Credo. Das letzte Geheimnis - Douglas Preston - E-Book

Credo. Das letzte Geheimnis E-Book

Douglas Preston

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Beschreibung

In einem abgelegenen Labor geschieht das Unfassbare: Wissenschaftler finden eine Möglichkeit, mit Gott zu kommunizieren! Aber darf der Mensch sich dies anmaßen? Während ein TV-Prediger die Öffentlichkeit gegen die Blasphemie aufhetzt, versucht Spezialermittler Wyman Ford im Auftrag der Regierung herauszufinden, was wirklich in der Forschungseinrichtung geschieht. Ihm bleibt nicht viel Zeit, denn vor den Toren des Labors formiert sich ein wütender Mob … Credo. Das letzte Geheimnis von Douglas Preston: Spannung pur im eBook!

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Seitenzahl: 646

Veröffentlichungsjahr: 2009

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Ähnliche


Douglas Preston

Credo

Das letzte Geheimnis Thriller

Aus dem Amerikanischen von Katharina Volk

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Inhaltsübersicht

Widmung

Karten

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel

80. Kapitel

81. Kapitel

Epilog

Die Worte Gottes

Erste Sitzung

Zweite Sitzung

Danksagung

Für Priscilla,

Penny, Ellen, Jim und Tim

Karten

Juli

1

Ken Dolby stand am Instrumentenpult, und seine langen Finger strichen zärtlich über die Schalthebel seiner Isabella. Er wartete, kostete den Moment noch ein wenig aus, schloss dann eine Sicherheitsabdeckung an der Konsole auf und legte einen kleinen roten Hebel um.

Kein Summen ertönte. Kein Geräusch wies darauf hin, dass der teuerste wissenschaftliche Apparat auf Erden soeben eingeschaltet worden war. Nur im dreihundert Kilometer entfernten Las Vegas wurden die glitzernden Lichter einen Hauch schwächer.

Während Isabella warm lief, spürte Dolby nun ihre leichte Vibration durch den Fußboden. Er stellte sich die Maschine stets als Frau vor, und in seinen phantasievolleren Augenblicken hatte er sich sogar ausgemalt, wie sie aussah – groß und schlank, mit muskulösen Schultern, schwarz wie die Wüstennacht, schimmernd vor Schweißperlen. Isabella. Diese Gedanken teilte er mit niemandem – wozu sich lächerlich machen? Für die übrigen Wissenschaftler, die an dem Projekt arbeiteten, war Isabella ein Ding, ein unbelebter Apparat, gebaut zu einem bestimmten Zweck. Aber Dolby hatte die Maschinen, die er erschuf, schon immer mit einer gewissen Zärtlichkeit betrachtet – seit er mit zehn Jahren sein erstes Radio aus einem Bausatz gebastelt hatte. Fred. So hatte das Radio geheißen. Und wenn er an Fred dachte, sah er einen dicken weißen Mann mit karottenrotem Haar. Der erste Computer, den er gebaut hatte, hieß Betty – die in seiner Vorstellung aussah wie eine forsche, tüchtige Sekretärin. Er konnte nicht erklären, weshalb seine Maschinen eine solche Persönlichkeit annahmen – es war einfach so.

Und nun diese hier, der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger der Welt … Isabella.

»Wie sieht’s aus?«, fragte Hazelius, der Teamleiter, der nun zu ihm trat und ihm freundlich die Hand auf die Schulter legte.

»Schnurrt wie ein Kätzchen«, sagte Dolby.

»Gut.« Hazelius richtete sich auf und wandte sich an das gesamte Team. »Kommen Sie bitte mal alle her, ich habe Ihnen etwas zu sagen.«

Es wurde still, als die anderen erwartungsvoll von ihren Arbeitsplätzen aufstanden. Hazelius durchquerte den kleinen Raum und stellte sich vor dem größten Plasmabildschirm auf. Klein, dünn und rastlos wie ein Nerz im Käfig lief er kurz vor dem Bildschirm hin und her, bevor er sich mit strahlendem Lächeln dem Team zuwandte. Dolby staunte immer wieder über die charismatische Ausstrahlung dieses Mannes.

»Meine lieben Freunde«, begann Hazelius und blickte mit türkisblauen Augen in die Runde. »Wir schreiben das Jahr vierzehnhundertzweiundneunzig. Wir stehen am Bug der Santa Maria und beobachten den endlosen Horizont des Meeres, wenige Augenblicke, bevor die Küste der Neuen Welt in Sicht kommt. Heute ist der Tag, an dem wir über diesen unbekannten Horizont hinaussegeln und am Ufer unserer eigenen Neuen Welt anlanden werden.«

Er griff in seine handgefertigte Chapman-Tasche, die er stets mit sich herumtrug, und zog eine Flasche Veuve Clicquot hervor. Mit blitzenden Augen hielt er sie wie eine Trophäe hoch und knallte sie dann auf den Tisch. »Die ist für später, heute Abend, wenn wir den ersten Schritt auf den Strand getan haben. Denn heute Abend werden wir Isabella auf hundert Prozent hochfahren.«

Diese Ankündigung wurde schweigend aufgenommen. Kate Mercer, die stellvertretende Leiterin des Projekts, sprach als Erste. »Hatten wir nicht geplant, erst drei Durchläufe mit fünfundneunzig Prozent zu fahren?«

Hazelius erwiderte lächelnd ihren Blick. »Ich bin ungeduldig. Du etwa nicht?«

Mercer strich sich das glänzende schwarze Haar zurück. »Was, wenn wir eine unbekannte Resonanz erzeugen oder ein Schwarzes Mini-Loch?«

»Deine eigenen Berechnungen weisen nach, dass dieser Fall mit eins zu einer Quadrillion extrem unwahrscheinlich ist.«

»Meine Berechnungen könnten falsch sein.«

»Deine Berechnungen sind nie falsch.« Hazelius lächelte und wandte sich Dolby zu. »Was meinen Sie? Ist sie so weit?«

»Worauf Sie sich verlassen können.«

Hazelius breitete fragend die Hände aus. »Na dann?«

Alle im Raum wechselten Blicke. Sollten sie es riskieren? Wolkonski, der russische Programmierer, brach das Eis. »Ja, machen wir’s!« Er klatschte dem verblüfften Hazelius gegen die erhobene Hand, und dann fingen alle damit an, sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen, die Hände zu schütteln und einander zu umarmen wie eine Basketballmannschaft vor dem Spiel.

 

Fünf Stunden und ebenso viele Tassen schlechten Kaffees später stand Dolby vor dem riesigen Flachbildschirm. Er war noch dunkel – die Protonen- und Antiprotonen-Strahlen waren noch nicht miteinander in Kontakt gebracht worden. Es dauerte ewig, die Maschine hochzufahren und Isabellas supraleitende Magneten herunterzukühlen, die gewaltige Stromstärken aushalten mussten. Dann konnte die Leistung nur in Fünf-Prozent-Schritten gesteigert werden, da man ständig die Strahlen fokussieren und kollimieren, die supraleitenden Magneten überprüfen und diverse Testprogramme laufen lassen musste, ehe man wiederum um fünf Prozent steigern konnte.

»Neunzig Prozent«, verkündete Dolby.

»Jesus, Scheiße«, sagte Wolkonski irgendwo hinter ihm und versetzte der Kaffeemaschine einen Schlag, dass sie klapperte wie der Zinnmann aus dem Zauberer von Oz. »Schon wieder leer!«

Dolby verkniff sich ein Lächeln. Während der zwei Wochen, die sie hier auf der Mesa verbracht hatten, hatte Wolkonski sich als Klugscheißer entpuppt – ein fauler, gammeliger Kerl ohne Manieren, dem zu viel Geld in den Hintern geschoben wurde; er hatte langes, fettiges Haar, trug zerrissene T-Shirts, und an seinem Kinn klebte ein Klümpchen Bart, das an Schamhaar erinnerte. Er sah eher aus wie ein Drogensüchtiger denn wie ein brillanter Software-Spezialist. Aber vielleicht waren die alle so.

Ein weiteres gelassenes Ticken der Uhr.

»Strahlen ausgerichtet und fokussiert«, sagte Rae Chen. »Schwerpunktsenergie beträgt vierzehn Tera-Elektronenvolt.«

»Isabella macht gut«, sagte Wolkonski.

»Bei mir ist alles grün«, sagte Cecchini, der Teilchenphysiker.

»Sicherheit, Mr. Wardlaw?«

Der Sicherheitsbeauftragte, Wardlaw, meldete von seiner Überwachungskonsole: »Nur Kakteen und Kojoten, Sir.«

»Also schön«, sagte Hazelius. »Es ist so weit.« Er machte eine dramatische Pause. »Ken? Bringen Sie die Strahlen zur Kollision.«

Dolby spürte, wie sein Herz einen Satz machte. Er legte die spinnenartigen Finger an die Konsole und justierte die Regler; seine Berührung war so feinfühlig wie die eines Pianisten. Dann tippte er rasch einige Befehle auf der Tastatur.

»Kontakt.«

Auf einen Schlag erwachten die riesigen Flachbildschirme überall um sie herum zum Leben. Ein beinahe singendes Geräusch hing plötzlich in der Luft, das von überall und nirgends zu kommen schien.

»Was ist das?«, fragte Mercer erschrocken.

»Eine Billion Partikel, die durch die Detektoren geblasen werden«, sagte Dolby. »Die Kühlung erzeugt hohe Vibrationen.«

»Himmel, das hört sich an wie der Monolith aus Odyssee im Weltraum.«

Wolkonski gackerte wie ein Affe. Alle ignorierten ihn.

Ein Bild erschien auf dem zentralen Monitor, dem sogenannten Visualizer. Dolby starrte wie gebannt darauf. Es sah aus wie eine riesige Blume – flackernde, farbige Strahlen, die von einem einzigen Punkt ausgingen und sich verzerrten und wanden, als wollten sie sich von dem Bildschirm losreißen. Ehrfürchtig stand er vor diesem Bild intensivster Schönheit.

