City Spies 4: Geheime Mission - James Ponti - E-Book

City Spies 4: Geheime Mission E-Book

James Ponti

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Beschreibung

Verschwörung in der Stadt der Toten – ein aufregend internationales Spionage-Abenteuer! Cyberalarm! Innerhalb weniger Stunden werden mehrere Londoner Unternehmen von Hackern attackiert. Doch der genaue Zweck dieser Aktion bleibt offen. Zum Glück sind die City Spies vor Ort, um im British Museum das Sicherheitssystem zu prüfen. So können die fünf den Fall direkt übernehmen und finden auch schnell erste Hinweise: Dank ihrer Logikexpertin Kat und deren Gespür für versteckte Muster stoßen sie auf eine geheime Information, die sie bis nach Ägypten führt. Zwischen den Gräbern von Kairos Totenstadt müssen die Spy Kids entschlüsseln, wer hinter den Angriffen steckt – und warum. Band 4 der temporeichen Spionage-Serie, die es aus dem Stand auf die New-York-Times-Bestsellerliste schaffte – fünf smarte Kids und jede Menge Action!   Alle Bände der Serie: City Spies – Gefährlicher Auftrag (Band 1) City Spies – Tödliche Jagd (Band 2) City Spies – Gewagtes Spiel (Band 3) City Spies – Geheime Mission (Band 4)

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JAMES PONTI: CITY SPIES

Aus dem Englischen von Wolfram Ströle

Cyberalarm in London! Innerhalb weniger Stunden werden mehrere wichtige Institutionen von Hackern attackiert. Doch der genaue Zweck der Aktion bleibt offen. Zum Glück sind die City Spies gerade vor Ort. So können die fünf Profis den Fall direkt übernehmen und finden auch schnell erste Hinweise: Dank Logikexpertin Kat stoßen sie auf eine geheime Information, die sie über Umwege bis nach Ägypten führt. Zwischen den Gräbern von Kairos Totenstadt müssen die Spy Kids entschlüsseln, wer hinter den Angriffen steckt – und warum.

Alle Bände der Serie:

City Spies – Gefährlicher Auftrag (Band 1)

City Spies – Tödliche Jagd (Band 2)

City Spies – Gewagtes Spiel (Band 3)

City Spies – Geheime Mission (Band 4)

WOHIN SOLL ES GEHEN?

  Buch lesen

  Geheimakten

  Danksagung

  Viten

 

Für Kristin alias Manhattan, die das Schreiben in jeder Hinsicht so viel besser macht.

PROLOG

HOWARD UND HUSSEIN

TAL DER KÖNIGE BEI LUXOR, ÄGYPTEN – 4. NOVEMBER 1922

Langsam ritt der zwölfjährige Junge auf seinem Esel durch die kahle ägyptische Landschaft und in das sogenannte Tal der Könige. Er war barfuß, bekleidet mit einem weißen Kopftuch und einem zerknitterten, jellabiya genannten Leinenkittel. Eigentlich hieß er Hussein, aber für die in der Wüstensonne schmachtenden Arbeiter war er nur fataa alma’, der Wasserträger.

Zweimal täglich füllte er zwei große Tonkrüge mit Wasser aus einem Brunnen, lud sie auf ein Geschirr, das auf den Rücken des Esels geschnallt war, und brachte sie zum Grabungsgelände, wo die Arbeiter nach dem unbekannten Grab eines Pharaos namens Tutanchamun suchten. Seit über dreitausend Jahren war die letzte Ruhstätte des Königs verschollen, so lange, dass viele Fachleute sie für eine Legende hielten.

Es war bereits drückend heiß, als Hussein kurz nach zehn am Grabungsort ankam. Da die Krüge unten rund waren, musste er im Sand Mulden ausheben, damit sie aufrecht stehen konnten. Dabei stieß er dicht unter der Oberfläche auf einen glatten Stein. Er legte ihn frei. Es handelte sich um die oberste Stufe einer nach unten führenden Treppe.

Ein ägyptischer Junge hatte passenderweise das Grab des ägyptischen Kindkönigs entdeckt.

Aufgeregt lief Hussein zu Howard Carter, dem britischen Archäologen und Grabungsleiter, und erzählte ihm von seinem Fund. Arbeiter befreiten das Gelände vom Geröll und legten bis Ende des nächsten Tags die in den Felsen gehauene Treppe frei. Unten stießen sie auf einen zugemauerten Durchgang mit dem Hieroglyphensiegel des Anubis in Schakalgestalt und darunter neun Gefangenen. Andächtig und freudestrahlend strich Carter mit den Fingern darüber.

Es handelte sich um das Siegel der königlichen Nekropole – der Totenstadt Altägyptens.

1.

BRITISCHES MUSEUM

LONDON, ENGLAND – GEGENWART

An einem schiefergrauen Novembertag hundert Jahre nach der Entdeckung von Tutanchamuns Grab versammelte sich eine Gruppe von fünf Jugendlichen im Londoner Stadtteil Bloomsbury. Sie waren wie Howard Carter auf der Suche nach Schätzen aus dem alten Ägypten. Allerdings wollten sie keinen Tunnel graben, sondern sich durch einen Tunnel in einem aufgegebenen Abschnitt der Londoner U-Bahn schleichen. Und die Kunstwerke, hinter denen sie her waren, waren nicht in einem vergessenen Grab versteckt, sondern in einem der meistbesuchten Museen der Welt ausgestellt.

Sie planten keine Grabung, sondern einen Einbruch.

»Mikrofontest, eins, zwei, drei«, sagt Kat in das Mikrofon, das in der Ansteckblume zum Kriegstotengedenktag an ihrem Kragen versteckt war. »Hört ihr mich alle?«

»Laut und deutlich«, sagte Paris.

»Bestens«, sagte Rio.

