Crazy Games - Mirjam Mous - E-Book

Crazy Games E-Book

Mirjam Mous

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Beschreibung

DAS IST EIN TEST. Sie wissen immer wo du bist und was du gerade tust. Sie kennen deinen Namen, deine Adresse und vielleicht auch deine Gedanken. Sie stellen dir Aufgaben, jeden Tag eine neue. Das Schlimmste aber ist, sie haben deinen Vater. Wenn du nicht tust, was sie sagen, geht es ihm schlecht. Du bist ein Spielball in ihren Händen und niemand ist auf deiner Seite. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Ein Thriller, der einem den Atem raubt.

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Seitenzahl: 314

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Mirjam Mous

Crazy Games

Der perfekte Tag, der in der Hölle endet

Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer

Mirjam Mous,geboren 1963 in Made in den Niederlanden, arbeitete als Sonderschullehrerin, bevor sie hauptberuflich Schriftstellerin wurde. Sie schreibt Bücher für Kinder und Jugendliche und ist besonders bekannt für ihre mitreißenden Thriller. Ihr erster Jugendroman »Boy 7« kommt 2015 in die deutschen Kinos.

Weitere Bücher von Mirjam Mous im Arena Verlag:Boy 7 – Vertraue niemandem. Nicht einmal dir selbst Room 27 – Zur falschen Zeit am falschen Ort Password – Zugriff für immer verweigert

»Boy 7« ist auch als gleichnamiges Hörbuch erhältlich.

 

1. Auflage 2015 © für die deutsche Ausgabe 2015 Arena Verlag GmbH, Würzburg Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »TEST.« bei Van Holkema & Warendorf, Houten. © 2013 Van Holkema & Warendorf/Unieboek The Netherlands Alle Rechte vorbehalten Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer Covergestaltung: Frauke Schneider ISBN 978-3-401-80454-5

www.arena-verlag.deMitreden unterforum.arena-verlag.de

1

Words

Der letzte Samstag im Juli versprach, fantastisch zu werden. Alle Vorzeichen waren günstig.

1. Die Ferien hatten angefangen.

2. Ich brauchte deshalb meine Schuluniform nicht anziehen: einen schwarzen Anzug mit schwarzem Schlips und einem weißen Hemd, was einen schon in Beerdigungsstimmung bringt, bevor man auch nur einen einzigen Lehrer gesehen hat.

3. Ich konnte stattdessen mein Lieblingsshirt anziehen: nicht schwarz, sondern blau und dann auch noch genau so ein Blau, das mich fröhlich macht.

4. Plötzlich hatten wir Sommerwetter, aber so richtig. Wie auf den Bahamas, meine ich, sodass man sich mit Lichtschutzfaktor 100 eincremen muss, damit man keinen Hautkrebs bekommt. So heiß war es hier nur alle Jubeljahre mal.

5. In einer Woche würden The Comet Cowboys in Low auftreten und Talishas Vater konnte über seine Arbeit an Freikarten kommen.

6. Last but not least hatte ich auch noch die ganze Zeit diesen einen Satz von Talisha im Kopf: Sie hatte gesagt, mit meiner neuen Brille sähe ich glatt aus wie der jüngere Bruder von Johnny Depp.

Tipp: Lass dich von günstigen Vorzeichen nicht zum Narren halten.

Ich hatte mich mit Talisha auf dem Pier verabredet. Um elf Uhr und mit Plan. Ich wollte endlich Nägel mit Köpfen machen. Das versuchte ich schon seit Monaten, aber es ging immer wieder schief, weil Privatsphäre auf St. Michael in etwa so selten ist wie eine ordentliche Schulmahlzeit. Erstens hat Talisha hundert Freundinnen, die jede Pause an ihr kleben wie Schnecken an einem Auto nach einem Regenschauer. Und die wenigen Male, die wir allein waren, hängten sich Simon und Peter wie die Kletten an uns. Angeblich um mich zu retten, weil Mädchen total bescheuert sind. Aber das sagen sie nur, weil sie selbst keine Freundin abbekommen, was im Übrigen nicht verwunderlich ist, weil sie sich wie Babys benehmen, sobald Mädchen in der Nähe sind.

