Dampfnudeln, Butterkuchen und Mord - Eisabeth Grimm - E-Book
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Dampfnudeln, Butterkuchen und Mord E-Book

Eisabeth Grimm

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Beschreibung

Die frischgebackene Caféinhaberin Lena findet lästigerweise eine Leiche in ihrem Hinterhof. Als ob sie mit der anstehenden Mieterhöhung und dem Verdacht der Fahrerflucht nicht schon Ärger genug hätte. Darüber hinaus ist da auch noch die Sache mit dem charmanten Hugo. Vor genau solchen Blendern hat ihre Mutter sie schon immer gewarnt. Mithilfe von Kater Misti, ungerechterweise auch Mistvieh genannt, und dem „dementen Trio“, das alles andere als dement, sondern ziemlich plietsch ist, klärt die Pfälzerin im hohen Norden Morde auf. Dabei gewinnt sie nicht nur die Nordlichter, sondern auch Butterkuchen richtig lieb. Das ist der Auftakt der beliebten Krimikomödie um die temperamentvolle Hobbydetektivin Lena und ihren Kater Misti. Es folgen „Achtsamkeit, heiße Maronen und Mord“, „Weihnachten, Fliederbeersuppe und Mord“, „Liebe, Kirschpralinen und Mord“, „Meer, Salzkaramell und Mord“ und „Federweißer, Zwiebelkuchen und Mord“. Jeder Band ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Die frischgebackene Cafébesitzerin Lena findet lästigerweise eine Leiche in ihrem Hinterhof. Als ob sie mit der anstehenden Mieterhöhung und dem Verdacht der Fahrerflucht nicht schon Ärger genug hätte. Darüber hinaus ist da auch noch die Sache mit dem charmanten Hugo. Vor genau solchen Blendern hat ihre Mutter sie schon immer gewarnt. Mithilfe von Kater Misti, ungerechterweise auch Mistvieh genannt, und dem »dementen Trio«, das alles andere als dement, sondern ziemlich plietsch ist, klärt die Pfälzerin Lena im hohen Norden Morde auf. Dabei gewinnt sie nicht nur die Nordlichter, sondern auch Butterkuchen richtig lieb.

Die Autorin

Elisabeth Grimm ist geboren und aufgewachsen in Rheinhessen und hat in Frankfurt am Main Psychologie studiert. Die Arbeit brachte sie in den hohen Norden und die Liebe hat sie dort ein Zuhause finden lassen. Als überzeugte Schleswig-Holsteinerin liebt sie die plüschigen Galloways (lieber auf der Weide als auf dem Teller) und die wunderbare Natur ebenso sehr wie Butterkuchen und Fliederbeersuppe mit Griesklößchen. Schließlich höllt Eten und Drinken Lief un Seel tosamen. Und natürlich sind neben ihrer Familie, ihre Katze und Bücher der Mittelpunkt in ihrem Leben. Sie schreibt seit dem zwölften Lebensjahr, Cosy Crimes, Kinderbücher und einen Katzenroman.

Ich widme dieses Buch meinen verstorbenen Eltern. Meinem Vater, der die letzten Jahre seines Lebens schwer dement war. In seinen guten Momenten blitzten die Weisheit und der Humor, die ihn zeitlebens ausgezeichnet hatten, immer mal wieder durch. Leider viel zu selten. Meiner Mutter, für die es nicht leicht war, mit ihm zusammen zu leben, seiner Erkrankung hilflos gegenüberzustehen und ihn zu versorgen. Und das, obwohl sie selbst im hohen Alter war. Ich empfinde Mitgefühl und Hochachtung für alle, die an dieser schrecklichen Erkrankung leiden oder Betroffene pflegen.

Originalausgabe

1. Auflage

© 2023 Elisabeth Grimm

Text: Elisabeth Grimm

Hindenburgstraße 52

23843 Bad Oldesloe

E-Mail: [email protected]

Alle Figuren und Ereignisse sind frei erfunden, Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Korrektorat: Tino Falke

Covergestaltung und digitaler Buchsatz:

Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)

Alle Rechte vorbehalten.

Es spielen mit

Lena, 42 Jahre alt, nach Schleswig-Holstein vertriebene Pfälzerin und Caféinhaberin

Das »demente Trio«:

Lotti, 75 Jahre, ehemalige Grundschullehrerin, trägt Blümchenblusen und ist der Fels in der Brandung

Ava, 72 Jahre, aber will es nicht wahrhaben

Hilde, 75 Jahre, sieht und fühlt mehr als andere, ihr Kleidungsstil ist eine Herausforderung für alle, die nicht farbenblind sind

Marion Müller, Polizeimeisterin

Mike Schmidt, Polizeiobermeister, ein Hingucker und ein echt lieber Kerl

Klaus Kimmel, Kriminalhauptkommissar, auch die Schnecke genannt, allerdings scheint er Dampfnudeln Salat gegenüber zu bevorzugen

Claudia Classen, Kriminaloberkommissarin, auch die Schlange genannt

Heinz Hansen, Vermieter von Lena

Yvonne Hansen, seine echt zickige Tochter

Hugo Schulz-Hansen, der Lichtblick im langweiligen Ahrensloe und Ehemann von Yvonne

Frau Nolde, Nachbarin von Lena mit spitzer Nase und mit einer Vorliebe für Gartenarbeit und Tarot

Sabine Sauer, Lenas beste Freundin, wohnt aber leider immer noch in der Pfalz und damit weit weg

Peter Häuser, Lenas Ex-Mann und ein A…

Florian Häuser, Lenas Sohn, leider zurzeit in Neuseeland

Bäckerei Bode, bitte dort nur Schwarzbrot und Butterkuchen kaufen

Bäckerei Meiers, Ihr Spezialist für Dampfnudeln

Kater Misti, von bösen Menschen auch Mistvieh genannt, eine Seele von Kater

Vorspann

Lenas Schrei gellte durch die Straßen der noch schlafenden Kleinstadt. Fassungslos starrte sie auf den leblosen Körper. Direkt neben den Mülltonnen, ihren Müll­tonnen. Sie registrierte die verkrümmte Haltung, das von Blut verklebte Haar, ohne wirklich zu begreifen, was sie da sah. Ihr Herz und die Welt um sie herum schienen stillzustehen. Wie von selbst lösten sich ihre Hände. Die Schüssel mit den Dampfnudeln rutschte heraus und fiel klirrend auf den Boden. Die Dampf­nudeln rollten auf die riesige Blutlache neben dem Kopf der Leiche zu und färbten sich langsam rot.

Kapitel eins

Zwei Tage zuvor, Zickenalarm

Es war ein Bilderbuchsommertag Ende August. Die norddeutsche Kleinstadt Ahrensloe vibrierte von Leben und Lachen.

Lena schleppte zwei schwere Einkaufstaschen durch die Fußgängerzone. Sie setzte die Jutetüten kurz ab, um sich den Schweiß aus Gesicht und Dekolleté zu wischen.

Gruppen von eisverschmierten Kindern tummelten sich mit ihren Eltern vor dem Eiscafé und Jugendliche alberten lautstark herum.

Als Lena endlich klatschnass geschwitzt am Parkplatz angekommen war, verstaute sie aufseufzend ihre Einkäufe im Kofferraum ihres alten Polos und setzte an, einen Schluck Wasser zu trinken.

»Ist das Ihr Auto?«

Lena trank in Ruhe zu Ende, schmiss die Kofferraumtür zu und drehte sich um. Vor ihr stand eine junge Polizistin.

»Nö, ich schleppe immer Lebensmittel in fremde Autos. Wieso?«

Die schlanke Polizistin mit der roten Lockenmähne hätte ohne ihre verkniffenen Mundwinkel und die leer aussehenden, stumpfen braunen Augen eine Karriere als Model ins Auge fassen können.

Über Humor schien sie leider nicht zu verfügen.

»Ihre Fahrzeugpapiere, bitte«, forderte sie streng.

