Corrib Cottage - Iris H. Green - E-Book

Corrib Cottage E-Book

Iris H. Green

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Beschreibung

Nach einem Schicksalsschlag verlässt Maren Hals über Kopf ihr Zuhause im Taunus und zieht in ein Cottage in Connemara. Bald findet sie neue Freunde und einen Job bei einem Reiseunternehmen. Sean ist einer ihrer Chefs und ein bekannter Frauenschwarm. Obwohl seine dreiste Art ihr zuwider ist, kann sie sich seiner körperlichen Anziehungskraft nicht völlig entziehen. Leander aus Wiesbaden entspricht eher ihren Vorstellungen eines neuen Partners und während einer Nordirlandreise kommen sie sich näher. Schließlich muss sie sich entscheiden, ob sie in Irland bleibt oder nach Deutschland zurückkehrt.

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Sie mögen romantische Geschichten, gewürzt mit Humor und einer Prise Erotik?

Wenn Sie bereit sind, Maren auf ihrem Weg zurück ins Leben zu folgen und dabei auch Irland ein wenig besser kennenzulernen (oder wiederzuerkennen), haben Sie mit diesem Buch die richtige Wahl getroffen. Alle beschriebenen Gegenden, geschichtlichen Ereignisse und Legenden gibt es wirklich. Auch die erwähnten Touren könnten Sie genau so durchführen.

Falls Sie nach Irland reisen, werden Sie jedoch vergeblich nach ›The Ferns‹, der >McLeary Nursery< und >Doyle & McLeary Bustours< Ausschau halten. Diese sind, wie alle handelnden Personen und die sie betreffenden Ereignisse, reine Fiktion.

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2020 Iris H. Green

Lektorat: Ursula Hahnenberg www.buechermacherei.de Covergestaltung / Satz & Layout / eBook: Gabi Schmid www.buechermacherei.de

Fotos: Privat

Grafiken: #4663290, #83141218, #201411306, #220858689, #233011940, #240175907, #19604449, #11618793, #100516053, #103089836 | AdobeStock

Druck und Verlagsdienstleister:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

1. Auflage

978-3-347-01478-7 (Paperback)

978-3-347-01480-0 (e-Book)

1.

Maren

Die Fahrt von Dublin nach Curraduff dauerte etwa drei Stunden. Von der Landschaft, die an ihr vorbeiflog, nahm Maren kaum etwas wahr. Entlang der Autobahn gab es auch nicht viel zu sehen. Hier und da ein paar Pferde, Kühe oder Schafe auf von hüfthohen Steinmauern begrenzten Weiden.

Seit sie in Frankfurt in den Flieger gestiegen war, fühlte sie sich wie ein Roboter, der stur seinem Basisprogramm folgte. Eigentlich schon seit Weihnachten, an das sie sich nicht erinnern wollte. An Silvester hatte sie sich in ihrem Bett verkrochen, allein. Es hatte nichts zu feiern gegeben, im Gegenteil. Anfang Januar hatte Maren sich endgültig von Victor verabschieden müssen.

Sie ließ die Innenstadt von Galway buchstäblich links liegen, und fuhr am Browne Roundabout auf die N 59 in nördlicher Richtung. Bald hatte sie die Vorstadthäuser hinter sich gelassen. Als auf der rechten Seite der Ballyquirke Lough auftauchte, dachte sie daran, dass sie den kleinen See für einen Ausläufer des Lough Corrib gehalten hatte, als sie mit Victor das erste Mal diese Strecke gefahren war. Knapp sechs Jahre war das her. Bisher war sie noch nie allein in Irland gewesen.

In Oughterard verließ sie die Nationalstraße und bog rechts ab auf die Glann Road, die zum Ufer des Lough Corrib führte. Am Pine Grove B&B begann sie automatisch die Feldwege auf der linken Seite zu zählen. Wenn sie zur O’ Brian-Farm wollte, musste sie bei neun abbiegen, auch wenn sie lieber geradeaus gefahren wäre. Nur noch anderthalb Kilometer trennten sie von >The Ferns<, ihrem Schneckenhaus, in dem sie sich verkriechen wollte. Niemanden sehen, mit niemandem reden müssen.