Aber an diesem Samstag sollte alles anders laufen. Die einzigen Störenfriede am Linfertpier waren Möwen, die einem die Fritten klauen wollten, also zog ich pfeifend die Haustür hinter mir zu und ging auf die Straße.

Ein paar Meter entfernt stand ein Mann auf dem Bürgersteig. Oder besser gesagt: Irgend so ein schräger Typ, denn obwohl es knallheiß war, trug er einen dicken gestreiften Pullover, eine lange Hose und Snowboots. Seine Haare – Modell aufgedröselter Strick – fielen ihm bis auf die Schultern. Er hatte weder eine Tasche noch einen Koffer bei sich, sondern so eine schwarze Plastikmülltüte, in denen Obdachlose gern ihre Sachen transportieren. Vermutlich hatte er sich verlaufen, denn normalerweise sieht man nie Obdachlose in unserem Viertel. Meistens hängen sie bei den Fischhütten rum – so nennt man hier die abgeblätterten Hütten, in denen die Fischer früher ihre Netze aufbewahrten. Aber auf St. Michael nennen wir sie immer Pisshütten, weil es dort so schrecklich stinkt.

Schon nach wenigen Schritten vibrierte mein Smartphone in der Hosentasche. Augenblicklich vergaß ich den Typen. Das könnte Talisha sein!

Es war eine SMS von Simon: WO BIST DU?

Das würde ich ihm bestimmt nicht auf die Nase binden.

Ich wollte das Smartphone gerade wieder einstecken, aber plötzlich stand Mr Obdachlos vor mir und streckte einen Arm nach mir aus.

Er wollte mich beklauen! Vor Schreck wich ich zurück.

Aber zu meinem großen Erstaunen nahm mir Mr Obdachlos mein Smartphone nicht weg. Im Gegenteil, er wollte mir etwas geben. Seine schmuddeligen Finger versuchten, mir einen schlampig zusammengefalteten Zettel zuzustecken. Igitt! Vielleicht kam der geradewegs aus irgendeinem Mülleimer, in dem er gewühlt hatte!

Ich schlug ihm den Zettel aus der Hand und schnauzte ihn an: »Was willst du?«

»Don’t shoot the messenger«, sagte er und überquerte die Straße.

»Vollidiot!«, rief ich ihm nach.

Er hörte mich nicht oder tat so, als würde er mich nicht hören, auf jeden Fall schlurfte er einfach weiter, die Plastiktüte an sich gepresst, als wäre sie ein kostbarer Schatz, den er hüten musste. Ich starrte ihm nach, bis er in der kleinen Grünanlage verschwand.

Creep!

Dann erst schaute ich nach dem Zettel, der zu Boden gefallen war.

Hä? Stand da etwa mein Name drauf?

Ich ging in die Hocke, damit ich den Text besser lesen konnte und trotzdem nichts anzufassen brauchte.

Tatsächlich: ELVIS LONG – das war ich.

Das Blut rauschte mir in den Ohren. Es war also nicht einfach irgendein Zettel, sondern eine Nachricht. Aber woher wusste der Penner meinen Namen?

Meine Neugier war stärker als mein Ekel. Ich hob den Zettel auf und faltete ihn auseinander. Schwarze, von Hand geschriebene Buchstaben im Layout eines Einkaufszettels. Mein Blick glitt über den Text.

DAS IST EIN TEST.

WIR HABEN DEINEN VATER.

ERZÄHL ES NIEMANDEM.

SONST UNTERZEICHNEST DU SEIN TODESURTEIL.

2

Trying to get to you

Das musste ein Irrtum sein. Mr Obdachlos hatte mich bestimmt mit jemandem verwechselt – mit irgendeinem Söhnchen reicher Leute, das mir zufällig ähnlich sah. Ich meine, warum sollte jemand meinen Vater kidnappen wollen? Meistens hatte er mehr Schulden als Geld.