»Kontakt erfolgreich«, sagte Rae Chen. »Strahlen kollimiert. Lieber Himmel, das war perfekt!«

Freudenrufe und vereinzeltes Händeklatschen ertönten.

»Meine Damen und Herren«, sagte Hazelius, »willkommen in der Neuen Welt.« Er deutete auf den Visualizer. »Sie sehen vor sich eine Energiedichte, wie es sie seit dem Urknall in diesem Universum nicht mehr gegeben hat.« Er wandte sich Dolby zu. »Ken, bitte die Leistung in Zehntelschritten auf neunundneunzig erhöhen.«

Das ätherische Summen wurde noch ein wenig lauter, als Dolby sich an der Tastatur zu schaffen machte. »Sechsundneunzig«, sagte er.

»Schwerpunktsenergie siebzehn Komma vier TeV«, sagte Chen.

»Siebenundneunzig … Achtundneunzig.«

Angespanntes Schweigen senkte sich über das Team, einzig das Summen erfüllte nun den unterirdischen Kontrollraum; es klang, als singe der Berg um sie herum.

»Strahlen noch im Fokus«, sagte Chen. »Schwerpunktsenergie zweiundzwanzig Komma fünf TeV.«

»Neunundneunzig.«

Isabellas Summen klang immer höher und reiner.

»Moment mal«, sagte Wolkonski und beugte sich über die Workstation des Supercomputers. »Isabella ist … langsam.«

Dolby fuhr herum. »Mit der Hardware ist alles in Ordnung. Das muss eine weitere Software-Panne sein.«

»Software ist keine Problem«, sagte Wolkonski.

»Vielleicht sollten wir hier aufhören«, sagte Mercer. »Irgendwelche Hinweise auf Entstehung eines Schwarzen Mini-Lochs?«

»Nein«, antwortete Chen. »Keine Spur von Hawking-Strahlung.«

»Neunundneunzig Komma fünf«, sagte Dolby.

»Ich bekomme hier einen Teilchenjet von zweiundzwanzig Komma sieben«, sagte Chen.

»Welcher Art?«, fragte Hazelius.

»Eine unbekannte Resonanz. Seht euch das mal an.«

An der Blume auf dem Visualizer hatten sich zwei flackernde rote Halbkreise gebildet, wie zwei verrückte Clownsohren.

»Inelastische Streuung«, sagte Hazelius. »Gluonen vielleicht. Könnte ein Anzeichen von Kaluza-Klein-Gravitation sein.«

»Unmöglich«, sagte Chen. »Nicht bei dieser Schwerpunktsenergie.«

»Neunundneunzig Komma sechs.«

»Gregory, ich glaube, wir sollten nicht weiter hochfahren«, sagte Mercer. »Hier passiert auf einmal alles Mögliche.«

»Natürlich sehen wir unbekannte Resonanzen«, sagte Hazelius, der nicht lauter sprach als die anderen, dessen Stimme aber dennoch besonders deutlich klang. »Wir stoßen in unbekanntes Terrain vor.«

»Neunundneunzig Komma sieben«, verkündete Dolby. Er hatte volles Vertrauen in seine Maschine. Er konnte sie auf hundert Prozent bringen und darüber hinaus, falls nötig. Er fand die Vorstellung aufregend, dass sie gerade fast ein Vier- tel der Turbinenleistung des Hoover-Staudamms auffraßen. Deshalb mussten sie ihre Versuche auch mitten in der Nacht durchführen – wenn alle anderen am wenigsten Strom brauchten.

»Neunundneunzig Komma acht.«

»Wir haben hier eine richtig große, unbekannte Wechselwirkung«, meldete Mercer.

»Was los, du Stück Scheiße?«, brüllte Wolkonski den Computer an.

»Ich sage euch, wir nähern uns gerade einem Kaluza-Klein-Raum an«, sagte Chen. »Das ist unglaublich.«

Auf dem großen Monitor mit der Blume begann es zu schneien.

»Isabella machte komisch«, sagte Wolkonski.

»Inwiefern?«, fragte Hazelius von seinem Standpunkt in der Mitte des Kontrollraums.

»Klebrig wie Muschi.«

Dolby verdrehte die Augen. Wolkonski war echt das Letzte. »Bei mir ist alles klar.«

Wolkonski hackte wütend auf der Tastatur herum, fluchte dann auf Russisch und schlug heftig mit der flachen Hand gegen seinen Monitor.

»Gregory, meinst du nicht, wir sollten sie herunterfahren?«, drängte Mercer.

»Noch eine Minute«, sagte Hazelius.

»Neunundneunzig Komma neun«, sagte Dolby. Sämtliche Augen im Raum, vor fünf Minuten noch schlaftrunken, waren nun weit aufgerissen. Nur Dolby war ganz entspannt.

»Ich sage, Kate hat recht«, erklärte Wolkonski. »Gefällt mir nicht, wie Isabella macht. Wir starte Abschaltsequenz.«

»Ich übernehme die volle Verantwortung«, sagte Hazelius. »Wir sind noch locker innerhalb der Spezifikationen. Der Datenstrom von zehn Terabits pro Sekunde ist ihr ein bisschen zu happig, weiter nichts.«

»Happig? Was sein happig?«

»Hundert Prozent Leistung«, sagte Dolby mit einem Hauch Selbstzufriedenheit in der entspannten Stimme.

»Schwerpunktsenergie beträgt siebenundzwanzig Komma eins acht zwei acht TeV«, meldete Chen.

Schneeflocken sprenkelten die Monitore. Das singende Summen erfüllte den Raum wie eine Stimme aus dem Jenseits. Die Blume auf dem Visualizer waberte und dehnte sich aus. Ein schwarzer Punkt, wie ein Loch, erschien in der Mitte.

»Ho!«, rief Chen. »Verlust sämtlicher Daten für K-Null.«

Die Blume flackerte. Dunkle Streifen schossen hindurch.

»Das ist verrückt«, sagte Chen. »Ich mache keine Witze, die Daten verschwinden.«

»Nicht möglich«, erwiderte Wolkonski. »Daten nicht verschwinden. Teilchen ist verschwindet.«

»So ein Blödsinn. Teilchen verschwinden hier nicht.«

»In Ernst, Teilchen ist verschwindet.«

»Software-Problem?«, fragte Hazelius.

»Keine Software-Problem«, sagte Wolkonski laut. »Hardware-Problem.«

»Fick dich ins Knie«, brummte Dolby.

»Gregory, Isabella zerstört vielleicht gleich die D-Brane«, sagte Mercer. »Ich finde wirklich, wir sollten jetzt abschalten.«

Der schwarze Punkt wuchs, dehnte sich aus und begann, das Bild auf dem Monitor zu verschlucken. An den Rändern flimmerten wie verrückt intensive Farben.

»Die Zahlen sind irre«, sagte Chen. »Ich habe eine Raum-Zeit-Krümmung genau bei K-Null. Sieht aus wie irgendeine Singularität. Vielleicht erschaffen wir gerade ein Schwarzes Loch.«

»Unmöglich«, sagte Alan Edelstein, der Mathematiker im Team, und blickte von der Workstation in der Ecke auf, über die er sich die ganze Zeit über still gebeugt hatte. »Es gibt keinerlei Hinweis auf Hawking-Strahlung.«

»Ich schwöre bei Gott«, rief Chen, »wir reißen gerade ein Loch in die Raumzeit!«

Auf dem Monitor, der die Daten in Echtzeit anzeigte, rasten die Symbole und Zahlen durch wie ein Expresszug. Auf dem großen Monitor über ihnen war die pulsierende Blume verschwunden und hatte ein schwarzes Nichts hinterlassen. Dann entstand Bewegung in dieser Leere – gespenstisch, fledermausartig. Überrascht starrte Dolby hinauf.

»Verdammt, Gregory, abschalten!«, rief Mercer.

»Isabella reagiert nicht Input!«, brüllte Wolkonski. »Ich verlieren Core Routines!«

»Einen Moment noch, bis wir herausfinden, was hier los ist«, sagte Hazelius.

»Weg! Isabella weg!«, schrie der Russe, warf die Hände in die Höhe und ließ sich mit einem angewiderten Ausdruck auf dem knochigen Gesicht in seinen Sessel fallen.

»Bei mir ist immer noch alles im grünen Bereich«, sagte Dolby. »Es kann sich nur um einen massiven Software-Fehler handeln.« Er wandte sich wieder dem Visualizer zu. Ein Bild erschien nun in der Leere, so seltsam, so schön, dass er es zuerst gar nicht begreifen konnte. Er blickte sich um, doch niemand sonst sah es; alle waren auf ihre eigenen Kontrollpulte konzentriert.

»He, entschuldigt mal – weiß jemand, was das da auf dem Monitor sein soll?«, fragte Dolby.

Niemand antwortete ihm. Niemand blickte auf. Alle arbeiteten wie besessen. Die Maschine gab einen seltsamen Gesang von sich.

»Ich bin ja nur der Ingenieur«, sagte Dolby, »aber hat eines von euch Theorie-Genies eine Ahnung, was das ist? Alan, ist das … normal?«

Alan Edelstein blickte beiläufig von seiner Workstation auf. »Das sind nur Zufallsdaten«, sagte er.

»Was soll das heißen, Zufallsdaten? Das Ding hat doch eine Form!«

»Der Computer spinnt. Das können nur noch Zufallsdaten sein.«

»Für mich sieht das aber gar nicht zufällig aus.« Dolby starrte den Monitor an. »Es bewegt sich. Da ist etwas, ich sage es euch – es sieht beinahe lebendig aus, als würde es versuchen, da herauszukommen. Gregory, sehen Sie das?«

Hazelius blickte zu dem Visualizer auf, stutzte und machte ein überraschtes Gesicht. Er drehte sich um. »Rae? Was ist denn mit dem Visualizer los?«

»Keine Ahnung. Ich bekomme ständig kohärente Daten von den Detektoren. Bei mir sieht es nicht so aus, als sei Isabella abgestürzt.«

»Wie würden Sie das Ding auf dem Monitor interpretieren?«

Chen blickte auf, und ihre Augen weiteten sich. »Himmel. Ich habe keine Ahnung.«

»Es bewegt sich«, sagte Dolby. »Es … Na ja, ich glaube, es wird deutlicher.«

Die Detektoren sangen, und ihr hohes Summen ließ den Raum vibrieren.