Lenas Laune war auf einen rekordverdächtigen Tiefpunkt. Obwohl es erst kurz nach achtzehn Uhr war, hatte sie ihr Café in Ermangelung an Gästen mal wieder früher geschlossen. Sie hatte es gerade noch geschafft, einzukaufen. Alles nervte sie. Dass es an Kunden fehlte, wie teuer der Einkauf war, dass ihr Geld allmählich knapper und knapper wurde, die schweren Taschen und nun auch noch eine kleine, wichtig­tuerische Polizicke.

Das endlose Warten auf Gäste, die nur tröpfchenweise eintrudelten, hatte sie mehr erschöpft als ein hektischer Arbeitstag, wie sie ihn aus ihrem Bistro in der Pfalz gewohnt war. Sie wollte nur noch nach Hause. Was wollte die Polizistin von ihr? Sie hatte nichts verbrochen. Sollte sie doch wen anders schikanieren!

Im Bewusstsein, dass es die Sache vermutlich abkürzen würde, kramte Lena ihre Papiere aus der Tasche und reichte sie der schon mit dem Fuß trippelnden Frau.

»Sie sind Frau Lena Häuser und das ist ihr Fahrzeug?«, fragte die Polizistin, nachdem sie in die Papiere geschaut hatte.

»Ja. Worum geht es denn?«, fragte Lena.

Ihr Geduldsfaden, der auch sonst nicht übertrieben lang war, war kurz vorm Zerreißen.

Ein weiterer Uniformierter kam dazu. Im Gegensatz zu dem verkappten Model vor ihr war er mit seinen blitzend weißen Zähnen in einem offenen, milchkaffeefarbenen Gesicht und dunklen Locken ein echter Hingucker. Er schaute Lena mit einem filmreifen schiefen Lächeln an, als sei ihm die ganze Situation irgendwie unangenehm.

»Sie werden der Fahrerflucht beschuldigt.«

»Wie bitte?«, fragte Lena perplex. »Wann und wo soll ich Fahrerflucht begangen haben? Was ist überhaupt passiert?«

Der nette Polizist blieb neben seiner Kollegin stehen und stellte sich vor.

»Polizeiobermeister Mike Schmidt, guten Tag. An dem Mercedes dort hinten«, er zeigte auf ein glänzendes, schwarzes Auto, das schräg gegenüber von Lena parkte, »wurde Fahrerflucht begangen. Es hat eine Beule hinten rechts und an Ihrem Fahrzeug wurde ebenfalls ein Schaden festgestellt.«

Fassungslos schaute Lena auf das Heck ihres alten, ringsum verbeulten Polos, den sie beim Kauf vor zwei Jahren mit exakt so vielen Dellen, wie er jetzt aufwies, gekauft hatte. Das hatte nämlich den Ausschlag für den Kauf gegeben. Der Polo war ein wirkliches Schnäppchen gewesen und abgesehen vom wilden Äußeren hatte er sie noch nie im Stich gelassen.

»Wie Sie unschwer erkennen können, weist mein Fahrzeug sehr viele Schäden auf. Die alle älter als zwei Jahre sind.«

»Aber die Beule hier hinten passt genau zum Unfallwagen«, behauptete die Polizistin und wischte mit dem Finger über eine staubige Stelle.

»Ja, geht’s noch?«, entfuhr es Lena. »Sie haben gerade den Nachweis, dass es nicht mein Auto war, entfernt. Gucken Sie mal, wie staubig Ihr Finger ist. Das ist eine klare Bestätigung, dass meine Delle uralt ist und gar nichts mit dem Unfall zu tun hat. Sie können doch nicht einfach an meinem Auto herumwischen und Beweise entfernen! Was sind Sie denn für eine Polizistin?«

Lena war empört.

»Also nicht nur Fahrerflucht, sondern dazu auch Beamten­beleidigung! Was kommt denn noch? Am besten, wir nehmen Sie gleich mit!«, schlug die Zicke vor.

Lena spürte, wie ihr Blutdruck in die Höhe schnellte und sie kurz davor war, ihre Beherrschung zu verlieren. Sie holte tief Luft und setzte zu einer Replik an, die sich gewaschen hatte. Glücklicherweise wurde sie rechtzeitig von Polizeiobermeister Schmidt unterbrochen.

Sonst hätte sie in der Tat Beamtenbeleidigung begangen.

Oder Schlimmeres.

»Nun bleiben wir mal alle ruhig hier!«, sagte dieser und schob sich zwischen die beiden Kampfhennen.

»Wenn Ihr Schaden nicht zum Unfallwagen passt, können wir das ganz einfach feststellen, da ändert auch ein bisschen Staub nichts. Wobei«, er schaute seine Kollegin genervt an, »Frau Häuser durchaus recht hat. Du hast nicht an ihrem Auto herumzufummeln. Herrgott noch mal!«

»Genau!«, triumphierte Lena.

»Sie wollen sich doch nur rausreden. Ist Ihre alte Kiste überhaupt noch fahrtüchtig?«

Die Polizistin fing an, um das Auto herumzugehen und Reifen und TÜV-Plakette zu untersuchen.

Lena verdrehte die Augen. Unglaublich! So eine Schnepfe! Wie gut, dass sie gerade in der Werkstatt war.

Mit aller Kraft bemühte sie sich, sämtliche in ihrem Kopf herumschwirrenden Beleidigungen herunterzuschluc­ken und so ruhig wie möglich zu antworten. Was angesichts der Menge an Beschimpfungen, die sich ihr aufdrängten, eine echte Herausforderung war. Aber ihr Tag war schlimm genug gewesen. Sie hatte keine Lust, auch noch auf die Wache geschleppt zu werden, was dieser Person durchaus zuzutrauen war. Sie wollte einfach nur endlich weg hier. Am liebsten ganz weit weg. Karibik wäre eine Option. Oder doch eher was Kühleres? Island? Nordpol?

Lena zwang sich mit ihrer Aufmerksamkeit zurück in die Situation.

»Ja, ist sie. Ich war gerade erst beim TÜV und die Reifen sind relativ neu. Sind Sie jetzt fertig damit, mich zu schikanieren, oder kann ich endlich nach Hause fahren?«

»Ihr Fahrzeug muss noch untersucht werden«, sagte die Polizistin.

Lena stöhnte, rollte mit den Augen und wandte sich an Herrn Schmidt. Der schien wenigstens normal zu sein. Sie deutete auf den Unfallwagen.

»Ich kann aus dieser Entfernung selbst ohne Brille erkennen, dass die Höhe der Eindellungen überhaupt nicht zusammenpasst. Und außerdem stehe ich hier seit heute Morgen kurz vor elf Uhr, wie mein Park­ticket beweist. Das andere Auto stand noch nicht da. Das weiß ich ganz genau. Der Parkplatz war fast leer. Ich KANN es also gar nicht gewesen sein. Sollten die Schäden doch entgegen jeglichem Naturgesetz zusammenpassen, dann war der andere Fahrer der Verursacher. Und von Fahrerflucht kann auch nicht die Rede sein. Schließlich stehe ich hier entspannt und unschuldig. Ich habe genug von diesem Affentheater und den unhaltbaren Verdächtigungen. Ich bin müde und fahre jetzt nach Hause.«

»Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt. Ich verhafte Sie wegen …«, sagte die Polizistin und schickte sich an, ihre Handschellen herauszunehmen.

»Marion, jetzt reicht es aber endgültig!«, zischte Polizei­obermeister Schmidt seine Kollegin mit bösem Blick an. »Du kannst doch nicht einfach so Leute verhaften. Du warst wohl zu lange mit Hans auf Streife.« Er schüttelte den Kopf und wandte sich an Lena.

»Ich denke auch, dass die Schäden nicht zusammenpassen. Wären Sie dennoch bereit, es untersuchen zu lassen? Nur zur Sicherheit. Nicht heute, wir melden uns, wenn ich Ihre Nummer haben dürfte?«

»Nach meiner Nummer hat schon lange keiner mehr gefragt«, witzelte Lena.

»Glaub ich sofort«, ätzte die Polizistin.

»Marion!«, stöhnte Herr Schmidt.

Schicksalsergeben gab Lena Herrn Schmidt ihre Nummer, verabschiedete sich und stieg ein. Da klopfte es an der Fahrertür. Die Zicke wollte was. Lena kurbelte ihr Fenster herunter.