Andererseits: Das war mein Name auf diesem Zettel. Auf St. Michael gab es noch einen Bob Long – nicht verwandt – und ein paar Straßen weiter wohnte Martin Long – ein entfernter Neffe –, aber ich kannte niemanden, der wie ich Elvis hieß. Nur wenige Eltern sind so gestört, ihr Kind nach einem hüftschwingenden Sänger im Karateanzug mit Glitzersteinchen zu nennen.

Außerdem hatte der Penner in unserer Straße auf mich gewartet. Er wusste offenbar nicht nur, wie ich heiße, sondern auch, wo ich wohne. Der Zettel war also sehr wohl für mich bestimmt. Ich glaubte nicht, dass Mr Obdachlos ihn selbst geschrieben hatte, sonst würde er nicht von einem messenger reden. Aber wer um Himmels willen hatte ihn als Boten zu mir geschickt?

Mein Smartphone vibrierte erneut. Ich dachte sofort wieder an Talisha, aber diesmal kam die SMS von Peter.

WO STECKST DU DENN, MANN?

Ein Gedanke durchzuckte mich – stammte der Zettel vielleicht von den Zwillingen? Der zigste Scherz, um Talisha und mir dazwischenzufunken?

Nein, das konnte nicht sein. Peter und Simon wussten überhaupt nicht, dass ich eine Verabredung mit ihr hatte. Dann ein Scherz von jemand anderem?

Wir haben deinen Vater …

Dass sich der ein oder andere Knirps so einen idiotischen Text ausdenkt, das konnte ich mir ja noch vorstellen. Die haben das vielleicht aus dem Fernsehen und spielen es nach. Simon ist früher auch mal von einem Schuppen gesprungen, weil er dachte, er könne wie Superman fliegen. Aber ein Erwachsener, der zum Spaß solche Zettel verschickt?

Dennoch sah die Handschrift danach aus. Ein Demenzkranker mit einem morbiden Humor vielleicht? Oder vielleicht so ein Typ wie Murry? Er wohnte ein paar Häuser weiter als meine Mutter und ich und tat nichts lieber, als die ganze Nachbarschaft zu terrorisieren.

Na, dann kannte er Elvis Long noch nicht! So leicht ließ ich mich nicht auf so etwas ein. Erst mal nachsehen, ob Papa nicht einfach ganz normal zu Hause auf dem Sofa herumhing.

Mit der modernen Technik war das nicht allzu kompliziert. Ich suchte die Nummer meines Vaters und drückte auf Anrufen.

Sein Telefon läutete, aber er nahm nicht ab.

Ich sprach ihm auf den Anrufbeantworter: »Hallo Papa, kannst du mich bitte mal zurückrufen?«

Wahrscheinlich schlief er noch. Das war vollkommen normal nach einem Auftritt.

Aber das weißt du nicht sicher, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.

Ich mochte mir gar nicht vorstellen, dass ich vielleicht gerade mit Talisha irgendwo herumknutschte, während mein Vater …

»Na, herzlichen Dank, Papa …«, murmelte ich.

Dann steckte ich das Smartphone wieder ein und rannte zur John Street.

Seit meine Eltern getrennt sind, hat mein Vater dort ein Zwei-Zimmer-Appartement über einer Feinbäckerei. Die Eigentümerin heißt eigentlich Will Suthers, aber mein Vater und ich sagen immer Willy Wonka, weil sie mit Schokolade zaubern kann, wie Willy Wonka im Buch Charlie & die Schokoladenfabrik. Ihre Cupcakes und Brownies sind kriminell köstlich, ungelogen! Papa ist übrigens nicht nur ihr Mieter, sondern auch ihr Nachbar, denn sie wohnt gleich neben ihm. Sie teilen sich einen Treppenaufgang und eine knallrote Haustür.

