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Hochzeitgeschichten ohne Zuckerguss und ranzigen Beziehungsweisheiten jenseits vom Pilcher-Lindström-Kitsch. Augenzwinkernd und dennoch treffend auf den Punkt, inspiriert von der eigenen Biografie, thematisiert der Autor elementare Dinge wie das Scheitern von Liebesbeziehungen, existenziellen Ängsten, harmlosen Neurosen und ernsten Depressionen.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
EGO N
HERR EINPARKINSON
SLASHY COOLMEYER
CHARLIE MALEIKUM
SOURIRE ETERNEL
DANN FAND ER
DIE FRAU FÜRS LEBEN
REX GILETTE
HUNDSGEMEIN
JENSEITS DES INTERNETS
IN OBERMICHELBACH
HANSI UND GRETA
AUF DEM ERKENNTNISBOULEVARD
JACK FINERIPP
HARRY GOES GODOT
TRISTESSA RUBIGINEUSE
Impressum
Die Frage nach Sinn ist eine Frage,
die nicht mit Worten gestellt
und nicht als Antwort formuliert werden kann.
Es ist vielmehr eine Frage,
die das Leben an den Menschen stellt
und die er in jedem Augenblick seines Lebens beantworten muss.
Der ganze Mensch muss sie beantworten.
Suzuki
Alle Stories sind wirklich wahr, außer die erfundenen. Es gibt tatsächlich Menschen, die lieben und heiraten Bäume, die nennt man Dendrophile. Andere lieben und heiraten sich selbst, so wie die britische Fotografin Grace Gelder, die sich 2014 das Ja-Wort gab. Das nennt sich Selbstheirat, sie lebt seitdem in Sologamie. Dann gibt es noch Objektsexualität: 2007 heiratete die Amerikanerin Erika LaBrie den Eiffelturm und nennt sich seitdem Erika Eiffel oder Erika La Tour Eiffel. Die Schwedin Eija-Riitta Wallis Winther Arja Nikki Lee Eklöf heiratete 1979 die Berliner Mauer. Seit dem Mauerfall 1989 bezeichnet sich Eija-Riitta Eklöf-Berliner-Mauer, wie sie seit ihrer Hochzeit heißt, allerdings als geschieden. So entsteht eine ko(s)mische Fallhöhe und ein Witz, der dem hoffentlich lachenden Leser hier und da eine kleine Erkenntnis beschert.
Manche sagen: Wer nicht verheiratet ist, hat noch keinen nennenswerten Fehler gemacht und Männer heiraten angeblich meist, weil sie müde sind. Frauen heiraten angeblich, weil sie neugierig sind. Manchmal muss man auch Nein sagen, um seinem Ja treu zu bleiben. Die Idee zu diesem Buch kam mir während meiner langjährigen Tätigkeit als professioneller Hochzeitsfotograf. Bei Trauungen fängt man an, über sich selbst nachzudenken. Ich liebte diese Arbeit als Hochzeitsfotograf, es gab immer viel zu sehen, zu hören und zu lachen. Keine Hochzeit war wie die andere, jeden Tag neue Menschen um mich herum und meistens waren alle gut drauf, ich hatte jeden Tag Party als Arbeitskulisse. Ließ mich mitnehmen von dieser Energie, vom Berührtsein, schwamm in den oft fließenden Tränen des Gerührtseins. Nicht nur Andropausenmänner, auch Männer, von denen man es nicht annimmt, heulten bei der Trauung. Die Atmosphäre war immer eine ganz besondere, es war eben nicht Alltag, es war Ausnahmezustand, es war etwas Feierliches. Ich atmete dort Liebe, schmeckte Freude und nahm jeden Tag viel von dem Glück der Brautleute mit nach Hause.
Bei meiner Arbeit als Hochzeitsfotograf kam ich mit sehr unterschiedlichen Menschen in Kontakt, mit einigen wäre ich privat wohl niemals zusammengekommen und hätte es auch gar nicht gewollt. Doch diese unzähligen Personen, lieferten mir Motive ohne Ende für diverse Handlungen. Jeder brachte seine Geschichte mit, die wahnsinnigsten Geschichten, die man sich gar nicht ausdenken kann. So etwas kann nur das Leben schreiben. Was ich alles bei Trauungen erlebt habe … Geladene Hochzeitsgäste, die mit Leichenbittermine dasaßen, als ob sie durch ihre Anwesenheit als eheliche Teilhaber zum Abschluss einer geschäftlichen Abmachung beitrügen, bei der es vor allem auf die Erfüllung von Rechten und Pflichten ankommt. Manche wirkten wie aufgereihte symbolische Weihegestalten vor der heiligen Tafel. Andere saßen da mit leeren, gelangweilten, zerstreuten Gesichtern, als ob sie an gar nichts dächten. Die Frauen putzten sich für ihren schönsten Tag im Leben unglaublich heraus, so manche Hochzeit wirkte wie eine Konsumfixierte Leistungsschau. Fast alle gaben sich sehr viel Mühe für ihr Tages-Outfit, einige hatten sich sicher mit ihren affigen Klamotten in Unkosten gestürzt.
Spannend war auch, wenn zwei Familienstämme aufeinander trafen, die sich vorher gar nicht kannten oder sich nicht ausstehen können. Ich lernte auch sehr viel über Menschen, wie sie miteinander umgehen, wer die Hosen anhat. Oft konnte ich sehen, wer zusammen passt und wer nicht, manche trugen schon die Scheidungsfrisur. Manchen hätte ich, wenn ich es könnte, sofort von der Hochzeit abgeraten - und ich entwickelte ein sehr professionelles Verhältnis dazu. Ich empfand das ganze oft wie ein Theaterstück, weil es ja auch immer derselbe Text war, nur die Darsteller wechselten. Der Standesbeamte rasselt immer wieder seine Litanei von „in guten und in schlechten Zeiten“ herunter. Hochzeiten sind Inszenierungen - auch von Gefühlen - denen die Wirklichkeit nie standhalten kann. Wir Menschen kreieren uns gerne schräge Situationen von monströser Seltsamkeit, die eigentlich gar nichts mit der wirklichen Natur des Menschen zu tun haben und uns aber nicht mehr auffallen, weil sie zur Gewohnheit, zur Sitte, zur Kulturhypnose geworden sind. Und weil diese Formen der Existenz nicht normal sind, bringen sie naturgemäß gewisse Verbildungen hervor. Sicherheit etwa ist wichtiger geworden als Freiheit. Sicherheit als Struktur. Befeuert von der unendlichen Imagekampagne für die endlose Paarbeziehung, die Überidealisierung von Zweierbeziehungen, der massive Druck aus der Werbung, die uns vorgaukelt, Partnerschaft sei der Schlüssel zum Glück und das andauernde Paarsein eine zu belohnende Leistung per se.
