City Crime - Der Lord von London: Band 6 - Andreas Schlüter - E-Book

City Crime - Der Lord von London: Band 6 E-Book

Andreas Schlüter

0,0

Beschreibung

Finn und Joanna können es kaum erwarten. Gemeinsam mit ihrer Mutter fahren sie nach London. Und das Aufregendste: Sie sind zu einem Kinderfest im Buckingham-Palast eingeladen. Doch es wird noch spannender. James, ein Verwandter der Königsfamilie, braucht ihre Hilfe. Im Jahr 1963 wurde der Postzug der britischen Royal Mail ausgeraubt. Der Großteil des Geldes ist bis heute nicht wiederaufgetaucht. Doch Peter, der Enkel einer der Ganoven, ist auf dem Kinderfest. James vermutet, dass er weiß, wo das Geld versteckt ist. Finn und Joanna heften sich an Peters Fersen. Doch dann ist er auf einmal spurlos verschwunden. Wurde er etwa entführt? Eine spannende Suche beginnt. Ein neuer Band von City Crime im Land von Sherlock Holmes, James Bond und Harry Potter London mal anders: Sprache, Kultur und Sehenswürdigkeiten

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 207

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Besuch bei der Queen! Finn und Joanna sind mit ihrer Mutter in London und im Buckingham-Palast auf ein Kinderfest eingeladen. Dort wird es aufregend: James, ein Verwandter der Königsfamilie, braucht ihre Hilfe. Er will die verschwundene Beute aus einem legendären Postraub wiederfinden. Peter, der Enkel von einem der Ganoven, ist auch auf dem Kinderfest. Weiß er tatsächlich, wo die Beute versteckt ist? Finn und Joanna heften sich an seine Fersen. Doch auf einmal ist Peter spurlos verschwunden …

Der Autor

Andreas Schlüter wurde 1958 in Hamburg geboren. Bevor er mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern begann, leitete er mehrere Jahre Kinder- und Jugendgruppen und arbeitete als Journalist und Redakteur. Mit dem ersten Band der Erfolgsserie »Level 4« gelang ihm 1994 der Durchbruch als Schriftsteller. Neben Kinder- und Jugendbüchern schreibt er auch Drehbücher, u. a. für den Tatort und krimi.de. Andreas Schlüter arbeitet in Hamburg und auf Mallorca. Mehr auf www.schlueter-buecher.de

Der Illustrator

Markus Spang, 1972 in Karlsruhe geboren, beschäftigte sich eine Zeit lang mit Philosophie und Kunstgeschichte und studierte dann Illustration in Krefeld und Münster. Heute lebt er wieder in Karlsruhe, malt Bilder, zeichnet Schriften und ersinnt eigene Geschichten.

Inhalt

Stadtplan

Zum Geburtstag der Queen

Ein neuer Fall

Überraschende Entdeckung

Suche auf Leben und Tod!

Wie findet man 2,6 Millionen Pfund?

Verfolgung in der Nacht

Die geheime Stadt

Ein wertvoller Fund

Überwachung

Schatzkarte

Flucht

Finale

Kleiner Englisch-Wortschatz

Impressum

Finn war aufgeregt. Sie waren soeben in London gelandet. Allein diese Tatsache bewirkte bei ihm ein Kribbeln im Bauch. Dabei hatte er eigentlich überhaupt keine genaue Vorstellung von dieser Stadt. Außer, dass sie weltberühmt war und unzählige Detektivgeschichten im alten London spielten. Von denen er aber die meisten gar nicht so richtig kannte. Okay, vom Superdetektiv Sherlock Holmes, der fast so berühmt war wie die Stadt selbst, hatte er schon mal gehört. Aber den gab es ja nicht wirklich, sondern nur als Romanfigur. So wie man James Bond nur als Kinofigur kannte, der immer im Auftrag der Königin von England unterwegs war, um die Welt zu retten. Viele fanden ja allein deshalb London eine Reise wert, weil in dieser Stadt noch eine echte Königin wohnte. Allerdings machte Finn sich gar nichts aus Königshäusern. Zumindest nicht aus denen der Gegenwart. Wenn schon Könige, dann bitte schön die aus dem Mittelalter, mit echten Rittern und so. Aber auch da hatte London einiges zu bieten, wie zum Beispiel den legendären König Richard Löwenherz.