»Ich auch«, meinte Brooklyn.

Eine Pause entstand, in der sie auf die letzte Bestätigung warteten.

»Sydney, antwortest du nicht, weil du mich nicht hörst?«, fragte Kat. »Oder weil du noch schmollst?«

Ein weiterer Moment verging, dann antwortete Sydney. »Tut mir leid, ich hatte den Eindruck, dass niemanden interessiert, was ich zu sagen habe.«

»Du schmollst also noch«, befand Paris.

»Nein!«, widersprach Sydney. »Ich bin … enttäuscht. Ich habe nur darum gebeten, dass wir den Einbruch um ein paar Stunden verschieben, damit wir davor noch das Feuerwerk im Battersea Park ansehen können. Ihr wisst ja, wie sehr ich die Bonfire Night liebe. Es wird mega und alle gehen hin.«

»Aber genau deshalb sind wir doch hier«, sagte Kat. »Die Polizei wird überlastet sein und in Bloomsbury finden keine Feiern statt. Das heißt, die Polizei ist anderswo unterwegs, was die Wahrscheinlichkeit, nicht erwischt zu werden, deutlich erhöht.«

Kat war bei diesem Einsatz die Alpha, in anderen Worten, sie hatte sich einen Plan für den Einbruch im Britischen Museum überlegen müssen. Dafür hatte sie einige Dutzend berühmter Einbrüche untersucht und festgestellt, dass viele an Feiertagen oder zu besonderen Ereignissen stattgefunden hatten, wenn Polizei und Sicherheitskräfte unterbesetzt und im Ausnahmezustand waren. Die Bonfire Night hatte sie gewählt, weil sie mit einer berüchtigten Gestalt der britischen Geschichte zusammenhing.

Am 5. November 1605 wurde ein Soldat mit radikalen Ansichten namens Guy Fawkes festgenommen, bevor er seinen Plan ausführen konnte, mithilfe von sechsunddreißig Fässern Sprengstoff das Parlament in die Luft zu sprengen. Seitdem feiern die Briten diesen Tag mit Freudenfeuern, Feuerwerk und ausgelassenen Umzügen, auf denen Puppen des Bösewichts verbrannt werden.

Sydney liebte es als geborene Rebellin, Dinge in die Luft zu jagen, und hatte das Gefühl, dass man diese Nacht eigens für sie erfunden hatte. Und jetzt war sie in London, ganz in der Nähe einiger besonders großer Feiern, und würde sie trotzdem verpassen.

»Ich will nur eins von dir wissen«, sagte Kat. »Bist du zum Einsatz bereit? Oder ist das jetzt ein Problem?«

»Natürlich bin ich bereit«, sagte Sydney. »Die Arbeit steht für mich an erster Stelle«

»Sehr gut. Und wenn es dir hilft: Ich werde versuchen, etwas zu finden, das du in die Luft sprengen kannst.«

»Das wäre wirklich super.« Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie lächelte. »Vielen Dank.«

Rio räusperte sich. »Können wir jetzt, wo alle sich ausgesprochen haben, bitte anfangen?«

»Genau«, stimmte Brooklyn zu. »Aber zuerst muss Kat den Einsatz eröffnen.«

Als Alpha war Kat dafür verantwortlich, die glückbringenden Worte zur Eröffnung eines Einsatzes auszusprechen.

»Also gut«, sagte sie, den Blick vom Innenhof aus auf den Museumseingang gerichtet. »Alles klar zum Einsatz. Legen wir los.«

Und damit waren die City Spies wieder in Aktion. Die fünf im Alter von zwölf bis fünfzehn waren ein Agententeam, das für den britischen Geheimdienst MI6 arbeitete. Sie wurden dort eingesetzt, wo Erwachsene auffielen, Jugendliche dagegen nicht.

In diesem Fall bestand ihre Aufgabe darin, zwei Ausstellungsstücke einer Sonderausstellung mit dem Titel »Wunderbare Dinge: 100 Jahre Tutmania« zu stehlen. Warum sie das sollten, wussten sie nicht. Spione durften schließlich nicht zu viele Fragen stellen. Man hatte ihnen lediglich gesagt, es sei im Interesse der britischen Regierung.

Kat war noch nie die Alpha in einem so großen Einsatz gewesen und hatte sich auf ihre übliche Art darauf vorbereitet, als handelte es sich um eine Reihe komplexer mathematischer Gleichungen. Sie hatte den Diebstahl in zwei Teile aufgeteilt, um, wie sie sagte, »die Variablen zu isolieren«. Den eigentlichen Diebstahl würden sie erst ausführen, wenn das Museum geschlossen war. Jetzt, solange es noch geöffnet hatte, mussten sie alles für später vorbereiten.

»Wissen alle, was sie zu tun haben?«, fragte sie.

»Ja«, sagte Rio und stöhnte. »Wir sind es ja auch hundert Mal durchgegangen.«

»Gut. Wiederholung führt zu Geläufigkeit und Geläufigkeit zu Sicherheit. Das ist grundlegend für die Ausführung komplizierter mathematischer Prozesse.«

»Nur dass das hier keine Mathematik ist, sondern ein Diebstahl«, sagte Rio.

»Du bist so witzig. Alles ist Mathematik. Jetzt taucht in der Menge unter und bleibt möglichst unsichtbar.«

»Keine Sorge«, sagte Sydney. »Wir werden wie Geister sein.«

Rio nickte. »Mathe-Geister.«

Da sich viele Jugendliche im Museum aufhielten, hatten sie keine Schwierigkeiten, unauffällig ihren jeweiligen Aufgaben nachzugehen. Kat hatte sogar Schuluniformen beschaffen können, die zu Klassen passten, die an diesem Tag einen Ausflug ins Museum machten. Dadurch konnten sie die normalen Sicherheitskontrollen umgehen und das Museum inmitten großer Schülergruppen betreten.

