Crime to go - Rebekka Görtler - E-Book

Crime to go E-Book

Rebekka Görtler

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Beschreibung

Wo bist du noch sicher? Ob im Fitnessstudio, auf der Arbeit, in der Küche oder beim ersten Date. Das Böse lauert einfach hinter jeder Ecke. Wem kannst du trauen? Die eigene Schwester, der Partner, eine gute Freundin oder das geliebte Haustier. Ja, wirklich jeder kann zum Mörder werden. Mit 66 abwechslungsreichen Minikrimis ist CRIME TO GO die ultimative Tatwaffe gegen Langeweile. Spannende Geschichten, die dir das Blut in den Adern gefrieren lassen. Alles, außer ein Happy End. Wie lange hast du noch zu leben? Wann bist du das nächste Opfer?

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Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2023

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An alle Menschen, die ich liebe: Dieses Buch ist für euch!

Liebe Leute, die mal gemein zu mir waren: Danke für eure Inspiration! Na? Findet ihr euch hier wieder?

Schreiben. Weil echter Mord ja keine Lösung ist.

INHALTSVERZEICHNIS

Agathas Attentat

Impfgift

Blutsverwandt

Ampeln, blutrot

Diebe in der Nacht

Aus dem Leben exmatrikuliert

Dönerdrama

Brandheiß

Blubb, Blubb, Blubb

Todschick

Mord mit Aussicht

Aglio e Olio mit fatalen Folgen

Game Over

Köpfen und Schießen

Kohldampf auf Kohlsuppe

Reine Kamikatze

Café au Arsen

London Calling

Kommt Sport, folgt Mord

Menü á la Chris

Das Parfüm

Bist du das nächste Opfer?

Frühjahrsschmutz

Dreck am Stecken

Rache ist süß

Wie eine Flasche leer

Real Life

Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir

Im Taxi des Todes

Schwarz und Weiße

Netflix and Kill

Ein 1A-Geschäftsmodell

Stressfrei Sterben

Ein Tag im Leben eines Mörders

Tot wie Brot

Du?!

Es war einmal...

Oh, du Tödliche

Küchenkannibalismus

Das letzte Abendmahl

Unfall oder Umzug?

Neues Jahr, Neuer Mord

Fahrerflucht

Nachts im Horrorhaus

Seriengriller

Alte Schuld

Schnipp, Schnapp, Haare ab!

Fast 2,5 Kamille

Hakuna Matata

Schwein gehabt?

Tote schlafen ewig aus

Kurzer Prozess

Tötungsdelikt!

Kantinenkoma

Nächster Halt: Jenseits!

Pechkeks

Und wenn sie nicht gestorben ist…

Von Theorie und Praxis

Pizza al Panico

Weiße Weste

Süßes oder Saures?

Versteckspiel

Reich, Reicher, Tot

Bitteres Erwachen

Ein Mordsspaß

Quacki

Agathas Attentat

Ob Liebe, Lust, Schmerz oder Trennung. Wut, Freundschaft, Verzweiflung und Mord. Diese heiligen Hallen haben schon alles gesehen.

Der Duft der Bücher steigt mir in die Nase, als ich die Tür aufdrücke. Die Sonne scheint durch die großen, bunten Fenster und zaubert ein wunderschönes Farbspiel auf dem Parkettboden.

„Hier.“ Mrs Armstrong drückt mir schon die erste Arbeit in die Hand. „Heute Morgen war wieder die Hölle los.“

Ja, so ist das am Montag nach dem Wochenende. Die Leser hatten genügend Zeit, um bei Tee und Keksen ihre Bücher zu verschlingen und die wandern jetzt natürlich zurück in die Bibliothek.

The Spanish Love Deception von Elena Armas, It Starts with Us von Colleen Hover, The Love Hypothesis von Ali Hazelwood. Liebe, Liebe, Liebe. Die Leute lesen gern, was sie nicht haben.

