Cool in 10 Tagen - Katja Reider - E-Book

Cool in 10 Tagen E-Book

Katja Reider

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Beschreibung

Eigentlich könnte sich die schüchterne Juli wirklich Besseres vorstellen, als sich um den neu zugezogenen Nachbarsjungen August zu kümmern. Aber Julis Mutter verdonnert sie einfach dazu – als Coach und Unternehmensberaterin weiß sie schließlich, wo es langgeht! Herausforderungen angehen, die eigenen Grenzen ausloten und so was. Tja – genau die Dinge, die Juli und August schwerfallen. Aber vielleicht lässt sich das ja ändern? Mit Hilfe von Mamas Job-Broschüren basteln sich die zwei einen straffen Erfolgsplan: Cool werden in 10 Tagen! So schwer kann das ja nicht sein – oder doch?

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Katja Reider

Cool in 10 Tagen

Mit Bildern von Anke Kuhl

Über dieses Buch

Eigentlich könnte sich die schüchterne Juli wirklich Besseres vorstellen, als sich um den neu zugezogenen Nachbarsjungen August zu kümmern. Aber Julis Mutter verdonnert sie einfach dazu – als Coach und Unternehmensberaterin weiß sie schließlich, wo es langgeht! Herausforderungen angehen, die eigenen Grenzen ausloten und so was. Tja – genau die Dinge, die Juli und August schwerfallen. Aber vielleicht lässt sich das ja ändern? Mit Hilfe von Mamas Job-Broschüren basteln sich die zwei einen straffen Erfolgsplan: Cool werden in 10 Tagen! So schwer kann das ja nicht sein – oder doch?

Vita

Katja Reider arbeitete als Pressesprecherin, bevor sie das Schreiben für sich entdeckte. Inzwischen hat sie über 150 Bücher veröffentlicht und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit engagiert sich Katja Reider auch für die Leseförderung. So hat sie 2015 mit anderen Autoren das Kinder-Lesefestival «Hamburger VorleseVergnügen» ins Leben gerufen. Weitere Infos unter www.katjareider.de

 

Anke Kuhl, geboren 1970, studierte Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Seit 1999 arbeitet sie als freie Illustratorin in der Ateliergemeinschaft labor. Für ihre Arbeit wurde sie u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Mit zwei Kindern, Mann und Katze lebt sie in Frankfurt am Main.

1

Das Wichtigste zuerst: Ich heiße Juli. Und ich bin eine Großbaustelle.

Zu der Großbaustelle komme ich später, jetzt geht’s erst mal um meinen Namen. Also ja, ich heiße genauso wie der Sommermonat! Fragt mich nicht, wie Mama darauf gekommen ist! (Papa hatte bei der Auswahl meines Namens bestimmt nicht viel mitzureden.)

«Juli – das ist kurz und einfach», hat Mama mir irgendwann mal erklärt. «Man muss den Namen nicht mühsam buchstabieren, aber er ist trotzdem etwas Besonderes. Außerdem ist der Juli mein Lieblingsmonat!»

Ich sollte wahrscheinlich froh sein, dass Mama den Herbst nicht besonders mag, sonst würde ich heute vielleicht Oktobine oder Novemba heißen.

«Juli, kommst du bitte mal eben?»

Mama formuliert Aufforderungen gern als Frage, aber übersetzt heißt es: Juli, komm mal her! Und trödel nicht unnötig herum! Du weißt, ich bin in Eile.

Mama steht irgendwie immer unter Strom. Sie arbeitet als Coach in einer großen Unternehmensberatung. Also, ‹Coach› hat nichts mit Sofa zu tun, auch nicht nur ein bisschen! Das, an was ihr jetzt denkt, ist eine Couch.

