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Elijah träumt von einem Studium an einer Prestigeuni in den Staaten. Als er Stipendien für seine Top Unis bekommt, scheint sein Glück perfekt zu sein. Wäre da nicht die Zusage aus Deutschland, die ihn wieder näher zu seinem besten Freund bringen würde. Mona versucht irgendwie mit ihrer Trennung klarzukommen. Insgeheim wünscht sie sich nichts sehnlicher als endlich in eine richtige Großstadt ziehen zu können. Dann rempelt sie einen Kerl vor der Tür an, der ihr langsam aber sicher die Schönheit Regensburgs näherbringt. Wer hätte gedacht, dass ein amerikanischer internationaler Student aus dem idyllischen Harper's Ferry ihr das "Landleben" näherbringen könnte?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Jade S. Kye
CROSSING BRIDGES DOMLIEB
Impressum
Deutsche Originalausgabe
1. Auflage Copyright © Jade S. Kye 2024
Cover: Juliana Fabula | Grafikdesign
Buchsatz: Juliana Fabula | Grafikdesign
Lektorat: Textzucker
Korrektorat: Tino Falke
ISBN eBook: 978-3-7579-9340-5
Distribution im Auftrag : tolino media
Shanice Moore
Alois Riedl Str. 13A
93152 Nittendorf
Mona
Das sanfte Rauschen der Blätter, das Klicken von Kugelschreibern und das Knallen von Büchern auf Tischen begleitet Mona beim Lernen. In den letzten Tagen hat sie zusehen können, wie der Lesesaal immer voller wurde. Selbst abends war er noch ungewöhnlich gut besucht. Manche Studierende kommen wie sie seit Anfang des Semesters zum Lernen hierher, andere sieht sie jetzt zum ersten Mal. Sie alle verbindet der gestresste Ausdruck und die gehetzten Schritte, wenn sie sich aus den hohen Regalen Bücher holen oder feststellen müssen, dass die, die sie suchen, bereits ausgeliehen sind.
Mona sieht auf die Uhr und seufzt – es ist nach acht. Sie hat schon vor einer Stunde zu Hause sein wollen. Thomas will heute eine kleine Date-Night veranstalten, bevor Monas Klausurenphase richtig beginnt. Er sitzt vermutlich schon auf dem Sofa und fragt sich, wo sie bleibt. Hektisch packt sie ihre Notizen in den Schnellhefter, wobei das ein oder andere Blatt knickt oder einreißt. Der Schreibtisch neben ihr quillt über vor Büchern und die Person, die davorsitzt, sieht verärgert zu ihr. Sie sind alle etwas angespannter, wenn die Klausuren vor der Tür stehen, aber irgendwie muss Mona ja ihre Unterlagen zusammenpacken. Sie zuckt mit den Schultern, beeilt sich aber, die restlichen Sachen so leise wie möglich in die Bib Bag zu legen.
Mit großen Schritten, die durchsichtige Tasche über die Schulter geworfen, verlässt sie den PT Hörsaal I. Hin und wieder hebt sich ein Kopf, wenn sie an einem Tisch vorbeiläuft. Neid liegt in manchen Blicken, weil sie jetzt schon nach Hause gehen kann. Was die anderen nicht wissen, ist, dass sie schon seit sechs Uhr morgens lernt – erst in der Cafeteria und dann im Lesesaal. Endlich hat sie die Tür erreicht, geht hindurch und schließt sie hinter sich.
Die Frauen, die den Eingangsbereich im Auge haben und Studierenden bei der Literatursuche helfen, mustern Mona und ihre Bib Bag argwöhnisch. Sie wartet nur darauf, dass sie sie auffordern, den Inhalt zu zeigen – es wäre nicht das erste Mal. Doch dann senken die Frauen den Blick und Mona verlässt die Bibliothek. Der Knoten im Magen bleibt.
Mona läuft über das Kopfsteinpflaster der Cafeteria. Hier sitzen größere und kleinere Grüppchen zusammen, die Karteikarten austauschen und sich gegenseitig ihre Abschlusspräsentationen zeigen. Mona muss lächeln. Das Unileben ist zwar anstrengend, aber der Zusammenhalt, der hier entsteht, ist etwas Schönes.
Auf dem Weg zum Busbahnhof sieht sie das ein oder andere bekannte Gesicht und nickt grüßend. Sie ist auf dem Weg zur Nummer sechs. Sie könnte mit einigen Bussen fahren, aber die Sechs hält fast vor ihrer Haustür. Als sie die Station erreicht, wartet der Bus bereits und sie beschleunigt ihre Schritte. Als sie einsteigt, sieht sie, dass sie neben zwei anderen die einzige Person im Bus ist. Normale Menschen sind an einem Freitag um neun Uhr abends wohl schon zu Hause – vielleicht sogar im Bett. Oder sie sitzen zusammen im Sax und trinken. Auf jeden Fall sind sie nicht auf dem Heimweg von der Bib – zumindest wirkt das immer so, wenn sie sich die Instagram-Channels ihrer Freundinnen und Freunde ansieht.
Der Bus hält an der Thundorferstraße und Mona springt raus. Wie zu erwarten war, lungern hier überall Gruppen an Menschen herum, die vor den Kneipen rauchen, lachen und feiern. Sie muss sich immer wieder hindurchzwängen und drückt ihre Bib Bag an die Brust, um weniger Platz auf dem überfüllten Gehweg einzunehmen. Sie mag das Gedränge nicht, außerdem tut ihr der Zigarettenrauch in der Nase weh.