Oh, ein Sachbuch. Growth and Phosphorus Nutrition of Corn. Wie interessant.

Der Wagen ist schrecklich schwer. Da braucht es auch kein Armworkout im Fitnessstudio mehr. Ich stemme Bücher statt Gewichte.

Wir führen die größte Bibliothek der ganzen Stadt.

Als ich noch ein Kind war, ist mein Vater oft mit mir hier gewesen. Er ist Professor an einem College und während er sich bei den Fachbüchern aufhielt, stöberte ich in der Romanabteilung.

Anfangs Harry Potter oder Percy Jackson, dann irgendwann echte historische Klassiker wie Emma von Jane Austen. Die meisten kennen ja nur die BBC-Verfilmung mit Gwyneth Paltrow, aber Janes wahre Worte zu lesen, einzutauchen und sich selbst auszumalen, wie bezaubernd und süß Mr Knightly wirklich ist, ist doch eine völlig andere Dimension.

Vielleicht habe ich deshalb ein Studium in englischer Literatur begonnen und vielleicht jobbe ich deshalb auch nebenbei in der Bücherei.

Bücher sind die besseren Menschen.

Ich schiebe mich durch eine Gruppe Touristen, die mit ihren Handykameras die prachtvolle Decke fotografiert.

Das ist leider viel zu oft die Realität. Schmökern statt Selfies, Bloggerlust statt Bücherliebe.

Mein Sortieren beginnt mit einem brutalen Mord.

Aalglatt und sauber. Erstochen.

Mord im Orient-Express von Agatha Christie. Ein toller Kriminalroman.

Ich nehme das Buch in die Hand. Es ist eine der älteren Ausgaben. Der Einband ist abgegriffen, die Seiten wurden unzählige Male gelesen und sind an den Ecken verknickt.

Heimlich stecke ich meine Nase hinein. Es riecht einfach himmlisch.

Oh, was ist das denn?

Ich bin im Manuskript weit am Ende angelangt, die spannendste Stelle, dort, wo der geniale Detektiv Hercule Poirot gerade die Lösung des Falls präsentiert. Immer wieder sind einige Zeilen und einzelne Wörter mit gelben Textmarker markiert.

Messer. Erstochen.

Da interessiert sich wohl jemand sehr für Mordmethoden, wie mir scheint.

Eigentlich darf man ja nicht in den Büchern herumkritzeln. Nach den Klausurenphasen an der Uni ist es immer besonders schlimm. Da sind die Texte in der Fachliteratur nur noch knallpink, grellblau und neongrün und unzählige Post-It-Notes flattern zwischen den Buchdeckeln hervor.

Ich räume diese Agatha an ihren Platz zwischen den anderen Werken.

Dabei entdecke ich einen jungen Mann, der an einem unserer Lesetische sitzt. Seine Augen wandern die Zeilen entlang. Tatsächlich. Er liest! Vor ihm stapeln sich fünf weitere Werke. Ich erkenne von hier aus, dass es nur Krimis sind.

Hm, hat er womöglich die Seiten im Orient-Express markiert?

Ich bin den ganzen Tag beschäftigt. Kaum ist der eine Wagen geleert, kann ich schon beim nächsten wieder von vorne anfangen. Ich werde nach Gartenpflege zu Gott gehetzt. Man jagt mich aus der Low-Fat-Küche bis ins alte Rom und dann wieder zurück zu Nick und Charlie in die Schule.

Der eifrige Leser bleibt auch den ganzen Tag. Ab und zu muss er wohl mal aufgestanden sein, denn der Stapel schrumpft mit jeder Stunde. Löblich, dass er sich selbst ums Einräumen kümmert.

Irgendwann ist es Zeit, zu schließen. Ich wandere ein letztes Mal durch alle Gänge, um die übereifrigen Influencer zu verscheuchen und den Büchern mit gutem Gewissen eine gute Nacht wünschen zu können.

Ein Stuhl ist noch besetzt.