Aber zuerst brauchte sie den Schlüssel dazu.

Bei Licht betrachtet war es eine Schnapsidee, eine Kurzschlusshandlung. Welcher Teufel hatte sie geritten, alles hinzuwerfen für ein dreihundert Jahre altes Cottage, das man höchstens finden konnte, wenn man sich hoffnungslos verfahren hatte? Auf genau diese Weise hatten Victor und sie es damals am Ufer des Lough Corrib entdeckt, spontan gekauft und seither ihre Urlaubstage damit verbracht, es zu renovieren.

Sie hatten sich mit ihren Nachbarn angefreundet. Moira und Anton O’Brian waren Mitte fünfzig, ihre Farm war etwa drei Kilometer entfernt, wenn man den Feldweg nahm. Ging man durch das kleine Wäldchen und über eine Schafweide, waren es nur sechshundert Meter. Die beiden kümmerten sich um >The Ferns<, wenn Maren und Victor in Deutschland waren. Im Dezember hatte Maren ihnen einen Umschlag mit schwarzem Rand geschickt. Die Karte darin erklärte nichts außer der Tatsache, dass Victor tot war.

Maren stellte ihren Mietwagen vor dem Gewächshaus der Farm ab, weil sie wusste, dass Moira um diese Zeit meistens mit ihren Setzlingen beschäftigt war. Sie atmete ein paar Mal tief durch, dann stieg sie aus, klopfte an die Tür und trat auch gleich ein. Erdiger Geruch schlug ihr entgegen, vermischt mit dem Duft nach Kräutern. Nach zwei Schritten blieb sie stehen, unfähig, etwas zu sagen.

Moira sah von den Pflanzkästen auf, Überraschung im Blick, streifte ihre Arbeitshandschuhe ab und kam mit raschen Schritten auf Maren zu.

»Maren«, sagte Moira mitfühlend und nahm sie in die Arme.

Ein, zwei Minuten standen sie so, dann fand Maren ihre Stimme wieder. »Ich möchte den Schlüssel für >The Ferns< abholen«, sagte sie.

»Du wirst erst einmal in die Küche kommen und einen Tee mit mir trinken«, sagte Moira und schob sie sanft in Richtung Tür. »Kommst du direkt vom Flughafen?«

»Ja.« Maren deutete auf den Opel, als sie daran vorbei zum Haus gingen. »Den behalte ich nur so lange, bis ich ein eigenes Auto habe.«

»Anton wird dir gern helfen, eins zu finden«, versicherte Moira. »Setz dich, ich kümmere mich um den Tee.« Sie füllte den Wasserkocher und schaltete ihn ein.

Maren war dankbar, dass Moira nicht fragte, was genau passiert war. In Deutschland hatte jeder sie mit dieser Frage überfallen, Nachbarn, Kollegen, die Kassiererin im Supermarkt, der Tankwart. Weil ein gesunder Mann von sechsunddreißig Jahren nicht einfach so stirbt. Moira dagegen wollte wissen, was Maren an Lebensmitteln brauchte, damit sie ihr etwas einpacken könnte.

»Danke, das Nötigste habe ich schon im Supermarkt in Oughterard gekauft. Essen ist zurzeit ziemlich nebensächlich.«

»Das sieht man. Du bist nur noch Haut und Knochen. Übertreib’s nicht.«

Moira stellte zwei Tassen und eine Zuckerdose auf den Tisch, goss kochendes Wasser über die Teebeutel und setzte sich neben Maren an die Stirnseite des Tisches.

»Anton hat in >The Ferns< jede Woche einmal für ein paar Stunden diese neumodischen Dinger eingeschaltet, die gar nicht wie Heizungen aussehen, aber in Nullkommanichts mollige Wärme verbreiten.«

»Infrarot. Der letzte Schrei. Stinkt nicht so wie der alte Heizölkessel.« Maren löffelte Zucker in ihren Tee, rührte um und trank vorsichtig einen Schluck. »Der ist gut.«

Dann stellte Moira doch noch eine Frage: »Wie lange willst du bleiben?«

»Für immer«, sagte Maren leise.