Den richtigen Inspirationskick für dieses Buch bekam ich bei der Trauung des Paares Capone / Soundso. Als der Standesbeamte den Bräutigam Soundso fragte, ob er mit dem zukünftigen Doppelnamen Capone-Soundso einverstanden sei, geschah etwas Unerwartetes, der Bräutigam überlegte es sich in letzter Minute anders, er wollte den Namen nun doch nicht annehmen, obwohl diese Namensangelegenheit bereits lange vorher geklärt worden war. Bei der Trauungszeremonie geht es nur noch um die formelle offizielle Bestätigung. Es ist nur ein Ritual. Und obwohl er wochenlang Zeit hatte über den Namen nachzudenken, wurde ihm wohl jetzt erst die Unumstößlichkeit klar, dass dieser Name zukünftig sein persönliches Schicksal mitbestimmen würde. Der Name Capone war ihm wohl doch zu belastet, denn seine zukünftige Frau war tatsächlich eine Urenkelin des weltberühmten Gangsterbosses Al Capone. Für einen Moment hörte man die Stille des Weltalls. Jetzt mussten alle bereits angefertigten Dokumente neu erstellt werden und der ganze bürokratische Aufwand wiederholt, was den Standesbeamten ziemlich aus der Fassung brachte. Und die wartenden, heute noch zu vermählenden Paare mussten sich über eine Stunde lang gedulden, die nicht eingeplant war. Ich nutzte die Zeit und begann eine interessante Unterhaltung mit Frau Capone. Dabei konnte ich beobachten, wie meine Konditionierungen ratterten, wie meine Projektionen rotierten. Hat sie was von Al Capones Eigenschaften geerbt? Ist kriminelle Energie vererbbar? Sieht sie nicht ein bisschen verschlagen aus? Diese Steilvorlage war jedenfalls die Initialzündung für dieses Buch.
Ich glaube an Liebesbeziehungen, aber sie erfordern Arbeit, Kompromisse und einen starken Willen. Beziehungen sollten sich entwickeln und nicht verwickeln. So werden sie ehrlicher, wahrhaftiger. Wenn wir die Liebe weniger als Gefühl und mehr als konkrete Handlung betrachten, entstehen automatisch Verantwortung und Verpflichtungen daraus, bei dem, was man füreinander tut … Es gibt viele Möglichkeiten geistig, emotional und spirituell zu wachsen. Manche bevorzugen dabei allein zu sein und verzichten auf die Auf- und Abs einer Paarbeziehung, denn ewig grüßt der Beziehungsalltag, dieser Reigen mit hochheiligen Versprechungen, besten Absichten, voller unbewusster Triebe, Illusionen und Hoffnungen. Sex und Aggression, Egoismus und Eifersucht sind voller Lebenskraft und die will ans Licht. Wenn es uns gelingt, die Empfindungen des Geliebtwerdens hervorzubringen, brauchen wir keinen Partner - und dann finden wir ihn, dann können wir in einer Beziehung unendlich geben, denn nur wer den anderen nicht braucht, kann wirklich lieben. Nur Wirklichkeiten können lieben. Erst wenn wir nicht mehr auf die Frau oder den Mann angewiesen sind, hört die Liebe auf Besitzergreifend zu sein, dann beginnt die Liebe ohne zu fordern, ohne Bedingungen. Schön wäre auch eine Kameradschaft mit dem Ziel der geistigen Vervollkommnung. Ich hoffe, dass viele LeserInnen mit falschen Vorstellungen in dieses Buch hineinstolpern und aufs angenehmste ent-täuscht werden - trotz Kitschalarm.
Der Autor
August 2022
GANZKÖRPERKONDOME
FÜR DIE SEELE
„Willst du für eine Stunde glücklich sein,
betrinke dich.
Willst du für ein Jahr glücklich sein,
heirate.
Willst du dein Leben lang glücklich sein,
lege einen Garten an.“
Chinesische Weisheit
Es ist immer gerade in der Mitte von etwas. Wir sind ja immer mittendrin. Ego N fühlte sich vom ersten Tag seines Lebens an wie der berühmteste Unbekannte aller Zeiten, ein Weltstar, VIP, ihn kannte nur niemand. Eine irgendwie etwas ungewöhnliche, abnorme Existenz, also Außenseiter zu sein, war normal, schon vor seiner Geburt war er etwas ganz besonderes, sonst wäre er ja nicht hier - und seit der Kindheit hatte er so viel Ballast und Bindung mitgenommen, so dass er sich noch immer nicht frei genug fühlte, sich schon wieder in einer vorbehaltlosen und ganzheitlichen Beziehung neu zu binden. Er hatte vier Leidenschaften: Essen, Tanzen, Vögeln und mit Gott plaudern. Als fleischgewordener Instinkt sprach er im Zeitalter der Gottlosigkeit und religiösem Wahn wegen der mutmaßlich fehlenden Relevanz des Systemischen immer mit allen Dingen, doch mit seinem Antirealismus der Gefühle konnte er selbst mit mystischen Manieren in der materiellen Welt ohne Glück, nicht so recht überleben. Jeden Morgen wurde Ego N neu hineingeboren in das Chaos der so genannten freien Entscheidungen, seine Freiheit niemals aufs Spiel zu setzen. Denn Monogamie ist kulturell programmiertes Unglück.