So eine Leseratte!, freue ich mich still, sage aber: „Entschuldigen Sie, Sir, wir schließen gleich.“

Keine Reaktion. Ich komme näher. Nur noch wenige Seiten fehlen ihm, bis er ausgelesen hat, doch sein Kopf hängt schwer nach vorne. Putzig, er ist wohl eingeschlafen.

„Sir?“ Ich rüttle sanft an seiner Schulter. „S…?“

Der Mann gleitet von seinem Sitz zu Boden und landet auf dem Rücken.

Ein Messer steckt in seiner Brust.

Aalglatt und sauber. Erstochen. Wie bei…

Ich beuge mich vor. Ein kleiner Zettel hängt an der Mordwaffe.

Ich töte Killer

Ruhe in Frieden Arschloch

Na, hör mal! Empört die Hände in die Hüften. Da haben wir also den üblen Schuft, der auf den Seiten herumgekritzelt hat. Ich töte Killer, das ist ein Zitat aus dem Orient-Express.

Aber noch bedauernswerter finde ich glatt den zweiten Satz.

Die wahre Agatha hätte das Komma nämlich bestimmt nicht vergessen!

Impfgift

Ich mache mich schwer wie ein Kartoffelsack, sodass sie mich hinter sich her schleifen muss.

„Jetzt komm schon“, sagt Mum. „Wenn du keine Zickereien machst, dann kaufe ich dir nachher auch die Dinosaurierfigur.“

Schmerz gegen Spielzeug?

„Ist das nicht Bestechung?“, überlege ich laut.

Mum verzieht ertappt das Gesicht. „Nein, nein“, antwortet sie schnell. „Sowas nennt sich Motivation.“

„Alles klar, gehen Sie doch bitte nochmal kurz ins Wartezimmer, ja? Doktor Knight ist gleich bei Ihnen.“

Von mir aus kann sie sich ewig Zeit lassen.

Der Wartebereich ist leer. Zeitschriften auf dem Tisch, Kuscheltiere im Regal, Lego in einer Kiste und eine Topfpflanze in der Ecke. All diese Dinge versuchen vergeblich zu übertünchen, an welchem schrecklichen Ort wir eigentlich sind. Mum blättert durch die Apothekenumschau, während ich nervös auf meinem Stuhl hin und her rutsche.

Hier zu warten, ist wie die Vorstufe zur Hölle.

An den Wänden hängen große Plakate mit Prints von blutigen Wunden, gebrochenen Beinen und wenig motivierenden Sprüchen wie: Wer die Gesundheit nicht ehrt, ist die Behandlung nicht wert! oder Wie lange soll Ihr Körper noch verwesen?

Prävention und Diagnostik! Jetzt!

Meine Finger zittern.

„Beruhig dich, Archie“, sagt Mummy sanft. „Es ist alles in Ord…“

Die Tür wird aufgerissen und die Arzthelferin kommt hinein. „Sie können dann mitkommen.“

Mit Übelkeit im Magen stehe ich auf und folge ihr.

Die böse Hexe sitzt schon an ihrem Schreibtisch. Doktor Knight. „Ah, Archie“, sagt sie. „Komm rein.“

Zögernd gehe ich einen Schritt auf sie zu.

„Das ist ja heute nur ein Kontrolltermin oder hast du sonst noch irgendwelche Beschwerden?“

In meinem Hals hat sich ein riesiger Knoten gebildet, ich kann vor Anspannung kaum sprechen und schüttle deshalb nur stumm den Kopf.

„Gut, dann lass uns anfangen.“

Ich werde gemessen und gewogen. Dann muss ich mein T-Shirt ausziehen und Doktor Knight hört mit einem eiskalten Stethoskop meinen Herzschlag ab. Es pocht so laut, dass sie davon bestimmt einen dauerhaften Hörschaden bekommt. Sie testet meine Reflexe, leuchtet Ohr und Rachen aus und ich muss auf einem Bein stehen und Buchstaben von einer Tafel ablesen. Kinderkram.