Moira nickte verständnisvoll. »Komm jederzeit herüber, wenn du reden willst. Wir können auch gemeinsam schweigen.«

Maren drückte dankbar Moiras Hand. Nicht ständig über ihren Gemütszustand und das, was geschehen war, sprechen zu müssen, war einer der Gründe für ihre Flucht.

Ein paar Minuten später kam Anton vom Feld. Auch er umarmte Maren, nur kurz aber genauso herzlich wie seine Frau. »Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst«, war alles, was er sagte. Er war kein gesprächiger Typ, aber ein aufmerksamer Zuhörer und geschickter Handwerker.

Zuletzt erzählte Maren den beiden doch noch von dem Tag, als die Polizisten vor der Tür gestanden hatten, drei Tage vor Weihnachten. »Sie haben mich gefragt, ob ich den Baum haben will, der auf dem Dach unseres Autos festgeschnallt war. Der war das Einzige, was bei dem Zusammenstoß mit dem Autotransporter heilgeblieben ist.«

Erst als Maren vor >The Ferns< den Motor abstellte, brach sie in Tränen aus. Die Taubheit, die sie beim Start des Flugzeugs überkommen und die während des Besuchs bei Moira und Anton angehalten hatte, löste sich beim Anblick des Cottages im Scheinwerferlicht von einer Sekunde auf die andere auf. Wie hatte sie annehmen können, der Schmerz über ihren Verlust würde aufhören, wenn sie der vertrauten Umgebung entfloh? Das hier war noch schlimmer. Ihr gemeinsamer Traum von einem Heim.

Victor, am Beginn seiner aussichtsreichen Karriere als Architekt, hatte die Pläne gezeichnet, dem Bauunternehmer gesagt, was erhalten bleiben und was verändert werden sollte. So war ein Anbau für Küche und Bad entstanden, mit einem kleinen Flur dazwischen. Natürlich auf der Rückseite, damit der ursprüngliche Charakter von >The Ferns< erhalten blieb. Er hatte darauf bestanden, dass die neuen Fenster wie die alten aussahen, zweigeteilt, mit Sprossen und Holzklappläden davor, leuchtend blau gestrichen, wie die Fensterrahmen. Das teilweise undichte Schieferdach war durch ein Reetdach ersetzt worden, danach hatten sie eigenhändig die knubbelige Fassade geweißt und eine Menge Spaß dabei gehabt.

Nachdem sie vier oder fünf Taschentücher verbraucht hatte, stieg Maren mit wackligen Knien aus und brauchte drei Versuche, bis der Schlüssel im Schloss steckte. Sie betrat den Hauptraum, schaltete das Licht an und schaute sich um. Links der offene Kamin, davor eine Couch und zwei Sessel, rechts zwei Türen und dazwischen ein fast leeres Bücherregal. Das würde sich ändern, wenn in den nächsten Tagen die Kisten mit ihren Habseligkeiten eintrafen. Die vordere Tür führte in ein kleines Arbeitszimmer und die hintere in ihr Schlafzimmer. Wo einst die Hintertür gewesen war, befand sich der offene Durchgang zum Anbau. Das ehemalige Fenster links davon diente nun als Durchreiche zur Küche und direkt davor stand der Esstisch. Den alten Steinboden hatten sie gereinigt und versiegelt, die Unebenheiten aber weitgehend belassen, zumindest dort, wo keine beweglichen Möbel stehen sollten.

Emotional und körperlich erschöpft, zwang sie sich dazu, ihr Gepäck und die Einkäufe aus dem Auto zu holen. Sie stellte den Koffer vor der Schlafzimmertür ab und verstaute wie in Trance Lebensmittel und Hygieneartikel. Es lohnte sich nicht mehr, den Kamin anzuzünden, weil sie länger bei Moira und Anton geblieben war als ursprünglich geplant. Also trug sie den Koffer ins Schlafzimmer, legte ihn auf eine – Victors – Seite des Bettes und bezog die andere. Sie zog lediglich ihren Schlafanzug aus dem Koffer und kroch unter die Decke.