Finns ältere Schwester Joanna hingegen geriet immer völlig aus dem Häuschen, wenn es um Königshäuser ging.

»Mann!«, schnauzte sie Finn jetzt an. »Wir sind auf dem Weg in ein echtes Königsschloss! Und es ist kein Museum, sondern wird noch von einer Königsfamilie genutzt. Das ist doch irre!«

Es stimmte. Sie würden tatsächlich nur schnell ihr Gepäck im Hotel abstellen und dann gleich weiterfahren zum Buckingham-Palast, dem offiziellen Wohnsitz der amtierenden britischen Königin: Elisabeth II. Ab und zu veranstaltete die Königin ein riesiges Gartenfest, meist anlässlich ihres Geburtstages, zu dem sie viele Tausend Gäste, vor allem Kinder, einlud. Doch da sie im April Geburtstag hatte und in London dann nicht immer das beste Wetter herrschte, verlegte die Königin ihre Feste gerne auf die Sommermonate. So auch dieses Kinderfest, das an diesem Juni-Sonntag stattfand. Irgendwie war Finns Mutter an eine Einladung gekommen. Und da sie als Handelsvertreterin in der nachfolgenden Woche sowieso geschäftlich in London zu tun hatte, hatte sie Finn und Joanna kurzerhand mitgenommen. Und nun machten sie sich schon auf den Weg zum Königspalast. Finns Vater war zu Hause in Deutschland geblieben. Er war Kunstmaler und hatte in zwei Wochen eine Ausstellungseröffnung, zu der es noch eine Menge zu tun gab. So waren Joanna und Finn erstmals mit ihrer Mutter allein auf Reisen. Was beide mit einer gewissen Skepsis aufgenommen hatten. Nicht, dass sie ihre Mutter nicht ebenso liebten wie ihren Vater! Ihr Vater allerdings war selbst in vielen Dingen ein bisschen verrückt, ließ manches durchgehen, das ihre Mutter unmöglich fand. Kurz: Mit ihrem Vater hätten die beiden Kinder bestimmt mehr Freiheiten gehabt als mit ihrer Mutter.

»Wir werden dann eben auch von einer Königin regiert, genau wie England!«, hatte Finn schon zu Hause beim Packen der Koffer behauptet.

Doch seine Mutter hatte sofort richtiggestellt: »Die Königin ist zwar das Staatsoberhaupt von England, aber es gibt dort eine gewählte Regierung wie bei uns! Das ist ein bisschen so wie unser Bundespräsident als Staatsoberhaupt und unsere Bundesregierung!«

Finn hatte sich erinnert, dass er das bei ihrem Abenteuer im Bundestag, als sie in Berlin gewesen waren, mitbekommen hatte, aber so genau hatte er auch das nicht mehr gewusst.

Mittlerweile waren sie in ihrem Londoner Hotel angekommen, legten ihre Sachen ab und ihre Mutter bestellte an der Rezeption ein Taxi.

Als sie vor dem Hotel nach dem Wagen Ausschau hielten, musste Finn sich erst daran gewöhnen, in die andere Richtung zu gucken. In England herrschte Linksverkehr, und das hieß, für Finn fuhren hier in London alle Autos auf der falschen Seite.

»Passt bloß auf, wenn ihr eine Straße überquert!«, warnte ihre Mutter. »Erst nach rechts schauen, dann nach links. Also andersherum, als ihr es gelernt habt!«

»Schon klar!«, antwortete Finn und schaute zuerst – nach links!

»Andersrum!« Joanna stieß ihren Bruder an.

Es war doch schwerer, gegen seine Gewohnheiten zu handeln, als er gedacht hatte, musste Finn zugeben.

Weil das aber nicht nur Finn so ging, sondern offenbar den meisten Besuchern, die nicht aus England stammten, hatte man an den meisten Fußgängerübergängen in London große Hinweise auf die Straße geschrieben: »Look left« oder eben »look right«, je nachdem, von welcher Seite man kam.

Das Taxi kam und sah genau so aus, wie Finn gehofft hatte. Ein bulliger, schwarzer Austin FX 4, bei dem die hinteren Türen ebenfalls zur anderen Seite zu öffnen waren, als man es gemeinhin gewohnt war, nämlich nach hinten.