Coaches sind Leute, die anderen Leuten sagen, was sie tun können, um erfolgreicher zu werden. Dabei sind die meisten Menschen, die Mama berät, sowieso schon ziemlich erfolgreich. Mama und ihre Kollegen beraten nämlich vor allem Manager, die eine Führungsaufgabe haben wollen oder mehr Verantwortung oder eine Gehaltserhöhung. Mama scheint da jede Menge Tricks zu kennen, wie die das hinkriegen können. Sie hat jedenfalls immer ganz viele Aufträge, was natürlich schön für sie ist.

Das Problem ist nur, dass Mama auch außerhalb ihrer Arbeitszeit mit der ganzen Coacherei nicht aufhören kann! Sie sagt auch mir ständig, was ich tun könnte, um besser in der Schule zu werden, beliebter, sportlicher, hübscher … Sie erklärt mir sogar, wie ich schöner Flöte spielen, meine Haare bürsten oder mein Zimmer aufräumen könnte! Und das ist ziemlich anstrengend. Also, für mich! Für Mama aber wahrscheinlich auch. (Achtung, gleich komme ich auf das Stichwort vom Anfang zurück! Wisst ihr noch, was es war? Na? – Genau: Großbaustelle!) Ich glaube, Mama betrachtet mich als eine wandelnde Großbaustelle, auf der dauernd etwas schiefgeht und es noch unendlich viel zu tun gibt. Ein Fass ohne Boden sozusagen. Aber Mama gibt nicht auf. Sie ist ehrgeizig, und ich bin ihr Lieblingsprojekt.

Jetzt sitzt Mama vor ihrem Laptop, sie dreht den Stuhl nur minimal in meine Richtung, als ich in ihr Zimmer komme. «Ah, da bist du ja, Juli!»

Ich spüre, wie sie sich auf mich einstellt. Auf dem Laptop würde sie jetzt das Tool Privat. Tochter. Gespräch anklicken und das dafür veranschlagte Zeitfenster einstellen.

«Hast du gesehen?», fragt mich Mama. «Heute sind die neuen Nachbarn eingezogen!»

Ich nicke abwartend. Der Umzugswagen stand ja den ganzen Tag vor dem Haus, und die Männer von der Umzugsfirma sind stundenlang die Treppen rauf- und runtergetrampelt.

«Ich habe die neuen Mieter schon kennengelernt», fährt Mama munter fort. «Sie heißen Sperling. Ein Ehepaar mit einem Sohn, sehr nett! Sie haben mich im Hausflur angesprochen und sich für die Unruhe entschuldigt, die ihr Einzug mit sich bringt.» Mama macht eine kleine bedeutungsvolle Pause, und ich spüre, da kommt noch was … Ich behalte recht.

«Stell dir vor, der Sohn der Sperlings ist sogar in deinem Alter, und weißt du, wie er heißt?» Mama schaut mich erwartungsvoll an.

Soll ich jetzt etwa anfangen zu raten? Ich meine, es gibt hundert Millionen Jungsnamen auf der Welt! Ich bin doch keine Hellseherin. Ich warte also einfach ab. Mama brennt sowieso darauf, den Namen herauszurücken.

«August!», bricht es da schon aus ihr heraus. «Stell dir vor, er heißt August! Wie der Monat! Ist das nicht ein irrer Zufall?»

Meine schwache Reaktion scheint Mama zu enttäuschen, denn sie setzt zu einer Erklärung an. «Verstehst du: DU heißt Juli und ER August! Ist das nicht ein lustiger Zufall?»

Ja, ja, ich hab es verstanden, natürlich schon beim ersten Mal! Und es ist wirklich wahnsinnig lustig! Ich könnte mich kaputtlachen. Irgendwie wird mein Name dadurch noch ein bisschen seltsamer. Hoffentlich kommt der Typ nicht in meine Stufe oder am Ende sogar in meine Klasse. Dann darf ich mir jeden Tag tausendmal anhören, wie irre lustig das ist mit unseren Namen. Irgendwie kann ich diesen August schon jetzt nicht leiden. Dabei kann er ja nichts für seinen Namen. Ich meine, Juli klingt ja wenigstens schön. Aber August zu heißen, das ist wirklich schlimm! Ich würde meine Eltern wegen Körperverletzung verklagen!

