Dante Walker - Seelenretter - Victoria Scott - E-Book

Dante Walker - Seelenretter E-Book

Victoria Scott

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Beschreibung

Sexy as hell!

Vom Seelensammler im Auftrag des Teufels zum Seelenretter. Von böse zu gut? Nicht mit Dante, zweite Chance hin oder her. Er ist einfach nicht zum Engel geboren. Auch wenn er Charlie zuliebe versucht, seine dunkle Seite hinter sich zu lassen. Sein erster Auftrag auf Seite der „Guten“ ist, die Seele der 17-jährigen Aspen zu retten. Doch die ist davon gar nicht überzeugt und erinnert ihn an sein altes Leben als Seelensammler. Eine echte Zwickmühle, denn er muss ja auch noch die Seele seiner großen Liebe Charlie retten …

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Seitenzahl: 532

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Foto: © Victoria Scott

DIE AUTORIN

Victoria Scott ist die Autorin der erfolgreichen Serie »Feuer & Flut« und der »Dante Walker«-Serie. Nach »Dante Walker – Seelensammler« kommt jetzt mit »Dante Walker – Seelenretter« der zweite Band ihrer wunderbar romantischen Serie um den attraktiven Dante und seinen Job als »Seelensammler« für den Teufel. Victoria Scott lebt mit ihrem Mann in Dallas, Texas.

Weitere Bücher der Autorin bei cbt:

Dante Walker – Seelensammler

Feuer & Flut

Salz & Stein

Mehr zu cbj/cbt auch auf Instagram @hey_reader

Victoria Scott

Dante Walker –Seelenretter

Aus dem Amerikanischenvon Michaela Link

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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© 2013 by Victoria Scott

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»The Liberator« bei Entangled Teen, LLC, New York

© 2017 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Michaela Link

Lektorat: Lars Schiele

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen

unter Verwendung des Originalmotivs von © Ryan Royce

jb · Herstellung: RN

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-17752-2V003

www.cbt-buecher.de

Für Mom, die mir die Magie der Bücher gezeigt hat.

Und für Dad, der mich gelehrt hat durchzuhalten.

» … und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern.«

Matthäus 13:50

Früher war ich ein Sammler. Ich habe für den Teufel persönlich gearbeitet. Falls du gesündigt hast, wenn ich in der Nähe war, hast du bei mir dafür bezahlt. Aber dann habe ich ein Mädchen kennengelernt. Sie war alles, was ich nicht war– gütig, ehrlich, tugendhaft. Und am Ende habe ich, obwohl es eigentlich mein Job gewesen wäre, ihre Seele in die Hölle zu zerren, alles geopfert, um sie vor Dämonen wie mir zu retten.

Heute heißt es, ich sei wiedergeboren. Dass ich eine zweite Chance als Befreier hätte. Aber ich will dir was verraten: Ich bin kein Engel. Ich war nie einer, und ich werde auch nie einer sein. Ich bin einfach böse, Baby. Vielleicht liegt es an meiner Erziehung, vielleicht an den üblen Erbanlagen.

Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass das Schlechtsein mir im tiefsten Grund meiner Seele gefällt. Peng!

Dante Walker

UNMORALISCH

Manch einer steigt durch Schuld, und mancher fällt durch Tugend.

William Shakespeare

1

Bin halt kein Engel

Echte Männer schlagen die Beine nicht übereinander. In einem Notfall, wenn man zum Beispiel sein Gemächt sortieren muss, kann ein Kerl den Knöchel aufs Knie legen. Aber das war’s auch schon. Es sollte nichts rumbaumeln. Man sollte nicht ein Bein schlapp über dem anderen liegen haben, und man sollte definitiv – definitiv – nicht mit dem baumelnden Fuß wippen.

Der Typ vor mir bricht diese Männerregel. Und noch ungefähr ein Dutzend andere.

Er trägt eine Brille mit schwarzem Gestell, die er garantiert nicht braucht, und einen Burberry-Schal, der genauso unecht ist wie er selbst. Schlimmer noch, er schlürft Champagner aus einem verflixten Sektglas.

Und er redet mit Charlie, meinem Mädchen.

Und bringt sie zum Lachen.

Die Musik der Party wummert und hallt von den Kellerwänden wider. Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin, und ganz bestimmt weiß ich nicht, wie Charlie mit diesem Heini, der seine Gefühle rauslassen kann, am anderen Ende des Raums gelandet ist. Ich hebe die Flasche an die Lippen und beobachte, wie der Kerl seine langen Beine auseinandernimmt und wieder übereinanderschlägt.

Wahrscheinlich bringt sein Tampon ihn um.

Ich weiß genau, warum dieser Typ Charlie auf die Pelle rückt. Sie ist wunderschön. Aber ich darf mich nicht beschweren. Schließlich habe ich ihr das angetan.

Vor einem Monat habe ich vom großen Boss, auch bekannt als Herr der Unterwelt, den Auftrag bekommen, Charlies Seele einzusammeln. Als echter Überflieger habe ich alle Register gezogen, um den Job zu erledigen. Warum auch nicht? Ich war schließlich ein Sammler aus der Hölle, und es stand eine dicke Beförderung auf dem Spiel. Also habe ich Charlie als Gegenleistung für ihre Seele etwas angeboten, dem sie nicht widerstehen konnte – Schönheit. Und das habe ich jetzt davon. Man kriegt, was man verdient.

Ein Mädchen stolziert langsam vorbei und sieht sich an mir satt. Ich weiß, Schmusemund. Ich bin verdammt heiß. Aber du versperrst mir die Sicht.

Ich verscheuche Stielauge mit einer lässigen Handbewegung. Sie verdreht die Augen und klackert auf billigen High Heels davon.

Als ich Charlie wieder sehen kann, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Der Mann, der seine innere Weiblichkeit entdeckt hat, hat den Arm um die Rückenlehne ihres Stuhls gelegt und lehnt sich viel zu weit zu ihr hin. Ich warte einen Moment, um zu sehen, wie Charlie reagiert. Sie lehnt sich ihm nicht entgegen, aber sie weicht auch nicht zurück.

Ich guck mir diese Scheiße nicht mehr an.

Ich versuche aufzustehen, aber ich taumele und falle sofort auf den Stuhl zurück. Oh Mann, denke ich, ich bin hackedicht. Ich halte mich fest und versuche noch einmal aufzustehen, diesmal mit Erfolg. Ein Typ neben mir streckt die Hand aus, und ich klatsche ab.

Dann überwinde ich den Abstand zwischen Charlie und mir. Sie schaut auf und hebt die Mundwinkel zu einem vorsichtigen Lächeln.

»Hey«, sagt Dumpfbacke. Er sieht mich an, als wäre ich derjenige, der stört.

»Oh, hey«, antworte ich. »Soll ich wiederkommen, wenn du mit meiner Freundin fertig bist?«

»Dante«, wirft Charlie ein, die spürt, dass ich kurz vorm Ausrasten bin.

Ich lege ihr die Hand auf die Schulter und drücke sie sanft, aber ich starre ihm dabei ins Gesicht.

Der Kerl sieht Charlie an, dann mich. »Entspann dich. Wir haben nichts getan.« Seine Worte sind unschuldig, aber er reckt das Kinn dermaßen arrogant vor, dass mir die Faust juckt.

»Natürlich nicht«, sage ich. »Warum holst du dir nicht was zu trinken?« Ich deute mit dem Kopf zum anderen Ende des Raumes. »Da drüben.«

Der Mann erhebt sich und baut sich vor mir auf, der Geruch seines Rasierwassers brennt mir in der Nase. Er stupst die schwarzrandige Brille an, und ich überlege, ob ich sie ihm abnehmen soll, da ich kaum noch geradeaus gucken kann.

Dumpfbacke schaut auf Charlie hinab und lächelt breit. »Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder, Charlie«, bemerkt er. »Wir haben viel gemeinsam.«

Ich reibe mir das Kinn, damit ich ihm seins nicht breche. Der alte Dämon in mir will ihm den Schädel dafür einschlagen, dass er Charlie auch nur angesehen hat, aber dann würde ich Krach mit ihr kriegen, und das will ich nicht riskieren. Nichts ist es wert, ihr wieder wehzutun.