Finn sprang in den Wagen und war begeistert. Ihn erwartete eine dick gepolsterte Rückbank und zum Fahrer hin gab es eine Trennscheibe mit Schiebefenster.

»Man könnte meinen, in diesem Taxi ist schon Edgar Wallace gefahren«, sagte seine Mutter lachend.

»Wer?«, fragte Finn.

»Edgar Wallace!«, antwortete seine Mutter. »Ein berühmter englischer Krimiautor. In der Nähe von London geboren.«

»Hat der auch Kinderbücher geschrieben?«, fragte Finn.

»Soweit ich weiß, nicht«, antwortete seine Mutter.

»Dann interessiert mich der nicht!«, sagte Finn.

»Allerdings hat er im Alter von zwölf Jahren die Schule verlassen, schloss sich einer Jugendbande an und wurde zum Dieb«, ergänzte seine Mutter.

»Echt jetzt?«, fragte Joanna, die als Letzte einstieg. Die beiden Kinder saßen an den Fenstern, die Mutter in der Mitte. »Cool!«

»Cool?«, wiederholte ihre Mutter entsetzt. »Mit einer Jugendbande auf Diebestour zu gehen? Was ist denn daran cool? Kommt bloß nicht auf dumme Gedanken!«

»Du hast doch angefangen, von ihm zu reden«, entgegnete Joanna. »Wäre er auf der Schule geblieben und Handelsvertreter geworden wie du, würde ihn heute kein Mensch kennen. Stimmt’s oder hab ich recht?«

»Öh …« Mehr fiel ihrer Mutter als Antwort nicht mehr ein.

»Ich will auch mal berühmt werden!«, bekannte Finn.

»Aber dazu muss man nicht erst ein Dieb sein«, stellte seine Mutter klar. »Glaub mir das!« Es war ihr deutlich anzumerken, wie sehr sie es bereute, diesen Schriftsteller überhaupt erwähnt zu haben.

Joanna und Finn grinsten sich über den Schoß ihrer Mutter hinweg an. Finn schaute aus dem Fenster und bestaunte die roten Doppeldeckerbusse, an denen man auf jedem Postkartenfoto sofort die Stadt London erkennen konnte. Mittlerweile fuhren sie durch den Stadtteil Paddington.

»Paddington?«, fragte Joanna. »Hat das was mit diesem Bären zu tun?«

Ihre Mutter lächelte.

»Allerdings. Beziehungsweise umgekehrt. Den Bären aus den beliebten Kinderbüchern hat der Autor nach der Bahnstation benannt, weil er dort in der Nähe gewohnt hat. Heute kann man den Bären dort als riesige Bronzestatue bewundern.« Dann fiel ihr natürlich doch wieder eine berühmte Krimiautorin ein: »Agatha Christie. Ihr neunundvierzigster Roman heißt: 16 Uhr 50 ab Paddington.«

Na gut, als Handelsvertreterin für Verlage und Literaturagentin war es nicht ungewöhnlich, dass sie ständig an Bücher dachte.

»Gab es in London nur Krimi-Schriftsteller?«, fragte Finn.

»Nein. Aber mit Figuren wie Hercule Poirot, Miss Marple und Sherlock Holmes haben englische, sprich: Londoner Autoren die wohl berühmtesten Detektive der Welt erschaffen.«

»Und mit Jack the Ripper!«, rief Finn.

Seine Mutter verzog das Gesicht.

»Der war weder ein Detektiv noch eine Romanfigur. Den gab es leider wirklich. Ein schrecklicher Mörder, der im Londoner East End mindestens fünf Frauen umgebracht und den man leider nie gefasst hat.«

»Uuuh!«, machte Joanna. »Da müssen wir doch hoffentlich nicht hin?«

»Nein!«, beruhigte ihre Mutter sie. »Außerdem ist Jack the Ripper längst tot. Die Morde fanden jedenfalls im Jahr 1888 statt.«

»Vielleicht kommt er ja als Zombie zurück und mordet weiter!« Finns Augen begannen zu glänzen, während sich die Mundwinkel seiner Mutter nach unten zogen.

»Finn!«, mahnte sie.

