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Tom Roth

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Beschreibung

Der hochaktuelle Thriller um eines der wichtigsten Themen unserer Zeit: Zwölf Kinder aus zwölf Nationen, Teilnehmer eines Klima-Camps in Australien, werden entführt. Die Drohung der Kidnapper: Einigt sich die Weltgemeinschaft nicht binnen kürzester Zeit auf drastische Klimaziele, stirbt ein Kind. Vor laufender Kamera. Dann Woche für Woche ein weiteres.

Die Welt hält den Atem an.

Kann so erreicht werden, was in unzähligen Versuchen zuvor gescheitert ist? Werden die Regierungen nachgeben, wenn das Leben unschuldiger Kinder auf dem Spiel steht?

Bald wird klar: Bei diesem Wettlauf geht es um weitaus mehr als das Leben Einzelner - und die Zeit läuft ab ...

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumHinweis zu diesem BuchZitatPROLOG14 Tage zuvor1: Heron Island, Queensland, Australien2: BerlinLorenzo – 6 Tage3: Tofino, Vancouver IslandLorenzo – 5 Tage4: Irgendwo5: Gladstone, Australien6: Berlin7: Jahr 2040 – Nordfriesland, Deutschland8: BerlinLorenzo – 4 Tage9: Potsdam10: Im Camp11: Berlin12: BerlinLorenzo – 3 Tage13: Potsdam14: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland15: Göteborg16: Im Camp17: Göteborg18: Gladstone, Australien19: Rom20: Fiskebäck/Göteborg21: Im Camp22: PotsdamLorenzo – 2 Tage23: Fiskebäck/Göteborg24: Berlin25: GladstoneLorenzo – 1 Tag26: Göteborg27: Fiskebäck/Göteborg28: Im Camp29: BerlinLorenzo – 0 Tage30: Rom31: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland32: BerlinHannah – 6 Tage33: Fiskebäck/Göteborg34: Berlin35: Im Camp36: Fiskebäck/Göteborg37: Gladstone38: Berlin39: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland40: Rennell Island, Salomonen41: BerlinHannah – 5 Tage42: Im Camp43: Berlin44: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland45: Berlin46: Glasgow47: Im Camp48: Berlin49: Berlin50: Kampala51: PotsdamHannah – 4 Tage52: Dubai53: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland54: Im Camp55: Berlin56: Glasgow57: Kampala58: Berlin59: Im Camp60: Entebbe, UgandaHannah – 3 Tage61: Potsdam62: Berlin63: EntebbeHannah – 2 Tage64: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland65: Kampala66: Kayabwe67: Berlin68: Kampala69: Entebbe70: Im Camp71: Kalangala Island72: Kampala73: Kampala74: Kampala75: Kampala76: Kampala77: Kampala78: Kampala79: Berlin80: Kampala81: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland82: EntebbeHannah – 1 Tag83: Kampala84: Berlin85: Über den Wolken auf dem Weg nach Gladstone86: Im Camp87: Kampala88: Gladstone89: Glasgow90: Gladstone91: Gladstone92: Washington93: Gladstone94: Australien95: Glasgow96: Im Camp97: Gladstone98: Pazifischer Ozean99: Kampala100: Im Camp101: Pazifischer Ozean102: Washington103: Berlin104: Berlin105: Gladstone106: GlasgowStina – 6 Tage107: Nauru108: Glasgow109: Nauru110: Berlin111: Nauru112: Kampala113: Nauru114: Nauru115: Nauru116: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland117: Nauru118: Jahr 2040 – Sylt, Deutschland119: Washington, 2021120: Jahr 2040 – Sylt, DeutschlandEPILOG: Jahr 2040 – Heron Island, AustralienDANKSAGUNG

Über dieses Buch

Der hochaktuelle Thriller um eines der wichtigsten Themen unserer Zeit: Zwölf Kinder aus zwölf Nationen, Teilnehmer eines Klima-Camps in Australien, werden entführt. Die Drohung der Kidnapper: Einigt sich die Weltgemeinschaft nicht binnen kürzester Zeit auf drastische Klimaziele, stirbt ein Kind. Vor laufender Kamera. Dann Woche für Woche ein weiteres.

Die Welt hält den Atem an.

Kann so erreicht werden, was in unzähligen Versuchen zuvor gescheitert ist? Werden die Regierungen nachgeben, wenn das Leben unschuldiger Kinder auf dem Spiel steht?

Bald wird klar: Bei diesem Wettlauf geht es um weitaus mehr als das Leben Einzelner – und die Zeit läuft ab …

Über den Autor

Tom Roth lebt nahe der Küste und liebt die Berge. Er arbeitete als Journalist, TV-Experte, Dozent und ist heute tätig als Rechtsanwalt und Notar. An der Universität forschte er zum Thema Klimawandel und CO₂-Zertifikate. Seine bislang unter anderem Namen veröffentlichten Thriller sind weltweit übersetzt und erfolgreich.

T H R I L L E R

L Ü B B E

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Dieser Titel wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Einband-/Umschlagmotiv: © Komsan Loonprom/shutterstock.com

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-9453-5

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Dies ist ein Roman. Sämtliche Personen und Geschehnisse sind frei erdacht und entspringen ausschließlich der Fantasie des Autors. Das gilt leider nicht für den Klimawandel, der real ist. Ähnlichkeiten von Namen zu denen lebender Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun,sondern auch für das, was wir nicht tun.

Molière

PROLOG

»Hannah, ganz ruhig. Dir passiert nichts! Bleib einfach gerade sitzen, und schau in die Kamera. Das ist doch nicht so schwer!« Die blecherne Stimme kam aus einem Walkie-Talkie, das jemand mit blauem Klebeband ganz oben an die Innenseite der Glasscheibe geklebt hatte.

Hannah versuchte, ihre Atmung zu beruhigen. Der Südostpassat hatte in den vergangenen Tagen heiße Luftmassen im Gepäck gehabt; die Hitze war tagsüber selbst im Schatten kaum zu ertragen. Aber hier drinnen, in der engen, rundherum verglasten Kabine, hatte die Luft sich noch weiter aufgeheizt. Es herrschten mindestens fünfzig Grad. Schweiß rann ihr über die Stirn. Das Blut pochte in der Beule an ihrer Schläfe, die auch nach Tagen noch höllisch schmerzte. Ihr Mund war staubtrocken. Schon vor zehn Minuten hatte sie einen Schluck Wasser verlangt, doch Nicolas hatte ihre Bitte einfach ignoriert. Nun saß er keine drei Meter entfernt von ihr auf dem Gartenstuhl aus Plastik, in der rechten Hand das andere Walkie-Talkie. Auf dem Kopf trug er die rote Schirmmütze, darüber ein Headset.

»Schau in die Kamera, Hannah!« Jetzt klang er sogar böse.

Angestrengt blickte sie auf das Objektiv der Webcam, die außerhalb der Kabine in Kopfhöhe auf einem Stativ befestigt war. Ihr Auge brannte wie Feuer. Zwar konnte sie mittlerweile wieder besser sehen, aber es war noch immer blutunterlaufen.

»Ich will hier raus!«, stöhnte sie. »Bitte!«

»Halte durch. Noch eine Minute, dann bist du live.«

Sie drehte sich um und sah zu dem roten Gummischlauch, der direkt hinter ihr in die Kabine hineinführte, gerade so, dass die Kamera ihn noch erfasste. Das Loch um den Schlauch herum war sorgfältig mit Silikon abgedichtet.

Langsam wurde ihr schlecht. Es musste an der Gluthitze hier drin liegen. Flehend schaute sie zu Nicolas und faltete die Hände wie zum Gebet. »Bitte lass mich raus!«, flüsterte sie.

»Schatzi, du machst das ganz wunderbar!«, sagte er. Obwohl er versuchte, beruhigend zu klingen, vibrierte seine Stimme vor Nervosität.

Schatzi. Sie war fünfzehn, und er behandelte sie und die anderen wie Kinder.

Draußen kam Hektik auf. Nicolas hob den Zeigefinger und gab ihr damit das Zeichen, dass es endlich losging. Sie rutschte auf dem schmalen Hocker nach vorne.

»Jahrelang habt ihr nicht hören wollen«, begann er, seinen Text aufzusagen. Seine Stimme klang jetzt ungewohnt hart. »Ihr habt das Todesurteil über unseren Planeten gefällt und damit auch über die zukünftigen Generationen.«

Nicolas’ Worte schmerzten ihr in den Ohren.

»Es ist leicht, wenn man das Sterben nicht sieht. Wir haben euch gezwungen hinzuschauen. Wir haben es nicht länger geduldet, dass ihr die Folgen eures mörderischen Handelns weiterhin ignoriert.«

Sie schnappte nach Luft, doch ihr Brustkorb fühlte sich an, als wäre er mit Zement gefüllt. Ihr Herz raste.

Was passierte mit ihr? In ihren Händen begann es zu kribbeln. Das Stativ mit der Kamera schwankte. Ihre Mutter kam ihr in den Sinn. Die letzten Tage hatte sie sie so sehr vermisst. Vor ihren Augen tanzten schwarze Flocken. Was geschah hier nur mit ihr? Konnte sie sich so in Nicolas getäuscht haben?

Sie drehte sich um und starrte erneut auf die schwarze Öffnung des Schlauchs.

In diesem Augenblick schien der Hocker unter ihr zu kippen. Der Boden glühte vor Hitze.