Charlie steht auf und hakt mich unter. Ihre Lippen streifen mein Ohr, und ich bekomme eine Gänsehaut. »Vorsicht, Dante. Ich gehöre dir nicht.« Sie zieht sich ein wenig zurück und lächelt, obwohl ich sehe, dass sie immer noch ein bisschen sauer ist. Sie legt den Kopf schief. »Außerdem kannst du sie nicht alle umbringen.«

Ich schaue ihr in die blauen Augen. Sie strahlen und sind hellwach und ganz anders als meine, die bestimmt total blutunterlaufen sind. »Ich kann’s versuchen.« Ich umfasse mit beiden Händen ihr Gesicht und senke meinen Mund auf ihren.

Sie küsst mich für einen Moment, dann zuckt sie zurück. Sie legt die Hand vor den Mund. »Du hast geraucht.«

»Na und?«

»Ich dachte, du wolltest aufhören.« Sie schlingt die Arme um sich und ist viel zu weit weg.

»Warum sollte ich aufhören?«, frage ich. »Ich bin schon tot. Es schadet mir nicht.«

»Aber jetzt bist du ein Engel«, gibt sie zurück.

»Komm, hör auf«, sage ich, aber die goldene Fußfessel um meinen Knöchel erinnert mich daran, dass Charlie recht hat. Der Oberguru, auch bekannt als Herr des Himmels, hat mir noch eine Chance gegeben, nachdem ich gestorben war, als ich Charlie vor den Sammlern der Hölle gerettet habe. Er meinte, ich könne als Befreier des Teams Himmel nützlich sein, aber er irrt sich – denn ich bin kein Engel.

Ich schnappe mir eine Flasche Tequila vom Tisch und nehme einen Schluck, dann stößt eine Rotte betrunkener Mädels mit mir zusammen. Sofort läuft mir der Tequila in den Hals und das Hemd hinunter. Ich lasse die Flasche sinken und wische mir das dunkelrote Jackett ab.

»Verdammt noch mal«, knurre ich.

Charlie schüttelt den Kopf. Sie ist enttäuscht, dass ich mich nach meiner Wiedergeburt als Engel nicht in einen Goldjungen verwandelt habe. Aber ich kann es nicht ändern, denn tief in mir drin bin ich immer noch ein Dämon.

Sie zieht mir das Jackett aus und legt es sich über den Arm. Der Ausdruck in ihren Augen macht mich fertig. Er sagt, dass sie mich trotzdem akzeptiert. Obwohl ich mich nicht wie ein Engel benehme. »Wir sollten hier verschwinden«, bemerkt sie.

»Warum? Wegen diesem Kerl?«

»Nein, weil …«

»Weil du denkst, ich bin betrunken.« Ich nicke, als hätte ich den Nagel auf den Kopf getroffen. »Mädel, ich bin stocknüchtern.«

Charlie lacht und schüttelt den Kopf. Dann greift sie in meine Jackentasche, zieht die Schlüssel für Elizabeth Taylor, meinen liebesapfelroten Escalade, heraus und lässt sie vor meiner Nase baumeln. »Komm, ich fahre.«

Ich ziehe sie an mich und hauche ihr meinen heißen Atem über den Hals. »Du sagst, dass du mich nach Hause bringen willst?«

Sie lehnt sich an mich. »Ganz genau.«

»Dann nichts wie los«, brülle ich. »Bring mich nach Hause und mach mit mir, was du willst.«

Charlie zischt mich an, ich solle still sein, da sich schon die Leute umdrehen. Ich zeige ihnen meinen harten Stinkefinger und lasse mich von meinem Mädchen nach draußen ziehen.

»Einsteigen«, sagt sie und deutet auf Elizabeth Taylor.

Ich verbeuge mich, als sei sie meine Königin und ich ihr einfacher Diener. Dann steige ich auf den Beifahrersitz und drehe Rob Zombie auf volle Lautstärke. Charlie fährt zum Haus ihrer Großmutter. Ich schaue hinüber, als ich bemerke, dass sie nach den Skittles in ihrer Tasche greift, und stoße einen zufriedenen Seufzer darüber aus, dass manche Dinge sich nie ändern. Zum ersten Mal frage ich mich, ob es mit diesen viel zu harten, viel zu bunten Bonbons eine besondere Bewandtnis hat.

Sie biegt in die Einfahrt ein und stellt die Musik aus. Das zweistöckige weiße Haus ist mit roten und weißen Lichterketten geschmückt – aufgehängt von mir. Natürlich mit dem Hinweis, dass ich so was sonst eigentlich nicht tue. Oma macht das normalerweise selbst, hat es dieses Jahr aber nicht gepackt. Sie ist jetzt schon eine ganze Weile krank, und obwohl sie versucht hat, es vor Charlie zu verheimlichen, bin ich mir ziemlich sicher, dass ihr Adoptivkind genau weiß, was los ist, selbst wenn Charlie das nicht zugeben will.

»Möchtest du hierbleiben, während du ausnüchterst?«, fragt Charlie und nimmt meine Hand.

»Mädel, ich hab dir doch gesagt, ich bin …«

»Stocknüchtern.« Sie verdreht die Augen. »Na klar.«

Ich richte meine Fingerpistole auf sie und drücke ab. »Kluges Mädchen.«

Sie schüttelt den Kopf. »Betrunkener Junge.«

Ich springe aus Elizabeth Taylor und gehe auf das Haus zu. Dann beschließe ich, auf Händen und Knien zu kriechen, weil das bequemer ist. Ich lasse mich fallen und sage Charlie, dass sie sich auf meinen Rücken setzen und mich wie ein Pferd reiten soll.

Sie tut es, ohne zu zögern.

Ich bin sofort wieder scharf auf sie.

Vor dem Haus ihrer Großmutter hält Charlie inne. »Wir treffen uns in meinem Zimmer, okay?«

Ich stehe auf und salutiere wie ein Soldat. Da ich Angst habe, dass Oma mich erwischt, werfe ich mir meinen Schatten über – das ist meine Fähigkeit, mich dank der Fußfessel an meinem Knöchel unsichtbar zu machen. Dann gehe ich zu dem Gitter unter ihrem Fenster. Zweimal falle ich runter und lande im Gebüsch. Als ich endlich siegreich bin, schüttele ich meinen Schatten ab, und Charlie schiebt das Fenster hoch, damit ich hineinkriechen kann.

Ihr Bett ist ein Leuchtturm für meine betrunkenen Knochen, und ich stolpere darauf zu und breche zusammen. Charlie setzt sich neben mich und streicht mir das Haar aus der Stirn. Sie beugt sich vor und bläst mir kühl über den Hals. Binnen Sekunden steht mein ganzer Körper in Flammen. Ich stemme mich hoch und sehe sie an.

Es sind sechs Wochen vergangen, seit die Hölle Charlie Cooper ins Visier genommen hat. Fünf Wochen, seit ich ihre Seele eingesammelt habe. Selbst jetzt trage ich sie bei mir. Ich hebe die Hand an die Brust und erinnere mich. Charlie legt ihre Hand um meine und schließt die Augen. Vermutlich denkt sie auch daran. Ich frage mich, ob sie das Gleiche wie ich empfindet, was ihre Seele betrifft. Dass sie sich irgendwie seltsam anfühlt. Ich sage mir, dass es daran liegt, dass sie es ist; es ist ihr bestimmt, Großes zu tun, natürlich muss ihre Seele sich anders anfühlen. Aber manchmal bin ich mir da nicht so sicher.

Es ist schwer, das zuzugeben, denn mit das Angesehenste an meinem alten Job als Sammler war das Wissen, wann man eine Seele in sich aufgenommen und wann man sie erfolgreich in der Hölle eingelagert hatte. Eine Seele in der Brust fühlt sich nicht wie ein Ziegelstein an, ganz im Gegenteil. Eine Seele ist federleicht, und zwei Seelen unterscheiden sich manchmal nur auf so subtile Weise, dass es regelrecht verwirrend ist. Aber Sammler sind stolz darauf, eine Seele in ihrem Körper zu spüren. Es ist wie bei einem Chirurgen, der den Schnitt an der richtigen Stelle macht, ohne die Verletzung zu sehen. Das Gefühl, dieses Wissen ist nicht greifbar, aber es ist trotzdem da.