Finn verstummte, dachte aber darüber nach, dass er sich – sollte es in dieser Stadt wirklich so oft regnen, wie man es ihr nachsagte – vielleicht einmal in einer ruhigen Minute in eine Ecke verziehen könnte, um eine kleine Geschichte aufzuschreiben: »Jack-the-Ripper-Zombie und die zerstückelten Frauen!« Seine Freunde in der Schule würden die Geschichte bestimmt cool finden. Andererseits: eine ruhige Minute, während er mit seiner Schwester auf Reisen war? Das kam nie vor!

Gerade führte ihr Weg sie am Hyde Park vorbei. Für Joanna ein willkommener Anlass, das gruselige Thema Morde und Kriminalität zu beenden.

»Hyde Park?«, fragte Joanna. »Finden da nicht immer große Konzerte statt?«

»Allerdings!«, bestätigte ihre Mutter.

Joanna winkte sofort ab. »Ich meine jetzt aber nicht irgendwelche Opa-Gruppen wie Rolling Stones oder Beatles, die Papa immer noch hört.«

Ihre Mutter lachte. »Nö, im Hyde Park treten auch jüngere Musiker auf. Obwohl, jetzt wo du es sagst – es ist wirklich eher ein Sammelbecken für Rentner-Musiker.«

»Dann bloß schnell weiter«, sagte Joanna.

Schließlich fuhren sie über die Constitution Hill, eine oasenähnliche grüne Parkallee, direkt auf den Buckingham-Palast zu.

Finn zeigte auf die goldene Siegesstatue in der Mitte des Kreisverkehrs.

»Die hab ich auch in Berlin gesehen!«

»Nicht schlecht, Finn!«, pflichtete ihm seine Mutter bei. »Zumindest stellen beide Statuen die Siegesgöttin Viktoria dar!«

Finn war zufrieden mit sich, doch Joanna verpasste ihm gleich einen Dämpfer.

»Das sind doch völlig unterschiedliche Darstellungen, du Hirni!«

»Pah!«, machte Finn. »Und wennschon.«

»Die viel wichtigere Frage ist, wie es jetzt weitergeht«, sagte Joanna. »Hier ist ja alles abgesperrt.«

»Es gibt eine Einlasskontrolle«, erläuterte ihre Mutter. »Geht aber bestimmt schnell. Wir steigen dann hier aus.«

»Schnell?«, fragte Finn. »Sieh nur, die Schlange dort!«

»Es sind ja auch tausend Kinder eingeladen. Oder? Stimmt doch, Mama?«, meldete Joanna sich zu Wort.

Ihre Mutter nickte.

»Geht bestimmt trotzdem schnell. Es sind alles geladene Gäste. Da werden die Einladungen kurz geprüft.«

Finn verzog das Gesicht, eilte aber voraus, um sich hinten an der Schlange anzustellen. Denn er hatte schon gesehen, dass von der anderen Seite weitere Kinderscharen heranströmten, die ebenfalls das Fest besuchen wollten.

Es war ein schöner, sonniger Junitag. Finn trug eine leichte, helle Sommerhose, dazu ein flauschiges T-Shirt und war barfuß in seinen Sportsandalen. Im Hotel hatte er sich pudelwohl gefühlt in den Klamotten, die er sich für dieses Fest ausgesucht hatte. Jetzt kam er sich auf einmal irgendwie deplatziert vor. Denn soweit er es überblickte, schienen alle Jungs, die das Fest besuchten, die gleichen dunkelblauen oder grauen Hosen zu tragen, dazu weiße Hemden mit Krawatte, und die Mädchen waren in den entsprechenden Röcken und Blusen gekleidet. Manche, Jungs wie Mädchen, trugen darüber noch graue oder dunkelblaue Sakkos mit irgendwelchen Aufnähern.

»Wieso haben die alle das Gleiche an?«, fragte Finn.

»Haben sie nicht«, antwortete Joanna und zeigte auf die verschiedenen Kindergruppen, die zwar unter sich einheitlich, im Vergleich zu anderen Gruppen aber unterschiedlich gekleidet waren. Allerdings, musste sie zugeben, konnte man die Unterschiede nur bei sehr genauem Hinsehen erkennen.

»Das sind Schuluniformen«, erläuterte Joanna, die sich wie immer besser auf die Reise vorbereitet hatte als Finn.