»Rae, das ist nur Datenschrott«, erwiderte Edelstein. »Der Computer ist abgestürzt – wie könnte er da noch echte Daten liefern?«

»Ich weiß nicht, ob das wirklich Schrott ist«, sagte Hazelius, der immer noch den Monitor anstarrte. »Michael, was meinen Sie?«

Der Teilchenphysiker starrte wie gebannt auf das Bild. »Das verstehe ich nicht. Die Farben und Formen korrespondieren überhaupt nicht mit irgendwelchen Teilchenladungen oder –klassen. Es ist nicht mal radial um K-Null zentriert – sieht aus wie eine seltsame, magnetisch gebundene Plasmawolke.«

»Ich sage euch«, drängte Dolby, »es bewegt sich, es kommt heraus. Das ist wie ein … Herrgott, was zum Teufel ist das?« Er kniff fest die Augen zu, kämpfte gegen Kopfschmerz und Erschöpfung. Vielleicht hatte er schon Halluzinationen. Er öffnete die Augen. Das Ding war immer noch da – und dehnte sich weiter aus.

»Abschalten! Sofort Isabella abschalten!«, schrie Mercer.

Plötzlich war nur noch flimmernder Grieß zu sehen, dann wurde der Monitor pechschwarz.

»Was zur Hölle …?«, rief Chen und tippte hektisch auf ihrer Tastatur herum. »Ich habe keinen Zugriff mehr!«

Mitten auf dem Monitor erschienen langsam zwei Worte. Schweigen senkte sich über die Gruppe, alle starrten hinauf. Sogar Wolkonski, der vor Aufregung recht laut geworden war, verstummte mitten im Wort. Niemand rührte sich.

Dann begann Wolkonski zu lachen, ein angespanntes, schrilles Lachen, hysterisch, verzweifelt.

Dolby packte die Wut. »Du Scheißkerl, du hast das getan.«

Wolkonski schüttelte den Kopf, dass seine fettigen Locken flogen.

»Findest du das etwa komisch?«, fragte Dolby und stand mit geballten Fäusten von seiner Workstation auf. »Du beschissener Hacker ruinierst ein Vierzig-Milliarden-Dollar-Projekt und findest das komisch?«

»Ich nichts hacken«, sagte Wolkonski und wischte sich den Mund ab. »Halt deine Maul.«

Dolby drehte sich zu den anderen um. »Wer war das? Wer hat an Isabella herumgespielt?« Dann drehte er sich wieder zu dem Visualizer um und las laut die beiden Worte vor, die dort in der Schwärze hingen – vor lauter Wut spuckte er sie förmlich aus. »SEID GEGRÜSST.«

Er wandte sich ab. »Ich bringe den Scheißkerl um, der das getan hat.«

September

2

Wyman Ford blickte sich im Büro von Dr. Stanton Lockwood III. um, dem wissenschaftlichen Berater des Präsidenten, der seinen Amtssitz in der 17th Street hatte. Aus langjähriger Erfahrung in Washington wusste Ford, dass ein solches Büro zwar stets so eingerichtet war, dass es den äußeren Eindruck, die öffentliche Persona eines Menschen, repräsentierte, doch irgendetwas darin verriet einem immer auch ein wenig über die wahre Persönlichkeit. Ford ließ den Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach diesem Geheimnis.

Das Büro war in dem Stil eingerichtet, den Ford als »WWMM« bezeichnete – Wichtiger Washingtoner Machtmensch. Die Antiquitäten waren sämtlich echt und von allerbester Qualität, von dem Schreibtisch im Stil des zweiten Empire, so mächtig und hässlich wie ein Hummer-Jeep, bis hin zu der vergoldeten französischen Kaminuhr und dem dezenten Sultanabad-Teppich. Alles in diesem Raum hatte ein verdammtes Vermögen gekostet. Und natürlich war da noch die obligatorische Wand, an der gerahmte Diplome, Ehrenurkunden, Auszeichnungen und Fotos des Büroinhabers mit diversen Präsidenten, Botschaftern und Mitgliedern der Regierung zur Schau gestellt wurden.

Stanton Lockwood wollte, dass die Welt ihn als bedeutenden und wohlhabenden Mann wahrnahm, einflussreich, aber diskret. Doch Ford nahm vor allem wahr, wie grimmig Lockwood sich um diesen Eindruck bemühte. Hier hatte er es mit einem Mann zu tun, der wild entschlossen war, etwas zu sein, das er nicht ist.

Lockwood wartete, bis sein Gast Platz genommen hatte, bevor er sich auf dem Sessel auf der anderen Seite der Sitzecke niederließ. Er schlug ein Bein über und strich mit langen, weißen Fingern über die Bügelfalte seiner Hose. »Sparen wir uns die üblichen Washingtoner Formalitäten«, sagte er. »Nennen Sie mich Stan.«

»Wyman.« Er lehnte sich zurück und musterte Lockwood: gutaussehend, Ende fünfzig, mit einem Hundert-Dollar-Haarschnitt, die Fitnessstudio-Figur in einem anthrazitfarbenen Anzug bestens zur Geltung gebracht. Vermutlich Squashspieler. Sogar das Foto auf dem Schreibtisch von drei perfekten, flachsblonden Kindern mit ihrer attraktiven Mutter wirkte so individuell wie die Aktienfonds-Werbung einer Bank.

»Also«, begann Lockwood in einem Kommen-wir-zur-Sache-Tonfall. »Ich habe nur das Beste über Sie gehört, Wyman, von Ihren ehemaligen Kollegen in Langley. Dort bedauert man Ihren Weggang sehr.«

Ford nickte.

»Es ist schrecklich, was Ihrer Frau zugestoßen ist. Mein aufrichtiges Beileid.«

Ford zwang seinen Körper, sich nicht zu versteifen. Er wusste bis heute nicht, wie er damit umgehen sollte, wenn jemand seine verstorbene Frau erwähnte.

»Man hat mir berichtet, Sie hätten zwei Jahre in einem Kloster verbracht.«

»Fast drei Jahre.«

»Aber das Leben im Kloster war dann doch nichts für Sie?«

»Nur ganz spezielle Menschen eignen sich wirklich zum Mönch.«

»Sie haben also das Kloster verlassen und sich selbständig gemacht.«

»Man muss schließlich von irgendetwas leben.«

»Und, schon interessante Fälle?«

»Überhaupt keinen Fall bisher. Sie sind mein erster Klient – falls es bei dieser Besprechung um einen Auftrag geht.«

»So ist es. Ich habe eine besondere Aufgabe für Sie, und Sie müssten sofort anfangen. Ich werde Sie zehn Tage brauchen, vielleicht auch zwei Wochen.«

Ford nickte.

»Es gibt da einen kleinen Haken, den ich lieber gleich offen ansprechen möchte. Sobald ich Ihnen Einzelheiten über diesen Auftrag genannt habe, dürfen Sie ihn nicht mehr ablehnen. Ihr Einsatzgebiet befindet sich in den Vereinigten Staaten, es besteht keinerlei Risiko, und der Auftrag wird nicht schwer zu erfüllen sein – zumindest meiner Ansicht nach. Aber ob Sie es schaffen oder versagen, Sie dürfen niemals darüber sprechen, also fürchte ich, Sie werden Ihre Referenzenliste nicht damit schmücken können.«

»Und die Bezahlung?«

»Einhunderttausend Dollar in bar, unter der Hand, plus ein offizielles Honorar nach G-elf, Ihrem verdeckten Einsatz angemessen.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Wollen Sie mehr hören?«

Er zögerte nicht. »Nur zu.«

»Sehr schön.« Lockwood zog eine Aktenmappe aus dem Stapel. »Wie ich sehe, haben Sie in Harvard einen Abschluss in Ethnologie gemacht. Wir brauchen einen Ethnologen.«

»Dann fürchte ich, dass ich doch nicht der Richtige für Sie bin. In Ethnologie habe ich nur den Bachelor gemacht. Dann bin ich ans MIT und habe dort in Kybernetik promoviert. Bei meiner Tätigkeit für die CIA hatte ich es hauptsächlich mit Kryptologie und Computern zu tun.«

Lockwood machte eine wegwerfende Handbewegung, wobei sein Princeton-Ring im Licht aufblitzte. »Nicht wichtig. Sagt Ihnen das, äh, Isabella-Projekt etwas?«

»Wer hätte davon noch nicht gehört?«

»Dann verzeihen Sie, wenn ich etwas wiederhole, was Sie vielleicht schon wissen. Isabella wurde vor über zwei Monaten fertiggestellt – für insgesamt vierzig Milliarden Dollar. Ein ungeheuer leistungsfähiger Teilchenbeschleuniger der zweiten Generation für Super-Collider-Experimente. Er wurde gebaut, um die Energieverhältnisse des Urknalls zu erforschen und irgendwelche exotischen Ideen für die Energiegewinnung zu testen. Das ist das Lieblingsprojekt unseres Präsidenten – die Europäer haben schließlich gerade den Large Hadron Collider beim CERN fertiggebaut, und er wollte die amerikanische Führung in der Teilchenphysik nicht einfach abgeben.«

»Selbstverständlich.«

»Die Finanzierung von Isabella war nicht einfach. Die Linken haben ständig genörgelt, wir sollten das Geld lieber für die Krummen und Lahmen ausgeben. Die Rechten haben gejammert, das sei nur ein weiteres Milliardengrab für Steuergelder. Der Präsident musste zwischen Scylla und Charybdis herummanövrieren, aber er hat Isabella beim Kongress durchgeboxt und bis zur Fertigstellung begleitet. Er betrachtet sie als sein Vermächtnis an die Welt und will unbedingt, dass dort alles glattläuft.«