Mitten in der Nacht wachte sie plötzlich auf, desorientiert. Es war stockfinster und nicht das kleinste Geräusch war zu hören. Panisch streckte sie den Arm aus, doch ihre Hand berührte statt eines warmen Körpers nur etwas Kaltes, Kantiges.

Ihr Koffer. Aufgeklappt, unausgepackt.

>The Ferns.<

Victor war tot.

Seit sechsundvierzig Tagen, die ihr vorkamen wie eine Ewigkeit. In den Nächten jedoch konnte sie ihn neben sich atmen hören, konnte sich einreden, alles sei nur ein Albtraum gewesen. Bis sie die Hand ausstreckte und erkannte, dass sie allein war.

Sie stand auf und rollte sich auf der Couch vor dem Kamin zusammen, weil sie die Leere des Bettes nicht ertrug. Der Leere in ihrem Inneren konnte sie nicht entkommen.

Ihren Freunden in Deutschland hatte Maren ihre Pläne verschwiegen. Dass sie ein One-Way-Ticket gekauft hatte, würden sie früh genug erfahren, könnten sie dann wenigstens nicht mehr zum nächstbesten Psychiater schleppen.

Ihre Kollegin Nina hatte sie gleich nach der Trauerfeier bedrängt, ihre im Herbst eingereichte Kündigung zu widerrufen. »Du brauchst eine Aufgabe, die dich ablenkt«, hatte sie gesagt, »und Stockmann wartet nur darauf, deinen inkompetenten Nachfolger wieder loszuwerden.«

Robert, Reisejournalist und ihr Nachbar, würde erst nach seiner Rückkehr aus Marokko merken, dass sie ihre Wohnung im Taunus samt Einrichtung einem Makler übergeben hatte.

Ihren Schulfreund Carlo, alleinerziehender Vater von Zwillingsmädchen, die mitten in der Pubertät steckten, würde Maren wohl am meisten vermissen.

Im Gegensatz zu Cousine Ingrid, ihrer einzigen noch lebenden Verwandten, und vor allem deren Mann Lothar, der jedem Rock hinterherhechelte.

Im März, sechs Wochen nach Marens Ankunft, sagte Moira bei einem ihrer Besuche auf der Farm: »Ich habe eine Bitte. Könntest du diese Gemüsekisten zu unseren Stammkunden in Oughterard und Maam Cross bringen? Ich muss mich dringend um die Freilandbeete kümmern und mir fehlt einfach die Zeit dafür.«

»Selbstverständlich, Moira. Dann fahre ich wenigstens nicht ziellos durch die Gegend. Sag Bescheid, wann immer du meine Hilfe brauchst. Ihr habt so viel für mich getan.«

Sie strich über das Dach des dunkelroten MINI Coopers, den sie mit Antons Unterstützung gekauft hatte.

Bald belieferte sie zwei- bis dreimal pro Woche verschiedene Restaurants in der Gegend und wurde dafür mit Naturalien entlohnt. Ihr war schnell klargeworden, dass Moira sie mit diesen Aufträgen vor allem aus ihrer Isolation locken wollte, aber sie sprach es nie an.

Es war ein Leichtes, mit den Köchen ein Gespräch über Gott und die Welt zu beginnen. Iren schrieben Gedichte oder Balladen über traurige Ereignisse, sie zerredeten sie nicht. Ihre deutschen Freunde hätten Maren wahrscheinlich ins Kino oder zu Partys geschleppt, um sie >aufzumuntern<, und damit das Gegenteil erreicht.

2.