Sie atmet tief durch, als sie endlich vor der Tür ihres Wohnhauses steht. Endlich frische Luft. Als sie den Schlüssel ins Schloss stecken will, hört sie hinter sich lallende Rufe. Sie dreht sich um und sieht eine Gruppe an Männern, die lachen und Menschen anpöbeln.
Mona beeilt sich, die Haustür aufzusperren, doch da ruft schon jemand aus der Gruppe: „Hey, Black Beauty!“ Die Freunde des Typen lachen.
Sie schließt die Augen und dreht den Schlüssel im Schloss um. Gleich ist sie drin. Es ärgert sie, dass sie das Gefühl hat, fliehen zu müssen. Sie hat eigentlich gehofft, dass das mit dem Umzug in die Großstadt besser wird.
„Oh, die ist wohl zu gut für uns“, sagt ein anderer Typ.
Monas Herz schlägt schneller, als sie sich durch die Eingangstür zwängt und sie hinter sich zudrückt. Sie lehnt sich mit dem Rücken dagegen und schließt die Augen. Drei langsame Atemzüge später hat sie sich wieder gesammelt und fühlt sich bereit, durch das schmale hölzerne Treppenhaus zu navigieren.
Als sie die Wohnungstür öffnet, kniet Thomas direkt davor und ist gerade dabei, die Schnürsenkel seiner Sneaker zuzubinden. Seine Haare hängen ihm zerzaust ins Gesicht – ein Zeichen dafür, dass er schon geduscht hat und keine Lust mehr hatte, eine Frisur zu stylen. Er trägt ein Schlafshirt, das inzwischen mehr aus Löchern als aus Stoff besteht. Darüber hat er eine leichte Jacke angezogen. Er ist das genaue Gegenteil des top gestylten Kerls mit Hemd, teuren Schuhen und Ledertasche, den er an der Uni immer zur Schau stellt. Mona findet seinen üblichen Stil etwas spießig, würde das aber nie zugeben.
„Da bist du ja!“, ruft er. „Ich wollte gerade losgehen und dich suchen. Hast du mal auf dein Handy geschaut?“
„Komm runter“, sagt Mona. „Du weißt doch, dass ich an der Uni war.“
Er zieht sich die Schuhe wieder aus und sieht sie prüfend an. „Alles gut? Du wirkst gestresst.“
Sie zuckt mit den Schultern und streift ebenfalls die Schuhe ab. „Du weißt ja, wie das in der Klausurenphase ist.“
Er nickt langsam und sie ist dankbar, dass er nicht weiter nachfragt. Mona hat keine Lust zu erzählen, was vor der Haustür passiert ist, er würde es sowieso wieder nicht verstehen. Sie weiß genau, was er sagen würde: Du bist einfach zu empfindlich. Sieh es als Kompliment. Es ist ja nichts passiert. Wenn der wüsste.
„Ich habe dir Pizza übrig gelassen“, sagt er und nimmt ihr die Tasche ab. „Musst du gleich ins Bett oder willst du dir noch eine Serie mit mir ansehen?“
Sie nickt. „Eine halbe Stunde habe ich Zeit, dann muss ich ins Bett.“
„Alles klar.“
Damit verschwindet er in der Küche, wohl um die Pizza aufzuwärmen. Mona hört Teller klappern und Besteck klirren. Sie geht ins Schlafzimmer, um sich etwas Bequemes anzuziehen. Sie hätte sich am liebsten an den Schreibtisch gesetzt und weitergelernt, in drei Wochen fangen die Prüfungen an und sie fühlt sich noch immer nicht ausreichend vorbereitet. Aber Thomas hat darauf bestanden, dass sie öfter Pausen macht. Vielleicht hat er damit sogar recht. Aber wenn sie ehrlich ist, hätte sie den Abend dann lieber mit ihrer Clique in einem Pub verbracht. Dazu hat sie in den vergangenen Wochen kaum Zeit gehabt und bis zu den Prüfungen wird sich das kaum ändern. Dafür muss sie in zwei Wochen zu einer Grillparty mit Thomas’ Leuten, wovor ihr jetzt schon graut.
Als sie umgezogen ist und sich umdreht, steht Thomas bereits mit Pizza und Besteck in der Tür. Gemeinsam gehen sie in das kleine Wohnzimmer, das auch als Büro dient.
Sie sind damals so froh gewesen, als sie diese Zweizimmerwohnung direkt im Herzen der Altstadt nahe der Party-Locations ergattert haben. Inzwischen ist Mona die Wohnung aber irgendwie zu klein, ihr fehlt der Platz zum Atmen. Allerdings wüsste sie nicht, wie sich in den nächsten Wochen oder Monaten etwas an ihrer Situation ändern sollte.
Sie setzt sich mit Thomas auf die Couch, legt die Füße auf den kleinen Couchtisch und kuschelt sich an ihn. Bevor die erste Szene vorbei ist, fallen ihr bereits die Augen zu.
Mona
„Kann ich dir helfen?“, ruft Thomas aus der Küche. Mona kann das Klappern von Geschirr hören. Er ist gerade dabei, das Essen vorzubereiten, das sie zur Party an der Donau mitbringen wollen.
„Ich brauche noch ein bisschen für meine Haare!“, ruft sie zurück, die Hände tief in den kleinen Löckchen vergraben. Eigentlich sollten sich die Haare gut teilen lassen, aber irgendwas hatte Mona beim Kämmen übersehen.