»Zweifellos.«

»Isabella ist, vereinfacht ausgedrückt, ein ringförmiger Tunnel, über neunzig Meter tief in der Erde versenkt und fünfundsiebzig Kilometer lang, in dem Protonen und Antiprotonen in gegensätzliche Richtungen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit im Kreis herumsausen. Wenn die Partikel zur Kollision gebracht werden, entstehen Energiedichten, wie es sie nicht mehr gegeben hat, seit das Universum eine Millionstelsekunde alt war.«

»Beeindruckend.«

»Wir haben den perfekten Standort dafür gefunden – die Red Mesa, einen knapp tausenddreihundert Quadratkilometer großen Tafelberg im Navajo-Reservat, geschützt von sechshundert Meter hohen Felsklippen und mit zahllosen Stollen aufgegebener Kohlenbergwerke durchzogen, die wir für den Bau unterirdischer Arbeitsräume und Tunnel nutzen konnten. Die amerikanische Regierung entrichtet eine jährliche Pacht von sechs Millionen an den Stammesrat der Navajo in Window Rock, Arizona – ein Arrangement, mit dem alle Beteiligten sehr zufrieden sind. Die Red Mesa ist unbewohnt, und nur eine Straße führt hinauf. Am Fuß des Berges gibt es ein paar Navajo-Siedlungen. Diese Leute sind ihren Traditionen verhaftet – die meisten von ihnen sprechen noch Navajo und leben von der Schafhaltung und der Herstellung von Teppichen und Schmuck. Das wäre erst einmal der Hintergrund.«

Ford nickte. »Und wo liegt das Problem?«

»In den vergangenen Wochen hat ein selbsternannter Medizinmann die Leute gegen Isabella aufgehetzt, Fehlinformationen verbreitet und Gerüchte gestreut. Er gewinnt immer mehr Anhänger. Ihre Aufgabe ist es, dieses Problem zu lösen.«

»Was unternimmt der Stammesrat der Navajo in dieser Angelegenheit?«

»Nichts. Diese sogenannte Regierung, das Navajo Tribal Government, ist schwach. Der ehemalige Vorsitzende wurde wegen Unterschlagung verurteilt, und der neue Vorsitzende hat sein Amt gerade erst angetreten. Mit diesem Medizinmann müssen Sie schon allein fertig werden.«

»Erzählen Sie mir mehr über ihn.«

»Er heißt Begay, Nelson Begay. Alter unklar – wir konnten keine Geburtsurkunde auftreiben. Er behauptet, das Isabella-Projekt entweihe eine alte Begräbnisstätte und die Indianer benötigten die Red Mesa als Weideland und so weiter. Er organisiert gerade einen Protestmarsch oder vielmehr Protestritt.« Lockwood zog einen fleckigen Flyer aus einer weiteren Mappe. »Hier ist eines seiner Machwerke.«

Die schlechte Fotokopie zeigte einen Mann zu Pferde, der ein Schild hochhielt.

REITET ZUR RED MESA!

STOPPT ISABELLA!

14. und 15. September

Schützt das Diné Bikeyah, das Land unseres Volkes! Die Red Mesa, Dzilth Chíí, ist die Heimat der heiligen Blütenstaubfrau, die Blüten und Samen hervorbringt. ISABELLA ist eine todbringende Wunde in ihrem Fleisch, die alles mit Strahlung verseucht und Mutter Erde vergiftet.

Reitet mit uns zur Red Mesa. Wir treffen uns vor dem Gemeindehaus von Blue Gap, am 14. Sept. um 9 Uhr. Wir reiten den Dugway hinauf zum alten Nakai-Rock-Handelsposten. Am Nakai Rock Lager mit Schwitzhütte und Heilungsritual. Wir befreien das Land durch unsere Gebete.

»Ihr Auftrag lautet, sich als Ethnologe dem wissenschaftlichen Team anzuschließen und gute Beziehungen zur örtlichen Bevölkerung aufzubauen«, sagte Lockwood. »Gehen Sie auf deren Sorgen ein. Werden Sie ihr bester Freund, und beruhigen Sie die Leute.«

»Und wenn das nicht funktioniert?«

»Neutralisieren Sie Begays Einfluss.«

»Wie denn?«

»Graben Sie seine schmutzige Vergangenheit aus, lassen Sie ihn volllaufen, fotografieren Sie ihn mit einem Maulesel im Bett, ist mir vollkommen egal.«

»Ich betrachte das als misslungenen Versuch, zu scherzen.«

»Ja, ja, natürlich. Sie sind der Ethnologe; Sie sollten wissen, wie man mit diesen Leuten umgeht.« Lockwoods Lächeln war glatt, nichtssagend.

Unbehagliches Schweigen dehnte sich aus. Ford fragte schließlich: »Und was ist mein eigentlicher Auftrag?«

Lockwood faltete die Hände wie zum Gebet und beugte sich vor. Das Lächeln wurde breiter. »Herausfinden, was zum Teufel wirklich da draußen los ist.«

Ford wartete ab.

»Die Ethnologen-Nummer ist nur Ihre Tarnung. Ihr eigentlicher Auftrag muss absolut geheim bleiben.«

»Verstanden.«

»Isabella hätte vor acht Wochen kalibriert und betriebsbereit sein sollen, aber sie werkeln immer noch daran herum. Sie behaupten, sie bekämen sie nicht richtig zum Laufen. Sie kommen uns mit jeder erdenklichen Ausrede – Software-Probleme, fehlerhafte Magnetspulen, leckes Dach, gerissene Kabel, Computerfehler. Was immer ihnen einfällt. Zuerst habe ich ihnen das abgekauft, aber inzwischen bin ich sicher, dass sie mir die wahre Geschichte verschweigen. Da stimmt etwas nicht – und ich glaube, die tischen uns eine Lüge nach der anderen auf.«

»Erzählen Sie mir etwas über diese Leute.«

Lockwood lehnte sich zurück und holte tief Luft. »Wie Sie sicher wissen, stammt das Konzept für Isabella von einem Physiker namens Gregory North Hazelius, der sein handverlesenes Team auch selbst leitet. Die besten, klügsten Köpfe, die Amerika zu bieten hat. Das FBI hat sie gründlich überprüft, und an ihrer Loyalität kann es keine Zweifel geben. Zusätzlich sind ein hochrangiger Sicherheitsbeamter vom Energieministerium und ein Psychologe vor Ort.«

»Energieministerium? Was haben die denn damit zu tun?«

»Eines der Forschungsziele des Isabella-Projekts ist die Suche nach exotischen neuen Formen der Energiegewinnung – Fusionen, Schwarze Mini-Löcher, Studien mit Antimaterie und so weiter. Offiziell untersteht die ganze Sache dem Energieministerium, aber – wenn ich offen sprechen darf – leite ich im Moment die Show.«

»Und der Psychologe? Was spielt der für eine Rolle?«

»Da draußen ist es wie beim Manhattan-Projekt – isolierte Lage, hohe Sicherheitsstufe, lange Arbeitszeiten, keine Angehörigen auf dem Gelände erlaubt. Das ergibt hohe Stressbelastung. Wir wollten sicherstellen, dass uns niemand durchdreht.«

»Ich verstehe.«

»Das Team ist vor sechs Wochen da hinausgezogen, um Isabella betriebsbereit zu machen. Das hätte höchstens zwei Wochen dauern sollen, aber sie sind immer noch nicht fertig.«

Ford nickte.

»Aber sie verbrauchen gewaltige Mengen Elektrizität – bei Spitzenleistung verschlingt Isabella so viel Megawatt wie eine mittelgroße Stadt. Sie lassen die Maschine immer wieder mit hundert Prozent Leistung laufen, behaupten aber die ganze Zeit über, sie würde nicht funktionieren. Wenn ich versuche, Hazelius Einzelheiten aus der Nase zu ziehen, hat er für alles eine plausible Antwort. Der wickelt einen um den Finger und bringt einen so weit, dass man ihm Schwarz als Weiß abkauft. Aber da stimmt etwas nicht, und sie vertuschen es. Es könnte ein technisches Problem sein, ein Software-Problem oder – bei Gott nicht unwahrscheinlich – ein menschliches Problem. Aber das darf nicht ausgerechnet jetzt sein. Wir haben schon September. In zwei Monaten findet die Präsidentschaftswahl statt. Das wäre ein katastrophaler Zeitpunkt für einen Skandal.«

»Woher kommt der Name Isabella?«

»Der Chefingenieur, Dolby, der Mann, der das Designteam leitet, hat die Maschine so genannt. Und der Name ist irgendwie hängengeblieben – hörte sich eben viel besser an als SSCII, die offizielle Bezeichnung. Vielleicht ist Isabella der Name seiner Freundin oder so.«

»Sie haben einen hohen Sicherheitsbeamten erwähnt. Woher kommt er genau?«

»Tony Wardlaw heißt der Mann. War früher bei den Special Forces, hat sich in Afghanistan bewährt und ist dann zur Sicherheitsabteilung des Energieministeriums gewechselt. Erstklassiger Mann.«

Ford dachte einen Moment nach und sagte dann: »Stan, ich verstehe immer noch nicht ganz, warum Sie das Gefühl haben, dass die Ihnen nicht die Wahrheit sagen. Vielleicht haben sie tatsächlich die Schwierigkeiten, die Sie vorhin erwähnt haben.«

»Wyman, ich bin der beste Lügendetektor in der ganzen Stadt, und die Sache in Arizona riecht für mich nicht nach Chanel Nummer fünf.« Er beugte sich vor. »Kongressabgeordnete aus beiden Lagern wetzen schon die Messer. Die erste Runde haben sie verloren. Jetzt wittern sie eine zweite Chance.«

»Typisch Washington: Man baut einen Apparat für vierzig Milliarden Dollar und kappt dann die Gelder, mit denen er betrieben werden sollte.«

»Genau so ist es, Wyman. Die einzige Konstante in dieser Stadt ist ihre Sehnsucht nach Blödheit. Ihr Auftrag lautet also, herauszufinden, was da wirklich vor sich geht, und mir persönlich Bericht zu erstatten. Das ist alles. Handeln Sie keinesfalls eigenständig. Wir übernehmen das von hier aus.«

Er trat an seinen Schreibtisch, holte einen Stapel Dossiers aus einer Schublade und ließ sie mit lautem Klatschen neben das Telefon fallen. »Die Akten über sämtliche Wissenschaftler. Medizinische Befunde, psychologische Gutachten, religiöse Anschauungen – sogar außereheliche Affären, alles hier drin.« Er lächelte freudlos. »Die haben wir von der NSA, und Sie wissen ja, wie gründlich die sind.«

Ford betrachtete die oberste Mappe und schlug sie dann auf. An die Innenseite geheftet war ein Foto von Gregory North Hazelius, in dessen leuchtend blauen Augen ein rätselhafter Ausdruck von Belustigung tanzte.