Jobsuche

Ende Mai hatte Maren das Cottage fertig eingerichtet und sehnte sich nach einer weiteren Beschäftigung. Weniger aus Geldnot, denn der Erlös des zwischenzeitlich erfolgreichen Wohnungsverkaufs, Victors Lebensversicherung und seine Beteiligung an dem Architekturbüro würden etliche Jahre reichen. Aber sie war einfach nicht der Typ, der sich auf Dauer selbst genügte. >Du brauchst Ablenkung<, fielen ihr Ninas Worte ein. Es ging nicht darum, ihren Verlust zu übertünchen oder gar Victor zu vergessen, elf Jahre ihres Lebens in eine Kiste zu packen und den Deckel zu verschließen.

»Du hast zwei Möglichkeiten, Maren Lang«, sagte sie laut. »Du kannst selbst in diese Kiste springen oder du besinnst dich verdammt noch mal darauf, dass du lebst. Du bist es Victor und dir schuldig, das Beste daraus zu machen.«

Der Spiegelschrank im Schlafzimmer bot ein wenig schmeichelhaftes Bild: Nur der Bindegürtel ihrer Schlabberhose verhinderte, dass sie über die schmalen Hüften rutschte, das Shirt hing wie eine Kutte von ihren knochigen Schultern. Wann war sie das letzte Mal beim Friseur gewesen? Sie löste das Haarband, mit dem sie jeden Morgen die inzwischen schulterlangen, brünetten Locken bändigte. Die goldenen Glanzlichter darin waren kaum noch erkennbar. Sie schüttelte den Kopf. »So kannst du dich bei keiner Bank blicken lassen. Niemand stellt eine Vogelscheuche ein. Du brauchst eine Rundumerneuerung.«

Bevor sie es sich anders überlegen konnte, fuhr sie nach Clifden, sagte dem Friseur, sie wolle das volle Programm, inklusive Aufheller, Pflegepackung und Gesichtsmaske. Ja, auch eine Maniküre, aber keinen auffälligen Lack. Füße? Warum nicht, wenn sie schon einmal hier war. Die Kosmetikerin war begeistert, der Friseur auch. Beide verstanden ihr Handwerk.

Anschließend kaufte Maren eine dunkelgraue Stoffhose mit dazu passendem Blazer, eine Jeans, die keine Falten schlug, und zwei Blusen. Das sollte fürs Erste genügen.

Abends stellte sie eine Mappe mit ihren Unterlagen zusammen und fuhr am nächsten Morgen nach Oughterard, fragte in der Bank of Ireland, ob dort Bedarf an einer Anlageberaterin bestand. Der Filialleiter, ein fülliger Mann mit Schnurrbart und Halbglatze, den Maren auf Anfang sechzig schätzte und der gekleidet war, als käme er gerade vom Angeln, bot ihr zunächst Tee und Ingwerkekse an.

»Leider ist das alles, was ich Ihnen anbieten kann, Miss Lang«, sagte er bedauernd. »Zurzeit stellen wir nicht einmal eine Putzfrau ein, geschweige denn eine so hoch qualifizierte Fachkraft wie Sie.«

Er gab ihr die Mappe zurück, in der er dennoch interessiert geblättert hatte, und riet ihr, nach Galway zu fahren.

»Dort gibt es insgesamt fünfunddreißig Niederlassungen«, sagte er, »wovon Sie sich unsere zehn ersparen können. Die AIB besitzt sogar dreizehn Filialen und die anderen sechs Banken insgesamt zwölf. Vielleicht haben Sie bei einer davon mehr Erfolg. Aber erwarten Sie nicht zu viel, momentan brauchen alle Glück bei der Jobsuche.«

Maren bedankte sich und machte sich auf den Weg nach Galway.

Die Fahrt dauerte eine Dreiviertelstunde und sie stellte ihren MINI in das Parkhaus am Spanish Arch. Hier begann die Fußgängerzone, die bis zum Eyre Square führte. Ohne einen Blick in die meist vollgestopften Schaufenster der zahlreichen Geschäfte zu werfen, lief sie zielstrebig die Shop Street hoch.