»Wir sind jetzt an der westlichen Treppe und alles verläuft plangemäß«, informierte Sydney die anderen.

Sie und Rio überprüften den Weg, den sie später am Abend nehmen wollten. Geplant hatten sie ihn mittels einer virtuellen Museumsführung, die sie online gefunden hatten. Sie hatten jeden Raum eingehend betrachtet und auf Schwachstellen abgeklopft. Jetzt mussten sie sich vergewissern, dass sich seit Aufnahme der virtuellen Führung nichts geändert hatte und nichts dazugekommen war.

»An der Decke hängt eine Überwachungskamera«, sagte Rio. »Und der Eingang zur ägyptischen Abteilung wird durch ein Rolltor geschützt, das man durch ein Tastenfeld daneben bedient.«

»Wir haben beides im Griff, sobald Brooklyn sich in das Computersystem eingehackt hat«, sagte Kat.

»Macht ein Foto von den Tasten«, sagte Brooklyn. »Darauf sollte der Herstellername zu sehen sein, damit ich die entsprechende Bedienungsanleitung runterladen kann.«

»Verstanden«, sagte Sydney.

Sie winkte Rio neben die Tastatur, damit es aussah, als würde sie ein Bild von ihm machen, nicht von der Tasten.

»Lächeln«, befahl sie und er setzte ein dämliches Grinsen auf.

Als Nächstes gingen sie durch die ägyptische Skulpturengalerie, in der sie drei verschiedene Sicherheitssysteme sahen und abfotografierten. An den Wänden hingen Bewegungsmelder und an der Decke Überwachungskameras. Dazu kamen die einen halben Meter über dem Boden angebrachten Sensoren einer Laser-Lichtschranke.

Sie hielten die Stellen mit den Sensoren genau fest, weil es sich, anders als in Filmen, nicht um bunte Strahlen handelte, um die man herumtänzeln konnte. Die Laser waren kaum sichtbar, und auch nur einen davon auszulösen würde den ganzen Einsatz gefährden.

Sie waren gerade damit beschäftigt, die genaue Position zweier Sensoren neben einer Kolossalstatue von Ramses II. zu vermessen, da fiel Rios Blick auf einen Sicherheitsbeamten, der in der Nähe stand. Auf seinem Namensschild stand OFFICER HAWK, obwohl er mit seinem hängenden Schnurrbart und seinem stämmigen Körper eher an ein Walross erinnerte als an einen Raubvogel.

»Zielperson gefunden«, sagte Rio leise zu Sydney.

»Warum er?«, hakte sie nach.

»Aus zwei Gründen. Er ist nett und ungeschickt.«

Sydney sah ihn fragend an.

»Sicherheitsleute sollen eher unnahbar und einschüchternd sein«, erklärte Rio. »Aber schau mal, wie der lächelt und Blickkontakt mit anderen sucht. Er sehnt sich nach Ansprache und will, dass man ihn mag.«

»Und ungeschickt?«

»Seine Krawatte sitzt schief und er hat das Hemd nicht gleichmäßig in die Hose gestopft. Außerdem hat er seinen Ausweis an den Gürtel gesteckt statt an die Hemdtasche und dort kann man ihn leichter klauen.«

»Es ist schon unheimlich, wie gut du Leute lesen kannst«, meinte Sydney.

»Ich habe eben auch meine Fähigkeiten. Schön, dass das zur Abwechslung mal jemand bemerkt.«

Die Fähigkeiten, Menschen zu lesen, war für Rio jahrelang überlebensnotwendig gewesen. Er hatte in Rio de Janeiro auf der Straße gelebt und auf einem Gehweg am Strand von Copacabana mit Zauberkunststücken für Touristen Geld verdient. Dazu hatte er sein Publikum kennen und mit atemberaubenden Taschenspielertricks unterhalten müssen. Beides nützte ihm jetzt, um einen Ausweis zu stehlen, den sie später noch brauchen würden.

Für diesen Trick brauchte es zwei Leute, aber Rio und Sydney waren ein eingespieltes Team. Sydneys Aufgabe war es, für Ablenkung zu sorgen.

»Entschuldigung«, sagte sie und ging auf den Sicherheitsmann zu. »Ob Sie wohl ein Bild von mir mit dieser Statue im Hintergrund machen könnten?«

Laut den Vorschriften durfte der Mann eigentlich gar nichts tun außer die Galerie bewachen. Aber er war ein netter Mensch, wie Rio vermutet hatte, und es fiel ihm schwer, Nein zu sagen. »Natürlich«, antwortete er lächelnd. »Wenn es schnell geht.«

Sydney gab ihm ihr Handy und stellte sich in Positur. Er machte ein Bild und gab ihr das Handy zurück. Doch als Sydney das Bild sah, runzelte sie die Stirn.

»Oh, Mist!«, sagte sie. »Tut mir leid, aber könnten Sie das noch mal machen? Ich habe die Augen zu und wegen des Gegenlichts sieht man mein Gesicht nicht.«

Sie dirigierte ihn einen Meter zur Seite, und je mehr Anweisungen sie gab, desto mehr war der Wärter abgelenkt. Im selben Moment ging Rio an ihm vorbei, streifte ihn und zog geschickt den Ausweis vom Gürtel. Dann kam der schwierige Teil. Rio musste den Ausweis kopieren und wieder an den Gürtel stecken, bevor der Mann merkte, dass er fehlte. Denn wenn er den Verlust meldete, wurde der Ausweis automatisch deaktiviert und war unbrauchbar.

Rio steckte ihn in die Tasche und drückte ihn an sein Handy, das über einen Scanner und eine Clone-App verfügte. Ein Moment verging, dann hörte er einen Piepton zum Zeichen, dass der Scan ausgeführt war. Er kehrte zu den anderen beiden zurück. Sydney war auch mit dem neuesten Bild unzufrieden und der Wärter wurde allmählich ungeduldig.

