal Marihuana gekauft

Trip zum Parque Tayrona

Das Leben in Arrecife

Man spricht Deutsch

Zeit zu gehen

Noch eine Dusche, und ich spreche Deutsch

Black Out

Edi el Calvo

Zufälle gibt's im Leben

Perico

Fabio

Playa Blanca

Medellín

José

Gregorio

Begegnung einer anderen Art

Pech im Spiel, Glück in der Liebe

Zufälle, oder Zeichen des Lebens?

Das verrückteste Fußballspiel

Ein merkwürdiger Traum

Der Paisa

Nachts auf der Straße

San Agustín

Auf der Suche nach dem Ehepaar

Fahrt nach Valledupar

Don Enrique

Das große Treffen

Endlich frei

Zurück nach Medellín

Und es hat BOOM gemacht

Post aus Valledupar

Abschied

Flug nach Hause

Epilog

Impressum tolino

Impressum neobooks

Prolog

Chimba

Eigentlich sollte dies kein Roman werden, sondern vielmehr so etwas wie ein persönliches Tagebuch. Ein Tagebuch, worin ich meine bevorstehende Reise nach Kolumbien festhalten konnte, um dann selbst nach Jahren noch darin zu blättern und vergessene Details wieder in Erinnerung zu rufen.

Eine Reise, die schon viele von uns mal erlebt haben: Alles hinter sich lassen, den Rucksack packen und ein paar Monate lang unterwegs sein. Egal wo.

In meinem Fall war es als einfacher Abenteuerurlaub in Kolumbien geplant: Ein wenig an Stränden rumhängen, in einer Hängematte pennen und kiffen. Doch es kam alles ganz anders. Vor allem die Regelmäßigkeit einiger Zufälle sollte mich fast in den Wahnsinn treiben.

Darum wurde aus einem Tagebuch plötzlich eine Geschichte. Eine Geschichte, die ich ehrlich gesagt auch nicht glauben würde, hätte ich sie nicht selbst erlebt.

Durch ein Netz von vermeintlich zufälligen Ereignissen erhielt ich plötzlich Einsicht in eine für mich völlig neue Lebensanschauung. Auf einmal sah ich das Leben aus einer viel logischeren Optik. Alles war viel einfacher. Alles ging auf. Jede Wirkung hatte ihre Ursache. Und je mehr ich darauf achtete, umso mehr wurde ich süchtig danach. Und dann, plötzlich, war alles sonnenklar, und ich wusste, was ich zu tun hatte. Oder glaubte es zumindest.

Aber gehen wir der Reihe nach. Meine Reise sollte mich also für ein halbes Jahr durch Kolumbien führen. Ich entledigte mich meines Jobs, meiner Wohnung, meines Autos und meiner Möbel. Danach kaufte ich ein Flugticket Basel-Bogotá-Basel, ein Wörterbuch Spanisch-Deutsch und die 71. Edition des Southamerican Handbook. Und am 1. März 1995, morgens um acht Uhr, setzte ich mich in das Flugzeug nach Bogotá.

Flug nach Bogotá

»Beef or Chicken, Sir?« fragte mich die Stewardess.

Während der Fußball Weltmeisterschaft 1994 in den USA hatten wir auch so einen Spruch drauf.

Als Italien gegen Nigeria im Achtelfinale spielte, saßen wir alle bei Mike zu Hause, hatten schon tüchtig gekifft und schauten uns das Spiel an. Nigeria schoss nach etwa einer halben Stunde das erste Tor. Wir dachten alle, Italien holt das noch locker auf. Doch als allmählich die Zeit verging und die neunzigste Minute immer näher kam, waren auch wir nicht mehr so sicher, ob es noch reichen würde. Die Stimmung wurde dementsprechend immer schlechter, bis jeder nur noch stumm und fassungslos da saß und in die Glotze starrte.

Wir hatten während des Spiels soviel Gras geraucht, dass unsere Trauer sich nun in Galgenhumor wandelte. Wir fingen an, uns zu fragen, wie es den italienischen Spielern wohl zumute sein musste, mit einem Bein schon aus dem Turnier. Die Vorstellung, dass sie morgen bereits im Flieger nach Rom sitzen könnten, brachte uns dazu, solche Sprüche zu klopfen wie:

»Last call for passengers to Rome: Please go immediately to gate number 12.«

Schmunzeln machte sich breit und die Stimmung wurde lockerer.

»Smoking or non smoking, Sir?« sagte Mike.

Die ersten Lacher kamen schon.

»Beef or Chicken, Sir?« war mein Spruch.

Danach brach großes Gelächter aus und wir verpassten fast, wie Roberto Baggio in der neunzigsten Minute das Ausgleichstor erzielte. Wir sprangen alle hoch, jubelten aber noch verhalten, weil die Spieler von Nigeria auf Abseits zeigten. Doch als der Schiedsrichter auf den Mittelpunkt zeigte, kannte unsere Freude keine Grenzen.

Als die Verlängerung des Spiels lief und wir wieder ruhig und gespannt in die Glotze starrten, gingen mir erneut die Sprüche durch den Kopf. Doch Italien war nun wieder im Rennen und nicht mehr mit einem Fuß im Flugzeug.

»Flight delayed«, sagte ich, ohne zu ahnen, dass sich dieser Spruch bis ins Endspiel wiederholen sollte.

Die Stewardess schaute mich immer noch an und wartete auf meine Antwort. Die Versuchung war nun groß, ihr Flight delayed zu antworten, doch vermutlich wäre ich danach ziemlich dumm da gestanden, oder gesessen, wie man's nimmt.

Ich nahm also Huhn, fing an zu essen und schaute aus dem Fenster auf die Wolken. Wir waren seit etwas mehr als vier Stunden in der Luft. Mir war das recht so, denn somit würde der Flug noch ungefähr acht Stunden dauern.

Eilig hatte ich es nicht, in Kolumbien anzukommen, zumal ich gar nicht wusste, was mich dort erwarten würde. Ich war noch nie da gewesen. Es war für mich daher ein völlig neues Land. Ich konnte fast kein Spanisch, nur einige Brocken, die ich mir vom Italienischen her zusammenreimte. Und was ich von Kolumbien gehört hatte, war nicht unbedingt sehr beruhigend. Guerrilla und Drogenkartelle sind halt nicht unbedingt das, was in einem Reiseprospekt die Touristen anziehen.