„Sehr schön.“ Doktor Knight hakt nach und nach ihre Checkliste ab. „Du bist kerngesund.“

Ich strahle und meine Furcht verpufft mit einem Mal.

Dann kann ich doch jetzt gehen, oder?

„Oh je, was haben wir denn da?“

Die Angst ist mit einem Schlag zurück. Das klingt gar nicht gut. Doktor Knight sieht auf ihren Zettel und runzelt die Stirn.

„Was ist?“, fragt auch Mum besorgt.

„Die letzte Impfung zur allgemeinen Immunisierung liegt ja schon Jahre zurück“, erklärt Doktor Knight. „Aber keine Sorge, wir erledigen das gleich.“

Mir bricht der kalte Schweiß aus.

Spritze?! Auf gar keinen Fall!

„Bitte nicht“, flehe ich leise, doch die Ärztin kennt keine Gnade.

„Nichts da“, fährt sie mich harsch an. „Ärmel hoch!“

Das Ding in ihrer Hand ist riesig, furchteinflößend und verflucht spitz.

„Bitte…“

„Nein, Archie, nein. Du weißt das doch: Gesunder Körper, gesundes Leben. Ganz einfach!“ Sie hat gerade das Motto ihrer eigenen Praxis zitiert.

Ich halte meine Hand schützend über meinen Oberarm.

„Es ist doch nur ein kleiner Stich.“

Ich schüttle den Kopf.

„Jetzt sei doch nicht so stur!“ Doktor Knights Hand schnellt nach vorne.

Das kann ich nicht zulassen!

Ich brülle wie ein T-Rex.

Erschrocken von meiner unerwarteten Reaktion, weicht die Ärztin einen Schritt zurück. Dabei vergisst sie, dass hinter ihr der kleine Drehstuhl steht, auf dem sie vorhin noch gesessen hat. Doktor Knight kommt ins Straucheln, fällt rücklings über und bleibt dann regungslos liegen.

„Um Gottes Willen!“ Mum springt auf und beugt sich über die Ärztin. „Tot“, murmelt sie leise.

„Was?“

„Sie ist tot“, wiederholt Mum deutlich lauter und schnellt herum. „Los, los, los!“ Sie hebt mich von der Liege und zerrt mich aus dem Behandlungsraum und weiter aus der Praxis. Ich folge liebend gerne.

Bloß eine Frage brennt mir noch auf der Zunge: Bekomme ich den Dinosaurier denn nun trotzdem?

Blutsverwandt

Ferien bei Oma Bridget.

Was kann es Besseres geben? Gute Gespräche, Filme gucken, bis die Augen eckig werden, leckeres Essen, Radtouren und einfach Erholung pur.

Wer braucht denn schon Dubai, wenn es doch auch Northampton gibt?

Wir sitzen in der Küche auf Barhockern an der Theke.

Im Airfryer neben uns schmort das Gemüse und das Topping, Pinienkerne, röstet auf dem Herd langsam vor sich hin.

Grandma blättert durch die Zeitung. Lokalnachrichten?

Sport? Politik? Nö. Todesanzeigen.

„Da kannst du dir gleich mal Inspiration für deinen neuen Kriminalroman holen“, sagt sie. „Mord und Totschlag, soweit das Auge reicht.“

Ich schüttle heftig mit dem Kopf und verziehe das Gesicht. „Na, das will ich aber nicht hoffen.“

„Doch, doch, doch.“ Omas Finger wandert Zeile für Zeile nach unten. „Da: Edith Jenkins“, liest sie vor. „Ach, einfach unfehlbar. Da gehe ich später noch schnell einkaufen und lade Wilbert zum Abendessen ein. Mal sehen, was wird.“

Ich verstehe nur Bahnhof.

Edith? Wilbert?

