Countdown to Kill - Lauren Rowe - E-Book
SONDERANGEBOT

Countdown to Kill E-Book

Lauren Rowe

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Er glaubt, die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Er glaubt, die Frau an seiner Seite zu kennen. Doch sie ist nicht die, die sie vorgibt zu sein.Und sie hat einen kaltblütigen Plan ...Der erste sexy Thriller von der Autorin der SPIEGEL-Bestsellerreihe »The Club«

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.piper.deÜbersetzung aus dem Amerikanischen von Christina KagererISBN 978-3-492-97991-7© Lauren Rowe 2015Titel der amerikanischen Originalausgabe:»Countdown to Killing Kurtis«, SoCoRo Publishing 2015Übersetzungsrechte vermittelt durch The Sandra Dijkstra Literary Agency

© der deutschsprachigen Ausgabe:Piper Verlag GmbH, München 2018Covergestaltung: zero-media.net, MünchenCovermotiv: FinePic®, MünchenDatenkonvertierung: Fotosatz Amann, MemmingenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Inhalt

Cover & Impressum

Mein Kopf schlägt ...

Du bist so hübsch ...

Die Sekretärin im ...

Du bist so ...

Mommy ist im ...

Die Krankenschwester nickt ...

Mommy und Daddy ...

Kurtis lacht, als ...

Es ist jetzt ...

Ich sitze an ...

Meine Damen und ...

Charlene Ann … McEntire ...

Heb dein Kinn ...

Ich liege auf ...

Sehen wir uns ...

Oh … hallo ...

Es ist später ...

Ich werde aus ...

»O Kurtis«, sage ...

Ich verstehe immer ...

Als ich von ...

Die Busfahrt nach ...

Ich genieße es ...

Ich habe eine ...

Ich schrecke aus ...

Nach meiner fürchterlichen ...

»Kurtis?«, rufe ich ...

»Hallo, Mildred«, zwitschere ...

»Wer ist er?« ...

Das Licht, das ...

Obwohl ich in ...

»Hallo, Süßer«, sage ...

Während der ganzen ...

Dass Wesley vor ...

Ich bin es ...

Ich werde brutal ...

Vor Kursbeginn kommt ...

Als Wesley das ...

»Du bist verheiratet?« ...

Mein Kopf knallt ...

Ich stehe vor ...

Was zum Teufel ...

Als Kurtis nach ...

Ich habe die ...

Meine Damen und ...

Würdest du mir ...

Hier ist die ...

Wo ist er ...

Daddys Brief liegt ...

Epilog

Danksagung

KAPITEL 1

Hollywood, Kalifornien, 1992

20 Jahre alt

1 Tag bis zum Killing-Kurtis-Tag

Mein Kopf schlägt gegen die Wand, während Kurtis stöhnend und grunzend mit mir schläft. Ich spüre, dass er kurz vor dem Höhepunkt ist und nicht mehr lange an sich halten kann.

»Baby«, stöhnt er mit zittriger Stimme.

Ich drehe das Gesicht zu seinem Ohr und ziehe scharf die Luft ein. Dabei versuche ich, meinen Atem so abgehackt und verlangend klingen zu lassen, als könne ich mich selbst kaum noch unter Kontrolle halten. Natürlich, liebster Ehemann, bringst nur du das kleine Mädchen mit den großen Augen in mir zum Vorschein, das Mädchen, das an Happy Ends und Seelenverwandtschaft glaubt. Ich verdrehe die Augen, während mein Kopf wieder mit einem lauten Schlag gegen die Wand kracht.

Meistens genügt es, Kurtis ins Ohr zu stöhnen, um ihn zum Orgasmus zu bringen. Aber nicht dieses Mal.

Poch, poch, poch. Mein Kopf schlägt weiterhin gegen die Wand unseres Hotelzimmers.

»O Kurtis«, rufe ich und lasse meine Stimme so erregt wie möglich klingen. Und weil Kurtis so darauf abfährt, wenn ich mit meinem texanischen Akzent spreche, lege ich die Lippen an sein Ohr, atme aus und flüstere in meinem schönsten Slang: »Grundgütiger, Liebster.«

Das sollte genügen.

Ich warte.

Er stöhnt und grunzt wie ein Schwein im Dreck, lässt sich aber immer noch nicht gehen. Meine Güte, es sieht so aus, als müsste ich mich heute Abend etwas mehr anstrengen, um meinen dämlichen Ehemann zum Höhepunkt zu bringen. Ich gebe einen gequälten Laut von mir, als würde ich vor Lust explodieren, und beiße ihm dann – nur um sicherzugehen – fest ins Ohrläppchen.

Ja, das hilft. Halleluja. Kurtis gibt einen Schrei der Erleichterung von sich, auf den ich mit meinem typischen Stöhnen, das ihm signalisiert, dass ich ihn ja so liebe, reagiere. Und weil das hier meine letzte Vorstellung ist und ich fest daran glaube, dass man alles zu einem guten Abschluss bringen sollte, täusche ich den besten Orgasmus meines Lebens vor. Ich strecke den Rücken durch und stöhne vor angeblicher Lust so laut auf, wie ich kann.

Ich grinse in mich hinein. Ich hätte Schauspielerin werden sollen. Moment – ich bin ja Schauspielerin. Und eine verdammt gute noch dazu. Meine Bestimmung ist es, auf den Kinoleinwänden der ganzen Welt gesehen zu werden.

Kurtis wird still. Sein Körper ist schlaff. Seine Augenbrauen, seine Brust und seine Wangen sind schweißbedeckt. Wenn ich meinen Ehemann nicht so hassen würde, fände ich ihn tatsächlich attraktiv – ziemlich attraktiv sogar.

Ich lächle meinen lieben Mann verträumt an und denke an morgen – wenn er endlich tot sein wird.

»Du bist fantastisch, Baby«, sagt Kurtis und grinst mich dümmlich an.

»O Kurtis«, erwidere ich. In einem plötzlichen und unerwarteten Anfall von ehrlicher Freude werfe ich den Kopf zurück und lache laut auf. Morgen ist endlich Killing-Kurtis-Tag, und ich kann es kaum noch erwarten.

Kurtis gibt mir einen Kuss auf die Nase. »Ich liebe dich, Baby.«

»Ich liebe dich auch, Kurtis«, antworte ich. Und das stimmt. Ich liebe Kurtis wirklich – wenn man Liebe mit diesem schwer zu erklärenden Gefühl von Erwartung und Sehnsucht beschreibt, das einen überkommt, wenn man die Tage, die Stunden und schließlich die Minuten zählt, bis der Geliebte kalt und tot unter der Erde liegt, wie er es verdient. Das ist wirklich aufregend, und wenn ich ehrlich bin, törnt es mich auch total an. Nach einem qualvollen Jahr minus einen Tag des Wartens darauf, dass sein Schicksal ihn endlich einholt, bin ich so nah dran. Dass sein Abschied von dieser Welt so kurz bevorsteht, macht mich unglaublich an. Plötzlich küsse ich meinen Ehemann stürmisch auf den Mund, und er steckt seine Zunge in meinen.

»O Baby«, murmelt er, und sein muskulöser Körper reagiert sofort auf meine überraschende Einladung. »Noch mal?«

»Noch mal«, flüstere ich.

Der Mistkerl kann genauso gut mit einem Lächeln in seinem dummen, verlogenen Gesicht über den Jordan gehen.

KAPITEL 2

Kermit, Texas, 1982

10 Jahre alt

3552 Tage bis zum Killing-Kurtis-Tag

»Du bist so hübsch, meine Butterblume«, sagt Daddy zu mir und streicht mir das Haar aus den Augen. »Wenn du auf einem Zaun säßest, würden die Vögel dich füttern.« In den zehn Jahren meines bisherigen Lebens ist noch kein einziger Tag vergangen, an dem Daddy diese Worte oder irgendeine Variation davon nicht zu mir gesagt hat. Er sitzt auf der Kante meines Kinderbettes und deckt mich zu. Mommy schläft am anderen Ende des Gangs schon auf ihrer Matratze und stinkt nach Whiskey – wie immer. »Du bist das hübscheste kleine Mädchen auf der ganzen Welt«, schmeichelt Daddy mir und betont jedes Wort, indem er mit der Fingerspitze an meine Stirn tippt. »Du darfst dich im Leben immer nur mit dem Besten zufriedengeben, Butterblume. Wenn mir jemand diesen Rat gegeben hätte, als ich zehn war, sähe mein Leben jetzt vielleicht anders aus.«

Ich frage mich, ob das bedeutet, dass er bereut, mich bekommen zu haben.

Daddy muss den besorgten Blick in meinen Augen gesehen haben, denn sofort streichelt er mir sanft über die Wange und sagt: »Aber ich würde nichts anders machen, Butterblume, denn der liebe Gott hat mir dich geschenkt. Und du bist alles, was ich zum Glücklichsein brauche.«

Ein breites Grinsen legt sich auf mein Gesicht.