Weshalb ich als Ziel für meine Reise Kolumbien ausgesucht hatte, wusste ich auch nicht, ich musste einfach weg. Ich brauchte etwas Abstand von allem, musste zu mir finden, wie man so schön sagt. Vielleicht suchte ich gar nach dem Sinn des Lebens, ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall brauchte ich eine Auszeit, ein wenig Abstand von allem.

Ich hatte mir vorgenommen, gleich nach der Ankunft in Bogotá, weiter nach Santa Marta zu reisen, um von dort aus meine Reise durch das ganze Land zu starten. Doch vermutlich müsste ich die erste Nacht in Bogotá verbringen.

Also holte ich mein Southamerican Handbook aus dem Rucksack und machte mich auf die Suche nach einem Hotel in Bogotá. Doch wonach sollte ich suchen? Beim Überfliegen der verschiedenen Hotels stach mir eines ins Auge, der ziemlich deutsch klang: Platypus. Hörte sich fast an wie Plattfuß. Lustig, dachte ich. Dieses ist OK, entschied ich, einer inneren Stimme folgend.

In Bogotá angekommen, durfte ich zuerst das Übliche erledigen: Passkontrolle, Stempel hier, Stempel da, Körperkontrolle, danach Gepäck abwarten und zuletzt Zollkontrolle. Bei der Zollkontrolle wollte es der Typ ganz genau nehmen. Er durchsuchte meinen Rucksack bis ins letzte Täschchen, öffnete jeden Reißverschluss. Sogar meine Zahnbürste nahm er genau unter die Lupe. Als er mein Rasierwasser entdeckte, riss er an der Etikette und leckte dann kurz daran. Ich schaute ihn völlig erstaunt an und fragte mich, wie weit das alles noch gehen würde. Danach hatte er anscheinend genug und ließ mich gehen. Ich packte wieder alles in meinen Rucksack und verließ das Flughafengebäude.

Draußen war es erstaunlich kühl. Ungewöhnlich für südamerikanische Verhältnisse. Vermutlich lag es daran, dass Bogotá auf 2600 Meter Höhe liegt. Die Luft roch nach Feuchtigkeit, so wie es in einem alten Haus riecht. Die Uhr zeigte kurz vor sechs und die Sonne stand sehr tief, kurz vor dem Untergang.

Ein Taxifahrer kam gleich auf mich zu.

»He Mono, brauchst du ein Taxi?« fragte er mich.

Ich schmiss meinen Rucksack in den Kofferraum, setzte mich auf den Beifahrersitz und zündete mir eine Zigarette an. Die erste seit der Landung.

»Wo soll's denn hin, Mono?« fragte der Taxifahrer.

»Hotel Platypus, por favor.«

»Wohin?«

»Platypus«, wiederholte ich laut und deutlich.

Er nickte und fuhr los. Ich überlegte, wie mich der Typ genannt hatte. Mono. Was sollte das denn bedeuten? Aber eigentlich war es mir egal, Hauptsache, er fuhr mich ins Platypus.

Während der Fahrt ins Hotel wurde es langsam dunkel. Lichter gingen an, und die Stadt veränderte sich, sie zog ihr Nachtgewand an. Leute rannten gestresst, Kinder bettelten an jeder Ecke, Straßenverkäufer boten alles Erdenkliche und der Verkehr kam fast zum Stillstand.

Mein erster Eindruck von Kolumbien war also mehr von Hektik als von Ruhe und Erholung geprägt. Irgendwie hatte ich es mir anders vorgestellt. Ich dachte eher an einen Strand mit Palmen, eine Hängematte und die untergehende Sonne. Was ich aber zu sehen bekam war nur letzteres. Kein Wunder, wenn man berücksichtigt, dass Bogotá sieben Millionen Einwohner hat. Soviel wie die ganze Schweiz. Eine Riesenstadt. Ich hasse große Städte; nur nachts, wenn die Strassen menschenleer sind, liebe ich sie.

Nach einer halben Ewigkeit kam ich endlich im Hotel Platypus an.

Hotel Platypus

Hotel Platypus soll anscheinend der Treffpunkt für ausländische Einheimische und Traveller sein. Ein alter Kolonialbau in der Altstadt Bogotás. Eine Horde Rucksackreisende aus aller Welt saß im Innenhof. Man hörte sie in allen möglichen Sprachen reden, was mir den Eindruck gab, hier am richtigen Ort gelandet zu sein. Ich schleppte meinen Rucksack bis zur Rezeption, um nach einem Zimmer zu fragen.

»Tag, haben sie ein Zimmer frei?« fragte ich den Mann hinter dem Schreibtisch. Er sah aus wie der Chef hier.

»Hola Mono«, begrüßte auch er mich.

Schon wieder Mono? Was soll das denn, fragte ich mich. Hab ich irgendwo ein Schild hängen, auf dem Mono steht, oder was? Na ja, ich bekam also mein Zimmer, schmiss meinen Rucksack in eine Ecke und gönnte mir die erste kolumbianische Dusche. Danach ließ ich mich aufs Bett fallen. Ich war hundemüde, denn ich hatte seit über 40 Stunden nicht mehr geschlafen, doch ich wollte zuerst etwas essen.

Bevor ich aufstand, wollte ich noch unbedingt wissen, weshalb die mich hier Mono nennen. Ich nahm mein kleines Wörterbuch aus dem Rucksack und schaute nach. Da stand Mono:Affe, das konnte doch nicht wahr sein. Doch dann las ich, dass Mono in Kolumbien blonder Junge bedeutet. Ich war also ein blonder Junge. Ich habe zwar keine blonden Haare, doch wie ich später erfahren durfte, sind in Kolumbien alle die, die keine schwarzen Haare haben, eben Monos.

So, nun musste der Mono etwas zwischen die Zähne bekommen, sonst wäre er bald ein verhungerter Mono gewesen. Ich nahm mein Überlebens-Täschchen und zog es wie einen Gürtel um den Bauch herum. Ich nannte es mein Überlebens-Täschchen, weil ich darin alles hatte, was ich zum Überleben brauchte. Meine Kreditkarte, meinen Pass, mein Flugticket und mein Geld. Das war so ein flaches Täschchen, was unter den Kleidern nicht zu sehen war. Ich trug es immer bei mir, wenn mir ein Hotel nicht ganz sicher schien. Und da ich im Platypus erst angekommen war, wusste ich noch nicht wie sicher es hier ist.