Schon nach fünf Minuten hatte sie ihr erstes Ziel erreicht: Lynch’s Castle, ein vierstöckiges graues Steingebäude und Sitz der Allied Irish Bank.

Maren dachte kurz daran, was sie über die Lynchs wusste, die einflussreichste Familie Galways. Zwischen 1484 und 1653 stellten sie 83 Bürgermeister in Folge. Es heißt, sie hätten den Begriff >Lynchjustiz< geprägt. Genauer gesagt, James Lynch Fitz Stephen, der 1493 angeblich seinen Sohn Walter eigenhändig aufgeknüpft haben soll. Dieser hatte aus Eifersucht einen spanischen Studenten getötet, war rechtskräftig zum Tod verurteilt worden, aber dem Henker fehlte der Mut, sein Handwerk an einem Mitglied dieser mächtigen Familie auszuüben.

Historisch bewiesen ist dieser Vorfall nicht und >lynchen< bedeutet heutzutage eher, jemanden ohne ein entsprechendes Urteil hinzurichten. Dennoch gibt es an der Seite des Gebäudes das >Lynch Memorial Window< samt entsprechender Gedenkplakette. Tatsache dagegen ist, dass in dem Haus gegenüber Nora Barnacle lebte, bis sie 1904 James Joyce heiratete.

Wenig später saß Maren dem Personalchef der AIB gegenüber, einem hageren Mann mit vollem, fast silbern leuchtenden Haarschopf, der im Gegensatz zu seinem Kollegen in Oughterard wie aus dem Ei gepellt wirkte.

»Nun, Miss Lang, Ihre Referenzen sind beeindruckend«, sagte er. »In den Jahren des >keltischen Tigers< hätten wir Sie mit Kusshand eingestellt, aber die fetten Jahre sind längst vorbei.«

»Wie sieht es in der Immobilienbranche aus?«, fragte sie, weil sie sich im letzten Jahr mit dem Bau, beziehungsweise der anschließenden Vermarktung von Wohnungen und Häusern vertraut gemacht hatte. Victor hatte letzten Herbst mit zwei Kollegen – einem Statiker und einem Innenarchitekten – ein Architekturbüro gegründet, in dem sie sich um Finanzen und Verträge hätte kümmern sollen. Deshalb hatte sie ihren Job bei der Bank in Frankfurt zum Jahresende gekündigt, was ihre Flucht nach Irland vereinfacht hatte. »Es gab doch zu der Zeit in ganz Irland einen Bauboom.«

»Das stimmt, aber wie Sie sich denken können, gibt es jetzt genau deshalb ein Überangebot bei kaum nennenswerter Nachfrage. Die Makler sind froh, einigermaßen über die Runden zu kommen, mit so wenig Personal wie nur möglich.«

Bei der Bank of Ireland und der Ulster Bank lief es auf dasselbe hinaus, ebenso bei Irish Estates, Corrib City Lets und Property Journals, drei der größeren Maklerbüros zwischen Eyre Square und Abbeygate Street.

Die folgenden Stunden verbrachte Maren mit einem Bummel durch die lebhafte Fußgängerzone. Sie blieb hier und da kurz stehen, um einem der Straßenmusikanten zu lauschen, stöberte in Eason’s Bookstore, ohne sich für eine bestimmte Lektüre entscheiden zu können, kaufte nur eine der zauberhaften Engelkarten. Der Spruch darin erschien ihr passend: Treat yourself with kindness, listen to how you feel. Wrap yourself in soft, warm thoughts, for this is your time to heal. Noch war sie weit entfernt davon; die Wunde in ihrem Herzen schmerzte vor allem nachts, weshalb sie öfter auf der Couch als in ihrem Bett schlief.

Im Schaufenster eines der Touristenbüros entdeckte sie ein Plakat, das Tagesausflüge zu den Aran Islands anpries. Die hatten sie und Victor immer mal besuchen wollen, es aber nie geschafft. Kurzentschlossen trat sie ein und erkundigte sich bei einer älteren Frau, auf deren Namensschild >Aoife< stand, nach Einzelheiten.