»Du verdienst nur das Allerbeste.«

Immer, wenn Daddy seine Aus-Charlie-Wilbers-Tochter-wird-etwas-werden-Rede hält, was oft vorkommt, ist es an mir, meine Faust als Zeichen uneingeschränkter Solidarität und gemeinsamer Zukunftsvorstellungen in die Luft zu strecken. Und ich verpasse meinen Einsatz nie.

»Nur das Beste für Charlie Wilbers Tochter«, sage ich.

Ja, das habe ich schon tausendmal von Daddy gehört: »Nur weil Charlie Wilber mit einer saufenden, herzlosen, nichtsnutzigen Ehefrau, die nicht den leisesten Hauch von Klasse besitzt, in einem Wohnwagen festsitzt, heißt das nicht, dass Charlie Wilbers Tochter das gleiche Schicksal ereilen wird. O nein, Charlie Wilbers Tochter wird etwas Richtiges lernen und ein bedeutender Mensch werden.«

Daddy hatte nicht nur für seine Tochter große Pläne, sondern auch für sich selbst. Er hat davon geträumt, ein weltbekannter Minigolfplatz-Designer zu werden. Aber leider sind die Dinge nicht so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hat – dank der unzähligen Arschlöcher, die es auf der Welt gibt. »Ich habe jeden Penny des Erbes meines guten alten Onkel Ray – Gott hab ihn selig – dafür ausgegeben, mir ein tolles Stück Land an der Route 291 zu kaufen – du kennst doch den langen Abschnitt in der Wüste, oder? Dort wollte ich den besten Minigolfplatz bauen, den die Welt je gesehen hat.« Aber dank dieser Möchtegern-Napoleons in der Planungsabteilung, von denen jeder einzelne strohdumm ist und nur darauf aus, über andere zu bestimmen, wurden die Pläne für Daddys Minigolfplatz auf Eis gelegt, und er musste sich schließlich mit der bitteren Wahrheit abfinden, dass er niemals aus Kermit, Texas – achthundertdreiundvierzig Einwohner – rauskommen wird.

Aber immer, wenn ich Daddy traurig anschaue, weil aus seinem Leben nicht das geworden ist, was er sich erträumt hat, versichert er mir schnell, dass alles Gottes Plan ist. »Aber das ist schon okay, Butterblume, denn meine größte Errungenschaft im Leben bist du.«

Und bei diesem Teil von Daddys Geschichte weise ich normalerweise immer darauf hin, dass es vielleicht doch noch nicht zu spät ist, um Daddys Träume wahr werden zu lassen.

»Nein, Butterblume«, antwortet Daddy dann immer. »Als ich mit siebzehn Jahren direkt hinter dem achtzehnten Loch auf Walts Minigolfplatz mit dem schärfsten Mädchen von Winkler County geschlafen habe, musste ich herausfinden, dass sich die Trajektorie des gesamten Lebens eines Mannes mit einer kleinen Ejakulation ändern kann.« Daddy lacht immer, wenn er das sagt, und ich stimme in sein Lachen mit ein, obwohl ich gar nicht weiß, was eine Trajektorie, geschweige denn eine Ejakulation ist.

Als Daddy das erste Mal von dem ungeplanten Baby im Bauch meiner damals sechzehnjährigen Mutter gehört hat, hat er sich tatsächlich gefreut. Er hat sofort erkannt, dass die kleine Kaulquappe, die da heranwächst, ihn zum ersten Mal im Leben richtig glücklich machen kann. Er hätte eine richtige Familie, die er lieben und sein Eigen nennen kann und die er mit teuren Geschenken überschütten kann. »Ich habe mir gedacht, wenn ich schon so jung anfange, Kinder zu kriegen, kann ich genauso gut zwölf bekommen und mir meine eigene Armee zusammenstellen für den Fall, dass die Russen uns angreifen.« Bei dem Teil mit den Russen fängt Daddy immer an zu lachen, und ich lache mit ihm, obwohl mich diese Bemerkung ehrlich gesagt zu Tode ängstigt.

Die abendliche Routine ist heute nicht anders als sonst. Nachdem Daddy mir sagt, wie hübsch ich bin, und mich daran erinnert, dass ihm die Arschlöcher dieser Welt bei jeder Gelegenheit Steine in den Weg gelegt haben, fragt er mich wie immer, wie mein Tag gelaufen ist.

»Na ja«, antworte ich. »Kennst du diesen dreckigen kleinen Hund, der bei Mrs Miller und ihrem bekloppten Enkelsohn in dem Wohnwagen mit der verrosteten Fliegengittertür lebt? Also dieser verrückte Hund ist ausgebüxt und rumgerannt wie ein Eichhörnchen bei einem Waldbrand. Und da es heute so wahnsinnig heiß war, habe ich ihm Wasser gegeben und ein bisschen mit ihm gespielt.« Ich seufze bei der Erinnerung daran – ich liebe Welpen und kleine Kätzchen und einfach alles, was ein Fell hat. »Aber nach einer Weile«, fahre ich fort, »habe ich gehört, wie Mrs Millers bekloppter Enkelsohn ihn aus dem Wohnwagen heraus gerufen hat. Also habe ich den kleinen Kerl zu ihm gebracht, und der Junge war wirklich dankbar, seinen Hund wiederzuhaben.« Ich erröte bei der Erinnerung daran, wie der kleine Junge mich angeschaut hat, als wäre ich ein wunderschönes Gemälde. »Und Daddy, der Junge hat gesagt, dass ich das schönste Mädchen bin, das er in seinem ganzen Leben gesehen hat.«

»Natürlich hat er das gesagt«, erwidert Daddy. »Niemand ist hübscher als du, Butterblume.«

Ich seufze laut auf. Ich weiß, ich sollte mich darüber freuen, dass ich diesem dummen Jungen den Tag gerettet habe, indem ich ihm seinen Hund zurückgebracht habe (und weil ich so verdammt hübsch bin), aber ich kann nur daran denken, dass ich schon immer selbst einen kleinen Hund oder eine kleine Katze haben wollte, damit ich hier nicht so alleine bin. Aber wegen Mommys Allergien können wir kein Haustier haben.

Wenn man vom Teufel spricht: Gerade kommt Mommy an die kleine Küchenzeile herangewankt. Sie trägt immer noch ihre Kellnerinnenuniform von der Arbeit, und ihre Haare sehen aus, als wäre sie gerade knapp einem Tornado entkommen.

Mommy starrt Daddy und mich einen Augenblick lang ohne ein Wort zu sagen an, lehnt sich gegen die Küchenzeile, und wir starren zurück. Schließlich gähnt sie und reißt den Mund dabei so weit auf, dass ich bis in ihr Innerstes sehen kann. Dann holt sie sich ihre Whiskeyflasche aus dem Regal und schenkt sich ein großes Glas ein. Als das Glas voll ist und schon fast überläuft, grunzt sie wie ein Schwein und schwankt mit ihrem Drink zurück ins Schlafzimmer.

Als Mommy außer Sichtweite ist, brechen Daddy und ich in schallendes Gelächter aus.

»Verdammt«, sagt Daddy durch sein Lachen hindurch. »Sie sieht aus, als sei sie von einem hässlichen Baum gefallen und hätte auf dem Weg nach unten jeden Zweig mitgenommen.«

Ich halte mir die Hand vor den Mund, um mein Lachen zu dämpfen, aber es hilft nichts. Daddy ist einfach zu witzig.

»Und voll wie eine Haubitze«, fügt Daddy immer noch lachend hinzu, und ich nicke wie eine Wackelkopfpuppe. »Deine Mommy hat sich wirklich verändert, seit ich sie vor zehn Jahren hinter dem achtzehnten Loch flachgelegt habe. Damals war sie eine Perle im Plüschkissen.«

»Armer Daddy«, sage ich. »Mommy ist anscheinend wirklich ein anderer Mensch geworden.«

»Das kannst du laut sagen. Und diese Frau kann sich vielleicht beschweren, sage ich dir«, fügt er noch hinzu.

»Diese Frau würde sogar meckern, wenn Jesus Christus persönlich vor ihr stehen und ihr einen Fünf-Dollar-Schein geben würde.«

Daddy wirft seinen Kopf in den Nacken und lacht laut auf. »Ja, das würde sie.«

Ich strahle ihn an. Ich liebe es, wenn ich Daddy zum Lachen bringen kann.

Als Daddy sich schließlich zusammenreißen kann und sich die Tränen aus den Augen wischt, blickt er mich an, als wäre ich ein Eis an einem Sommertag. Ich weiß, dass er sich gerade denkt, was wir zwei doch für ein gutes Team sind, und das lässt mein Herz vor Freude schneller schlagen.

»Was hast du denn heute gelesen?«, will Daddy wissen.