Ich schlenderte runter zum Restaurant an der Straßenecke und bestellte mir etwas Warmes zu essen. Während ich auf das Essen wartete, kam ein kleiner Junge zu mir. Er wollte mir die Schuhe putzen. Da meine Turnschuhe aber keine Reinigung nötig hatten, musste ich ihn leider enttäuschen. Er sah mich einen Moment mit seinen großen dunklen Augen an und sagte, er hätte Hunger. Ich sagte ihm, er solle sich hinsetzen und bestellte das Gleiche für ihn.

Während wir auf das Essen warteten, unterhielten wir uns ein wenig. Dem Jungen gefielen meine Turnschuhe. Er kenne die Marke aus der Fernsehwerbung, sagte er, die gäbe es aber in Kolumbien nicht.

Ich trug ein Paar durchschnittliche Lotto Turnschuhe, schwarz mit grüner Aufschrift. Selbst wenn ich sie ihm hätte schenken wollen, konnte ich es nicht. Erstens hatte er viel zu kleine Füße und zweitens hatte ich nur dieses Paar Schuhe dabei.

Nach dem Essen bedankte sich der Junge, nahm sein Kistchen und zog weiter. Ich zündete mir eine Zigarette an und machte mich auf den Weg zum Hotel.

Dort angekommen, es war so gegen neun, wollte ich noch ein Bier trinken und mich ein wenig zu den anderen Trampern setzen. Die Müdigkeit war verschwunden. Ich nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank in der Küche und notierte es auf der Liste, die daran klebte. Danach setzte ich mich auf eine Bank im Innenhof, gleich neben einem Tisch mit zwei Jungs.

Sie grüßten mich, und so kamen wir ins Gespräch. Wir plauderten ein wenig und ich erfuhr, dass sie aus Israel waren. Der eine hieß Arthur, der andere Samuel. Da sie beide schwarze Haare hatten, stellte ich mich ihnen als Mono vor. Sie waren schon seit acht Monaten unterwegs und wollten in ein paar Tagen wieder nach Hause fliegen. Sie erzählten mir auch von einem Hotel in Santa Marta, ein gutes und günstiges. Es hieß Miramar.

Plötzlich hörten wir einen riesigen Krach, vier oder fünf Männer standen im Innenhof. Sie waren alle bewaffnet. Ich weiß gar nicht wie, doch wir lagen plötzlich alle auf dem Boden mit dem Gesicht nach unten.

Einige der Männer verteilten sich im ganzen Hotel. Einer blieb im Innenhof und passte auf uns auf. Mir wurde gleich klar, dass das ein Überfall war und ich war froh, mein Überlebens-Täschchen nicht im Zimmer zu haben.

Totenstille, alle lagen am Boden, bewegten sich kaum. Der Typ, der auf uns aufpassen sollte, stand direkt neben mir, ich konnte genau auf seine Schuhe sehen.

Dann sagte er zu mir, ich solle meine Schuhe ausziehen. Ich musste sofort an den jungen Schuhputzer vom Restaurant denken, dem meine Turnschuhe auch gefallen hatten. Er war anscheinend nicht der einzige.

Auf dem Bauch liegend, zog ich mit Hilfe meiner Zehenspitzen die Schuhe aus. Nun lagen sie da, zu meinen Füßen und ich hoffte, der Typ würde sie selber nehmen, ohne dabei meine Hilfe wieder in Anspruch zu nehmen.

Er rührte sich von meiner Seite und ging zu meinen Schuhen. Ich nutzte diese Gelegenheit, um meinen Kopf nach hinten zu drehen und zu ihm zu schauen. Er zog seine Schuhe aus und wollte in meine schlüpfen, dabei musste er sich aber mit einer Hand helfen. Ich konnte eine Tätowierung an seiner linken Hand sehen. So etwas wie eine Schlange um ein Kruzifix. Eine schlechte Tätowierung, so eine billige, verwaschene, keine schöne. Sein Gesicht konnte ich allerdings nicht sehen.

Er ging ein, zwei Schritte mit meinen Schuhen, als wäre er in einem Schuhladen und würde ein Paar neue Schuhe probieren. Danach kamen seine Kumpels wieder runter, schrien etwas Unverständliches, vermutlich eine Drohung und verschwanden.

Keiner rührte sich, alle waren noch zu verängstigt und geschockt, um etwas unternehmen zu können. Im Hotel herrschte eine Totenstille.

Etwa drei Meter vor mir lag Arthur, er hatte vor Angst in die Hosen gepisst. Man konnte richtig einen nassen Kreis an seinen Jeans erkennen und eine Lache zwischen seinen Beinen ausmachen. Der arme Kerl.

Ich raffte mich ganz langsam hoch und schaute vorsichtig in der Gegend herum, ob die Typen wirklich schon weg waren. Langsam stand einer nach dem anderen auf und die Stille verschwand immer mehr. Viele suchten gleich den Hotelbesitzer und wollten wissen, was passiert war, was sie jetzt tun sollten. Einige sagten, man müsse sofort die Polizei verständigen, was der Hotelbesitzer jedoch nicht unbedingt wollte. Dies würde seinen Ruf schädigen, sagte er, doch er konnte unmöglich alle aufhalten. Einige waren bereits auf die Straße gerannt und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis hier die Bullen auftauchen würden.

Mittlerweile waren etwa zehn Minuten vergangen. Im Hotel herrschte nun ein richtiges Chaos. Einige rannten umher, wollten sich vergewissern, dass ihnen nichts gestohlen wurde. Andere suchten ihre Bekannten, um zu sehen, ob es ihnen gut ginge.

Ich stand immer noch an der selben Stelle, an der ich aufgestanden war. Ich hatte mich nicht vom Fleck bewegt und schaute dem Geschehen zu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das Ganze wäre nicht wirklich passiert. Doch als ich bemerkte, dass ich keine Schuhe an hatte, wusste ich, es war doch wahr.