Ich glaube, ich habe Mama einen Moment lang nicht zugehört, aber plötzlich horche ich auf.

«… habe ich den Sperlings gesagt, dass du sicher gern bereit bist, August unsere Gegend hier zu zeigen. Damit er sich schneller einlebt.»

Mir fallen fast die Sommersprossen aus dem Gesicht. «Ich soll WAS?»

Mama lächelt beruhigend. «Nun schau doch nicht so entsetzt! Du sollst August nur zeigen, wo die Busse abfahren, wo die Bücherei ist und die Skaterbahn … solche Sachen eben.»

«Und wieso kann er das nicht selber?», frage ich patzig. «Ich meine, das kriegt man doch alles ruckzuck raus!»

«Klar!» Mama nickt. «Aber so ist es doch viel einfacher und dazu netter. Und August ist durch dich dann gleich ein bisschen vernetzt hier im Stadtteil.»

Vernetzt – das ist eins von Mamas Lieblingsworten! Mama muss pausenlos netzwerken. Das heißt, Menschen miteinander verbinden, damit sie sich dann gegenseitig Vorteile verschaffen. Mama nennt so was ‹Win-win-Situationen›, weil beide Seiten dabei ‹gewinnen›.

«Ich habe mit den Sperlings ausgemacht, dass du August morgen Vormittag abholst. Ihr habt ja noch ein paar Tage Ferien. Dann kennt er sich hier schon aus, wenn die Schule wieder startet, okay?»

Das ‹okay?› am Ende hätte Mama sich auch gut sparen können. Denn es ist ja schon beschlossene Sache. Wenn ich jetzt kneife und behaupte, dass ich an meinen letzten beiden Ferientagen tausend bessere Sachen zu tun habe, als mit August durch die Gegend zu ziehen (was nicht der Fall ist), würde Mama so lange auf mich einreden, bis ich keine Gegenwehr mehr leiste. Oder ohnmächtig bin. Oder beides. Also versuche ich es gar nicht erst.

2

Am nächsten Morgen bemühe ich mich, möglichst lange zu schlafen. Ich lasse die Augen fest geschlossen, rolle mich zu einer Art Knäuel zusammen und versuche, die Gedanken, die mir durch den Kopf schießen, zu ignorieren. Aber das ist echt schwer, wenn man eigentlich hellwach ist.

Ich höre Mama draußen herumwuseln. Sie hat schon ihre Büroschuhe an, die mit den hohen Absätzen. Klack-klack-klack machen ihre Schuhe auf dem Parkett.

Jetzt steckt Mama den Kopf in mein Zimmer. «Bist du wach, Spatz?» Das fragt sie immer, wenn sie zur Arbeit geht und ich noch im Bett liege. Und spätestens dann bin ich tatsächlich wach. Ich habe nämlich einen sehr leichten Schlaf, was Mama natürlich weiß. Sie kennt mich ja lange genug. Ich glaube, sie hält es einfach nicht aus, dass jemand (insbesondere ich!) im Bett herum drömelt, anstatt seine Zeit aktiv, zielgerichtet und sinnvoll zu nutzen.

Jetzt tritt Mama an mein Bett und haucht mir einen Kuss auf die Wange. Sie riecht gut, nach Parfüm und ihrer Aprikosen-Hautcreme. Ihre Armreifen klackern leise, als sie mir übers Haar streicht. Ich halte die Augen noch immer fest geschlossen und versuche, gleichmäßig zu atmen. Ich weiß selbst nicht, warum ich mich schlafend stelle. Na ja, eigentlich weiß ich es doch! Ich will nicht, dass Mama mich noch mal daran erinnert, bei Sperlings zu klingeln. Oder mir gar irgendwelche Tipps für mein Treffen mit diesem Nachbars-August gibt. Das wäre ihr zumindest echt zuzutrauen!