Seit Daddy es sich zur Aufgabe gemacht hat, mich zu Hause zu unterrichten, lese ich normalerweise ein Buch pro Tag. Auch wenn Daddy tagsüber kaum da ist, um auf meine Ausbildung zu achten, kümmert er sich doch jeden Abend darum, wie ich vorangekommen bin (und das ist mehr, als ich von Mommy behaupten kann).

»Heute habe ich Kaltblütig gelesen«, antworte ich.

Daddy strahlt mich an. »Ah, Truman Capote. Das ist ein gutes Buch, oder?«

»Ja.«

»Wusstest du, dass dieses Buch alleine das komplette True-Crime-Genre erschaffen hat?«

Ich schüttle den Kopf.

»Also, wenn dir dieses Buch gefallen hat, dann lies als nächstes Helter Skelter«, sagt Daddy.

Ich nicke euphorisch, auch wenn ich noch nie von dem Buch gehört habe. Aber der Titel gefällt mir – er hört sich lustig an.

»Ich will, dass du morgen in die Bücherei gehst und es dir ausleihst«, sagt Daddy.

»Das mache ich, Daddy.«

»Du musst immer zusehen, dass du dich weiterbildest, Butterblume.«

Ich nicke. »Jawohl.«

»Es liegt an dir, dein Gehirn mit großen Gedanken zu füllen anstatt mit durchschnittlichem, kleingeistigem Scheiß.«

Ich nicke wieder und schaue ihn ernst an, damit er weiß, dass ich ihm aufmerksam zuhöre. »Ja, Daddy.«

»Deshalb unterrichte ich dich zu Hause. In der Schule sagen sie dir nämlich nur, was du tun und lassen sollst, und sie bringen dir bei, so zu denken wie jeder andere. Aber du und ich, wir sind nicht wie die anderen. Was denkst du, wie habe ich mir alles beigebracht, was ich weiß?«

»Du hast es dir selbst beigebracht.«

»Verdammt richtig. Ich habe nie einen kleingeistigen Lehrer gebraucht, der in einem Klassenzimmer festsitzt. Wenn ein Lehrer ein Teleportationssystem erfinden oder den besten Minigolfplatz der Welt entwerfen könnte, denkst du dann nicht, dass er genau das tun würde? Oder würde er weiterhin in einem Klassenzimmer rumsitzen und Multiple-Choice-Tests austeilen?«

Ich nicke und gebe ein »Pfft« von mir, damit Daddy weiß, dass ich nichts von irgendeinem kleingeistigen Lehrer habe, der in einem Klassenzimmer Multiple-Choice-Tests austeilt.

»Du kannst alles erreichen, was du dir in den Kopf setzt – alles.«

»Ja, Daddy.«

»Lass dir nie von jemandem sagen, was du tun kannst oder nicht.«

»Nein, Daddy.«

Aus dem Schlafzimmer ertönt ein Stöhnen. »Charlie!«, ruft Mommy. »Bring mir die Flasche.« Daddy verdreht die Augen und blickt mich an. Ich erwidere seinen Blick. Mommy ist das Kreuz, das wir gemeinsam zu tragen haben. Als Daddy aufsteht, um sich um Mommy zu kümmern, drehe ich mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf die Seite. Ich bin das glücklichste Mädchen auf der Welt, weil ich so einen gut aussehenden und klugen Vater habe, der mich über alles liebt.

KAPITEL 3

18 Jahre und 6 Tage alt

735 Tage bis zum Killing-Kurtis-Tag

Die Sekretärin im Vorzimmer von Kurtis Jackmans Büro ist steinalt und klingt, als würde sie zwei Schachteln Zigaretten am Tag qualmen. Die Frau ist total unbeeindruckt, als ich mit zuckersüßer Stimme sage: »Ich bin hier, um Mr Kurtis Jackman zu sehen.« Aber als ich hinzufüge, dass Johnny aus dem Club mich geschickt hat, antwortet sie sofort. »Mr Jackman wird Sie in ein paar Minuten empfangen.«

Zehn Minuten später stehe ich persönlich vor dem Mann in seinem chaotischen Büro. Er sitzt hinter einem großen Mahagoni-Schreibtisch und schaut aus dem Fenster, während er telefoniert. Er ist ungefähr doppelt so alt wie ich, wahrscheinlich im Alter meines Vaters, aber größer und muskulöser, als Daddy es je war. Und er trägt einen schicken, schwarzen Anzug mit lila Krawatte, der bestimmt ein Vermögen gekostet hat.

Kurtis’ Gesicht ist ziemlich attraktiv, muss ich zugeben – eine markante Kinnpartie und stechende, dunkle Augen –, aber in dem Moment, in dem ich ihn ansehe und merke, wie er gestikuliert und ins Telefon bellt, fast als würde er so tun, als wäre er groß und wichtig, weiß ich sofort, dass Mr Kurtis Jackman sich überhaupt nicht groß und wichtig und attraktiv findet. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass Mr Kurtis Jackman tief unter seinem schicken Anzug und der lila Krawatte denkt, dass er klein und hässlich und ein Niemand ist.

Kurtis’ Büro quillt über vor Videokassetten und Casanova-Magazinen, gerahmten Filmplakaten mit vollbusigen Frauen und Bildern von ihm selbst mit – wie ich vermute – berühmten und wichtigen Leuten, auch wenn ich keinen davon erkenne. Der Stil seines Büros schreit förmlich danach, gemocht zu werden – genau wie die Erscheinung des Mannes selbst. Ich muss mich nur hier umsehen und habe keinen Zweifel daran, dass Kurtis ein Mann ist, der sich danach sehnt, von schönen Menschen gemocht zu werden. Gut, dass ich so verdammt schön bin.

Ich beschließe, mich auf den Moment vorzubereiten, in dem Kurtis mich zum allerersten Mal sieht. Mit hochgezogener Augenbraue und geschürzten Lippen setze ich einen extrem gelangweilten Gesichtsausdruck auf. Ich gehe sogar so weit, frustriert zu seufzen, als würde ich sagen wollen: »Wann hört dieser Blödmann endlich auf zu telefonieren und meine kostbare Zeit zu verschwenden?«

Noch vor zwei Minuten – bevor ich Mr Kurtis Jackman zum ersten Mal gesehen habe – dachte ich, meine beste Strategie wäre Demut und Bescheidenheit. Aber ein Blick auf diesen Mann, wie er schon im Sitzen Eindruck schinden will, und ich weiß sofort, dass Demut und Bescheidenheit hier fehl am Platz sind.

»Hallo-hallo.« Anscheinend hat Mr Kurtis Jackman sein Telefonat beendet und redet jetzt mit mir. Natürlich ist mir nicht aufgefallen, dass er fertig ist, weil ich aus dem Fenster auf etwas viel Interessanteres als ihn geschaut habe. Aber da das hier sein Büro ist und da Johnny aus dem Club mich hergeschickt hat, um Kurtis direkt zu treffen, lasse ich mich dazu hinab, ihn anzublicken. Und als ich das tue, sieht er mich an, als wäre ich ein besonderes Geschenk Gottes, das ihm direkt aus dem Himmel geschickt worden ist.

»Hallo, Süße«, sagt Kurtis verführerisch zu mir, als würde er versuchen, ein Kätzchen vom Baum zu locken. »Ich bin Kurtis Jackman.« Er steht auf und hält mir seine Hand hin.

Höflich mache ich einen Schritt nach vorn und lege meine Hand in seine.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr Jackman.« Überrascht stelle ich ein Kribbeln fest, als sich unsere Hände berühren. Ich ziehe meine Hand zurück und achte darauf, dass meine Handfläche langsam an seiner entlanggleitet. »Johnny aus dem Club hat mich gebeten, direkt hierherzukommen und mich mit Ihnen zu treffen«, sage ich. »Aber ich weiß überhaupt nicht, warum.« Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln, als würde ich mich daran erinnern, wie Johnny mich gestern angehimmelt hat.

»Bitte setz dich.« Er deutet auf den Stuhl gegenüber von sich.

Ich setze mich, recke das Kinn und halte die Augenlider gesenkt – ich bin mir der Tatsache bewusst, dass ich in dieser Position besonders gut aussehe. Ich seufze – nur ganz leise, um den Eindruck eines Mädchens zu erzeugen, das total unbeeindruckt ist, aber trotzdem die Höflichkeit besitzt, es nicht zu zeigen.

»Willst du ein Wasser?«, fragt Kurtis.

»Nein danke. Aber sehr nett von Ihnen.«

»Also, wie lange tanzt du schon im Club?«

»O Gott, nein, Mr Jackman«, sage ich lachend und schüttle den Kopf. »Ich bin keine Tänzerin in Ihrem Club. Natürlich nicht.« Ich winke ab, als hätte er mir gerade vorgeschlagen, paniertes Hähnchen zum Frühstück zu essen.

»Ach so? Was bist du dann?«

»Ich bin Schauspielerin«, sage ich. »Und zwar eine verdammt gute. Es ist meine Bestimmung, eine berühmte Schauspielerin zu werden, die vom Kinopublikum auf der ganzen Welt bewundert wird.«

Ein breites Grinsen legt sich über sein Gesicht. »Ist das so?« Er lehnt sich zurück und betrachtet mich.