Neben mir lagen immer noch die Schuhe von dem Typen. Geistesabwesend zog ich sie an. Ich ging zur Küche, nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich auf einem Hocker, ohne das Bier auf der Liste zu notieren. Langsam realisierte ich, was da eigentlich passiert war. Ich schaute runter zu meinen Füßen, sah die braunen Turnschuhe und musste schmunzeln. Ich zündete mir eine Zigarette an, die letzte, das Päckchen war leer. Ich stand auf und ging langsam auf die Straße, um mir Zigaretten zu kaufen.

Die Schuhe waren bequem, genau meine Größe. Ich spürte noch mein Überlebens-Täschchen auf der Haut. Eigentlich hatte ich riesiges Glück gehabt. Ich meine, andere hatten sicher mehr verloren als nur ein Paar Schuhe. Ich hatte wenigstens noch mein Geld und meine Ausweise, konnte also meine Reise fortsetzen. In meinem Rucksack war eh nichts wichtiges drin. Einige T-Shirts, ein paar Jeans, Toilettenartikel und ein paar Bücher.

Ich kaufte mir ein Päckchen Belmont und zündete mir gleich eine an. Während ich rauchte, dachte ich an den Überfall. Eigentlich wollte ich nicht weiter in diesem Hotel übernachten.

Ich fragte den Zigarettenverkäufer, ob es auch Nachtbusse nach Santa Marta gäbe. Er sagte, es gäbe zwei, er wusste aber die Abfahrtszeiten nicht. Ich schaute auf die Uhr, es war kurz vor zehn. Ich ging zurück zum Hotel.

Dort waren bereits die Bullen eingetroffen und befragten alle Anwesenden. Ich schlich mich ungesehen auf mein Zimmer, legte mich aufs Bett und überlegte. Meine Sachen waren noch alle da, anscheinend hatten die Diebe bei mir nichts Interessantes gefunden. Die Polizei würde vermutlich auch bald an meiner Tür klopfen, dachte ich. Ich war hundemüde, doch ich wollte nicht in diesem Hotel schlafen.

Vielleicht konnte ich noch den Nachtbus kriegen. Ich stand auf und packte meinen Rucksack. Doch wo war mein Rasierwasser? Weg, verschwunden. Die Typen hatten also doch was zum Mitgehen lassen gefunden.

Ich nahm meinen Rucksack und ging runter. Die Eingangshalle wimmelte nur so von Bullen. Der Hotelbesitzer saß auf einem Sofa und trocknete sich mit einem Handtuch den Schweiß vom Nacken.

Soll ich einfach verschwinden, überlegte ich. Da sah ich auf einem Möbelstück mein Rasierwasser. Die Etikette halb abgerissen, unverkennbar. Zuerst war ich überrascht, dann dachte ich einen kurzen Augenblick nach, ob ich das Fläschchen nehmen sollte, doch das war zu riskant. Ich schlich mich unauffällig bis zur Tür, verschwand auf die Straße und nahm ein Taxi zum Terminal de Transportes.

Reise nach Santa Marta

Am Terminal angekommen, kaufte ich mir ein Busticket nach Santa Marta und setzte mich auf eine Bank. Bis zur Abfahrt hatte ich noch eine gute halbe Stunde Zeit. Ich konnte also gemütlich noch etwas trinken, bevor die über zwanzigstündige Busfahrt beginnen würde.

Ich zündete mir eine Belmont an und dachte nochmals über das Geschehene nach. Warum lag mein Rasierwasser auf diesem Möbelstück? War das Ganze etwa eine abgemachte Sache? Steckten die Räuber und der Hotelbesitzer unter einer Decke, oder war das nur ein Zufall? Ich war ja schließlich nach dem Überfall nicht direkt auf mein Zimmer gegangen, sondern erst nach einer guten halben Stunde. Es konnte also auch jemand nach dem Überfall gewesen sein, der die Situation ausnutzen wollte.

Ich warf meine Zigarette auf dem Boden. Dabei sah ich wieder meine Schuhe. Der kleine Schuhputzer hatte gesagt, Lotto gäbe es hier nicht. Sollte ich also jemanden mit solchen Schuhen sehen, müsste dieser eigentlich der Täter sein. Ich blickte mich um und schaute allen Leuten auf die Schuhe, doch keiner hatte meine Lotto an.

Ich nahm meinen Rucksack und setzte mich in den Bus. Die Reise würde die ganze Nacht und den ganzen Tag dauern, also machte ich's mir bequem, indem ich die Rückenlehne meines Sitzes nach hinten klappte. Kurz nach der Abfahrt schlief ich ein.

Ich wachte auf, als der Bus an einem Estadero Rast machte. Draußen schienen bereits die ersten Sonnenstrahlen und die Leute stiegen aus, um etwas zu essen. Ich hatte keinen Hunger und nutzte die Zeit, um ein wenig die Beine zu vertreten. Als ich neben einem Tisch vorbeiging, hörte ich, wie sich einige Männer über den Überfall von gestern Abend im Platypus unterhielten. Anscheinend war die Nachricht bereits in aller Munde. Ich bekam mit, dass die Räuber nicht aus Bogotá waren, sie mussten also extra für den Überfall dorthin gefahren sein.

Irgendwie hatte ich ein bindendes Glied mit diesen Räubern, oder zumindest mit einem von ihnen. Er hatte meine Schuhe, ich hatte seine. Er kannte mich nicht, ich kannte ihn nicht. So wie ich sein Gesicht nicht sehen konnte, konnte er auch meines nicht sehen, denn ich lag die ganze Zeit mit dem Gesicht nach unten. Ich wusste aber, dass er eine Tätowierung an der linken Hand hatte. Und die Schuhe, die er trug, waren in Kolumbien eher seltene Ware. Mein Blick ging wieder zu den Füßen, doch keiner der Anwesenden trug meine Schuhe.

Der Busfahrer stieg wieder in den Bus ein. Dies bedeutete für alle, dass die Fahrt weitergehen würde. Ich machte es mir auf meinem Sitz bequem und schaute während der Fahrt aus dem Fenster.