„Was redest du denn da?“

„Hier: Bla, bla. Unerwartet verstorben“, brabbelt Oma Bridget. „Genau. Vergiftet.“

Jetzt ist meine Neugier geweckt. Wie vorhin richtig angemerkt, schreibe ich in meiner Freizeit Krimis.

Ich beuge mich vor, aber: „Das steht da doch gar nicht, Grandma. Das hast du dir nur ausgedacht.“

Meine junge Großmutter ist eine unverbesserliche Geschichtenerzählerin. Früher waren es mal Erzählungen über Schildkröten und Fabelwesen und heute eben über ermordete Bevölkerung.

„Das ist kein Märchen“, beharrt sie dennoch empört.

„Das weiß ich nämlich aus erster Hand.“ In Omas Gesicht stehen tausend Geheimnisse. „Du erinnerst dich doch noch an die Cakepops, die ich gebacken habe, oder? Zitrone und Schokolade.“

Natürlich.

Sie hat mir ausdrücklich verboten, davon zu naschen, weil diese nur für nette Bekannte aus dem Dorf bestimmt waren. Grummelnd habe ich die süßen Teilchen zurückgelegt und noch verärgerter habe ich sie diesen netten Bekannten mit dem Rad vorbeigefahren.

„Hart Road 22, ja?“

Ich nicke. „Ein Backsteinhaus mit weißen Fenstern, grüner Tür und…“

„Das Haus der Jenkins‘.“

Ich starre Grandma entgeistert an, während sie eine knusprige Pinie aus der Pfanne stibitzt und sich in den Mund wirft.

„Ich wusste, dass Edith niemals die Schoko-Pops anrühren würde. Zu viel Zucker.“ Sie macht ironische Gänsefüßchen in die Luft. „Also habe ich in den Zitronenteig einfach alles hineingemischt, was der legale Gifthandel so hergegeben hat.“

Sie lächelt und futtert noch einen Kern.

Deshalb durfte ich also nicht probieren. Das Gebäck war vergiftet!

Mir wird ganz schlecht vor Schreck.

Meine Großmutter hat einen Menschen ermordet! Und als Botin bin ich auch noch Mittäterin!

Ich bin völlig durcheinander.

„Wieso?“, krächze ich.

Grandma Bridget zuckt mit den Achseln. „Wieso, weshalb, warum. Wen interessiert das schon?“

Mich!, will ich schreien, aber meine Kehle ist furztrocken.

„Weißt du, Edith und Wilbert, das hat doch noch nie zusammengepasst. Er, der gutaussehende Ex-Polizist und sie, die olle Schabracke.“ Oma schiebt mir nochmal die Zeitung rüber. „Sieh dir nur mal das Bild an.“ Graue Haare, Dauerwelle, eine Brille mit doppelten Gläsern, die ihre Augen riesig, überdimensional und glubschig wirken lassen. „Nicht gerade ein Sahneschnittchen, oder?“

Kein Kommentar von mir. Ich will nicht über Leichen lästern.

„Ich klingle gleich mal durch und lade Wilbert für heute Abend ein. Du hast doch nichts dagegen, oder?“ Sie greift zum Handy. „Soviel ich weiß, hat er einen Enkel in deinem Alter. Vielleicht ist der ja was für dich, du bist doch schließlich gerade Single.“

Ich bin fassungslos.

„Und sollte der Typ doch schon eine nervige Freundin haben…“, Oma sieht vom Display hoch. „Du weißt ja, was zu tun ist. Cupcakes backen. Du hast es im Blut.“

Ampeln, blutrot

Schon wieder hat er das Blinken vergessen. Und nebenbei eine rote Ampel überfahren. Wir rauschen mit sportlichen 57 km/h über den Asphalt. In einer 30er-Zone.

„Ähm“, hüstle ich zaghaft. „Guck mal auf den Tacho.“

Doch selbst auf meinen Hinweis hin: „Wer bremst, verliert.“

Tolle Antwort.

Na schön, dann steige ich eben in die Eisen und interveniere. Wie gut, dass ich als Fahrlehrerin auch eigene Pedale besitze.