Doch bei all den Seelen, die ich in mir getragen habe, all den Unterschieden, die ich gespürt habe – so etwas habe ich noch nie erlebt.

Ich frage mich oft, warum ich ihre Seele nicht einfach in ihren Körper zurückgeben kann, aber Valerie sagt, das sei unsicher. Dass sie beim Oberguru gelagert werden müsse, wo sie unerreichbar sei. Mir ist immer noch schleierhaft, warum wir das nicht sofort tun.

Als ich Charlie beobachte, stockt mir der Atem. Ihr blondes Haar fällt ihr in Wellen über die Schultern, und ihre Haut strahlt, wie man es nur bei Menschen sieht, die glücklich sind. Eines Tages wird dieses Mädchen die Welt retten. Ihre Barmherzigkeit und ihre Arbeit werden Trelvator hervorbringen: hundert Jahre Frieden. Aber jetzt, allein in diesem Zimmer, gehört sie mir.

Ich küsse ihre geschlossenen Lider, und als sie die Augen aufschlägt, kommen zwei blaue Edelsteine zum Vorschein. Ich umfasse ihre Lippen mit meinen, lasse die Zunge in die Wärme gleiten. Ich spüre, wie ihr Körper auf meine Berührung reagiert. Bevor sie protestieren kann, lege ich ihr die Arme um die Taille und ziehe sie in einer fließenden Bewegung unter mich.

Ich spreize ihre Schenkel mit dem Knie und lasse mich hinab. Der Blick dieser blauen Augen ruht auf meinem Gesicht, und ich sehe, wie sich ihr Puls an ihrem Hals beschleunigt. Ich drücke die Lippen auf diese Stelle und höre Charlie geräuschvoll ausatmen.

»Charlie«, flüstere ich.

Sie reagiert, indem sie mir mit den Fingern durchs Haar fährt und mich näher heranzieht. Ihre Finger gleiten mir den Rücken hinauf und hinunter, als zeichne sie die Linien meines Drachen-Tattoos nach.

Ich küsse sie und verliere den verflixten Verstand. Ich sehne mich danach, ihr näher zu sein, ihr zu zeigen, wie nah wir einander sein können. Aber ich will auch, dass es für Charlie perfekt ist, denn wenn jemand ein perfektes erstes Mal verdient, dann sie.

»Dante«, murmelt sie leise, aber ich weiß bereits Bescheid. Sie ist noch nicht so weit, und ich mache ihr keinen Vorwurf. Ich war in den letzten Wochen nicht gerade der ideale Freund.

Ich will mich erheben, warte aber noch. Ich kann es mir nicht verkneifen, sie noch ein letztes Mal zu küssen. Also drücke ich meinen Mund auf ihren, greife nach unten, ziehe ihre Schenkel hoch und reibe mich an ihr. Sie stöhnt, und das Geräusch berührt meine Lippen und erregt mich. Ich denke gerade ernsthaft über meinen früheren Entschluss nach, Geduld zu haben – als es laut durchs Haus kracht.

Charlie packt mich am Ellbogen, und wir lauschen.

Da ist es wieder, lauter diesmal.

»Die Tür«, sagt Charlie. »Es ist jemand an der Tür.«

Ich rolle mich auf die Seite, und Charlie springt vom Bett und verlässt den Raum. Ich folge ihr und sehe, wie sie die Treppe hinunterpoltert. Als sie die Hand nach dem Türknauf ausstreckt, schreit mein Verstand.

»Warte«, brülle ich im Flüsterton. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Sammler sich nicht die Mühe machen würden anzuklopfen, bin ich trotzdem besorgt, dass jemand nach Mitternacht draußen vor ihrem Haus steht. Ich jogge die Treppe hinunter und ziehe Charlie hinter mich. Erst dann öffne ich die Tür.

Wie ein roter Blitz dreht eine Frau sich zu mir um.

Valerie.

Der Feuerkopf um die zwanzig mit dem leuchtend roten Haar ist eine Befreierin. Sie hat mir geholfen, Charlie vor Rector zu retten, dem Oberhaupt der Sammler, aber sie würde mich eher kastrieren, als zuzugeben, dass wir Freunde sind.

»Hattest du nicht gesagt, dass du mit Max Urlaub machst?«, bemerke ich.

»Verschoben.« Valerie will ins Haus gehen, aber ich halte sie am Handgelenk fest.

»Nein«, sage ich mit Blick nach oben, wo Oma schläft. »Wenn du reden willst, lass uns rausgehen.«

Sie zieht ihre schlanken Schultern hoch und tritt mir mit elegantem Hüftschwung aus dem Weg. Als Charlie uns folgen will, hebt Valerie die Hand. »Ich muss allein mit Dante sprechen, Schätzchen.«

Ich lege den Arm um Charlie und ziehe sie an mich. »Alles, was du mir zu sagen hast, kannst du auch ihr sagen.«

Valerie sieht mich lange an. »Na schön.«

Sie greift in ihre Handtasche und nimmt einen länglichen weißen Umschlag heraus.

»Oh, Hölle, nein«, murmele ich, als mir ein Schauer über den Rücken jagt. »Nimm diesen Mist weg.«

»Was hast du denn gedacht? Dass Er wegsieht, während du dir den Arsch abfeierst?« Valerie knallt mir den Umschlag vor die Brust. »Du hast noch keine einzige Seele für den Himmel gesiegelt, Dante. Du hast praktisch um einen Auftrag gebettelt.«

Ich kann förmlich spüren, wie Charlies Miene sich aufhellt. Sie hat um etwas gebetet, das mich aus meiner Sündenspirale herauszieht. Und jetzt ist ihr Wunsch erfüllt worden.

Ich winde mich und weiche vor dem Umschlag zurück, als hätte er Scheidenpilz. »Sag dem Oberguru, dass ich gerade nicht kann.«

»Es gehört noch eine Nachricht von Ihm dazu.« Valerie sieht Charlie an, dann wieder mich. »Du bist auf Probe.«

»Auf Probe?«, wiederhole ich lachend. »Ooh, jetzt habe ich aber Angst.«

Die habe ich wirklich. Schreckliche Angst. Denn ich bin zwar ein harter Typ, aber er ist … ihr wisst schon … Gott.

»Du hast zwei Möglichkeiten«, fährt Valerie fort und ignoriert meinen Spott. »Entweder übernimmst du diesen Auftrag, oder du gibst deine Fußfessel ab.«

Ich balle die Hände zu Fäusten. »Wow, das ist aber großzügig. Ich kann also nach Seiner Pfeife tanzen, oder ich kann endgültig sterben? Echt nett.«

Valerie zuckt mit den Achseln. »Du hast Ihm keine große Wahl gelassen.« Sie hält mir den Umschlag wieder hin, und diesmal nehme ich ihn entgegen. Ich bin so betrunken, dass ich mir vorstelle, er verbrenne mir die Hand. Vielleicht tut er das ja auch. Wer weiß?

»Schöne Grüße von Max«, sagt Valerie, bevor sie zu ihrem Auto geht.

Charlies Augen sind vor Überraschung rund. Wir wussten beide, dass ich jetzt für den Oberguru arbeite, aber darauf war keiner von uns vorbereitet. Sie erholt sich schnell, stellt sich auf die Zehenspitzen und drückt mir die Lippen an den Hals. »Das wird toll, du wirst schon sehen«, sagt sie. »Komm wieder rein, wenn du so weit bist.« Sie küsst ihre Fingerspitzen und drückt sie mir auf die Lippen. Dann geht sie ins Haus und schließt die Tür hinter sich.

Ich blicke auf den Umschlag in meiner Hand. Minutenlang stehe ich einfach nur da, betrunken, taumelnd und voller Panik, was wohl in dem Brief steht. Dann erwache ich mit einem Ruck aus meiner Trance und reiße mich zusammen. Wie schlimm kann es schon sein?