»Ja, Sir«, sage ich und strecke mein Kinn nach vorne. »Darauf können Sie wetten.«

Kurtis beugt sich vor und sieht mich an, als wäre ich ein köstliches Steak. »Wie heißt du, Süße?«

Ich stütze die Ellbogen auf seinen Schreibtisch, beuge mich ebenfalls nach vorne und lächle ihn verschwörerisch an. Dann sage ich ganz langsam, als würde ich ihm ein schmutziges Geheimnis verraten, das nur er erfahren darf: »Mein Name ist Butterblume.«

Kurtis’ Blick wandert zu meinem Mund. »Butterblume«, wiederholt er und lässt das Wort über seine Lippen gleiten. »Das ist ja ein interessanter Name. Und wie lautet dein Nachname, Süße?« Er leckt sich die Lippen, als könne er kaum erwarten zu hören, was ich als Nächstes sage.

Ich denke, es wird ihm gefallen. Während meiner langen Busfahrt nach Hollywood habe ich lange und intensiv darüber nachgedacht, wie mein neuer Filmstar-Name lauten soll. Immer, wenn die Frau neben mir nicht gerade von ihren Hoffnungen und Träumen oder der Cousine ihres Freundes Ned, die ein richtiger Hollywoodstar ist, erzählt hat, habe ich in einer Biografie über die eleganteste Frau, die jemals gelebt hat, weitergelesen: Jacqueline Bouvier Kennedy. Und als ich zum ersten Mal ihren vollen Namen gesehen habe, habe ich vor Freude gejauchzt.

Ich beuge mich zu Kurtis und lecke mir die Lippen, wie er es eben noch gemacht hat. »Bouvier«, flüstere ich und betone dabei jede Silbe, damit es sich besonders verführerisch und elegant anhört. Es ist das erste Mal, das ich meinen neuen Filmstar-Namen laut ausspreche, und es ist ein fantastisches Gefühl. Ich setze mich wieder aufrecht hin und klimpere mit den Wimpern. »Mein Name ist Butterblume Bouvier.«

Unsere Blicke treffen sich, und die Spannung, die sich zwischen uns aufbaut – und direkt zwischen meine Beine fließt –, ist nicht zu leugnen. Ich wende den Blick von Kurtis ab und versuche, meine Fassung wiederzuerlangen, aber das Pochen zwischen meinen Beinen ist nicht leicht zu ignorieren.

»Also, Mr Jackman«, sage ich und spüre, wie meine Wangen rot werden. »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber ich habe keine Ahnung, was der Besitzer eines Clubs für Gentlemen mit einer Schauspielerin wie mir anfangen könnte.« Ich stehe auf und mache Anstalten, zu gehen.

»Moment, Moment. Johnny hat es dir nicht erzählt?«

Ich schaue ihn verständnislos an und mache große Augen. »Mir was erzählt?«

»Na, alles über mich. Über meine Projekte, die ich neben dem Club noch habe.«

Es sieht aus, als hätte der Fisch angebissen. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen. »Wahrscheinlich hätte ich Johnny mehr Fragen stellen sollen, Sir. Alles, was ich weiß, ist, dass Sie einen Stripclub besitzen.« Das Wort »Stripclub« spreche ich aus wie Leprakolonie.

Kurtis hält inne und versucht anscheinend, aus mir schlau zu werden. »Wie lange bist du schon in Hollywood, Süße?«

»Seit gestern.«

Kurtis fängt an zu lachen. »Sozusagen frisch aus dem Bus.«

Ich reagiere gereizt. »Also, Sir. Wenn Sie sich über mich lustig machen wollen …« Ohne ein weiteres Wort oder noch einen Blick gehe ich Richtung Tür.

Kurtis folgt mir. »Nein, nein. Warte, Butterblume.«

Ich gehe direkt an der alten Sekretärin von Kurtis vorbei durch die Eingangstür des Gebäudes hinaus in das gleißende Sonnenlicht.

»Warte«, sagt Kurtis hinter mir. Ich kann nicht sagen, ob er genervt ist oder über mich lacht.

»Mein Daddy hat mich gut genug erzogen, um zu wissen, dass sich niemand über mich lustig machen darf«, rufe ich über die Schulter zurück.

»Bleib doch mal stehen«, sagt Kurtis und holt mich ein. Und jetzt kann ich nur zu deutlich sehen, dass er über mich lacht. Das Ganze scheint ihn extrem zu amüsieren. »Ich habe mich nicht über dich lustig gemacht, Süße, versprochen«, sagt er, aber er kann seine Belustigung kaum verbergen.

»Vielleicht seid ihr alle hier in La-La-Land jemanden wie mich nicht gewohnt, Mr Jackman. Aber ich versichere Ihnen, ich bin nicht so ein Dummerchen, das denkt, seine Träume gehen einfach so in Erfüllung, ohne etwas dafür zu tun.« Ich drehe mich auf dem Absatz um und blicke ihn so wütend an, wie ich nur kann. »Niemand macht sich über mich lustig.«

Eine lange Pause entsteht, und anscheinend hat es Kurtis die Sprache verschlagen.

»Also dann …«, stammle ich. Eigentlich habe ich erwartet, dass Kurtis jetzt etwas sagt. »Dann … ähm … auf Wiedersehen.« Ich mache Anstalten, davonzugehen.

»Warte, Butterblume«, ruft Kurtis mir nach. Sein Ton ist so bestimmend, dass ich auf der Stelle stehen bleibe und ihm meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit widme. Wir sind jetzt schon ein ganzes Stück von seinem Büro entfernt. »Bitte verzeih mir«, sagt er mit sanfter Stimme. »Ich wollte dich nicht beleidigen.« Er seufzt laut auf. »Mein Gott, du bist schon ein forsches kleines Ding, nicht wahr?«

Ich schaue ihn mit zusammengekniffenen Augen an, sage aber nichts.

»Weißt du was?«, fährt Kurtis fort, und ein Grinsen legt sich auf sein Gesicht. »Warum lässt du dich nicht von mir zum Mittagessen einladen, damit ich es wiedergutmachen kann? Das ist das Mindeste, das ich tun kann, weil ich so unglaublich unhöflich zu dir war.« Seine Augen funkeln, als hätte er gerade ganz schmutzige Gedanken.

Ich mache eine übertrieben lange Pause und tue so, als würde ich scharf darüber nachdenken, ob ich diesem unwürdigen Mann erlaube, mich zum Mittagessen einzuladen. Aber in Wahrheit versuche ich mich zusammenzureißen. Ich weiß nicht, warum mein Herz so rast und mein Schritt förmlich in Flammen steht, aber ich kann es nicht leugnen. »Also …«, sage ich und verkneife mir ein Grinsen.

Kurtis fasst sich an die Brust, als würde er mich anflehen, ihm noch eine Chance zu geben. »Hab Erbarmen mit mir.«

Meine Mundwinkel zucken, als ich versuche, nicht zu grinsen.

Kurtis lacht triumphierend auf, doch ich unterbreche seine Freude jäh.

»Freuen Sie sich nicht zu früh. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich Ja sage.« Ich beiße mir auf die Lippen.

Aber Kurtis schenkt meiner Aussage keine Beachtung. Er weiß, dass er mich genau da hat, wo er mich haben will. »Betrachte es als deine Willkommensparty in Hollywood, Süße.«

Ich könnte ihn wohl noch etwas länger zappeln lassen, aber was hätte das für einen Sinn? Wir wissen beide, wo das hier hinführen wird. »Verdammt, Kurtis Jackman«, rufe ich lachend aus. »Ich nehme an, es kann nicht schaden, mit Ihnen mittagessen zu gehen – wenn Sie versprechen, sich zu benehmen.«

Er legt sich eine Hand aufs Herz und hält zwei Finger nach oben.

Ich spüre, wie ich erröte. »Ich muss zugeben, ich fühle mich etwas geschmeichelt von Ihnen, Mr Jackman.«

Er lacht. »Bitte nenn mich Kurtis. Und jetzt rühr dich nicht vom Fleck, okay?« Er klingt richtig aufgeregt. »Ich gehe nur noch mal kurz ins Büro, um mein Portemonnaie zu holen.« Er hält mich an den Schultern fest, um mir zu bedeuten, nicht wegzugehen.

»Mein Gott, Mr Jackman, Sie sind wirklich ein Charmeur. Na gut, dann warte ich. Aber Beeilung – ich bin so hungrig, ich könnte ein Pferd essen.«

KAPITEL 4

11 Jahre alt

3197 bis 3196 Tage bis zum Killing-Kurtis-Tag

»Du bist so hübsch, Butterblume, du würdest einen Bluthund zum Lächeln bringen«, sagt Daddy und streicht mir das Haar aus den Augen. Er sitzt auf meiner Bettkante und deckt mich für die Nacht zu. Als er sieht, dass mir Tränen in die Augen steigen und über meine Wangen zu laufen drohen, ist er sofort in größter Alarmbereitschaft. »Was ist los, Liebling?«

»Ich bin heute zu Jessica Santos’ Wohnwagen rübergegangen, um mit ihrem neuen Kätzchen zu spielen«, sage ich mit zitternder Unterlippe. »Ich habe mich einsam gefühlt und wollte mit jemandem reden. Ich wollte ihm nicht wehtun.« Meine Stimme bricht, und ich kann nicht weiterreden.