»Kann ich die Tour auch ohne Busfahrt von hier zum Hafen buchen?«, fragte sie dann. »Ich wohne etwas außerhalb von Oughterard und von dort ist es genauso weit nach Rossaveal wie nach Galway. Dann müsste ich erst eine Stunde später losfahren.«

»Ganz unter uns«, sagte Aoife und beugte sich leicht über den Tresen, »dann müssen Sie gar nicht buchen, zumindest nicht bei uns. Sie können direkt bei >Aran Island Ferries< anrufen und einen Platz auf der Fähre reservieren. Die Rundfahrt über Inishmore ist sowieso nicht im Preis enthalten. Am Hafen von Kilronan warten immer jede Menge Minibusse auf Fahrgäste, da haben Sie die freie Auswahl.«

»Danke für den Hinweis. Bekommen Sie keinen Ärger, wenn Sie potentielle Kunden abweisen?«

»Natürlich nicht. Wir sind in erster Linie zum Beraten hier, nicht zum Verkaufen. Mittlerweile lebt die halbe Insel vom Tourismus, also ist es auf lange Sicht besser, wenn die Leute wiederkommen, weil sie die irische Gastfreundschaft schätzen, als dass man ihnen etwas verkauft, was sie nicht brauchen. Wie gefällt es Ihnen am Lough Corrib? Die Cousine meiner Schwägerin betreibt dort ein B&B, die Grady Lodge. Wäre ein Zufall, wenn Sie bei ihr wohnten, nicht wahr?«

»Das kann man wohl sagen. Tatsächlich kenne ich das Haus, allerdings nur vom Vorbeifahren. Mir gehört >The Ferns<, ich lebe dort seit vier Monaten. Heute habe ich eigentlich versucht, einen Job zu finden, leider erfolglos.«

»Ach – Sie haben Paul Carpenters Cottage gekauft? Es soll ihm ja recht gut gehen in Neuseeland, hat was gemacht aus dem Startkapital, das er Ihnen zu verdanken hat.«

»Das freut mich zu hören.«

»Marjorie, also die Cousine meiner Schwägerin, hat uns erzählt, wie hübsch die alte Bruchbude mit dem neuen Reetdach aussieht und dass Sie jetzt dort eingezogen sind. Tragische Geschichte. Und nun suchen Sie also einen Job? Warum in Galway?«

»Weil es hier eine Menge Banken gibt. Leider braucht keine davon eine Anlageberaterin, schon gar keine deutsche. Und in der Immobilienbranche sieht es nicht besser aus. Ich werde mir also etwas anderes einfallen lassen müssen. Das Tourist Board sucht nicht zufällig noch Mitarbeiter?«

Es war ein spontaner Einfall, nicht wirklich ernst gemeint. Vielleicht lag es daran, dass Aoife sie nur knapp hatte wissen lassen, dass sie ihre Lebensumstände kannte, ohne näher darauf einzugehen. Ihre hart erkämpfte, oberflächliche Gelassenheit war noch immer schnell dahin, wenn sie sich veranlasst sah, über Victors Unfall reden zu müssen.

»Kommt ganz darauf an, was Sie machen wollen«, antwortete Aoife zu ihrer Überraschung. »Bürojobs sind dünn gesät, aber es werden oft Leute gesucht, die vor Ort Besucher empfangen, zum Beispiel in Dan O’Hara’s Heritage Center oder Aughnanure Castle, was beides in Ihrer Nähe liegt. Die Bezahlung ist natürlich bescheiden und es wird erwartet, dass Sie auch für Ordnung und Sauberkeit sorgen. Weil es aber sehr viele deutsche Touristen gibt, die nicht alle gut Englisch sprechen, stünden Ihre Chancen vielleicht gar nicht so schlecht. Ich gebe Ihnen mal die Telefonnummer der Zentrale, ein Anruf kann ja nicht schaden.«

Sie rief eine Seite in ihrem Computer auf und schrieb etwas auf einen Zettel, den sie Maren reichte.