Daemons - Nadine Erdmann - E-Book

Daemons E-Book

Nadine Erdmann

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Beschreibung

Nach den schrecklichen ersten Wochen in der neuen Wirklichkeit haben die Hunters Zuflucht auf Ciùineas gefunden. Zeit zum Durchatmen bleibt ihnen allerdings nicht: Beim Angriff auf Edinburgh wurde das Institute for Paranormal Science zerstört und niemand weiß, woran dort geforscht wurde. Könnte von den Experimenten jetzt womöglich eine Bedrohung für die Bevölkerung ausgehen? Während sich die Hunters auf der Suche nach Antworten tief in die zerstörten Gebäude vorwagen, kämpft Ayden gegen die Dämonen aus seiner Vergangenheit. Doch in den Ruinen des Instituts lauern Schrecken, die einen kühlen Kopf erfordern, damit die Hunters vollzählig von ihrer Mission zurückkehren ... Dich erwarten: Geisterjagd im dystopischen Schottland Charaktere mit paranormalen Fähigkeiten Eine starke, liebenswerte Gemeinschaft Found Familiy, Heartwarming Queere Figuren

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Nadine Erdmann

Daemons

Die Autorin

Nadine Erdmann liebt Bücher und Geschichten, seit sie denken kann. Selbst welche zu schreiben, war aber lange Zeit nur eine fixe Idee und so sollte zunächst ein »anständiger« Beruf her. Sie studierte Lehramt, verbrachte einen Teil ihres Studiums in London und unterrichtete als German Language Teacher in Dublin. Zurück in Deutschland wurde sie Studienrätin für Deutsch und Englisch und arbeitete an einem Gymnasium und einer Gesamtschule in NRW.

Der »anständige« Beruf war ihr damit sicher, ihr Herz hing aber mehr und mehr daran, Geschichten zu schreiben. Nach der Krebserkrankung ihrer Schwester entschied sie sich, den Schritt in die Schriftstellerei zu wagen, weil man nicht immer alles auf später verschieben kann. Seitdem veröffentlichte sie drei Reihen (die »CyberWorld«, die »Lichtstein-Saga« und die »Totenbändiger«) in ganz unterschiedlichen Genres.

Da sie düstere Geschichten mit Monstern und Geistern mag, unternimmt sie nach den »Totenbändiger« mit den »Haunted Hunters« jetzt noch einen weiteren Ausflug in die Welt der paranormal Urban Fantasy, diesmal mit einem Touch Dystopie. Wie in all ihren Werken treten auch bei den Hunters wieder queere Figuren auf, da es ihr am Herzen liegt, diese Figuren sichtbar und selbstverständlich zu machen.

Mehr über die Autorin:

www.nadineerdmann.de

www.facebook.com/Nadine.Erdmann.Autorin

www.instagram.com/nadineerdmann

Nadine Erdmann

Daemons

Haunted Hunters

Band 2

Urban Paranormal Fantasy

Kuneli Verlag

Originalausgabe September 2024

Kuneli Verlag, Forstweg 8, 63165 Mühlheim am Main

Copyright © 2024 Kuneli Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Alle Rechte vorbehalten.

1. Auflage (September 2024)

Redaktion: Sonja Becker

Satz: Kuneli Verlag, 63165 Mühlheim am Main

Coverdesign: Pietro D'Angelo

Unter der Verwendung von Bildmaterial von Shutterstock.com

ISBN 978-3-948194-34-5

www.kuneli-verlag.de

You wake up every morning to fight the same demons that left you so tired the night before. And that, my love, is bravery.

(Unbekannt)

Kapitel 1

Dienstag, 7. Mai, 05:07 Uhr

Isle of Ciùineas

Ein Wimmern drang in Aydens Schlaf. Dann ein Keuchen. Gehetzt. Gepresst. Voller Angst. Alarmiert schlug Ayden die Augen auf. Der kleine LED-Halbmond tauchte das Gästezimmer im Haus der MacFaddens, das seit gestern ihr neues Zuhause war, in schummriges Licht. Henry lag neben ihm im Bett und stieß erneut ein Wimmern aus. Seine Hände hatten sich in die Bettdecke gekrallt und er kickte mit den Füßen, als würde er im Schlaf gegen etwas treten oder versuchen, zu laufen.

Sofort setzte Ayden sich auf. »Henry, wach auf. Du träumst.«

Er legte eine Hand auf die Brust seines Sohns, der jetzt seinen Kopf unruhig hin und her warf.

»Schon gut.« Sacht rüttelte Ayden ihn und spürte, wie hektisch das kleine Kinderherz schlug. Bei der Berührung keuchte Henry auf. Er krallte seine Finger noch fester in die Bettdecke, wachte aber nicht auf.

»Henry!« Diesmal sprach Ayden ihn lauter an und rüttelte seinen Sohn erneut, um ihn aus seinem Albtraum zu befreien.

Dass ein Mann im Streit Raketen auf mehrere Städte abgeworfen und damit viele Menschen getötet hatte, hatte Henry zutiefst verstört. Dass sie bei dem Angriff auf Edinburgh ihr Zuhause verloren hatten, hatte ihr Leben völlig aus der Bahn geworfen. Nächte im Auto und in einer Massennotunterkunft waren die Folgen gewesen. Aufgrund der Evakuierungen rund um die Todesschneise hatte es schlichtweg nicht genügend Wohnungen für alle Bedürftigen gegeben. Die Hunters hatten ihre Jobs verloren und sich mit Gelegenheitsarbeiten mehr schlecht als recht über Wasser gehalten. Zwar waren sie dabei immer bemüht gewesen, optimistisch zu bleiben und ihre größten Sorgen von Henry fernzuhalten, doch Ayden machte sich nichts vor. Sein Sohn war ein Empath. Ängste und Sorgen vor ihm zu verbergen, war kaum möglich.

Dass sie bei einem ihrer Geisterjägeraufträge Will kennengelernt hatten, hatte für ihre kleine Familie zwar einiges wieder zum Guten gewendet, trotzdem konnte eine kleine Kinderseele all die Veränderungen und traumatisierenden Erlebnisse der letzten sechs Wochen nur schwer verkraften. Henry hatte häufiger unruhig geschlafen und schlecht geträumt. Mit einem so heftigen Albtraum wie jetzt hatte er allerdings schon länger nicht mehr zu kämpfen gehabt.

»Komm schon, Äffchen, wach auf«, versuchte Ayden seinen Sohn erneut mit etwas mehr Nachdruck aus dem Schlaf zu holen.

Doch Henry warf sich nur weiter wimmernd hin und her. Feine Schweißperlen traten auf seine Stirn, obwohl er sich erschreckend kalt anfühlte. Er atmete hektischer. Auch sein Strampeln wurde heftiger, ganz so, als würde er im Traum vor etwas oder jemandem davonlaufen.

»Henry, wach auf!« Ayden hasste es, seinen Kleinen so zu sehen und fasste Henry bei den Schultern. »Es ist alles gut. Du hast nur einen schlimmen Traum. Wach auf, dann ist er vorbei.«

Henry ließ die Bettdecke los und schlug nach Aydens Armen. »Nein! Nein!«, stieß er voller Panik zwischen gehetzten Atemzügen hervor und wachte noch immer nicht auf.

Der LED-Mond auf dem Nachttisch begann zu klappern. Gleiches galt für die beiden Tassen, den Wasserkocher und die Teedose, die auf der Kommode am Fußende des Betts standen.

Shit!

Ayden packte seinen Sohn und zog ihn in seine Arme. »Henry, bitte! Wach auf!«

Blitzschnell scannte er den Raum nach Gegenständen, die ihnen besonders gefährlich werden konnten, sollte Henry sie umherwirbeln lassen. Kommode, Nachttische und der Sessel beim Fenster begannen wie bei einem Erdbeben zu wackeln. Gleichzeitig schrie Henry auf, als Ayden ihn an sich zog, und versuchte verzweifelt, ihm zu entkommen.

»Henry, ich bin es. Daddy. Es ist alles okay. Du musst nur aufwachen.«

Ayden war zwar kein Empath, er spürte Henrys Panik aber trotzdem wie seine eigene und es war kaum zu ertragen, ihn so zu erleben. Er kämpfte damit, ruhig zu bleiben, um seinem Sohn Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Die schienen allerdings nicht zu Henry durchzudringen, denn er schrie erneut und bäumte sich in Aydens Armen gegen ihn auf.

Doch Ayden ließ ihn nicht los. »Henry, bitte, wach auf!«

Wieder schrie der Kleine – und riss die Augen auf.

Gleichzeitig flog die Tür zum Gästezimmer auf. Mit schlafzerwühlten Haaren aber hellwach stand Will im Türrahmen, blickte kurz zu Ayden, der Henry in den Armen hielt, und erfasste dann die klappernde Einrichtung, die noch immer wie bei einem Erdbeben wackelte.

Noch bevor Ayden irgendetwas sagen konnte, spürte er, wie eine unsichtbare Kraftwelle durchs Zimmer wallte, als Will mit seiner Telekinese Henrys Verbindung zu den Gegenständen unterbrach.

Henry keuchte auf und starrte Will aus schreckgeweiteten Augen an. Seine Finger krallten sich in Aydens T-Shirt. Er drückte sich an seinen Dad und rang panisch nach Luft.

»Schon gut, es ist nur Will.« Ayden war selbst erschrocken zusammengefahren, als Will plötzlich die Tür aufgestoßen hatte, fing sich jetzt aber schnell wieder. Was immer Henry geträumt hatte, hatte ihn in eine Panikattacke getrieben, die ihn kaum atmen ließ.