Als es schon seit etwa zwei Stunden dunkel war, kamen wir in Santa Marta an. Die Luft war um einiges feuchter als in Bogotá. Ich merkte gleich, dass wir am Meer waren. Ich nahm meinen Rucksack und setzte mich auf eine Bank. Ein kühler Wind trocknete ein wenig den Schweiß an meinem T-Shirt.

Ich war seit 24 Stunden in Kolumbien und hatte bereits einen Überfall erlebt. Nicht gerade das, was man einen guten Start nennen kann. Eigentlich sollte ich mich in den nächsten Flieger setzen und nach Hause fliegen, doch irgendwie hatte ich keine Angst. Vermutlich dachte ich, dass das Schlimmste nun vorbei war und ich nur noch die angenehme Seite Kolumbiens kennen lernen würde. Doch ich sollte mich irren.

Was ich nun brauchte war ein Hotel. Arthur hatte ein günstiges erwähnt, doch ich konnte mich nicht mehr an den Namen erinnern. Ich nahm mein Handbook zur Hilfe. Wenn ich es gelesen hätte, wäre es mir sicher wieder eingefallen, dachte ich. Miramar, das war es. Ich nahm ein Taxi und ließ mich dorthin fahren.

Fredo

Ein junges Mädchen war dabei, den Boden nass aufzuziehen. Im Hof saßen lauter junge Leute. Ein Typ mit Rastazöpfen stand vor einem Spiegel, das Gesicht voller Rasierschaum. Aus der Gemeinschaftsdusche kam ein Mädchen in ein Handtuch gehüllt und verschwand anschließend in eines der Zimmer. Viele unterhielten sich einfach nur, andere hörten Musik oder lasen. Zwei Typen spielten Schach. Aus zwei Lautsprechern tönte Salsamusik und ich roch Marihuana.

Ich fragte das junge Mädchen, ob sie noch Zimmer frei hätte. Sie zeigte auf einen der zwei Typen, die Schach spielten und sagte:

»Frag den da, er ist hier der Chef.«

Ich ging zu den beiden rüber und fragte erneut:

»Habt ihr Zimmer frei?«

»Ja«, antwortete der Chef, machte aber keine Anzeichen aufzustehen.

Während ich auf eine Reaktion seinerseits wartete, entdeckte ich eine Bar, die ich vorher übersehen hatte. Von einer Bar zu reden, war ja auch übertrieben. Es war mehr so etwas wie eine Empfangstheke einer Versicherungsfiliale.

Ich ging zur Bar und kaufte mir ein Päckchen Belmont und eine Flasche Bier. Danach setzte ich mich zu den zwei Schachspielern.

Das Bier schmeckte gut. Die zwei Typen waren in ihr Spiel vertieft. Anscheinend ging es darum, wer zuerst zehn Spiele gewinnen würde, und es stand neun zu neun. Ich beobachtete sie ein wenig.

Der Hotelbesitzer war um die fünfzig, hatte schütteres Haar und einen Bierbauch, den er hinter einem völlig verschwitzten T-Shirt versteckte.

Sein Gegenüber hingegen war ein Tramper wie ich. Er hatte kurze, schwarze Haare und musste so um die zwanzig sein. Er war braungebrannt von der Sonne, was mich vermuten ließ, dass er schon längere Zeit unterwegs sein musste.

Ich schaute gelangweilt umher, keiner hatte meine Schuhe an. Plötzlich fluchte der Tramper und stieß mit einer Handbewegung die Schachfiguren um. Der Chef hatte gewonnen.

»Das war ein knappes Spiel«, sagte der Chef zu seinem Gegenüber.

»Das war verdammt knapp«, erwiderte der Junge mit französischem Akzent.

Der Chef stand auf und ging zu einem Schreibtisch am Eingang. Da er nichts gesagt hatte, blieb ich sitzen und wartete darauf, dass er mich rufen würde. Der Junge, der das Schachspiel verloren hatte, bat mich um eine Zigarette. Ich gab sie ihm.

»Woher kommst du?« fragte er mich.

»Aus der Schweiz. Und du, bist du Franzose?«

»Ja, hört man das.«

»Ein wenig«, lächelte ich.

»Bist erst angekommen, was?«

»Gestern. Und du, bist du schon lange hier?«

»In Kolumbien seit vier Wochen, in Santa Marta bin ich erst heute morgen angekommen. Sag mal, hast du Hunger?«

»Ja, ich habe den ganzen Tag nichts gegessen.«

»Wollen wir was essen gehen?«

»Klar. Muss nur kurz mein Zimmer beziehen und den Rucksack versorgen.«

»Ich bin alleine in einem Doppelzimmer. Wenn du willst, können wir es teilen.«

»Geht klar, kein Problem.«

»Ich heiße übrigens Fredo.«

»Ich bin Mono.«

Das erste Mal Marihuana gekauft

Ich stellte den Rucksack ins Zimmer und wir gingen runter Richtung Meer. Immer wenn ich irgendwo am Meer bin, muss ich Fisch essen. Das gehört für mich dazu. Ich bestellte einen Sancocho de Pescado, eine Fischsuppe, köstlich.

Wir saßen also da, warteten auf das Essen und unterhielten uns ein wenig. Ein Mann mit einem Ordner unter dem Arm kam zu uns und versuchte uns irgend einen Trip zu verkaufen. Er stellte sich als Alfonso vor. Er fing an, von einem sechstägigen Trip nach Ciudad Perdida zu erzählen, einem dreitägigen Trip nach sonst wo und von einem Nationalpark, den man unbedingt hätte sehen müssen.

Wir hatten eigentlich keinen Bock auf irgend einen Trip durch den Urwald, aber wir ließen ihn dennoch erzählen. Er blätterte in seinem Ordner und zeigte uns Fotos von wunderschönen Stränden, abgelegenen Lagunen und sonstigen Schwärmereien. Doch irgendwann merkte auch er, dass es bei uns nichts zu holen gab. Er schloss seinen Ordner, schaute uns einige Sekunden schweigend an und sagte dann in einem zweideutigen Ton:

»Braucht ihr sonst was?«

Fredo und ich schauten uns fragend an.

»Was hast du denn so?« fragte ich vorsichtig.

»Braucht ihr etwas Marihuana, Kokain oder sonst was?« sagte er ganz direkt, direkter ging es fast nicht.