Jeden Tag bemühte er sich im unbändigen Drang nach Unabhängigkeit in die Tiefe der eigenen Menschlichkeit hinab zusteigen und versuchte die Welt ständig mit dem Einerlei des Egos und seiner zersplitterten Persönlichkeit zu vereinigen. Jeder Tag war 24 Stunden und individuell breit. Inzwischen machte er sich Vorwürfe, weil er sein Leben lang Zahnpasta mit Fischgeschmack benutzt hatte und dachte an Fluoridgel, Interdentalpflege, Elektrozahnbürsten und Elektrozigaretten. Er machte sich auch ständig Gedanken über das Nachdenken, über Gedankenputsch, über Scheinereignisse und sprachähnliche Taten, über Moralchirurgie und Geoengineering, CO2-Footprint und Biodiversität, über Neutrinos und ritualisierte Repetitivität, postlafontainesche Wurmfortsätze und Sarrazynismus, National-Egoistische Situationsethik und Nationalkosmetik, Eskapismusangebote, psychologische Rasterfahndung, Statussymptome, Privilegienverhandler, globale Relationalität, Vermögenspreisinflation, Wachstumsfreundliche Defizitregelung, Irrtumsbereinigungsgesetz, Misstrauensmanagement, Verständnisverschlankung, Sneakerheads und Ego-Tuning.
Aber alles dreht sich nur um das Selbst - sein winziges Selbst des sich selber immer wieder aus- und ineinanderschiebenden Theaters vor der Jetztzeitkulisse. Er kannte die Welt, die Frauen, die Gefühle, denn schließlich hatte er genug gesehen und gelesen und wusste, was wahre Liebe ist, das hatte ihn vor großen Leidenschaften bewahrt. Doch zwischendurch funkelte immer heller die Hoffnung, die namenlose Liebe … Irgendwas mach ich mal irgendwann! So wie ja angeblich eine Millionen Deutsche schizophren sein sollen, war auch Ego N mit seinen Beziehungsphobikerproblemen und der besonderen Empfindsamkeit seines Wesens sackgrob und erzromantisch. Und wenn er sich über das Verhalten seiner Brudermenschen und Schwestermenschen etwas mehr Gedanken machte - alle waren unglücklich verheiratet, vom Mythos der Liebe betrogen – erschien ihm das, was er so tat, schon gleich viel normaler. Das Ich existiert ja durch Abgrenzung und fürchtet sich vor der Hingabe, vor der Liebe und vor der Einswerdung. Das Ego braucht das Gefühl der Selbstbestimmtheit und autonom zu sein.
Durch das Ich wird ein Pol verwirklicht, der den entstehenden Schatten auf das Außen, auf das Du, auf die Umwelt schiebt und somit der authentischen Liebe im Wege steht. Ego N war ein vorsichtiger, kluger, wählerischer Genießer, war nie wirklich verliebt gewesen. Da er clever war, stellte er niemals übertriebene Anforderungen an die Frauen, machte nie stürmische Auftritte oder hochheilige Versprechungen. Der Ranschmeißer de Luxe unterhielt sich nie wirklich ernsthaft mit ihnen, weil sie grundsätzlich einen persönlichen Zug enthielten. Er steckte lieber einige Gefühlsunterstützende Drinks rein, das klappte auch. Aber ständig neue Pornos zu kaufen, ging auch mächtig ins Geld. Am meisten törnte es ihn aber ab, wenn man die Nähte der Boobs sehen konnte. Vielleicht sollte man doch lieber mal in eine Beziehung investieren?
Doch dann fand er mit seinem einzigartigen, unfehlbaren Einfühlungsvermögen in der profanen, grausamen Realität die Frau fürs Leben, bei der er sicher war, dass sie seine echten und verborgenen Vorzüge zu schätzen wusste - und duschte und kämmte seine Schnittlauch-Haare. Heiraten machte ihn immer sehr nervös, weil Hochzeitsglocken die Probleme ja erst einläuten. Er war so hibbelig wie eine hyperkinetische Hummel auf Koks, die den Ernst der Lage nicht verkannte, sodass er an diesem Tag sogar vergaß, die Zähne zu putzen. Am Nachmittag war der Termin auf dem Standesamt. Bis dahin war noch etwas Zeit um sein Gewissen vor dem Eintritt in die Ehe einer letzten Prüfung zu unterziehen, rechtfertigte er seine argumentativen Lustgefühle. Das muss so eine Art katholischer Schuldkomplex gewesen sein. Gott ist jedenfalls nicht mehr alttestamentarisch zornig, sondern ziemlich locker drauf und verzeiht fast jedem so gut wie fast alle Laster, Sünden, Fehltritte und Fettnäpfe, alles chico. Denn in puncto puncti sind Männer ja alle gleich.