Ayden musste ihm da raushelfen. »Es ist alles in Ordnung, du hast nur böse geträumt«, sprach er leise auf ihn ein. »Hier kann dir nichts passieren. Aber du musst ruhiger atmen, okay? Nicht so schnell, sonst wird dir schwindelig.« Besänftigend strich er seinem Sohn über den Rücken und versuchte, ihm einen Atemrhythmus vorzugeben. Henry schien seinem Albtraum jedoch noch zu sehr nachzuhängen, um sich darauf einlassen zu können. Er reagierte kaum, atmete weiter viel zu schnell und sein Blick flackerte hin und her, als hätte er Mühe zu realisieren, wo er war.

Will setzte sich zu den beiden und suchte den Blick des Kleinen. »Hey Champ. Dein Dad hat recht. Du musst ruhiger atmen, dann geht die schlimme Angst weg. Ich zeige dir einen Zaubertrick, der dir dabei hilft. Aber du musst mitmachen, okay? Sonst funktioniert er nicht.«

Henrys unsteter Blick heftete sich auf ihn und Ayden spürte, dass Will es geschafft hatte, zu seinem Sohn durchzudringen. Ob Will dafür seine Empathie einsetzte, konnte Ayden nicht sagen, doch im Moment war ihm jedes Mittel recht, das Henry aus seiner Attacke half.

»Stell dir vor, du riechst an einer Blume.« Will tat so, als würde er Henry eine unsichtbare Blume vor die Nase halten.

Es dauerte einen Moment, dann sog Henry tatsächlich durch die Nase die Luft ein. Noch immer zu schnell und zu abgehackt, doch nach ein paar Mal wurde der Rhythmus regelmäßiger.

»Ja, genau so. Du machst das prima«, ermutigte Will ihn mit einem Lächeln. »Und jetzt stell dir vor, dass du eine Kerze auspustest.«

Henry sog noch einmal die Luft durch die Nase ein und stieß sie dann durch den Mund aus.

»Perfekt!«, lobte Will ihn sofort. »Jetzt machen wir es immer abwechselnd. Erst an der Blume riechen.« Er atmete zusammen mit Henry ein. »Dann die Kerze auspusten.« Er atmete mit ihm aus, wiederholte das Ganze dann ein paar Mal und ließ die Intervalle dabei länger und ruhiger werden.

Ayden atmete erleichtert auf, als Henry sich so gut darauf einließ, dass seine Atmung wieder in einen normalen Rhythmus zurückfand. Auch Henrys Herzschlag, der gerade noch wild gegen seine Rippen gehämmert hatte, beruhigte sich und langsam wich die Anspannung aus dem kleinen Körper.

»Du machst das spitze«, bestärkte Will ihn erneut. »Glaubst du, du schaffst es jetzt, an einem ganzen Blumenstrauß zu riechen und danach die Kerzen auf einem großen Geburtstagskuchen auszupusten?«

Henry war von Albtraum, telekinetischem Ausbruch und Panikattacke sichtlich erschöpft, ließ sich aber trotzdem darauf ein und atmete zusammen mit Will noch ein paar Mal tief durch.

»Das war fantastisch. Du hast den Zaubertrick gleich beim ersten Mal perfekt hinbekommen.« Aufmunternd zauste Will ihm durch die verschwitzten Haare.

Ein mattes Lächeln huschte über Henrys bleiches Gesicht und er kuschelte sich frierend und völlig erledigt an Ayden. Der schlang die Bettdecke um ihn und gab ihm einen Kuss auf den Kopf.

»Du hast das wirklich super gemacht.« Liebevoll wiegte Ayden ihn in seinen Armen, um ihm Halt und Wärme zu schenken. »Und der Trick ist toll. Den merken wir uns.« Er sah von Henry zu Will. »Danke, dass du ihn uns gezeigt hast.«

Will schenkte ihm ein Lächeln. »Gern geschehen.«

»Woher kennst du ihn?«

»Von einer Fortbildung. Ich war bei der Polizei von Edinburgh in der Abteilung für Gewaltverbrechen. Leider gibt es dabei auch immer wieder Fälle mit Kindern.« Mit einem Blick auf Henry ging Will nicht weiter ins Detail, aber Ayden verstand ihn auch so und nickte knapp.

»Tut mir leid, dass wir dich geweckt haben«, wechselte er das Thema.

Will winkte ab. »Mach dir deshalb keinen Kopf. Hauptsache, euch geht es wieder gut.« Er musterte die beiden. »Was ist passiert?«

»Henry hatte einen Albtraum.« Ayden seufzte. »Und wenn ein Traum ihm besonders viel Angst macht, bricht unkontrolliert Telekinese aus ihm heraus und raubt ihm Kraft.«

Will nickte verstehend. Bisher hatte er nicht gewusst, dass Henry außer Empathie noch weitere Begabungen im paranormalen Spektrum in sich trug. Da sowohl Ayden als auch Riley stark in Telekinese, Pyrokinese und Cryokinese waren, überraschte es ihn jedoch nicht, dass auch Henry Anzeichen davon zeigte. Es wunderte ihn auch nicht, dass Ayden ihm bisher nichts davon erzählt hatte. Will merkte zwar, dass Ayden ihm gegenüber nicht mehr so angespannt und auf der Hut war wie zu Beginn. Von bedingungslosem Vertrauen waren sie allerdings auch noch weit entfernt. Aber das war okay. Will war mehr als bereit, Ayden die Zeit zu geben, die er brauchte. Deshalb ließ er den Punkt ruhen und wandte sich bloß mitfühlend Henry zu.

»Das muss wirklich ein böser Traum gewesen sein, wenn er dir so viel Angst gemacht hat, dass alles gewackelt hat.«

Dicht an seinen Dad geschmiegt nickte Henry zaghaft.

»Ich kenne das von mir, als ich so klein war wie du. Bei richtig schlimmen Träumen hab ich auch alles wackeln lassen und danach war ich total k. o.« Will schenkte ihm ein Lächeln. »Aber es hilft, wenn man nach so einem bösen Traum mit jemandem kuscheln kann, stimmt’s?«

Henry grub seine Finger in Aydens Shirt und nickte erneut.

Zärtlich strich Ayden ihm ein paar verschwitzte Haarsträhnen aus der Stirn. »Ja, kuscheln hilft immer. Und du weißt ja, was auch hilft, nicht wahr? Wenn man über schlimme Träume spricht. Dann verlieren sie ihre Kraft und kommen nicht mehr wieder.« Er suchte Henrys Blick. »Erzählst du uns von dem bösen Traum, damit wir ihn gemeinsam verjagen können?«

Henry zögerte und ein Zittern ging durch den zierlichen Körper. »Ich – ich hab von einem Krakenmonster geträumt«, wisperte er, als fürchtete er, das Monster könnte ihn hören. »Es – es hat einen Mann gejagt und der hatte ganz große Angst vor ihm.« Wieder schauderte er. »Ich hatte auch Angst vor dem Monster.«

»Wow, ein Krakenmonster, das einen Mann gejagt hat? Das klingt aber wirklich nach einem schrecklichen Biest«, meinte Will verständnisvoll.

Henry nickte ernst, schien aus der Bestätigung aber Mut zu ziehen, denn er sprach jetzt beherzter weiter. »Es war richtig doll böse und wollte den Mann schnappen. Der hat immer schlimmere Angst bekommen. Er wollte weglaufen, aber das Monster war viel schneller als er. Es ist auf seinen Rücken gesprungen und hat sich mit den Krakenarmen ganz fest an ihn drangeklammert. Da hat der Mann geschrien und noch mehr Angst bekommen und dann ist er die Treppe runtergefallen, weil das Haus kaputt war und es da kein Geländer mehr gab.« Tränen traten in seine Augen. »Ich hab auch geschrien, weil der Mann tot war. Und ich hatte Angst, dass das Krakenmonster jetzt kommt und mich schnappt.«

Er schluchzte auf, klammerte seine Finger in Aydens Schlafshirt und vergrub sein Gesicht an der Brust seines Dads.

Tröstend schlang Ayden seine Arme fester um ihn und gab ihm einen Kuss auf den zerzausten Haarschopf. »Das war wirklich ein ganz furchtbarer Traum und es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest. Aber du warst gerade unglaublich stark, weil du uns davon erzählt hast, und damit hast du dem bösen Traum etwas von seiner Stärke weggenommen.«

»K-kommt das Krakenmonster dann n-nie wieder?« Noch immer kullerten Tränen. »Ich – ich will n-nicht noch mal von ihm t-träumen.«

Ayden konnte sich nicht erklären, wo dieses Krankenmonster herkam. Vielleicht stand es für die Unsicherheit, die sie in den letzten Wochen verfolgt hatte, weil sie ihr Zuhause verloren hatten und sich ein neues Leben aufbauen mussten. Das war natürlich mit Ängsten verbunden und vielleicht hatte Henry auch eine gewisse Dringlichkeit oder Hetze in seiner Familie gespürt, weil sie schnell eine neue Unterkunft und Jobs hatten finden müssen.