Fredo und ich schauten uns erneut an. Wir kannten uns noch nicht so gut, somit traute sich keiner, den anderen in irgend welche Drogengeschichten mit Dealern reinzuziehen.

»Brauchen wir Marihuana?« fragte ich Fredo im selben direkten Ton wie Alfonso.

»Von mir aus«, war seine Antwort.

Dies war ein eindeutiges Zeichen, dass wir in Sachen Marihuana die gleiche Meinung hatten.

»Marihuana wäre nicht schlecht«, sagte ich also zu Alfonso.

»Wie viel braucht ihr?« war seine nächste Frage.

Wie viel brauchten wir denn? Ich hatte keine Ahnung, in welchen Mengen hier gehandelt wurde. Bei mir zu Hause hätte ich gewusst, wie viel man so kauft und wie die Preise sind. Doch hier hatte ich keine Ahnung.

»Wie viel kannst du uns denn geben?« fragte ich ihn und versuchte so einerseits ihm das erste Wort zu überlassen, andererseits etwas über seine Gewohnheiten zu erfahren.

»Eine Libra?« fragte er.

Schon wieder so ein Wort. Wie viel um alles in der Welt ist eine Libra? Fredo und ich schauten uns wieder an. Er hatte auch keine Ahnung, wie viel eine Libra sei.

»Wie viel ist eine Libra?« fragte ich Alfonso.

»Eine Libra ist eine Libra«, war seine Antwort.

Logisch oder? Seine Handbewegung ließ mich aber vermuten, dass es sich um eine größere Menge handeln musste.

»Wie viel kostet denn eine Libra?«

»10.000 Pesos.«

»OK, bring uns eine halbe Libra.«

10.000 Pesos entsprachen damals etwa 8 US Dollar. Ich dachte somit einen guten Mittelweg gefunden zu haben. Alfonso versprach, in einer Viertelstunde wieder zurück zu sein und verschwand.

In der Zwischenzeit war das Essen serviert worden. Fredo und ich versuchten noch durch das Personal des Restaurants etwas über diese Libra in Erfahrung zu bringen. Doch keiner konnte uns genau sagen, wie viel denn für uns Europäer eine Libra sei.

Wir hatten schon seit einer Weile fertig gegessen und dachten, Alfonso hätte uns verschaukelt. Wir bezahlten, standen auf und gingen zur Tür. Draußen stand jedoch Alfonso mit einer Einkaufstüte in der Hand.

»Endlich. Ich dachte schon, ich müsste ewig hier warten.«

»Weshalb bist du nicht reinge kommen?« fragte ich ihn.

»Ich wollte nicht mit soviel Marihuana ins Restaurant.«

Er gab mir die Einkaufstüte. Sie war rammelvoll mit Marihuana, man konnte den Geruch meterweit riechen. Eine halbe Libra war verdammt viel, unvorstellbar. Zum Glück hatte ich keine ganze Libra bestellt. Ich wusste nicht wie ich die Tüte verstecken sollte, denn in der Hand konnte ich sie kaum spazieren tragen.

Das Hotel war nicht weit weg. Ich versteckte die Tüte unter meinem T-Shirt, drückte Alfonso 5.000 Pesos in die Hand und wir rannten ins Hotel. Da es dunkel war, fielen wir nicht groß auf.

Im Hotel angekommen, verkrochen wir uns schnell ins Zimmer, stellten die Tüte auf dem Boden und schauten uns an. Ich hatte noch nie zuvor eine solche Menge Marihuana auf einem Haufen gesehen. Für mich alleine hätte es mindestens ein Jahr lang gereicht.

Wir leerten die Tüte auf das Bett, plötzlich sah es nach noch mehr aus. Ich nahm mein Wörterbuch und suchte nach einer Libra. Ein Pfund! Wir hatten ein halbes Pfund Gras gekauft. Scheiße, was sollten wir mit so viel Gras tun? Nach einer kleinen Überlegungspause kamen wir auf die Idee, mal etwas davon zu rauchen. Schließlich hatten wir es ja auch dafür gekauft.

Ich riss ein Büschel von einem Ast ab und fing an, es zu verkleinern. Fredo hatte keine Papers und ich auch nicht. Daher mussten wir uns etwas einfallen lassen, womit wir das Gras rauchen wollten. Wir könnten eine Zigarette nehmen, sie leeren und mit Marihuana füllen, aber das war zu mühsam. Ich schaute mich ein wenig um und fand im Nachttisch eine Bibel. Die Seiten waren sehr dünn, dünner als die eines Telefonbuchs.

»Das würde doch gehen«, sagte ich zu Fredo.

»Und womit willst du's kleben, das hält doch nicht zusammen.«

»Doch, doch. Wenn wir es ordentlich feucht machen, dann können wir es rauchen bevor es trocknet. Sonst können wir immer wieder daran lecken.«

Fredo war nicht so begeistert, aber während er nach einer anderen Lösung suchte, konnte ich ja mal probieren. Ich nahm die Bibel und riss eine Seite raus. Darauf stand etwas von Petrus 5. Ich rollte etwas Marihuana darin. Mit meiner Spucke nässte ich das Papier, bis es zusammenhielt. Danach steckte ich den Joint zwischen die Lippen und zündete ihn an.

Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. In wenigen Minuten hatte ich eine göttliche Scheibe, die erste in Kolumbien. Fredo überzeugte sich schnell davon, dass meine Methode zwar rudimentär aber wirkungsvoll war und holte sich auch eine biblische Scheibe ab.

Danach versteckten wir die Einkaufstüte im Badezimmer. Die Decke war mit viereckigen Kartonplatten versehen, und eine davon ließ sich mit der Hand ein wenig heben. Wir verstauten die Tüte in den Zwischenraum zwischen Decke und Kartonplatten und stellten alles wieder wie ursprünglich hin. Im Zimmer wurde es langsam warm. Wir gingen in den Hof und setzten uns auf eine Couch.

Im Dunkeln dachten wir es wäre niemand da. Doch als sich unsere Augen langsam der Dunkelheit angepasst hatten, konnten wir das junge Mädchen erkennen, das bei meiner Ankunft den Boden sauber gemacht hatte. Sah aus, als würde sie sich von einem anstrengenden Tag erholen, denn sie saß auf einem Stuhl und hatte ihre Beine auf einem Hocker. Als sie sah, dass wir sie bemerkt hatten, grüßte sie.