Wir kommen mit quietschenden Reifen zum Stehen.

Puh, durchatmen. Bestimmt hat das Auto einen langen, schwarzen Bremsabdruck auf der Straße hinterlassen.

Doch schon nach kurzer Zeit findet sein Fuß wieder das Gas und das ganze Spiel beginnt von vorne…

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen so nervigen Fahrschüler in meinem Wagen gehabt zu haben.

Clay. Unbelehrbar, uneinsichtig und das Schlimmste: Absolut unfähig.

Klar, dass in der ersten Fahrstunde noch alles schief geht. Ein abgewürgter Motor. „Wo ist rechts, wo ist links?“, eine Vollbremsung und ein Kratzer im Lack. Aber das passiert am Anfang.

In all den Jahren habe ich niemals um mein Leben gebangt. Clay hat das geändert.

Bravo.

Sein Fahrstil ist goldrichtig für eine Achterbahn auf dem Jahrmarkt, gehört jedoch unter gar keinen Umständen in den normalen Straßenverkehr!

Stopp-Schilder sind für ihn reine Dekoration, Fußgänger nur lästige Hindernisse und Kurven schneidet er schärfer als die Wilde Maus auf dem Volksfest. Leute gucken zurecht verdutzt, wenn sie von einem Fahrschulauto mit Lichtgeschwindigkeit überholt werden. Aber was soll ich denn tun? Ich kauere ja selbst im Sitz und bete leise zu einem Gott. Erhört wurden meine Bitten bis jetzt nicht.

Eine Situation, die neulich erst passiert ist: Wir sind mit sechsfachem Schritttempo durch die Fußgängerzone geflitzt, da legte Clay eine Vollbremsung hin.

Mir ist glatt der Tee übergeschwappt. Sorte Lavendel.

Hilft angeblich bei Nervosität und Angstzuständen und soll beruhigend wirken. Den trinke ich jetzt immer bei den Fahrten mit Clay.

Der Grund für unseren abrupten Stopp war eine alte Dame, die mit Rollator und Einkaufstüten langsam die Straße überquerte. Doch anstatt anständig zu warten, was tat mein Schüler da? Er stieg aus und schubste die Rentnerin vom Zebrastreifen.

Unfassbar!

Neunzig Minuten, drei Schweißausbrüche und sieben Panikattacken später, ist Clays Fahrstunde vorbei. Ich will aussteigen, mich auf den Boden werfen und die Erde küssen.

Gott sei Dank! Ich lebe noch!

„Nächste Woche wird gerockt!“, ruft Clay und reckt die Faust in die Luft.

Der Schreck überkommt mich schlagartig.

Richtig, ich vergaß. Voller Entsetzen musste ich feststellen, dass sich der halbstarke Spinner eigenständig am nächsten Mittwoch für die Führerscheinprüfung angemeldet hat.

„Bis dann!“

Er steigt aus.

Das darf doch nicht sein, oder?

Ich könnte wetten, dass er die Prüfung bestehen wird, und zwar nur, weil der Prüfer um nichts im Leben ein zweites Mal mit Clay durch die Gegend heizen will. Man wird ihn einfach auf die Straßen dieser Welt loslassen.

Außenspiegel, Innenspiegel, Schulterblick.

Mir kommt eine Idee. Clay ist noch in der Nähe und starrt dabei auf sein Smartphone. Es kommt kein anderes Auto, kein Gassigeher oder sonst wer.

Ich starte den Motor. Langsam rolle ich aus der Parklücke. Dann trete ich aufs Gas.

Der Wagen macht einen gewaltigen Satz nach vorne, es macht Knack! und die Straße ist auf einmal leer. Kein Clay ist mehr zu sehen.

Ja, ich habe das Richtige getan, denke ich später, als ich die Blutsspritzer von der Karosserie schrubbe. Ich habe vielen Leuten im Vorfeld einen Autounfall erspart.