»Wir haben euch die Chance gegeben, eure Fehler zu korrigieren, darüber zu entscheiden, ob unser Planet sterben wird.«

Nun war Nicolas weit entfernt. Sie spürte, wie sie langsam das Bewusstsein verlor.

»Ihr hattet es in der Hand, ob Hannah leben oder sterben wird. Jetzt ist die Zeit abgelaufen.«

14 Tage zuvor

1

Heron Island, Queensland, Australien

»Oh, sind die süß!« Ayumi, die kleine Japanerin, ging in die Hocke und hielt schützend die Hände über die Schildkröten.

»Abstand halten, Leute!«, mahnte Laura.

»Maledetto! Die verdammten Vögel fressen sie alle auf«, rief Lorenzo und versuchte, die Möwen mit seinem Stock zu verscheuchen. Die Vögel kreisten aufgeregt schreiend über ihren Köpfen. Zwei von ihnen waren bereits heruntergeschossen und hatten sich zu Hannahs Entsetzen jeweils eines der frisch geschlüpften Schildkrötenkinder geschnappt.

»Wir lassen sie in Ruhe«, sagte Laura mit einem Lächeln. »Ich weiß, am Anfang fällt es schwer, sich zurückzuhalten, gerade weil die kleinen Babys so hilflos erscheinen. Aber wir alle müssen uns wieder daran gewöhnen, nicht in die Natur einzugreifen. Wir sind weder Schöpfer noch Retter. Die Möwen brauchen Nahrung, um zu überleben, und sie haben auch ihren hungrigen Nachwuchs zu versorgen.«

Gut hundert Meter den Strand hinunter klatschte eine Gruppe Touristen aufgeregt in die Hände; zwei Frauen schwangen ihre geöffneten Regenschirme gen Himmel. Ihnen hatte offenbar niemand gesagt, dass sie sich zurückhalten sollten.

»Normalerweise warten die geschlüpften Schildkröten bis zur Flut am Abend und orientieren sich auf ihrem Weg ins Meer am Mond. Das Unwetter heute Morgen wird sie irritiert haben. Zu dieser Tageszeit ist das Wasser noch viel zu weit entfernt.« Laura zeigte hinaus aufs Riff.

Hannah schätzte sie auf achtzehn, neunzehn Jahre. Sie war blond, sonnengebräunt, redete schnell und mit starkem australischen Akzent. Selbst Hannah, die sehr gut Englisch sprach, musste sich konzentrieren, um jedes Wort zu verstehen. Laura hatte sich ihnen nach dem Frühstück als Mitarbeiterin des Inselressorts vorgestellt und angekündigt, dass sie mit ihnen heute einen Spaziergang hinaus aufs Riff unternehmen würden.

»Mit etwas Glück wird es eine Handvoll bis übers Riff schaffen«, ergänzte Laura. »Die anderen enden als Möwenfutter.« Sie wandte sich wieder gen Meer. »Lasst uns weitergehen!«

Hannah musste schlucken, nur eine Handvoll? Besorgt blickte sie noch einmal zu den Schildkrötenbabys zurück und folgte widerwillig dem Rest der Gruppe. Am liebsten hätte sie alle der kleinen Panzertierchen eingepackt und zum Wasser gebracht.

Nachdem auch die letzten Wolken sich verzogen hatten, schien wieder die Sonne. Hier auf der Südhalbkugel begann der Sommer gerade erst. Das überdimensionierte Thermometer am Eingang des Hotels hatte herrliche vierundzwanzig Grad angezeigt. Das perfekte Wetter für einen perfekten Tag. Zu Hause in Berlin hatte bei ihrer Abreise der Winter vor der Tür gestanden. Auf dem Weg zum Flughafen hatten sie morgens sogar die Autoscheiben frei kratzen müssen. Bei dem Gedanken an Berlin und ihre Mutter empfand Hannah wieder jenes seltsame Ziehen in der Herzgegend. In letzter Zeit war so vieles zwischen ihnen falsch gelaufen …

»Drücken deine Schuhe auch so?« Stina hielt sich an Hannahs Schulter fest und fasste sich an den rechten Fuß. Sie kam aus Kopenhagen und war mit ihren dreizehn Jahren jünger als die übrigen Teilnehmer des Camps. Auf der Überfahrt von Gladstone hierher nach Heron Island hatte sie neben Hannah im Boot gesessen und als eine der Ersten zu den bereitliegenden Spucktüten greifen müssen. Gestern Abend hatte Hannah sie noch getröstet, weil sie schreckliches Heimweh gehabt hatte. Jetzt drückte der Schuh. Während die anderen Camp-Teilnehmer eher genervt von ihr waren, fühlte Hannah sich irgendwie für sie verantwortlich, wie eine große Schwester.

Laura hatte jeden von ihnen im Hotel für die Wanderung mit einem Paar Schuhe und einem langen Wanderstock ausgestattet.

»Besser, der Schuh drückt, als dass das Riff dir die Füße zerschneidet oder du in einen Seeigel trittst«, sagte Hannah und lächelte aufmunternd. »Die laufen sich bestimmt noch ein, mach dir keine Sorgen.«

»Ich mache mir keine Sorgen, ich habe nur Blasen an den Füßen. Und es ist zu heiß«, quengelte Stina, während sie weitergingen.

Hannah sah sich nach Nicolas um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Er schien nicht am Ausflug teilzunehmen. Schließlich wateten sie in das seichte Wasser. Tatsächlich war das Meer hier, vor dem herrlich weißen Sandstrand der klitzekleinen Insel, nur kniehoch.

»Wir gehen jetzt auf dem Dach des Riffs, das die Insel umgibt. Das tiefe Meer beginnt erst an der Riffkante hinter der Bucht.«

Hannah schaute auf ihre Füße. Das grün schimmernde Wasser war kristallklar und erstaunlich warm.

»Auch dieses Riff ist Teil des Great Barrier Reef, von dem ihr bestimmt schon einmal gehört habt. Es ist mit knapp dreihundertfünfzigtausend Quadratkilometern das größte von Lebewesen geschaffene Gebilde auf unserem Planeten. Weiß jemand von euch, welche Lebewesen für die Entstehung verantwortlich sind?«

Gleich mehrere der Mädchen und Jungen um Hannah herum hoben den Arm. Als wären sie hier in der Schule.

»Korallen«, sagte Kamal, ein schmaler Junge mit dunklen Augen und dunklem Haar, von dem Hannah wusste, dass er aus Indien stammte. Sie waren einer nach dem anderen im Camp eingetroffen, und sie hatte bisher noch nicht die Gelegenheit gehabt, mit allen ausführlich zu sprechen.

»Richtig«, lobte Laura. »Viele wissen nicht, dass Korallen auch Tiere sind.«

»Sei vorsichtig mit ihnen!«, hörte Hannah hinter sich jemanden sagen.

Als sie sich umdrehte, sah sie Lorenzo neben Denise, einem dunkelhaarigen Mädchen aus Frankreich. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass Lorenzo zwei der Schildkrötenbabys in der Hand hielt. Offenbar hatte er sie bis hierher ins Meer getragen. Abgeschirmt von Denise ließ er sie sanft ins Wasser gleiten. Hannah schaute zu Laura, die vorne zu den anderen sprach und nichts davon mitbekam. Lorenzo, der mit auf die Knie gestützten Händen beobachtete, wie die Schildkröten rasch davonschwammen, blickte zu ihr auf. Sie hob den Daumen, und er strahlte sie an.

»Könnt ihr dahinten auch diese Koralle hier sehen?«, ertönte Lauras Stimme etwas lauter. Ein halbes Dutzend Köpfe fuhr zu ihnen herum. Offenbar waren sie gemeint gewesen. Hannah spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg.

Erst als die Gruppe vor ihnen sich etwas teilte, konnte Hannah erkennen, dass Laura ein kleines Gebilde in der Hand hielt.

»Ich sagte gerade, diese Steinkoralle hier heißt ›Acropora‹. Und sie ist das beste Beispiel dafür, dass die Natur sich schon selbst zu helfen weiß. Dieses Riff ist wie alle Korallenriffe extrem vom Treibhauseffekt bedroht. Schon eine minimale Erhöhung der Wassertemperatur kann die empfindlichen Korallentierchen erheblich stören. In unserem Labor auf der Insel haben wir es in kleinen Aquarien simuliert: Steigt die Temperatur des Meeres in den nächsten Jahren weiter an, drohen die Korallen massiv abzusterben. Hinzu kommt, dass das CO₂ in der Atmosphäre das Meer versauern lässt, wodurch weniger Kalkschalen aufgenommen werden können.«

Hannah hatte davon bereits gelesen. Auch hatten sie in der Umwelt-AG ihrer Schule darüber gesprochen.

»Aber wie gesagt, die Korallen hier sind schlauer, als man denkt«, referierte Laura. »Bei einer Erwärmung des Wassers gibt die Koralle eine Schwefelverbindung in das Meer ab, die dann in die Atmosphäre aufsteigt und dort für die Bildung von Wolken sorgt. Wolken bedeuten jedoch Schatten. Und Schatten bedeutet eine Abkühlung des Wassers. Das heißt, diese Korallen hier machen sozusagen ihr eigenes Wetter.«

Dann hatten die Korallen vielleicht für das Unwetter gestern gesorgt, dachte Hannah fasziniert.