Nach zehn Minuten Spitzensport presste ich keuchend und verschwitzt meinen Daumen auf die oberste Klingel. Papa gab keinen Mucks. Auch nicht, als ich die Briefkastenlade klappern ließ.

Er kann manchmal ziemlich tief schlafen, also klingelte ich erneut – lange und laut – und danach klingelte und klapperte ich gleichzeitig.

Warten. Horchen.

Ich trat einen Schritt zurück und spähte hinauf. Nirgends war auch nur der Schimmer einer Bewegung zu erkennen und es ging auch kein Fenster auf.

Ich versuchte, meine aufsteigende Unruhe zu unterdrücken. Es war bestimmt alles in Ordnung. Außerdem konnte ich die Schlüssel holen und mich selbst reinlassen. Wonka hatte ein Reserveset im Laden.

Als ich die Tür von Pies & Pastries öffnete, läutete eine altmodische Ladenglocke. Eine Mischung aus süßen und bitteren Düften kitzelte meine Nase. Wonka stand hinter der Theke und schob gerade eine Schale mit Fleischpastetchen in die Vitrine. Sobald sie mich erkannte, zog sie wie ein Kaninchen die Oberlippe hoch. So lächelt sie immer.

»Elvis, Schätzchen!«, sagte sie. »Wie geht es dir?«

»Prima«, schwindelte ich. »Kann ich mal die Schlüssel haben? Mein Vater macht nicht auf. Wahrscheinlich liegt er noch im Bett.«

Sie machte noch mal das Kaninchen und verschwand dann nach hinten. »Neue Brille?«

»Richtig gesehen!«, rief ich.

»Steht dir gut!« Sie kam mit zwei Schlüsseln an einem kleinen Ring zurück. »Ich bräuchte eigentlich auch eine. Eine Lesebrille, meine ich. Meine Arme werden zu kurz für die kleinen Buchstaben.«

Ich machte, dass ich rauskam, bevor sie auch noch von ihren kaputten Hüften und schmerzenden Hühneraugen anfangen würde.

Haustür öffnen! Ich nahm die Treppe mit zwei Stufen auf einmal und bollerte mit der Faust gegen die Wohnungstür.

Entweder hatte er sich bewusstlos gesoffen oder er war nicht da. Und wenn er nicht da war, konnte dieser Zettel …

Unsinn!

Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und ging hinein. Die niedrige Decke und das kleine Zimmer verursachten mir wie immer ein beklemmendes Gefühl. Ein paar Sekunden, dann war es vorbei.

»Papa!«, rief ich. »Pa, ich bin’s, Elvis!«

Für die Durchsuchung seiner Wohnung brauchte man keine drei Sekunden. Ich konnte das Sofa, den Fernseher und die kleine Küche inklusive der Esstheke mit einem Blick erfassen. Mein Vater war nicht da.

»Papa?« Ich betrat das schmale Schlafzimmer.

Niemand lag im Bett. Besser gesagt: Es war schon gemacht. Über dem Stuhl neben dem Fenster hingen keine Kleidungsstücke. Ich überprüfte das Badezimmer – eine anderthalb Quadratmeter große Nasszelle mit WC, Abflussloch und Dusche –, aber auch die war leer.

Ehrlich gesagt bekam ich allmählich ein bisschen Schiss. Papa hat die biologische Uhr eines Vampirs und jetzt war er vor elf Uhr morgens schon aus dem Haus. Das war zumindest verdächtig.

Ich unterzog die Küche einer näheren Inspektion. Mein Vater war nicht während des Frühstücks mitgenommen worden, sonst würden noch Sachen herumstehen. Im Spülbecken stand nur ein Glas, aber kein schmutziger Teller, keine benutzte Tasse und keine Pfanne. Vielleicht hatte er noch nicht gefrühstückt und plötzlich gemerkt, dass er keine Eier mehr hatte. War kurz in den Coop gegangen, um welche zu kaufen. Sowieso sah ich nirgendwo Hinweise eines plötzlichen Aufbruchs oder eines Kampfs, wie zerbrochene Fotorahmen oder einen umgefallenen Stuhl. Die Barhocker an der Esstheke standen noch normal aufrecht und waren nicht einmal zurückgeschoben. Das war beruhigend. Mein Vater würde sich nie ohne Gegenwehr mitnehmen lassen und es schien mir auch nicht wahrscheinlich, dass die Kidnapper alles ordentlich aufgeräumt hatten.