Thomas taucht im Türrahmen zum Bad auf. Er hält ihren Leave-in-Conditioner in der Hand. „Brauchst du den vielleicht?“
Mona seufzt und nickt. Sie steht heute neben sich, so wie immer, wenn sie Thomas’ Freunde treffen. Der Stress der anstehenden Prüfungen tut sein Übriges – eine Woche noch, dann wird sich entscheiden, ob sich das Lernen ausgezahlt hat. Sie streckt die Hand nach der Plastikflasche aus und ihr Freund reicht sie ihr. Danach stellt er sich hinter sie und nimmt ihr den Kamm ab, den sie zum Teilen der Haare benutzt. Mona schließt die Augen. Sie weiß, dass sie geduldig sein muss, weil sie sonst mehr kaputt macht, als dass es hilft. Deswegen ist sie umso dankbarer, als Thomas sich die Hände mit dem Conditioner einreibt und sie seine sanften Berührungen auf der Kopfhaut spürt. Er hat sie schon oft bei der Hair-Care-Routine beobachtet und ihr geholfen, seine Handgriffe sitzen, als wäre er ein Profi. Schneller als erwartet sind die Haare geteilt und Thomas hilft sogar dabei, die Twists zu machen.
„So, das wär’s!“, sagt er schließlich und schnalzt zufrieden mit der Zunge.
Mona nickt und legt den Kamm zurück an seinen Platz. „Dann können wir los“, sagt sie und schafft es nicht, das Zittern in der Stimme zu unterdrücken.
Thomas, der gerade das Bad verlassen will, bleibt stehen und dreht sich ihr wieder zu. Er legt seine Hände auf ihre Schultern, wandert dann zu den Oberarmen und drückt sie zärtlich. „Ich verspreche dir, dass es dieses Mal viel entspannter wird. Ich bin für dich da.“
Mona zwingt sich zu einem Lächeln und nickt, dann folgt sie ihm aus dem Bad. Auf dem Weg aus der Wohnung bleibt sie noch einmal vor dem Spiegel im Flur stehen.
„Es sieht wirklich gut aus“, sagt Thomas, der ihr Zögern bemerkt. „Wir haben gute Arbeit geleistet.“ Er lächelt sie aufmunternd an, bevor sie gemeinsam die Wohnung verlassen. Thomas trägt einen Kasten Bier, Mona die Tasche mit Nudelsalat, ein paar Papptellern und Gabeln.
Auf dem Weg zur Donau werfen ihnen einige Studierende finstere Blicke zu. Den Bib Bags nach zu urteilen, brechen sie gerade zum Lernen auf. Mona ist froh, heute mal den Kopf frei zu kriegen, bevor es mit dem Lernen weitergeht, auch wenn sie immer noch daran zweifelt, dass die Party so toll wird, wie Thomas es versprochen hat. Aber mit einem hat er recht: Ihr Kopf braucht eine Pause, um das ganze Wissen sacken zu lassen. Sie kann all ihre Karteikarten auswendig und dennoch hat sie das Gefühl, dass sie nicht an die Uni gehört, dass sie den Abschluss nicht verdient hat. Es ist ein Gefühl, mit dem sie vor jeder Prüfungsphase zu kämpfen hat. Die guten Noten, die sie normalerweise bekommt, mildern es, aber immer nur kurz.
An der Donau angekommen, springt Anna auf und läuft sofort auf Thomas zu. Mona stellt ihre Tasche zu den anderen und sieht dabei zu, wie Anna ihrem Freund überschwänglich um den Hals fällt. Nachdem Thomas die Gruppe begrüßt hat, setzen sich alle wieder auf die Decken, die großflächig in guter Entfernung zum Grill ausgebreitet liegen. Mona hat maximal ein Nicken zur Begrüßung bekommen. Sie spürt wieder, dass sie nicht mehr ist als Thomas’ Anhängsel, das toleriert wird. Mona will sich gerade an ihren Freund lehnen, um sich etwas Halt für den bevorstehenden Abend zu holen, als sich Anna zwischen sie drängt.
„Du hast erwähnt, dass du was zu erzählen hast?“, sagt sie und lächelt ihn breit an. Mona würdigt sie dabei keines Blickes.
Mona verdreht die Augen und rutscht wieder etwas weg, damit Anna nicht halb auf ihrem Schoß sitzen muss. Sie spielt vermutlich auf Thomas’ Job an.
Er nickt und erwidert das Lächeln. „Stimmt.“ Dann ruft er in die Runde: „Ich habe die Stelle!“
Anna umarmt ihn erneut und bleibt eine ganze Weile in seinen Armen liegen, als gäbe es Mona gar nicht. Sie räuspert sich, wird aber scheinbar nicht bemerkt. Auch dem Rest der Gruppe scheint daran nichts merkwürdig vorzukommen. Sie schluckt den Groll herunter, der sich langsam hochkämpft.
Auch die anderen gratulieren Thomas zum Erfolg. Es geht noch eine ganze Weile um den Job und immer wieder lehnt sich Anna an ihn an oder streicht ihm über den Arm, während er erzählt. Inzwischen haben alle ihre Bratwurstsemmeln und Salate gegessen und sind mindestens beim vierten Bier.
Mona beschließt, sich auch ein wenig einzubringen, und sagt: „Wir haben den Erfolg mit einem Guinness im Irish
Harp gefeiert.“ Sie prostet Thomas zu und lächelt in die Runde.
Michael verdreht die Augen. „Natürlich hast du dich wieder einladen lassen. Es geht hier um Thomas, nicht um dich.“
Mona beißt die Zähne zusammen. Von all seinen Freunden mag sie Michael am wenigsten. Die anderen finden den Kommentar lustig und lachen. Und Thomas? Der sagt wieder einmal nichts. Und ist das ein Zucken um seine Mundwinkel?