»Uniformen?«, wiederholte Finn ungläubig. »Wie Soldaten?«

»Nö«, widersprach Joanna. »Eher wie Kellner oder das Personal von Fluggesellschaften. Hast du doch gesehen am Flughafen.«

»Aber Uniformen für Kinder?« Davon hatte Finn noch nie gehört.

»Schuluniformen haben in England eine lange Tradition. Ist dir das in den Harry-Potter-Filmen nicht aufgefallen? Da tragen die auch alle welche«, erklärte Joanna.

»Das war eine ausgedachte Zauberschule!«, wandte Finn ein. Nie hätte er sich träumen lassen, dass die Kinder in Großbritannien in Wirklichkeit in der Schule Uniformen tragen mussten.

»Na ja, man glaubt, dass damit die sozialen Unterschiede zwischen den Kindern nicht so deutlich werden. Wenn der eine Markenklamotten trägt, andere aber nicht …«

»Ha, ha!«, lachte Finn. »Und dann haben die auch alle das gleiche Smartphone, die gleichen Kopfhörer, die gleichen Armbanduhren, den gleichen Haarschnitt, die gleichen Kugelschreiber, oder wie? So ein Quatsch!«

»Und es soll das Gemeinschaftsgefühl an der Schule fördern«, ergänzte seine Mutter. »Wie Trikots in einem Verein.«

»Pah!«, widersprach Finn. »Vereinstrikots dienen nur zur Unterscheidung im Wettkampf. Im Training kann jeder tragen, was er will. Außerdem tritt man in einen Verein ja wohl freiwillig ein. Fragt mich mal, ob ich freiwillig zur Schule gehe.«

»Und? Gehst du freiwillig?«, fragte seine Mutter.

Finn winkte ab. »Ach, frag nicht!«

Joanna zeigte auf einige Familien, die in der Schlange standen.

»Siehst du, es sind auch viele Kinder mit ihren Eltern hier. Die tragen Freizeitkleidung. Also reg dich nicht auf.«

»Freizeit?«, ereiferte sich Finn dennoch und zeigte auf eine Familie, die nur ein paar Schritte vor ihnen wartete. Der Junge trug ebenfalls ein Hemd mit Krawatte und das Mädchen ein Rüschenröckchen. »Und die da?«

Joanna zuckte mit den Schultern.

»Das ist halt England«, behauptete sie. »Immer sehr traditionsbewusst.«

»So, so«, entgegnete Finn schmunzelnd. »Dann hättest du vielleicht auch ein rosa Rüschenröckchen anziehen sollen!«

Joanna zeigte ihm einen Vogel. »Bei dir piept’s wohl.«

Sie trug wie meist auf Reisen im Sommer ein ärmelloses Shirt, dazu eine bequeme Hose und Sandalen. Also ganz ähnlich wie Finn.

Ihre Mutter behielt recht. Die Einlasskontrolle ging schneller, als Finn befürchtet hatte, und schon bald betraten sie den prächtigen und riesigen Garten des Buckingham-Palastes, der festlich für das Kinderfest hergerichtet war. Ähnlich wie im Disneyland wackelten überdimensional große Comicfiguren über den Platz, mit denen man sich fotografieren lassen konnte. Aber das war nur der Empfang. Das eigentliche Fest fand im Garten hinter dem Palast statt, der genau genommen nur aus einer einzigen Rasenfläche bestand, die von Bäumen umsäumt wurde. Dort hatte man Karussells, Hüpfburgen, Musik und jede Menge Buden mit Süßigkeiten aufgebaut. Doch wie oft auf Jahrmärkten wurde Finn schnell langweilig. Weder wollte er mit einer Horde Kleinkinder auf Hüpfburgen herumspringen noch sich an einem der Kinderschmink-Stände das Gesicht bunt anmalen lassen. Und die Karussells boten ihm auch nicht den richtigen Thrill. Okay, es gab ein altes, traditionelles Kettenkarussell. Zwei Runden darauf hatten Spaß gemacht, aber dann war’s auch genug gewesen. Gerade sah Finn sich nach seiner Schwester um, um sie zu fragen, ob sie noch etwas Interessantes entdeckt hatte, da sah er sie mit einem fein angezogenen englischen Jungen zusammenstehen. Er trug ebenfalls so etwas wie eine Schuluniform; vielleicht war es auch nur ein Freizeitanzug, aber dass es sich um einen besonderen, sehr teuren Stoff handelte, konnte man schon von Weitem sehen. Finn hatte eigentlich keine Ahnung von solchen Dingen, und er wusste auch nicht, weshalb ihm der Stoff so teuer und edel vorkam, aber so war es eben.