»Hazelius – kennen Sie ihn persönlich?«

»Ja.« Lockwood senkte die Stimme. »Und ich möchte Sie … vor ihm warnen.«

»Inwiefern?«

»Er hat so eine Art, sich auf einen zu konzentrieren; er schmeichelt Ihnen und gibt Ihnen das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Sein Verstand brennt förmlich, so intensiv, dass er die Leute damit in seinen Bann schlägt. Jede noch so beiläufige Bemerkung von ihm scheint vor verborgener Bedeutsamkeit zu triefen. Ich habe schon erlebt, wie er die Leute auf etwas so Gewöhnliches wie Flechten auf einem Felsen hingewiesen und auf eine Art darüber gesprochen hat, die einem das Gefühl gab, diese Flechten seien ganz außergewöhnlich und voll geheimer Wunder. Er überschüttet einen förmlich mit Aufmerksamkeit und gibt einem das Gefühl, der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein. Seine Art ist unwiderstehlich – etwas, das man nicht in einem Dossier darstellen kann. Das mag seltsam klingen, aber es ist … es fühlt sich beinahe an, als verliebe man sich, wenn dieser Mann einen in seinen Bann zieht und über die gewöhnliche Welt hinaushebt. Sie müssen das selbst erlebt haben, um es zu verstehen. Ich wollte Sie nur warnen. Wahren Sie innerlich Distanz zu ihm.«

Er hielt inne und sah Ford an. Der gedämpfte Verkehrslärm, Hupen und Stimmengewirr von der Straße draußen sickerten in die Stille des Büros. Ford verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah Lockwood über den Couchtisch hinweg an. »Normalerweise wäre eine solche Ermittlung Sache des FBI oder der Sicherheitsabteilung des Energieministeriums. Warum ich?«

»Ist das nicht offensichtlich? In zwei Monaten findet die Präsidentschaftswahl statt. Der Präsident will, dass die Angelegenheit schnell in Ordnung gebracht wird, ohne jedes Aufsehen, ohne eine Spur in den Akten. Er braucht schnelle Antworten und zugleich die Sicherheit, jegliches Wissen darüber öffentlich abstreiten zu können. Wenn Sie Mist bauen, kennen wir Sie nicht. Wenn Sie erfolgreich sein sollten, kennen wir Sie auch nicht.«

»Ja, aber warum ausgerechnet ich? Ich habe einen Bachelor in Ethnologie, das ist schon alles.«

»Sie haben den richtigen Hintergrund – Ethnologie, Computer, CIA-Erfahrung.« Er zog ein Dossier aus dem Stapel. »Sie haben einen weiteren entscheidenden Vorteil.«

Ford gefiel dieser plötzlich veränderte Tonfall nicht. »Wovon sprechen Sie?«

Lockwood schob das Dossier über den Tisch zu Ford hinüber, der es aufschlug und auf das Foto starrte, das an die Innenseite der Mappe geheftet war – eine lächelnde Frau mit glänzendem schwarzem Haar und mahagonifarbenen Augen.

Er schlug die Akte zu, schob sie zu Lockwood zurück und stand auf. »Sie lassen mich an einem Sonntagmorgen hier antanzen und ziehen so eine billige Nummer ab? Tut mir leid, Arbeit und Privatleben vermische ich grundsätzlich nicht.«

»Es ist zu spät, Sie können nicht mehr aussteigen.«

Ein kaltes Lächeln. »Wollen Sie mich vielleicht daran hindern, diesen Raum zu verlassen?«

»Sie waren bei der CIA, Wyman. Sie wissen, wozu wir in der Lage sind.«

Ford trat einen Schritt vor, so dass er über Lockwood aufragte. »Ich zittere vor Angst.«

Der wissenschaftliche Berater blickte mit gefalteten Händen und mildem Lächeln zu ihm auf. »Wyman, ich muss mich entschuldigen. Es war dumm von mir, das zu sagen. Aber ausgerechnet Sie müssen doch begreifen, wie wichtig das Isabella-Projekt ist. Es öffnet uns die Tür zu den Geheimnissen unseres Universums. Zu Erkenntnissen über den Moment der Schöpfung selbst. Es könnte uns zu einer unerschöpflichen Quelle von Energie führen, die unabhängig von fossilen Brennstoffen wäre. Es wäre eine ungeheuerliche Tragödie für die amerikanische Wissenschaft, wenn wir diese Investition im Klo hinunterspülen müssten. Bitte übernehmen Sie den Auftrag – wenn nicht für mich oder den Präsidenten, dann für Ihr Land. Ehrlich gesagt ist Isabelle das Beste, was diese Regierung zustande gebracht hat. Es ist unser Vermächtnis. Wenn all der politische Lärm um nichts längst verhallt ist, wird dieses eine Projekt immer noch von Bedeutung sein.« Er reichte Ford erneut die Akte. »Sie ist die stellvertretende Leiterin des Isabella-Projekts. Fünfunddreißig, in Stanford promoviert, gehört zu den besten Stringtheoretikern weltweit. Was zwischen Ihnen und ihr vorgefallen ist, liegt lange zurück. Ich habe sie kennengelernt. Brillant natürlich, professionell, immer noch Single, aber das wird wohl für Sie kein Thema sein. Sie ist Ihre Eintrittskarte zum Team, ein Freund, jemand, mit dem Sie dort reden können – weiter nichts.«

»Jemand, den ich anzapfen kann, um an Informationen zu kommen, meinen Sie wohl.«

»Hier steht das wichtigste wissenschaftliche Experiment in der Menschheitsgeschichte auf dem Spiel.« Er tippte auf das Dossier und sah Ford fragend an. »Also?«

Als Ford den Blick erwiderte, bemerkte er, dass Lockwoods linke Hand nervös einen kleinen Stein streichelte, der auf dem Schreibtisch gelegen hatte.

Lockwood folgte seinem Blick und lächelte verlegen, als hätte Ford ihn ertappt. »Das interessiert Sie wohl?«

Ford erkannte plötzliche Vorsicht in Lockwoods Blick. »Was ist das?«, fragte er.

»Mein Glücksstein.«

»Darf ich ihn mal sehen?«

Widerstrebend reichte Lockwood ihm den Stein. Er drehte ihn um und entdeckte ein kleines Fossil, einen Trilobiten, in der Unterseite.

»Interessant. Hat er für Sie eine bestimmte Bedeutung?«

Lockwood schien zu zögern. »Mein Zwillingsbruder hat ihn gefunden, als wir neun Jahre alt waren, und ihn mir geschenkt. Dieses Fossil hat mein Interesse für die Wissenschaft erst geweckt. Er … ist ein paar Wochen später ertrunken.«

Ford befühlte den Stein, der von Jahren der Berührung glattpoliert war. Er hatte also die wahre Persönlichkeit seines Gegenübers gefunden – und unerwarteterweise war sie ihm sympathisch.

»Es ist wirklich wichtig für mich, dass Sie diesen Auftrag übernehmen, Wyman.«

Und ich brauche ihn auch. Sacht legte er den Stein zurück auf den Schreibtisch. »Also schön. Ich mache es. Aber ich arbeite auf meine Weise.«

»Soll mir recht sein. Aber denken Sie daran – keine eigenmächtigen Aktionen.«

Lockwood erhob sich, holte einen schmalen Aktenkoffer aus seinem Schreibtisch, schob die Dossiers hinein und schloss den Koffer. »Hier drin haben Sie ein Satellitentelefon, einen Laptop, Kartenmaterial, eine Brieftasche, Bargeld und Ihre offizielle Einsatzbestätigung als Ethnologe. Ein Hubschrauber wartet bereits auf Sie. Der Wachmann vor meinem Büro wird Sie hinführen. Ihre Kleidung und alles Übrige schicken wir Ihnen separat nach.« Er verstellte das Zahlenschloss der Aktentasche und erklärte: »Die Kombination besteht aus der siebenten bis zehnten Nachkommastelle der Zahl π.« Er lächelte über seinen eigenen Einfallsreichtum.

»Und wenn es zu Meinungsverschiedenheiten darüber kommen sollte, was genau eine ›eigenmächtige Aktion‹ darstellt?«

Lockwood schob den Aktenkoffer über den Schreibtisch. »Denken Sie einfach daran«, sagte er, »dass wir Sie noch nie gesehen haben.«

3

Booker Crawley lehnte sich in seinem lederbezogenen Chefsessel zurück und musterte die fünf Männer, die sich an dem Konferenztisch aus Bubinga-Holz niederließen. In seiner langen, erfolgreichen Karriere als Lobbyist hatte Crawley die Erfahrung gemacht, dass man die Leute eben doch nach ihrem Äußeren beurteilen konnte, meistens jedenfalls. Er betrachtete den Mann mit dem absurden Namen Delbert Yazzie, der ihm gegenübersaß; er hatte wässrige Augen und ein trauriges Gesicht, trug einen Anzug von der Stange mit einem halben Pfund Silber und Türkisen an der Gürtelschnalle, und Cowboystiefel, die offenbar schon mehrmals neu besohlt worden waren. Kurz, Yazzie sah aus, als würde Crawley bei ihm leichtes Spiel haben. Er war ein Bauerntölpel, ein proletenhafter Indianer, der den Cowboy spielte und vor kurzem irgendwie zum neuen Vorsitzenden der sogenannten Navajo Nation gewählt worden war. Vorherige Tätigkeit: Schulhausmeister. Crawley würde Yazzie erklären müssen, dass man in Washington üblicherweise Termine machte. Man schaute nicht einfach so herein – schon gar nicht am Sonntagmorgen.