Warum sein Sohn daraus ausgerechnet ein Krakenmonster gemacht hatte, erschloss sich Ayden zwar nicht, aber er war auch kein Psychologe. Kraken hatten in letzter Zeit in Henrys Leben eigentlich keine Rolle gespielt. Er hatte in Edinburgh zwar ein Piratenschiff besessen, zu dem ein Schatz gehörte, der von einem Kraken bewacht wurde, aber die Plastikfigur war nicht furchteinflößend, sondern eher niedlich gewesen. Sie hatte den Schatz beschützt und Henry hatte immer gern mit ihr gespielt – bis Dinos und Drachen spannender geworden waren. Deshalb hatte er weder Piraten noch den Kraken mitgenommen, als sie für ihren Wochenendtrip in den Cairngorms National Park gefahren und so der Bombardierung Edinburghs entkommen waren. Henrys Piraten lagen samt Kraken jetzt irgendwo in den Trümmern der zerstörten Häuser.

Als sie in Aberdeen in ihren Wohncontainer eingezogen waren, hatte Henry sich ein paar neue Spielsachen aussuchen dürfen, doch Piraten oder Kraken waren nicht darunter gewesen. Er war bei Dinos und Drachen geblieben. Außerdem stand die Polizei bei ihm ganz hoch im Kurs, seit er Will kennengelernt und völlig begeistert von seinem neuen großen Freund war. Woher also dieses Krakenmonster gekommen war, konnte Ayden sich beim besten Willen nicht erklären und das machte es schwierig, Henry zu versprechen, dass dieses Biest nie wieder in seinen Träumen auftauchen würde.

»Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, dass böse Träume kommen, wenn Menschen Dinge erleben, die sie erschrecken oder traurig machen?«, fragte er. »Wenn man sich zu viele Gedanken und Sorgen macht, dann macht der Kopf daraus nachts manchmal seltsame Träume mit bösen Monstern. Du hast in letzter Zeit auch einige schlimme Dinge erlebt, die dir Angst und Sorgen gemacht haben. Deshalb kam wahrscheinlich das Krakenmonster in deinen Traum.«

Henry hatte ihm aufmerksam zugehört und nickte bedrückt.

Aufmunternd streichelte Ayden ihm über den Arm. »Aber gestern ist etwas ganz Tolles passiert. Wills Dad hat den Hunters einen Job gegeben. Wir müssen uns jetzt also keine Sorgen mehr machen, dass wir kein Geld haben. Und wir müssen auch nicht mehr im Wohncontainer wohnen. Wir fahren heute nur noch einmal dorthin zurück, um unsere Sachen zu holen, dann bleiben wir für ein ganzes Jahr hier bei Will und seiner Familie auf ihrer Insel. Wir wohnen wieder in einem richtigen Haus und wir zwei haben sogar ein Badezimmer ganz für uns allein. Außerdem hast du gestern mit Luke und Evie gespielt und ihr habt eine echt tolle Matschburg gebaut. Ich wette, ihr werdet richtig gute Freunde. Ab jetzt wird also alles wieder besser.«

Zärtlich strich er seinem Sohn mit seinem Daumen über die Stirn und legte dann seine Hand auf Henrys Brust. »Dein Kopf und dein Herz müssen also keine Angst mehr haben oder sich Sorgen machen. Das hilft ganz bestimmt dabei, dass so böse Träume wie der von heute Nacht wegbleiben. Das beste Mittel gegen schlimme Träume ist, Spaß zu haben und glücklich zu sein, und das kriegen wir hier auf Ciùineas hin, oder?«

Ein Lächeln flog über Henrys Gesicht. Er sah zu Will und nickte erneut.

Will erwiderte das Lächeln und knuffte ihm sacht gegen die Schulter. »Darauf wette ich. Und weißt du, was uns allen heute ganz besonders viel Spaß machen wird?«

Henry setzte sich auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Was?«

»Wenn wir eure Sachen aus dem Wohncontainer geholt haben, fahren wir einkaufen und du suchst dir ein paar tolle Möbel für dein eigenes Zimmer aus.«

Henrys Augen wurden groß. »Mein eigenes Zimmer?«

Will nickte und wies nach nebenan. »Wir räumen das große Bett aus dem anderen Gästezimmer und du bekommst ein cooles Bett für Kinder. Außerdem brauchst du noch ein paar Kisten für deine Spielsachen, ein Regal für deine Bücher und irgendwas Tolles, das wir an die Wände hängen können. Du sollst dich bei uns wohlfühlen, denn dein Daddy hat recht. Wenn es dir gut geht und du glücklich bist, bleiben schlimme Träume weg. Außerdem bin ich mir sicher, dass wir beim Einkaufen und Möbel zusammenbauen heute ganz viel Spaß haben werden und das hilft auch gegen böse Träume.«

Ayden hatte am Abend zuvor versucht, Will die Sache mit Henrys Zimmer auszureden, weil es ihm unangenehm war, dass die MacFaddens solche unnötigen Extrakosten für sie ausgaben. Doch er beschloss, es hinzunehmen, als Henry mit leuchtenden Augen zu ihm hochsah.

»Ich darf mir wirklich Sachen für ein eigenes Zimmer aussuchen?«, fragte er nach, nicht sicher, ob er das wirklich glauben konnte.

Ayden schenkte ihm ein Lächeln und strubbelte ihm liebevoll durch Haar. »Du spürst besser als ich, ob Will die Wahrheit sagt.«

Henry wandte sich wieder Will zu und musterte ihn einen Moment lang. Dann grinste er und nickte. »Er sagt die Wahrheit!«

Ohne ihn zu blocken, hatte Will sich der Prüfung des kleinen Empathen gestellt und war wie immer fasziniert davon, wie wohltuend Henrys kindliche Neugier und sein Umgang mit seiner Gabe war. Er war zwar noch sehr jung, verstand seine Empathie aber schon erstaunlich gut. Er wusste, wie er bei anderen nach Emotionen suchen konnte. Umgekehrt wusste er genauso, wie er anderen seine Emotionen zeigen oder sie etwas wie Glück, Trost, Liebe oder Zusammenhalt spüren lassen konnte, um sie aufzuheitern.

Will war sich daher ziemlich sicher, dass Henry seine Gabe auch manipulativ hätte einsetzen können, um das zu bekommen, was er wollte. Doch dieser Gedanke kam ihm nicht. Meist setzte der Kleine seine Empathie nur bei einem Erstkontakt ein, um herausfinden, ob jemand ehrlich und gut war. Nicht nur zu ihm, sondern auch zu den Menschen, die ihm wichtig waren. Ganz so, als wollte er sicherstellen, dass niemandem Gefahr drohte und es allen gut ging. Diese kindliche Fürsorge und Warmherzigkeit taten unfassbar gut und hatten dafür gesorgt, dass nicht nur Henry sich in Wills Herz geschlichen hatte, sondern auch Ayden, denn es war offensichtlich, wer dem Kleinen diese Werte vermittelte.

»Ich würde dich niemals anlügen«, versicherte Will ihm. »Und deinen Dad auch nicht.«

Er sah von Henry zu Ayden und als ihre Blicke sich trafen, schenkte er ihm ein Lächeln, das ein angenehmes Kribbeln durch Aydens Körper jagte. Sie hatten am Abend zuvor geklärt, dass Ayden kein Mensch für Beziehungen war, und selbst wenn, wäre es eine ganz, ganz dumme Idee, etwas mit dem Sohn seines Bosses anzufangen. Will war also gleich aus mehreren Gründen ein No-Go.

Ayden war froh, dass Will das akzeptiert hatte. Sie wollten Freundschaft versuchen. Selbst die war für Ayden eine Herausforderung, da er außerhalb seiner Familie eigentlich niemandem vertraute. Bei Will hatte er jedoch das Gefühl, er könnte es schaffen. Solange Ayden keinen Mist baute. Das hoffte er wirklich, denn er durfte sich – und Henry – diese unglaubliche Chance, die sie hier auf Ciùineas bei den MacFaddens bekommen hatten, nicht verbauen. Ayden erwiderte Wills Lächeln und genoss das Kribbeln, das hoffentlich bedeutete, dass er Freundschaft hinbekommen würde, obwohl Will ein Empath war.

Henry nickte. »Ich weiß, dass du uns nicht anlügst. Deshalb mag ich dich.« Wieder grinste er. »Und Daddy mag dich auch.«

Ayden schnaubte hilflos und überspielte den peinlichen Moment damit, dass er sich Henry schnappte und ihn kitzelte. »Wir zwei müssen dringend mal ein Gespräch darüber führen, dass man nur über seine eigenen Gefühle spricht und niemals die von anderen ausplaudert. Und jetzt ab ins Bad. Du bist immer noch ganz kalt. Wir stecken dich jetzt in die Badewanne, damit du wieder warm wirst.«

Henry quietschte vergnügt und wuselte sofort aus dem Bett Richtung Badezimmer. Ayden folgte ihm. Während das Wasser einlief und Henry seine Dinos und Drachen in der Wanne versenkte, lehnte Ayden sich in den Türrahmen zum Schlafzimmer.

»Es ist noch früh«, sagte er an Will gewandt, ohne Henry aus den Augen zu lassen, als der jetzt in die Wanne kletterte. »Vielleicht kannst du dich noch mal hinlegen. Henry hätte jetzt nicht noch mal geschlafen, aber ich sorge dafür, dass er leise planscht.«

Doch Will winkte bloß ab. »Mach dir darüber keine Gedanken. Meist steh ich eh um diese Zeit auf, jogge ein paar Runden um die Insel oder mache im Fitnessraum ein bisschen Kraftsport.«

Ayden starrte ihn an, als würde er plötzlich an Wills Verstand zweifeln. »Du stehst freiwillig um kurz vor sechs auf und machst Sport?!«

»Yep.« Will schmunzelte bei Aydens schockiertem Blick. »Das macht mich munter.« Er hob die Schultern. »Und abends hilft Sport nach einem aufreibenden Tag runterzukommen.«

Ayden runzelte zweifelnd die Stirn, musste aber neidlos anerkennen, dass Wills Training äußerst nett anzusehende Spuren an seinem Körper hinterließ. Er war schlank und genau in dem Maß muskulös, wie Ayden es mochte. Nicht protzig, sondern athletisch.