»Es gibt also immer noch Hoffnung. Nichtdestotrotz müssen wir den Korallen helfen. Indem wir alle uns weiter dafür einsetzen, dass der Treibhauseffekt gestoppt wird.«

Zustimmendes Gemurmel erhob sich.

»Genau deswegen sind wir ja hier«, flüsterte Hannah kaum hörbar.

»Das ist wahr!«, stimmte Lorenzo ihr zu und grinste sie an.

Hannah spürte ein Kribbeln im Bauch, das von einem plötzlichen Frösteln abgelöst wurde. Das Wasser an ihren Beinen schien kälter zu werden, je näher sie der Riffkante kamen.

»Und die zweite große, von uns Menschen gemachte Gefahr für diesen Planeten ist das Plastik«, fuhr Laura fort, während sie eine kleine Wasserflasche aus ihrem Hosenbund zog und in die Luft hielt. »Bis so ein Teil hier abgebaut wird, dauert es vierhundertfünfzig Jahre. Jedes Jahr gelangen zehn Millionen Tonnen Plastik ins Meer. Und die Auswirkungen sieht man dann hier bei uns im Pazifik. Die Schildkröten fressen das Plastik, und es verstopft ihnen den Magen. Die Verdauung des Plastiks bewirkt die Bildung von Gasen, sodass die Schildkröten sich aufblähen und an der Oberfläche treiben, weil sie nicht mehr tauchen können. Dort verhungern sie dann oder sind leichte Beute – samt dem Plastik. Seit über zweihundert Millionen Jahren bevölkern Schildkröten unsere Erde, und heute sind sie vom Aussterben bedroht.«

Hannah spürte, wie Ärger in ihr aufstieg. Die Art von Empörung, die sie veranlasst hatte, an den Freitags-Demonstrationen zu Hause in Berlin teilzunehmen. Das ungute Gefühl, das sich über die letzten Monate allmählich in blanke Wut verwandelt und letztlich dazu geführt hatte, dass sie hier ins Camp gekommen war.

Über die Plastikfrage hatte sie sich zuletzt sogar beinahe mit ihrer Mutter zerstritten, die nicht bereit war, im Haushalt komplett auf Plastik zu verzichten. Genau die egoistische Haltung der Erwachsenen, für die Hannah kein Verständnis mehr aufbringen konnte.

»Passt auf die Korallenbänke auf«, hörte sie Laura sagen. »Und tretet nicht auf die Seegurken!«

Hannah schaute angestrengt auf den Meeresboden. »Wie sieht eine Seegurke überhaupt aus?« Sie hatte den Gedanken laut ausgesprochen.

»Wie eine Wurst mit fiesen Stacheln«, antwortete Stina.

Jetzt, da das Wasser bis zu den Oberschenkeln reichte und sie sich in engen Kurven um die Korallenbänke schlängeln mussten, war Hannah froh über den langen Wanderstock.

»Da sind wir!«, verkündete Laura endlich und deutete vor sich.

Als Hannah zu ihrer Führerin aufgeschlossen hatte, sah sie, wie der Meeresboden vor ihnen plötzlich steil abfiel. Dahinter begann das dunkle Blau des tiefen Meeres. Gerade wollte sie sich bei Laura erkundigen, ob man hier tauchen konnte, als sie im Wasser einen dunklen Schatten bemerkte. Die Sonne spiegelte sich in den Wellen, sodass sie das Objekt wieder aus dem Blick verlor. Sie kniff die Augen zusammen. Da war es wieder! Diesmal deutlich größer. Vielleicht ein Hai, dachte sie.

Sie streckte den rechten Arm aus, um darauf zu zeigen, als plötzlich eine schwarz glänzende Gestalt aus dem Wasser schoss. Bevor sie erkennen konnte, was da direkt vor ihr auftauchte, stieß Laura neben ihr einen Schrei aus. Hannah drehte sich erschrocken zur Seite und sah in das verzerrte Gesicht ihrer Führerin. Langsam folgte sie Lauras ungläubigem Blick und bemerkte den langen Speer, der in Lauras rechter Brust steckte.

2

Berlin

Sie war spät dran. Ihre Füße waren eiskalt. Seit einer Woche schon funktionierte die Heizung nicht richtig. Sie musste dringend mit dem Vermieter sprechen. Altbau hin oder her: Eine einigermaßen warme Wohnung konnte man wohl verlangen. Caroline suchte ihre Sneakers und schlüpfte hinein, obwohl sie noch nicht mit dem Schminken fertig war. Vielleicht lag es auch daran, dass sie Hannahs Zimmer im Augenblick nicht heizte. Leer und kalt lag es dort, am Ende des Flures. Auch wenn sie erst ein paar Tage fort war, vermisste sie sie schon jetzt sehr. Die frühe Trennung von Hannahs Vater Kyle, den ihre Tochter nur alle paar Monate sah, hatte sie beide zusammengeschweißt. Caro und Hannah gegen den Rest der Welt, so war es lange gewesen.

Der Begeisterung darüber, dass Hannah von Life for Tomorrow für das Camp als einzige deutsche Teilnehmerin ausgewählt worden war, war rasch ein flaues Gefühl in der Magengegend gefolgt. Die erst fünfzehnjährige Tochter allein fast fünfzehntausend Kilometer um den Globus zu schicken konnte wohl keiner Mutter gefallen. Aber sie hatte Hannah die Chance natürlich nicht nehmen wollen. Und weil Hannah es sich, ohne zu zögern, zutraute, war sie auch ein bisschen stolz darauf, wie selbstständig und mutig ihr kleines Mädchen war. Überhaupt war Hannah für ihr Alter erstaunlich verantwortungsbewusst.

»Sie hat eine alte Seele«, behauptete Kyle stets mit Verweis auf irgendeinen vorchristlichen englischen Aberglauben.

Hannahs Verantwortungsbewusstsein reichte jedenfalls weit über ihren persönlichen Alltag hinaus. Alles hatte damit begonnen, dass Hannah Vegetarierin wurde und an ihrer Schule eine Arbeitsgemeinschaft für den Umweltschutz gründete. Ihre geliebte »Umwelt-AG«. Sie gehörte zu den Ersten, die auch in Berlin die Freitagsdemonstrationen ins Leben riefen. Seit zwei Jahren engagierte das Mädchen sich nun bereits für den Klimaschutz.

Leider hatten sie beide sich deswegen zuletzt auch immer häufiger in die Wolle bekommen. Als sie in den Schulferien mit ihr nach Fuerteventura fliegen wollte und Hannah sich weigerte, für reinen Urlaubsspaß in ein Flugzeug zu steigen. Als ihre Tochter nicht mehr mit ihrem in die Jahre gekommenen Auto fahren wollte und sie zum Verkauf drängte. Als Hannah von einem Tag auf den anderen jegliches Plastik aus ihrer Wohnung verbannen wollte. Als Hannah ein Kleid, das sie ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, umtauschen wollte, um von dem Geld Secondhandkleidung zu kaufen. Vor allem aber als Hannah begann, in der Schule schlechtere Noten zu schreiben, und schließlich immer häufiger, nicht mehr nur freitags, den Unterricht schwänzte.

Eines Mittags hatte es an der Tür geklingelt, und die Polizei hatte Hannah zu Hause abgeliefert. Sie war komplett mit gelber Farbe beschmiert gewesen. Dreitausendfünfhundert Liter hatte sie zusammen mit Greenpeace-Aktivisten auf den Straßen rund um die Siegessäule verteilt, um unter dem Motto »Sonne statt Kohle« gegen den verschleppten Kohleausstieg zu demonstrieren. Sie hatte Hannah direkt in die Badewanne verfrachtet.

Bei der Erinnerung daran musste Caroline lächeln, auch wenn sie damals ganz anders reagiert hatte. Sie griff nach der Bambus-Dose mit dem Rouge. Garantiert plastikfrei. Erst durch Hannah hatte sie erfahren, dass Kosmetika meist nicht nur in Plastik steckten, sondern oft auch Plastik in den Kosmetika. Mikroplastik. Das waren kleinste Kunststoffteilchen, die am Ende die Weltmeere verschmutzten und zuletzt sogar in die Nahrungsketten gelangten. Sie blickte in den Spiegel und seufzte. Die Frau, die ihr entgegenschaute, war zwar plastikfrei, hatte aber auch schon hübscher ausgesehen. Vor allem sah man ihr die Müdigkeit an.

Sie warf einen Blick aufs Handy. Noch immer keine Antwort. Schon seit vorgestern hatte sie nichts mehr von Hannah gehört. Davor hatte sie beinahe im Zehn-Minuten-Takt Berichte und Fotos aus Australien geschickt. Bilder von türkisblauem Meer und traumhaften Sandstränden. Dann war plötzlich Funkstille gewesen.

Vielleicht machten sie einen Ausflug, und sie hatte dort unten keinen Handyempfang. Oder der Akku ihres Handys war leer. Oder aber, und dies hielt Caro für am wahrscheinlichsten, sie hatten die Telefone im Camp abgeben müssen. Hier in Berlin konnte Hannah sich von ihrem Smartphone gar nicht lösen; man konnte keine Minute mit ihr sprechen, ohne dass sie nebenbei etwas auf ihrem Handy tippte. Und nun, wenn man mal selbst auf eine Nachricht hoffte, blieb es stumm.