So ging er auf dem Weg zum Standesamt, seiner wahren männlichen Triebstruktur folgend, noch mal kurz ins Bordell, um schnell noch mal von den zukünftig verbotenen Früchten zu naschen, es sollte ja das letzte Mal sein … Die großen Momente kommen jedoch nicht zu dir, wenn du frisch geduscht bist. Wie so oft im Leben, überraschte ihn das Schicksal von hinten, als er in dem Etablissement, das sich nicht lohnt zu beschreiben, seine Mutter traf - im rosaroten Plastik-Negligé - wie eine Räuberbraut im Melodrama - und so den Tag voll gegen die Wand fuhr … Für einen zeitlosen Augenblick hielt die Welt an, in diesem Augenblick drang die Ewigkeit in die Zeit ein, das Vertikale drang in das Horizontale. Dieses warme, zarte Rosa erinnerte ihn an irgendetwas. Vor seinen Augen drehte sich alles, er vernahm ein Dröhnen in den Ohren, mit schauderndem Interesse sprangen seine Gedanken wie Funken durchs Etablissement … und gaben all seinen Ungereimtheiten neuen Sinn …
Manche Wahrheiten tragen ein Gefühl von Befreiung in sich, andere zwingen einem das Gefühl des Grauens auf. Diese war so eine. Es war höchst peinlich, auf diese Weise mit seiner Vergangenheit zusammen zu treffen. Doch seine Instinkte gewannen sofort die Oberhand und er reagierte mechanisch. Sein Gesicht zeigte eine auf möglichst interessante Weise gelangweilte, beabsichtigte Ausdruckslosigkeit, während seine Stimme überraschend freundlich und mitfühlend klang, trotz des Versuchs, sie ganz sachlich klingen zu lassen: „Mama, du hast mich angelogen, du rauchst ja doch!“ „Ja“, entgegnete sie mit verächtlicher Miene, „alte Gewohnheiten und der Puff haben eines gemeinsam, sie sind klebrig.“ Es gibt Dinge, die man in dem Moment, in dem sie passieren, aus ästhetisch-moralischen Gründen ignorieren sollte. Später hingegen können sie jedoch viel Freude bereiten. Also gab sich Ego N einen Ruck, lächelte schief, hoffte, dass Charme alles übertüncht, versuchte den Schlamassel des Hier und Jetzt zu integrieren und hörte sich wie im Schlaf: „Na ja, ich muss dann mal …“, und erschrak kurz vor seiner eigenen Bescheidenheit. Die war ihm selber ganz neu. Aber an das Unvorstellbare gewöhnt man sich erstaunlich schnell ...
HONEY SUCKERS
„Du sollst die Frauen nicht verstehen,
sondern lieben.“
Mit diesem Satz fuhr Lasse Einparkinson bisher recht geschmeidig durch sein kleines Leben im Sündenparadies. Er brauchte auch keinen Abschleppwagen, die Aufrissquote des Pick-uppers war okay. Es war einfach, sich zu verlieben, aber so schwer, sich wirklich auf etwas einzulassen. Er glaubte nicht, dass alle Gefühle durchsichtig sind. Es muss auch welche geben, die sehr undurchsichtig sind. Er galt als Fachkraft im Unterschätztwerden und war Spezialist in Karriereknicks, der perfekte Abbrecher von allem, was man abbrechen kann, Beziehungen, Jobs, Fingernägel. Im Angesicht der Apokalypse wurde er jedoch immer gefasster und stärker. Dreißig Jahre Programmierung für ein geregeltes, routinemäßiges, gehorsames Leben der Pflicht und Ordnung, in der alles seinen Platz hatte und jede Abweichung von dem, was als richtig, normal und zweckmäßig galt, hatten sich verselbstständigt. Doch wie soll man sich in der Welt zurechtfinden, wenn alles mit Atachements zugeparkt ist? Das kosmische Ablenkungsprogramm der internetten Aufmerksamkeits-Verwertungs-Industrie hatte ihn voll erfasst, überall Verwicklung und Anhaftung.
Auf seinem Panoramasofa dachte Herr Einparkinson daran, was ein guter Lebensstandard eigentlich bedeuten könnte, wo die Liebe zum Grundsortiment der Freizeit- und Konsumgesellschaft gehört und Teil des Wertesystems ist, öffentlich und teuer. Wo Beziehungen in den Kategorien von Kosten- und Nutzenrechnungen laufen, dachte er an Kreativwirtschaft, an ein Geldsystem, dass Geldschöpfung aus dem Nichts betreibt. Wo es um den Beziehungskontostand geht, alles hängt doch miteinander zusammen in der organisierten Gleichgültigkeit der Objektivität. Was bringt es, wenn ich in eine Beziehung investiere, die Lebensabschnittspartnerin aber von Rendite nichts wissen will, die Rechnung nicht aufgeht und alles Investment als Verrechnungsposten in den Formularen untergeht. Wie soll man das finanztechnisch durchlöhnen? Herr Einparkinson, bei dem die Kultur der Risikovermeidung sehr ausgeprägt war, befasste sich mit dem Dämon Marktwirtschaft, marktkonformer Demokratie, den Kanzler von der Steuer absetzen, der Lobbyisten-Lobby, mit einen Wachstumsbeschleunigungsgesetz, einem Nationalhymnen-Pflichtgesetz, Alltagsrassisten, einer Whistleblowerschutzgesetzgebung, Krisenreaktionskompetenz, Taliberale, Kommunikationsmüll, Transhumanismus, Mitleidindustrie, Amokspenden, Hungerroulette, Effizienzrevolution, Flüchtlingstsunami, Kontingentflüchtlinge, Nüchternheitskultur, Kulturflatrate, fortgesetzte Konsumfaulheit …
Er fragte sich: Sind Acrylamid, Terrorismus, Feinstaub oder Fasching nur die Hebel, mit denen eine modern-gelangweilte Gesellschaft den jeweiligen Grad ihrer Erregung reguliert? Ist das Individuum eine Erfindung? Ist Liebe gefährlich? Seine manifestierten Lebensängste und Beziehungsphobien, die Vorstellung, auf ewig an die gleiche Frau gebunden zu sein, trieben ihn in eine Kette von Über- und Seitensprungshandlungen und sein Liebesleben bestand aus kaum mehr als Anmache und Abspritzen. Hunderte Abgöttinnen hatte er kennen und vergessen gelernt, alle ähnelten einander zu sehr. Alles, was ihm anfangs an einer Frau anregt, belebt, bewegt, verführt, erscheint ihm schnell langweilig, wird schal und verblüht. Lange bewahrte ihn sein unruhiger, scharfsinniger Geist, der sich im Leben immer in Abwehr befand, vor großen Leidenschaften. Keine Frau vermochte ihn lange zu fesseln, sein Herz in eine Liebe zu verstricken und ihn zu unterjochen. Wo sind die Devas? Wo sind die Taras? Wo ist die Sphinx? Wo ist Leela? Jedenfalls eines war klar: Glück ist Karma in Arbeitskleidung.