Ayden stöhnte innerlich und verbat sich den Gedanken daran, dass Will ziemlich heiß war. Er war der Sohn seines Bosses. Mehr tabu für eine Sexaffäre konnte jemand gar nicht sein.

»Was?«, grinste Will. »Klingt das Konzept so seltsam?«

Ayden schnaubte. »Für jemanden, der froh ist, wenn er morgens wach genug ist, um sich selbst und einen Vierjährigen halbwegs präsentabel für die Umwelt zu machen – ja, definitiv.«

Will lachte. »Also seid ihr keine Morgenmenschen?«

Ayden verzog das Gesicht. »Henry schon.«

Wieder musste Will lachen. »Hilft Kaffee? Alternativ zum Joggen, hätte ich auch Lust, an den Strand zu gehen und weiter auszuprobieren, ob wir es schaffen, Pyro in mir zu wecken.«

Am Vorabend hatten sie es zum ersten Mal versucht. Mehr als eine Flamme von Ayden zu übernehmen und sie mit seiner Telekinese festzuhalten, hatte Will noch nicht geschafft. Laut Ayden war das aber ein vielversprechender erster Schritt und Will brannte darauf, es weiter zu versuchen.

»Klar. Gerne.« Ayden war überrascht, wie sehr ihm die Vorstellung gefiel, Zeit mit Will zu verbringen. »Aber wir müssen Henry mitnehmen.«

Will hob die Schultern. »Kein Problem. Henry?«, sagte er dann lauter in Richtung Bad, wo der Kleine vergnügt mit Drachen und Dinos in der Wanne planschte. »Hast du Lust, gleich mit uns an den Strand zu gehen?«

»Au ja!«

Will sah wieder zu Ayden und hob erneut die Schultern. »Hab ja gesagt, das ist kein Problem.«

»Wehe ihm gefällt der Vorfrühstückstrip zum Strand gleich so gut, dass er den jetzt jeden Morgen machen will«, stöhnte Ayden.

Will grinste. »Dann nehme ich ihn mit, wenn ich joggen gehe. Statt Runden um die Insel, kann ich auch den Strand auf und ab joggen und ihn im Auge behalten.« Dann wurde er ernster. »Trainierst du mit ihm schon seine Telekinese? Oder zeigt er sie dafür noch nicht oft genug?«

Kurz blitzte in Ayden seine übliche Abwehr auf, die Will sagen wollte, dass ihn das nichts anging. Immerhin hatte Will eigentlich gar nicht wissen sollen, dass Henry mehr als nur Empathie in sich trug. Überraschenderweise verflog die Abwehr jedoch genauso schnell wieder, wie sie aufgekommen war. Warum, hätte Ayden nicht sagen können. Vielleicht, weil Will kein großes Ding daraus machte, dass Henry auch eine telekinetische Begabung aufwies. In seinen Fragen schwang nur ehrliches Interesse mit.

»Nein, ich trainiere es noch nicht mit ihm«, antwortete er leise, damit Henry nichts mitbekam. Ayden war froh, dass sein Kleiner wieder auf andere Gedanken gekommen war und fröhlich spielte. »Er hat vor ungefähr einem Jahr zum ersten Mal alles wackeln lassen und seitdem ist es sechs oder sieben Mal vorgekommen. Eigentlich immer nur nach schlimmen Albträumen und die hat er zum Glück nicht allzu oft. Die einzige Ausnahme war kurz nach der Bombardierung, als wir in der Ferienhütte in Cairngorms von vier Schlägertypen bedroht wurden. Das hat auch einen Ausbruch bei ihm ausgelöst. Aber der Trigger war derselbe: Angst. Bis jetzt war aber kein Ausbruch so heftig wie der von heute. Sonst hat er immer nur kleinere Gegenstände klappern lassen. Dass er Möbel wackeln lässt, ist ein neues Level.« Seufzend rieb er sich über die Augen. »Vermutlich sollte ich wirklich anfangen, mit ihm zu trainieren, damit er es kontrollieren kann.«

Eine weitere Baustelle auf seiner To-do-Liste, die gefühlt nie kürzer, sondern bloß immer länger wurde.

»Eigentlich trainiert Riley aber gerade das Blocken mit ihm, weil er in der Massenunterkunft und im Camp angefangen hat, sich in Menschenmassen nicht mehr wohlzufühlen«, fügte er dann hinzu. »Dass er lernt, sich von den Emotionen seiner Mitmenschen abzuschirmen, ist wichtig, damit es ihm in Fleisch und Blut übergeht. Im Moment verlangt es ihm noch eine Menge Konzentration ab, das zu üben.« Hilflos hob er die Schultern. »Wäre es da clever, zusätzlich noch anzufangen, seine Telekinese mit ihm zu trainieren? Seine Empathie ist deutlich stärker und ständig präsent. Die Telekinese zeigt sich bisher nur, wenn er Panik hat. Ich will ihn nicht mit beidem überfordern. Er soll nicht das Gefühl bekommen, seine paranormalen Fähigkeiten wären eine Belastung. Er soll sie als Gaben sehen, nicht als Fluch.«

Will dachte kurz darüber nach, dann nickte er langsam. »Ich sehe das wie du. Dass er das Blocken lernt, um sich in der Gesellschaft von anderen nicht überwältigt zu fühlen, ist das Wichtigste. Ob er mit einem zusätzlichen Training seiner Telekinese überfordert wäre, kann ich nicht beurteilen. Du kennst ihn besser als ich. Ich sehe aber, dass er ein sehr aufgewecktes, wissbegieriges und cleveres Kind ist, das gern neue Dinge entdeckt und wahnsinnig viel Offenheit für alles und jeden an den Tag legt. Wir könnten einfach ein spielerisches Training seiner Telekinese ausprobieren. Ich helfe dir dabei, wenn du willst. Sollten wir merken, dass er daran keinen Spaß hat oder es noch zu viel für ihn ist, lassen wir es und kümmern uns erst dann darum, wenn das Blocken für ihn selbstverständlich geworden ist. Klingt das gut für dich?«

Ayden war überrascht, wie simpel das bei Will klang und wie leicht er die Baustelle deutlich kleiner hatte werden lassen. »Ja, das klingt ziemlich gut. Danke für das Angebot.« Er lächelte. »Aber heute bist erst mal du dran und wir versuchen weiter, Pyro in dir zu wecken.«

Will erwiderte das Lächeln. »Liebend gern.« Er nickte Richtung Badezimmer, wo Henrys Dinos und Drachen gerade offensichtlich einen Sprungwettbewerb vom Badewannenrand veranstalteten. »Wie lange brauchst du, um euch beide präsentabel zu machen?«

»Gib mir eine halbe Stunde.«

»Okay. Dann bis gleich.«

Kapitel 2

17:03 Uhr

Isle of Ciùineas

Riley joggte am offenen Küchenfenster vorbei und sah, dass Rose an der Anrichte stand und Vorbereitungen fürs Abendessen traf. Wills Grandma winkte ihr fröhlich zu und Riley erwiderte die Geste lächelnd. Dann sprintete sie die Stufen zur Eingangstür hinauf und zog sich die Kopfhörer aus den Ohren.

Das Joggen hatte gutgetan und sie war froh, dass sie sich auf ihrer Einkaufstour nicht nur ein paar Sommerklamotten, sondern auch neue Laufschuhe und Sportkleidung gegönnt hatte. Sie war zwar keine leidenschaftliche Sportlerin, aber Joggen mochte sie sehr. Als Jugendliche war sie so ihren Eltern entkommen, die ihr ein Leben hatten aufzwingen wollen, das Riley gehasst hatte.

Später in Edinburgh hatten sie zu fünft in einer Zweiraumwohnung gewohnt und sie hatte sich ein Zimmer mit Ayden und Henry geteilt. Sie liebte ihre Familie zwar sehr, brauchte aber auch Alleinzeit. Joggen im Park war da immer eine gute Möglichkeit gewesen, abzuschalten und für sich zu sein. In den letzten Wochen hätte es sicher auch geholfen, der Massenunterkunft oder der Enge des Wohncontainers zu entkommen, aber da waren Gelegenheitsarbeiten, die Suche nach einem festen Job oder Henrys Betreuung wichtiger gewesen. Außerdem hatten ihr die richtigen Klamotten gefehlt.

Als sie im März nach der Warnung ihrer inneren Stimme aus Edinburgh weggefahren waren, hatten sie nur für einen Wochenendtrip gepackt, deshalb waren Rileys Boots das einzig Paar Schuhe, das sie in den letzten Wochen besessen hatte. Sie hatten zwar Nothilfegeld bekommen und mit dem ein oder anderen Job ein paar Pfund verdient, doch der Großteil des Geldes war dafür draufgegangen, sich ihr Leben im Wohncontainer angenehmer zu machen. Lebensmittel, Benzin und Handyguthaben waren ebenfalls wichtig gewesen, deshalb hatten sie an Kleidung nur das Nötigste neu gekauft. Laufschuhe und Sportklamotten waren nicht drin gewesen. Nachdem sie gestern die Arbeitsverträge bei Wills Vater unterschrieben hatten, hatte Quentin ihnen sofort ihr erstes Monatsgehalt überwiesen, damit sie sich heute mit allem, was sie brauchten, hatten ausstatten können.