Acht Stunden waren sie dort unten voraus, also war es bei Hannah jetzt später Nachmittag. Bestimmt würde sie sich im Laufe des Tages bei ihr melden, spätestens bevor sie schlafen ging. Eigentlich war es ja ein gutes Zeichen. Solange man nichts hörte, war alles in Ordnung.

Caro legte die Armbanduhr an und erschrak, wie spät es schon war. Um neun Uhr musste sie im Sender sein. Sie stürmte aus dem Bad, griff nach Jacke und Tasche, sammelte auf der Kommode im Flur Portemonnaie und Schlüsselbund ein. Dann fiel ihr auf, dass sie ihr Handy im Bad vergessen hatte. Immer noch keine Nachricht von Hannah. Auf dem Weg nach draußen bog sie in die Küche ab und trank den Becher mit dem fast kalten Kaffee in einem Schluck aus.

Ihr Telefon vibrierte kurz. Na endlich, Mädel, dachte sie und merkte, wie ihr augenblicklich leichter ums Herz wurde.

Mit der Tasche in der einen Hand und dem Smartphone in der anderen hetzte sie zur Wohnungstür und legte die Sicherheitskette ab.

Wo bleibst du Caro???? LG Babsi, las sie vom Display, als sie die Tür öffnete, gegen ein Hindernis prallte und dabei einen spitzen Schrei ausstieß. Erschrocken wich sie zurück.

»Verzeihen Sie, wir wollten gerade klingeln. Sind Sie Frau Beck?«

Irritiert starrte Caro auf die beiden Gestalten, einen Mann und eine Frau, die direkt vor ihrer Tür standen.

»Mein Name ist Apel vom Bundeskriminalamt. Und dies ist meine Kollegin Frau Klein.« Beide hielten ihr einen Ausweis entgegen. »Wir würden gern mit Ihnen sprechen.« Der Mann setzte eine betroffene Miene auf. »Es geht um Ihre Tochter Hannah.«

Lorenzo6 Tage

3

Tofino, Vancouver Island

Langsam glitt das Kajak durchs Wasser. Nebel hing in den Wipfeln der umliegenden Wälder und versperrte den Blick hinauf zu den Bergen. Es war ein typischer Novembertag hier an der zerklüfteten Küste des Clayoquot Sound, vielleicht ein paar Grad zu warm für diese Jahreszeit.

Die letzte Stunde auf dem Wasser, die körperliche Anstrengung und die prachtvolle Kulisse auf dem Weg nach »Tuff City«, wie die Surfer den Ort liebevoll nannten, hatten die schlimmen Bilder seines Traums vertrieben, der ihn am frühen Morgen aus dem Schlaf gerissen hatte.

So war er früher aufgebrochen als ursprünglich geplant. Je eher er seine Besorgungen in der Stadt erledigte, desto früher konnte er sich auf den Weg zurück in die selbst gewählte Abgeschiedenheit machen. Vorsichtig näherte er sich der Anlegestelle, legte das Paddel hinter sich ab, löste den Spritzschutz und zog sich auf den Steg.

»Schau an, welch seltener Gast! Marc Ze German«, hörte er eine Stimme vom Ende des Piers. Dort saß der alte Sam. Mit seinem langen, gelblich grauen Bart, den schmalen Augen und der weißen Mähne hätte er gut als Goldsucher des zwanzigsten Jahrhunderts durchgehen können – solange man darüber hinwegsah, dass ihm beide Beine fehlten.

»Lebst du immer noch?«, entgegnete Marc, während er sein Kajak aus dem Wasser hievte.

»›Leben‹ würde ich das nicht nennen, aber ich bin noch nicht tot.«

Erst jetzt roch er den strengen Duft von Marihuana.

»Kannst dein Boot ruhig im Wasser lassen. Das alte Ding stiehlt hier niemand. Ist ja kein Surfbrett.«

Er überhörte den Rat des alten Mannes und schob das Kajak ein Stück hinauf auf den Steg. Dann nahm er den Rucksack aus dem Stauraum. Jeder in Tofino kannte Sam.

»Willst du?«, fragte der und hielt ihm den Joint entgegen.

Er lehnte dankend ab.

»Ist gegen den Phantomschmerz. Du ahnst nicht, wie sehr Beine schmerzen können, die man gar nicht mehr hat. Ist wie mit der Liebe.« Er zog an dem Stummelchen in seiner Hand. »Warst lange nicht mehr hier, Marc.«

Er nickte. »Ich hatte viel zu tun.«

Sam stutzte kurz, dann lächelte er. »Das glaube ich gern. Und wie weit bist du?«

»Wenn man ein Haus baut, ist man niemals fertig.«

»Aber du kannst uns schon ab und zu mal hier unten besuchen. Wir Tofitians werden immer weniger, die Touristen immer mehr.«

»Ich habe dort oben alles, was ich brauche.«

Der Alte lächelte erneut und gab den Blick auf eine große Zahnlücke frei. »Außer Gesellschaft.«

»Ich habe die Bären. Und die Wölfe.«

»Ich würde auch dort oben leben, wenn ich noch Beine hätte. Aber mit dem Rollstuhl fährt es sich schlecht im Regenwald.«

»Vielleicht nehme ich dich mal mit, alter Mann«, sagte Marc und klopfte ihm auf die Schulter.

»Weißt du, wie viel Vielleicht hier in dem Joint steckt? Das ist wahrscheinlich das Übelste an dem Zeug.«

»Also, wenn einer mein Boot stehlen möchte, halte ihn fest, Sam!«

»Kannst dich auf mich verlassen. Vielleicht gehe ich aber auch gleich surfen.«

Marc musste schmunzeln. Seinen Humor hatte Sam mit seinen Beinen nicht verloren.

Er machte sich auf zum Eisenwarengeschäft am Ende der Hauptstraße, wo er mit seinen Besorgungen beginnen wollte. Danach plante er noch einen Besuch bei der Bank und im einzigen Internet-Café von Tofino, um seine E-Mails abzurufen. Außerdem wollte er seine Schwester anrufen, um ihr zu sagen, dass es ihm gut ging. Der letzte Anruf war bereits viel zu lange her; er hatte versprochen, sich regelmäßig zu melden.

Die kleine Stadt erwachte gerade erst. Außer ein paar Surfern, die zu dieser Jahreszeit vermutlich am Chesterman Beach die ersten Wellen des Tages mitnehmen wollten, war kaum jemand unterwegs. Obwohl er tatsächlich länger nicht hier gewesen war, spürte er sofort wieder die Magie, die ihn erfasst hatte, als er vor vielen Jahren für eine Reportage das erste Mal das Ortschild von Tofino passiert hatte.

Umgeben vom Pazifik, den Inseln und Buchten, dem kalten Regenwald und den Bergen, befand sich die kleine Hafenstadt an einem der schönsten Plätze der Erde.

Es war einer der Orte, den man vor anderen geheim hielt, weil man Sorge hatte, dass er seinen Zauber verlor, wenn man davon erzählte – oder aber, dass andere dort hinkamen und ihn durch ihre bloße Anwesenheit veränderten. Dort, wo das Festland von Vancouver Island sich in Hunderte Inseln zerklüftete und der Handyempfang aufhörte, dort begann die Entspanntheit: kein Wunder, dass Tofino früher vor allem eine Hippie-Hochburg gewesen war, ein Paradies für Suchende und Aussteiger – wie ihn.

Der kleine Baumarkt hatte tatsächlich noch geschlossen. Vermutlich war Fred, der Besitzer, selbst noch draußen auf der Jagd nach den besten Wellen oder aber angeln. Marc schaute sich um. In Daisy’s Diner brannte schon Licht.

»Marc Ze German!«, begrüßte Fanny ihn hinter dem Tresen mit einem breiten Lächeln. Ihr gehörte das Diner, in dem es niemals eine Daisy gegeben hatte. »Wir hatten schon Sorge, du wärst da oben in der Wildnis verloren gegangen. Oder zurück nach Deutschland.«

Er nahm am Tresen Platz. Außer ihm waren noch ein Mann in Arbeitskleidung und zwei junge Frauen im Gastraum. Der Arbeiter las Zeitung, die beiden Mädchen schauten müde aus dem Fenster. Auf einem der mannshohen Kühlschränke stand ein Fernseher, in dem Nachrichten liefen.

Fanny goss Kaffee in einen Becher und stellte ihn vor Marc ab. »Was essen?«, fragte sie. Tatsächlich hatte ihn die Fahrt hierher hungrig gemacht. »Ich habe Donuts mit Ahornsirup und Speck. Dazu kann ich dir ein Rührei machen.«

Diesem Angebot konnte er nicht widerstehen. Oben in der Hütte bestand sein Frühstück aus Kaffee, sonst nichts. Seitdem er sich entschieden hatte, Selbstversorger zu werden, gab es für ihn keine Donuts mehr, auch keinen Sirup und keinen Speck.

»Was treibt dich hierher, und dann auch noch so früh?«

»Dein Frühstück«, sagte er, während er einen großen Schluck Kaffee nahm.

»Du Schwindler!«

»Kannst du das lauter machen?«, bat er und zeigte auf den Fernseher. Er hatte kein Handy, weder Telefon noch Internet und besaß auch keinen Fernseher. Wenn auf der Erde Außerirdische landeten, der Dritte Weltkrieg ausbrach oder die Browns den Superbowl gewannen – er würde es nicht mitbekommen. Auch nicht, ob der Krieg in Syrien beendet war. Bei dem Gedanken an Syrien schüttelte es ihn. Er hatte lange nicht mehr daran gedacht, heute wieder vermutlich wegen seines Traums.