Als die Wohnungstür endlich hinter Mama zuklappt, springe ich auf und tappe in die Küche. Auf dem Tisch liegt ein Zettel. Ich seufze, meine To-do-Liste für heute, war ja klar! Die vergisst Mama nie.

Liebe Juli,

bitte denk dran, bei August zu klingeln (spätestens gegen 11 Uhr, falls die Sperlings früh zu Mittag essen).

Heute ist Markt. Bitte besorge Äpfel, Pfirsiche und Bananen!

Bitte guck nach, was du noch für die Schule benötigst: Hefte, Patronen, Stifte, Ordner? Geld anbei

Gruß + Kuss von Mama

Der Frühstückstisch ist noch gedeckt. Ich schiebe Mamas Zettel zur Seite und mache mir ein Brot mit Schokocreme, schön dick natürlich (die Schokocreme, nicht das Brot).

Nachdem ich mir Zähne geputzt und ein bisschen Wasser ins Gesicht gespritzt habe, ziehe ich mich an. So langsam wie möglich. Ich werfe einen Blick auf die Uhr: gleich halb elf. Hilft alles nix, irgendwann muss ich da ja runter!

Ich stecke Mamas Geld und meinen Schlüsselbund ein. Wenn dieser August ein Vollidiot ist, schiebe ich einfach einen angeblichen Zahnarzttermin vor und ergreife die Flucht. Es ist immer gut, einen Plan B in der Tasche zu haben.

Ich schleiche die Treppe runter. Die Sperlings wohnen direkt unter uns. Sicher haben sie heute Morgen schon mit Mamas Stöckelschuhen Bekanntschaft gemacht. Das Haus ist nämlich ziemlich hellhörig. Den Ausdruck benutzt Papa immer: hellhörig. Als wäre ein Haus ein eigenständiges Wesen mit riesigen Ohren rechts und links (lustige Vorstellung, oder?). Dabei ist Papa hier gar nicht mehr mit eingezogen.

Kaum habe ich den Klingelknopf mit dem Schild «Sperling» gedrückt, wird die Wohnungstür auch schon aufgerissen. Hilfe, haben die Sperlings etwa direkt hinter der Tür gestanden?

«G-guten Morgen», stottere ich etwas verdattert. «Ich … äh … bin Juli von oben.» Ich zeige in Richtung unserer Wohnung, so als wüssten die neuen Nachbarn nicht, wo oben und unten ist.

Die Sperlings nicken und lächeln. Sie ähneln einander auf fast verblüffende Weise. Beide sind kaum mittelgroß, tragen blaue Polo-Shirts, haben braunes glattes Haar und eine Brille. Und beide haben einen nahezu identischen freundlich-eifrigen Gesichtsausdruck.

«Hallo Juli!» Frau Sperling reicht mir die Hand und schüttelt sie begeistert. «Ich bin Anne Sperling, und das ist Michael, mein Mann. Es ist wirklich nett, dass du angeboten hast, dich ein bisschen um August zu kümmern.»

‹Angeboten› ist gut, ich hatte ja wohl kaum eine Wahl. Und um August ‹kümmern› möchte ich mich eigentlich auch nicht. Er ist ja kein ausgesetzter Pudel oder gestrandeter Wal oder so was. Himmel, ich würde Mama umbringen, wenn sie so über mich reden würde! Aber vielleicht tut sie das ja? – Lieber nicht drüber nachdenken! Und schon gar nicht jetzt!

«Komm doch rein!» Anne Sperling öffnet die Tür noch ein Stück weiter. «Tut mir leid, wie es hier aussieht!» Sie deutet auf die Kartons, die sich im Flur stapeln. «Wir sind noch am Auspacken!» Entschuldigend lächelt sie mich an.

Ich lächele verdattert zurück. Noch nie hat sich ein Erwachsener bei MIR für Unordnung entschuldigt!