Ich reiße den Umschlag auf, ziehe das Schreiben heraus und beginne zu lesen.

Und dann lache ich.

Denn eher fahre ich zur Hölle als ins arschkalte Denver, um ein Mädchen namens Aspen zu befreien.

2

Sumo-Ringer

Valerie steigt gerade in ihren Wagen, einen schwarzen Mercedes S500, als ich bemerke, dass sich noch etwas in dem Umschlag befindet. Ich greife hinein und ziehe zwei kleine gebogene Elfenbeindinger heraus, die wie Hörner aussehen. Eins ist etwas größer als das andere, und beide verwirren mich völlig.

Ich rufe Valerie zu: »Hey, Red.«

Sie dreht sich um, sieht mich an und macht ein Gesicht, als frage sie mich, was ich wolle, und verfluche gleichzeitig meine Existenz.

»Was ist das?« Ich halte die Hörner hoch.

»Woher soll ich das wissen?« Sie zuckt mit den Achseln. Doch anstatt sich in den Wagen fallen zu lassen, hält sie inne und schaut über die Motorhaube zu mir herüber. Ihr Blick wird sanfter. »Sie sind von deinem Vater.«

Valerie steigt ein, lässt den Mercedes an und fährt davon. Ich habe weitere Fragen an sie, Fragen, die sie schon seit Wochen ignoriert. Aber im Moment scheinen sie nicht so wichtig zu sein. Nicht, wenn ich auf die Hörner in meiner Hand starre. Von meinem Vater, hat sie gesagt. Meinem Vater, der Minuten vor mir bei einem Autounfall gestorben ist. Und den ich seitdem nur ein einziges Mal gesehen habe.

Als ich an ihn denke, fühlt sich meine Brust an, als stünde sie in Flammen. Er hat mir diese beiden halbmondförmigen Dinger gegeben, und ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie sind. Die Tatsache, dass er mir überhaupt etwas hinterlassen hat, haut mich um. Es ist, als würde er zeigen, dass er mich liebt. Der Gedanke an meinen Dad erinnert mich auch an meine Mom – daran, dass Rector mit ihr ausgegangen ist, um mehr über mich zu erfahren und um mir zu zeigen, dass er den Menschen, an denen mir etwas liegt, zu nahe kommen kann. Mein Dad hat mir gesagt, er habe dieses Problem im Keim erstickt. Ich bin mir nicht sicher, wie er das angestellt hat, aber wenn ich eins weiß, dann das: Dad wird dafür sorgen, dass dieses Arschloch nie wieder in ihre Nähe kommt. Game over.

Über mir höre ich ein Klopfen. Als ich hochschaue, sehe ich Charlie im Fenster stehen, ihre schmale Gestalt vom Schein einer Lampe eingerahmt. Ich lasse die beiden Elfenbeinhörner in die Tasche gleiten. Mein einziger Wunsch ist es, Charlie Cooper zu beschützen, denn auch wenn Sammler ihre Seele geholt haben, heißt das nicht, dass die gleichen Leute nicht wiederkommen, um sich auch noch ihren Körper zu holen. Doch es scheint unmöglich, sie zu beschützen, wenn mir keiner sagen will, was zum Teufel los ist.

Ich verstehe nicht, warum ich Charlies Seele nicht sofort im Himmel abliefern kann.

Und ich verstehe wirklich nicht, warum Valerie sich jedes Mal, wenn ich sie danach frage, benimmt, als hätte ich ihr gerade gesagt, dass ich es mit ihrer Mutter treibe. Als sei ich der Mistkerl, weil ich Fragen stelle.

Charlie winkt aus ihrem Fenster, und ich hebe die Hand. Sie bedeutet mir, hinaufzukommen, und ich möchte nichts lieber als das. Also schiebe ich meine Fragen fürs Erste beiseite und mache mich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Sie sitzt auf dem Bett, und trotz der Gedanken, die mir den Kopf verstopfen, reagiert mein Körper auf ihren Anblick. Sie trägt dieses weiße Spitzenteil, das Mädels sonst nur in Filmen tragen, und sie sieht so unschuldig aus, dass ich schreien könnte. Ich will dieses Mädchen vor dem Bösen auf der Welt beschützen, aber gleichzeitig will ich alle möglichen bösen Dinge mit ihr anstellen. Möglichst in dem Bett, auf dem sie sitzt. Oder auf dem Fußboden. Ich bin da nicht wählerisch.

»Wirst du es tun?«, fragt sie und zieht sich ihr blondes Haar über die Schulter.

»Über dich herfallen? Ja.«

Sie lächelt, senkt jedoch den Blick. »Du weißt, was ich meine.«

Ich setze mich neben sie und kämpfe gegen den Impuls an, ihr dieses sahnesüße Nachthemd vom Leib zu reißen. »Ich will nicht darüber nachdenken.«

Ich sehe sie an, und sie hält meinem Blick stand. Ich erwarte, dass sie sagt, ich müsse es tun. Dass ich eigentlich keine Wahl hätte. Aber stattdessen sagt sie nur: »Dann lass es. Geh einfach ins Bett.« Ihr Grinsen wird breiter. »Mit mir.«

Meine Augenbrauen schießen in die Höhe.

Sie lacht. »Das habe ich nicht gemeint.«

Aber es ist zu spät. Ich nehme sie in die Arme und bedecke ihren Körper mit meinem. Bevor ich die Lippen auf ihren Mund presse, halte ich inne und schaue sie an. Schaue sie wirklich an. Mit den Daumen streiche ich ihr das Haar von den Wangen. Dann lasse ich den Blick über ihr Gesicht wandern, ihren Hals, ihre zarten Schultern. Sie sieht aus wie eine Puppe. Und obwohl sie jetzt makellos ist, erinnere ich mich noch daran, wie sie früher war – an ihre dicke Brille, ihr schiefes Lächeln, ihre Wangen, die knallrot wurden, wenn sie aufgeregt war. Es ist lächerlich, aber manchmal vermisse ich das.

Ich beuge mich vor und küsse die Stelle zwischen ihren Schlüsselbeinen. Dann streiche ich mit den Lippen über ihren Hals und auf ihr Ohr zu.

»Dante«, flüstert sie. Ich höre sofort auf, weil ich bereits weiß, was sie braucht.

Als ich den Kopf hebe, sehe ich, dass ich recht habe. Sie hat Tränen in den Augen, und ich verliere fast den Verstand, als ihr eine davon übers Gesicht läuft und auf das Kissen tropft. »Ist schon gut«, murmele ich sanft. Ich schiebe mich hinter sie und lege ihr die Arme um die Taille. Dann ziehe ich sie an mich und lasse sie weinen.

Ich lasse sie um ihren Freund Blue trauern, der durch die Hand eines Sammlers gestorben ist.

So geht es Charlie in vielen Nächten. Tagsüber ist alles in Ordnung, aber sobald sie sich im Bett zusammenrollt und Zeit zum Nachdenken hat, findet Blue einen Weg in ihren Kopf. Dass Annabelle, ihre verbleibende beste Freundin, von ihren Eltern Stubenarrest bekommen hat, macht es vermutlich nicht besser.

Charlie muss immer weinen, wenn sie Valerie getroffen hat. Nicht dass wir in letzter Zeit allzu viel von ihr zu sehen bekommen hätten. Aber wenn wir alle zusammen sind, ist es schwer, nicht daran zu denken, wer in jener Nacht noch bei uns war.

Und in Wahrheit trauere ich ebenfalls um Blue. Ich habe den Jungen nie wirklich gemocht … bis zum Schluss. Bis mir klar wurde, dass er ein verdammter Clark Kent war, ein Superman in Alltagskleidung, der für Charlie sein Leben riskieren würde.

In diesem Moment habe ich begriffen, dass wir beide genau das Gleiche wollten – Charlies Glück.

Als ich die Augen öffne, versucht die Sonne, mich zu ermorden. Sie scheint mir ins Gesicht und lässt meinen Kopf dröhnen. Vielleicht ist es auch mein Kater, der mir diese Kopfschmerzen bereitet, aber die Sonne und ich sind trotzdem keine Freunde.