Fanny hielt die Fernbedienung in Richtung des Fernsehers und drückte immer wieder auf die Tasten. »Lauter geht nicht, ich glaube, der ist kaputt. Ich muss mich um den Speck kümmern.« Sie legte die Fernbedienung beiseite.

Die Bilder sagten ihm nichts. Irgendwelche Kids demonstrierten irgendwo gegen irgendetwas. There is no Planet B stand auf einem Plakat, das einer der Protestierenden in die Höhe reckte. Während Marc noch über die Bedeutung nachdachte, stellte Fanny ihm einen Teller vor die Nase, der einem Kalorienattentat gleichkam, aber köstlich duftete.

Der Mann in Arbeitskleidung erhob sich, sprach kurz mit Fanny und verließ das Restaurant. Nun waren sie nur noch zu viert. Marc war sich sicher, dass das Diner in zwei Stunden aus allen Nähten platzen würde, wenn die Frühaufsteher vom Strand zurückkehrten und hier mit den Langschläfern um die Plätze konkurrierten.

Nun war im Fernsehen ein Reporter zu sehen, der vor der nachtschwarzen Kulisse einer Stadt in Nahost berichtete.

»Ein Kollege von dir?«, fragte Fanny.

Er zuckte mit den Schultern, was heißen sollte, dass er den Mann nicht kannte. Und dass er auch nicht wusste, ob er überhaupt noch ein Fernsehreporter war. Vielleicht war er ja nur noch eine jüngere Ausgabe von Sam, mit Beinen.

Die Donuts waren hervorragend. Ebenso wie der Kaffee. Kein Vergleich zu dem Koffein-Gebräu, das er sich auf seiner Ofenstelle zurechtkochte.

Missing Kids, Heron Island, Australia, wurde unter dem Bild einer blonden Reporterin eingeblendet. Sie stand an einem herrlich weißen Sandstrand. Über ihr kreisten Möwen.

Das war nicht die Art von Nachricht, die ihn hier am anderen Ende der Welt interessierte. Er hatte eher gehofft, sich auf den neuesten Stand der Weltpolitik zu bringen.

Auch das Rührei war auf den Punkt gestockt, aber noch cremig. Fanny verstand ihr Handwerk. Jetzt hatte sie nichts zu tun und schaute gemeinsam mit ihm auf den Fernsehbildschirm.

»Schreckliche Sache, das mit den Kindern«, sagte sie. »Zwölf Teenager und ihren Betreuer haben die entführt, ein Mädchen, eine einheimische Begleiterin aus dem Hotel, dabei beinahe erschossen. Mit einer Harpune.« Sie schüttelte sich und warf ihr Geschirrhandtuch über die Schulter. Jetzt wurde die Insel im Fernsehen von einem Hubschrauber überflogen. Der Ton war immer noch zu leise.

Marc kniff die Augen zusammen. Heron Island. Die Insel kannte er nicht, aber laut der eben eingeblendeten Bauchbinde lag sie in Australien. In Gedanken ging er die extremistischen Gruppen durch, die in den einzelnen Regionen der Welt ihr Unwesen trieben. Doch in Australien war ihm nichts davon bekannt. Auch nicht von irgendwelchen Unruhen oder ethnischen Konflikten, die hinter so einer Entführung stecken konnten. Australien war auf der Landkarte der Kriege und des Terrorismus für ihn bislang ein weißer Fleck.

»Sie drohen seit gestern damit, jede Woche eines der Kinder zu töten«, sagte Fanny. »Live vor der Kamera!«

Das war eine neue Qualität von Terrorismus, der Bruch eines der letzten Tabus. Der IS hatte bereits live vor der Kamera getötet, und in Kriegen waren Kinder stets die unschuldigsten Opfer. Keiner wusste das besser als er. Aber Kinder live vor der Kamera ermorden?

Plötzlich hatte er keinen Appetit mehr. Er legte die Gabel beiseite und widmete sich ganz den Bildern auf dem TV-Gerät, wo jetzt zu sehen war, wie jemand auf einer Trage in ein Krankenhaus gerollt wurde. Anscheinend die verletzte Begleiterin der Jugendlichen. Dann wurde eine Landkarte eingeblendet, die zeigte, dass die betroffene Insel östlich von Australien lag.

Darauf das Passfoto eines Teenagers. Lorenzo di Matteo, Italien, stand darunter.

»Das ist der Junge, den sie als Erstes umbringen wollen«, kommentierte Fanny. »Wie schrecklich das für die Eltern sein muss!«

Marc wollte es sich nicht einmal vorstellen.

Bei der nächsten Einblendung traf ihn der Schlag.

Gezeigt wurden drei Reihen von Passfotos. Marc sprang auf, worauf der Barhocker, auf dem er saß, krachend umfiel.

Sein Arm fegte den Teller mit dem Rührei vom Tresen.

Fannys erschrockener Aufschrei übertönte das Geräusch zerspringenden Porzellans.

Das dritte Foto von links kannte er.

Es gab keinen Zweifel, denn er hatte es selbst gemacht.

Es zeigte seine Nichte Hannah.

Lorenzo5 Tage

4

Irgendwo

Das kollektive Jammern und Klagen war mittlerweile verstummt. Von der Decke drang ein leises Pfeifen. Obwohl ihr stählernes Gefängnis von innen so massiv wirkte, als wäre es aus einem einzigen Stück gearbeitet, musste es doch zahlreiche Ritze haben, durch die der Wind sich hindurchzwängte und dabei die unheimlichen Geräusche erzeugte. Diese Vorstellung beruhigte Hannah ein wenig. Die Angst davor, hier drinnen elendig zu ersticken, hatte sie auch nach Stunden nicht ablegen können.

Die verbrauchte Luft war warm und schwül, und es roch modrig. Gleichzeitig nahm Hannah einen strengen chemischen Geruch wahr, der ihr das Atmen noch schwerer machte. Vielleicht kam er von der Campingtoilette, die hinter einem Paravent stand. Sie ekelte sich davor. Um sie nicht benutzen zu müssen, hatte sie bisher nichts von dem Wasser getrunken, das sich in zahlreichen Plastikflaschen zwischen ihnen stapelte. Die Kehrseite war, dass sie sich nun dehydriert fühlte. Ihre Lippen und ihr Mund waren wie ausgetrocknet, und sie sehnte sich nach einem Schluck Flüssigkeit. Gleichzeitig knurrte ihr vor Hunger der Magen. Sie hoffte, dass niemand der anderen es hörte. Aber auch essen wollte sie nichts hier drin.

Erst hatten sie sich geweigert hineinzugehen. Doch dann hatten Nicolas und die anderen Männer, die plötzlich aufgetaucht waren, sie mehr oder minder hier hineingeschoben. Ehe sie sich’s versahen, schlossen sich hinter ihnen knarrend die massiven Türen. Lorenzo und der Chinese Li hatten schon vor Stunden versucht, sie von innen zu öffnen, um frische Luft hereinzulassen, doch dies war ein vergebliches Unterfangen gewesen.

Einige von ihnen litten unter Platzangst. Die Französin Denise hatte sogar so etwas wie eine Panikattacke gehabt, geweint, gekreischt und schließlich behauptet, sie bekäme keine Luft mehr. Als sie in ihrer Panik damit begann, auf Nicolas einzuschlagen, hatte er sie grob an beiden Armen gepackt und geschüttelt, sie angebrüllt, ihr am Ende sogar ins Gesicht geschlagen. Da war sie weinend in sich zusammengesunken.

Erst als Hannah und die Japanerin Ayumi sie in den Arm genommen und sanft über ihren Rücken gestreichelt hatten, hatten ihre Atmung und damit auch sie selbst sich langsam beruhigt. Hannahs T-Shirt fühlte sich noch ganz feucht an von den vielen Tränen der Französin. Hannah war selbst nach Weinen zumute, auch wenn sie das nie zugegeben hätte. Sie sehnte sich nach ihrem Bett, nach zu Hause, nach ihren Freunden, ja sogar ein wenig nach ihrer Mutter.

Jetzt lagen sie alle nebeneinander, gebettet auf den Decken, die sie hier vorgefunden hatten. Nicolas hatte die batteriebetriebene Lampe, die nur ein schummriges gelbes Licht lieferte, erst vor einer halben Stunde ausgestellt und verkündet, dass sie alle nun besser ein wenig schlafen sollten. Die Reise würde noch anstrengend werden.

Hannah starrte in die Dunkelheit, die so intensiv war, dass sie noch nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Die trommelnden Geräusche an der Außenhaut interpretierte sie als Regen. Ab und zu hatte sie das Gefühl, dass der Boden unter ihr schwankte, vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein.

Sie schloss die Augen und spielte in Gedanken wie schon so oft die Szene am Flughafen in Berlin ab, die letzte Umarmung ihrer Mutter, ihre letzten Worte, die sie so sehr berührt hatten.

»Hannah, mein Schatz. Ich bin so stolz auf dich!«

Dieser Satz hatte sie in den vergangenen Tagen durch so viele Momente des Zweifels und des Heimwehs getragen. Wie unsinnig ihr auf einmal all die Streitigkeiten vorkamen! Im Nachhinein hätten sie die Zeit miteinander mehr genießen sollen. Obwohl Mama arbeitete, war sie immer für sie da gewesen. Sie hatte ihrer Mutter in den vergangenen Monaten viele Vorwürfe gemacht, sich oft unverstanden gefühlt. Doch jetzt, am anderen Ende der Welt, sehnte sie sich nach nichts mehr als nach ihrer Umarmung.