Joanna winkte ihm zu und Finn stöhnte auf.

›Das darf doch wirklich nicht wahr sein!‹, dachte er bei sich. Er kannte das ja schon von seiner Schwester: Egal wohin sie bisher gemeinsam gereist waren, immer hatte seine Schwester gleich Bekanntschaft mit irgendwelchen älteren Jungs gemacht, die sich in sie verguckt hatten oder sie sich in die. Finn nervte das jedes Mal gewaltig. Und nun schon wieder? Nachdem sie gerade mal eine knappe Stunde hier waren, und das auch noch in Begleitung ihrer Mutter?

Wo steckte die eigentlich? Finn schaute sich um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Also ging er widerwillig auf seine Schwester zu. Nicht, dass er die auch noch aus den Augen verlor.

Finn war noch gar nicht bei ihnen angekommen, da rief Joanna ihm schon zu: »Hey Finn, das hier ist James!«

Finn verzog leicht angesäuert die Mundwinkel, antwortete aber trotzdem mit gezwungener Höflichkeit: »Hi James.« Und ergänzte mit Blick auf seine Schwester: »Ich nehme an, du hast ihm bereits erzählt, dass ich dein kleiner Bruder bin?«

Genau das tat Joanna nämlich immer, was Finn zusätzlich ärgerte. Nie vergaß Joanna zu betonen, dass er ihr kleiner Bruder war.

Doch dieses Mal schüttelte Joanna erstaunlicherweise den Kopf.

»Brauchte ich gar nicht. Er kennt uns schon!«

Finn zog die Augenbrauen hoch. »Wie jetzt?«

Einen Moment überlegte er, woher dieser fremde englische Junge sie kennen sollte. Weder er noch Joanna kannten, genauso wenig wie seine Eltern, jemanden in London. Mal von den Geschäftspartnern ihrer Mutter abgesehen. Sollte dieser James etwa … Weiter kam Finn in seinen Gedanken nicht.

»Stell dir vor: Er ist der Neffe eines echten Prinzenpaares! Und er hat uns gesucht!«, sprudelte Joanna los.

Finn verstand immer weniger.

James, den Finn auf etwas älter als seine Schwester schätzte, also so um die vierzehn, ging freundlich lächelnd einen Schritt auf Finn zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »You’re Finn? I’m glad to meet you. I have heard a lot about you.«

Im Gegensatz zu seiner Schwester verstand Finn kein Wort. Joanna war sehr sprachbegabt, und ganz gleich in welches Land sie reisten, nach wenigen Tagen beherrschte sie viele Vokabeln und verstand einiges in der Landessprache. Englisch hatte sie schon in der Schule gelernt und sprach es ausgezeichnet. So gut, dass sie mit ihren dreizehn Jahren bereits englische Bücher lesen konnte.

Weil sie wusste, dass es Finn nicht so ging, übersetzte sie sofort: »James hat schon viel von uns gehört. Ist das nicht reizend?«

»Ach ja?«, fragte Finn mit großer Skepsis. Er wusste, dass über die Kriminalfälle, die er und seine Schwester gelöst hatten, in den Lokalblättern der jeweiligen Städte berichtet worden war. Wenn dieser James also wirklich jemals irgendetwas über ihn und Joanna gehört haben sollte, dann konnten damit nur ihre Abenteuer gemeint sein – auf die Finn eigentlich sehr gern verzichtet hätte. Nur, wie war dieser James an die Lokalblätter aus Prag, Florenz oder Paris herangekommen? Vermutlich über das Internet.

Schon kam es, wie Finn befürchtet hatte.

»Er sagt, er braucht unsere Hilfe«, ließ Joanna endlich die Katze aus dem Sack.

»Oh no!«, antwortete Finn und seufzte.

Joanna nickte begeistert: »Oh yes!«

»Und wobei?«, fragte Finn.

Joanna sah ihren Bruder befremdet an.

»Weiß ich doch nicht. Ich kenne ihn doch auch erst seit fünf Minuten!«

»Ja, ne«, sagte Finn. »Schon klar!«

James forderte die beiden mit einer einladenden Geste auf, ihm zu folgen. Joanna ging ihm natürlich sofort nach.