»Hmmm …«, murmelt Charlie neben mir. Meine Arme sind noch um ihre Taille geschlungen, und mir wird plötzlich klar, dass ich letzte Nacht in ihrem Bett eingeschlafen sein muss. Wenn Oma aufwacht und mich hier findet, lässt sie mir ein Bad ein und schmeißt den Toaster hinterher.

»Morgen, Süße«, sage ich, so leise ich kann.

»Morgen, du heißer Typ«, erklingt eine eindeutig männliche Stimme hinter mir.

Ich wirbele mit rasendem Herzen herum und sehe auf der anderen Seite des Raumes Max auf einem Stuhl sitzen. »Du siehst so heiß aus, wenn du wach wirst.« Er greift sich ins Haar. »Deine Haare sind dann so sexy vom Schlaf zerwühlt.«

Charlie rührt sich nicht von der Stelle, aber ich spüre, wie sie lacht. »Dein Freund ist irgendwie unheimlich, Dante«, bringt sie heraus.

»Max, was zum Teufel machst du hier?«, frage ich und ziehe die Decken weiter hoch, obwohl ich – leider – vollständig angezogen bin.

»Die eigentliche Frage lautet, warum habe ich so lange gewartet, bei euch mitzumischen?«, antwortet er und erhebt sich von seinem Stuhl. Ein schelmisches Lächeln kriecht ihm übers Gesicht.

»Nein«, sage ich und versuche, so ernsthaft wie möglich zu gucken. »Untersteh dich, Alter.«

Max beginnt auf der Stelle zu laufen, und sein Lächeln wird breiter, bis er aussieht wie ein Geisteskranker. »Los geht’s!« Bevor ich ihn aufhalten kann, rennt Max auf das Bett zu und springt auf uns drauf. »Oh! Oh, es fühlt sich sogar noch besser an, als ich gedacht habe.« Er rollt sich auf uns hin und her, während Charlie lacht und ich mich frage, warum ich mit einem solchen Vollidioten befreundet bin.

Ich packe Max mit ganzer Kraft am Hemd und rolle ihn über die Bettkante. Er fällt mit rudernden Armen aus dem Bett. Ein lauter dumpfer Aufprall, dann nichts mehr.

Ich warte mehrere Sekunden, bevor ich mich über den Bettrand beuge, um nach ihm zu sehen. Max liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, die Arme und Beine angewinkelt wie eine tote Spinne. »Du bist nicht wirklich verletzt«, bemerke ich.

»Ich glaube … ich glaube, wegen dir habe ich jetzt Spina bifida. Du musst jemanden anrufen.«

»Das ist eine Erbkrankheit«, seufze ich und werfe mich zurück auf mein Kissen. Eine Sekunde später hebt er ganz, ganz langsam den Kopf über die Bettkante. Das ist eins der beunruhigendsten Dinge, die er je getan hat. »Max, gibt es einen bestimmten Grund für diesen Besuch?«, frage ich. Ich würde furchtbar gern so tun, als würde er mich ärgern, aber er weiß und ich weiß, dass wir beide dieses Spiel lieben: das Spiel, in dem ich so tue, als sei er eine Nervensäge, und er so tut, als sei er ein verdammter Zirkusclown.

Er steht auf und lässt sich wieder auf den Stuhl fallen. »Valerie hat mich geschickt.«

Ich werfe mir den Arm über die Augen. »Natürlich.« Neben mir macht Charlie Anstalten aufzustehen, und ich strecke sofort die Hand nach ihr aus. Sie kreischt und windet sich aus meinem Griff.

Ich beobachte, wie sie um das Bett herumgeht und Max das Haar zerzaust. Max hechelt wie ein Hund. Es ist ein bisschen verstörend, denn er ist achtundzwanzig und Charlie siebzehn. Sie grinst mich an. »Ich mache Waffeln.«

Meine Miene hellt sich auf.

»Ja«, fährt sie fort. »Und Speck.«

Ich sehe Max an und nicke in Charlies Richtung. »Das ist mein Mädchen.«

»Ganz genau«, stimmt er mir zu.

»Aber an deinem Geburtstag mache trotzdem ich das Frühstück«, rufe ich Charlie nach. Dann sehe ich Max an und füge hinzu: »Charlie wird bald volljährig.«

Charlie bleibt an der Tür stehen und deutet auf eine andere Tür gegenüber, auf das Zimmer, in dem ihre kranke Adoptivmutter oder Oma, wie wir sie nennen, schläft. Sie hebt den Finger an die Lippen, und ich nicke verstehend. Weckt sie nicht auf, sagt Charlie. Aber als sie fortgeht, frage ich mich, ob sie weiß, wie krank Oma wirklich ist. Charlie ist nicht dumm, und ich denke, sie weiß, dass etwas nicht stimmt. Aber ich habe immer noch keine Ahnung, ob sie die ganze Wahrheit versteht: dass Oma sich nicht mehr erholen wird. Es gibt Tage, an denen ich es ihr sagen möchte, aber Oma hatte lange vor mir eine Beziehung zu Charlie. Und ich versuche, das zu respektieren. Außerdem hat Charlie ihrer Oma noch nicht offengelegt, wer ich bin. Vielleicht sind Geheimnisse zwischen ihnen üblich.

Max lehnt sich auf dem Stuhl zurück und verschränkt die Hände hinterm Kopf. »Also, Alter. Wir müssen über diesen Auftrag reden.«

»Lass uns lieber darüber reden, warum du nicht in die Flitterwochen gefahren bist«, sage ich. »Du hast sie verschoben? Du, der du seit deinem elften Lebensjahr davon träumst, eine Frau auf eine einsame Insel zu locken?«

Max saugt scharf die Luft ein und wendet den Blick ab. Seine Augen werden schmal, als leide er Schmerzen, aber dann dreht er sich mit einem schnellen Lächeln wieder um. »Wir haben beschlossen, doch noch eine große Hochzeit zu feiern und Schluss mit diesem ›in aller Stille‹ zu machen. Danach fahren wir in die Flitterwochen.«

»Guter Mann«, erwidere ich. »Es gehört sich nicht, keine Party für die Freunde zu schmeißen, wenn die Gelegenheit sich bietet.«

»Wo wir gerade von Partys sprechen …« Max legt die Unterarme auf die Knie und beugt sich vor. »Ich habe gehört, du hast in letzter Zeit ziemlich gefeiert.«

»Willst du mir jetzt auch noch Stress machen?«, frage ich.

»Ernsthaft, D. Du weißt, du bist mein Kumpel, aber übertreib’s nicht mit dem Scheiß. Ich weiß, dass du im Herzen ein Dämon bist; das weiß jeder. Du brauchst es nicht zu beweisen, okay?«

Ich schaue ihn mit zusammengepressten Lippen an. Mir ist klar, dass er nur mein Bestes will, aber er hat keine Ahnung, was in meinem Kopf vor sich geht. Dass ich das Gefühl habe, als würde ich nirgendwo mehr hingehören. Ich bin kein Dämon, und ich bin ganz sicher kein Engel, obwohl der Oberguru mir eine Befreierfessel um den Knöchel geschnallt hat. Ich habe noch nie sauber gelebt, und jetzt soll ich nach Denver fliegen und irgendeinem Mädchen beibringen, wie man ein reines Leben führt, und Stück für Stück so ganz nebenbei ihre Seele für den Himmel befreien? Macht mal halblang. »Ich tue, was ich tue, Max.«

»Ich hasse dich.« Max richtet sich auf dem Stuhl auf. »Aber ich liebe dich auch. Auf rein sexuelle Art.«

»Solltest du überhaupt hier sein?« Ich ignoriere seine letzte Bemerkung.