«Der August ist in seinem Zimmer», fährt unsere neue Nachbarin fort. «Ich glaube, er hat dein Klingeln gar nicht gehört.»

Oh doch, das hat er bestimmt, der August! Er hatte nur keine Lust, mir aufzumachen. Ich lege in solchen Situationen auch gern die Ohren an.

Anne Sperling klopft an eine Tür am Ende des Flurs. «August?! Dein Besuch ist da!»

August hat am Schreibtisch gesessen. Jetzt steht er auf und kommt widerstrebend näher. Mama hat richtig geschätzt. Er ist etwa so alt wie ich, also zehn oder elf. Und ich vermute, dass seine Eltern ihm dieses Kennenlernen genauso aufgezwungen haben wie Mama mir. Ich seufze in mich hinein. Echt unfassbar, so als wären wir noch im Kindergarten!!

«Hallo, ich bin Juli!»

«Gus!»

Einen Moment stehen wir unentschlossen voreinander und wissen nicht so recht, ob wir uns zur Begrüßung die Hand geben sollen wie Erwachsene. Stattdessen versenke ich meine Hände lieber schnell in den Taschen meiner Jeans.

«Möchtest du etwas trinken, Juli?», schaltet sich Mama Sperling ein.

Ich schüttele den Kopf. «Nein, danke, ich hab gerade gefrühstückt.»

«Na, dann lass ich euch mal allein.» Augusts Mutter lächelt verschwörerisch und zieht diskret die Tür hinter sich zu.

Am liebsten würde ich hinter ihr herrennen. Ich hab keinen Schimmer, was ich mit diesem August reden soll. Ihm geht es anscheinend genauso. Jetzt schaut er sich sogar suchend in seinem Zimmer um, als wäre in irgendeiner Ecke eine Lösung für unser peinliches Schweigen versteckt.

Mal sehen, wie lange er es aushält.

Nicht allzu lange.

«Und ihr … äh … wohnt also direkt über uns?»

Ich nicke. «Ja, meine Mutter und ich. Vielleicht hast du Mama heute Morgen schon gehört. Sie hat immer so laut klackernde Schuhe an.»

Herrje, was plappere ich denn da für ein Zeug zusammen?

Ich starte einen neuen Versuch. «Wie hast du dich eben genannt? Gus?»

Er lächelt gequält. «Ja, das ist etwas besser als August, findest du nicht?»

Er versucht, seine Worte lässig klingen zu lassen, aber es klappt nicht wirklich. Der Name scheint ein empfindliches Thema zu sein. Kein Wunder!

«Gus ist doch okay», sage ich daher so locker wie möglich. «Aber für deine Eltern bist du weiter August, oder?»

Er seufzt. «Ja, dabei habe ich’s ihnen schon tausendmal gesagt, also, dass sie mich Gus nennen sollen.»

«Warum haben sie dir überhaupt so einen komischen Namen gegeben?»

Er zuckt zusammen. Boah, das war echt dämlich von mir! Voll ins Fettnäpfchen! Ich hab es geschafft, nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Eltern für ihre Namenswahl zu kritisieren. Eine stolze Leistung dafür, dass wir uns erst drei Minuten kennen!

«Ich meinte nur, August heißen ja nicht so viele, oder?», versuche ich zu retten, was zu retten ist.

«Juli aber auch nicht», gibt er zurück.

Okay, das war jetzt nicht schlecht gekontert! Fast gegen meinen Willen muss ich grinsen. «Stimmt!» Ich zögere, aber dann sage ich es doch. «Ist schon irgendwie lustig mit unseren Namen, oder? Ich meine, Juli und August in einem Haus?»

Jetzt grinst er auch, und ich sehe, dass er eine kleine Zahnlücke hat, vorn zwischen den Schneidezähnen. Sieht witzig aus. Fast hätte ich gefragt, ob er damit pfeifen kann, aber dann halte ich doch lieber die Klappe. Ein Fettnäpfchen für den Anfang genügt, selbst für meine Verhältnisse.