Michael scheint sich davon in seiner Aussage bestätigt zu fühlen. Er prostet in die Runde und Mona würde ihm am liebsten seine Flasche über das weite Shirt mit sexistischem Aufdruck kippen. Trotz all seiner negativen Kommentare ihr gegenüber macht Michael auf sie den Eindruck, selbst am liebsten Schwarz sein zu wollen. Seine Baggyhosen und die viel zu großen Shirts, die Art, wie er seine Hände bewegt und Pseudo-Gang-Handzeichen macht – all das wirkt wie eine schlechte Kopie der vollkommen überzeichneten Schwarzen Gangstasaus den Medien.
„Tatsächlich habe ich ihn eingeladen“, versucht Mona sich zu rechtfertigen. Jedes Mal wird ihr vorgeworfen, sich von ihrem Freund durchfüttern zu lassen, dabei geht sie selbst arbeiten, aber das interessiert die Gruppe natürlich nicht.
„Dafür hat Thomas dir einen Friseurbesuch spendiert“, stichelt Anna und deutet auf ihre Haare. „Das muss doch ein Vermögen kosten, daraus etwas Brauchbares zu machen.“ Ihre Worte triefen vor Gift. Mona muss ein Zusammenzucken mit aller Kraft unterdrücken. Sie will nicht, dass diese Runde mitbekommt, wie sehr sie diese Kommentare treffen. Mona schaut zu Thomas, doch der lächelt nur verlegen und als er ihren Blick bemerkt, schüttelt er leicht den Kopf. Sie soll kein Drama machen. Der Kloß in Monas Hals wird immer größer. Langsam spürt sie die Tränen aufsteigen, aber sie will nicht weinen.
Nicht hier.
Nicht vor denen.
Sie sieht auf ihr Handy. „Oh, schon so spät! Ich muss nach Hause, lernen.“ Dann wendet sie sich Thomas zu, schafft es aber nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Nimmst du die
Sachen später mit?“
Er hebt überrascht die Brauen, nickt dann aber. „Klar.
Viel Erfolg beim Lernen.“
„Jetzt darf er der Prinzessin auch noch die Sachen hinterherschleppen.“ Anna streichelt Thomas über den Arm, als wolle sie ihn trösten. „Du bist einfach zu gutmütig.“
Es kostet Mona jegliche Selbstbeherrschung, nichts zu erwidern. Sie steht auf, winkt noch einmal in die Runde und entfernt sich gemäßigten Schrittes. Sie beginnt erst zu rennen, als sie außer Sichtweite der Gruppe ist. Als sie außer Atem ist, bleibt sie vor einem großen Baum stehen und lässt sich entlang des Stammes zu Boden sinken. Die Enttäuschung, dass Thomas sie wieder im Stich gelassen hat, geht heute tiefer als sonst.
Menschen gehen an ihr vorbei, manche mustern sie einen Moment, bevor sie wegschauen. Bloß nicht weinen. Bloß nicht auffallen. Wenn es eine Sache gibt, die sie von ihren Eltern immer wieder gesagt bekommen hat, dann, dass sie niemals in der Öffentlichkeit Schwäche zeigen darf. Im besten Fall wird man ignoriert, im schlimmsten Fall wird es gegen einen verwendet. Sie braucht ein paar Momente, bis sie sich auf den Heimweg machen kann.
Mona
„Warum hast du nichts gesagt?“, ruft Mona, als sie die Tür ins Schloss fallen hört. „Michael benimmt sich mir gegenüber immer wie ein Arsch. Und über Anna will ich gar nicht erst reden.“
Sie kann hören, wie Thomas seine Schuhe in eine Ecke tritt, kurz darauf steht er im Wohnzimmer. Seine Schultern sind angespannt, sein Blick starr. „Wie kann man nur so hysterisch sein? Du kannst nicht einfach mal mitlachen, nein, du rennst weg und blamierst mich. Du warst viel entspannter, als wir uns kennengelernt haben.“
Mona schüttelt fassungslos den Kopf. „Früher habe ich auch deine Freunde nicht gekannt. Da musste ich mir nicht dauernd Witze über mich, meine Hautfarbe oder meine Haare anhören. Sollte es mir etwa Spaß machen, mich in meiner Freizeit Rassismus auszusetzen?“
Thomas lacht auf. „Das Thema schon wieder, klar, das war alles Rassismus. Du und deine Wokeness kotzen mich an.“
Mona zuckt zusammen. So hat er noch nie mit ihr geredet. So schön die Beziehung auch sein kann, mit jedem Treffen seiner Freunde wird sie unsicherer. Dazu kommt, dass Thomas nichts dagegen tut, wie Anna ihn ansieht und anfasst. Die zwei waren früher einmal zusammen und Anna ist offenbar noch nicht darüber hinweg, so wie sie die Gruppe gegen sie aufhetzt.
Mona atmet tief durch, dann sagt sie: „Das akzeptiere ich nicht mehr. Wenigstens mein Freund sollte mich respektieren.“
„Sei doch nicht so.“
„Wie bin ich denn?“, fragt sie.
„Na, so aggressiv. Einfach typisch halt.“ Er schüttelt den Kopf.
„Ich bin aggressiv?“, fragt Mona mit zusammengebissenen Zähnen.
„Hitzköpfig, feurig, du weißt schon. Wie du und deine
Leute halt sind.“
Ihre Nackenhaare stellen sich auf, als die Bedeutung seines Satzes bei ihr ankommt. Mona erkennt die Dynamik, was den Schmerz nicht unbedingt mindert. Egal, wie lange sie schon zusammen sind, wie gut sie sich kennen und wie viel besser sie sich kennenlernen würden, in Momenten wie diesen würde sie immer zu solchen Leuten gehören. Thomas lockert die Schultern und lässt sich neben sie auf die Couch fallen. Denkt der echt, es sei jetzt alles wieder gut?