Daddy legt den Finger unter mein Kinn und dreht meinen Kopf zur Seite. »Du hast einen Kratzer auf der Wange.«

Ich beiße mir auf die Lippe und versuche, die Tränen aufzuhalten, aber es gelingt mir nicht. Ich bin einfach zu traurig. Mommy hat geschlafen wie üblich, und Daddy war wie immer sonst wo unterwegs. Ich hatte es satt, in meinem Buch weiterzulesen, und ich hatte auch kein Geld, um zum nächsten Laden zu gehen und mir ein Eis zu kaufen. Und hier gibt es nie jemanden, mit dem ich reden kann. Als ich Jessica bei den großen Steinen hinter ihrem Wohnwagen mit diesem süßen, kleinen schwarz-weißen Kätzchen gesehen habe, wollte ich einfach nur mit ihr reden und das Kätzchen vielleicht ein bisschen halten.

Ich konnte ja nicht wissen, dass Mrs Millers bekloppter Enkel genau in diesem Moment mit seinem verlausten Köter an der Leine vorbeigehen würde, der mit seinem Gebell das Kätzchen in Todesangst versetzt hat. Ich wollte das Kätzchen nur ganz festhalten, damit es wegen diesem verrückten Hund nicht davonläuft – das ist alles. Aber das kann ich Daddy nicht erzählen, weil er sonst auf Jessica böse wird, weil sie auf mich böse ist – oder noch schlimmer, ich kann ihm nicht erzählen, dass ich mich immer so einsam fühle. »Jessica hat gesagt, ich war zu grob zu ihrem Kätzchen, das ist alles«, sage ich. Die Tränen rinnen mir jetzt in Strömen über die Wangen. »Sie hat gesagt, ich darf es nie wieder halten.«

Daddy schnaubt und verzieht die Mundwinkel. »Sie hat gesagt, du darfst ihr Kätzchen nicht mehr halten? Dieses Mädchen mit dem zerzausten Haar und den Schlitzaugen denkt, sie kann dir sagen, was du zu tun und zu lassen hast?«

Ich bin schockiert, dass Daddy solche gemeinen Sachen über Jessica sagt. Ich bin eigentlich der Meinung, dass Jessicas Locken unglaublich hübsch sind und ihre Augen wie Diamanten funkeln. Aber Daddy sieht so böse aus, dass ich mich nicht traue, ihm zu sagen, was ich denke.

»Gütiger Gott«, knurrt Daddy. »Hat dieses Mädchen in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut? Dieses Mädchen ist so hässlich wie die Nacht.«

Ich nicke, aber nur, weil Daddy das von mir erwartet.

»Sie ist so hässlich«, fährt Daddy fort, »dass ihre Mutter ihr einen Knochen um den Hals binden musste, damit die Hunde mit ihr spielen.«

Das bringt mich zum Grinsen, obwohl es sehr gemein ist.

»Sie ist so hässlich«, sagt Daddy, »dass die Ärzte ihre Mutter geschlagen haben, nachdem sie sie auf die Welt gebracht hatte.«

Daddy hält inne und starrt mich an. Ich weiß genau, was dieser Ausdruck auf seinem Gesicht bedeutet. Er wartet darauf, dass ich auch etwas Cleveres sage, weil er Charlie Wilber ist und ich Charlie Wilbers Tochter bin.

Ich räuspere mich. »Jessica ist so hässlich, dass sie sich heimlich zum Frühstück schleichen muss«, murmle ich, aber ich fühle mich schlecht dabei, so etwas Gemeines über Jessica zu sagen, auch wenn sie gemeint hat, dass ich zu grob zu ihrem Kätzchen gewesen bin.

»Das ist mein Mädchen«, sagt Daddy. Er blickt mich nachdenklich an. »Ist Jessicas Wohnwagen der mit der grünen Markise?«

Ich nicke. »Jawohl. Der neben den großen Steinen.«

Daddy grunzt. »Wahrscheinlich wohnt sie neben den großen Steinen, damit ihre Nase nicht so groß erscheint.«

Ich nicke wieder, auch wenn ich der Meinung bin, dass Jessica Santos’ Nase ziemlich perfekt ist.

»Dieses Mädchen ist so hässlich wie eine hausgemachte Seife«, sagt Daddy. Er blickt mich kurz an, schaut dann aber schnell wieder weg.

O nein. Ich mag es nicht, wenn Daddy so wegschaut. »Das ist sie«, sage ich und hoffe, Daddys Aufmerksamkeit wieder auf mich lenken zu können, bevor er abwesend ist. Aber Daddy antwortet nicht. »Das ist sie, Daddy«, wiederhole ich und hoffe, zu ihm durchdringen zu können, bevor er mir entgleitet.

Aber es ist zu spät. Daddy ist weg, auch wenn er immer noch neben mir sitzt. Als wäre er in eines dieser Teleportationssysteme gestiegen, von denen er immer redet.

Ich habe gelernt, geduldig zu warten, bis Daddy aus seinen Tagträumen wiederkehrt. Doch dieses Mal bleibt Daddy eine gefühlte Ewigkeit in Gedanken versunken. »Daddy?«, murmle ich schließlich leise. Er schaut mich an, aber seine Augen sehen mich nicht. »Dieses Mädchen ist so hässlich«, sage ich, »dass nicht einmal die Ebbe sie mit nach draußen nehmen würde.«

Doch Daddy reagiert nicht.

»Daddy?« Ich lächle ihn hoffnungsvoll an. »Nicht einmal die Ebbe würde sie mit nach draußen nehmen.«

Wie aus dem Nichts funkeln Daddys Augen wieder, und seine Gesichtszüge entspannen sich. Er ist zurück. Ich seufze erleichtert auf. Ich hasse es, wenn Daddy mich so zurücklässt.

»Da hast du recht, Baby«, sagt Daddy sanft. »Das ist ein Guter.« Er streicht mir zärtlich das Haar aus den Augen. »Aber genug davon für heute.« Er tippt mir mit der Fingerspitze auf die Nase. »Erzähl mir lieber, was du heute gelesen hast, um dich weiterzubilden.«

KAPITEL 5

11 Jahre alt

3195 Tage bis zum Killing-Kurtis-Tag

Mommy ist im Bett, und Daddy ist weg, wie immer. Also schleiche ich mich mit einem Sandwich aus unserem Wohnwagen und gehe rüber zu Jessica Santos’ Trailer. Es ist mir egal, dass Jessica gestern gesagt hat, dass ich ihr Kätzchen nicht mehr halten darf. Bestimmt lässt sie mich das flauschige Knäuel heute wieder halten, wenn ich besonders nett zu ihr bin und ihr sage, dass ich sie hübsch finde und wie sehr ich wünschte, das gleiche lange, lockige Haar wie sie zu haben. Und ich werde versprechen, ganz besonders vorsichtig und behutsam mit dem Kätzchen umzugehen und sicherzugehen, dass Mrs Millers Hund nicht in der Nähe ist.

Ich rüttle an der Tür ihres Wohnwagens. Ich warte, aber keiner kommt. O Gott, ich würde dieses süße kleine Kätzchen heute so gerne halten und streicheln.

Ich warte.

Ich trete in den Staub.

Niemand ist da.

Mist.

Ich gehe rüber zu den großen Steinen. Warmer Wind weht wie Parfüm durch die Luft. Ich klettere auf den größten Felsen und blicke mich um. Von hier oben habe ich eine gute Sicht über den ganzen Trailerpark. Ich frage mich, wann Jessica heimkommt. Ich überlege, was ich zu ihr sagen werde, um sie dazu zu bringen, dass ich das kleine, flauschige Kätzchen halten oder zumindest streicheln darf, während sie es hält.

Hey, vielleicht ist Jessica ja doch gerade in ihrem Wohnwagen. Hat sie mich klopfen gehört, aber ignoriert, weil sie immer noch sauer auf mich ist? Ich stelle mich aufrecht auf den Felsen und schaue hinüber zum Trailer. Ich kann keine Bewegung darin erkennen. Aber … Moment mal. Was ist das? Ich kneife die Augen zusammen und versuche, das schwarz-weiße Knäuel besser zu erkennen, das ich meine, auf dem Boden neben Jessicas Wohnwagen liegen zu sehen. Ist das …? Ich starre weiterhin mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung. Könnte dieser schwarz-weiße Haufen da im Dreck Jessicas Kätzchen sein? Beim letzten Windstoß hat es ausgesehen, als würde der Haufen aufgeplustert wie bei einem Fell. Aber wenn das da unten Jessicas Kätzchen ist, warum bewegt es sich dann nicht?