Gus sieht mich fragend an. «Wollen wir mal los? Deine Mutter meinte, du könntest mir die Gegend ein bisschen zeigen, damit ich mich nicht ständig verlaufe.»

«Tust du das denn?»

Er nickt. «Ja leider! Ich verlaufe mich schon auf dem Weg zur Bushaltestelle. Ist echt peinlich!»

Ich wende mich zum Gehen. «Ach, da kenne ich Schlimmeres! Also Sachen, die wirklich peinlich sind!»

Er zieht den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke hoch und öffnet die Tür. «Oh, glaub mir: ich auch …!»

3

Wir laufen schweigend nebeneinanderher. Da ich keine Erfahrung als Stadtführerin habe, weiß ich nicht so recht, was von mir erwartet wird.

«Also, das hier ist der Kantweg», beginne ich schließlich etwas unmotiviert. «Da hinten geht dann die Goethe-Allee ab. Und da vorn auf dem Platz ist mittwochs und samstags Wochenmarkt.»

«Mhm», macht Gus desinteressiert und guckt in den Himmel. Wochenmarkt scheint nicht so sein Thema zu sein. Na, dann eben nicht. Kann mir ja egal sein!

Ich lege einen Zahn zu. Gus passt sich meinem Tempo ohne zu maulen an. Wenigstens ist er nicht so ein Schleicher. Mich nervt es immer total, wenn Leute sich im Schneckentempo bewegen und ich ständig einen halben Schritt vor ihnen herlaufe.

«Wäre es okay, wenn wir kurz in das kleine Einkaufszentrum da gehen?», frage ich nach einer Weile. «Ich müsste noch ein paar Sachen für die Schule besorgen.»

So dümpeln wir hier wenigstens nicht nur so ziellos herum.

Gus nickt. «Klar.»

Na dann! Wir überqueren den leeren Marktplatz und steuern die kleine Ladenpassage hinter der Kreuzung an.

Das erweist sich leider als keine gute Idee …

Ich höre das Unheil schon, bevor ich es sehe – dieses nervige Kichern ist unverkennbar! Direkt vor dem Eingang stehen Sarah und Milena aus meiner Klasse. Stine und ich nennen die beiden immer nur ‹Die Quietscheentchen›. Natürlich nur, wenn sie es nicht mitkriegen.

Es ist zu spät, um abzudrehen. Die zwei haben mich entdeckt und winken mir so begeistert zu, als wären wir allerbeste Freundinnen. «Huhuuu Juuuliiii!»

Gus hält sich ein kleines Stück hinter mir, guckt in die Luft und versucht vergeblich, so zu tun, als gehöre er nicht zu mir (tut er ja genau genommen auch nicht). Aber natürlich ist Sarahs Blick gleich an ihm hängengeblieben. Sie mustert ihn neugierig.

«Hi, wer bist du denn?», quiekt sie.

«Ach, das ist …» Ich drehe mich langsam zu Gus um. So als müsste ich erst mal selber nachschauen, mit wem ich gerade unterwegs bin. «Das ist … äh …»

«Ja?», fragt Milena.

Ich spüre förmlich, wie die Quietscheentchen ihre Antennen ausfahren.

«Das ist der Sohn von unseren neuen Nachbarn», erkläre ich umständlich. «Seine Familie ist gestern in die Wohnung unter uns gezogen. Und jetzt zeige ich ihm ein bisschen die Gegend hier.» Himmel, ich spreche über Gus, als wäre er gar nicht da oder würde nur einen seltenen afrikanischen Dialekt verstehen!

Das ist anscheinend auch den Quietscheentchen aufgefallen. Sie nehmen Witterung auf. Sarah hat Gus nicht aus den Augen gelassen. «Kann er auch selber sprechen, der neue Nachbar?»

Spätestens jetzt kann Gus nicht mehr so tun, als wäre er eigentlich nicht da. «Äh … klar», krächzt er und hebt verlegen die Hand. «Hi!»