»Ja?«, fragte sie genervt. »Was denn jetzt noch?«

»Sie haben Ihre Brille nicht auf. Laut Führerschein sind Sie zum Tragen einer Sehhilfe verpflichtet.«

Sie zückte einen kleinen Computer zum Ausstellen eines Straf­zettels. Lena war (fast) sprachlos. Der war doch die Hitze nicht bekommen. Gab es nicht eine Beschwerdestelle für Bürger, die unter Polizeigewalt zu leiden hatten? Die Tante hatte sich noch nicht mal namentlich vorgestellt.

»Ich fahre gar nicht. Ich sitze hier nur und dafür brauche ich keine Brille. Und im Gegensatz zu Ihrem Kollegen haben Sie sich nicht vorgestellt. Jetzt möchte ich doch gerne wissen, wer Sie sind, damit ich mich besser beschweren kann.«

»Polizeimeisterin Marion Müller«, fauchte es durch das Fenster.

»Nicht erfreut«, konterte Lena, kurbelte ihr Fenster wieder hoch und ließ sich alle Zeit der Welt, in Ruhe in ihrer Handtasche ihre Brille zu suchen.

Die beiden Polizisten entfernten sich, aber Lena konnte im Rückspiegel erkennen, dass sie wild diskutierten und Frau Müller sich immer wieder zu ihr umdrehte. Vermutlich, um sie ohne Brille zu erwischen oder doch noch aus dem Auto zu zerren und zur Wache zu schleppen.

»Was für ein Scheißtag«, murmelte Lena und ließ das Auto an. Natürlich mit Brille.

Lena fuhr an rot geklinkerten Häusern vorbei. Riesige pinke, weiße und gelbe Stockrosen leuchteten in den Vorgärten mit orangen und roten Rosenbüschen um die Wette. Zottelige, karamellfarbene Galloways teilten sich eine Weide mit einer Schar Wildgänse und sahen aus wie knuddelige Plüschtiere, besonders die Kälbchen. In einer Wiese pickte ein Storchenpaar nach Fröschen.

Lena war blind für die Bilderbuchlandschaft um sich herum.

Sie runzelte die Stirn. Tausend sorgenvolle Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf.

Im Café war heute schon wieder kaum was los. Wenn das so weitergeht, bin ich pleite. Erst das Scheißcorona, direkt nach der Neueröffnung meines Cafés. Corona hat selbst alteingesessene Gastronomen an den Rand des Ruins gebracht. Aber eine Neueröffnung? Hoffnungslos! Wie oft habe ich in letzter Zeit in Ermangelung an Gästen früher geschlossen? Und jetzt auch noch dieser unnötige Ärger mit der angeblichen Fahrerflucht.

Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee gewesen, vor zwei Jahren einfach ans andere Ende von Deutschland zu flüchten, um mit einem eigenen Café ganz neu anzufangen.

Lenas Gedanken trieben zurück in die Vergangenheit.

Die letzten drei Jahre waren hart für sie. Ein Schicksalsschlag löste den nächsten ab.

Zuerst war ihre Mutter, zu der sie trotz deren Dauergemeckers eine enge Beziehung gehabt hatte, plötzlich an Krebs verstorben. Als man die Krankheit entdeckte, war es schon zu spät für eine Therapie. Lena war damals wie betäubt.

Einen Tag saß sie zusammen mit ihrem Sohn Florian bei Oma und futterte unbeschwert deren weltbeste Dampfnudeln, ein paar Tage später hielt sie die noch warme, leblose Hand der gerade verstorbenen Mutter und starrte auf die piependen Gerätschaften neben dem Krankenhausbett.

Kurz danach musste sie sich, immer noch unter Schock, von ihrem geliebten Elternhaus trennen, da ihr das Geld für dessen Unterhalt fehlte.

Danach machte Florian Abitur und ging nach Neuseeland.

Lena wusste gar nicht, wie ihr geschah mit diesen ganzen Veränderungen. Statt abends mit Flori bei einem deftigen Essen und mehreren Gläsern erfrischend säuerlicher Rieslingschorle über ihren Mann und Florians Papa Peter und seine Macken zu lästern, saß sie allein auf der Terrasse. Peter war von morgens bis abends im Bistro. Jedes Mal, wenn sie einsam über die Weinberge blickte, dachte sie daran, ihre Mutter anzurufen, ob sie nicht schnell mal vorbeikommen könne. Um dann zu realisieren, dass sie tot war und sie nie wieder bei Dampfnudeln zusammensitzen und lachen würden.

Dann kam der nächste Schlag. Drei Monate nach dem Tod ihrer Mutter und nachdem der gemeinsame Sohn Florian ins Ausland gegangen war, hatte Peter ihr mit der Mitteilung, dass er eine Freundin habe, die Scheidung wolle und sie aus »seinem Haus« ausziehen solle, den Boden unter den Füßen weggezogen.

Lena war fassungslos. Sie wusste natürlich, dass Peter nicht gerade treu war, aber nach all den Jahren war es ihr zunehmend egal geworden. Florian, ihre Mutter und ihre beste Freundin Sabine sowie ihr Haus und der Garten waren der Mittelpunkt in ihrem Leben.

Aber sie hätte nie gedacht, dass er sie verlassen würde. Sie hatte angenommen, dass auch er sich arrangiert hatte und sie ein gutes Team wären.

Wenn sie wenigstens zurück zu ihrer Mutter gekonnt hätte. Aber die war ja tot. Und das Haus weg.

Oder wenn Florian dageblieben und sie nicht ganz so allein gewesen wäre. Aber der musste ja unbedingt nach Neuseeland. Auch wenn sie ihn verstand, schließlich war das nach dem Abitur nicht unüblich. Hätte er nicht trotzdem auf ihre besondere Situation Rücksicht nehmen und zurückkommen können? Lena war es so vorgekommen, als hätte er gerade wegen der angespannten Situation die Flucht ergriffen.

Nach dem Trennungsgespräch mit ihrem Mann Peter hatte Lena eine Anzeige in der »Gastronomie« gefunden, dass in Ahrensloe ein Café abzugeben war.

Es gab ohne ihre Mutter und Flori ja nichts mehr, das sie hielt. Kurz entschlossen zog Lena in den Norden, um sich ein neues Leben aufzubauen.

Allerdings hatte die Pfälzerin Schwierigkeiten mit der norddeutschen Mentalität. Es war im Gegensatz zur Pfalz nicht üblich, abends bei ein paar Gläsern Wein im Café/Bistro oder gar davor zu sitzen.

Dafür war es hier nur im Hochsommer warm genug. Und das auch nicht immer. Während es die Pfälzer angesichts zunehmend heißer Temperaturen schon Ende April ins Freie lockte, konnte man hier froh sein, wenn es im April nicht mehr schneite. Die Menschen verkrochen sich in ihre Häuser, anstatt abends in der Innenstadt zu flanieren und zu konsumieren.

Unabhängig davon hatte Lena auch andere Umstellungs­schwierigkeiten. Sommer in Norddeutschland bedeuteten ständigen Wind und Temperaturen oft unter 25 Grad. Und so wie der gebürtige Norddeutsche es ohne Wind kaum aushielt, sehnte Lena sich als echte Pfälzerin im Sommer nach brütender Hitze und flimmernden Landstraßen, nach weinseligen Abenden im Sommerkleid auf der Terrasse.

Stattdessen saß sie dort mit einer Fleecejacke, weil es abends doch ein wenig frisch wurde, wie der Nord­deutsche bei fast allen Wetterlagen außer Hitze sagte. Bei Minusgraden war es frisch. Bei Regen frischte es auf.

Auch menschlich ging es hier eher kühl zu, fand Lena, die für ihre unbedachten, frechen Äußerungen, die sie ständig unzensiert herausplapperte, eher verständnisloses Stirnrunzeln statt des erwarteten Gelächters erhielt.

Wenn das so weitergeht, dachte sie, werde ich zurückgehen, auch wenn mir davor graut. Dann habe ich das ganze Geld aus der Scheidung für einen Caféflopp verbraten und bin pleite. Eine 42-jährige, bankrotte, ehemalige Cafébesitzerin, die die letzten 23 Jahre nichts gelernt hat, weil sie immer nur in der Gastronomie gearbeitet hat. Toll! Da werden die Arbeitgeber sich nur so um mich reißen. Ich habe noch nicht mal eine Ausbildung als Kellnerin oder Hotelfachfrau.