Er zuckt mit einer Schulter. »Du hast genug von Leuten, die deine freien Abende hinterfragen, ich habe genug von Leuten, die meine Anwesenheit hinterfragen.«

»Der Unterschied ist«, entgegne ich, »dass ich nicht Gefahr laufe, dass die Sammler uns finden.«

Max zuckt zusammen, als hätte ich ihn geschlagen, aber es ist die Wahrheit. Die Sammlerkette, die er trägt, könnte die anderen Sammler, Rector eingeschlossen, direkt zu unserer Haustür führen. Nicht dass es eine Rolle spielen würde. Meine Fußfessel sendet selbst genug Signale aus. Und sie wissen eh, wo wir zu finden sind. Ich habe versucht, Charlie zu überreden, unterzutauchen, aber sie hat sich geweigert wegzugehen, nachdem die Sammler, mich selbst eingeschlossen, in Peachville eingefallen sind. Vor all dem hat sie in diesem großen weißen Haus gelebt, und jetzt lebt sie immer noch hier. Ihre Worte, nicht meine. Ich vermute, es ist wegen Oma. Weil sie ihren Vormund nicht bitten will, umzuziehen.

Es ist eigenartig, dass Befreier und Sammler sich jetzt aktiv bekämpfen. Bevor ich Valerie begegnet bin, wusste ich nicht einmal, dass es Befreier gibt. Aber nach dieser Nacht im Wald, in der Rector Charlies Seele gestohlen hat, war die Grenze gezogen. Jetzt stehen wir auf verschiedenen Seiten. Die Befreier wollen Charlies Körper beschützen, damit sie uns in einen hundertjährigen Frieden führen kann, und die Sammler wollen … irgendwas, was wir noch nicht wissen.

Mir wird klar, dass es keinen Grund gibt, Max das Gefühl zu geben, dass er etwas falsch macht. »Hör mal. Wenn sie zurückkehren würden, hätten sie es längst getan. Sie wissen, dass sie verloren haben. Ich habe Charlies Seele gesammelt, und Rector wäre so sicher hinter mir her wie der Teufel hinter der armen Seele, wenn er nicht Blue getötet hätte. Weil es den Sammlern aber nicht gestattet ist, Menschen zu verletzen, halten sie wahrscheinlich den Ball flach, um keinen Krieg mit dem Oberguru anzuzetteln. Daher ist bei uns erst mal alles gut. Und bei dir auch.«

»Wir müssen über die Bezeichnung ›großer Boss‹ reden«, bemerkt Max. »Muss gründlich überarbeitet werden, findest du nicht? Schließlich ist er ja eigentlich nicht mehr unser Boss.«

Ich reibe mir das Kinn und spüre Bartstoppeln. Es erstaunt mich immer noch, dass ich zu so was wie Bartwuchs fähig bin, obwohl ich streng genommen tot bin. »Ex-Boss?«, schlage ich vor.

»Lahm«, antwortet Max. »Der Aufseher?«

Ich stoße ein scharfes Lachen aus. »Nicht schlecht. Er ist ein Unterdrücker.« Ich reibe die Hände und denke angestrengt nach. »Ich hab’s.«

»Gib’s mir«, sagt Max. Ein aufgeregtes Leuchten geht über sein Gesicht.

»Lucille. Es klingt wie Luzifer, aber mit einem Hauch Weiblichkeit.«

Ich erwarte, dass Max lacht, aber das tut er nicht. Stattdessen wird er sehr ernst und rutscht an die Stuhlkante. »Dante?«

»Ja?«

»Wenn ich dir sagen würde, Lucille sei ein Flittchen, würdest du mir glauben?«

»Ja.«

Max lacht und will etwas hinzufügen, aber ich hebe die Hand, um ihn abzuwürgen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich recht habe, bis ich die Nase in die Luft halte und schnuppere. Dann schließe ich verzückt die Augen. Speck. »Es ist fertig.« Als ich die Augen öffne, sehe ich, dass Max anscheinend bereit ist, von seinem Stuhl aufzuspringen. »Wehe.«

Er zuckt, als würde er mir ein Wettrennen die Treppe runter liefern. Oder sich auf mich stürzen. Ich bin mir nicht sicher, was davon, aber ich bin auf beides gefasst. Ich schnippe mit dem Finger, nur um ihn zu ärgern, und er springt auf.

Auf mich. Er stürmt eindeutig auf mich zu.

Wir verschränken die Arme wie Sumo-Ringer und ächzen wie die Schweine, um die wir kämpfen.

»Es gibt … wahrscheinlich genug … für uns beide«, presst Max knurrend hervor.

Ich werfe mich mit vollem Gewicht gegen ihn, wohl wissend, dass er diesen lächerlichen Kampf nicht gewinnen wird. Und es ist ein Kampf. Denn für knusprigen, fettigen Speck würde ich alles tun. »Dann hör auf, mit mir zu kämpfen … du … Spinner.«

»Okay«, sagt Max lässig, und gleichzeitig tritt er zur Seite und stürmt auf die Treppe zu.

Mein Schwung lässt mich nach vorn fallen und ich schlage auf dem Boden auf. Dann laufe ich hinter ihm her. Ich glaube, dass ich es immer noch als Erster in die Küche schaffen kann – als etwas meine Aufmerksamkeit erregt. Ich drehe mich zu Charlies Fenster um und verziehe verwirrt das Gesicht.

Als ich näher komme, verwandelt sich meine Verwirrung in Angst. Das, was meine Aufmerksamkeit erregt hat, ist ein Typ, den ich noch nie gesehen habe. Er schaut zu Charlies Fenster hoch, und irgendetwas sagt mir, dass er schon seit einer ganzen Weile da steht.

Bevor ich nachdenken kann, drehe ich mich um und renne los.

3

Spanner

Ich sehe Max am Rand meines Gesichtsfeldes, als ich am Fuß der Treppe lande, aber ich kann sein Gesicht nicht sehen. Ich konzentriere mich ausschließlich darauf, nach draußen zu gelangen und herauszufinden, wer um Charlies Haus herumschleicht.

»Gewonnen, Wichser!«, höre ich Max rufen, als ich die Tür aufreiße.

Ich schließe sie nicht hinter mir; ich stürze einfach hindurch und auf die Straße. Als ich den Gehweg entlangpirsche, schaue ich nach links und rechts. Ich entdecke ihn – er entfernt sich von Charlies Haus. Er ist ungefähr eins achtzig groß und trägt eine leuchtend blaue Baseballkappe. Das kleine »C«-Logo auf der Rückseite würde ich überall erkennen, weil es in meiner Heimatstadt zu Ehren meines Lieblingsteams entworfen wurde – der Chicago Cubs.

»He, Spanner«, brülle ich mit rasendem Puls. »Bleib stehen.«

Der Mann dreht sich nicht einmal um und schaut auch nicht über die Schulter. Er geht nicht schneller. Er geht einfach weiter. Ich denke fast, dass ich übergeschnappt sein muss, weil ich früher dieser Typ gewesen bin, der immer gechillt drauf war, und jetzt bin ich plötzlich dieser muskelbepackte Irre, der auf offener Straße Männer jagt. Aber ich war gechillt, bevor ich Charlie begegnet bin. Ich war gechillt, bevor ich angefangen habe, mich um jemand anderen zu kümmern als um mich selbst.

Jetzt bin ich ein anderer Typ.

»Alter, bist du taub oder was?«, frage ich, lauter diesmal. Er ist nur wenige Meter entfernt, als er um eine Ecke biegt und ich ihn aus den Augen verliere. Ich jogge, dann renne ich auf die Straßenbiegung zu. Mein Herzschlag beschleunigt sich, und ich atme schwer. Fünf Wochen lang war ich nervös und habe darauf gewartet, dass so etwas passiert. Jetzt habe ich einen Kerl dabei erwischt, wie er Charlie ausspioniert. Ich spüre kein Dargon – das Material, aus dem unsere Fußfesseln bestehen –, aber vielleicht bin ich dafür zu panisch. Ich versuche, mich zu beruhigen und zu konzentrieren, aber das ist schwer, wenn ich einem unheimlichen Kerl hinterherrenne, der außer Sicht ist. Die Kurve ist nah, und ich laufe noch schneller. Schweiß brennt mir auf der Stirn. Ich biege um die Ecke …

… und krache in den riesigen Burschen hinein.