Monas Herz klopft so schnell, dass es wehtut. Es wundert sie fast, dass er es nicht durch ihre Brust pochen sieht. Sie spürt jeden Herzschlag in ihrem Hals und muss der Verzweiflung, die sich in ihr breitmacht, irgendwie Luft machen. Sie hat sich nicht zwei Stunden lang passiv-aggressive Kommentare angetan, während ihr Freund vor ihrer Nase angebaggert wurde, nur um jetzt in den eigenen vier Wänden weiter mit Stereotypen beworfen zu werden. Mona spürt, wie das letzte Stück Liebe, das sie beide zusammengehalten hat, bricht. Sie atmet tief ein und aus.
„Bitte geh jetzt“, sagt sie so beherrscht und bestimmt wie möglich.
Ihre Stimme ist ruhig.
Kühl.
Thomas hält inne und sieht sie fragend an. „Was meinst du? Wo soll ich denn hingehen?“
Sie zuckt mit den Schultern. Das laute Pochen in ihrer Brust ist durch Eiszapfen ersetzt worden. „Keine Ahnung. Kannst ja bei Anna schlafen.“
Thomas reißt bei diesen Worten die Augen auf, doch im nächsten Moment verdunkelt sich sein Blick. Er erhebt sich ruckartig. „Anna versteht wenigstens Spaß“, sagt er und verschwindet im Flur. „Und Anna mögen alle!“, ruft er ihr zu. „Keine Ahnung, was ich in dir gesehen habe.“
Das letzte Flämmchen in Monas Herz erlöscht. Sie will nur noch, dass er geht. Sie braucht Platz und Zeit, einen klaren Kopf und einen Bereich, in dem sie sich sicher fühlen kann. Und nach dem Erlebnis heute, nach diesem Gespräch, fühlt sie sich in Thomas’ Gegenwart genauso unsicher wie am Freitag vor zwei Wochen vor der Tür mit diesen Betrunkenen.
Mona fasst einen Beschluss.
Sie folgt Thomas in den Eingangsbereich, wo er gerade dabei ist, seine Schuhe zu binden. Dann sagt sie: „Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns nicht mehr sehen würden.“
Thomas erhebt sich und starrt sie mit fassungslosem Blick an. Er hat wohl nicht erwartet, dass ihren unzähligen Worten auch Taten folgen würden. Sie kann förmlich sehen, wie sich die Rädchen in seinem Kopf drehen. Dann scheint etwas einzurasten. Er nickt schroff, schlüpfte in seine Schuhe und wirft die Haustür hinter sich zu. „Du wirst schon sehen, was du davon hast!“, schreit er, bevor die Tür lautstark ins Schloss knallt.
Mona zuckt zusammen. Sie hat nicht erwartet, dass es mit ihm so enden würde. Die Erleichterung, die sie erwartet hat, bleibt aus. Stattdessen fühlt sie sich leer und unendlich erschöpft.
Mona akzeptiert den Schmerz und setzt sich auf den Boden, die Arme um die Beine geschlungen, die Stirn auf den Knien abgelegt. Zum Glück hat sie die erste Prüfung schon geschrieben. Die nächste steht erst in einer Woche an. Das gibt ihr etwas Zeit, die Situation zu verarbeiten, auch wenn sie trotzdem zur Arbeit muss.
Als sie sich etwas gesammelt hat, steht sie auf, geht zurück ins Wohnzimmer und lässt sich auf das Sofa sinken, wo Thomas und sie schon unzählige Filme geschaut haben. Jetzt sitzt sie allein hier und muss verdauen, dass er weg ist und dass sich die Beziehung wohl nicht mehr retten lässt. Langsam tritt auch Erleichterung dazu, doch auch dieses Gefühl ist beängstigend. Hat sie die Jahre mit ihm vergeudet?
Mona will nicht mehr darüber nachdenken. Chips und irgendeine Serie lenken sie vielleicht von ihren Gefühlen ab.
Und Lucia.
Sie muss auf jeden Fall Lucia schreiben. Dey hat immer den richtigen Spruch, die richtige Idee parat. Und selbst wenn nicht, dann hat dey immer ein offenes Ohr und schafft es jedes Mal, dass Mona sich besser fühlt.
Es ist passiert, T. und ich haben gestritten. Ich habe ihn rausgeworfen.
Scheiße. Oder juhu? Party oder Pizza?
Idk. Ich fühl mich dreckig und erschöpft und befreit.
Soll ich gleich vorbeikommen oder willst du noch deine Ruhe? Willst du telefonieren?
Ich werd mich heute mit Chips und Netflix ablenken. Willst du morgen kommen? Ich will nicht den ganzen Tag allein mit meinen Gedanken sein.
Natürlich. Ich bringe uns Brunch mit. Das wird alles wieder, wir schaffen das.
Danke. Wirklich, danke.
Kein Thema. Bis Morgen!
Sie lässt das Handy seufzend neben sich auf das Sofa fallen. Die Chips hat sie inzwischen in die Schüssel umgefüllt und hat sich fest vorgenommen, die ganze Tüte zu vernichten. Heute muss sie nicht teilen.
Im Hintergrund läuft irgendeine Serie, deren Namen sie bereits vergessen hat. Hin und wieder tropft eine Träne in die Chipsschüssel, aber das ist ihr egal. Sie versucht, ihre Gefühle zuzulassen in der Hoffnung, dass sie sich am nächsten Tag besser fühlen wird. Man darf ja hoffen. Zumindest ist sie morgen nicht allein.