Nach dem Abi hatte Lena im Bistro ihres späteren Ex-Mannes Peter angefangen zu jobben und irgendwie war sie dabei geblieben. Lediglich einen Kurs als Wirtin hatte sie absolviert, um Peter im Bistro vertreten zu können. Insofern konnte sie nun auch ein eigenes Café führen.

Wie immer hatte ihre Mutter recht behalten. Unzählige Male hatte sie auf Lena eingeredet.

»Mach doch wenigstens eine Ausbildung, wenn du schon nicht studierst. Du bist völlig abhängig von Peter. Du musst auf eigenen Beinen stehen. Du wirst das noch bitterlich bereuen, das sage ich dir!«

Lena hatte die Stimme der Mutter immer noch im Ohr.

Ich hätte auf sie hören und eine Ausbildung machen sollen. Wenn sie das noch erleben könnte! Dass ich ihr recht gebe und bereue, nicht auf sie gehört zu haben!

Lena schüttelte den Gedanken irritiert ab. Aber das Grübeln hörte nicht auf.

Wieso habe ich nach dem Abi nur keine Ausbildung gemacht? Lena wusste ganz genau, wieso. Sie hatte eben eine gewisse Neigung zur Bequemlichkeit. Und es war sehr bequem gewesen, einfach den Besitzer des Bistros zu heiraten, in dem sie gejobbt hatte.

Ihre Mutter war stinksauer gewesen, dass sie ihre Zukunft von diesem »nichtsnutzigen Blender«, wie sie Peter gerne genannt hatte, abhängig machen wollte. Jedes Mal, wenn ihre Mutter und Peter zusammentrafen, murmelte die alte Dame »Wer nichts wird, wird Wirt« vor sich hin und starrte ihn böse an. Kein Wunder, dass er gerne auf Besuche bei seiner Schwieger­mutter verzichtet hatte.

Erst im Nachhinein erkannte Lena, dass er nie wirklich Interesse an ihr gezeigt hatte. Er hatte nach der Heirat einfach weitergemacht wie immer. Bistro, Fußball, Kumpels, auf Weinfesten abhängen und ab und zu eine kleine Affäre. Aber Lena war schwer verliebt gewesen und unerwartet mit Florian schwanger geworden.

Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war sie bis vor Kurzem noch hochzufrieden mit ihrer Situation, trotz der mangelnden Ausbildung und dem frühen Kind.

Sie hatte ein schönes Haus gehabt und sich im alten Freundeskreis, den sie zum Teil schon seit der Grundschule kannte, pudelwohl gefühlt. Sie hatte sich um Flori, das Haus, den Garten und die Buchhaltung des Bistros gekümmert. Ab und zu war sie auch noch im Service eingesprungen.

Wenn sie an ihr ehemaliges Zuhause, die große gelbe Villa im toskanischen Stil, dachte, war ihr zum Heulen. Das Haus lag am Ortsende mit Blick auf die hügeligen Weinberge. Im Schatten blühender Oleandersträucher hatte sie abends auf der Terrasse gesessen und mit einem Glas Wein den Tag ausklingen lassen. Dort war sie glücklich gewesen.

Dann, von heute auf morgen, war alles kaputt.

Und als Peter auch noch versucht hatte, sie finanziell über das Ohr zu hauen … Wie dumm von ihm, wusste er doch, dass sie die Bücher geführt hatte.

Nein, Lena schüttelte energisch den Kopf. Sie wollte nicht mehr daran denken. Sie war doch hier, um alles hinter sich lassen, neu anzufangen. Lena straffte ihre Schultern. Schluss jetzt mit den trüben Gedanken. Das war Geschichte. Sie lebte jetzt im schleswig-­holsteinischen Ahrensloe und war stolze Cafébesitzerin. Und der Fahrerflucht verdächtig.

Zu Hause angekommen, räumte Lena trotz ihrer Müdigkeit zuerst die Einkäufe aus. Sie hatte von dem Erlös für ihr marodes Elternhaus ein kleines End­reihenhaus mit Renovierungsstau erstanden. Es lag zwei Dörfer von ihrem Café in Ahrensloe entfernt. Die knapp 86 Quadratmeter am Ende einer Sackgasse waren eine deutliche Veränderung zur fast dreimal so großen Villa aus ihrem vorherigen Leben. Dennoch reichte es für sie und machte deutlich weniger Arbeit. Sie hatte Hausarbeit noch nie leiden können. Komisch, dass sie dennoch jahrelang, ohne zu murren die Villa geputzt und in Ordnung gehalten hatte. Peter hatte kaum geholfen. Anstatt auf Unterstützung oder eine Putzhilfe, die sie sich locker hätten leisten können, zu bestehen, hatte sie sich, wie bei allem anderen auch, einfach untergeordnet. Im Nachhinein verstand sie selbst nicht, zu welch kleinmütigem Hausmütterchen sie geworden war. Das passte gar nicht zu der Lena, die sie vor ihrer Ehe gewesen war. Mit frecher Klappe und am liebsten mittendrin. Umso mehr genoss sie es jetzt, so wenig Hausarbeit wie möglich zu machen und am besten alles einfach liegen zu lassen. Das Alleinsein hatte auch Vorteile.

Am meisten liebte Lena ihren Garten, auch wenn ihr wenig Zeit blieb, sich um ihn zu kümmern. Sich abends einfach auf die Terrasse zu setzen, den Fledermäusen, die in der hier noch ziemlich intakten Natur herumschwirrten, zuzusehen und die Stille zu genießen, war wunderbar. Anfangs hatte sie sich bei Telefonaten nach Süddeutschland mit ihrer Freundin Sabine darüber beschwert, dass sie selbst im Sommer abends eine Decke brauchte. Inzwischen fand sie es herrlich, sich warm einzukuscheln und in den klaren, funkelnden Sternenhimmel zu schauen. Zumindest an manchen Tagen.

An anderen Tagen fühlte Lena sich einsam. Sie vermisste ihr Zuhause und ihre Heimat. Die vielen Veränderungen, der Tod ihrer Mutter und die Trennung waren für sie zu plötzlich und zu kurz hintereinander eingetreten.

Es war immer noch wie ein Schock, unbegreiflich, unfassbar. Sie vermied es, daran zu denken. Sie wusste gar nicht, was sie fühlen sollte. Trauer, Hilflosigkeit, Wut? Vor allem Wut!

Und da stand sie nun. Verpflanzt in den hohen Norden, wo sie sich nicht heimisch fühlte. Wenn es so weiterging, würde sie bald wieder ohne Einkommen und in Folge ohne ein Zuhause dastehen.

Während Lena die Einkäufe einräumte, schnaubte sie wütend.

Die Erinnerungen ließen sich nicht so leicht abschütteln.

»Zieh endlich aus meinem Haus aus!«, hatte Peter sie angeschrien, als sie wie betäubt einfach nicht gewusst hatte, was sie machen sollte.

»Sein Haus«, das sie 20 Jahre gepflegt und geputzt hatte, in dem sie Florian großgezogen hatte, im Grunde fast ohne seine Beteiligung. »Sein Haus«, nachdem sie gerade ihr Elternhaus auflösen musste, wo sie hätte Zuflucht finden können. Sie habe durch den Verkauf des Elternhauses genügend Geld, sich was anderes zu suchen.

»Du schaffst das schon, Lenaschatz«, hatte er gesagt. Wütend riss Lena die Kühlschranktür auf und prompt fiel ihr die offene Milch entgegen und ergoss sich über den gefliesten Küchenboden.

»Herrgott Sakra«, fluchte Lena.

Musste das jetzt auch noch sein? Lena nahm die Küchen­rolle, kniete sich auf den Boden und fing an, den Milchsee wegzuwischen. Und dann kamen die Tränen. Sie kniete vor der Küchenzeile und wischte abwechselnd den Boden und ihr Gesicht, bis sie das Gewische aufgab und sich auf dem Boden setzte. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die uralte Einbauküche in Eiche, ließ den Tränen freien Lauf und weinte, weinte und weinte. Sie wusste gar nicht, worüber sie im Moment mehr weinte.