Hannah wischte sich eine Träne von der Wange. Sie versuchte, an irgendetwas Schönes zu denken. Doch alles, was sie an zu Hause, an Berlin, erinnerte, verursachte ihr nur noch mehr Heimweh. Das letzte Mal hatte sie so schlimmes Heimweh gehabt, als sie mit ihren beiden besten Freundinnen zwei Wochen in einem Klimacamp an einem See in Schleswig-Holstein verbracht und ihr dort ein Junge aus dem Saarland das Herz gebrochen hatte. Sie hatte damals gedacht, der Liebeskummer würde sie umbringen. Jetzt kam ihr diese Vorstellung schon fast lächerlich vor. Was würde sie nicht alles tun, um die Angst, die auch sie beschlich, gegen albernen Liebeskummer einzutauschen! Doch es waren nicht nur die schlechte Luft, das Schwarz vor den Augen und das Gefühl, eingesperrt zu sein, was ihr Angst machte. Es war auch Nicolas’ merkwürdiges Verhalten. Er wirkte auf sie nicht nur nervös und gereizt, sondern geradezu aggressiv. Sollte sie sich in ihm so getäuscht haben?

Mit diesem Gedanken war sie gerade dabei wegzudösen, als sie neben sich ein leises Wimmern vernahm. »Alles okay bei dir?«, fragte sie in die Dunkelheit hinein.

»Ob alles okay ist? Nichts ist okay! Was glaubst du denn?« Es war Stina, die kleine Dänin. Ihr Flüstern wurde von tiefen Schluchzern unterbrochen. »Ich habe solche Angst!«, raunte sie.

»Das musst du nicht«, versuchte Hannah sie zu trösten.

»Das sagst du so einfach! Aber wie, zur Hölle, soll ich hier keine Angst haben?«

»Hör auf zu weinen, denn auch wenn es gerade nicht so scheint, wird am Ende alles gut.« Das sagte ihre Mutter immer zu ihr, wenn sie Probleme hatte, und es half ihr jedes Mal. Allein die Vorstellung daran, wie ihre Mutter diese Worte sagte und ihre warme Hand dabei auf ihren Rücken legte, wirkte beruhigend.

»Ich habe so eine Scheißangst vor Nicolas! Er hat immer so nett getan. Und dann das mit Laura! Hast du gesehen, wie krass sie geblutet hat? Was soll das hier alles? Wo bringen sie uns hin?«

Hannah versuchte, tief Luft zu holen, aber wieder einmal blieb der Atemzug irgendwo auf dem Weg zu ihren Lungen stecken. Sie hatte die Sache mit ihrer australischen Touristenführerin gerade wieder erfolgreich verdrängt. Es war das Schlimmste, was sie in ihrem Leben bislang gesehen hatte. Niemals würde sie Lauras Blick vergessen, als der Speer in ihrer Brust steckte. Überraschung, Entsetzen, Schmerz. All das hatte sie in Lauras Augen gesehen, in einem einzigen Moment. Laura war zusammengesunken, und schon hatte Hannah Angst gehabt, sie würde in dem flachen Wasser ertrinken … wenn sie nicht verblutete. Doch dann waren sie weggebracht worden, und Hannah hatte gerade noch beobachtet, wie eine Gruppe von Touristen vom Strand durch das seichte Wasser zu Laura gelaufen kam.

Sie hatte Nicolas später darauf angesprochen.

»Nicolas meinte, es sei ein Unfall gewesen. Der Speer habe sich aus Versehen gelöst. Er wollte gar nicht schießen.«

»Glaubst du ihm das?«, fragte die Dänin nach kurzer Pause.

Hannah zögerte. »Ja«, sagte sie schließlich, nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Bei ihren Videochats hatte er immer so gechillt, beinahe sanft gewirkt. Hier unten in Australien zeigte er sich jedoch aufbrausend, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief. Vor allem, wenn er länger nichts geraucht hatte.

»Und wo bringen sie uns hin?«

Wieder zögerte Hannah. »Keine Ahnung.«

»Meinst du, sie werden uns was antun?«

»Nein.«

Einen Moment herrschte Stille, und es war wieder nur das Hämmern des Regens auf dem Dach ihres Gefängnisses zu hören.

»Musst du auch so dringend?«, fragte ihre Nachbarin nach einer Weile.

»Auf die Toilette?«

»Ja. Die nicht vorhandene. Ich habe so viel getrunken. Ich will aber wirklich nicht auf dieses widerliche Klo gehen.«

»Deswegen habe ich nichts getrunken.«

»Danke, das hilft mir jetzt sehr weiter.« Stina kicherte. Hannah war froh, sie wieder lachen zu hören.

Sie suchte im Dunkeln nach Stinas Hand und drückte sie, was Stina dankbar erwiderte.

Es dauerte keine Viertelstunde, bis der Händedruck erschlaffte, und kurz darauf hörte Hannah die junge Dänin neben sich gleichmäßig atmen. Stina war eingeschlafen.

Hannahs Gedanken wanderten wieder zu dem australischen Mädchen, das sie über das Riff geführt hatte. Ob Laura noch lebte? Sie hatten alle ihre Handys abgeben müssen, abgesehen davon hätte sie hier drin mit Sicherheit auch kein Netz gehabt. Konnte es wirklich sein, dass es nur ein Versehen gewesen war?

Vom Eingang vernahm sie ein lautes Ächzen, als würde eine der Türen geöffnet. Hannah lauschte in die Dunkelheit. Ein leichter Luftzug zog über ihren Kopf, dann war es wieder still. Hannah spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. War jemand zu ihnen hereingekommen? Was hatte er vor? Oder hatte jemand den Raum verlassen? Sie hob den Kopf. Als Nicolas die Lampe gelöscht hatte, hatte er sich irgendwo dort hinten befunden. Keine Chance, im Dunkeln zu ihm zu gelangen. Aber was, wenn er sie hier allein gelassen hatte? Was, wenn er nicht mehr wiederkam? Wenn er doch absichtlich auf Laura geschossen hatte und vorhatte, sie alle hier drin sterben zu lassen? Wenn das hier ihr stählernes Grab war?

Ihr Herz pochte jetzt wie wild. Sie versuchte, sich zu beruhigen, was ihr in diesem Dunkel kaum gelingen wollte. Im Gegenteil. Die Angst vor Dunkelheit und Enge drückte ihr die Luft ab. Verzweifelt rang Hannah nach Atem, doch die Zwinge um ihren Hals zog sich immer weiter zu.

5

Gladstone, Australien

»Das muss ein Geist sein. Und zwar von der ganz hässlichen Sorte!« Barack nahm die Piloten-Sonnenbrille ab und grinste. »Ich muss Gespenster sehen. Denn der Typ, den ich kannte und der so aussieht wie du, arbeitet bei der New Yorker Polizei, und die interessiert sich wohl kaum für diese Sache hier in Down Under!« Er kam auf ihn zu und umarmte ihn herzlich.

»Wir sind wieder beim selben Verein«, entgegnete Walker. »Das mit dem NYPD hat sich erledigt.« Er schaute an Barack vorbei in den Unterrichtsraum, der zum provisorischen Lagezentrum umgebaut worden war.

»Das weiß ich natürlich«, sagte Barack. »Keller hat mich vorgewarnt, dass du hier auftauchst. Ich war schon den ganzen Tag über ganz feucht im Schritt!« Barack trat zurück und deutete auf die zusammengeschobenen Tische. »Wer hätte gedacht, dass wir es noch einmal an die Uni schaffen, was, Brad?«

Im Raum herrschte rege Betriebsamkeit. Walker zählte auf Anhieb mehr als ein Dutzend Männer und Frauen.

»Die von der Universität haben uns die Räume hier, ohne zu zögern, zur Verfügung gestellt. Schließlich ist die Verletzte eine Studentin von hier. Sie hatte während der Semesterferien auf Heron Island im Naturschutzresort gejobbt. Sie war es, die die Jugendlichen über das Riff geführt hat, als die Schweine zugeschlagen haben. Sie konnte sich gerade noch zurück ans Ufer retten. Gute Nachrichten übrigens: Sie wird es wohl schaffen, sagen die Ärzte.« Barack schaute an Walker herunter und bemerkte erst jetzt die Reisetasche in seiner Hand. »Du bist direkt vom Flugplatz hierhergekommen? Wo wohnst du?«

Brad Walker zuckte mit den Schultern. Er hatte vor dem Abflug keine Zeit mehr gehabt, sich um ein Hotel zu kümmern.

»Dann stell die Tasche erst einmal dahinten irgendwo ab. Ich nehme dich nachher mit in mein Motel. Das ist hier wie bei der Olympiade, Brad. Wir haben Kollegen aus Dänemark, Italien, Deutschland, China, Russland und Japan. Sogar einer aus Indien ist heute angekommen. Der Kerl mit den grauen Haaren dort hinten ist Walter Gilman. Er hat hier die Koordination übernommen. Komm, ich stell dich ihm vor!«

Barack führte ihn zielsicher durch den Raum. Die meisten der Kollegen waren mit Telefonaten beschäftigt, und tatsächlich schnappte Walker Fetzen in den verschiedensten Sprachen auf. Einige standen diskutierend beieinander, andere betrachteten gemeinsam etwas auf einem Monitor. Sie passierten ein Flipchart. Dort hingen die Fotos der entführten Jugendlichen mit Namen. Die australischen Zeitungen hatten sie wegen des Namens des Camps, das unter dem Motto »Life for Tomorrow« stand, nach ihrem Verschwinden die »Tomorrow-Kids« genannt, und die internationale Presse hatte den Ausdruck dankbar übernommen.