Spät in der Nacht wacht sie auf dem Sofa auf. Der Fernseher läuft, die Schüssel liegt auf dem Boden und überall liegen Brösel. Sie ärgert sich kurz über sich selbst, dann wird ihr klar, dass niemand dieses Durcheinander sehen wird. Mit diesem Gedanken stellt sie die Schüssel auf den Couchtisch, lässt die Brösel liegen und geht ins Schlafzimmer.
Mona
Inzwischen sind einige Tage vergangen, seit Thomas die gemeinsame Wohnung verlassen hat. Wann immer Monas Te-
lefon vibriert, schlägt ihr Herz schneller, aber es geht nur um Belangloses. Einmal fragt ein Kollege, wer welche Schicht im Dunkin’ Donuts übernimmt, und einmal verabreden sich Freundinnen im Gruppenchat zu einer Pub-Nacht.
Mona will von ihm hören, eine Entschuldigung oder zumindest etwas mehr Einsicht. Sie hofft auf irgendetwas, das ihr das Gefühl gibt, die letzten Jahre nicht vollkommen verschwendet zu haben.
In ihrer liebsten Jogginghose und mit einem leeren Becher Ben & Jerry’s auf dem Schoß schaut sie auf den kleinen Fernseher an der Wand. Es läuft irgendein Sims-4-Let’s-Play auf YouTube, das sie schon zwanzigtausendmal gesehen hat. Gerade hilft es sehr, vertraute Dinge um sich zu haben. Mona hat genug damit zu tun, sich auf die neue Situation einzustellen und sich darauf vorzubereiten, sich in der Arbeit nichts anmerken zu lassen, da kann sie keine unbekannten Eindrücke gebrauchen.
Lucia tritt mit Löffeln und Eisbechern bewaffnet aus der Küche. „Hat jemand mehr Eis gesagt?“ Dey wackelt mit den Augenbrauen und lässt sich zu Mona auf das Sofa fallen. Dey ist direkt nach der letzten BWL-Klausur zu ihr gekommen.
Mona hat demm schon immer dafür beneidet, dass deren Klausuren früher vorbei sind.
Mona nimmt das Eis dankbar entgegen und stopft sich einen Löffel davon in den Mund. Genüsslich schließt sie die Augen.
Schokostückchen und Cookie Dough. Sie liebt es.
Der Moment der Freude hält allerdings nicht lange an. Ihre Gedanken rasen wieder zurück zu ihrem großen Problem. Sie braucht eine neue Wohnung. Und das so schnell wie möglich. Und sie muss einen besseren Job suchen. Auch wenn die Schichten im Dunkin’ Donuts Spaß machen und immer wieder einmal Waren übrig bleiben, die sie mitnehmen darf, wird sie damit nicht über die Runden kommen.
„Du solltest wirklich versuchen, etwas runterzukommen“, reißt sie Lucia aus den Gedanken. „Wenn du weiter so grübelst, platzt dein Kopf noch und das wollen wir nicht.“
Dey kennt Mona einfach zu gut und weiß genau, wie sie aussieht, wenn sie sich den Kopf zerbricht. Sie nickt betreten. „Du hast ja recht.“
„Wir lenken dich jetzt ab und gönnen uns YouTube“, sagt dey. „Ich habe eine neue Sims-Challenge gefunden, die du bestimmt witzig findest.“ Dey deutet mit erhobenem Löffel auf sie. „Und keine Widerworte!“ Damit beugt sich dey vor zur Fernbedienung, die auf dem Wohnzimmertisch liegt, und beginnt etwas in die YouTube-Suchleiste einzugeben.
Mona ist dankbar für die Ablenkung. Unendlich dankbar. Doch leider hält sie nicht lange an.
In ihrem Kopf erstellt sie eine Liste mit Dingen, die sie unbedingt erledigen muss. Darauf stehen das Updaten ihres Lebenslaufes und das Verfassen von Wohnungsbewerbungen, aber auch, dass sie ein paar Becher Ben & Jerry’s kaufen muss. Ein paar Donuts würden auch nicht schaden. Lucia und sie vernichten ihren gesamten Vorrat an Snacks und das kann sie gerade gar nicht gebrauchen.
Seufzend schiebt sich Mona einen Löffel Eis in den Mund. Sie ist unglaublich froh, dass Lucia sich sofort auf den Weg gemacht hat, als dey erfahren hat, was passiert ist – auch wenn dey ihr erst einmal den typischen Ich-habe-es-dirdoch-gesagt-Blick zugeworfen hat. Sie hat ihn verdient. Egal, wie nervig sie deren Anmerkungen zu Thomas in der Vergangenheit fand, dey hat letztlich recht behalten. Und wenn Mona nicht so verliebt gewesen wäre, hätte sie vermutlich schneller bemerkt, dass Thomas nicht der Richtige für sie ist.
Aber ist er das wirklich nicht? War sie doch zu empfindlich? Hat sie übertrieben? Wobei, insgeheim weiß sie eigentlich, dass er in zweieinhalb Jahren Beziehung hätte lernen können, etwas mehr Rücksicht auf sie, ihre Gefühle und ihre Lebensrealität zu nehmen.
Mona unterbricht ihre Gedanken, bevor sie sich weiter im Kreis drehen können. Sie will gerade nicht an Thomas denken. Um sich abzulenken und irgendetwas Produktives zu tun, holt sie ihren Laptop aus der Bib Bag im Gang und beginnt, auf sämtlichen Immobilienseiten, die ihr einfallen, nach Mietwohnungen zu suchen. Schnell bereut sie ihre Entscheidung. Eine Anzeige ist teurer als die andere und es wirkt so, als würden die Wohnungen immer kleiner werden, je weiter sie scrollt.
Lucia pausiert schließlich das aktuelle Let’s Play und sieht mit Mona die Angebote durch. „Das ist ja unglaublich!“, sagt dey und schüttelt fassungslos den Kopf.