Über die blöde Polizicke, die sie grundlos genervt hatte? Über ihre Geldsorgen? Über ihre Mutter, die einfach gestorben war und sie allein gelassen hatte? Über den treulosen Peter und seine blöde neue Freundin oder über Flori, der sich irgendwo in Neuseeland herumtrieb? Er hatte sich nach der Trennung der Eltern bis auf wenige knappe Lebenszeichen nicht mehr gemeldet. Undankbarer Stinker! Wenn er sich bei seinem Vater nicht meldete, okay. Der hatte ja auch alles versaut. Aber was hatte sie, Lena, ihm getan, außer immer für ihn da zu sein und ihn großzuziehen? Und nun? Allein war sie, scheißallein.

Ihr Elternhaus war weg, ihre Mutter tot, Flori interessierte das alles einen Dreck und sie hatte keine Heimat mehr. Sie lebte als Deutsche in Deutschland und fühlte sich dennoch heimatlos. Wie musste es erst für die ganzen Flüchtlinge sein? Und die hatten nicht nur Familienprobleme, sondern waren konfrontiert mit Hunger, Krieg und Tod. Apropos Hunger. Dieser Gedanke half Lena. Entschlossen stand sie auf, wusch sich über der Spüle ihr Gesicht mit viel eiskaltem Wasser, machte sich gerade und schob eine Pizza in den Ofen. Dann sprach sie sich selbst Mut zu.

»Du schaffst das schon, Lena. Viel schlimmer wird es wohl nicht werden.«

Kapitel zwei

Schlimmer geht immer

Müde schloss Lena kurz vor elf Uhr das Café auf. Die 75-jährige Lotti, die im alten Fachwerkhaus nebenan wohnte, wartete schon vor der Tür.

»Moin, Lena, der frühe Vogel fängt den Wurm. Ich warte hier schon zwei Minuten.«

Lena stöhnte, während sie die große Glastür festhakte, damit diese einladend offen stand und lüftete. Sofort marschierte Lotti, klein und zierlich mit klaren grauen Augen und lockigen grauen Haaren, herein und setzte sich an den Personaltisch, direkt hinter der Theke. Ein Betonpfeiler schirmte diesen ein wenig vom Rest des Raumes ab.

»Wieso setzen sich eigentlich immer alle an den Personal­tisch?«, fragte Lena sich genervt.

Das Café war selten voll besetzt, aber am Personaltisch, an IHREM Platz saß immer einer. Und quatschte sie voll. Von wegen schweigsame Nordlichter! Wenn schon kaum ein Gast kam, könnte doch wenigstens mal Ruhe sein.

Nein, jeder, der kam, setzte sich entweder an den Personaltisch oder, wenn der besetzt war, an die Theke und laberte, bis der Arzt kam. Oder endlich ein neuer Kunde auftauchte und Lena flüchten und ihn bedienen konnte. Nur dass die Brotschere, wie ihre Oma ihren ständig plappernden Mund genannt hatte, dann nicht stoppte, sondern fleißig weiter auf und zu klappte und den Nächstbesten, der sich in die Nähe wagte, zutextete.

Am krassesten war es, wenn sich alle am Personaltisch niedergelassen hatten, natürlich ohne Getränk, und Lena dumm hinter der Theke rumstand.

Es war auch nicht so, dass wirklich wenig Gäste kamen. Ständig kam jemand, schrie »Moinsen« in die Runde, stellte sich dazu und tratschte mit. Kaffee wollte aber nie einer. »Nö, lass mal, hatte ich schon«, war die übliche, knappe Antwort auf Lenas Nachfrage. Beim Bäcker nahm man den Kaffee und bei Lena wurde gequatscht. Aber heute nicht.

Nicht mit ihr!

Lotti hatte es sich gerade gemütlich gemacht und fing an, ihr mit Schinken belegtes Croissant auszupacken, als Lena sich mit in die Seiten gestemmten Armen vor ihr aufbaute.

»Wag es nicht!« fauchte sie sie an.

Lotti schaute sie mit großen, grauen Augen überrascht an.

»Was denn, Liebes?«

»Wag es nicht, dein Croissant auszupacken. Das ist ein Café und keine Parkbank. Hier wird nur konsumiert, was hier auch gekauft wurde.«

»Aber ich esse doch immer mein Croissant hier. Dein Latte Macchiato ist so lecker dazu«, wandte Lotti ein und wickelte weiter aus. »Hast du heute schlechte Laune?«

Jetzt reichte es Lena endgültig. Sie hatte genug davon, dass alle dachten, sie könnten ihr auf der Nase herumtanzen, nur weil sie eine Seele von Mensch war. Lena deutete auf die Papiertüte, die Lotti am Wickel hatte. »Lass dieses Ding eingepackt! Wenn du hier essen willst, dann kaufst du das auch hier.«

Lotti seufzte und wickelte das Croissant wieder ein.

»Lena, Liebes, ich würde sehr gerne etwas bei dir essen, wenn du nur was anbieten würdest.«

Lena runzelte die Stirn.

»Das ist tagsüber ein Café. Ich biete Kaffee an und abends biete ich als Bistro Flammkuchen, Käse, Oliven und Quiche zum Wein an.«

»Genau, Lena! Wir sind aber nicht in Frankreich oder in der Pfalz. Wir sind hier im echten Norden und mögen gerne morgens was essen.«

Lena sagte: »Klar doch! Ihr kauft einfach alles beim Bäcker, weil ihr Geizknieper seid, und dann wollt ihr hier schön sitzen und ohne nur ein Getränk zu konsumieren stundenlang quatschen. Ich bin doch kein Selbsthilfetreff!«

»Mann, Mann, Mann!« Lotti schüttelte den Kopf. »Und außerdem heißt es Kniepsäcke.«

Doch noch bevor Lena etwas entgegnen konnte, kam ihr Vermieter Heinz Hansen zur Tür hereinmarschiert und setzte sich zu Lotti an den Personaltisch. Wohin auch sonst?

»Moin, Lotti, Lena. Das Übliche.«

»Moin, Heinz.« Lena war immer noch in mieser Laune. Sie machte einen doppelten Espresso und einen Latte Macchiato und stellte beides vor Lotti und Heinz. Dann zeigte sie auf ein kleines silbernes Schild auf dem Tisch.

»Wie ihr vielleicht lesen könnt, das ist der PERSONALTISCH.«

»Uih, sind wir zickig heute Morgen?«, fragte Heinz.

Lotti nickte und kicherte, während sie versuchte, ihr Croissant möglichst unauffällig wieder auszupacken.

»Nerv mich bloß nicht, Lena! Ich habe mich heute schon genug geärgert. Es ist einfach kein Parkplatz zu finden«, maulte Heinz.

Lena, die ein paar langsam eintrudelnde Kaffee­trinker bediente, war erstaunt. Während sie die Bestellungen an der Theke richtete, fragte sie nach.

»Ich bin doch auch gerade erst gekommen, da war am großen Parkplatz noch alles frei.«

»Ja, aber da parke ich nicht mehr. Da hat mir doch glatt gestern jemand eine Riesendelle in meinen nagelneuen Mercedes gefahren und ist einfach verschwunden. Wenn ich den erwische, der kann was erleben!«

Uihhh, dachte Lena und brachte schnell die Bestellungen an die Tische.

Als sie zur Theke zurückkam, standen da die Polizicke Marion und der nette Herr Schmidt.

»Moin, Frau Häuser«, grüßte Herr Schmidt. Und nickte ein Moinsen in die Runde.

Die Polizicke nickte nur Herrn Hansen freundlich zu, der sofort aufsprang.

»Haben Sie den Mistkerl gefunden, der in mein Auto gefahren und geflüchtet ist?«, fragte er.

»Noch nicht ganz, Herr Hansen, aber wir haben eine heiße Spur«, erklärte die Polizistin süffisant.