Rio mischte sich in ihr Gespräch ein. »Das Problem ist das Licht durch dieses Fenster.« Er zeigte auf das Foto auf Sydneys Handy. »Du musst auf der anderen Seite stehen.«

Davon wollte der Mann nichts wissen. »Ich werde nicht …«

»Ich könnte es doch machen«, bot Rio an.

»Gute Idee«, sagte der Mann.

Er gab Sydney das Handy zurück und im selben Augenblick steckte Rio den Ausweis wieder an seinen Gürtel.

»Dann viel Glück«, sagte der Wärter.

»Danke für Ihre Hilfe«, sagte Sydney.

Sie entfernten sich, und sobald sie außer Hörweite waren, sagte Rio leise: »Nett und ungeschickt, meine beiden Lieblingseigenschaften.« Sie durchquerten den Saal und machten das Bild unter besseren Lichtverhältnissen, damit der Wärter keinen Verdacht schöpfte. Anschließend gingen sie durch eine andere Galerie und zu einer Tür mit der Aufschrift Nur für Mitarbeiter. Sie warteten, bis niemand in der Nähe war, dann hielt Rio sein Handy an den Ausweis-Sensor. Ein Lämpchen am Sensor sprang von Rot auf Grün und das Schloss ging mit einem Klicken auf.

»Die Sicherheitstüren sind kein Problem mehr«, sagte Rio stolz.

Kat antwortete sofort. »Gut gemacht.«

Sie hielt sich im Innenhof in der Mitte zwischen den vier riesigen Flügeln des Museums auf. Der ursprünglich offene, über siebentausend Quadratmeter große Hof hatte 2000 ein riesiges Glasdach erhalten und war so zum größten überdachten öffentlichen Platz Europas geworden. Kat hatte ihn als idealen Standort ausgewählt, um die Routine des Sicherheitspersonals kennenzulernen. Sie hatte die angeborene Fähigkeit, dort, wo andere nur Chaos sahen, Muster zu erkennen, und analysierte jetzt die Gänge der Wärter, um herauszufinden, welchen Weg sie auf ihren Runden jeweils nahmen.

Die meisten gingen vom Erdgeschoss Stockwerk für Stockwerk nach oben und auf jedem Stock gegen den Uhrzeigersinn durch die Säle. Zwar war nicht sicher, ob sie das nachts genauso machten, aber Kat hielt es für wahrscheinlich.

»Brooklyn und Paris, wie ist die Lage bei euch?«, fragte sie.

»Schwierig«, antwortete Paris.

»Genau«, fügte Brooklyn hinzu. »Es ist hier ziemlich voll.«

Die beiden standen in einem Flur zwischen zwei Sälen mit Kunstwerken des alten Griechenland und Rom. Dort befand sich hinter einer Treppe ein Computerraum mit Servern für den Westflügel des Museums. Mithilfe dieser Server wollte Brooklyn sich in das Subnetz einschleusen und das ganze System übernehmen. Sie hatte dann Zugriff auf Überwachungskameras, Bewegungssensoren und andere Sicherheitseinrichtungen, wenn sie am Abend zurückkehrten. Doch um in den Computerraum zu kommen, musste Paris das Schloss an der Tür knacken und das war schwierig, weil auf dem Gang so viele Leute unterwegs waren. Endlich bedeutete ihm Brooklyn, die Schmiere stand, dass die Luft rein war.

»Wenn ihr Hilfe beim Ablenken oder Schlossknacken braucht, können Sydney und ich jederzeit zu euch stoßen«, spottete Rio.

»Wir haben nämlich auch unsere Fähigkeiten«, fügte Sydney mit einem Augenzwinkern zu Rio hinzu.

»Immer mit der Ruhe«, sagte Brooklyn. »Noch kommen wir selbst zurecht.« Sie schaltete ihr Mikrofon kurz ab, sah Paris an und fragte leise: »Oder?«

»Klar«, sagte Paris entschieden, wackelte mit dem Dietrich ein wenig hin und her und öffnete die Tür. »Auf jeden Fall.«

Sie tauschten die Plätze und Paris stand jetzt Wache. Sobald die Luft rein war, nickte er Brooklyn zu und sie schlüpfte in den Raum.

Kurz darauf meldete sie sich wieder. »Äh, vielleicht brauchen wir doch Hilfe.«

»Warum?«, fragte Kat.

»Weil die Server weg sind.«

»Wie bitte?«, fragten die anderen unisono.

Brooklyn hatte in dem Raum nur einige lose Kabel und eine Reihe von Halterungen und Stützen aus Metall gefunden.

»Man hat sie weggebracht«, sagte sie. »Übrig sind nur noch die Gestelle.«

»Was soll das heißen?«, fragte Rio.

»Vor allem, dass ich mich von hier nicht in ihr Netz einhacken kann«, sagte Brooklyn.

Im Innenhof überlegte Kat fieberhaft. Bis dahin war alles genau nach Plan verlaufen, aber um den Diebstahl durchzuführen, brauchten sie Zugang zum Sicherheitssystem. Ein Schwachpunkt von großen Gleichungen war, dass eine einzige falsche Zahl alle Berechnungen kaputt machte.

»Gibt es im Ostflügel noch einen Serverraum?«, fragte Sydney.

»Ja«, sagte Brooklyn. »Aber der ist wahrscheinlich auch leer. Ich kann mir nur einen Grund vorstellen, warum die Server von hier weggebracht wurden – nämlich, um alle an einem zentralen Ort zusammenzuführen. Leider wissen wir nicht, wo das sein könnte.«

»Kannst du dich auch noch von anderswo in das System einhacken?«, fragte Sydney.