Riley mochte zwar keine Almosen, aber da sie schon morgen auf die erste Mission aufbrechen würden, war es für sie okay gewesen. Vor allem, da Wills Mutter ihnen erklärt hatte, dass man hier auf der Insel vorausschauend planen musste. Mit dem Boot war der Hafen von Aberdeen zwar nur eine halbe Stunde entfernt, trotzdem fuhr nicht jeden Tag jemand rüber und manchmal mussten geplante Überfahrten verschoben werden, wenn das Wetter nicht mitspielte. Im Sommer kam das seltener vor, im Rest des Jahres tobten aber anscheinend öfter Stürme und die Nordsee zeigte sich häufig von ihrer rauen Seite. Deshalb war es nötig, eine gut organisierte Vorratshaltung zu betreiben.

Riley, Ayden, Parker und Jo hatten sich deshalb heute nicht nur mit Sommerkleidung ausgestattet und sich das ein oder andere Extra gegönnt, das sie sich in letzter Zeit nicht hatten leisten können. Sie hatten auch ein paar Geschenke in Auftrag gegeben, denn nächste Woche stand Henrys fünfter Geburtstag an.

Da London und Edinburgh zerstört waren und Produktionsstätten, die in den Todesschneisen der Giftgaswolke lagen, auf unbestimmte Zeit nicht wieder in Betrieb genommen werden konnten, fehlten Güter an allen Ecken und Enden und es mussten neue Produzenten und Lieferanten aufgetan werden. Außerdem hatte die Giftwolke, die von Edinburgh nach Westen gezogen war, eine Todesschneise hinterlassen, die Schottland momentan auf dem Landweg vom Rest Großbritanniens abschnitt. Die Versorgung über Wasser- und Luftwege funktionierte zwar, konnte aber nicht alles auffangen, weshalb Güter nach Dringlichkeit priorisiert wurden.

Riley hoffte sehr, dass Henrys Geschenke rechtzeitig eintreffen würden. Der Händler war aber optimistisch gewesen, dass er alles bei Kollegen in der Umgebung besorgen konnte.

Sie sprintete die Treppe in den zweiten Stock hinauf und ihr Herz ging auf, als sie Henrys Lachen hörte.

»Nein, nicht so! Das Poster ist falsch herum!«

»Bist du dir sicher?«, fragte Will nach. »Vielleicht will der Dino ja Kopfstand machen.«

Wieder lachte Henry. »Nein, will er nicht. Ihm wird doch ganz schwindelig, wenn er immer auf dem Kopf stehen muss.«

»Okay. Das ist ein starkes Argument.«

Es folgten Richtungsanweisungen, die Will völlig verwirrten, was sicher vor allem daran lag, dass Henry rechts und links noch nicht auseinanderhalten konnte. Aydens Lachen drang auf den Flur hinaus, als Will das irgendwann klar wurde.

Riley lächelte. Es tat unglaublich gut, ihren Bruder lachen zu hören. Das hatte er schon vor der Katastrophe viel zu selten getan, in den letzten Wochen war es aber fast ganz verschwunden. Hoffentlich kam er hier auf Ciùineas ein bisschen runter. Und vielleicht konnte er auch endlich mit dem IPS abschließen, wenn sie morgen zum Institut fuhren und er sah, dass es in Trümmern lag. Das machte zwar nicht ungeschehen, was man Ayden angetan hatte, aber er würde mit eigenen Augen sehen, dass ihm und Henry von dort keine Gefahr mehr drohte. Riley hoffte sehr, dass das seiner Seele Frieden schenkte.

Sie lief hinüber zur anderen Gebäudeseite und trat in ihr Zimmer. Es war genial, ein eigenes Reich zu haben, und sie lehnte sich einen Moment gegen die Tür, um das Gefühl zu genießen. Das Gästezimmer war in dezenten Naturtönen gehalten. Es gab ein paar Farbakzente in Rot wie die Kissen auf dem Bett und im Sessel beim Fenster oder den Wasserkocher samt Tassen und Vorratsdosen, die auf der Kommode gegenüber dem Bett stand. Das Fenster blickte nach Osten über den Obstbaumgarten und ließ in der Frühe die Morgensonne herein. Eine Tür führte in ein angrenzendes Bad, das sie ganz für sich allein hatte. Nach vier Wochen in Massenunterkunft und Wohncontainer kam ihr dieser Luxus noch völlig unwirklich vor.

Sie schloss die Augen und atmete tief durch, dankbar, dass ihr Leben am Tag zuvor so eine unfassbar geniale Wendung genommen hatte. Es war zwar ein bisschen seltsam, jetzt bei ihrem Boss zu wohnen, aber so wie sie Quentin und den Rest der MacFaddens gestern kennengelernt hatte, würde sich das Gefühl hoffentlich bald geben. Alle fünf wirkten unkompliziert und begegneten ihnen mit Herzlichkeit und Respekt. Keine Spur von Mitleid oder Gönnerhaftigkeit, die für Riley nur schwer zu ertragen gewesen wären. Auch als die Offenbarung, dass Quentin ein Sponsor des Instituts gewesen war, Ayden getriggert hatte und er voller Panik gewesen war, dass man ihm Henry wegnehmen wollte, waren die MacFaddens sehr souverän damit umgegangen. Das hatte ihnen bei Riley etliche Pluspunkte eingebracht.

Außerdem tat es gut, wieder einen richtigen Job zu haben. Sie brauchte etwas zu tun. Doch nicht nur deshalb freute sie sich, dass es gleich morgen für sie auf die erste Mission ging. Auch sie wollte mit eigenen Augen sehen, dass das IPS in Schutt und Asche lag, obwohl sie dank Ayden nie so in Gefahr geschwebt hatte wie er und Henry. Dank ihrem Bruder war sie gewarnt gewesen und hatte unter dem Radar des Institutes for Paranormal Science bleiben können. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie es sonst womöglich für sie gelaufen wäre.

All diese Sorgen waren jetzt vorbei.

Das IPS war Geschichte.

Jetzt galt es allerdings herauszufinden, wie viele weitere widerliche Experimente dort stattgefunden hatten und ob dabei womöglich Kreaturen entstanden waren, die eine Bedrohung für die Bevölkerung darstellen konnten.

Mit einem genugtuenden Lächeln stieß Riley sich von der Tür ab, um duschen zu gehen. Sie konnte es kaum erwarten, den Laden morgen auseinanderzunehmen. Metaphorisch gesprochen. Also zumindest vielleicht. Sie hatte noch nie ausprobiert, ob sie ein instabiles Gebäude mithilfe ihrer Telekinese komplett einstürzen lassen konnte. Vielleicht war morgen der perfekte Zeitpunkt, genau das auszutesten.

Kapitel 3

Eine Viertelstunde später lief Riley mit noch feuchten Haaren wieder zur Haustür hinaus. Sie hatte bei Rose in der Küche vorbeigeschaut und angeboten, bei den Vorbereitungen fürs Abendessen zu helfen, doch Wills Grandma hatte sie fortgeschickt und ihr quasi befohlen, noch ein bisschen Freizeit zu genießen, bevor sie morgen auf Mission gingen.

Einen Moment lang reckte Riley ihr Gesicht der Sonne zu und ließ ihren Blick dann über Anbauflächen und Kuhweide schweifen. Auf dem Spielplatz vor dem Haus der Angwins passte Maia auf die Inselkinder auf, während deren Eltern sich um Ackerbau und die Versorgung der Tiere kümmerten. Aus der Scheune war Hämmern zu hören. Tess werkelte dort an irgendetwas herum. Ciùineas lag zu weit von der Küste entfernt, um ans öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen zu sein, deshalb musste man hier auf der Insel selbst für Strom, Heizung und fließendes Wasser sorgen. Darum kümmerte sich Tess und Riley war sich sicher, dass Parker ihr dabei schon bald zur Hand gehen würde. Er war der Techniknerd der Hunters und liebte es, Dinge auseinanderzunehmen, um herauszufinden, wie sie funktionierten.

Riley hatte noch keine Ahnung, wie genau sie sich hier auf der Insel nützlich machen würde, wenn sie nicht auf Missionen gingen oder mit Will das Geisterjagen trainierten. Sie kannte sich weder mit Ackerbau noch mit Viehzucht aus, konnte nicht melken oder imkern und an technischen Gerätschaften sollte sie besser nicht herumschrauben, sonst herrschte auf Ciùineas vermutlich ganz schnell ein Blackout. Doch als sie gestern Abend die Angwins kennengelernt hatte, hatten Claire, Scott, Beth und Mark ihr versichert, dass säen, ernten und Beete vorbereiten kein Hexenwerk waren und sie ihr alles beibringen würden, was sie wissen musste.

Ähnlich wie Wills Familie waren Riley auch die vier Angwins mit ihrer offenen und unkomplizierten Art sofort sympathisch gewesen. In Gedanken schnitt sie sich selbst eine Grimasse.

Pass bloß auf, sonst wirst du am Ende womöglich noch eine Menschenfreundin.

Sie wandte sich nach rechts und folgte dem Weg an Wohnhaus und Gemüsebeeten entlang zum Durchgang zwischen den Felsen, der auf den Strand hinausführte. Schlagartig wurde das Rauschen der Wellen lauter und auch der Wind war hier deutlicher zu spüren, als im geschützten Inneren der Insel. Doch das machte Riley nichts aus. Sie liebte Wind und Wellen und steuerte einen hüfthohen Felsen an, den Sand und Wetter so glatt wie eine Tischplatte geschmirgelt hatten. Flink kletterte sie hinauf und blickte hinaus aufs Meer.