Ich klettere die Steine wieder runter und gehe langsam auf Jessicas Wohnwagen zu. Dabei verkrampfen sich meine Hände um mein Sandwich. Mit jedem Schritt dreht sich mir der Magen mehr und mehr um, und mein Herz klopft immer lauter in der Brust, bis ich schließlich Panik in mir aufsteigen fühle. Als ich schließlich bei dem Knäuel angekommen bin, lasse ich mein Sandwich in den Dreck fallen, schlage mir die Hände vor den Mund und breche in Tränen aus.

»Was ist passiert, Butterblume? Hat Chevrolet aufgehört, Trucks herzustellen?«, fragt Daddy, der auf meiner Bettkante sitzt. Ich liege hier schon seit Stunden und heule mir die Augen aus dem Kopf.

»Jessicas Kätzchen«, wimmere ich. »Ich wollte heute zu ihr und es streicheln und …«

»Beruhige dich«, sagt Daddy leise. »Es gibt keinen Grund mehr, wegen dieser Katze zu weinen.« Er wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. »Was geschehen ist, ist geschehen.«

»Aber Daddy, ich bin zu dem Kätzchen gegangen, und …« Ich breche mitten im Satz ab.

»Ach, Süße. Dieses Mädchen, Jessica Santos, sie ist eine hässliche Versagerin. Vergieß keine Tränen mehr wegen ihr.«

Ich kriege das Bild des armen, kleinen schwarz-weißen Fellknäuels nicht aus dem Kopf. »Aber Daddy, das Kätzchen war tot.«

Daddys Augen verengen sich zu Schlitzen. »Ist das so?« Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. »Ich nehme an, Jessica Santos wird Charlie Wilbers Tochter nicht mehr sagen, was sie zu tun und zu lassen hat, oder? Was ist das doch für ein glücklicher Zufall.«

Mir klappt die Kinnlade runter.

»Geschieht ihr recht.«

Will Daddy damit sagen …? Ich will den Gedanken nicht zu Ende bringen. Ich setze mich auf und vergrabe die Fingernägel in den Wangen. »Daddy?«

»Ich nehme an, es war das Schicksal dieses kleinen Kätzchens, Jessica Santos – und der ganzen Welt – klarzumachen, dass niemand Charlie Wilbers Tochter sagt, was sie zu tun und zu lassen hat.«

»Daddy«, stammle ich. Ich lege mir die Hände auf den Mund, um nicht zu schreien. Ich will meinen Ohren nicht trauen. Ich weiß, Daddy erwartet jetzt von mir, dass ich meine Faust in die Luft recke und »Niemand!« rufe, aber ich kann mich nur zurückfallen lassen und mein Gesicht in den Händen vergraben. Ich kriege das Bild des armen, kleinen Kätzchens nicht aus dem Kopf, wie es blutverschmiert und tot im Dreck liegt. Wie konnte Daddy diesem süßen kleinen Ding auch nur ein Haar krümmen?

»Und vergiss nicht, dieses Viech hat dich gekratzt, Butterblume«, sagt Daddy. »Es war eine böse Katze.« Daddy schiebt mir die Hände aus dem Gesicht und zwingt mich, ihn anzuschauen. »Die Katze hatte eine böse Fratze.« Er lacht über seinen eigenen Witz.

Ich stimme nicht in sein Lachen ein. Das kleine Kätzchen war weich und zuckersüß mit seinem winzigen, rosa Näschen. Seine Schnurrhaare haben mich an der Nase gekitzelt. Seine raue Zunge hat sich angefühlt wie Schmirgelpapier auf meiner Haut. Sein leises »Miau« war das niedlichste Geräusch, das ich je gehört habe. Ich habe Daddy nicht von Jessica erzählt, damit er das tut – ich wollte ihm nur erklären, warum ich weine. Wie konnte er nur glauben, dass ich wollte, dass er das tut?

»Butterblume, ich liebe dich«, sagt Daddy und schiebt mir das feuchte Haar aus dem Gesicht.

Ich antworte nicht.

»Ich liebe dich mehr als den Sternenhimmel, das weißt du, oder? Ich hasse es, dich weinen zu sehen. Ich würde alles tun, damit du aufhörst zu weinen, Liebling.«

Ich beiße mir auf die Lippe. Ich kriege kein Wort raus. Es hat mir das Herz gebrochen, mich heute von dem kleinen, flauschigen Kätzchen verabschieden zu müssen, seinen winzigen Körper blutverschmiert im Dreck liegen zu sehen. Verdammt, das kleine Ding hätte doch keiner Fliege etwas zuleide tun können.

»Also«, sagt Daddy. Er blickt mich auffordernd an und wartet darauf, dass ich etwas sage. Aber mir fällt nichts ein. »Butterblume? Hörst du mich?«

Ich sehe Daddy plötzlich mit ganz anderen Augen. Ich kann ihn kaum anschauen.

»Komm schon, Butterblume. Sag es.«

Verdammt, zum ersten Mal in meinem Leben will ich es nicht sagen.

»Sag es«, wiederholt Daddy mit funkelnden Augen.

Ich atme laut aus. »Niemand sagt Charlie Wilbers Tochter, was sie zu tun und zu lassen hat«, murmle ich.

Daddy lächelt mich an. »Gutes Mädchen.« Er tätschelt mir den Kopf. »Und jetzt hör auf zu weinen, okay? Kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.« Daddy zieht mir die Decke bis zum Hals und küsst mich auf die Stirn. »Gute Nacht, Butterblume. Lass dich nicht von den Bettwanzen beißen.«

Ich versuche, ihn anzulächeln, aber es gelingt mir nicht. Der Versuch zu lächeln treibt mir nur noch mehr Tränen in die Augen. Ich schließe die Augen und zwinge mich, an etwas anderes zu denken als an das arme, blutige Kätzchen im Dreck. Mein Daddy liebt mich, sage ich mir selbst. Mein Daddy liebt mich, und das ist alles, was zählt.

Daddy geht langsam in Richtung des hinteren Raumes.

Mein Daddy liebt mich, und das ist das Wichtigste.

»Ich liebe dich, Butterblume«, sagt er und macht die Lampe neben dem kleinen Tisch aus. »Schlaf gut.«

»Daddy?«, frage ich leise.

Er dreht sich um, und sein Gesicht wird vom Mondschein erleuchtet.

Die Liebe meines Vaters ist wohl wichtiger, als das weiche, rosa Näschen eines kleinen Kätzchens zu streicheln. »Ich liebe dich.«

Daddy zwinkert mir zu und schenkt mir sein strahlendstes Lächeln. »Ich liebe dich auch, Butterblume – mehr als den Sternenhimmel.«

KAPITEL 6

18 Jahre und 1 Woche alt

734 Tage bis zum Killing-Kurtis-Tag

Die Krankenschwester nickt mir zu und sagt: »Sie können jetzt zu Dr Ishikawa gehen.«

Ich sitze in einem überfüllten Wartezimmer – wenn man diese Kammer mit zwei Stühlen so nennen kann –, stehe auf Anweisung der Schwester auf und folge ihr durch eine schmale Tür in ein noch kleineres Zimmer, in dem nicht viel mehr Platz hat als ein Schreibtisch, eine Waage und eine Untersuchungsliege.

»Setzen Sie sich hier hin.« Sie deutet zur Liege. »Ziehen Sie Ihr T-Shirt aus. Der Doktor kommt gleich.« Dann verlässt die Krankenschwester den Raum.

»Ziehen Sie Ihr T-Shirt aus« ist für sie bestimmt ein Satz wie »Reich mir das Tabasco« für jeden anderen, aber trotzdem wirken diese Worte befremdlich auf mich. Ich habe noch nie vor einem Mann mein T-Shirt ausgezogen, und obwohl ich schon ein paarmal in meinem Leben beim Arzt war, hatte ich beim letzten Mal noch keine Brüste. Und auch wenn meine Brüste eher klein und flach sind, gehören sie doch mir, und ich zeige sie nicht Hinz und Kunz, selbst wenn es ein Arzt ist. Jeder Arzt, bei dem ich in der Vergangenheit war, hat mir wenigstens ein Papierhemdchen zum Überziehen gegeben. Warum hat mir die Schwester von Dr Ishikawa nicht so ein Hemd gegeben?

Ehrlich gesagt wünschte ich, ich müsste gar nicht hier sein. Aber ich könnte meinen BH verkehrt herum anziehen, und er würde immer noch passen. Und meine Brüste werden einfach nicht größer, egal wie sehr ich es mir wünsche. Doch auf etwas zu hoffen, anstatt aufzustehen und es selbst in die Hand zu nehmen, ist ungefähr so sinnvoll, wie sich zu wünschen, dass ein Ochsenfrosch Flügel hat, damit er nicht auf seinen Hintern fällt, wenn er springt.