Trotzdem konnte ich es nicht lassen, den Inhalt des Kühlschranks zu überprüfen. Fünf Eier, Butter, Frühstücksspeck, Milch. Im Schrank lag noch ein halbes Brot und ich fand ein Glas löslichen Kaffee und Teebeutel. Völlig ausreichend für ein Frühstück.

Nicht zum Coop also.

Ich ließ den Deckel des Mülleimers hochklappen. Es war gerade eine neue Tüte drin. Ich hatte erwartet, Eierschalen oder benutzte Teebeutel darin zu finden, aber nein. Auf dem Boden lag nur eine leere Konservendose: Ravioli in Tomatensoße.

Das war dann doch wieder alarmierend.

Keine Spur von Frühstück, nur Abendessen und …

Das Bett! Wahrscheinlich war es nicht schon gemacht, sondern es hatte einfach niemand darin geschlafen.

Ich lehnte mich an die Anrichte und kaute auf der Innenseite meiner Wange.

Warum war Papa heute Nacht nicht nach Hause gekommen? Hatte er jemanden getroffen und anderswo übernachtet? Es wäre allerdings schon ein blöder Zufall, wenn das ausgerechnet an dem Tag passierte, an dem ich so einen seltsamen Zettel bekam. Manche Tage beginnen fantastisch, aber kaum passt man mal einen Augenblick nicht auf, landet man in der Hölle. Ich musste ernsthaft damit rechnen, dass es wahr sein könnte. Dass mein Vater tatsächlich entführt worden war. Und zwar nicht erst heute Morgen, sondern schon gestern.

3

Viva Las Vegas

Erst als ich auf der Straße stand, dachte ich wieder an Talisha. Sie war natürlich schon längst weg – schöne, selbstsichere Mädchen warten wirklich keine Ewigkeit. Eigentlich fand ich es nicht einmal besonders schlimm. Mir stand der Kopf gerade nicht nach einem Date oder so.

Ich suchte ihre Nummer und hielt mir das Smartphone ans Ohr.

»Hi, hier spricht Talisha …«

Ich machte mir nicht die Mühe, ihr auf den AB zu sprechen, den hörte sie doch nie ab. Eine SMS schicken, war besser.

SORRY, ES IST ETWAS DAZWISCHENGEKOMMEN, KÖNNEN WIR UNS ETWAS SPÄTER TREFFEN?

Jetzt nur noch hoffen, dass sie mir nicht allzu böse sein würde.

Ich steckte mein Telefon ein und machte mich auf den Weg ins Vegas. Onkel Bob würde mir bestimmt mehr erzählen können. Er war nicht wirklich mein Onkel, sondern der Manager meines Vaters und der Besitzer der Spielhölle, in der mein Vater auftrat.

Pa ist Elvis-Imitator. Das klingt vielleicht komisch, aber das Lachen vergeht einem schnell, wenn man das in einer Klasse mit Kindern von Managern, Ärzten und Feuerwehrmännern erzählen muss. Oder den Eltern eines Mädchens, das man mag, oder dem Mädchen selbst. Darum sagte ich meistens, Papa sei Künstler, und wenn sie weiterfragten: Sänger, und wenn sie immer noch weiter fragten: von Covertiteln. Aber jeder, der ab und zu ins Vegas ging, wusste, dass mein Vater sich an fünf Abenden der Woche in ein Elvis-Kostüm zwängte, um vor einem silbernen Glitzervorhang zu singen.