»Es gibt immer noch die Sicherheitszentrale«, witzelte Brooklyn. »Aber dort kommen wir wohl nicht rein, ohne erwischt zu werden.«

»Oder kannst du einen Computer außerhalb des Gebäudes benutzen?«, fragte Rio.

»Wenn das ginge, hätte ich es schon getan. Das Netz des Museums ist durch einen Air Gap gesichert. Das heißt, es ist vollständig vom Internet abgetrennt und man kann nur vor Ort darauf zugreifen.«

»Was tun wir also?«, fragte Paris. »Den Einsatz verschieben? Abblasen?«

»Auf keinen Fall«, sagte Sydney sofort. »Der Auftrag kommt von Tru persönlich.« Sie meinte die hochrangige Beamtin des MI6, die die letzte Entscheidungsgewalt über das Team hatte. »Wir dürfen sie nicht enttäuschen und müssen das hier durchziehen.«

»Du bist die Alpha, Kat«, sagte Paris. »Was meinst du?«

Kat hatte alles bis ins letzte Detail geplant, aber jetzt waren sie von der Spur abgekommen. Es war ihr bisher größter Einsatz als Alpha und sie hatte das Gefühl, zu versagen. Sie begann, kaum merklich auf den Fußballen zu wippen und mit den Fingern zu zucken, verräterische Anzeichen ihrer wachsenden Anspannung.

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, gestand sie.

»Ich bin für Plan B«, sagte Sydney forsch.

»Haben wir einen?«, fragte Brooklyn.

»So eine Art … vielleicht«, sagte Sydney, während sie überlegte.

»So eine Art vielleicht?«, wiederholte Rio. »Irgendwie klingt das nicht besonders vielversprechend.«

»W-w-was meinst du denn, Sydney?«, fragte Kat leicht stotternd vor Aufregung.

»Ich arbeite noch daran. Ihr müsst mir jetzt einfach mal vertrauen.«

Es entstand eine Pause.

»Kat?«, sagte Paris. »Du entscheidest.«

»A-also gut«, sagte Kat widerstrebend. »Sag uns, was wir tun sollen, Sydney.«

»Ich will, dass Brooklyn zum Stein von Rosette kommt, wo ich auf sie warten werde. Die anderen bleiben in sicherer Entfernung. Sieht so aus, als könnte ich doch noch Guy Fawkes feiern.«

»Sag bitte, dass du nicht mitten im Britischen Museum eine Bombe zünden willst«, rief Kat.

»Natürlich nicht. Ihr sollt nicht deshalb in sicherer Entfernung bleiben, weil ich Sorge habe, dass euch etwas passieren könnte. Ich will nur nicht riskieren, dass ihr mit drinhängt, wenn etwas schiefgeht und jemand uns aus dem Gefängnis holen muss.«

»Jetzt kriege ich langsam Bedenken«, protestierte Brooklyn. »Ich dachte, wir sollten unsichtbar wie Geister sein.«

»Das gilt ja auch weiter«, sagte Sydney. »Aber eben wie Geister, die auf dem Dachboden heulen und laut mit Ketten rasseln.«

Der Stein von Rosette war das berühmteste Ausstellungsstück des Museums. Die Granitplatte war über ein Meter hoch, wog 762 Kilogramm und trug eine Inschrift in drei verschiedenen Sprachen. Vor allem mit seiner Hilfe hatten Ägyptologen die Hieroglyphen entschlüsseln können. Er stand in der Mitte von Saal vier, der ägyptischen Skulpturengalerie. Als Brooklyn dort ankam, wartete Sydney schon auf sie.

»Bereit?«, fragte Sydney.

»Für was? Du hast ja nicht gerade viel verraten.«

»Nein. Wenn ich euch meinen Plan erklärt hätte, hättet ihr ihn ziemlich sicher gleich abgelehnt.«

Brooklyn sah sie besorgt an.

»Keine Angst«, sagte Sydney. »Vertrau mir einfach und mach mir alles nach.«

Sie blickten durch den Saal und sahen die anderen, die sie aus einiger Entfernung beobachteten.

»Wird schon schiefgehen«, sagte Sydney leise zu sich selbst. Dann begann sie zu singen: »Remember, remember, the fifth of November, gunpowder, treason, and plot!«

Pulver, Verrat und Verschwörung? Es handelte sich um einen bekannten Reim für britische Schulkinder zum Gedenken an die Festnahme von Guy Fawkes.

»Remember, remember, the fifth of November, gunpowder, treason, and plot!«

Sydney stieß Brooklyn an. Sie sollte mitsingen.

»Remember, remember, the fifth of November, gunpowder, treason, and plot!«

Mit jeder Wiederholung sangen sie lauter. Schon bald hatte sich eine kleine Gruppe neugieriger Zuschauer versammelt. Dann eilte prompt ein Sicherheitsbeamter herbei.

Kat sah von ihrem Platz aus besorgt zu und wippte und zuckte wieder ein wenig. Für das, was hier passierte, hatte sie keine mathematische Gleichung. Sie sah nur Chaos.

2.

GUY FAWKES

Es war nicht der nette und ungeschickte Wärter, der da herbeieilte, um Sydney und Brooklyn zu stoppen, und den Sydney schon kennengelernt hatte. Officer Peter Ryan verstand keinen Spaß, was die Vorschriften anging. Er hatte breite Schultern, eine Igelfrisur und strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Wenn seine Chefs es erlaubt hätten, hätte er seine verspiegelte Sonnenbrille auch im Museum getragen.

»Brauchst du Hilfe, Pete?«, tönte eine Stimme aus seinem Walkie-Talkie.