Er packt mich an den Schultern. »Immer langsam, Kumpel. Pass auf, wo du hinläufst.«

Voller Adrenalin ringe ich den Kerl zu Boden und drücke seine Schultern auf das Pflaster. Dann beuge ich mich dicht vor sein Gesicht und knurre: »Wer bist du?«

»Nein, wer bist du?«, stößt der Mann, der so alt wie ich zu sein scheint, mühsam hervor. »Du bist der, der mich gerade angegriffen hat.«

»Ich bin der, der dich begraben wird, wenn du mir nicht sagst, was du vor ihrem Haus gemacht hast.« Ich stoße seine Schultern zurück auf den Asphalt, um ihm das unmissverständlich klarzumachen.

»Vor ihrem Haus?« Er scheint verwirrt. Dann entspannen sich seine Züge, als es ihm dämmert. Oder vielleicht, weil ihm gerade eine überzeugende Lüge eingefallen ist. »Oh, Mist. Das muss Easton gewesen sein. Mein Bruder. Hatte er eine blaue Baseballkappe auf?«

Ich entspanne mich ein wenig, denn das hatte er. Mein Blick wandert über den Mann unter mir, und ich entscheide, dass dies nicht dieselbe Person ist, die Charlie beobachtet hat. Dieser Typ ist noch größer und breiter als … Easton. »Er hat meiner Freundin ins Fenster geschaut«, belle ich, die Muskeln immer noch angespannt.

»Hör mal, kannst du mich aufstehen lassen?«, fragt er. »Ich will nicht gegen dich kämpfen.«

Ich schaue ihm tief in die Augen, und was ich sehe, gefällt mir nicht. Seine offenen Hände, sein schiefes Lächeln – er gibt sich fast zu große Mühe zu zeigen, dass er harmlos ist. Aber ich kann ihn nicht ewig auf den Boden drücken, so gern ich das täte, daher stehe ich auf und reiße ihn mit mir hoch. »Rede.«

Nachdem er sich das dunkelblaue Hemd abgeklopft hat, hält er mir die Hand hin. »Ich bin Salem.«

Ich funkele seine Hand an, bis er sie zurückzieht und in die Tasche stopft.

»Hör zu, mein Bruder ist harmlos«, erklärt er und lässt die Schultern kreisen. »Er hatte vor ein paar Jahren einen Autounfall, und seitdem ist er Matsche im Kopf.«

Salems Kiefer mahlt, als sei er erregt, aber da bin ich mir nicht sicher. Ich blicke über die Schulter, bis ich mir sicher bin, dass Charlie nirgendwo zu sehen ist.

»Vor dem Unfall hatte Easton ein Mädchen«, fährt Salem fort. »Und manchmal ist er verwirrt. Aber er wird keinen Ärger machen. Ich schwöre.«

Ich mustere Salem von Kopf bis Fuß. »Einszweiundachtzig, würde ich sagen. Dunkles Haar bis unter die Ohren.« Ich beuge mich ein wenig vor. »Grüne Augen, die verschlagen wirken.«

»Was machst du da?«, fragt Salem, und ich sehe Zorn in seiner Haltung auffunkeln. Ich wusste, dass er ihn verbirgt.

»Ich präge mir dein Gesicht ein«, antworte ich. »Damit ich dich begrüßen kann, wenn ich dich oder deinen Bruder jemals wieder in der Nähe ihres Hauses sehe.« Ich lege die Betonung auf »begrüßen«, damit er es kapiert.

Salem lächelt, aber in seinem Lächeln blitzt etwas Dunkles auf. »Du wirst uns nicht noch mal sehen.«

Ich schaue ihn lange an, dann nicke ich, denn was kann ich sonst tun? Und wenn ich mich irre, wenn dieser Kerl doch was taugt, dann verwandele ich mich wirklich in einen Soziopathen mit Verfolgungswahn. Ich drehe mich um und gehe zurück. Ich achte höllisch darauf, nicht zurückzuschauen und ihn anzufunkeln, denn das würde bedeuten, dass ich unsicher bin, und dieser Kerl muss wissen, dass ich keine Angst vor ihm habe.

Als ich auf das Haus zugehe, sehe ich, dass Charlie mit einem Pfannenheber in der Hand in der Tür steht. Obwohl ich angespannt bin, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. In ihrer Nähe komme ich mir manchmal dermaßen wie ein Mädchen vor, dass ich das Gefühl habe, ich würde mir jede Sekunde ein Diadem kaufen und meine Periode bekommen.

»Was ist denn los?«, fragt sie. Ich erwarte, dass sie besorgt wirkt, aber sie wirkt stark. Sie hat den Kopf in den Nacken gelegt und die Schultern gestrafft. Es ist, als sei sie darauf vorbereitet gewesen. Als habe sie darauf gewartet, einzugreifen und die Sache in die Hand zu nehmen. Charlie wiegt knapp überhaupt nichts, aber im Moment sieht sie wild entschlossen aus.

Ihre Körpersprache ist so dermaßen heiß, dass ich über sie herfallen möchte.

Ich überlege, ob ich ihr überhaupt von dem Mann erzählen soll. Ich will sie nicht aufregen, aber mit ihren Augen versichert sie mir, dass sie damit umgehen kann. »Es war jemand hier draußen«, berichte ich. »Er hat auf der Straße gestanden und zu deinem Fenster hochgeschaut.«

»Hast du etwas gespürt? Eine andere Fußkette?«, fragt sie. Ich schüttele den Kopf, und ihre Schultern entspannen sich. »Dann komm rein und iss den verdammten Speck.«

Ich reiße die Augen auf. »Du hast gerade geflucht. Das war nicht sehr damenhaft.«

»Rein mit dir«, befiehlt sie, eine Hand in die Hüfte gestemmt.

Ich gebe mir alle Mühe, sorglos zu wirken, aber ich kann nicht vergessen, was ich bei Salem gespürt habe – als würde mit ihm und seinem Bruder irgendetwas nicht stimmen. Aber Charlie hat recht. Ich habe keine Kette gespürt, und ohne die können Sammler nicht überleben. Wahrscheinlich war es nur irgendein Mistkerl, der ein hübsches Mädchen gesehen hat und glotzen wollte. Trotzdem – als ich an ihr vorbei ins Haus gehe, drehe ich mich um und werfe einen Blick über die Schulter, um mich noch einmal davon zu überzeugen, dass beide weg sind.

»Es ist in Ordnung«, fügt sie leise hinzu. »Ich bin in Ordnung.«

Ich bleibe plötzlich stehen und umfasse ihr Gesicht mit beiden Händen. »Ich werde nicht zulassen, dass dir das, was damals in dieser Nacht passiert ist …«

»Ich weiß«, unterbricht sie mich.

Ich lasse sie los und gehe hinein, aber kaum bin ich im Haus, verpasst sie mir mit dem Pfannenheber einen Klaps auf den Hintern. Wie der Blitz reiße ich sie in meine Arme. Sie kreischt, und ich beuge sie fast bis auf den Boden und küsse sie lange und leidenschaftlich auf den Mund. Als ich endlich meine Lippen von ihren nehme, sieht sie mich an und sagt: »Wir haben Gesellschaft.«

Als ich aufschaue, sehe ich Valerie und Max neben dem Küchentisch stehen. Ich helfe Charlie auf die Füße und gehe einige Schritte auf den Rotschopf zu. Dann hake ich die Daumen in meinen geilen neuen roten Gürtel mit der Totenkopfschnalle. Besagter Gürtel soll mich darüber hinwegtrösten, dass Rector mir meine Lieblingsschuhe geklaut hat. Es funktioniert nicht ganz. »Dein Timing ist perfekt, Valerie«, erkläre ich. »Zu spät, um mir zu helfen.«

»Helfen wobei?«, fragt sie und ist sofort auf dem Sprung.

Ich deute mit dem Daumen in Richtung Tür. »Zwei Männer. Einer hat zu Charlies Fenster hinaufgestarrt. Der andere behauptet, es sei nur sein verrückter Bruder gewesen.«

Während Max zusieht, rennt Valerie zur Tür und schaut hinaus. Dann sieht sie mich mit sehr besorgtem Gesicht wieder an. »Hast du eine Fußfessel gespürt?«

Ich werfe Charlie einen verstohlenen Blick zu. Sie zieht eine Augenbraue hoch, als wolle sie andeuten, dass sie nicht die Einzige sei, die denkt, ich würde überreagieren. »Nein«, gebe ich zu. »Keine Fessel.«

Valerie dreht sich um und schlendert zurück in die Küche. Max lässt sie keine Sekunde lang aus den Augen. »Wir können es uns jetzt nicht leisten, Aufmerksamkeit zu erregen, Dante.«

»Da war ein Typ, der meine Freundin beobachtet hat«, sage ich und spucke jedes Wort einzeln aus.