»Viva Las Vegas!«

Damals, als meine Eltern sich gerade getrennt hatten, nahm mich mein Vater regelmäßig mit zu seiner Arbeit. Das war billiger als ein Babysitter. Sein Repertoire bestand aus drei Sets und einer Zugabe. Ich wurde meistens schon nach dem ersten Set in die Privaträume vom Vegas verbannt. Da gab es ein kleines Zimmer, das eigentlich als Umkleide für die Künstler gedacht war, aber das verschlissene Sofa, das dort stand, wurde auch von den Kellnerinnen benutzt, wenn sie Pause machen wollten. Und eben von mir als Schlafsofa. Onkel Bob hatte damit kein Problem. Ich durfte Popcorn essen und Cola trinken bis zum Abwinken und es fühlte sich an, als wäre ich im Paradies gelandet. Leider bekam meine Mutter schon nach einigen Monaten Wind davon. Sie gebrauchte – missbrauchte, sagte Papa – die Umgangsregelung als Druckmittel: »Wenn du Elvis noch einmal in dieses Sodom und Gomorra mitnimmst, siehst du ihn nie wieder!« Meine Mutter reagiert durchaus öfter mal übertrieben, finde ich. Vor allem, wenn es um meinen Vater geht.

Ich verstand übrigens nicht, wo Onkel Bob sie immer auftrieb, aber seine Kellnerinnen waren die schönsten in der ganzen Stadt. Und dann trugen sie auch noch Kleider, die alle ein klein wenig durchsichtig waren, sodass man ihre Unterwäsche durchschimmern sah …

Ich erschrak von dem Ping-Geräusch aus meiner Hosentasche.

Talisha! Irgendwie fühlte ich mich ertappt.

ETWAS?, schrieb sie. ICH HABE EINE VIERTELSTUNDE AUF DICH GEWARTET, DU TROTTEL. WAS GIBT ES WICHTIGERES ALS EINE VERABREDUNG MIT MIR?!!!

Sie hatte auf mich gewartet. Das hörte sich doch gar nicht so schlecht an, oder?

Mein Daumen flitzte über die Tasten: NICHTS, ABER ES IST WAS MIT MEINEM VATER UND …

Gerade noch rechtzeitig dachte ich an den Zettel: Erzähle es niemandem, sonst unterzeichnest du sein Todesurteil.

Löschen!

MEGASORRY, ABER MIR IST PLÖTZLICH TOTAL ÜBEL. Ich drückte auf Versenden.

Talishas Antwort folgte auf dem Fuß: SHIT, DOCH NICHTS SCHLIMMES? WIE BLÖD FÜR DICH, WIR HOLEN DAS SPÄTER NACH, JA?

JA!!! schrieb ich.

Das Vegas liegt am Palmera Drive. Auf die rosafarbene Wand neben dem Eingang ist The Strip gemalt, das ist die bekannteste Straße des echten Las Vegas, in der alle großen Kasinos stehen. Noch bevor ich richtig drinnen war, hörte ich das Piepen und Rattern der Spielautomaten vermischt mit Hintergrundmusik. Zumindest wenn man das Geplärre von Elton John als Musik bezeichnen kann.

Nach der grellen Sonne mussten sich meine Augen erst an das Halbdunkel gewöhnen. Um diese Zeit war noch nicht viel los. Die Stammkunden schliefen ihren Rausch aus und es waren meist Touristen, die jetzt schon ein Spielchen wagten.

»Elvis? Was machst du denn hier?« Ein kleiner Mann mit einem runden Schädel und einem Strichbart kam zu mir.

Onkel Bob.

Unterwegs hatte ich schon meine Taktik festgelegt: Nicht von dem Zettel reden, aber meine Fragen so formulieren, dass er nicht misstrauisch werden würde: »Ich bin auf …«

Er ließ mich nicht ausreden. »Hat dein Vater dich geschickt?«

»Ich suche ihn gerade. Er ist nicht zu Hause, also dachte ich …«

»Hier ist er auch nicht.«

»Aber gestern doch schon, oder?«

Onkel Bob schüttelte den Kopf.