Finn jedoch blieb stehen: »Wo ist Mama?«

»Keine Ahnung!«, lautete Joannas Antwort. Doch dann entdeckte sie sie. »Dort hinten. An dem Stand mit den Lachsschnittchen. Siehst du?«

Ihre Mutter holte sich aber keines der Brote, sondern unterhielt sich angeregt mit jemandem.

»Wer ist das?«, fragte Finn.

James antwortete und Joanna übersetzte: »Das ist der Leiter eines großen englischen Kinderbuchverlags. Die Kinderbuchverlage sind auch zum Kinderfest eingeladen.«

»Okay«, sagte Finn. Damit war für ihn klar, dass seine Mutter eine Zeit lang beschäftigt sein würde. Um sich später wiederzufinden, konnten sie sich mit dem Handy melden. Es sprach also nichts dagegen, ein paar Schritte mit James über das riesige Kinderfest zu schlendern.

James aber führte die beiden an der Menschenmenge vorbei, den Sandweg entlang, über den die Besucher des Buckingham-Palastes für gewöhnlich nach den offiziellen Führungen das Gelände wieder verließen, bis hin zu einer Baumreihe. Dort stieg er über eine niedrige Absperrung und ging auf einen kleinen See zu, der noch zum Garten gehörte. Hier, durch eine dichte Hecke von dem großen Trubel abgeschirmt, bot er Finn und Joanna einen Platz am Ufer an, wo sie sich einfach auf den Boden setzten.

James erklärte, dass er von den Abenteuern der beiden gehört und sich daraufhin alle Informationen, die er im Netz über sie hatte finden können, zusammengesucht hätte. Allerdings war das nicht gerade viel gewesen.

»Er weiß, dass du beim letzten Sportfest krank warst, Finn«, übersetzte Joanna.

»Gut«, sagte Finn. »Dann kennt er ja nur die offizielle Version.«

Joanna kicherte. »Ich weiß, in Wahrheit hast du geschwänzt, weil du nicht wieder Letzter im Sprint werden wolltest.«

»Wehe, du petzt ihm das!«, warnte Finn.

Das tat Joanna nicht. Aber vermutlich hätte das James in seinem Urteil nicht einmal beirrt. Er war überzeugt, in den beiden genau die Richtigen gefunden zu haben.

Finn verstand allerdings noch immer nicht, was genau James überhaupt wollte.

»Er will uns zunächst eine kleine Geschichte erzählen«, übersetzte Joanna.

Finn stöhnte auf. »Na gut«, sagte er gönnerhaft.

»Schon mal von den Posträubern gehört?«, übersetzte Joanna James’ Frage.

Finn schüttelte den Kopf und stöhnte erneut gelangweilt auf. »Was klaut man denn bei der Post? Briefmarken? Paketband?«

»Wie wär’s mit 56 Millionen Euro?«, lautete James’ von Joanna übersetzte Antwort.

Finn war froh, dass er sich gerade kein Eis oder so etwas in den Mund gesteckt hatte, sonst hätte er sich bestimmt verschluckt. So hüstelte er nur.

»Wie bitte? Wie viel?«

»Also eigentlich 2,6 Millionen britische Pfund«, präzisierte Joanna. »Aber in den 1960er Jahren. Das entspricht einem heutigen Kaufwert von umgerechnet etwa 56 Millionen Euro. So viel haben die Diebe im Jahre 1963 bei einem Raubüberfall auf einen Postzug der britischen Royal Mail erbeutet. Es war ein legendärer Überfall. Es gibt sogar einige Romane und Spielfilme darüber.«

»Ja«, winkte Finn ab. »Mag schon sein. Aber im Jahre 1963! Da waren ja noch nicht mal Mama und Papa geboren. Wen juckt denn das heute noch?«

»Abwarten«, sagte Joanna. »Der erste Knaller kommt jetzt: Das meiste des geraubten Geldes ist nämlich nie wieder aufgetaucht. Bis heute nicht.«

Finn merkte nun tatsächlich auf. Offenbar steckte ein großes Geheimnis hinter dieser Geschichte.