Weiße Wattewolken zogen über den Himmel, ließen der Spätnachmittagssonne aber genug Platz, um ihre Strahlen auf dem Wasser glitzern zu lassen. In der Ferne waren vor der Küste einzelne Boote zu erkennen, die den Hafen von Aberdeen ansteuerten. Obwohl die Stadt nur eine halbe Stunde entfernt lag, schien sie von hier betrachtet ewig weit weg. Das gefiel Riley ausgesprochen gut.

Eine Weile lang sah sie den Wellen zu, die unruhig um die Felsen schwappten, die vor Ciùineas aus dem Wasser ragten. Sam hatte ihr erzählt, dass es rund um die Insel gefährliche Strömungen gab. Doch zum Schwimmen war das Wasser ohnehin zu kalt. Selbst im Hochsommer hatte es kaum mehr als zwölf Grad.

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr und wandte sich um. Sam kam vom Südende des Strands in ihre Richtung gelaufen. Wie sie hatte er Runden um die Insel gezogen und sie hatte ihn beim Joggen ein paar Mal überholt. Er hatte bei einem schweren Autounfall fast sein linkes Bein verloren und in den letzten zweieinhalb Jahren mit mehreren Operationen und Rehas gegen eine Amputation gekämpft. Sein Kampf war erfolgreich gewesen, er musste aber noch Medikamente gegen Muskelkrämpfe nehmen, weil bei dem Unfall nicht nur Knochen, sondern auch Muskeln und Sehnen verletzt worden waren. Dank einer guten Physiotherapie merkte man ihm die Verletzung aber kaum noch an. Joggen schien er allerdings nicht zu können – oder zu dürfen. Im Gegensatz zu Riley hatte er seine Runden nur in einem zügigen Walking-Tempo absolviert.

»Wow, du bist schon geduscht?«, rief er ihr zu, als er sich ihr näherte.

»Ich hab die letzten Wochen in Sporthallen und den Sanitärräumen eines überfüllten Campingplatzes geduscht. Glaub mir, sobald Schnellduschen eine olympische Disziplin wird, hole ich Gold.«

Sam lachte. Er steuerte ihren Felsen an, geriet auf dem unebenen Boden aber ins Stolpern und stürzte in den Sand.

»Shit.« Er rieb sein linkes Bein.

»Alles okay?« Riley rutschte vom Felsen und ging zu ihm herüber.

»Ja, alles gut«, winkte er ab. »Wenn mein Bein müde wird, kann es Unebenheiten nicht mehr so gut ausgleichen. Aber keine Sorge, ich bin Hinfallen und wieder Aufstehen gewöhnt.« Er grinste schief zu Riley hoch.

Sie grinste zurück und streckte ihm ihre Hand hin. »Soll ich dir hochhelfen oder gehört allein aufstehen zu deinem Trainingsprogramm?«

»Ich trainiere das tatsächlich. Im Moment brauche ich zum Aufstehen aber noch einen Halt und es wäre maximal entwürdigend, wenn ich an dir vorbeikrabble, um mich an dem da hochzuziehen.« Er nickte zu dem Felsen, auf dem sie gerade noch gesessen hatte, und nahm ihre Hand.

Sie hob eine Augenbraue. »Vor allem wäre es maximal dämlich, wenn ich neben dir stehe und dir meine Hilfe anbiete.«

»Ja, das auch.« Er stemmte sich mit ihr auf die Füße und tappte dann allein zum Felsen, seine Schritte wirkten aber unsicherer als zuvor und er hinkte. Am Felsen angekommen, zog er sich hinauf und massierte sein Bein.

»Das ist nichts Schlimmes«, versicherte er, als Riley sich neben ihn setzte. »Durch den Sturz haben sich bloß die Muskeln verkrampft, aber das gibt sich gleich wieder. Also keine Sorge, ich schaff den Einsatz morgen.«

Nachdem Riley, Ayden, Parker und Jo am Tag zuvor ihre Arbeitsverträge unterschrieben und Will offiziell ein Mitglied der Hunters geworden war, hatte Sam beim Abendessen erklärt, dass er ebenfalls mit auf die Mission gehen wollte. Sollten sich im IPS Geister oder andere Kreaturen aufhalten, die den Einsatzkräften von Vorstoßtrupps und Seuchenschutz bei ihrer Arbeit in der zerstörten Stadt gefährlich werden konnten, wollte auch er dabei helfen, diese Biester aufzuspüren. Er hatte solchen Wesen zwar noch nie gegenübergestanden und besaß keinerlei paranormalen Kräfte, aber er konnte die Drohne steuern, die sein Vater für die Mission besorgt hatte. Mit ihr ließen sich potenzielle Gefahren auf dem Gelände aus der Luft erkennen und Angriffe koordinieren. Außerdem konnte mit ihr vor dem Betreten das Innere eines Gebäudes überprüft werden.

»Ich hab mich mit der Steuerung der Drohne vertraut gemacht und sie mittlerweile wirklich gut im Griff. Wenn ich die Drohne übernehme, habt ihr die Hände für Waffen und eure Para-Kräfte frei. Es wäre also dumm, wenn ich nicht mitkommen würde«, hatte Sam seine unverzichtbaren Qualitäten ins Spiel gebracht und den Blick seines älteren Bruders gesucht. »Ich verspreche, ich stehe nicht im Weg rum und mache exakt das, was ihr sagt. Und mein Bein kriegt das hin. Kurze Sprints schaffe ich und kleinere Kletterpartien sind auch kein Problem.«

»Ich stimme dir zu, dass du als Steuermann für die Drohne ein Gewinn für unser Team wärst. Aber das kann ich nicht allein entscheiden.« Damit hatte Will sich an Parker, Jo, Riley und Ayden gewandt. »Ihr müsst damit auch einverstanden sein.«

Die Abstimmung war ohne weitere Diskussion einstimmig verlaufen und während Riley, Ayden, Jo und Parker heute mit Henry und Will auf dem Campingplatz gepackt und danach einkaufen gewesen waren, hatte Quentin dafür gesorgt, dass Sam sich auf der Militärbasis einen Schutzanzug samt Zusatzausrüstung hatte abholen können. Will hatte ihn außerdem aufs Polizeirevier von Aberdeen geschickt, wo eine Ausbilderin ihm am Schießstand ein paar Grundlagen beigebracht hatte. Auch wenn Sam sich im Hintergrund halten und nur die Luftüberwachung übernehmen sollte, wollte Will, dass sein Bruder im Fall der Fälle mit einer Waffe umgehen und sich verteidigen konnte.

Riley sah zu, wie Sam weiter sein Bein massierte, und hob bloß die Schultern. »Du musst dich vor mir nicht erklären oder rechtfertigen. Niemand kann besser beurteilen, was du kannst oder nicht kannst, als du. Und ich kann gut verstehen, dass du mitkommen willst.«

»Ach, wirklich?« Seufzend ließ er von seinem Bein ab. Er wollte jetzt keine Mitleidsoper hören, dass es völlig verständlich war, sich nach zweieinhalb Jahren in Kliniken und Reha-Zentren beweisen zu müssen, dass er trotz seiner klitzekleinen Beeinträchtigung total normal und kein nutzloser Krüppel war.

»Absolut. Wir erkunden morgen einen verlassenen Ort, an dem dein Dad äußerst ungute empathische Vibes gespürt hat, als er vor der Katastrophe das letzte Mal dort war. Wer würde denn bitte nicht dorthin mitkommen wollen, um herauszufinden, was da abging – und vielleicht immer noch abgeht?«

Überrumpelt verschlug es ihm die Sprache, was bei ihm nur äußerst selten vorkam.

Riley schien allerdings gar keinen Kommentar von ihm zu erwarten, denn sie sprach schon weiter. »Und falls dein Bein zwischendurch mal zicken sollte, sag uns einfach, wie wir dir helfen können. Wir sind ein Team. Du weißt schon: Einer für alle und alle für einen. Ich bin dir sehr dankbar, dass du per Drohne aufpasst, dass wir nicht blindlings in instabile Todesfallen laufen oder von mordgierigen Kreaturen eingekesselt werden. Dafür helfe ich dir im Gegenzug gern über den ein oder anderen Schuttberg und halte dir Geister und andere paranormale Wesen mit meiner Pyro vom Hals.«

Sam schmunzelte und hielt ihr seine Faust für ein Fistbump hin. »Das klingt wirklich nach verdammt coolem Teamwork.«

Grinsend knockte sie ihre Faust gegen seine. »Aber so was von.«

Kapitel 4

Mittwoch, 8. Mai, 14:17 Uhr

Sperrzone Edinburgh

Jo lenkte den Humvee durch das Eisentor der gut fünf Meter hohen Betonmauer, die an allen leicht zugänglichen Bereichen rund um Edinburgh errichtet worden war. Sichtung und Sicherung der zerstörten Stadt sowie der Todesschneise, die die Giftwolke von Edinburgh bis nach Glasgow gezogen hatte, brachten für die Einsatzkräfte von Militär, medizinischen Forschungsteams sowie dem Seuchenschutz schon genug Herausforderungen mit sich, ohne dass womöglich zusätzlich noch Schaulustige und Sensationspresse durch die Trümmerlandschaft streiften.