Nachdem seine Liebe mit den hellsichtigen Augen eines argwöhnischen und misstrauischen Mannes zwischen all diesen weiblichen Wesen lange umher geirrt war, stieß Herr Einparkinson mit einem postheroisches Gefühlsmanagement endlich die Wolken beiseite, traf die Frau fürs Leben und duschte erst mal ausgiebig den Staub vergangener Leben ab. Endlich den karmischen Quantensprung geschafft. Fehler in der Vergangenheit sind eben kein Argument für falsches Handeln in der Gegenwart. Jeder Fehler ist eine Wiedergeburt. Bis zum Trauungstermin am Nachmittag war noch etwas Zeit, und er fragte sich, ob es wohl der schönste Tag in seinem Leben wird? Ich werde jedenfalls pünktlich vor dem Altar stehen und „Ja“ sagen. Und diesmal nicht vor einem popligen Standesbeamten, sondern vor Gott. Und zwar so laut und deutlich, dass mich alle Gäste hören. Manchmal muss man Ja zur Dummheit sagen, damit beweist du deine eigene Intelligenz … Und bevor er sich endgültig für diese eine entschied, machte Herr Einparkinson mit frisch gefönter Krawatte melodischen Schrittes noch einen Abstecher in seinem Lieblingspuff für einen Abschiedsfick, wo schon der nächste Zufall lauerte ... Ich liebe sie ja wirklich. Im Grunde ist diese ganze Aktion auch in ihrem Interesse ... Die Reinheit der Frau ist ja eine Ansammlung positiver Männlichkeit und ruft diese wieder hervor.
Da wie immer nirgends ein Parkplatz zu finden war, parkte er seinen tiefer gelegten Manta direkt vor dem Etablissement im Halteverbot, es sollte ja das letzte Mal sein. Gott wird mir verzeihen, das ist ja schließlich sein Job … Als er nach sieben Minuten mit einer atemberaubenden Blondine – immens in ihren Proportionen - fertig war und vor die Tür trat, lief er direkt in seinen Vater, der gerade hinein wollte - zu erschrecken lohnte nicht - und der ihn sogleich anblaffte, als ob er die Elephantiasis hätte: „Ein Leben lang habe ich versucht, aus dir einen anständigen Deutschen zu machen, Bubi, und jetzt stellst du deine Karre einfach hier ins Halteverbot! Wenn das deine Mutter noch erlebt hätte!“ Derartige Sätze ernst zu nehmen und dabei nicht lauthals zu lachen, ist eine Kunst, die sich ohne eine klug durchdachte Geisteshaltung kaum meistern lässt. Mit dem Frust stieg auch so eine Art Hamlet-Druck in seinen Schädel und bevor Herr Einparkinson sich entschieden hatte, ob er „Scheiße“ oder „Schade“ meinte, hörte man ihn mit geriatrischen Gebärden eine Mischung von beidem brüllen.
Gleichzeitig wurde ihm bewusst, wie kompliziert es ist, archetypische Affekte und eigenes Aggressionspotential mit einem sozial verträglichen Verhalten kompatibel zu machen in einer Welt der gesmalltakten Halbheiten, in der man ins Leere hinein grüßt. Jede Gesellschaft hat schließlich ihre eigene Tradition, derartige Generationsübergreifende Konflikte zu händeln. Aber am peinlichsten empfand er, dass der Alte ihn hier in aller Öffentlichkeit Bubi genannt hatte, schon als Kind mochte er diesen Namen nicht. Und dass der Vater in seinem Alter noch immer in den Puff ging, war ebenfalls höchstpeinlich. Lasse Einparkinson begriff nichts, aber das war vielleicht auch nichts, was einer wie er, begreifen konnte, weil das Schicksal alle Macht besitzt, während die Willensanstrengung nur ein Vorwand ist ... Morgen würde es sich wohl herausstellen, dass dies alles nur ein Traum war, ein Irrtum, ein furchtbarer Irrtum … Vielleicht träumen wir alle uns gegenseitig … Und die Dinge, über die Herr Einparkinson schwieg, wurden mehr. Das Endzeitticken der fehl laufenden Weltuhr hatte Fuß gefasst, zerhackte die Wände des Denkens in Zeit und schreitet im bedeutungsschwangeren Rhythmus eines aus den Fugen gegangenen Paradieses unter die Menschen, während diese Sätze in deinem Kopf versickern
REALITÄTENWECHSEL
„Ich fahre zu gern mit der Eisenbahn,
und wenn man verheiratet ist,
bekommt man nie mehr einen Fensterplatz.“
Zooey in „Franny und Zooey“ von J.D. Salinger
Der seelisch verwilderte Slashy Coolmeyer wollte schon immer etwas Großes aus seinem Leben machen, doch er wusste nicht was. Er war sich aber sicher, wenn er überhaupt den geringsten Ehrgeiz hätte, wäre er schon längst irgendwo Präsident seines eigenen Imperiums oder sowas. Leider konnte er sich nicht mit den Forderungen nach Marktförmigkeit, Optimierungszwang und selbstausbeutender Leistungsbereitschaft identifizieren, wollte kein effizienter Automat sein, hatte nie Lust zu arbeiten in diesen postfaktischen Zeiten der Konsumentendemokratie, schon das pure Am-Leben-Sein war irrsinnig viel Arbeit, so anstrengend, dass er selten bereit war, sie zu leisten. Aber dann merkte er, dass das wiederum mehr Arbeit macht, als er dachte, weil seine Verweigerung der Verweigerung des Lebens an sich galt. Ein passives Einkommen durch Empfehlungsmarketing ohne Risiko wäre geil, oder ein Existenzgeld. Eigentlich hatte er ja auch einen existenzialistischen Fulltimejob als Berufseuropäer. Und so dachte er an einen Demotivationsberater, an einen Biografieberater - oder vielleicht einen Biografieurlaub. Jedenfalls an moralische Flexibilität und Glückskatastrophen, an Frustrationstoleranz, Eskapismusfutter, an Populärphilosophen, Starredner und Filterblasentheoretiker, an kapitalismuskritische Mystery und genderquotierte Raumfahrt, an globale Relationalität und Realitätsproduktion mit getuntem Realitätsgrad, an Gerechtigkeitsmaschinen mit angeschlossenem Weltbewusstsein, Mobbingkompetenz, Befriedungspolizei, Bösgläubigkeit mit rückwirkender Gesetzesänderung und Machtquotienten.