Ich verstand es nicht. »Wann hast du ihn denn zum letzten Mal gesehen?«

»Ungefähr vor einem Monat.«

Einen Augenblick war ich perplex. »Und seine Auftritte?«

»Hat er dir nichts erzählt?« Onkel Bob sah einer seiner bildschönen Kellnerinnen hinterher.

»Was?«, fragte ich.

»Ich … äh …« Er richtete den Blick zu Boden. Roter Teppich. Getränke- und Kaugummiflecken.

»Ich habe ihn entlassen müssen.«

Papa arbeitete schon hundert Jahre im Vegas!

»Ich konnte nicht anders«, murmelte Onkel Bob. »Er blieb immer öfter weg. Und das, obwohl er mir noch Lohn schuldet.«

Er irrt sich, dachte ich. Bob ist der Boss und Papa ist der Arbeitnehmer. Wie kann mein Papa ihm dann Lohn schulden?

»Ich hätte ihm nie diesen Vorschuss geben dürfen.« Onkel Bob starrte weiter auf diesen blöden Teppich, als wäre er eine faszinierende Landkarte. »Er sagte, er bräuchte es für eine Investition und er würde es doppelt und dreifach wieder reinkriegen. Dann bekäme ich im Handumdrehen mein Geld, inklusive Zinsen.«

»Was für eine Investition?«

»Keine Ahnung. Er tat ungeheuer geheimnisvoll.« Onkel Bob zupfte an seinem Bärtchen. »Vermutlich hat er es einfach verzockt, kann es mir nicht zurückzahlen und traut sich deswegen nicht mehr, sich hier blicken zu lassen.«

Eine Kellnerin tippte Onkel Bob auf die Schulter. »Der Magier ist da.«

»Ich komme.« Dann sah er mich endlich an. »Es tut mir leid, ich habe einen Bewerber.«

Als würde ich nicht merken, wie erleichtert er war.

Onkel Bob verschwand hinter der Tür mit der Aufschrift PRIVAT und ich ging hinaus. Das Licht war wie ein Schneidbrenner. Mir war schwindelig. Natürlich war es nichts Neues, dass mein Vater Schulden hatte, aber dass er sogar bei Onkel Bob in der Kreide stand …

Und dann fiel mir etwas ein: Vielleicht schuldete er den Kidnappern ja auch Geld und sie hatten ihn deswegen entführt? Dann wäre der Zettel ein letzter verzweifelter Versuch, den Betrag doch noch zurückzubekommen, und sie hofften, Mama oder sonst jemand wäre verrückt genug zu zahlen.

Aber weshalb durfte ich dann niemandem etwas davon erzählen? Und warum stand nichts von Lösegeld auf dem Zettel?

4

Double trouble

Da stand ich also, vor dem Vegas, den Kopf voller brennender Fragen, in der glühend heißen Sonne.

Ich musste etwas tun, aber was? Ehrlich gesagt fiel mir rein gar nichts ein. Die ganze Situation war so absurd, dass sie genau so im Fernsehen laufen könnte, außer, dass die Leute in Krimiserien immer wissen, was sie tun müssen, nämlich: herausfinden, wer das Opfer zuletzt gesehen hat. Und dann ist auch schon klar, wer der Mörder – oder in Papas Fall: der Entführer ist.

Weil mir nichts Besseres einfiel, beschloss ich, dieselbe Taktik anzuwenden. Meine erste Anlaufstelle war Betfred – das Lieblingswettbüro meines Vaters in der Little Road. Papa war dem Hunderennen sehr zugetan. Vor Jahren hatte er auf den Neuling Lucky Strike gesetzt und damit genügend Geld gewonnen, um einen Gebrauchtwagen und einen Secondhandfernseher kaufen zu können. Er nannte es »seine große Schlacht«, als wäre er so eine Art Wilhelm der Eroberer – und obwohl er das Auto schon längst wieder hatte verscherbeln müssen, glaubte er noch immer, dass irgendein Windhund ihn eines Tages zu einem reichen Mann machen würde.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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