»Ihr seid doch heute angekommen, nicht wahr?« fragte sie.

»Ja, sind wir«, sagte Fredo.

»Seid ihr das erste Mal in Santa Marta?«

»Ja.«

»Dann müsst ihr unbedingt in den Parque Tayrona gehen. Das ist ein Nationalpark, dort ist es wunderschön.«

Auch Alfonso hatte was von einem Nationalpark erzählt, den man unbedingt hätte sehen müssen. Ich wollte mehr darüber wissen.

»Wie kommt man dorthin?« fragte ich sie.

»Jeden Morgen fährt ein Bus bis zum Eingang des Parks. Von dort aus muss man dann gehen«, sagte sie.

Gehen? Das brauchte ich nicht unbedingt.

»Gehen? Wie lange denn?«

»Das kommt drauf an, wohin ihr wollt. Im Park gibt es zum Beispiel mehrere Strände, der nächste ist eine Stunde zu Fuß entfernt. Doch es lohnt sich, kann ich euch sagen. Ich gehe so oft ich kann. Dort gibt es ein kleines Restaurant für die Verpflegung und einige Duschen, ansonsten ist alles ziemlich ursprünglich. Kein elektrischer Strom, kein Telefon, nichts. Und schlafen kann man in Hängematten. Idyllisch.«

Das hörte sich wirklich gut an. Fredo und ich entschieden uns, einen Trip zu diesem Park zu starten.

»Wo können wir den Bus nehmen?« fragte Fredo.

»Ihr könnt euch beim Chef hier im Hotel melden, er organisiert den Rest. Der Bus klappert alle Hotels ab und fährt dann die Leute zum Park.«

»Und wie kommen wir wieder zurück?« fragte ich.

»Wenn ihr genug vom Park habt, müsst ihr wieder bis zum Eingang gehen und dort auf den Bus warten, der die Leute zum Park bringt. Der fährt euch dann auch zurück.«

Wir waren einverstanden. Am nächsten Morgen würden Fredo und ich in den Parque Tayrona fahren, oder besser gesagt gehen.

Das Mädchen verabschiedete sich, denn sie war müde und wollte schlafen gehen. Fredo und ich gingen wieder ins Zimmer und besprachen das morgige Vorgehen. Bald merkten wir aber, dass das Marihuana an Wirkung verloren hatte. Fredo holte unsere Tüte aus dem Bad und ich holte die Bibel aus dem Nachttisch. Diesmal musste der Apostel Matthias dran glauben.

Als wir wieder unsere himmlische Scheibe hatten, überlegten wir, wie wir das Gras mitnehmen sollten. Mit solch einer Tüte im Gepäck konnten wir unmöglich reisen. Bei der ersten Polizeikontrolle würden wir sofort auffliegen, schon nur wegen des Geruchs.

Wir fingen an, die Ästchen und die Samen vom Gras zu trennen, dies würde zumindest die Menge reduzieren. Danach hatten wir nur noch sauberes Gras, frei von Abfall und ready to smoke. Nun war die Frage, wohin wir das Ganze tun sollten.

Fredo hatte einige Filme für seinen Fotoapparat auf dem Bett. Ich nahm einen Film aus dem schwarzen Plastikröhrchen heraus und sagte zum Spaß, dass wir das Zeug in so einem Röhrchen stecken könnten. Dass solch eine Menge Marihuana nicht in so einem Behälter gepasst hätte, war uns beiden klar, doch das war ja eben der Joke. Fredo fing an, hastig das Gras in das Röhrchen zu stopfen. Vermutlich nur, um auch seinen Teil am Joke beizutragen. Doch das Ding schien tatsächlich nie voll zu werden. Durch das Pressen mit dem Daumen, komprimierte sich das Gras immer mehr im Röhrchen, so dass eine Art Riesentablette entstand. So was wie ein Korken.

Als wir ungefähr die Hälfte des Grases in das Röhrchen gepresst hatten, wurde es langsam voll. Das ganze fühlte sich sehr hart an, man konnte es fast nicht mehr rauskratzen. Wir füllten ein zweites Röhrchen und von unserer Lieferung war nichts mehr zu sehen.

Da standen nun zwei Kodak Filmröhrchen mit 250 Gramm Marihuana drin. So dachten wir zumindest, denn wir konnten es kaum auf eine Waage stellen. Spielte auch keine Rolle, wie viel es tatsächlich war, es war einfach viel. Nun sah es aber nicht mehr nach so viel aus, vor allem sah es nicht mehr so gefährlich aus. Der Geruch war auch nicht mehr so stark, oder hatten wir uns bereits daran gewöhnt?

Beruhigt, das Problem endlich gelöst zu haben, legten wir uns schlafen. Die lange Busfahrt von Bogotá nach Santa Marta und die beiden Joints hatten mich richtig geschlaucht und ich schlief sofort ein.

Irgendwann, mitten in der Nacht, musste ich kurz aufs Klo. Ich stand auf und tastete mich im Dunkeln zum Bad. Dort zündete ich das Licht an und verrichtete mein Geschäft. Mein Blick ging zur Decke. Fredo hatte die Kartonplatte nicht wieder in Ordnung gebracht. Ich wollte ihm einen kleinen Streich spielen und versteckte die zwei Filmröhrchen in unserem Versteck. Morgen würde ich dann als erstes das Gras vermissen, dachte ich, um zu beobachten, wie er reagieren würde. Danach legte ich mich wieder schlafen.

Trip zum Parque Tayrona

Die Sonne schien bereits durchs Fenster, als ich plötzlich einen Riesenkrach hörte. Viele Stimmen, die laut durcheinander brüllten. Man konnte nicht verstehen, worum es ging. Für mich hörte sich das Ganze wie beim Überfall im Platypus an.

»Nicht schon wieder«, schrie ich.

»Schon wieder was?« fragte Fredo, der mittlerweile auch vom Krach wach geworden war.

Da klopfte es bereits an der Tür.

»Polizei. Sofort aufmachen.«

Fredo und ich schauten uns fragend an, doch wir hatten kaum Zeit zum überlegen.