Langsam knöpfe ich mein Oberteil auf und ziehe es aus. Allerdings halte ich es mir sofort wieder vor die Brust. Verdammt, ist es in diesem Raum kalt. Plötzlich wird ohne Vorwarnung die Tür geöffnet, und ein kleiner Mann mit winzigen Händen und rabenschwarzem Haar betritt das Zimmer.

»Ich bin Dr Ishikawa«, sagt er. Er streckt mir seine winzige Hand entgegen, und ich schüttle sie.

»Hi, Doktor«, sage ich leise und presse mir mein Oberteil fest an die Brust.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Bettie hat mich geschickt. Sie sagte, Sie machen die ganzen Mädchen?«

Es scheint nicht zu klingeln bei Betties Namen.

»Bettie aus dem Casanova Club? Mit dem langen schwarzen Haar und Pony?«

»Ach ja, natürlich. Bettie Paigette.« Er schmunzelt und stellt sich wahrscheinlich gerade Betties große Titten vor. »Ja, ihre Brüste sind wirklich gut geworden.«

Brüste? So nennt er diese Dinger? Mir würden tausend andere Wörter dafür einfallen. Hupen. Ballons. Vielleicht sogar Melonen. Aber mit Sicherheit nicht Brüste.

»Dann tanzt du also mit Bettie zusammen im Casanova Club?«, fragt der Doktor.

Ich erröte. »Nein.« Ich werfe mein neuerdings blondes Haar zurück, und das Papiertuch auf der Untersuchungsliege knistert unter mir. »Ich bin Schauspielerin. Ich werde einmal berühmt sein und von Kinoleinwänden auf der ganzen Welt hinabschauen.«

Er grinst mich an. »Sehr schön. Ich bin mir sicher, das wirst du.« Sein Grinsen verwandelt sich in einen anzüglichen Blick, dann kichert er wieder. Ich weiß nicht genau, warum er das tut. »Na dann, werfen wir mal einen Blick darauf.« Er deutet auf meine Brust und will anscheinend, dass ich mein Oberteil fallen lasse.

Ich weiß, dass dieser Moment eine unvermeidliche Investition in meine Zukunft ist und dass ich tapfer sein muss wie der erste Mensch, der eine Auster gegessen hat, aber mir war nicht klar, wie unangenehm es sein würde, einem fremden Mann meine Brüste zu zeigen. Verdammt! Ich hole tief Luft, ignoriere mein pochendes Herz und lasse mein Oberteil langsam in meinen Schoß gleiten.

»Setz dich aufrecht hin«, sagt der Arzt und starrt auf meine Brust.

Ich setze mich aufrecht hin und blicke weg.

Der Doktor beugt sich etwas nach unten – wahrscheinlich, um auf gleiche Höhe mit meiner Brust zu kommen. »Gute Form. Gute Symmetrie«, sagt er. »Aber die Größe – ja, ich verstehe, warum du hier bist.« Er kichert wieder.

O mein Gott. Er ist der erste Mann, der in den Genuss des Anblicks meiner nackten Brüste kommt, und mehr hat er nicht dazu zu sagen? Ich knirsche mit den Zähnen. Ja, ich bin vielleicht zu ihm gegangen, weil ich neue Brüste will, aber zumindest könnte er mir in dieser für mich neuen Situation sagen, wie hübsch ich bin – was stimmt –, um mich abzulenken. »Du bist perfekt«, sollte er jetzt zu mir sagen, damit ich die Möglichkeit bekomme, ihm zu antworten: »Moment, Doktor. Ich weiß, ich bin perfekt – für ein normales Mädchen. Aber ich bin Schauspielerin, verstehen Sie? Ich habe eine große Zukunft vor mir und werde wie Marilyn Monroe in die Filmgeschichte eingehen. Nur sind die Brüste, die der liebe Gott mir geschenkt hat, für diese Bestimmung unglücklicherweise etwas zu klein.« Mannomann, dieser Kerl hat vielleicht Nerven, mir zu sagen, dass ich neue Brüste brauche – auch wenn ich aus diesem Grund bei ihm bin. Ich funkle ihn böse an.

Dr Ishikawa aber starrt weiter auf meine Brüste, als begutachte er ein Lammkotelett beim Metzger. »Hmm, wir müssen uns nur für eine Größe entscheiden. Schauen wir mal, wie viel du wiegst.« Er deutet auf die Waage in der Ecke des Raumes. Und obwohl ich kurz davor bin, diesem Blödmann von Arzt mitten ins Gesicht zu schlagen, tue ich wie mir befohlen und stehe von der Liege auf. Während der Doktor auf die Anzeige der Waage schaut, verschränke ich die Arme vor der Brust. Verdammt, ist es hier kalt!

Dr Ishikawa bedeutet mir, mich wieder auf die Untersuchungsliege zu setzen. »Bei deiner Statur, die eher zierlich ist, stellt sich mir die Frage, ob du lieber Mansfields oder Monroes haben willst.«

Das Herz springt mir fast aus meiner flachen Brust. Unterteilt jeder in Hollywood Brüste in Mansfields und Monroes, oder ist das ein Zeichen von oben, dass ich auf dem richtigen Weg in meine vorherbestimmte Zukunft bin? Bevor ich etwas auf die Bemerkung des Arztes erwidern kann, fügt er hinzu: »Kennst du Jayne Mansfield und Marilyn Monroe?«

Glaubt dieser Kerl, ich komme von einem anderen Planeten?

»Mit deinem blonden Haar und deinen Gesichtszügen siehst du eher aus wie Jayne Mansfield, würde ich sagen.« Er grinst, als hätte er mir gerade ein großes Kompliment gemacht.

»Vielen Dank, Dr Ishikawa«, sage ich mit zuckersüßer Stimme, auch wenn ich ihm am liebsten den Kopf mit einem Baseballschläger abschlagen würde. »Aber ich habe blaue Augen wie Marilyn. Jayne hatte braune Augen.« Idiot. Dieser bescheuerte Arzt muss mich doch nur ansehen, um zu erkennen, dass ich das Ebenbild von Marilyn Monroe bin. Wir könnten Zwillinge sein.

»Nun ja, angesichts deines Berufes«, fährt Dr Ishikawa fort, »denke ich, dass Mansfields besser zu dir …«

»Machen Sie mir Marilyns, bitte«, sage ich schroff. »Groß genug für eine legendäre Schauspielerin, aber nicht so groß, dass mich keiner mehr ernst nimmt.«

Dr Ishikawa schnaubt und denkt wahrscheinlich, dass mich sowieso niemand ernst nehmen wird, egal, was für Brüste ich habe. Als ich ihn mit bösem Blick anschaue, verzieht er die Mundwinkel. »Okay, ich mache sie eher wie die von Marilyn. Aber seit der Zeit von Marilyn Monroe haben sich die Standards geändert. In Anbetracht deiner Statur müssen wir sie ein bisschen größer machen als ihre – nur um uns an die heutigen Standards anzupassen.«

Ich halte inne und überlege, was ich machen soll. Ich habe keine Ahnung von den heutigen Standards, aber ich bin mir sicher, dass ich sie erfüllen will. »Okay«, willige ich ein. »Solange Sie mir keine Brüste wie die von Bettie machen. Ich will nicht, dass sie auch nur annähernd so groß sind wie ihre, verstehen Sie? Ich bin Schauspielerin, keine Stripperin.«

»Ich verstehe.« Dr Ishikawa schnaubt erneut. »Und jetzt reden wir über den Preis.«

Er sagt mir, was meine zwei neuen Brüste kosten werden, und ich falle fast von der Untersuchungsliege. Ich hätte nicht gedacht, dass zwei Marilyns so teuer sein würden. Man möchte meinen, dass man für diesen Preis zehn Marilyns und noch eine Nase dazu bekommen könnte. Ich habe noch nie etwas so Teures gekauft oder auch nur daran gedacht. Aber natürlich muss ich es tun, egal, was es kostet. Meine Zukunft wartet auf mich, aber ohne zwei neue Brüste wird daraus nichts – auch wenn ich mein letztes Hemd dafür geben muss. Das Gute ist, ich habe genug Geld bei mir, um den Doktor zu bezahlen – sogar mehr dank meinen lieben Freunden, dem Yankee Clipper und Mr Clements. »Das ist kein Problem«, sage ich. »Ich kann bar bezahlen. Alles auf einmal.« Ich klopfe auf meine Tasche.

Dr Ishikawas Gesichtsausdruck erhellt sich. »Wunderbar! In diesem Fall können wir es gleich morgen früh machen. Um acht Uhr?«

»Prima.«

»Stell dich darauf ein, dass du danach eine ganze Woche Ruhe brauchen wirst.«

Zurück im Motel, wo ich mir – ebenfalls dank meiner großzügigen Freunde Joe DiMaggio und Mr Clements – ein Zimmer gemietet habe, ruft mich der Rezeptionist zu sich.