Die Männer links und rechts von Yazzie stellten den sogenannten Stammesrat dar. Einer sah aus wie ein waschechter Filmindianer, mit besticktem Kopftuch, das lange Haar im Nacken verknotet, dazu ein samtenes Indianerhemd mit Silberknöpfen und Türkiskette. Zwei weitere steckten in Anzügen aus dem Versandhauskatalog. Der dritte Mann, verdächtig weiß, trug einen maßgefertigten Armani-Anzug. Das war der Kerl, den er im Auge behalten musste.

»Also!«, begann Crawley. »Es ist mir eine große Freude, den neuen Vorsitzenden der Navajo Nation kennenzulernen. Ich wusste gar nicht, dass Sie in der Stadt sind! Ich gratuliere zu Ihrer Wahl – Ihnen allen, werte Mitglieder des neuen Stammesrats. Willkommen in Washington!«

»Wir freuen uns auch, hier zu sein, Mr. Crawley«, sagte Yazzie mit recht leiser, neutraler Stimme.

»Bitte, nennen Sie mich Booker!«

Yazzie neigte den Kopf, erwiderte das Angebot, sich beim Vornamen zu nennen, aber nicht. Na ja, kein Wunder, dachte Crawley, wenn man Delbert hieß.

»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee? Tee? San Pellegrino?«

Alle wollten Kaffee. Crawley drückte auf einen Knopf der Sprechanlage, gab die Bestellung durch, und wenig später kam sein Assistent mit einem Servierwägelchen herein, auf dem sich eine silberne Kaffeekanne, Sahnekännchen, Zuckerdose und Tassen drängten. Crawley beobachtete schaudernd, wie ein Teelöffel Zucker nach dem anderen im schwarzen Loch von Yazzies Kaffee verschwand – fünf insgesamt.

»Die enge Zusammenarbeit mit der Navajo Nation war mir bisher ein persönliches Vergnügen«, bemerkte Crawley. »Da Isabella nun bald in Betrieb genommen werden kann, haben wir alle etwas zu feiern, nicht wahr? Die guten Beziehungen zur Navajo Nation sind uns sehr wichtig, und wir freuen uns auf die weitere, langfristige Zusammenarbeit.«

Er lehnte sich mit freundlichem Lächeln zurück und wartete.

»Die Navajo Nation ist Ihnen dankbar, Mr. Crawley.«

Nicken und zustimmendes Murmeln rund um den Tisch.

»Wir sind Ihnen dankbar für alles, was Sie getan haben«, fuhr Yazzie fort. »Die Navajo Nation ist glücklich, einen so bedeutenden Beitrag zur amerikanischen Wissenschaft leisten zu können.«

Er sprach langsam, bedacht, als hätte er die Worte einstudiert, und Crawley spürte, wie sich ein kleiner, harter Knoten in seinem Bauch bildete. Vermutlich wollten sie sein Honorar herunterhandeln. Tja, das konnten sie gern versuchen – sie hatten ja keine Ahnung, mit wem sie es hier zu tun hatten. Was für ein trauriger Haufen Trottel.

»Sie haben sehr gute Arbeit geleistet, als es darum ging, das Isabella-Projekt auf unser Land zu bringen und einen fairen Vertrag mit der Regierung auszuhandeln«, fuhr Yazzie fort und hob den schläfrigen Blick zu Crawley, schaute aber irgendwie halb an ihm vorbei. »Sie haben das erreicht, was Sie zugesagt hatten. Das war im Umgang mit Washington eine neue Erfahrung für uns. Sie haben Ihre Versprechen eingehalten.«

War das alles, was er mit diesem Besuch ausdrücken wollte? »Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender, das ist sehr freundlich von Ihnen, und ich freue mich, dass Sie so zufrieden sind. In der Tat halten wir immer ein, was wir versprechen. Ich muss Ihnen ganz offen sagen, dass mit diesem Projekt viel harte Arbeit verbunden war. Wenn Sie mir das kleine Eigenlob verzeihen – das war eine der größten Herausforderungen, die ich als Lobbyist je bewältigt habe. Aber wir haben es geschafft, nicht wahr?« Crawley strahlte.

»Ja. Wir hoffen, dass Sie für Ihre Arbeit angemessen bezahlt wurden.«

»Nun, um die Wahrheit zu sagen, hat uns das Projekt wesentlich mehr gekostet, als wir erwartet hatten. Mein Buchhalter ist seit Wochen schlecht auf mich zu sprechen! Aber schließlich haben wir nicht jeden Tag Gelegenheit, die amerikanische Wissenschaft voranzubringen und zugleich der Navajo Nation Arbeitsplätze und neue Einnahmequellen zu verschaffen.«

»Was mich zum Anlass unseres Besuches bringt.«

Crawley nippte an seinem Kaffee. »Schön. Ich bin gespannt.«

»Da die Arbeit nun beendet ist und Isabella läuft, werden wir Ihre Dienste nicht mehr benötigen. Wenn unser Vertrag mit Crawley and Stratham Ende Oktober ausläuft, werden wir ihn nicht mehr verlängern.«

Yazzie sagte das so plump, mit so wenig Finesse, dass Crawley einen Moment brauchte, um diesen Schlag zu verdauen, doch er lächelte tapfer weiter.

»Ah ja«, sagte er. »Tut mir leid, das zu hören. Haben wir in Ihren Augen irgendetwas falsch gemacht – oder versäumt?«

»Nein, wie gesagt: Das Projekt ist beendet. Wozu brauchen wir da noch Lobbyarbeit?«

Crawley holte tief Luft und stellte die Kaffeetasse ab. »Ich kann nachvollziehen, dass Sie so denken – schließlich ist Window Rock weit weg von Washington.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Aber ich will Ihnen etwas verraten, Herr Vorsitzender. In dieser Stadt ist nichts jemals beendet. Isabella ist noch nicht funktionstüchtig, und wie heißt es so schön – man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Unsere Gegner – Ihre Gegner – haben noch längst nicht aufgegeben. Im Kongress gibt es viele Leute, die nichts lieber tun würden, als das Projekt zu kippen. So ist das eben in Washington – niemals vergeben, niemals vergessen. Morgen schon könnten sie eine Gesetzesvorlage einbringen und Isabellas weitere Finanzierung einstellen. Die könnten auch versuchen, die Pachtverträge neu zu verhandeln. Sie brauchen einen Freund in Washington, Mr. Yazzie. Dieser Freund bin ich. Ich bin der Mann, der seine Versprechen gehalten hat. Wenn Sie warten, bis irgendwelche schlechten Neuigkeiten bis nach Window Rock vordringen – wird es bereits zu spät sein.«

Er beobachtete ihre Gesichter, konnte aber keine Reaktion erkennen. »Ich würde Ihnen dringend empfehlen, den Vertrag für mindestens sechs Monate zu verlängern – betrachten Sie es als eine Art Versicherung.«

Dieser Yazzie war so undurchschaubar wie ein verdammter Chinese. Crawley wünschte, er hätte es noch mit Yazzies Vorgänger zu tun, einem Mann, der sein Steak blutig mochte, seinen Martini trocken und seine Frauen stark geschminkt. Wenn sie ihn bloß nicht mit der Hand in der Stammeskasse erwischt hätten.

Schließlich ergriff Yazzie wieder das Wort. »Wir haben viele dringende Bedürfnisse, Mr. Crawley – Schulen, Arbeitsplätze, Krankenhäuser und Freizeitangebote für unsere jungen Leute. Nur sechs Prozent unserer Straßen sind asphaltiert.«

Crawley hielt eisern an seinem Lächeln fest. Die undankbaren Scheißkerle. Sie würden von jetzt an bis zum Jüngsten Tag ihre sechs Millionen pro Jahr einsacken, und er würde nichts davon abbekommen. Aber er hatte nicht gelogen – dieser Lobbyauftrag war von Anfang an höllisch schwer gewesen.

»Sollte tatsächlich noch vor Ihrem sprichwörtlichen Abend etwas geschehen«, fuhr Yazzie in seiner langsamen, schläfrigen Art fort, »können wir Ihre Dienste ja wieder in Anspruch nehmen.«

»Mr. Yazzie, wir sind eine sehr exklusive Lobby-Agentur. Wir sind zu zweit, mein Partner und ich. Wir nehmen nur wenige Klienten an und haben eine lange Warteliste. Wenn Sie jetzt ausscheiden, wird Ihr Platz sofort von einem neuen Kunden eingenommen. Falls dann etwas geschieht und Sie erneut unsere Hilfe benötigen, nun ja …«

»Dieses Risiko gehen wir ein«, sagte Yazzie so trocken, dass Crawley fast der Kragen platzte.

»Dürfte ich Ihnen vorschlagen – nein, dringend nahelegen –, den Vertrag für weitere sechs Monate zu verlängern? Wir könnten sogar über eine Anpassung des Honorars sprechen. Dann könnten Sie sich in Washington zumindest Ihren Platz am Spieltisch freihalten.«

Der Vorsitzende des Stammesrats sah ihm ruhig ins Gesicht. »Sie sind für Ihre Arbeit reichlich entschädigt worden. Fünfzehn Millionen Dollar sind viel Geld. Wenn man sich Ihre Stunden- und Spesenabrechnung ansieht, ergeben sich auch einige Fragen. Aber das berührt uns im Augenblick nicht – Sie waren erfolgreich, und wir sind Ihnen dankbar. Also belassen wir es dabei.«

Yazzie erhob sich, und die anderen folgten seinem Beispiel.

»Sie bleiben aber doch noch zum Mittagessen, Mr. Yazzie! Selbstverständlich sind Sie eingeladen. Es gibt ein phantastisches neues Restaurant in der Nähe der K Street, französische Küche, geführt von einem alten Freund aus meiner Studentenverbindung. Wie wäre es mit einem richtig trockenen Martini und einem riesigen Pfeffersteak?« Er hatte noch nie erlebt, dass ein Indianer einen Drink ausschlug, für den er nichts bezahlen musste.