Die Welt ist jetzt wieder sicher.

Einer für alle, alle für einen!

Diebe in der Nacht

Es ist still im Haus. Totenstill. Mein Vater ist für einige Tage verreist. Ich bin ganz alleine und passe auf unser Zuhause auf. Haussitting sozusagen.

Zu oft habe ich gedacht: Nur noch eine, nur noch eine.

Aber nach zwei Stunden Netflix lege auch ich mich endlich schlafen.

Einzuschlafen war für mich schon immer eine Herausforderung. Sobald ich meine Augen schließe, werde ich wieder so wach wie ein Flummi auf Koffein. Ich beginne dann zu grübeln oder über mein Leben und vergangene Situation zu philosophieren.

Aber heute nicht. Das nehme ich mir jeden Abend vor.

Ich kuschle mich in meine Kissen. Die Dunkelheit umhüllt mich wie eine warme Decke.

Meine Gedanken ziehen vorbei wie Wolken, wiederhole ich das Mantra aus dem Entspannungskurs. Alles ist so gleichgültig.

Außer der Stimme in meinem Kopf und meinem Atem im Außen ist nichts zu hören. Es sind die perfekten Bedingungen, um jetzt in einen erholsamen Schlaf zu fallen.

Ein Knirschen. Dann auf einmal ein Rascheln. Mein Herz setzt einen Schlag aus.

Nein, das ist nichts. Bestimmt nur der Wind, der draußen durch die Bäume fegt.

Meine Gedanken…

Es raschelt noch einmal.

Ich ziehe mir die Decke über den Kopf.

Nur der Wind, ein Busch, ein Baum, ein Auto vielleicht, beruhige ich mich, aber es klingt mehr nach einer Frage als nach einer Aussage.

Dann reiße ich meine Augen auf. Hellwach sitze ich aufrecht und gerade im Bett. An Schlaf ist nicht mehr zu denken.

Tap, tap, tap! Das, das waren doch gerade Schritte, oder?

Einbildung? Nein, verdammt, das sind wirklich Schuhe.

Was soll ich tun?

Auf jeden Fall besteht Handlungsbedarf. Mein Kopf spielt schon die verrücktesten Szenarien ab: Attentäter, Einbruch, Vergewaltigung. Im Bett herumzusitzen, während unten ein Killer am Werk ist, ist keine gute Idee.

Ich stehe auf, um nach einer Waffe zu suchen. Etwas Schweres wäre gut…

Natürlich, der Baseballschläger, den mir Papa mal von einer Geschäftsreise aus Amerika mitgebracht hat. Das ist es! Aus massivem Holz ist der nämlich. Perfekt.

Im Flur im Erdgeschoss ist es stockfinster. Von dort kommt das Fußgetrampel. Der Attentäter Schrägstrich Perverse Schrägstrich Dieb hat kein Licht angemacht. Kriminelle Handlungen vollzieht man ja lieber im Dunkeln.

Leise wie eine Katze schleiche ich die Treppenstufen hinab. Ich sehe nur einen Schatten. Er kehrt mir den Rücken zu.

Mit einem Schrei stürze ich mich auf den Einbrecher und prügle mit dem Sportgerät auf ihn ein. Immer und immer wieder, bis sich nichts mehr rührt und er k.o. gegangen ist. Ich knipse ich die Lampe an, in der Erwartung, gleich in das Gesicht des schlimmsten Menschen auf diesem Erdball zu blicken.

Ich erschrecke mich fast zu Tode.

„Papa!“, schreie ich.

Aber es ist vorbei. Seine unerwartete Ankunft hat ihn das Leben gekostet.

Aus dem Leben exmatrikuliert

Ich war achtzehn Jahre jung, als ich meiner Mörderin das erste Mal begegnete. Hannah. Auf einer Party im Studentenwohnheim. Braune Haare, tolle Augen und eine Pulle Pils in der Hand. Sie war nett, leicht angetrunken, aber noch nicht peinlich, sondern offen und herzlich.