»Nein«, schnaubte er und näherte sich zielstrebig den Unruhestifterinnen. »Da machen nur zwei alberne Schülerinnen Radau. Alles unter Kontrolle.«

»Remember, remember, the fifth of November, gunpowder, treason, and plot!« Sydney und Brooklyn hatten zu einem Rhythmus gefunden und einige aus der wachsenden Zuschauerschar fielen zum Spaß mit ein. Zumindest bis Officer Ryan eintraf.

»Jetzt ist aber gut!«, befahl er. »Ruhe bitte!«

Die Menge verstummte und auch Brooklyn hörte auf zu singen. Sie wusste ja nicht, was der Plan als Nächstes vorsah. Sydney dagegen sang völlig unbeeindruckt weiter.

»Remember, remember, the fifth of November, gunpowder, treason, and plot!«

Der Wärter starrte sie an. »Du hattest deinen Spaß und jetzt bist du bitte still!«

»Still?«, entgegnete sie frech. »Das ist doch genau das Problem, verstehen Sie? Wir waren viel zu lange still. So sind Sie mit Ihren Verbrechen davongekommen.«

Der Wärter schnaubte. »Was für Verbrechen haben wir denn begangen, meine Liebe?«, sagte er in einem Ton, der väterlich klingen sollte, aber nur herablassend war. »Haben wir gegen ein Gesetz der Mode verstoßen? Lass mich raten, unsere Uniformen wurden vom falschen Designer geschneidert.«

Sydney verdrehte die Augen. »Ich dachte mehr an das Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, das die UNESCO 1970 verabschiedet hat.« Sie machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: »Mein Lieber.«

Officer Ryan geriet ein wenig aus dem Takt, als ihm klar wurde, dass die beiden Schülerinnen womöglich eine größere Herausforderung waren als zunächst gedacht, und Brooklyn konnte nur mit Mühe einen Lachanfall unterdrücken.

»Kann ich Hilfe in Saal vier kriegen?«, sagte er in sein Walkie-Talkie. »Wir haben hier eine Störung beim Stein von Rosette.«

Im Zuge der Vorbereitung auf den Einbruch hatte Sydney von dem Streit um Ausstellungsstücke wie den Stein von Rosette gelesen, die während der europäischen Kolonialisierung von Museen erworben worden waren. Es ging um die Frage nach den rechtmäßigen Eigentümern des kulturellen Erbes eines Landes, eine Kontroverse, die Sydneys Gerechtigkeitssinn ansprach und ihren Widerspruchsgeist weckte. Sie beschloss, das runde Dutzend Zuschauer an ihren Überlegungen teilhaben zu lassen.

»Der Stein von Rosette wurde aus Ägypten gestohlen, als Napoleon mit seiner Armee dort einmarschierte. Nach dem Sieg der Briten über die Franzosen bei Waterloo kam er dann als Teil der Kriegsbeute hierher nach London. Es handelt sich um ein unbezahlbares Kulturgut, keine Kampftrophäe. Der Stein gehört den Ägyptern.«

»Genau«, fiel Brooklyn ein. »Wie fänden Sie es, wenn bei uns die Magna Carta oder die Kronjuwelen gestohlen und in einem Museum in Kairo ausgestellt würden?« Sie sah Officer Ryan an. »Das würden Ihnen doch auch nicht gefallen.«

Officer Ryan hatte darauf keine Antwort und drückte wieder die Mikrofontaste seines Walkie-Talkies. »Ist die Hilfe unterwegs?«

Kat, Paris und Rio standen am anderen Ende der Galerie vor einer riesigen Büste König Amenhoteps III. und sahen zu. Kat hatte sich wieder beruhigt und grinste, als drei Wärter – zwei Männer und eine Frau – an ihnen vorbei zu Sydney und Brooklyn eilten.

»Das ist ja so genial von Sydney«, sagte sie. »Darauf wäre ich in einer Million Jahre nicht gekommen.«

»Worauf?«, fragte Rio verwirrt. »Was findest du daran genial? Jetzt haben wir doch nur noch mehr Wärter auf dem Hals.«

»Genau. Und die werden die beiden auf dem schnellsten Weg in die Sicherheitszentrale bringen, du weißt schon, die, von der aus Brooklyn sich in das System einhacken könnte.«

Paris nickte. »Das ist wirklich genial.«

Sydney, die das Gespräch über Funk mitgehört hatte, blickte in ihre Richtung und nickte ganz leicht. Kat nickte mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid zurück. Es war großartig, Sydney an ihrer Seite zu haben, aber Kat stellte sich unwillkürlich vor, wie großartig es sein musste, Sydneys Selbstbewusstsein zu haben.

»Worum geht es?«, fragte die Frau und blieb stehen. Laut ihrem Namensschild handelte es sich um V. GARFIELD, LEITERIN DER SICHERHEITSABTEILUNG. Sie war schlank und groß und hatte schulterlange Haare und eine helle Haut. Und vor allem hatte sie zwei Teenager zu Hause und beging deshalb nicht den Fehler, Sydney und Brooklyn zu unterschätzen.

»Die beiden haben zuerst laut den Guy-Fawkes-Reim gesungen«, sagte Ryan. »Dann hat die hier von Napoleon und einem Übereinkommen angefangen.«

»Von dem Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut der UNESCO von 1970«, sagte Sydney, »Frau Leiterin der Sicherheitsabteilung Garfield.«

Die Anrede hatte sie Kat und den anderen zuliebe hinzugefügt, die sofort ihre Handys herausholten und nach Informationen über die Frau suchten.

Garfield lächelte. »Ihr seid also nicht nur Unruhestifter, sondern habt eure Hausaufgaben gemacht«, sagte sie beeindruckt.

»Ja, Ma’am«, sagte Sydney.

»Dann habt ihr guten Unterricht an der …« Garfield betrachtete das Wappen auf Sydneys Schulduniform genauer. »… Mädchenschule der City of London.«

»Und man hat uns beigebracht, dass wir für unsere Überzeugungen eintreten sollen«, sagte Sydney.