»Danke, aber wir haben hier in Washington noch viel zu tun, für so etwas haben wir keine Zeit.« Yazzie streckte die Hand aus.

Crawley konnte es kaum fassen. Sie gingen tatsächlich – einfach so.

Er erhob sich, um sie alle mit einem flauen Händedruck zu verabschieden. Als sie gegangen waren, lehnte er sich schwer an die Rosenholztür seines Büros. Zorn brannte in seinen Eingeweiden. Keine Warnung, kein Brief, kein Anruf, nicht einmal einen Termin hatten sie gemacht. Sie waren einfach hereinspaziert, hatten ihn gefeuert und waren wieder abgerückt – ein wahrhaftiger Tritt in den Arsch. Und sie hatten auch noch angedeutet, er hätte sie übers Ohr gehauen! Nach vier Jahren und fünfzehn Millionen, die er in die Lobbyarbeit für diese Leute gesteckt hatte, hatte er ihnen die Gans gefangen, die goldene Eier legte – und was hatten sie getan? Sie hatten ihn skalpiert und den Aasgeiern überlassen. So lief das nicht in der K Street. O nein. Hier kümmerte man sich gefälligst um seine Freunde.

Er richtete sich auf. Booker Hamlin Crawley ging nie beim ersten Schlag zu Boden. Er würde sich wehren – und schon kam ihm eine erste Idee, wie. Er ging zurück in sein Büro, schloss die Tür ab und holte ein Telefon aus der untersten Schreibtischschublade. Es war ein Festnetztelefon, angemeldet auf den Namen einer dementen alten Dame im Pflegeheim um die Ecke, bezahlt mit einer Kreditkarte, von der die Gute nicht einmal wusste, dass sie sie besaß. Er benutzte es nur selten.

Er drückte auf die erste Zifferntaste und zögerte dann, als der Hauch einer Erinnerung an seinem Geist zupfte und ein Bild aufblitzen ließ – ein Bild davon, wie und warum er als junger Mann nach Washington gekommen war, voller Ideale und Hoffnung. Ihm wurde ein wenig übel. Doch sofort flammte der Zorn wieder in ihm auf. Nie würde er der einzigen Todsünde erliegen, die man in Washington kannte: Schwäche.

Er tippte den Rest der Telefonnummer ein. »Könnte ich bitte mit Reverend Don T. Spates sprechen?«

Das Telefonat war kurz und klar, und sein Timing war perfekt gewesen. Er beendete das Gespräch und spürte eine Woge des Triumphs ob seiner eigenen Brillanz. Es würde kein voller Monat vergehen, bis er diese aus der Prärie gekrochenen Wilden wieder in seinem Büro sitzen hatte. Sie würden ihn anflehen, wieder für sie zu arbeiten – für das doppelte Honorar.

Seine feuchten, dünnen Lippen zuckten vor Befriedigung und Vorfreude.

4

Wyman Ford schaute durch das Fenster der Cessna Citation hinaus, als der Jet sich über den Lukachukai Mountains in die Kurve legte und auf die Red Mesa zuhielt. Das Hochplateau war eine atemberaubende Felsformation, eine Insel im Himmel, von hohen Klippen gerahmt und mit gelben, roten und schokobraunen Sandsteinschichten eingefasst. Während er hinunterschaute, brach die Sonne durch eine Wolkenlücke, fiel auf die Mesa und ließ sie leuchten, als ginge sie in Flammen auf. Wie eine verlorene Welt sah sie aus.

Als sie näher heranflogen, traten mehr Einzelheiten hervor. Ford erkannte Landebahnen, die sich wie zwei schwarze Wundpflaster überkreuzten, mit Hangars und einem Hubschrauberlandeplatz daneben. Drei gewaltige Stränge Hochspannungsleitungen an Masten, so hoch wie dreißigstöckige Gebäude, zogen sich von Norden und Westen herüber und trafen sich am Rand des Tafelbergs in einem besonders gesicherten und von einem doppelten Zaun umgebenen Bereich. Anderthalb Kilometer weiter schmiegten sich ein paar Häuser in ein Tal mit einem Pappelwäldchen, grünen Feldern und einem großen Blockhaus – der alte Nakai-Rock-Handelsposten. Eine brandneue, asphaltierte Straße durchschnitt die Mesa von Westen nach Osten.

Fords Blick schweifte die Klippen hinab. Etwa hundert Meter unter ihm war eine gewaltige, rechteckige Öffnung in die Flanke der Mesa gehauen worden, mit einer Metalltür, die in den Fels hineinführte. Als das Flugzeug sich erneut in die Kurve legte, konnte er den einzigen Weg sehen, der sich wie eine Schlange an einem Baumstamm die steilen Klippen emporwand. Der Dugway.

Die Cessna senkte die Nase und begann mit dem Landeanflug. Die Oberfläche der Red Mesa kam näher, zerfurcht von Sturzbächen, die klaffende, vertrocknete Rinnen, Senken und Geröllhalden hinterlassen hatten. Vereinzelte Wacholderbüsche wechselten sich mit den grauen Skeletten von Pinyon-Kiefern ab, dazwischen trockenes Grasland, Beifuß und kahler Fels, durchsetzt mit Sanddünen.

Die Cessna setzte auf der Landebahn auf und rollte auf das Terminal zu, eine große Wellblechhütte. Dahinter standen mehrere Hangars, die in der Sonne glänzten. Der Pilot öffnete die Tür. Ford, der nur Lockwoods Aktenkoffer bei sich trug, trat hinaus auf den heißen Asphalt. Niemand kam, um ihn in Empfang zu nehmen.

Der Pilot winkte zum Abschied, stieg wieder ein, und gleich darauf war der kleine Jet wieder in der Luft und verschwand als glitzernder Aluminiumstreif im türkisfarbenen Himmel.

Ford sah dem Flugzeug nach und ging dann auf das Wellblech-Terminal zu.

An der Tür hing ein Holzschild, von Hand mit Buchstaben im Wildwest-Stil beschriftet.

KEIN ZUTRITT

EINDRINGLINGE WERDEN ERSCHOSSEN

DAMIT BIST DU GEMEINT, KUMPEL!

G. HAZELIUS, MARSHALL

Er stupste das Schild mit dem Finger an, so dass es knarrend hin und her schwang. Daneben war an zwei im Boden versenkten Metallpfosten ein hellblaues, hochamtliches Schild angebracht, auf dem im Grunde dasselbe stand, nur in trockener Bürokratensprache. Ein Windstoß strich über die Landebahn und ließ eine Sandwolke über den Asphalt tanzen.

Ford drückte gegen die Tür des Terminals. Verschlossen.

Er trat zurück, blickte sich um und kam sich vor, als hätte der Pilot ihn in der Geisterstadt aus Zwei glorreiche Halunken abgesetzt.

Das Knarren des Schildes und der stöhnende Wind weckten plötzlich eine Erinnerung in ihm – dieser Augenblick, jeden Tag, wenn er von der Schule nach Hause kam, die Schnur mit dem Schlüssel über den Kopf zog, die Tür seines Elternhauses in Washington aufschloss und dann ganz allein in dieser riesigen, hallenden Villa stand. Seine Mutter war stets bei irgendeinem Empfang oder organisierte einen Wohltätigkeitsball, sein Vater war in Regierungsangelegenheiten unterwegs.

Das Dröhnen eines Motors brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Ein Jeep Wrangler kam über eine Anhöhe, verschwand hinter dem Terminal und raste dann über den Asphalt. Der Wagen legte sich mit quietschenden Reifen in die Kurve und blieb abrupt vor Ford stehen. Ein Mann sprang heraus, mit breitem Grinsen und freundlich ausgestreckter Hand. Gregory North Hazelius. Er sah genau so aus wie auf dem Foto im Dossier und vibrierte förmlich vor innerer Energie.

»Yá’át ééh, shi éi Gregory!«, sagte Hazelius und drückte Ford die Hand.

»Yá’át ééh«, erwiderte Ford. »Sagen Sie bloß, Sie sprechen Navajo.«

»Nur ein paar Worte, die ich bei einem ehemaligen Studenten aufgepickt habe. Willkommen.«

Ford hatte Hazelius’ Akte überflogen und festgestellt, dass der Mann angeblich zwölf Sprachen beherrschte, darunter Persisch, zwei chinesische Dialekte und Kisuaheli. Von Navajo hatte da nichts gestanden.

Ford war es bei seiner Größe von gut einem Meter neunzig gewohnt, hinabschauen zu müssen, wenn er anderen in die Augen sehen wollte. Diesmal musste er noch weiter nach unten schauen als sonst. Hazelius war knapp über einen Meter sechzig groß, eine leger, aber elegant wirkende Erscheinung in ordentlich gebügelter, khakifarbener Hose, einem cremeweißen Seidenhemd – und indianischen Mokassins. Seine Augen strahlten so blau wie hinterleuchtete Buntglasfenster. Er hatte eine scharf gebogene Nase, eine glatte Stirn und welliges braunes Haar, säuberlich gekämmt. Ein kleines Päckchen konzentrierter Energie.

»Ich hatte nicht erwartet, vom großen Chef selbst empfangen zu werden.«

Hazelius lachte. »Wir füllen hier alle mindestens zwei Positionen aus. Ich bin nebenbei auch noch der Chauffeur. Bitte, steigen Sie ein.«

Ford faltete seinen langen Leib auf den Beifahrersitz, während Hazelius leicht und anmutig hinters Lenkrad schlüpfte. »Während der heißen Phase, bis Isabella wirklich einsatzbereit ist, wollte ich hier nicht allzu viel zusätzliches Personal herumlaufen haben. Außerdem« – Hazelius wandte sich ihm mit strahlendem Lächeln zu – »wollte ich Sie persönlich kennenlernen. Sie sind unser Jona.«

»Jona?«

»Wir waren zwölf. Jetzt sind wir dreizehn. Ihretwegen müssen wir womöglich jemanden von Bord werfen.« Er kicherte.