Mona sucht nicht einmal nach einer großen Unterkunft, nur nach einem Dach über dem Kopf, das sie sich leisten kann. Sie würde den Laptop am liebsten wieder zuklappen, doch sie hält sich zurück.Sie hat damit angefangen, also wird sie es jetzt auch durchziehen.
Sie rollt ihre Braids, die sie sich in der Stadt hat machen lassen, zu einem großen Dutt zusammen und bindet ein Haarband darum, damit sie ihr nicht mehr ins Gesicht fallen können. War der Friseurbesuch teuer? Ja. War er total übereilt? Auch ja. Aber als sie ihrem Vater von dem Streit und der Trennung erzählt hat, hat er ihr gesagt, dass sie sich etwas Gutes tun solle. Den Termin bei den Aunties hat er vereinbart, um sie zu überraschen.
Mit einem wortwörtlich klarerem Sichtfeld und nach einer Motivationsrede von Lucia beginnt sie die Suche erneut.
„Was ist mir wichtig?“, wiederholt Mona Lucias Frage.
Lucia setzt sich im Schneidersitz neben Mona und tippt sich mit einem Finger ans Kinn. Deren kurze gefärbte Haare sind zur Hälfte hochgebunden, der Rest hängt demm im Nacken.
„Nun“, fährt Mona fort, „die Wohnung sollte in der Stadt oder zumindest in Stadtnähe liegen. Ich bin zwar kein Ersti mehr, aber das heißt nicht, dass ich nicht doch noch gern weggehe. Außerdem brauche ich eine Küche und ein Bad mit Fenster.“
Lucia zieht den Laptop zu sich rüber und tippt die Anforderungen in den Filter ein. „Das kann ja nicht so schwer sein“, murmelt dey und klickt auf Suchen.
Von den mehreren Hundert Anzeigen bleiben genau fünf übrig und die sind entweder winzig, liegen in schlechten Vierteln oder sind zu weit von der Uni entfernt. Trotz allem markieren Mona und Lucia sich drei der vorgeschlagenen Wohnungen für später.
Ein lautes Sirren reißt die beiden aus der Konzentration und sorgt dafür, dass sie sich verwirrt umsehen. Es dauert
einen Moment, bis Lucia sagt: „Mona, die Tür!“
Bevor Mona aufstehen kann, klingelt es erneut.
„Hetz mich nicht“, murmelt sie vor sich hin, während sie zur Tür schlurft. „Ich komme ja schon.“ Ohne nachzufragen, wer vor der Tür steht, betätigt sie den Summer und lässt den Besuch rein.
Nur wenige Augenblicke später bereut sie diese Entscheidung, als Thomas die Treppe heraufkommt, Anna im Schlepptau.
Als er vor der Tür ankommt, mustert er sie eingehend. „Du lässt dich ja jetzt schon gehen.“
Sie zieht scharf die Luft ein. Jede Überzeugung, dass sie eigentlich schon mit ihm abgeschlossen hat, fliegt aus dem Fenster. Dass Thomas mit Anna zu ihr kommen würde, hat sie nicht erwartet. Das letzte Fünkchen Hoffnung, dass irgendwo in ihm ein reflektierter Mensch stecken könnte, erlischt.
Anna bleibt hinter ihm stehen und rümpft die Nase. „Kein Wunder, dass du sie abserviert hast“, flüstert sie laut genug, dass Mona jedes Wort verstehen kann. „So hätte ich auch nicht wohnen wollen.“
„Was wollt ihr hier?“, fragt Mona genervt.
„Ich will eigentlich nur meine Sachen abholen“, sagt Thomas.
Mona hebt eine Braue. Inzwischen steht auch Lucia neben ihr. Die Arme vor der Brust verschränkt, blockiert dey den Weg in die Wohnung.
„Und du konntest auf meine Nachrichten nicht reagieren?“, fragt Mona. „Du weißt schon, auf die, in denen ich dich gefragt habe, ob und wann du deine Sachen holen kommst?“
„Ach, halt doch den Mund“, keift Anna. „Lass uns rein, damit wir die Sachen zusammenpacken können. Keine Sorge, wir werden sicher nicht bleiben.“
Ob Thomas die letzten Tage wohl bei ihr verbracht hat? Es ist, als würde sie darum kämpfen, Monas Platz einzunehmen, dabei muss sie das gar nicht. Mona macht den Platz gern frei, auch wenn ihr Herz damit nicht einverstanden ist. An Thomas’ Seite hält sie nichts mehr außer verblassenden Erinnerungen.
„Du nimmst dir ganz schön viel raus“, sagt Lucia und hebt die Augenbrauen. „Wenn ihr sein Zeug haben wollt, dann kündigt euch das nächste Mal an. Ihr könnt hier nicht einfach reinmarschieren und rumkramen.“
Und wieder ist Mona froh darüber, dass Lucia da ist. Ohne deren Hilfe wäre sie einfach überrannt worden und die beiden würden sich jetzt in der Wohnung bedienen. Es folgt noch ein kleiner Schlagabtausch, den Mona gar nicht mehr aktiv verfolgt, dann verschwinden die beiden fluchend, ohne die Wohnung betreten zu haben. Sogar den Wohnungsschlüssel konnte Lucia aushandeln. Das bedeutet, dass Thomas nicht mehr hereinkommen kann, wenn er will. Dass sie überhaupt geklingelt haben, verwundert Mona. Aber vermutlich wollten sie nur sehen, ob jemand zu Hause ist, und es ging gar nicht darum, ihre Grenzen zu respektieren.