Auch im ersten Semester, auch im selben Studiengang und auch noch völlig planlos.

Der Abend endete sehr spät.

Ab diesem Tag waren wir beste Freundinnen. Wir aßen gemeinsam in der Mensa, sie setzte sich zu mir in den Vorlesungen und schrieb mir kleine Zettelchen in der totenstillen Bibliothek.

Ich stürzte mich so sehr in mein Studium, dass ich die Zeichen nicht bemerkte.

Bis zu diesem Tag…

Wochen später klopft es an meiner Tür. Ich drehe mich in der Küche um und öffne. Mein Studenten-Apartment ist kleiner als ein Schrank unter der Treppe. Alles ist binnen eines einzigen Schrittes zu erreichen.

„Danke für die Einladung.“ Hannah kommt rein und lässt sich aufs Bett fallen. „Ich kann ein bisschen Aufmunterung jetzt wirklich gut gebrauchen.“

Endlich ist der Klausurenhorror vorbei! Zwischen Prüfungen und Referaten hatte ich doch kaum noch Zeit für andere Dinge als für Bücher und Hausarbeiten. Aber jetzt ist mein Kopf und Terminkalender wieder frei für Hobbies und Hannah. Ich muss dringend mal wieder joggen gehen, wenn ich nicht auf die Kondition eines herzkranken Nilpferds zurückfallen will.

Das mache ich dann morgen. Vielleicht.

Ich habe Hannah zu einem kuscheligen Mädelsabend in meiner Bude eingeladen. Sie ist so richtig ehrgeizig, will unbedingt die 1.0 auf der Klausur und war deshalb am Boden zerstört, dass sie unsere letzte Arbeit in Anatomie doch tatsächlich nicht bestanden hat.

Also gibt es heute Abend das typische Studi-Futter schlechthin: Pasta. Ein ausgemachtes Soulfood. Dafür reichen sogar meine zwei altersschwachen Herdplatten aus.

„So viele Bücher. Pass nur auf, dass du die Leihfrist nicht verpasst“, sagt Hannah und deutet auf den turmhohen Lektürestapel neben meinem Schreibtisch. „Diese doofe Bibliothek! Darum habe ich Anatomie verhauen. Es gab einfach keine Lektüre mehr.“

Man will es ja kaum glauben, aber in der Uni-Bib sind Bücher tatsächlich Mangelware. Dauerhaft ausgeliehen oder gar überhaupt nicht verfügbar.

Hannah setzt sich auf und beugt sich vor. Mit dem Finger fährt sie die Einbände entlang. „He!“ Sie funkelt mich böse an, dabei gieße ich doch nur die Spaghetti ab. „Anatomie, Anatomie… Hast du etwa alle Anatomie-Bücher ausgeliehen?“

Es stimmt, ich habe meine Chance genutzt und das Regal geleert. Und ja, zugegeben, auch nach dem Lesen habe ich sie behalten. Lieber Gebühren, statt Wissenslücken.

„Schau mal, das liegt da ja zweimal. Ist das dein Ernst?!“ Hannah hält beide Ausgaben von Das große Lehrbuch der menschlichen Anatomie, Band 1 nach oben. „Mit nur einer Seite aus diesem Buch wäre ich nicht durchgerasselt!“ Hannahs Augen sind auf einmal nicht mehr schön, sondern vielmehr unheimlich. Sie flackern hin und her.

„Habe ich etwa wegen dir die Arbeit nicht bestanden?“

„Um Gottes Willen, ich…“

Und dann passiert etwas, womit ich im Leben nicht gerechnet hätte.

Hannah stürzt sich auf mich.

Ich gehe zu Boden, Tomatensoße spritzt an die Wand.

Wie Blut, erschrecke ich, während ich versuche, meine wahnsinnige Freundin von mir zu stoßen. Aber Hannah ist nicht nur sehr viel ehrgeiziger, sondern auch stärker als ich.