»Sie sind wohl ein abergläubischer Haufen hier.«

Er lachte. »Wenn Sie wüssten! Ohne meine Hasenpfote gehe ich nirgendwo hin.« Er holte einen uralten, ekelhaften und beinahe haarlosen, amputierten Hasenlauf aus der Tasche. »Die hat mein Vater mir geschenkt, als ich sechs war.«

»Entzückend.«

Hazelius trat das Gaspedal durch, und der Jeep schoss vorwärts, so dass Ford in den Sitz gedrückt wurde. Der Wrangler flog nur so über den Asphalt und bog dann mit kreischenden Reifen auf eine frisch geteerte Straße ein, die sich zwischen Wacholderbüschen hinzog. »Hier ist es wie im Ferienlager, Wyman. Wir verrichten alle alltäglichen Arbeiten selbst – Kochen, Putzen, Fahren, was auch immer. Wir haben eine Stringtheoretikerin, die am Grill einfach phantastisch ist, einen Psychologen, der uns geholfen hat, einen exzellenten Weinkeller anzulegen, und diverse andere Leute mit multiplen Talenten.«

Ford hielt sich am Handgriff fest, als der Jeep quietschend um eine Kurve schleuderte.

»Nervös?«

»Wecken Sie mich, wenn wir da sind.«

Hazelius lachte. »Ich kann diesen leeren Straßen nicht widerstehen – keine Cops, kaum ein anderes Auto, und das würde man schon von weitem sehen. Was ist mit Ihnen, Wyman? Was haben Sie für besondere Talente?«

»Ich bin ein sauguter Tellerwäscher.«

»Hervorragend!«

»Ich kann Holz hacken.«

»Wunderbar!«

Hazelius fuhr wie ein Irrer, er raste mit Vollgas dahin und ignorierte die durchgezogene Mittellinie völlig. »Tut mir leid, dass ich Sie nicht gleich bei der Landung in Empfang nehmen konnte. Wir beenden gerade einen Probedurchlauf mit Isabella. Hätten Sie gern eine Schlossführung?«

»Sehr gern.«

Der Jeep setzte bei rasender Fahrt über eine Hügelkuppe hinweg. Fords Körper fühlte sich einen Moment lang an wie schwerelos.

»Der Nakai Rock«, sagte Hazelius und deutete auf die Felsnadel, die Ford vom Flugzeug aus gesehen hatte. »Der alte Handelsposten ist nach diesem Felsen benannt. Unser Dorf nennen wir auch Nakai Rock. Nakai – was bedeutet das eigentlich? Das wollte ich schon immer mal erfahren.«

»Das ist das Navajo-Wort für Mexikaner.«

»Danke. Ich bin wirklich froh, dass Sie so kurzfristig herkommen konnten. Bedauerlicherweise haben wir es uns wohl mit den Einheimischen verscherzt. Lockwood spricht in den höchsten Tönen von Ihnen.«

Die Straße führte in einem Bogen in ein geschütztes Tal hinab, dicht mit Pappeln bewachsen und von roten Sandsteinfelsen umgeben. An der Außenseite des Bogens, unter den Pappeln kunstvoll verteilt, reihten sich ein gutes Dutzend Häuser im nachgeahmten Adobe-Stil aneinander, die mit ihren gepflegten Rasenflächen und Holzzäunen wie eine Postkarten-Kulisse wirkten. Ein smaragdgrünes Baseball-Spielfeld im Zentrum des Bogens bildete einen starken Kontrast zu den roten Klippen. Am anderen Ende des Tals ragte die hohe, ein wenig unheimliche Felsnadel auf wie ein Richter über seinen Gerichtssaal.

»Langfristig werden wir hier Wohnraum für bis zu zweihundert Familien bauen. Das wird ein richtiges kleines Dorf für Wissenschaftler, ihre Familien, Besucher und alle möglichen Angestellten.«

Der Jeep ratterte an den Häusern vorbei und folgte einer lässigen Kurve. »Tennisplatz.« Hazelius deutete nach links. »Stall mit drei Pferden.«

Sie erreichten ein pittoreskes Gebäude aus Holz und traditionellen Lehmziegeln im Schatten großer alter Pappeln. »Der alte Handelsposten. Wir haben ihn umgebaut, er dient jetzt als Speisesaal, Küche und Aufenthaltsraum. Billardtisch, Tischtennis, Kicker, Fernsehraum, Videothek, Bibliothek, Kantine.«

»Warum gab es denn so weit hier oben einen Handelsposten?«

»Bevor die Bergbaugesellschaft die Navajos vertrieben hat, haben sie auf der Red Mesa ihre Schafe geweidet. Der Handelsposten hat Nahrungsmittel und andere Vorräte gegen die Teppiche getauscht, die aus der Schafwolle gewebt wurden. Die Navajo-Teppiche von Nakai Rock sind weniger bekannt als die aus Two Grey Hills, aber von ebenso guter Qualität – sogar noch besser.« Er drehte sich halb zu Ford herum. »Wo haben Sie Ihre Feldforschung gemacht?«

»Ramah, New Mexico.« Was Ford nicht hinzufügte, war: Nur einmal, in den Semesterferien, und da war ich noch im Grundstudium.

»Ramah. Ist da nicht der berühmte Ethnologe Clyde Kluckhohn gestorben, bei Nachforschungen für sein berühmtes Buch Navaho Witchcraft?«

Das Ausmaß von Hazelius’ Kenntnissen überraschte Ford. »So ist es.«

»Sprechen Sie fließend Navajo?«, fragte Hazelius.

»Gerade genug, um mich um Kopf und Kragen zu reden. Navajo gilt als die vermutlich schwierigste Sprache der Welt.«

»Mich hat sie ja schon immer interessiert – hat uns schließlich geholfen, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen.«

Mit quietschenden Reifen kam der Jeep vor einem kleinen, gepflegten Häuschen zum Stehen; der Holzzaun umgab einen künstlich wirkenden grünen Rasen und eine Terrasse mit Picknicktisch und gemauertem Grill.

»Die Villa Ford«, verkündete Hazelius.

»Entzückend.« In Wahrheit war es alles andere als entzückend. Das billige kleine Einfamilienhaus im nachgeahmten Pueblo-Stil hätte in einer spießigen Vorstadtsiedlung stehen können. Aber die Umgebung war märchenhaft.

»Staatlicher Wohnungsbau sieht eben überall gleich aus«, sagte Hazelius. »Aber ich verspreche Ihnen, es ist sehr komfortabel.«

»Wo sind denn alle anderen?«

»Unten im Bunker. So nennen wir den unterirdischen Komplex, in dem sich Isabella befindet. Ach, übrigens, wo ist eigentlich Ihr Gepäck?«

»Das kommt erst morgen.«

»Die müssen es ja sehr eilig gehabt haben, Sie hier rauszuschaffen.«

»Sie haben mir nicht mal genug Zeit gelassen, um meine Zahnbürste einzupacken.«

Hazelius ließ den Motor aufheulen und legte die letzte Kurve des weiten Bogens auf qualmendem Gummi zurück. Dann hielt er, schaltete den Vierradantrieb ein und lenkte den Wagen vorsichtig von der Straße und einen löchrigen Feldweg entlang durchs Gebüsch.

»Wo fahren wir hin?«

»Sehen Sie gleich.«

In tiefen Rinnen drehten die Räder durch, und die beiden Männer wurden kräftig durchgerüttelt, während der Jeep sich in dem seltsamen, verkrüppelten Wäldchen aus Wacholder und abgestorbenen Pappeln ein paar Kilometer weit bergauf arbeitete. Vor ihnen ragte ein langer, steiler Felshang aus glattem rotem Sandstein auf.

Der Jeep blieb stehen, und Hazelius sprang heraus. »Es ist gleich da oben.«

Neugierig folgte Ford ihm den Abhang hinauf bis zum Gipfel der seltsam geformten Sandsteinklippe. Oben erwartete ihn eine Überraschung: Völlig unerwartet fand er sich am Rand der Red Mesa wieder, und vor ihm stürzten die Klippen fast sechshundert Meter in die Tiefe. Er hatte nicht das Gefühl gehabt, sich ganz am Rand zu befinden, und nichts hatte darauf hingewiesen, dass die Klippe direkt vor ihm lag.

»Schön, was?«, fragte Hazelius.

»Beängstigend. Man könnte glatt aus Versehen über den Rand hinausfahren.«

»Ja, es gibt da so eine Legende von einem Navajo-Cowboy, der zu Pferd einen Maverick verfolgt hat und hier von den Klippen gestürzt ist. Es heißt, sein chindii, sein Geist, reite in gewissen dunklen, stürmischen Nächten noch heute über den Rand der Klippe.«

Die Aussicht war atemberaubend. Unter ihnen breitete sich eine uralte Landschaft aus, kleine Tafelberge und Felsnadeln von blutroter Farbe, von Wind und Regen glattgeschliffen und zu seltsamen Formen verwittert. Dahinter lagen Mesas und viele Schichten ferner Berge. Man hätte beinahe glauben können, dies sei der Rand der Schöpfung selbst, wo Gott schließlich aufgegeben hatte, weil es ihm nicht gelingen wollte, das störrische Land friedlicher zu gestalten.

»Diese große Mesa in der Ferne, die wie eine Insel heraussticht«, sagte Hazelius, »ist die No Man’s Mesa, über vierzehn Kilometer lang und gut anderthalb Kilometer breit. Es heißt, es gebe einen geheimen Pfad dort hinauf, den noch kein weißer Mann je gefunden hat. Links davon liegt die Piute Mesa. Ganz vorn sehen Sie die Shonto Mesa, und weiter hinten die Goosenecks des San Juan River, die Cedar Mesa, Bears Ears und die Manti La Sal Mountains.«

Zwei Raben ließen sich vom Aufwind emportragen, setzten dann zum Sturzflug an und glitten zurück in die schattigen Tiefen. Ihr Krächzen hallte in den Canyons wider.