»Frau Häuser, wo steht denn das tatverdächtige Auto, wir wollen die Spurensicherung informieren?«

Heinz war irritiert. »Was hat Lena damit zu tun?«

Lena lief knallrot an. Sie war fassungslos. Das durfte doch nicht wahr sein! Was fiel dieser Zippe ein, in ihr Café zu kommen und sie öffentlich zu beschuldigen? Lena spürte eine unangenehm aufsteigende Hitze. Sie hatte das Gefühl, alle starrten sie an. Hatte die schon mal was von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten gehört? Lena war stinksauer.

»Gar nichts!«, erklärte sie kurz und knallte die leeren Kaffeetassen, die sie in der Hand hielt, in die Spüle.

Leider nützte ihr das wenig, denn Frau Müller war offenbar sehr erfreut, mehr erzählen zu können.

»Frau Häuser ist tatverdächtig. Ihr Auto hat eine passende Beschädigung.«

Etwas explodierte in Lenas Kopf. Sie raste hinter der Theke vor und stellte sich so dicht vor die Polizistin, dass sich fast ihre Nasen berührten.

»Jetzt reicht es mir aber! Sie haben doch nicht alle Tassen im Schrank! Kommen unangemeldet in mein Café und beschuldigen mich vor meinen Kunden. Ich habe zuerst auf dem Parkplatz geparkt, die Delle ist uralt und passt in der Höhe gar nicht. So eine Unverschämtheit! Raus hier, aber sofort!«

»Ich ermittle hier. Das ist Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt«, wieder schickte sich die Polizistin an, ihre Handschellen herauszunehmen.

Herr Schmidt schob sich schnell zwischen die beiden Streitenden.

»Hoi, hoi, hoi, jetzt mal ruhig hier.«

Er drückte seine Kollegin beiseite und wandte sich an die vor Wut zitternde Lena.

»In der Tat liegen keine ausreichenden Hinweise vor und es beschuldigt Sie niemand. Um auch in Ihrem Sinne jeglichen Tatverdacht auszuräumen, hätten wir daher gerne Ihre Erlaubnis, die Spurensicherung einzuschalten.«

»Das wäre auch telefonisch gegangen. Ich habe doch schon gesagt, dass ich nichts dagegen habe, weil ich es nicht war. Mich hier vor meinen Kunden zu verdächtigen, das ist Polizeischikane …«

Lena musste Luft holen. Sie hatte das Gefühl, ihr Gehirn würde gleich platzen.

Heinz nutzte die kurze Pause und legte seinerseits los.

»Duuu hast mein Auto angefahren und bist einfach abgehauen? Duuu? Das glaube ich gar nicht. Ich habe dir, obwohl ich dich nicht kannte, das Café verpachtet, dir eine Chance gegeben und duuu fährst mein Auto kaputt und sagst nichts. Das ist vielleicht in Süddeutschland so üblich. Halbe Italiener, die ihr seid, Mafiosos. Wir hier machen so was nicht. Wir sind hier echt und ehrlich. Nicht hinterrücks. Das lasse ich mir nicht gefallen! Ich hatte eh einen Grund, dass ich heute hier bin. Ich war mir noch nicht sicher, aber das entscheidet es.«

Heinz war herzinfarktgefährlich knallrot angelaufen und die Adern auf seiner Stirn dick angeschwollen. Wütend knallte er einen Briefumschlag auf den Personal­tisch vor Lottis halb ausgepacktes Croissant.

»Mieterhöhung, Lena! Mal sehen, wie lange dein Saftladen hier noch aushält. Ich habe andere Pläne. Und noch nicht mal was zu essen hast du hier!«

Er schnappte sich Lottis Croissant, die mit offenem Mund das ganze Theater bestaunte, und stampfte aus dem Café.

Lena wusste nicht, wie ihr geschah. Ihre Beine zitterten, ihr Herz raste, sie fühlte sich, als würde sie jeden Moment zusammenklappen. Sie war nicht nur vor ihren Gästen öffentlich angeklagt worden, jetzt hatte die unverschämte Zicke auch noch Schuld an der Mieterhöhung. Wenn die nicht einfach so aufgetaucht wäre, hätte Heinz sicher noch mit sich reden lassen. Sie kam auch ohne Mieterhöhung nur gerade so über die Runden.

Lena ging auf die Polizistin zu. Ihre Stimme war kalt wie Eis und ebenso schneidend.

»DAS wird ein Nachspiel haben, Frau Müller. Was glauben Sie, wer Sie sind? Sie haben mich ohne ausreichenden Beweis öffentlich beschuldigt und mein Geschäft ruiniert. Ich werde eine Dienstaufsichts­beschwerde einreichen. Und das wird mir nicht genügen. ICH WERDE SIE VERNICHTEN!«

Dicke Adern waren an Lenas Schläfen hervor­getreten, die Augen schienen aus ihrem Gesicht zu quellen und ihre Stimme war so laut geworden, dass sie vermutlich bis Hamburg zu hören war.

Wie üblich, wenn ihr erst einmal der Kragen geplatzt war, übertrieb Lena schamlos. Aber es tat gut, all ihre Wut und ihren Frust einmal herauszubrüllen.

»Das ist …«, setzte die Polizistin erneut an.

Mit unterdrückter Wut in der Stimme sagte ihr Kollege: »Du bist jetzt endlich ruhig! Du hast genug Mist gebaut. Wieso bin ich mit dir gestraft? Würdest du doch nur wieder mit Hans Streife gehen. Der ist genauso bescheuert wie du. Kein Wort mehr! Raus hier! Sofort!«

Offenbar hatte selbst Frau Müller bemerkt, dass es besser war, sich schnell vom Acker zu machen, um eine gewisse Schadensbegrenzung zu betreiben, und sie verließ mit ihrem Kollegen das Café.

Auch wenn ihre ganze Haltung deutlich machte, dass ihr das gegen den Strich ging. Herr Schmidt wandte sich im Gehen noch mal an Lena.

»Frau Häuser, ich möchte mich in aller Form für meine Kollegin entschuldigen. Sie ist ein bisschen übereifrig«, sagte er.

»Ein bisschen?« Lena schnaubte. »Sie ist extrem übergriffig und hat mir mein Geschäft ruiniert. Für Ihre Entschuldigung kann ich mir nichts kaufen. Und sie kommt noch nicht mal von ihr selbst. Das wird ein Nachspiel haben, da können Sie sicher sein.«

Mike Schmidt setzte an, etwas zu sagen, zuckte dann aber nur mit den Schultern und ging.

Nachdem die beiden das Café verlassen hatten, fühlte sich Lena, als hätte sie jemand wie einen Luftballon angepikst und alle Luft und Kraft aus ihr herausgelassen. Sie ließ sich auf den leer gewordenen Stuhl am Personaltisch fallen.

Lotti sagte: »Mann, Mann, Mann!«

Dann stand sie auf, ging hinter die Theke und suchte ein bisschen herum. Fündig geworden, schenkte sie sich und Lena erst mal einen ordentlichen Grappa ein, den sie vor Lena auf den Tisch stellte. Die Flasche hatte sie vorsichtshalber gleich mitgenommen.

»Hier, Lena, trink.«

Lena reagierte nicht. Lotti legte ihr die Hand auf den Arm.

Lena schaute auf.

»Trink, Lena, den Rest besprechen wir danach. Ich helfe dir.«

Dann wendete sich Lotti an die mit Augen groß wie Scheunentore gaffenden Kunden, die froh schienen, dass endlich mal was los war in Ahrensloe. Hier in der ersten Reihe zu sitzen war besser als jeder Tatort.

»Leute, die Show ist vorbei. Wir schließen für heute. Bitte alle an die Theke kommen! Ich kassiere ab.«

Während die restlichen Gäste widerstandslos zahlten und das Café verließen, goss sich Lena noch ein paar Grappa ein. Der eine oder andere klopfte ihr beim Gehen tröstend auf die Schultern und äußerte Dinge wie:

»Wird schon, Lena.«

»Muss ja!«

»Was für eine Zicke!«

»Heinz hat halt Temperament.«

»Nützt ja nu nichts.«

»Wat mutt, dat mutt.«

Lotti schloss die Tür nach dem letzten Gast und nahm Lena die Grappaflasche weg, als diese sich gerade den vierten Tresterbrand eingießen wollte.