Aus dieser Unentschlossenheit heraus, die große Welt der Meinungsgesellschaft zu meiden, wo ernstliche Rivalitäten zu fürchten waren, hatte Slashy Coolmeyer sich lässig mit Odiprofanumvulgus-Attitude in verschiedenen Künsten und Illusionsberufen versucht, zwar niemals konsequent, aber das radikal - und lebte nun zwischen topdown Disziplin und Bottom-up-Verführungen in seinem eigenen kunstvollen Reich in immer dünner werdender Luft. Eigentlich unheilbar untauglich für das Alltagsleben. Tief im genetischen Urgrund des Betroffenheitskünstlers irrlichterte die diffuse Vorstellung einer authentischen Existenz und die lauernde Angst vor dem existenziellen Nichtwissen und die damit einhergehende Ohnmacht in den Griff zu bekommen. Er wusste: Das Verstehen ist eigentlich nur das arithmetische Mittel zwischen Wissen und Sein. Solange du denkst, ist keine Wahrheit da - nur Meinungen, Begriffe. Und er wusste auch, dass ein Gedanke das ganze Leben verändern kann, denn aus Gedanken steigen neue Wünsche auf und Wünsche führen zu Unzufriedenheit. Und große Wahrheiten sind nicht unbedingt Tatsachen, das Wesentliche ist auf wunderbare Weise unfassbar …
Der in flotten Sex vernarrte und verbal verrohte Slashy fragte sich, ob man eine Frau, mit der man zehn Jahre verheiratet ist, besser kennt, als eine, die man drei glückliche Wochen geliebt hat und er stellte sich die Frage, ob er wirklich als Ehepartner in der Hot-Dog-Idylle enden möchte. Er wollte nicht in diesem ewigen Reigen von Hochzeitsglocken, Trauzeugen-Stand-up, Liebesschwur und Scheidungsgetöse einsteigen, auch weil die Erfolgsquote von bummeligen 50 Prozent nicht gerade überzeugend daher kommt. Las-Vegas-Ehen sind die kürzesten. Eine Untersuchung hat auch gezeigt, dass verheiratete Frauen öfter psychisch krank sind als unverheiratete. Bei Männern jedoch ist es umgekehrt. Familienplanung hieß für Slashy: Nur keine Umstände machen. Bei Hochzeiten fängt man jedenfalls an, über sich selbst nachzudenken.
Wenn du nicht in einer Beziehung lebst, hast du keine Probleme? Slashy stand einfach nicht auf Heiraten, und wusste auch nicht, wofür das gut sein soll, außer um das hassen zu lernen. Optimismus ist doch meist nur ein Mangel an Information, hatte er gehört … Auf der Suche nach dem Ja, das er sich selbst nicht geben konnte, versuchte er die wahre Herzensstimme und ihre Vielzahl an Widerspiegelungen ausfindig zu machen. Lange fahndete er zwischen fleischigen Schenkeln und Brüsten nach der namenlosen Liebe und jagte die Perle der Weisheit, was jedoch immer wieder an seinen eigenen Aporien und der menschlichen Natur scheiterte. Das Leben spielte sein eigenes Spiel auf dem Aufmerksamkeitsmarkt. Doch nach diversen Bratkartoffelbeziehungen begegnete er im Fußgängerzonenrandgebiet jenseits des Internets endlich der Frau fürs Leben und kaufte sich einen Kamm …
Das ganze Drama des Lebens beinhaltet auch, dass man die Frau fürs Leben nicht nur einmal trifft. Maya war eine zerbrechliche Lilie aus weißem Kristall, mit einem Apfelsinenduft, sehr freundlichen Augen, erstaunten großen Augen, wie die von Kindern, wenn sie Märchen lesen - und Augenlidern, die der Mondsichel glichen. Auf den ersten Blick hielt Slashy sie sie für eine Heilige, beim zweiten sah sie aus wie ein gutes erfahrenes Mädchen mit gütigen Augen. Sie liebte ihr stets neuestes iPhone, sammelte Apps, surfte auf Algorithmen und war überzeugte Klimapatriotin. Sie lächelte rosig, wie eine, der es gerade so richtig gut besorgt wurde, aber es fiel ihm so gar nicht auf. Auch dass ihr Lippen viel zu rot angemalt waren, viel ihm nicht wirklich auf. Sie war eher wie etwas, das sein ganzes Leben auf den Punkt brachte. Die Freude eines tanzenden Universums senkte sich wie etwas Jenseitiges auf die Erde herab. Die Welt strahlte wie eine Braut.
Endlich stellte sich Slashys Lebensglück wieder auf Empfang, endlich wieder tierischen Spaß im Schlafzimmer, das Liebesstöhnen übertönte sogar das Knarren des Bettes - Glückskatastrophe eben … In wunderweißen Nächten waren alle Dinge Silber und so mancher Stern schimmerte so lind im goldenen Bett … Kreisen, schwingen und tasten, mal in fein abgestimmten Bewegungen, mal in kraftvollen … Ohne Hast, langsam, bedacht ... Stille. Einatmen, entspannen, ausatmen im magischen Orgientempel … Erstmals entwickelte sich wieder ein zutiefst beglückendes und zugleich sehr fragiles Gespür für eine neue Qualität von Liebe, die nicht nur aus dem Hunger wuchs … Unter einem glücklichen Himmel berührten sie etwas, was die Zeit überstieg und in der Ewigkeit aufgehoben war. „Du bist Hammer“, stöhnte er, „ich fick dich die Wand rauf!“ „Oh, ja, heirate mich“, ächzte sie in ihrem Schweiß. „Ja, aber nur wenn du gut blasen kannst.“ „Ich blas´ wie ein Weltmeister“, stöhnte sie und zeigte ihm ihre Kunst und bewies Einfühlenkönnen in die Welt des Mannes. Das war Himmel genug, Slashy wusste das sehr zu schätzen. Endlich mal keine Tugendtussi, sondern eine, der man nichts mehr beibringen musste, endlich eine, die weiß, wo es lang geht.