Die Hunters ließ man jedoch problemlos passieren, als Jo dem wachhabenden Soldaten die Zutrittsgenehmigung zeigte. Quentin hatte alle nötigen Formalitäten bereits im Vorfeld für sie erledigt. Die MacFaddens waren angesehene Wohltäter und beim Militär war man dankbar, dass Quentin Geisterjäger organisiert hatte, die auf dem Gelände des IPS nach dem Rechten sehen würden. Es hatte zwar in der schottischen Armee auch eine Einheit mit paranormal begabten Soldatinnen und Soldaten gegeben, doch die war in einer Kaserne vor den Toren Edinburghs stationiert gewesen und beim Anschlag ums Leben gekommen.

Als die Hunters sich im Basislager vor der Stadt bei General Angela Meyers gemeldet hatten, waren sie mit großer Erleichterung empfangen worden und man hatte ihnen Unterstützung zugesichert, sollten sie bei ihrer Erkundung auf Gefahren stoßen, die zusätzliche Ausrüstung oder mehr Leute als Back-up benötigten.

»Brechen Sie Ihre Mission in einem solchen Fall ab und kommen Sie wieder her, damit wir den weiteren Einsatz planen können«, hatte die Generalin sie angewiesen und ihnen dann Zutrittspapiere sowie Funkgeräte ausgehändigt. »Passen Sie gut auf sich auf. Die beschädigten Gebäude sind auch ohne paranormale Kreaturen schon gefährlich genug. Und achten Sie auf Ihre Sensoren. In der Luft hat sich das Gift mittlerweile verflüchtigt, aber manchmal hängt es noch in den Kellern von Gebäuden, wenn dort nicht genug Durchzug herrscht. Zum Teil hat es sich im Boden angereichert und wenn Sie auf Pfützen oder tropfendes Wasser stoßen, seien Sie besonders vorsichtig. Letzte Woche fiel giftiger Regen. Das meiste davon dürfte zwar mittlerweile verdunstet sein, aber sicher kann man nie sein. Halten Sie also die Augen offen und haben Sie Ihre Sensoren im Blick. Um Mitternacht machen Sie kehrt. Länger als zehn Stunden am Stück hält sich momentan noch niemand in der Todeszone auf.«

Es war erst vier Tage her, dass die Hunters bei einer Militärmission in einer von Giftregen betroffenen Region geholfen hatten. Sie kannten daher die Gefahren und wussten, worauf sie achten mussten. Trotzdem breitete sich in Aydens Magen jetzt ein mulmiges Gefühl aus, als sich das Tor hinter ihnen schloss und Jo die Straße nach Südwesten einschlug. In den Nachrichten sah man fast täglich Luftaufnahmen der Trümmerstätten von Edinburgh, London und anderen europäischen Städten, und Ayden war dankbar, dass das Gelände des IPS außerhalb der Innenstadt lag. Es war schon schlimm genug, die Anhöhe mit Edinburgh Castle zu sehen. Jahrhunderte lang war die Burg das Wahrzeichen der Stadt gewesen, jetzt lag sie in Schutt und Asche. Womöglich das Viertel sehen zu müssen, in dem sie die letzten fünf Jahre gelebt hatten, und alles zerstört vorzufinden, wäre noch weitaus schlimmer gewesen. Er atmete tief durch, schob den Gedanken von sich und versuchte stattdessen, die Umgebung nüchterner zu betrachten. Das war allerdings verdammt schwer, wenn man zum ersten Mal mit eigenen Augen all die Zerstörung sah.

Ayden schluckte hart.

Hunderttausende waren hier gestorben.

Er selbst, Henry, Riley, Parker und Jo hätten an diesem Abend auch sterben können, wenn Rileys innere Stimme sie nicht gewarnt hätte. Es kam ihm wie Ironie des Schicksals vor, dass sie gedacht hatten, die Stimme würde sie vor dem IPS warnen. Damit hatte ihnen das Institut, das Ayden jahrelang gefürchtet hatte, indirekt das Leben gerettet. Und nicht nur das. Das IPS existierte nicht mehr. Es gab niemanden mehr, der ihm Henry wegnehmen konnte.

Ayden blickte hinaus auf die verwüstete Landschaft und fragte sich, in welchen Kreis der Hölle es ihn wohl katapultierte, weil er für die Zerstörung des Instituts und den Tod der Belegschaft dankbar war.

»Hey.« Will rempelte ihm sanft in die Seite. »Alles okay?«

Ayden schnaubte und wies aus dem Seitenfenster. »Bis das da wieder allesokay ist, wird es vermutlich Jahrzehnte dauern.«

Will verzog das Gesicht. »Ja, vermutlich. Aber du weißt, dass ich das nicht gemeint habe.« Er suchte Aydens Blick. »Bist du okay?«

Ayden seufzte innerlich. Als Wills Vater ihnen vor zwei Tagen erzählt hatte, dass er ein Sponsor des IPS gewesen war, hatte ihn das getriggert und ausrasten lassen. Dass Will deshalb jetzt nachhakte, wie es ihm ging, kam daher nicht überraschend. Ayden war es trotzdem unangenehm und er wollte nicht, dass Will womöglich dachte, er müsste ihn im Auge behalten, weil er jederzeit wieder die Beherrschung verlieren könnte.

»Ja, ich bin okay«, versicherte er und gab sich Mühe, ruhig und besonnen zu klingen. So wie jemand, der seinen Scheiß zusammenhalten konnte und klarkam. »Ich war noch nie im Institut. Die Gebäude können nichts bei mir triggern. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass ich ausraste und damit euch oder unsere Mission gefährde.«

Will erwiderte Aydens Blick, als der ihm fest in die Augen sah. Auch ohne seine Empathie einzusetzen, fühlte er Aydens Anspannung. Nicht, weil er nervös wegen ihres Einsatzes war. Will konnte spüren, dass Ayden die Wahrheit sagte. Er war tatsächlich davon überzeugt, dass es auf dem Gelände des IPS nichts gab, das ihn triggern konnte.

Aydens Anspannung war seiner Grundeinstellung geschuldet. Sie war sein ständiger Begleiter, weil er davon überzeugt war, all die Dämonen, die er mit sich herumschleppte, allein in Schach halten zu müssen, denn nur das bedeutete, dass er in seinem Leben klarkam. Nur wenn er mit Henry spielte, wirkte er gelöst und entspannt. Der Kleine brachte ihn runter und ließ ihn seine Ängste und Sorgen vergessen.

Jedes Mal, wenn Will sah, wie liebevoll die beiden miteinander umgingen und wie viel sie einander gaben, weckte das Gefühle in ihm, die er so noch nie empfunden hatte. Er hoffte sehr, dass er es schaffte, mit Geduld und Beständigkeit Aydens Vertrauen zu gewinnen, damit er ihm von seinen Dämonen erzählte. Diese Gefühle riefen nämlich gehörig seinen Beschützerinstinkt auf den Plan und Will wollte nichts lieber tun, als jedem einzelnen Dämon den Kopf abzuschlagen. Natürlich war ihm klar, dass das so nicht funktionierte. Ayden würde ihnen selbst die Köpfe abschlagen müssen. Aber Will war mehr als bereit, dabei an seiner Seite zu stehen und ihm das schärfste Schwert aller Zeiten zu reichen.

»Ich mache mir keine Sorgen, dass du – oder jemand anderes aus unserem Team – unsere Mission gefährden könnte. Henry hat schließlich jeden Einzelnen von uns mit einem Unbesiegbarkeitskuss versorgt.« Er schenkte Ayden ein Lächeln. »Damit ist doch klar, dass unsere Mission gar nicht schiefgehen kann.«

Für einen Moment war Ayden von Wills Antwort überrascht. »Stimmt«, schmunzelte er dann beim Gedanken an seinen kleinen Helden, der ihm heute Morgen beim Abschied auf der Insel sehr überzeugend versichert hatte, dass es okay war, dass Ayden arbeiten ging und erst morgen wieder zurückkam. Er würde mit Luke und Evie spielen und Maia würde auf ihn aufpassen. Grace, Quentin und Rose auch. Außerdem war er schon fast fünf, da war er schon groß genug, dass sein Dad auch über Nacht arbeiten gehen konnte.

Es tat gut zu wissen, dass Henry sich auf Ciùineas wohlfühlte und den Menschen dort vertraute. Ayden tat sich mit Vertrauen deutlich schwerer. Da er aber nicht wollte, dass Henry in diesem Punkt so verkorkst wurde wie er, vertraute er auf seinen Sohn – und auf Riley, Jo und Parker, die ihm alle drei versichert hatten, dass Henry in guten Händen war.

»Sah die Natur in Fort Augustus auch so seltsam aus?«, riss Sam ihn aus seinen Gedanken. Er saß mit Riley auf der zweiten Rückbank und blickte hinaus auf das riesige Areal des Kingsknowe Golf Clubs. Die Druckwellen von Einschlägen und Explosionen hatten die Grünfläche verwüstet und viele der Bäume, die den Golfplatz umgaben, waren entwurzelt worden. Die, die noch standen, waren verwelkt, jedoch nicht so, als wäre gerade Herbst statt Frühling. Es wirkte eher so, als hätte ihnen etwas ihre Lebenskraft entzogen und nicht nur die Blätter, sondern auch Äste und Stämme verschrumpeln lassen.