»Gut.« Garfield wandte sich an einen der Wärter in ihrer Begleitung. »Kontaktieren Sie den Schalter für Gruppenbesuche und lassen Sie sich den Namen der Aufsichtsperson der Schule geben. Finden Sie heraus, wo sie sich im Museum aufhält und bringen Sie sie direkt zur Einsatzzentrale.«

Sydney geriet in Panik. »Halt, bitte nicht.« Das hatte sie, als sie rasch Plan B improvisiert hatte, nicht bedacht. Sie trug ja eine falsche Schuluniform, und wenn die Aufsichtsperson der betreffenden Schule hier auftauchte, konnte die Situation rasch außer Kontrolle geraten. »Wenn Sie das tun, kriegen wir ernsthaft Schwierigkeiten.«

»Leidenschaftlich für seine Überzeugungen einzustehen, hat leider oft einen Preis«, sagte die Frau.

»Wir glauben an viele Dinge leidenschaftlich«, sagte Sydney, »auch an unsere Ausbildung. Wenn wir in Schwierigkeiten geraten, fliegen wir womöglich von der Schule. Und das könnte meinen Traum zerstören, eines Tages zu studieren. Ich will nach …«

»Cambridge«, zischte Kat mit Blick aufs Handy in ihr verstecktes Mikrofon. »Laut Garfields Seite bei LinkedIn hat sie am Trinity College in Cambridge Kunstgeschichte studiert.«

»Cambridge«, sagte Sydney.

Garfield lächelte, als sie den Namen ihrer Alma Mater hörte. »Du willst nach Cambridge und nicht nach Oxford?«

»Wie meine Mum«, sagte Sydney. »Sie war auf dem Trinity College.«

»Guter Einfall«, flüsterte Kat.

»Ich will dort Kunstgeschichte studieren«, fuhr Sydney fort. »Später möchte ich mal an einer Einrichtung wie dieser hier arbeiten. Ich liebe das Britische Museum. Deshalb finde ich es ja auch so schrecklich, dass es Dinge ausstellt, die nicht hierhergehören.«

Garfield überlegte kurz. »Wir müssen eine Entscheidung treffen«, sagte sie dann. »Ihr wollt keinen Ärger mit eurer Schule und ich will keinen Lärm in meinem Museum. Wie lösen wir das?«

»Vielleicht könnten meine Freundin und ich aufhören, Lärm zu machen«, sagte Sydney. »Und dann könnten wir Sie an einen Ort begleiten, wo wir unsere Bedenken äußern, damit sie an die richtigen Stellen weitergeleitet werden.«

»Ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstehe«, sagte Garfield.

»Wenn wir eine förmliche Beschwerde einreichen können, haben wir wenigstens gezeigt, dass junge Leute eine Meinung zu diesem Problem haben und sie auch mitteilen wollen.«

Garfields Blick wanderte über die Gruppe von Zuschauern und sie stellte fest, dass einige von ihnen mit ihren Handys filmten. Das Letzte, was sie brauchte, war, dass ein solches Video im Internet auftauchte und dem Museum mit einem Titel wie Museumswärter schüchtern mutige Schülerinnen ein negative Schlagzeilen bescherte.

»Klingt vernünftig.« Garfield wandte sich wieder an den Wärter. »Dann lassen wir das mit der Aufsichtsperson. Ich denke, wir können das unter uns regeln.«

Wenig später führte sie die beiden zu einer Reihe von Büros im Keller unter dem Innenhof. Es war die Einsatzzentrale der Sicherheitskräfte des Museums und im Unterschied zu den antiken Relikten, die in den Räumen darüber ausgestellt wurden, sah hier alles modern aus und auf dem neuesten Stand der Technik.

»Ihr habt ja nicht unrecht«, sagte Garfield, als sie ihr Büro betraten. »Obwohl ich denke, dass euer Argument noch mehr für die Parthenon-Skulpturen gilt, die in Saal achtzehn gezeigt werden.«

Sydney merkte, dass sie Glück hatten. Die Frau hatte Verständnis für ihre Argumente.

»Sie stimmen uns also zu?«, fragte sie.

»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Garfield. »Denn dass ihr nicht unrecht habt, heißt noch nicht, dass ihr recht habt. Die Welt ist nicht so klar in Gut und Böse aufgeteilt, wie ihr vielleicht glaubt. Die Verwaltung von Kulturgütern ist eine komplexe Angelegenheit, in der es für beide Seiten gute Argumente gibt. Aber ich stimme euch zu, dass man darüber diskutieren sollte.«

»Danke«, sagte Sydney.

»Aber ich will nicht, dass ihr in meinem Museum noch einmal einen solchen Krawall macht. Ihr mögt gute Absichten haben, aber andere, die euch nachahmen, haben das vielleicht nicht. Die Kunstwerke sind unersetzlich und ich bin für ihren Schutz verantwortlich. Verstanden?«

»Ja, Ma’am«, antworteten Sydney und Brooklyn.

Sie durften sich setzen und Garfield schob ihnen einen Notizblock hin.

»Ich muss jetzt zehn Minuten lang Mails beantworten«, sagte sie. »Das gibt euch genügend Zeit, eure Gefühle in Worte zu fassen. Ich werde den Text an die zuständige Person weiterleiten, also schreibt gut und überzeugend. Nicht dass ich dumm dastehe, weil ich euch eine Chance gegeben habe.«

»Verstanden«, sagte Sydney.

»Danke«, sagte Brooklyn.

Sie beugten sich über den Block und Sydney begann zu schreiben. Es fiel ihr nicht schwer, weil ihr das Problem wirklich am Herzen lag. Brooklyn tat so, als würde sie sich mit Sydney besprechen, aber in Wirklichkeit suchte sie das Büro nach einem Computerterminal ab, das sie benutzen konnte. Erschwert wurde das Ganze dadurch, dass Garfield nur wenige Meter entfernt an ihrem Schreibtisch saß.