»Und weiter?«

»Fast alle Posträuber hat man damals gefasst. Zwei waren jahrelang auf der Flucht, sie haben sich später selbst gestellt. Und heute lebt keiner der Posträuber mehr …« »ABER?«, hakte Finn ein. Seine Neugier war geweckt. Er wusste, da würde noch etwas kommen.

»Aber man weiß, dass damals zwei weitere Männer am Tatort gewesen sein müssen«, übersetzte Joanna James’ Geschichte weiter.

»Und die leben noch?«, wollte Finn wissen.

»Das weiß niemand«, sagte Joanna. »Ihre Identität wurde nie festgestellt.«

»Aha«, sagte Finn. »Eine schöne alte Kriminalgeschichte. Und nun?«

Joanna lächelte wissend.

Finn hatte sich schon gedacht, dass James ihr noch mehr erzählt hatte.

»Komm schon!«, forderte er. »Was weißt du noch?«

Joanna ließ ihn zappeln.

»Na ja«, fing sie langsam an. »Wenn es diese beiden zusätzlichen Täter wirklich gegeben hat und wenn die noch leben, dann wissen die vermutlich auch, wo das Geld von damals geblieben ist.«

Das leuchtete ein, fand Finn.

»Aber, wenn die niemand kennt?«, gab er zu bedenken.

»Jetzt kommt’s!«, kündigte Joanna beinahe feierlich an. »James glaubt zu wissen, wer zumindest einer der beiden unbekannten Täter von damals gewesen sein könnte: ein gewisser Lord Catterfield.«

»Wow!«, hauchte Finn nun ehrfurchtsvoll. Allein das war ja schon eine Sensation – wenn es stimmte.

Aber das war noch nicht alles, denn nun fuhr Joanna fort: »Und James glaubt außerdem, dass dieser Lord seinerzeit einen Großteil des bis heute vermissten Geldes versteckt hat.«

»Klingt logisch!«, stimmte Finn sofort zu. »Wenn niemand den Täter kennt und der das Geld hat, weiß logischerweise auch niemand, wo das Geld steckt. Wer den Täter kennt, der …« Finn stockte. Erst jetzt wurde ihm die Tragweite von James’ Wissen bewusst.

Joanna beendete seinen Satz: »… der weiß auch, wo das Geld ist. Oder kann es zumindest herausbekommen. Ganz genau!«

Wenn Finn nicht schon gesessen hätte, spätestens jetzt wäre es Zeit dafür gewesen. »Unglaublich!«

»Finde ich auch!«, stimmte ihm Joanna zu.

»Und?«, fragte Finn. »Lebt dieser Lord Catterfield noch?«

»Nein!«, antwortete Joanna.

Finn verzog schon wieder das Gesicht, doch Joanna sprach weiter: »Es kommt noch viel besser: Es gibt nämlich einen Enkel dieses Lords, Peter Catterfield. Er ist vierzehn Jahre alt und – hier auf diesem Kinderfest!«

»WAS?« Finn sprang auf. »Wirklich? Oder veralberst du mich?«

Joanna hob die rechte Hand zum Schwur.

»Genau das hat James mir gerade erzählt. Ehrenwort. James hat gründlich recherchiert, sagt er. Er ist sich sicher, dieser Peter weiß, wo das Geld versteckt ist – und dass er es sich holen will!«

»Irre!« Finn setzte sich wieder und flüsterte leise vor sich hin: »56 Millionen Euro. Stell dir mal vor, unser Opa hätte so viel Geld versteckt. Waaahnsinn, oder? Was würdest du dir kaufen? Also ich eine Motorjacht, einen Sportwagen … Ich glaube, einen Ferrari. Oder meinst du, ein Maserati wäre besser? Ach, bei so viel Geld würde ich beide kaufen und …«

»Tickst du nicht mehr richtig?«, unterbrach Joanna ihn.

»Ich weiß, ich weiß, ich hab noch keinen Führerschein«, räumte Finn ein. »Aber trotzdem! Nur mal die Vorstellung! Außerdem könnte ich die Sachen ja ruhig schon jetzt kaufen und …«

Joanna machte mit beiden Händen eine Scheibenwischerbewegung und stützte sie dann in die Hüften. »Sag mal …!«

Finn sah seine Schwester an.

»Was? Ach so, ja klar, weiß ich auch, dass Opa nicht so viel Geld versteckt hat. Aber …«