Heute Nachmittag sollte die Hochzeit sein. Naja, zum krönenden Abschluss dieses Lebensabschnitts genehmige ich mir noch ein Nümmerchen, dann werde ich ein treuer Ehemann und auf ganz neue Weise leben. Man sollte zwar Grundsätze haben, man sollte sie aber auch gelegentlich übertreten, wie gesagt: moralische Flexibilität. Der Pfad der Ausschweifung führt zum Palast der Weisheit. Ich glaube, wir haben eine große Zukunft vor uns. Überwältigt von der Überkapazität seines eigenen Seins, voll freudiger Festlichkeit im Innen und Außen, erfüllt von glückseliger Lebendigkeit, flanierte Slashy Coolmeyer also breitbeinig mit einer gewissen traumverlorenen Lässigkeit in das moralisch leicht ambivalente Etablissement God's Golden Edible Velvet Trousers, einer sehr nervösen parasozialen Zone mit herausfordernden mythologischen Figuren und entzückend schönen Geschöpfen.
Rotes Licht flackert in fenstrigen Augenlidern. Monumentale Mädchen mit betörenden Mienen, deren Megaboobs fast ihre Glitzerkleider sprengen, lächeln geflüsterte Worte und verschwiegene Grüße. Unzählige Augen von Zauberinnen und Königinnen edler Stämme beleuchten die Räume mit ihren Flammenblitzen. Bereits beim Abstieg in diese Unterwelt, dessen Tiefen voll geheimnisvoller Schatten und duftenden Busenausschnitten im rosigen Schimmer sich mit köstlichen Visionen füllen, macht Slashy so eine Art moralischer Fortbildungsexkursion und wünscht sich so viel Augen, wie der Himmel Sterne hat, um die glänzenden zur Schau gestellten Schönheiten und die lichten Farben all der Trösterinnen und Königinnen mit einmal zu überblicken, die sich dem Leben öffnen wie entblätterte Rosen und Liebe auch außerhalb der gesetzlichen Betten entstehen lassen.
Und als das rote Licht von den mit heißkalten Allegorien geschmückten Wänden, dem Boden und der Decke des himmlischen Absteigequartiers zurückgeworfen wird, irisiert es in brillanter Klarheit und allen Regenbogenfarben. Slashy hat das Gefühl, im Inneren eines Kristalls zu stehen, während ihn die Farben der Lipglossgirls mit funkelnden Augen umtanzen, mit antiken Gesten rauchend die Zipfel ihrer Kleider anhebend und um die Wette posend … Das Leben ist ein großer Wunsch. Wenn die Pumps sich erheben, um bedeutungsschwangere Räume zu durchschreiten und überirdische Umarmungen zu leuchten scheinen, schweben Männerherzen höher, um den sich einstellenden Assoziationen zu folgen. Die Weisheit der Welt wurde schließlich durch die Lust entdeckt. Also versucht Slashy sich durch zweckdienliche Reaktionen anzupassen und mit lässiger Würde zu genießen, lässt anonyme Blicke schweifen, fängt ebensolche unvollendeten Blicke auf - er weiß, dass das die erotische Spannung zwischen Menschen steigert - und probiert nichts weiter als ein Mensch zu sein. Geist unter dem Zeitgeist. Aus den Nischen hört er Sexgeräusche und spürt den liebkosenden Atem von unsichtbaren Frauen. Jetzt sieht er zwischen zwei großen, mit roten Samtvorhängen geschmückten Pfeilern, die den Himmel tragen, eine voll beleuchtete Frau mit einer prächtigen goldenen Mähne, wie in einem religiösen Traum! Whow!
Ist es die Unsterbliche, zur irdischen Liebesfreude der Sterblichen herabgestiegen? Wie eine Priesterin, die ein Opfer vorbereitet, steht sie strahlend, unwirklich und durchscheinend wie ein Phantom, halb mit dem Rücken zur Welt auf schwarzen Plateau-Stiefeln, die ihr bis in den Schritt reichen. Er spürt ihre Kristallwellen, als würde vor ihm die schwarze Sonne aufgehen und weiß instinktiv: Die isses! Der perfekte Abschiedsfick! Die Erregung schnürt ihm fast die Kehle zu. Diese Begierde nach der Wollust der Götter. Allerlei Bling-Bling ziert ihren makellosen Jadekörper an den Stellen, wo nicht nackte Haut Überhand gewinnt. Rot, blau, gelb blinkt es. Viele kleine dunkelorangefarbene Sonnen brechen aus ihr aus, werden dunkelgelb und Slashy wird es angenehm warm. Schon steht Slashy neben ihr, da wendet ihm der Schatten nur leicht den Blick zu, dreht sich Laisser-faire um - voll trifft ihn der schwarze Strahl ihrer Augen - es ist Maya!!! Seine Braut!!! Sie wippt mit ihren Brüsten, presst sie zusammen und lächelt das ewige, still ironische Lächeln eines seltsamen heiligen Tieres. Um ihn herum scheint sich ein Abgrund zu öffnen. Die Vision entschwindet, der ganze heidnische Olymp sieht plötzlich schrecklich nackt und blass aus und Slashy sieht mit steigendem Entsetzen Dinge, die er gar nicht sehen wollte - diese Schäbigkeit des Etablissements in seiner pompösen Erscheinungsform …
Einen Augenblick lang vergisst er die Namen der Dinge, die ihn umgeben, sieht nur die symbolischen Gestalten, die die Welt sind. Unendlich entfremdet durchfährt ihn ein Ruck von oben bis unten, sodass er sich Maya gegenüber ganz klein vorkommt, es ist, als wäre er auf wenige Zentimeter Größe zusammengeschrumpft. Oder der Raum scheint zu wachsen, alles scheint größer zu werden. Heiße Gedanken steigen in ihm auf, vor seinen Ohren saust es. Rote Hitzewellen schwappen über ihn und verdecken die weißen Punkte, die er grade noch gesehen zu haben meint. Gelbe Kreise, orangefarbene Dreiecke, ein bedrohliches Weiß und wieder der rote Hitzeschwall. Seine Augen zucken, eine entsetzliche Erregung krampft ihm das Herz zusammen, er atmet unregelmäßig. Maya sieht ihn an mit ihren großen Jettaugen voller Bilder, doch sie passen nicht in seinen Traum … Plötzlich gibt es nur noch riesige farbige Flecken mit ausgefransten Kanten, das Licht ist blendend weiß und flackert in nervös-nervigen Rhythmen … Hallo, hier spricht das Mysterium! Überflüssig sie zu fragen: Was machst du denn hier bei diesen Angebertypen? Sie schwingt die Hüften in langsam pulsierenden, orangefarbenen Kreisen, streckt die Zunge raus und bewegt schlangenartig ihre Spitze. Rosa Punkte und dunkelgrüne Strahlen von allen Seiten bilden einen Kreis auf Slashys gelb wogender Gehirnschale.