»Ehh, gib die wieder her?«

»Du hast genug getrunken.«

»Du hast mir die Flasche doch hingestellt.«

»Ja, als medizinische Dosis. Die hattest du jetzt.«

»Hat nicht wirklich geholfen. Ich brauche mehr Medizin«, verlangte Lena störrisch.

Lotti goss noch zwei Grappa ein, bevor sie die Flasche wieder hinter der Theke verstaute, setzte sich Lena gegenüber und seufzte. Sie legte Lena eine Hand auf den Arm.

»Nein, Lena, du brauchst keinen Grappa, du brauchst Verstand.«

»Super!«, sagte Lena. »Lotti hat übernommen. Nicht nur, dass ich vor allen zu Unrecht der Fahrerflucht beschuldigt wurde, meine Miete erhöht wurde und du alle meine Gäste herausgeschmissen hast. Jetzt nimmst du mir auch noch meinen Grappa weg und sagst, ich bin dumm. Ich bin gespannt, was noch kommt?«

Lotti schüttelte den Kopf.

»Ganz einfach. Ich fahre dich nach Hause und meinet­wegen kannst du deinen dämlichen Grappa mitnehmen. Und morgen früh besprechen wir dann, wie es weitergeht. Ich habe doch gesagt, dass ich dir helfe.«

»Wie willst du mir denn helfen?«

»Besprechen wir morgen. Komm, Lena, abschließen und los. Heute wird das hier nichts mehr. Morgen sieht alles anders aus.«

»Besser oder schlechter?«, wollte Lena wissen.

Lotti stöhnte nur. »Es kann nur besser werden, weißt du doch.«

»Ich denke ja eher, schlimmer geht immer«, nörgelte Lena.

Am Nachmittag tigerte Lena in der Wohnung hin und her. Sie war unruhig, hatte schon Geschirrberge weggeräumt, zweimal die Waschmaschine geladen, gesaugt, im Garten verblühte Blüten abgeschnitten, Rasen gemäht, sich kurz auf das Sofa gelegt und war wieder aufgestanden. Sie konnte sich einfach nicht beruhigen. Immer wieder hatte sie das Bild vom wütenden Heinz vor Augen, der ihr drohte, hatte Angst, ihr Café zu verlieren.

Was hatte er damit gemeint, er habe längst andere Pläne mit der Immobilie? In Ahrensloe war viel Leerstand, er konnte doch unmöglich schon einen anderen Pächter an der Hand haben? Sie hatte in den letzten drei Jahren genug verloren, sie wollte nicht auch noch das Café, für das sie so hart gearbeitet hatte, verlieren. Was sollte sie nur machen, um sich zu beruhigen? Das Haus sah so ordentlich aus wie schon lange nicht mehr. Die Fenster könnte sie noch putzen. Aber dazu hatte sie keine Lust.

Am besten, ich rufe mal bei Mama an, dachte Lena und griff zum Telefonhörer, nur um mitten in der Bewegung zu merken, dass sie Mutter nicht mehr anrufen konnte, weil diese tot war. Lena setzte sich auf einen Küchenstuhl und fing an zu weinen.

Zwei vollgeheulte Packungen Taschentücher später stand Lena auf. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab. Kurz dachte sie daran, was Flori beim Blick auf den Haufen Papiertücher gesagt hätte. Vermutlich irgendwas wie »Mama, weinen ist schlecht für die CO2-Bilanz, es sei denn, du nimmst wiederverwendbare Baumwolltaschentücher. Aber nur fair produziert, ist doch klar.«

Nein, auf gar keinen Fall jetzt auch noch an Flori denken. Lenas Blick fiel auf ein Bild, das sie über ihren kleinen Küchentisch gehängt hatte. Es war in ihrer Lieblingsfarbe Türkis und eine glitzernde silberne Krone war darauf abgebildet. Lena musste jedes Mal lachen, wenn sie das Bild ansah. Darauf stand geschrieben: »Hinfallen, aufstehen, schütteln, Krönchen richten, weitermachen.«

Das war ihr Motto gewesen, nach dem Tod der Mutter, dem Verkauf des Elternhauses, dem Verlust des eigenen Heimes, der Scheidung von Peter und der Flucht des einzigen Sohnes ins Ausland.

»Aufstehen, schütteln, Krönchen richten, weitermachen.«

So wollte sie es halten und sie hatte es probiert. Jeden Gedanken an die Pfalz und ihr vorheriges Leben versuchte sie zu unterdrücken und sich auf die Gegenwart hier im echten Norden zu konzentrieren. Nur dass alles viel zäher und schwieriger war, als Lena sich das vorgestellt hatte. Egal! Lena war entschlossen, die düsteren Gedanken abzuschütteln. Was hatte Mutter immer gemacht, wenn es ihr selbst oder den Kindern nicht gut ging? Sie hatte gebacken. Plötzlich verspürte Lena ein unbändiges Bedürfnis nach Dampfnudeln. Wie gut, dass Mutter ihr damals zum Auszug aus dem Elternhaus und Einzug bei Peter ein kleines Rezeptbuch geschrieben hatte.

»Alles erprobte Rezepte, kinderleicht, Lena«, hatte sie gesagt und gelacht. »Du musst dich nur ganz genau daran halten, dann kann nichts schiefgehen.«

An Dampfnudeln hatte sie sich noch nie heran­getraut. Die riesigen blassgelben Hefeknödel mit brauner, minimal salziger Karamellkruste erschienen ihr in ihrer wolkenleichten Fluffigkeit wie ein Wunder der Backkunst. Sie hatte es ja auch nie nötig gehabt, sich selbst daran zu wagen. Mama hatte immer angerufen, wenn es Dampfnudeln gab, und sie und Florian zum Mittagessen eingeladen. Wieder wollte die Melancholie sie einholen.

Lena schüttelte sie entschieden ab. Genug geheult für heute. Sie kramte das handgeschriebene Rezeptbuch aus dem Schrank, wischte schnell noch ein paar Tränen ab, die sich angesichts der Handschrift der Mutter einstellten, krempelte die Ärmel hoch und legte los. Zum Glück hatte sie immer etwas Trockenhefe vorrätig. Lena schaltete das Küchenradio an. Radio Hamburg. Auch nicht schlechter als SWF3, dachte sie und fing an, laut und gnadenlos falsch mitzusingen. Hört ja keiner, dachte sie. Und so seltsam das auch war, irgendwie halfen das Kneten des Teiges und die künstliche Fröhlichkeit und Lena fing an, sich zu beruhigen.

Ich schaffe das schon, dachte sie, als sie zufrieden den Deckel auf die Pfanne mit den Dampfnudeln setzte.

»Ich kann sogar Dampfnudeln, was soll mir da noch passieren?«, kicherte sie in sich hinein.

Wie lange müssen die Dampfnudeln eigentlich in der Pfanne köcheln?

»Ca. 20 bis 25 Minuten, rausnehmen, wenn es bizzelt«, stand da im Rezept. Wann bizzelt es denn, überlegte Lena. Ach, ich schau einfach ein paarmal nach, dann sehe ich ja schon, wie weit sie sind.

Gedacht, getan, nach 18 Minuten lüftete Lena neugierig den Deckel und sah vier wundervolle, glänzende, riesige Hefekugeln. Wahnsinn, dachte Lena, die werden ja superfluffig, so riesig wie die sind. Wie erkenne ich jetzt, dass sie gar sind? Ob ich mal mit einer Gabel reinstechen soll?

Lena nahm gerade die Gabel in die Hand, da fiel die erste Kugel in sich zusammen. Als hätte jemand die Luft aus einem Ballon gelassen.

»O nein!«, rief Lena entsetzt. Und schon sackten auch Kugel zwei, drei und vier in sich zusammen. Lena schloss schnell wieder den Deckel. Das war wohl zu früh, dachte sie, na ja, die werden schon wieder, ich warte einfach noch ein paar Minuten. Fünf Minuten später lüftete Lena erneut den Deckel.