Walker blieb stehen. Er zählte dreizehn Bilder.

Barack ging die Reihe durch. »Diego aus Brasilien, Denise aus Frankreich, Lorenzo aus Italien, Hannah aus Deutschland, Stina aus Dänemark, Kito aus Südafrika, Ayumi aus Japan, Kamal aus Indien, Li aus China, Adela aus Tschechien, Sergej aus Russland. Und das ist Morgan aus den USA.«

Walker schaute auf die Fotos. Junge Menschen, die fröhlich in die Kamera schauten. Die Namen konnte er sich sowieso nicht merken.

»Und wer ist das?« Er zeigte auf das Foto eines älter wirkenden Jungen.

»Das ist Nicolas Porté. Er hat das Camp organisiert und ist nun gemeinsam mit den Jugendlichen verschwunden.«

»Also haben wir dreizehn Geiseln.«

Barack packte ihn am Arm und schob ihn weiter zu einer Gruppe von Männern, in deren Gespräch sie einfach hineinplatzten. »Das ist mein FBI-Kollege Brad Walker, von dem ich Ihnen erzählt habe.« Der Älteste der drei wandte sich zu ihnen um. »Und das ist Walter Gilman von der Australian Federal Police«, fuhr Barack fort. »Die haben ein Känguru in ihrem Logo.«

»Nennen Sie mich Walter!« Der Händedruck des Mannes war genauso fest wie sein Blick.

Walker erkannte sofort, dass er es hier mit einem von der alten Garde zu tun hatte.

»Willkommen. Ihr Chef Mr. Keller hat gesagt, Sie sind sein bester Mann.«

Barack setzte einen beleidigten Gesichtsausdruck auf, der sofort einem Lächeln wich. »Und Mr. Keller hat recht«, sagte er.

Walter legte die Stirn in Falten. »Dann können wir Sie hier gut gebrauchen, Mr. Walker.«

»Nennen Sie mich Brad.«

Walter stemmte die Hände in die Hüften und drehte sich zur Wand. Erst jetzt erkannte Walker die riesige Seekarte, die dort hing. An einer Stelle befand sich eine rote Markierung in Pfeilform. An weiteren Stellen im Umkreis waren blaue Aufkleber angebracht.

»Hier sind sie verschwunden«, kommentierte Walter und wies auf den roten Pfeil. »Die blauen Punkte zeigen die Position von Schiffen, die sich zum Zeitpunkt des Verschwindens in der Nähe aufgehalten haben. Frachter, Jachten, Fähren. Soweit wir sie nachträglich verorten konnten.« Er trat ein Stück zur Seite und zeigte auf eine Reihe von Fotos. »Satellitenaufnahmen vom Tag des Verschwindens. Die hat uns das US-Militär zur Verfügung gestellt.« Walker ging näher heran, um etwas zu erkennen. »Und diese Aufnahmen aus dem Weltall haben wir von den Chinesen.« Überwiegend war auf den Fotos Blau zu sehen. Das Meer. »Hier ist eine Liste mit der Funkzellen-Auswertung ihrer Handys. Sie haben alle zur gleichen Zeit aufgehört zu senden, und zwar hier, keine hundert Meter von der Stelle entfernt, an der sie verschwunden sind.«

Walter deutete auf einen Punkt neben dem roten Pfeil. »Keine unbekannten Luftbewegungen zum Zeitpunkt des Verschwindens. Alle Flugobjekte auf dem Radar konnten Linienflügen zugeordnet werden. Von zwei zunächst verdächtigen Flugzeugen war eines ein Insel-Hopper. Und das andere ein Übungsflug der australischen Luftwaffe. Heron Island haben wir abgesucht, zweimal. Was nicht besonders schwer ist, denn die Insel ist kleiner als die Farm meines Schwagers.« Er strich über eine Fläche auf der Seekarte, die Walker jetzt erst als Land identifizierte.

»Und das heißt?«, fragte er.

»Das heißt, wir haben derzeit keine verdammte Ahnung, wo sie hin sind. Geschweige denn, wo sie stecken. Das habe ich auch gerade den Chinesen erklärt.« Walter zeigte auf die beiden Männer, mit denen er sich zuvor unterhalten hatte und die nun einige Meter entfernt standen und gemeinsam mit einem einzigen Smartphone telefonierten.

Walker ging die Wand noch einmal ab und betrachtete die unterschiedlichsten Karten und Dokumente. Vor die Außenwand des Hörsaals hatte man Korktafeln gestellt, auf denen Blätter mit Nadeln befestigt waren. Er war gerade erst fünf Minuten hier, viel zu früh, um sich eine Meinung zu bilden. Keller hatte ihm allerdings eine Akte zum Fall aufs Handy gemailt, die er sich auf dem Flug hierher durchgelesen hatte. Und der Flug war lang gewesen.

Walker wandte sich wieder zu Walter. »Also Sie sagen, normalerweise können sie nicht mit dem Boot weggeschafft worden sein, aber auch nicht mit dem Flugzeug. Und auf der Insel sind sie auch nicht mehr.«

»Wir können allerdings nicht jedes Boot orten. Zwar fliegen wir das Gebiet seit zwei Tagen ab. Doch der Ozean dort ist verdammt groß.«

»Dann bleibt außer einem Boot, das wir noch nicht entdeckt haben, nur noch eine Möglichkeit«, konstatierte Walker.

»Sie meinen, mit dem Hubschrauber? Gut möglich, dass wir die, wenn sie tief fliegen, nicht auf dem Radar sehen können. Aber sie waren auf einer Insel. Wo sollen die hinfliegen? Und sie waren zu dreizehnt plus Kidnapper. So große Hubschrauber finden Sie hier nicht, ohne dass das auffällt.«

Walker schüttelte den Kopf. »Ich meine keinen Hubschrauber«, sagte er und schaute wieder auf die Seekarte. »Haben Sie mal Jules Verne gelesen, Walter?«

6

Berlin

»Beruhigen Sie sich, Mr. Beck! Wir sind auf Ihrer Seite.«

Kyle schaute mit resignierendem Blick zu ihr herüber. Vielleicht hatte er nicht alles verstanden, oder er war unzufrieden mit dem, was die Polizistin zu berichten hatte. Heute erst war er aus London angekommen; so lange hatte er angeblich gebraucht, um sich dort loszueisen, während seine Tochter sich am anderen Ende der Welt in der Hand von Terroristen befand.

»Don’t give me that shit!«, fluchte Kyle leise vor sich hin. Dann legte er seine Hand über die Augen und massierte sich die Schläfen.

»Sie werden verstehen, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind. Das ist eine internationale Angelegenheit mit vielen Beteiligten.«

Auch Caroline schüttelte den Kopf. Wieder überkam sie dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Von einer Sekunde auf die andere war sie hineingeworfen worden, mitten ins Auge des Sturms. Und doch konnte sie nichts tun, als zuzuschauen.

»Interpol, das FBI, Geheimdienste. Soweit wir wissen, sind die alle mit der Angelegenheit befasst. In diesem Moment gibt es ein Treffen in Wien, bei dem auf höchster Ebene die weiteren Maßnahmen koordiniert werden. Und wir vom Bundeskriminalamt werden weiter zuarbeiten, helfen, sie betreuen, wo wir können. Ich verspreche Ihnen, es wird alles unternommen, um Hannah zurückzuholen!« Der Beamte, der sich als Apel vorgestellt hatte, sprach mit warmer, leiser Stimme. Ganz wie ein Pastor.

Sie saßen im Wohnzimmer. Vor ihnen standen vier Becher mit dampfendem Tee, von denen noch niemand einen Schluck genommen hatte. Die beiden Beamten vom BKA waren nun schon zum dritten Mal bei ihr, nachdem sie ihr die Nachricht von Hannahs Entführung überbracht hatten. Am gestrigen Nachmittag hatte sie noch Besuch von einer Seelsorgerin gehabt. Und sie hatten ihr eine Telefonnummer gegeben, die sie rund um die Uhr anrufen konnte.

Vor einer Stunde war dann ihr Ex-Mann Kyle eingetroffen. Hannahs Vater lebte mit seiner neuen Familie in Camden im Norden Londons. In den vergangenen Jahren hatte sich der Inhalt ihrer Gespräche auf Organisatorisches beschränkt. Wann kam Hannah ihn besuchen, wann besuchte er sie? Manchmal flog er nach Berlin und wohnte mit Hannah ein Wochenende im Hotel. Das letzte Mal lag allerdings bereits über ein Jahr zurück. Kyles neue Familie und insbesondere seine neue, deutlich jüngere Frau nahmen ihn sehr in Beschlag.

»Wisst ihr, wer die sind?«, fragte Kyle. Man merkte an seinem Akzent, dass er in letzter Zeit nur noch selten Deutsch sprach.