Die Nebennieren schütten Stresshormone, Adrenalin und Cortisol aus, das Herz schlägt immer schneller, Körper und Muskeln bereiten sich vor: Flucht oder Angriff? Doch das Nervensystem bleibt in der Übererregung in einem Erstarrungszustand hängen und kann nicht mehr entspannen. Slashy hört das parfümierte Parlando eines armes, unschuldiges Heavy Metall-Konzert mit sich emporschwingenden Sopranen und raunenden, bedeutsamen Stimmen aus dem Off, gepaart mit fragmentarischen, assoziativen Narrationen, so nahe dem bösen Herzen, wo sich Kindheitserinnerungen, philosophische Beobachtungen und Priesterratschläge mixen, er fühlt kalten Schweiß seine Stirn feuchten - und sucht seinen Karmadatenradiergummi. Maya lächelt ihn an und durch ihn hindurch. Sein Blick wird starr und starrer. Maya sieht sehr soigniert aus und ist liebenswürdig, ohne die geringste Verlegenheit zu zeigen. Sie streicht sich über die Hüften, ein violetter Farbschwall wischt alles weg und indem der pulsierende Tanz der rötlich blitzenden Strahlen direkt in seinem Gehirn auftaucht, versinkt Slashy in etwas Unergründlichem.
Maya fährt sich mit einer Hand zwischen die Beine, aus der Mitte platzt eine vaginalisierte fünfte Dimension aus der ein ungestümer, moschusartiger Geruch entströmt und Slashy kann zusehen, wie alle Konzepte, Ideen, Prinzipien und Träume in einer Fleischspalte in blauroten Tränen untergehen. Slashy ist nicht mehr seiner Meinung von sich selbst, er ist etwas, das er sich selbst nicht mehr beschreiben könnte. Irgendetwas nagt an seinem Verstand. Oh grausamer Spaß der Freiheit! Maya windet sich mit dem ganzen Körper, verschluckt alle Farben und schließlich löst sich die Maya, die er kennt in der flimmernder Weite der Fleischspalte auf, wie bei Phosphenen, jenen Lichterscheinungen, die man sieht, wenn man auf sein geschlossenes Auge drückt. Wer hier nicht zuckt, ist schon tot …
Wie betäubt, in fortwährender Angst vor all den zahllosen, stummen Zeugen, diesen leibhaftigen Messalinen, die ihn umgeben und mit dem Gefühl, diesen diabolischen Blicken des Augurenkollegiums allzu schutzlos ausgesetzt zu sein, sieht er sich in God's Golden Edible Velvet Trousers um, der Laden um ihn herum schwankt, wabert, wackelt und zittert Geleeartig. Ihm ist, als ob die schwarze Plastiktheke und die klebrigen Barhocker sich wie Gummi bewegen und drohend auf ihn zukommen. Irgendwie ist ihm das hier alles zu überfraut. Auch das Kichern einiger höllischer Hexen klingt plötzlich wie das Pfeifen von Ratten, denn das Schöne ist ja bekanntlich nur des Schrecklichen Anfang. Und Slashy weiß jetzt nicht, ob er diese dollybastischen Frauen hier, in recht ungezwungenem Deshabillé, die das Geld bei den Eiern packen um wunderliche Gelüste zu befriedigen und dabei so süß aussehen, emanzipiert oder teuflisch finden soll.
So steht Slashy da im zitternden Schweigen seiner unprofessionellen geistigen Haltung, zwischen grausamen Bräuten gefährlichsten Kalibers mit blutrünstigen Lippen, die nach seinem Blut lechzen, während ihm ent-sätzte Gedanken wie druckfrische Skandale und süßer Rauch entgegen strömen, ihn aufsaugen und als Teil ihrer Selbst wieder ausspucken. Die spitzen Stimmen verlieren sich dünn und grell in der verräucherten Luft des rosig flimmernden Raums. Slashy versucht im grotesken Tanz der Reflexe die Protektorate zwischen Licht und Schatten mit seinem leuchtenden Atem zu illuminieren, doch Gedanken sind wie Luftblasen, bei geringster Berührung zerplatzen sie. Und er hofft noch, dass dem Irrtum ein faszinierend notwendiger Fehler unterlaufen ist, damit alles von selbst in Ordnung kommt.
Nach dem kalten Entsetzen des ersten Augenblicks säuselt Maya professionell, mit einem Stimmchen voll ungesunder Süße, die Slashy die Haare zu Berge stehen lässt: „Französisch kostet extra.“ Dabei blickt das göttliche Biest weiter diesen Und du darfst mit mir machen, was ich will-Blick … Ihre Worte klingen wie aus weiter Ferne an sein Ohr.