»Nein, so krass war es dort nicht«, antwortete Riley. »Aber in Fort Augustus ist auch nur« – sie malte Anführungszeichen in die Luft – »ein giftiger Regenschauer runtergegangen. Hier stand mehrere Tage lang die Giftwolke.«

»Erschreckend, was das mit der Natur gemacht hat.« Parker betrachtete die Umgebung vom Beifahrersitz aus. »Wenn es in der gesamten Todesschneise bis hin nach Glasgow so aussieht, bedeutet das einen riesigen Verlust von Weiden und Ackerflächen. Und das vermutlich nicht nur hier. Damit wird es dieses Jahr nicht nur in Großbritannien massive Ernteausfälle geben. Wenn dann zusätzlich noch giftiger Regen weitere Anbauflächen vergiftet …« Er seufzte und wandte sich zu Will und Sam um. »Ich bin gerade sehr dankbar, dass wir bis zum nächsten Frühjahr bei euch auf der Insel wohnen und eure Mutter nach ihrem mantischen Traum den Drang hatte, zu horten.«

Als sie einander an ihrem ersten Abend auf Ciùineas kennengelernt hatten, hatte Grace ihnen erzählt, dass sie Anfang des Jahres mit zwei Traumbildern im Kopf aus dem Schlaf geschreckt war. Das erste Bild hatte ihr einen Abrisskalender mit dem Datum der Anschläge gezeigt und ihr das Gefühl vermittelt, dass an diesem Tag etwas Schreckliches passieren würde. Das zweite hatte ihr Ciùineas gezeigt und beim Anblick der Insel hatte sie Sicherheit und Geborgenheit gespürt. Für die MacFaddens war die Bedeutung damit klar gewesen: Am 23. März dieses Jahres mussten alle Familienmitglieder auf der Insel sein, damit niemandem etwas Schlimmes passierte. Dass mit dem Schlimmen Raketenanschläge auf Edinburgh und elf weitere europäische Großstädte gemeint gewesen war, hatte niemand geahnt.

Zweieinhalb Jahre zuvor hatte Grace in der Nacht vor dem tragischen Unfall, bei dem Sam fast gestorben wäre, von einem Autounfall geträumt. Da sie noch nie zuvor eine mantische Begabung gezeigt hatte, hatte sie den Traum nicht als Warnung erkannt und sich danach schwere Vorwürfe gemacht. Nach ihrem zweiten Traum ging die Familie daher davon aus, dass ihre Mantik sie vor einem weiteren Unfall warnen wollte, der verhindert werden konnte, wenn sich alle MacFaddens am besagten Tag auf Ciùineas befanden. Da nur Will zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Insel, sondern in Edinburgh wohnte, hatte er seiner Mutter versprochen, sich das betreffende Wochenende freizunehmen und nach Hause zu kommen. Die übrigen Familienmitglieder sowie der Rest der Inselbewohner planten keine Ausflüge und damit war die Sache für alle erledigt gewesen – außer für Grace.

Der Gedanke, dass alle Menschen, die ihr wichtig waren, an Tag X auf der Insel in Sicherheit sein würden, beruhigte sie zwar, trotzdem entwickelte sie in den Tagen nach ihrem Traum den Drang, Ciùineas besser auszurüsten. Immerhin konnten sie so früh im Jahr noch nicht von den Erträgen der Insel leben. Der Anbau ging nach dem Winter gerade erst wieder los.

Deshalb hatte sie Vorräte aufgestockt. In Mengen, die sie auf Ciùineas normalerweise nicht einmal dann bevorrateten, wenn es im Herbst hieß, dass mit stürmischen Zeiten und einem harten Winter zu rechnen war und sie sich auf der Insel darauf einrichten mussten, womöglich für mehrere Wochen nicht an die Küste fahren zu können. Erst als sowohl für die Menschen als auch für die Tiere bestens gesorgt war, ließ Graces Drang, Dinge horten zu müssen, wieder nach.

Als am 23. März Raketen gefallen waren, die Millionen Menschen das Leben nahmen und Städte und Landstriche verseuchten, wurde allen schlagartig klar, warum Grace den Drang verspürt hatte, Vorratsmengen anzulegen, die augenscheinlich völlig übertrieben gewesen waren.

»Yep«, stimmte Sam ihm zu. »Mum hat definitiv dafür gesorgt, dass wir die Krise auf Ciùineas gut meistern können sollten.«

Riley nickte nachdenklich. »Die Insel darf nur nicht von giftigem Regen erwischt werden. Das wäre fatal. Eure Vorräte sind in den Vorratsräumen der Häuser zwar sicher und alles, was im Gewächshaus angebaut wird, würde den Regen auch überstehen. Aber Außenbeete, Obstbäume und Weide wären verseucht. Selbst wenn der Regen rechtzeitig angekündigt wird und wir versuchen würden, Teile des Außenbereichs mit Planen abzudecken, würde das nicht funktionieren, weil das Gift ja trotzdem irgendwo in den Boden sickern würde.«

Will nickte ernst. »Sollte Ciùineas von Giftregen getroffen werden, wäre das definitiv ein schwerer Schlag und wir würden die Insel verlassen müssen. Zumindest für eine Weile. Die Insel ist zwar unser Zuhause, aber das Wohlergehen unserer Familie – und damit meine ich unsere Inselfamilie – steht an oberster Stelle. Deshalb würden wir kein Risiko eingehen und Ciùineas verlassen. Dafür gibt es einen Plan.« Er sah zu Riley, Parker und Jo und endete bei Ayden. »Keine Sorge, ihr gehört jetzt auch zu unserer Inselfamilie, deshalb seid auch ihr Teil des Back-up-Plans.« Dann seufzte er. »Ich hoffe allerdings trotzdem sehr, dass uns Giftregen erspart bleiben wird.«

»Ja, das hoffe ich auch«, meinte Jo und wandte sich dann mit unüberhörbarem Sarkasmus in der Stimme an Riley. »Und danke an den Sonnenschein in der letzten Reihe für das zusätzliche Horrorszenario, das wir alle während unserer Fahrt durch die Postapokalypse dringend gebraucht haben.«

Riley schnaubte. »Ich habe schon zigmal gesagt, dass ich kein Sonnenschein bin. Ich bin Gewitter. Ich kläre die Luft – und andere Dinge. Das ist vielleicht nicht immer nett, aber Klarheit bringt mehr, als um den heißen Brei herumzureden. Und immerhin wissen wir jetzt, dass es für den beschissensten Fall der Fälle einen Back-up-Plan gibt und wir Teil davon sind. Das ist doch toll.«

Sam lachte. »Absolut.«

Jo brummte irgendetwas, das im Motorgeräusch unterging, und steuerte den Humvee über einen Schutthaufen, der einen Teil der Straße blockierte.

»Da vorne an der Kreuzung müssen wir nach rechts«, navigierte Parker sie mithilfe der Karte, die er auf dem Handheld aufgerufen hatte, das ihnen von General Meyers mit den Funkgeräten ausgehändigt worden war. Die Übersicht zeigte alle bereits geräumten Straßen sowie die, die trotz Schutt und Trümmer als befahrbar galten, wenn man mit geländegängigen Fahrzeugen unterwegs war. »Am Ende der Allee sollte das Tor liegen, das auf das Gelände des IPS führt.«

»Okay.«

Jo lenkte den Humvee um die Kurve und musste prompt an mehreren Bäumen vorbeimanövrieren, die auf der Allee abgeknickt oder entwurzelt worden waren. Neben der Straße lagen zu beiden Seiten Stadtvillen, die vor dem Anschlag sicher nobel ausgesehen hatten. Jetzt waren an den Gebäuden die Fensterscheiben zersprungen und die Fassaden wiesen tiefe Risse auf. Auch die Gärten waren völlig verwüstet.

Riley fragte sich, wie es wohl im Inneren aussah. So heftig wie die Druckwellen selbst hier, etliche Kilometer von den Einschlagsorten entfernt, offensichtlich noch gewesen waren, hatten sie vermutlich auch in den Häusern für schlimmes Chaos gesorgt. Und selbst wenn die Bewohner Glück gehabt hatten und nicht von umherfliegenden Splittern und Trümmern erwischt worden waren, hatte sie danach das Gift getötet.

Riley ballte die Fäuste und spürte wieder diese unbändige Wut auf Karpov, der all das kaltblütig ausgelöst hatte, weil etliche europäische Staaten nicht hingenommen hatten, dass er sein Nachbarland angegriffen hatte, um grenznahe Gebiete mit wertvollen Bodenschätzen zu annektieren. Karpov selbst war bei einem Gegenschlag der NATO ums Leben gekommen. Ebenso seine Führungsspitze. Auch seine Abschussrampen und Raketenlager waren zerstört worden. Eine Gefahr von weiteren Anschlägen bestand daher nicht. Mit den Folgen seiner Anschläge würde der Dreckskerl die Welt allerdings noch eine ganze Weile in Angst und Schrecken versetzen. Wieder ballte Riley die Fäuste und hoffte sehr, dass die Truppen, die Karpovs geheime Einrichtungen untersuchten, Aufzeichnungen zu dem Gift fanden, die helfen konnten, ein Gegenmittel zu entwickeln.

»Okay, das ist es.«

Sie erreichten das Ende der Straße und Jo steuerte ein doppelflügeliges Eisentor an, das zum Zeitpunkt des Anschlags offen gestanden haben musste und jetzt schief in den Angeln hing.

»Es ist nicht gut, dass das Tor offen ist, oder?«, fragte Sam. »Wenn Geister aus den Gebäuden des Instituts entkommen sind, hätte das Eisentor sie aufhalten sollen, oder nicht? Und der Zaun sieht auch ziemlich ramponiert aus«, fügte er hinzu, als er sich weiter umsah.