»Entschuldigung«, sagte Brooklyn zu ihr. »Gibt es hier einen Computer, den ich benutzen kann?«

»Wofür?«

»Ich will etwas im Zusammenhang mit dem Übereinkommen nachsehen.« Brooklyn wandte sich an Sydney. »Von wann ist es noch mal?«

»Die UNESCO hat es 1970 beschlossen«, sagte Sydney.

»Richtig. Ich will nur sichergehen, dass wir den gleichen Wortlaut haben, und mein Handy hat hier unten keinen Empfang.«

»Ihr braucht nicht den genauen Wortlaut«, sagte Garfield. »Die werden schon wissen, was ihr meint.«

»Aber Sie haben doch gesagt, wir sollten uns möglichst überzeugend ausdrücken«, erwiderte Sydney. »Damit Sie nicht dumm dastehen, weil Sie uns eine Chance gegeben haben.«

Garfield seufzte. »Also gut, dann verwende den.« Sie zeigte auf einen Computer auf einem benachbarten Schreibtisch.

Brooklyn setzte sich sofort daran und suchte nach den Informationen. Zugleich steckte sie heimlich einen kleinen USB-Stick in einen entsprechenden Anschluss. Darauf hatte sie zuvor ein Programm geladen, das die Sicherheitsstruktur des Museums umging, sodass sie ein VPN, ein virtuelles privates Netzwerk, einrichten konnte. Das VPN würde ihr erlauben, von einem persönlichen Gerät aus auf das ganze System zuzugreifen, wenn sie nach Schließung des Museums zurückkehrten.

Fünf Minuten später begleitete Garfield die beiden zum Innenhof hinauf.

»Danke, dass Sie uns nicht verpetzt haben«, sagte Brooklyn.

»Hoffentlich bereue ich es nicht«, sagte Garfield. »Ich will nicht noch mal erleben, dass ihr hier Krawall macht.«

»Keine Sorge«, sagte Sydney mit einem verschmitzten Lächeln. »Sie werden nichts mehr von uns mitkriegen.«

3.

BONFIRE NIGHT

SPÄTER AM SELBEN ABEND

Angeführt vom Strahl von Paris’ Taschenlampe, gingen die fünf hintereinander durch den verlassenen Tunnel der Londoner U-Bahn. Sie waren zur längst stillgelegten U-Bahn-Station des Britischen Museums unterwegs. Schon seit 1933 fuhren hier keine Züge mehr. Seitdem war der Tunnel verschieden genutzt worden, unter anderem als militärische Dienststelle, Kommandozentrale und Lagerbereich. Für die City Spies am wichtigsten war, dass der Tunnel im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzkeller gedient hatte. Damals hatte man einen zusätzlichen Tunnel gebaut, der ihn mit dem Keller des Museums verband, sodass man während der Luftschlacht um England Ausstellungsstücke dorthin auslagern konnte.

Jetzt wollten sie sich auf diesem Weg in das Museum schleichen.

»Wie weit noch?«, fragte Sydney.

»Schwer zu sagen«, antwortete Paris. »Es ist schwer, sich im Dunkeln zu orientieren, aber ich denke, wir nähern uns dem Ziel.«

»Wir werden es wissen, wenn wir den Schrei Amun-Res hören«, warf Rio ein.

Kat hob die Augenbrauen. »Du meinst den obersten Gott der ägyptischen Mythologie?«

»Sein Geist spukt angeblich in der stillgelegten U-Bahn-Station«, erklärte Rio.

»Wo hast du das aufgeschnappt?«, fragte Sydney.

»Bei meinen Recherchen für den Einsatz bin ich auf einen großen Blog über paranormale Aktivitäten in der Londoner U-Bahn gestoßen. Man hat Amun-Re schon wiederholt gesichtet und seine Schreie bis nach Holborn gehört. Sogar für das Verschwinden zweier Frauen in den Dreißigerjahren wurde er verantwortlich gemacht. Er entkommt offenbar jedes Mal durch einen Gang, der den Tunnel mit einem Sarkophag im Museum verbindet.«

»Dir ist schon klar, wie lächerlich das ist, ja?«, sagte Kat. »Erstens mal gibt es keine Geister. Und wenn es sie gäbe, gäbe es doch Amun-Re nicht, er ist schließlich eine Gestalt aus der Mythologie. Und selbst wenn es ihn gäbe, wozu sollte ein Geist einen Tunnel brauchen? Könnte er nicht einfach durch die Wand gehen?«

»Ich habe ja nicht gesagt, dass ich das glaube. Ich weiß selber, dass es eine Legende ist.« Rio klang undeutlich.

Sydney richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf ihn.

»Isst du etwa?«, fragte sie ungläubig.

Nach einer kurzen Pause antwortete Rio mit vollem Mund: »Kann sein.«

»Wo hast du das Essen her?«

»Vom Café im Innenhof.« Er schluckte. »Ich habe es in meinen Rucksack gesteckt für den Fall, dass ich Hunger bekomme.«

»Für den Fall? Als hätte es je eine Zeit gegeben, in der du keinen Hunger hattest.«

»Ich esse eben gern. Und? Es ist nur ein Eiersalat-Sandwich, das tut niemandem was.«

»Erzähl das den Einbrechern, die nach dem Diamantenraub in Antwerpen verhaftet wurden«, warf Kat ein.

»Vielleicht kannst du dir mal kurz vor Augen halten, dass einige von uns sich bei der Vorbereitung auf diesen Einsatz nicht alle Details sämtlicher großen Raubüberfälle der Geschichte gemerkt haben«, sagte Rio. »Was war in Antwerpen?«