»Derzeit stehen wir noch ganz am Anfang«, entgegnete die Polizistin. »Wir wissen kaum mehr als Sie aus den Medien. Die Gruppe, die behauptet, die Kinder in ihrer Gewalt zu haben, nennt sich in dem veröffentlichten Video ›Fight for your Planet‹. Ein eher martialischer Name. Bislang ist diese Gruppe noch niemals in Erscheinung getreten.«

»Fight for your Planet«, wiederholte Kyle mit einem bitteren Lächeln. »Sounds ridiculous!«

»Jedenfalls wird das Video sehr ernst genommen, nicht zuletzt, weil die Entführer den einheimischen Guide der Jugendlichen mit der Harpune niedergeschossen haben. Eine neunzehnjährige Australierin. Zunächst war unklar, ob sie es überleben wird. Die Gruppe scheint also durchaus gewaltbereit zu sein.«

»Ich verstehe nicht, warum man sie nicht findet.« Kyle erhob sich und trat ans Fenster. »Das ist ein gottverdammtes Island im Nowhere! Und es sind zwölf Kids. Die können doch nicht einfach verschwinden! Without a trace!«

»Sie haben es doch erklärt«, mischte sich Caroline ein.

»Es ist dort ein riesiger Ozean. Niemand weiß, wohin sie gefahren sind.«

»Was ist mit Bildern von Satelliten?«, hakte Kyle nach.

»Es wird alles unternommen, um sie zu finden. Glauben Sie es mir. Es sind Kinder aus zwölf Nationen betroffen. Aus den USA, China, Japan, Brasilien. Seien Sie versichert, dass sämtliche beteiligten Länder alles tun, was in ihrer Macht steht, um ihre Staatsangehörigen zu finden.«

»Und was tut Deutschland? Hier rumsitzen und Tee trinken?« Kyle lachte verächtlich.

»Kyle! Stop it!« Ihr Ex-Mann war impulsiv, das wusste Caro. Aber sie brauchte seine negativen Vibes nicht. »Es ist nun mal fünfzehntausend Kilometer entfernt geschehen. Was sollen sie da von Berlin aus schon tun?«

»Ja, und was hat unsere Tochter überhaupt fifteen thousand kilometres away from home gemacht? At the end of the world? Tell me! She’s fifteen, Caro! Sie sollte nicht die Welt retten, sie sollte hier sein. Bei dir! Oder vielleicht besser bei mir in London!«

Ihr Kopf schmerzte. Die Beruhigungstropfen, die sie genommen hatte, lösten bei ihr Migräne aus. Oder es war der Stress. Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Das Schlimmste war, dass er irgendwie recht hatte. Hätte sie der Teilnahme an diesem verdammten Camp doch niemals zugestimmt! Vielleicht war sie tatsächlich schuld.

Kyle hob die Arme und fuhr sich mit den Händen durch die leicht ergrauten Haare. »What a nightmare!«, stöhnte er.

Das Räuspern der Polizistin unterbrach die eingetretene Stille. »Wir haben noch eine Bitte«, setzte sie an. »Wir benötigen eine DNA-Probe von Hannah. Haben Sie vielleicht eine Haarbürste, die niemand außer ihr benutzt, oder eine Zahnbürste?«

Die Worte erreichten Caroline nur sehr langsam, als müssten sie erst in die Blase eindringen, in der sie seit der Nachricht von Hannahs Verschleppung lebte. »DNA? Wofür?«, fragte sie leise.

»Benutzt man das nicht, um Leichen zu identifizieren?«, hakte Kyle nach.

»Nicht nur«, mischte sich Kommissar Apel ein. »Die Probenentnahme gehört zum Standardvorgehen bei Entführungen. Interpol hat uns darum gebeten, entsprechende Proben einzusammeln und zu übersenden. Wir bräuchten Ihr Einverständnis.« Er holte einen Klarsichtbeutel hervor und legte mehrere Blätter Papier zusammen mit einem Stift auf den Wohnzimmertisch.«

Caroline beugte sich nach vorne und schaute auf ein Formular mit vielen Zeilen Kleingedrucktem.

»Sie können das in Ruhe durchlesen und mir später geben«, sagte Kommissarin Klein.

Caro schüttelte den Kopf, nahm den Stift und unterzeichnete.

Die Kommissarin schaute zu Kyle, der mittlerweile wie erstarrt mit den Händen in den Hosentaschen vor ihnen stand.

»Ich habe das alleinige Sorgerecht«, erklärte Caro. »Er muss nicht mitunterzeichnen.«

»Gut, dann die Proben.« Kommissar Apel erhob sich. Als er an Kyle vorbeigehen wollte, hob dieser plötzlich die Hand und hielt sie dem Kommissar vor die Brust.

»You don’t think we’ll see her alive again, do you?«

Caroline sprang auf. »Halt die Klappe!«, rief sie in Kyles Richtung. »Sag so etwas nie wieder, hörst du?«

In diesem Moment drang aus dem Flur ein lautes Klingeln.

Kyle trat einen Schritt zurück und gab den Weg frei. Erneut klingelte es.

»Ich glaube, dort ist jemand an der Tür«, sagte die Kommissarin.

Caroline ging in den Flur. »Hannahs Haarbürste finden Sie im Badezimmer. Die große aus Holz. Und die Zahnbürste aus Bambus. Die hat sie hiergelassen und eine frische aus dem Schrank mitgenommen.« Sie deutete zum Badezimmer.

Es schellte ein drittes Mal. Caro fühlte sich, als wankte der Boden unter ihr, als sie zur Haustür ging. Wer konnte das sein? Sie erwartete niemanden. Hoffentlich nicht wieder jemand, der ihr sein Mitleid bekunden wollte. Leid hatte sie dieser Tage genug zu ertragen. So gut gemeint es war, wenn jemand sein Bedauern zum Ausdruck brachte, so wenig half es ihr. Die erschrockenen Blicke ihrer Mitmenschen, die geschockten Reaktionen verrieten ihr vielmehr, wie außergewöhnlich schlimm die Situation war. Was sie brauchte, war ein Engel. Aber die klingelten nicht an Berliner Wohnungstüren.

Sie öffnete, ohne durch den Spion zu schauen, und erstarrte. Dann brach es aus ihr heraus, und sie weinte wie ein Kind. »Marc!«, schluchzte sie, während sie in die Arme ihres Bruders fiel.

7

Jahr 2040Nordfriesland, Deutschland

»Marc Behringer?«

Der Mann in der dick gepolsterten, roten Winterjacke nickte. Auf dem Kopf trug er eine altmodische Fellmütze, die beide Ohren verdeckte. Seine Augen leuchteten im Licht der kalten Sonne hellgrün. Das Gesicht war auffallend hager, aber er machte eher einen durchtrainierten als kranken Eindruck. Vor allem wirkte er deutlich jünger als die sechzig Jahre, die er ihren Unterlagen zufolge alt sein musste.

»Hallo, mein Name ist Susie Reynolds.« Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er ignorierte.

»Und Sie kommen tatsächlich den langen Weg aus Sydney hierher? Wegen eines Hirngespinstes?«

Sie ließ den Arm sinken und überhörte den Seitenhieb. »Jetzt komme ich aus Hamburg.« Sie deutete auf den Multicopter, dem sie soeben entstiegen war und der sich schon wieder auf den Weg zurück zum Festland gemacht hatte.

Behringer schaute ihm kopfschüttelnd hinterher. »Ich hasse diese Dinger, sie sollten wieder verboten werden«, sagte er und griff nach ihrem Roll-Boy. Sofort vibrierte es an ihrem Handgelenk.

»Lassen Sie nur, der fährt von allein!«, erklärte sie.

»Nicht hier. Hier fährt nichts von allein.«

Erst jetzt bemerkte sie, dass um die schmale asphaltierte Stelle herum, auf der sie gerade gelandet war, nichts außer Sand war. Vermutlich hatte er recht. Und ein Luftkissen besaß ihr Koffer noch nicht. Zu teuer für eine junge Journalistin wie sie.

»Kommen Sie!« Behringer drehte sich um und steuerte auf eine der aufgewehten Sanddünen zu.

Susie tippte auf das Display ihres BetterMe. Der Kragen ihrer Jacke schloss sich, und sofort spürte sie an Brust, Bauch und Rücken die Wärme der Thermopacks. Man hatte sie vor dem unwirtlichen Wetter draußen auf den Nordseeinseln gewarnt, weshalb sie ihre Techtwo-Jacke angezogen hatte, aber hier draußen war es sogar noch windiger und kälter als befürchtet. Erst jetzt bemerkte sie den schmalen Durchgang zwischen zwei Sandbergen. Dahinter öffnete sich eine breite Schneise, und nun sah sie zwischen all dem Sand auch so etwas wie eine Straße, auf der ein Auto parkte. Ein Oldtimer. Ihr Blick fiel auf den Auspuff, und sie fragte sich, ob dies hier wohl noch erlaubt war. Selbst im australischen Busch durfte man nicht mehr mit den alten Benzinern fahren.

Behringer hatte ihren Roll-Boy auf die halb offene Ladefläche gehievt und hielt ihr nun die Autotür auf, die man offenbar noch per Hand öffnete. Sie rutschte auf den Sitz und musste beim Anblick des Interieurs unwillkürlich grinsen. Kein Entertainment, kein Kommunikationsdesk, kein Coffeetap, kein Safeguard. Dieses Fahrzeug hatte sogar noch ein großes rundes Lenkrad.

Behringer ließ sich neben ihr auf dem Fahrersitz nieder und starrte sie an.

»Was?«, fragte sie.