»Butterblume, richtig? Es gab drei Anrufe für dich, während du weg warst«, sagt er. »Alle von dem gleichen Kerl.« Er schaut auf den Zettel in seiner Hand. »Kurtis Jackman?«

Ich habe gestern während unseres dreistündigen Mittagessens, das sich in ein frühes Abendessen verwandelt hat, schnell erkannt, dass Mr Kurtis Jackman die Jagd mehr mag als das, was er jagt. Als wir uns vor dem Restaurant voneinander verabschiedet haben, habe ich ihm schnell meine Wange zugedreht, als er Anstalten gemacht hat, mich zu küssen. Ich dachte, es sei besser, diesen Mann zappeln zu lassen. Und zu meiner Überraschung hat er mir ohne zu murren wie ein richtiger Gentleman einen Kuss auf die Wange gegeben, obwohl seine Augen gefunkelt haben wie glühende Kohlen.

Was noch viel überraschender war: Als ich Kurtis’ Lippen auf meiner Haut gespürt habe, mir sein Duft in die Nase gestiegen ist und er seine große Hand meinen Rücken hat hinabgleiten lassen, bis sie kurz über meinem Hintern zum Stillstand kam, da hat mir das Herz wieder bis zum Hals geschlagen, und ich habe ein drängendes Pochen im Schritt verspürt.

Ich gehe in eine Telefonzelle draußen auf dem Sunset Boulevard und wähle die Nummer, die auf dem Zettel steht.

Nach einem Klingeln ertönt eine Stimme. »Hier ist Kurtis.«

Ich bin verwirrt. Ich habe angenommen, dass Kurtis’ Sekretärin den Anruf entgegennehmen würde. »Oh«, stammle ich. »Äh … hallo, Kurtis. Ich bin es, Butter…«

»Hallo, hallo. Diese sexy Stimme würde ich immer wiedererkennen. Wie geht es dir, Süße?«

»Es könnte nicht besser gehen. Wie geht es dir?«

»Ich bin dabei, den Verstand zu verlieren, danke sehr. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an dich, seit du mich gestern vor dem Restaurant alleine gelassen hast. Ich brauchte sofort eine kalte Dusche.«

»O Gott«, keuche ich. So etwas hat noch nie jemand zu mir gesagt.

»Ich muss dich sehen«, sagt Kurtis mit heiserer und drängender Stimme.

Ich versuche, fröhlich und oberflächlich zu klingen, auch wenn es mir schwerfällt. »O Kurtis, du bist wirklich süß. Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen.«

Und das stimmt. Ich war wirklich überrascht, wie schnell die Zeit mit Kurtis in diesem schicken Restaurant mit den roten Ledersitzen vergangen ist und wie wohl ich mich in seiner Gegenwart gefühlt habe. Na gut, er hat so laut gelacht, dass mir ein paarmal beinahe das Trommelfell geplatzt wäre, und ja, er hätte sich fast den Arm gebrochen, weil er sich so oft selbst auf die Schulter geklopft hat, und ja, ich war ein wenig enttäuscht, dass er seine Produktionsfirma (worüber ich doch am meisten hören wollte) nur am Rande erwähnt und stattdessen bloß von seinem dummen Männermagazin geprahlt hat.

Aber nichts von dem war wichtig in dem Moment, in dem sich Kurtis nach vorne gebeugt und mich fixiert hat, als wäre er ein Axtmörder, den ich beim Trampen mitgenommen habe. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich mir nicht sicher, ob er jetzt vorhat, mich zu küssen oder mich umzubringen – aber in diesem Moment wäre mir alles recht gewesen. Dann hat mir Kurtis mit seinem Martiniglas zugeprostet und gesagt: »Auf das atemberaubendste Wesen, das ich je gesehen habe.« Und als ob das noch nicht gereicht hätte, um mich zum Schmelzen zu bringen wie ein Bananeneis, das jemand auf dem warmen Gehsteig hat liegen lassen, hat Kurtis weitergemacht. »Du bist so wunderschön«, hat er gesagt. »Dich will ein Mann einfach nur den ganzen Tag lang anschauen – für den Rest seines Lebens.« Heilige Scheiße! Wenn ich in diesem Moment aufgestanden wäre, hätte ich eine feuchte Spur auf dem Ledersitz hinterlassen.

Kurtis atmet am anderen Ende der Leitung laut aus und bringt mich wieder ins Hier und Jetzt zurück.

»Warum hast du mich nicht eher zurückgerufen, Butterblume?«, fragt er. »Willst du mich quälen?«

Der Tonfall seiner Stimme lässt mich erröten, und meine Brust zieht sich zusammen – genau wie gestern, als er mich beim Essen wunderschön genannt hat.

»Dich quälen?«, sage ich und grinse vor mich hin. »Also das würde mir im Traum nicht einfallen, Süßer. Ich könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, selbst wenn sie es sich auf meinem Lieblingskuchen bequem gemacht hätte.«

Kurtis lacht laut auf.

»Ich musste nur ein paar Dinge erledigen, da ich ja neu in der Stadt bin. Das ist alles. Aber jetzt habe ich dich ja zurückgerufen. Also kannst du mir unmöglich böse sein, oder?«

Kurtis macht ein Geräusch, das mich an einen Bären erinnert, der aus dem Winterschlaf erwacht. »Wenn du mit deiner sexy Stimme immer so weiterredest, dann kann ich dir den Rest meines Lebens nicht böse sein«, stöhnt er.

Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt.

»Und wenn du mir im Bett einfach nur das Telefonbuch vorlesen würdest«, fährt Kurtis fort, »wäre ich der glücklichste Mann der Welt.«

Ich muss kichern. Das war nicht meine Absicht, aber ich kann es mir nicht verkneifen.

»Komm morgen zu mir«, sagt Kurtis. »Ich will dir etwas zeigen.«

Zu ihm? Allein der Gedanke daran macht mich nervös und aufgeregt. »O Süßer, das hört sich himmlisch an«, stammle ich. »Aber ich muss morgen etwas erledigen. Ich werde die ganze nächste Woche keine Zeit haben.«

»Eine ganze Woche? Was zum Teufel machst du denn eine Woche lang? Ich will dich morgen sehen.«

Diesmal entfährt mir nicht nur ein Kichern, sondern ich muss lauthals loslachen. »Geduld, Kurtis«, schnurre ich ins Telefon. »Die besten Dinge im Leben sind es wert, auf sie zu warten.«

Kurtis gibt ein dreckiges Lachen von sich. »Das ist mir neu. Wenn ich etwas will, dann warte ich nie darauf. Niemals.«

Das war unmissverständlich. »Na ja«, sage ich und muss schlucken. »Ich nehme an, es gibt für alles ein erstes Mal, oder?«

Ich kann förmlich hören, wie Kurtis am anderen Ende der Leitung teuflisch grinst. »Weißt du was? Ich glaube, du hast recht.«

KAPITEL 7

12 Jahre alt

2926 Tage bis zum Killing-Kurtis-Tag

Mommy und Daddy streiten. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ich lese einfach in meinem Buch weiter. Fatal Vision. Es ist echt gut. Ich bin noch nicht fertig mit dem Buch, aber ich weiß, dass der Kerl seine Familie umgebracht hat. Da bin ich mir sicher. Zuerst hat er alle überlistet, weil er sehr schlau ist und weil die Welt voller Idioten ist. Aber ich bin noch schlauer als er. Wenn ich es wäre, die in diesem Buch ihre Familie umgebracht hätte, dann hätte man mich nicht erwischt. Ich würde dem Kerl in dem Buch am liebsten sagen: »Hör mal her, du Idiot. Wenn du deine Familie umbringen willst, ist das ja schön und gut – es ist sogar mehr als verständlich in deiner Lage –, aber sei doch nicht so dumm und lass dich erwischen.« Wenn ich es wäre, die ihre Familie umbringen würde, könnte niemand darüber ein Buch schreiben, das verspreche ich.

Daddy schreit im Hinterzimmer: »Du schläfst den ganzen Tag. Du bist so nutzlos wie eine Fliegengittertür in einem U-Boot.«

»Ich arbeite die ganze Nacht«, schreit Mommy zurück.

Ich verdrehe die Augen. Ich arbeite die ganze Nacht. Das ist Mommys Ausrede für alles. Aber die Nachtschicht in einem Diner zu übernehmen erklärt mit Sicherheit nicht die Tatsache, dass sie hier überhaupt nichts tut oder dass sie die ganze Zeit sturzbetrunken ist.

»O wow, du arbeitest die ganze Nacht, wie?«, schreit Daddy.

»Die Nachtschicht in einem Diner zu übernehmen ist keine Entschuldigung dafür, hier absolut nichts zu tun und die ganze Zeit betrunkener zu sein als ein Baptisten-Prediger bei einer Highschool-Feier«, fügt Daddy noch hinzu.

Ich muss grinsen. Daddy und ich sind wirklich aus demselben Holz geschnitzt.