Einige Stunden später ist Lucia gegangen, aber nicht ohne sich zu versichern, dass es Mona gut genug geht und dass sie sich melden wird, wenn sich das ändern sollte.
Mona sitzt am Rand des Bettes, das sie vor Kurzem noch mit Thomas geteilt hat. Das Schlafzimmer ist so leer ohne ihn. Der ganze Raum wirkt kalt. Es kostet sie sämtliche Willensbeherrschung und Kraft, sich daran zu erinnern, warum sie an diesem Punkt angelangt sind. Das Bedürfnis, Thomas zu schreiben, kommt wellenweise. Aber ihr ist eigentlich klar, dass das alles nicht mehr funktionieren kann, selbst wenn er sich entschuldigen würde, wonach es aktuell nicht aussieht.
Manchmal wünscht sie sich die Zeit zurück, in der sie sich keine Gedanken über all diese kleinen roten Fahnen gemacht hat. Als sie so getan hat, als wäre alles normal und die Blicke und Kommentare kämen davon, dass manche Menschen einen schlechten Tag haben. In diese Welt würde sie aber nie wieder zurückkehren können. Über die Jahre hat sie viel über internalisierten Rassismus gelernt, ein Seminar zum Thema Intersektionalität besucht und viele eigene Erfahrungen reflektiert. Sie kann und will bestimmte Dinge einfach nicht mehr mit sich machen lassen. Und deshalb sitzt Mona hier in ihrem ehemaligen Schlafzimmer, die Beine angezogen und den Kopf auf die Knie gelegt und versucht, den Brechreiz zu unterdrücken. Das Eis ist schuld. Ganz bestimmt.
Elijah
Elijah sitzt an seinem Schreibtisch und blickt auf sein Zeugnis, das er gewissenhaft in eine Klarsichtfolie geschoben hat und nun in seinen Ordner mit allen wichtigen Dokumenten einheftet. Die feierliche Übergabe ist nur wenige Tage her. Seine Mom hat geweint, als er es entgegengenommen hat. Er weiß, wie stolz sie auf ihn ist, dennoch hat sie es fünfhundertmal betont. Dass er noch einmal besonders geehrt wurde, weil seine Leistungen überragend waren, hat dann auch seinen Dad gerührt. Während Elijahs Rede hat sich seine Mom so lautstark die Nase geputzt, dass er kurz pausieren musste.
Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis er wirklich begreifen kann, dass seine Schulzeit vorbei ist. Endlich ist er frei von der Highschool, den Lehrkräften, den Cliquen und dem Druck. Die Highschool ist nicht, wie sie in den Filmen immer dargestellt wird. Nur wer Leistung bringt und etwas drauf hat, bekommt die Möglichkeit, an einer angesehenen Universität zu studieren – das bringt ganz schön viel Stress mit sich. Außer natürlich die Eltern haben Geld und finanzieren einem alles. Und ohne einen guten Abschluss ist sowieso alles Mist. Zumindest wird das Gefühl vermittelt, wenn die eigenen Eltern einem immer einreden, wie wichtig weiterführende Schulbildung sei und dass sie einem doch nur eine bessere Zukunft wünschten, als sie selbst sie hatten.
Elijahs Eltern haben jedenfalls kein Geld, also braucht er ein Stipendium, wenn er studieren will. Und wie bekommt ein Schwarzer Kerl vom Land ein Stipendium? Richtig, durch Sport oder Hochbegabtenstipendien. Also hat er mit seiner begrenzten Freizeit versucht, beides zu erreichen. Und es war nicht einfach.
Die letzten Jahre hat Elijah damit verbracht zu arbeiten, zu trainieren, zu lernen und zu schlafen, für mehr war keine Zeit. Auch wenn Basketball im Vergleich zu anderen Sportarten ungefährlich ist, ist es körperlich dennoch anstrengend. Und nach vier Trainings die Woche, Hausaufgaben, Nebenjob und Lernen sind Körper und Geist einfach leer.
Jetzt, wo die Schule vorbei ist, verbringt er seine Tage mit Arbeiten. Er durfte in dem kleinen Laden, in dem er schon in den Ferien und an den Wochenenden gearbeitet hat, Vollzeit anfangen. Auch wenn Elijah fest mit einem Stipendium rechnet, schadet es nicht, Rücklagen zu haben.
Er hat den Ordner gerade zurück an seinen Platz im Regal gestellt, da hört er einen Motor vor dem Haus. In Socken sprintet er über den rutschigen Boden, hält sich am Türrahmen fest, nutzt den Schwung und kommt an der Tür an, bevor Earl die Klingel betätigen kann.
„Hallo, Elijah, schön, dich zu sehen!“ Der Postbote lächelt ihn breit an. „Ich habe heute leider nichts für dich dabei. Aber das Paket deiner Mom ist endlich da. Kannst du mir vielleicht …“
„Klar, mache ich gern“, sagt Elijah und nimmt ihm den Stift und das Tablet ab, um den Erhalt der Lieferung zu bestätigen.
„Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern und dann kannst du dir die Uni aussuchen, weil dich alle haben wollen“, sagt Earl aufmunternd und klopft ihm auf die Schulter. „Aus dir wird einmal etwas.“
„Danke, Earl.“ Elijah nimmt die Lieferung seiner Mutter entgegen. „Ich hoffe, deine Vorhersage wird wahr.“ Der ältere Schwarze Mann mit dem kurz geschorenen weißen Afro nickt Elijah zu. In der örtlichen Schwarzen Community bekommt er viel Unterstützung und weiß, dass ihm so ziemlich alle die Daumen drücken.
Dann winkt er ihm zum Abschied, das schwere Paket in den Händen, und schließt die Tür hinter sich.