»Was soll das denn sein?«

Erstaunt betrachtete sie vier flache, unansehnliche Teighaufen. Da die Flüssigkeit in der Pfanne schon weitgehend verkocht war, nahm Lena die Teigklumpen seufzend heraus. Sie schaute noch mal ins Rezept. Irgendetwas musste schiefgelaufen sein. Oje. Hier stand es dick und fett. »Deckel auf KEINEN FALL vorher aufheben, sonst fällt alles in sich zusammen.«

Ja, danke, dachte Lena. Das habe ich jetzt auch gemerkt. Frustriert nahm sie sich einen der Hefefladen, machte sich einen Kaffee dazu und bestrich ihn dick mit Butter und Marmelade.

Na ja, dachte Lena. Ist eher ein Hefefladen als eine Dampfnudel, aber schmeckt auch nicht schlecht. Ich nehme den Rest morgen mit zum Treffen mit Lotti. Dann kann sie wenigstens nicht meckern, dass es bei mir nichts zu essen gibt.

Lena legte die restlichen drei Fladen in eine Schüssel, die sie mit einem Küchentuch abdeckte, um sie morgens gleich mitzunehmen, nahm noch einen Grappa, was ja nie schaden konnte, und legte sich schlafen.

Kapitel drei

Unruhige Nächte

Die 34-jährige Streifenpolizistin Marion konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Schlecht gelaunt hatte sie am Nachmittag die Tür zu ihrem kleinen Apartment aufgeschlossen und als Erstes war ihr Kater, der eigentlich ein Stubenkater war, aus der Haustür herausgeschossen und geflüchtet.

»Mistvieh!«, schrie Marion ihm hinterher, schleppte sich in die Wohnung und ließ sich aufs Sofa fallen.

»Ich hätte dich doch ins Tierheim geben sollen.«

In einem Anfall von Nächstenliebe hatte sie den Kater, der neben seiner toten Besitzerin aufgefunden worden war, zu sich genommen.

Irgendwie fühlte sie sich einsam, so ganz ohne ihren Kumpel Uli, der wie ein Bruder für sie war. Leider wollte Uli auf keinen Fall zurück nach Ahrensloe. Er war ihr einziger Vertrauter in ihrer Zeit hier im Kinderheim gewesen. Wie sehr sie dieses Heim und diese doofe Kleinstadt damals gehasst hatte. Mit welchem Recht hatten die sie einfach ihrer Familie aus Hamburg weggenommen? Dort in Steilshoop, wo sie aufgewachsen war, kannte sie alles und jeden. Sie war die Chefin einer kleinen Bande von Kindern gewesen. Ihr war es doch egal, dass ihre Alten soffen. Taten doch alle. Und von wegen Vernachlässigung und Hunger. Sie hatte schon als Kindergartenkind alles geklaut, was sie brauchte. Aber sie hatte ja keiner gefragt. Sie hatten sie einfach in diesem Kaff ins Heim gesteckt. Weg von zu Hause. Weg von ihren Eltern, die zwar nicht super aber immerhin ihre Eltern waren.

Als sie den Kater zu sich nahm, hatte sie sich ähnlich einsam gefühlt wie bereits als Kind in Ahrensloe. Sie dachte, es würde schön sein, ein Tier zu haben, begrüßt und geliebt zu werden. Leider hatte das dumme Vieh keinerlei Interesse an ihr oder an Kuscheleinheiten. Es schien nur zu fressen, zu kacken, zu fauchen und zu versuchen, die Wohnung zu verlassen. Mike hatte sie gleich gewarnt, dass man einen Freigänger nicht als Wohnungskater halten könne.

Aber Mike war sowieso ein blöder Klugscheißer. Und heute erst. Mike hatte sich gar nicht mehr abregen können, nachdem er sie vor allen Leuten aus dem Café herausgeschickt hatte, wie ein Schulkind. Der spinnte doch! Sie dermaßen bloßzustellen. Aber das würde er ihr noch büßen. Sie würde schon eine Gelegenheit finden.

Marion lächelte in sich hinein. Mike war nur neidisch auf sie, weil sie die Fahrerflucht so schnell aufgeklärt hatte. Und außerdem trug er ihr nach, dass sie einen Neuen hatte. Marion raffte sich auf, tauschte ihre Uniform mit Wohlfühlklamotten und schob sich eine Pizza in den Ofen. Sie saß völlig erschöpft in der Küche, blickte aus dem Fenster auf die schon am frühen Abend fast menschenleere Fußgängerzone und vermisste auf einmal das Mistvieh von Kater ganz schrecklich. Sie dachte darüber nach, dass sie sich ihr Leben anders vorgestellt hatte. Immerhin war sie schon Mitte dreißig. Sie hatte keine Lust mehr, sich als Streifenpolizistin abzuplagen. Auch wenn sie erst spät ihre Ausbildung gemacht hatte, hatte sie schon die Nase voll davon. Sie war nach einigen Jahren des Herumgammelns und Jobbens zur Polizei gegangen, weil sie endlich mal selbst am längeren Hebel sitzen wollte. Aber es war alles ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Dass der Zufall sie zurück in diese verhasste Kleinstadt gebracht hatte, war ihre Chance. Die würde sie nutzen. Bevor sie zu alt war. Sie wollte das Leben genießen. Jetzt! Sie würde es sich nicht erlauben, den Kopf hängen zu lassen.

Entschieden stand Marion auf und holte ein kleines, blaues Notizbuch hinter dem Mehlbehälter im Küchenschrank hervor. Liebevoll wischte sie den Mehlstaub ab und blätterte darin. Sie lächelte. So wie die böse Hexe gelächelte hatte, als es ihr gelungen war, Hänsel und Gretel ins Hexenhaus zu locken.

»Nein!«, dachte Marion, als sie das Notizbuch wieder schloss und die Pizza aus dem Ofen holte.

Ich werde nicht versauern in diesem Kaff. Ich werde unter all diesen scheinheiligen Wohlstandsbürgern abkassieren, meinen Spaß haben und dann Ade, Ahrensloe. Die kleine Marion aus dem Heim mit den Sozialklamotten wird es euch allen zeigen.

Mal sehen, wer dann noch lacht.

Sie dachte kurz an Yvonne, wie sie mit anderen Jugend­lichen dastand und »Spiel nicht mit der Schmuddel­marion« sang und lachte. Schnell schob sie die Erinnerung beiseite. Bis heute hatte sie nicht vergessen, wie die verwöhnte Yvonne und die anderen dämlichen Kinder reicher Leute Witze über sie gemacht hatten. Irgendwie war das schlimmer gewesen als in Steilshoop, wo alle arm, aber gleich waren. Damals war Yvonne das Lachen auch schnell vergangen. Auf ein Neues! Ihr werdet euch wundern.

Marion hatte es sich gerade zusammen mit ihrer Pizza auf dem Sofa gemütlich gemacht, als ihr Handy klingelte. Sie schaute auf die Nummer. Interessant.

»Du bist es«, säuselte sie ins Telefon. »Schön, deine Stimme zu hören. Ich bin ziemlich kaputt. War ein echt harter Tag heute.«

Die Stimme am Telefon redetet eindringlich auf sie ein.

»Bei Lenas Café? Bist du dir sicher? Eine Über­raschung? Und ein Beweis? Na gut. Ich komme.«

Marion legte das Handy beiseite und schob die restliche Pizza zurück in den Offen. Sie wollte das blaue Notizbuch noch rasch wieder an seinen Platz legen, aber aus irgendeinem Grund zögerte sie.

»Du bist meine Fahrkarte zu Reichtum und Rache«, zärtlich strich sie über die glatte Oberfläche. Dann steckte sie es in eine verschließbare Gefriertüte und verbuddelte es ganz unten im Katzenklo.

»Das Mistvieh ist ja erst mal nicht da und hier wird keiner suchen. Ich traue niemandem. Warum ausgerechnet so spät ein Treffen? Und dann noch bei Lenas Café? Aber cool wäre es schon, wenn ich der blöden Tussi was anhängen könnte.«

Das ungute Gefühl, das sie während des Telefonats beschlichen hatte, hatte sie vergessen. Der Gedanke an Rache und Macht überwältigte sie. Mit neuer Energie sprang sie unter die Dusche, um fit zu sein für ein Überraschungstreffen mitten in der Nacht.

---ENDE DER LESEPROBE---