»Aufmachen, sofort!« tönte es erneut.

Ich öffnete die Tür und zwei Bullen stürmten ins Zimmer. Das ganze Hotel wimmelte nur noch von Bullen. Eine Razzia! Wir mussten uns an die Wand stellen und wurden durchsucht. Anschließend wurde das ganze Zimmer, samt unserem Gepäck, durchsucht. Einer der Bullen nahm Fredos Filmröhrchen vom Nachttisch, öffnete sie und sah rein. Fredo wurde schon ganz bleich, doch ich konnte ihm unmöglich sagen, wo die echten Röhrchen waren.

Das ganze dauerte etwa eine halbe Stunde, danach zogen die Bullen wieder ab. Etwas hatten sie allerdings doch gefunden, denn der Typ mit den Rastazöpfen und ein anderer wurden abgeführt.

»Wo ist das Gras?« fragte mich Fredo, als die Luft wieder rein war.

»Im Bad, unterm Dach, wo sonst?«

Er kam auf mich zu und umarmte mich kräftig. Ich begriff zwar nicht, was das sollte, aber ich ließ ihn machen.

Damals dachte ich, dass wir ungeheures Glück gehabt haben. Doch heute bin ich anderer Meinung. An jenem Tag konnten wir einfach nicht verhaftet werden, weil es so sein musste. Wir hatten nämlich noch etwas viel wichtigeres zu erledigen.

Als wir uns wieder beruhigt hatten, erinnerten wir uns, dass wir zum Parque Tayrona wollten. Wir gingen zum Chef und fragten erstmal, was die Razzia sollte.

»Das ist nichts Neues«, sagte er. »Die kommen ab und zu, weil sie wissen, dass hier fast nur Ausländer sind. Sie schnappen sich die Typen mit Drogen, drohen ihnen mit einigen Jahren Knast und verlangen dann Geld für die Freilassung. Da die Ausländer sich sowieso in die Hosen machen, sobald sie das Wort Knast hören, haben die Bullen leichtes Spiel. Ihr seid allerdings auch selber Schuld, wenn ihr euch mit Drogen erwischen lasst. Immer, wenn ich hier jemand mit Drogen erwische, schmeiße ich ihn gleich raus.«

»Wir wollen zum Parque Tayrona. Können sie uns helfen?« sagte ich und wechselte gleich das Thema.

»Kein Problem. Die Busfahrt kostet 2500 Pesos hin und zurück, die Tickets könnt ihr bei mir kaufen.«

Fredo gab ihm 5000 Pesos und wir erhielten die Tickets. Der Mann sagte, der Bus würde um Neun Uhr fahren. Wir hatten also noch Zeit zum frühstücken und Sachen besorgen. So wie es uns das Mädchen geschildert hatte, brauchten wir Bargeld, Batterien, Zigaretten, Kerzen. Vor allem aber brauchten wir Papers, sonst hätten wir alle Apostel durchrauchen müssen.

Punkt neun Uhr waren wir wieder im Hotel, doch ich musste hier schnell lernen, dass es die Kolumbianer - was die Pünktlichkeit angeht - nicht so genau nehmen. Der Bus kam erst um halb elf. Er war so, wie man ihn von den Postkarten her kennt. Keine Fenster und keine Türen, nur etwa zehn Reihen Holzbänke. Er war noch halb leer, als er uns abholte. Danach klapperten wir noch einige Hotels ab und so gegen elf waren wir dann komplett.

Die Fahrt zum Parque Tayrona würde etwa eine Stunde dauern. Doch wir hatten nicht einmal Santa Marta verlassen, als unter der Motorhaube ein weißer Qualm hervor stieg. Der Fahrer fuhr rechts ran, schaute in den Motorraum und fluchte laut. So wie's aussah, würde die Fahrt mehr als eine Stunde dauern, dachte ich.

Der Fahrer sagte uns, dass wir unmöglich mit diesem Bus weiterfahren könnten, er müsse einen Ersatzbus besorgen. Wir stiegen alle aus und suchten uns einen Platz im Schatten. Die Sonne stand schon ziemlich hoch und es waren sicher über dreißig Grad. Der Fahrer verschwand in ein Restaurant und versuchte telefonisch einen Ersatzbus zu organisieren. Fredo und ich setzten uns auch ins Restaurant, bestellten zwei kühle Bier und schauten dem Geschehen zu. Ich schaute allen auf die Füße, doch keiner trug meine schwarzen Turnschuhe.

Einige der Fahrgäste waren schlecht gelaunt. Die Hitze und der Zwischenfall mit dem Bus kosteten Nerven. Als nach einer guten Stunde ein Ersatzbus kam, waren einige von ihnen nicht mehr da, sie hatten anscheinend keine Geduld gehabt.

Dies war dem Fahrer mehr als recht, denn der Ersatzbus verdiente nicht einmal den Namen Bus. War mehr so etwas wie ein größeres Auto. Genauer gesagt sah es vorne aus wie ein Auto und hinten wie ein Wagen aus dem wilden Westen.

Vorne neben dem Fahrer zwängten sich drei Leute rein. Hinten fanden alle Rucksäcke und die restlichen Passagiere Platz. Bis auf drei, die hatten keinen Platz mehr, unter diesen waren Fredo und ich. Der Fahrer meinte, wir sollten uns auf die hintere Stoßstange stellen und uns mit beiden Händen am Autodach festhalten. In unserem Größenwahn dachten wir, dies wäre kein Problem.

Da das Auto nicht allzu schnell fahren konnte, dauerte die Fahrt unendlich lange. Unsere Köpfe schauten über das Autodach hinaus, so dass der Fahrtwind uns direkt ins Gesicht blies. Wir hatten mit tränenden Augen und allerlei Insekten zu kämpfen.

Von Zeit zu Zeit ging ich in die Hocke, um mich ein wenig zu erholen. Doch in dieser Position konnte ich auch nicht lange verweilen, weil die Beine weh taten. Durch das Auf und Ab entstand ein Kampf zwischen Fliegen im Gesicht und Krämpfen in den Beinen.

Ich erinnerte mich dabei an einen Witz, der sagte, man würde den freundlichen Motorradfahrer an den Fliegen zwischen den Zähnen erkennen. Ich kam mir ungefähr so vor.