»Überrascht dich das so sehr?«, fragt sie, und zum ersten Mal komme ich mir ein bisschen vor wie ein Idiot. Vorher habe ich mich gefragt, ob ich nicht vielleicht reif für die Anstalt sei. Jetzt ist mir, als wisse ich, dass ich es bin.

»Ich will trotzdem nicht, dass hier irgendwelche Typen wie brünstige Hunde rumhängen«, murmele ich.

»Irgendetwas sagt mir, dass du dich darum gekümmert hast«, entgegnet Red mit einem prüfenden Blick in einen Spiegel. »Außerdem hast du größere Sorgen. Zum Beispiel deinen Auftrag.«

»Bist du gekommen, um mich unter Druck zu setzen, Red?«

»Nein, ich bin gekommen, um mich davon zu überzeugen, dass du mal wieder betrunken bist. Stell dir meine Überraschung vor«, fügt sie auf ihre typische langsame, gleichmäßige Art hinzu. »Muss sich komisch anfühlen, so viel Blut in deinem Alkohol.«

Ich sehe Max Hilfe suchend an, aber er kaut auf der Unterlippe rum und betrachtet Valerie mit einer solchen Intensität, dass ich mich frage, wo er in Gedanken gerade steckt. »Max?«, frage ich.

»Hm?«, antwortet er, schaut aber weiter Valerie an.

»Hilfe?«

Endlich schafft er es, mich anzusehen. »Tut mir leid, Alter. Du bist auf dich allein gestellt.« Max steht auf und verlässt den Raum.

Ich sehe Valerie an. »Was hast du mit ihm gemacht, Red? Ihm gedroht, dass er keine blutsaugerischen Küsse mehr von dir kriegt?«

Sie richtet sich auf. »Wann brichst du zu deinem Auftrag auf?«

»Nicht das schon wieder«, seufze ich.

Valerie setzt sich an den Tisch. »Mir ist klar, dass du nicht wegwillst.«

»Ach, echt?«, knurre ich.

Sie sieht mir in die Augen. »Ja, echt.«

So gern ich Red wegen ihrer Beziehung zu Max aufziehe, glaube ich doch, dass die beiden sich sehr wichtig sind. Vielleicht versteht sie also wirklich, dass ich Charlie nicht allein lassen will. Was ich ihr aber nicht sage, ist, dass ich nicht nur wegen Charlie zögere. Ein Befreier zu sein – so zu tun, als sei ich jemand, der gut ist –, kommt mir nicht richtig vor. Ich war noch nie gut, und ich halte mich nicht an Regeln. Daher will mir die Vorstellung, ich sei diese Person, die Menschen rettet, einfach nicht in den Kopf.

Beim bloßen Gedanken daran dreht sich mir der Magen um, obwohl ich nicht benennen kann, was genau mich stört.

Ich brauche einen Drink.

Ich gehe zu Omas Vorrat und nehme eine staubige Champagnerflasche heraus. »Mimosas?«

Valerie atmet entnervt aus, und für einen Moment habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich mag zwar so tun, als würde ich Valerie hassen, aber sie hat mir geholfen, Charlies Seele zu retten, und dafür bin ich ihr dankbar. Aber ich kann nicht sein, was sie möchte, daher entkorke ich die Flasche und lausche auf das Zischen des Kribbelwassers. Nachdem ich mir ein Glas eingeschenkt habe, riskiere ich einen Blick in Charlies Richtung. Sie stellt Sirup und Butter auf die Theke und lächelt mir zu. Ich zucke zurück, als ich das Vertrauen in ihren Augen sehe. Ein bisschen habe ich das Gefühl, als würde ich nur darauf warten, dass dieses Vertrauen versiegt, als würde ich seine Belastbarkeit prüfen. Aber sie hört einfach nicht auf zu glauben, ich würde derjenige werden, für den sie mich hält.

Könnte ich nur sein wie sie.

Es ist leicht, Charlie zu bewundern. Aber wie sie in der Lage ist, mich so mühelos, so offen zu akzeptieren – das werde ich nie kapieren.

Max kommt in den Raum zurück. »Nicht dass ich gelauscht hätte – okay, vielleicht habe ich doch gelauscht, aber Val hat recht, D. Du musst diesen Auftrag erledigen.«

Ich sehe ihn an, und Kampflust setzt meine Muskeln in Brand.

»Du bist im Handumdrehen zurück«, fügt er hinzu. »Außerdem hast du keine andere Wahl. Wenn du nicht gehst, schmeißt der Oberguru dich raus.«

Ich schaue von Max zu Valerie. Sie nickt. Ich wollte dieses Gespräch vermeiden und dachte, wenn ich während der nächsten paar Tage benebelt bleibe, würde das Thema irgendwie von selbst verschwinden. Aber anscheinend ist dies eine Intervention, und ich muss entweder in einen Flieger steigen oder mir eine Grabstelle suchen.

»Von wem hast du überhaupt den Umschlag mit dem Auftrag bekommen? Der Oberguru hat ihn dir bestimmt persönlich überreicht, stimmt’s?« Ich sage es spöttisch, aber ich hoffe fast, dass Valerie antwortet, sie habe den Umschlag tatsächlich von Gott selbst erhalten. Dass er ein solches Interesse an mir hat. Aber noch während ich das denke, weiß ich, dass ich mir etwas vormache.

»Kraven hat ihn mir gegeben«, antwortet sie.

Zack! Sie hat meine volle Aufmerksamkeit. »Unser Freund mit den weißen Flügeln?«

Sie zuckt mit den Achseln, als sei es keine große Sache, als hätten wir uns nicht alle das Hirn darüber zermartert, wie einem Befreier in der Nacht von Blues Tod Flügel wachsen konnten. Valerie, Max und ich haben viele Nächte erfolglos darüber nachgegrübelt, wie wir das auch hinkriegen können. Es wäre viel einfacher, wenn Valerie tun würde, worum wir sie gebeten haben, nämlich Kraven danach zu fragen, wie er sich Flügel hat wachsen lassen.

Ich lasse stöhnend den Kopf hängen und reibe mir mit der Hand, in der ich nicht die Champagnerflasche halte, die Schläfe. Ich weiß, dass die Antwort auf die Frage, was ich mit diesem Auftrag machen soll, einfach sein sollte. Aber sie ist es nicht. Als ich aufschaue, steht Charlie vor mir. »Charlie?«

»Tu, was du für richtig hältst, und mach dir über alles andere keine Gedanken«, rät sie mir.

Ich kneife die Augen zusammen. Sie klingt so sicher, so besänftigend. Ich möchte nicht weg von ihr. Charlie ist mein Glücklich-bis-ans-Ende-aller-Tage.

Als mir das einfällt, dass dieser Auftrag blitzschnell erledigt ist und dass er die einzige Möglichkeit ist, dafür zu sorgen, dass wir nicht ewig getrennt werden, weiß ich, dass ich gehen muss. Ich wollte meine neue Stelle als Soldat des Obergurus ignorieren. Ich wollte mein Leben als Dante leben, nicht als Befreier. Nicht als etwas, was ich nie wirklich sein werde.

Aber für Charlie schlüpfe ich in jede Rolle.

Ich drücke die Elfenbeinhörner in meiner Tasche und hole tief Luft. »Ich werde gehen«, erkläre ich. »Aber nur, wenn es eine höllische Abschiedsfeier gibt.«

Max zieht sein neues Telefon hervor, mit dem er während der letzten sechs Tage pausenlos angegeben hat, und drückt auf einige Knöpfe. Pulsierende Musik erfüllt meine Ohren, und ich hebe die Flasche. »Genau das meine ich.«

Max tanzt auf der Stelle, Charlie reicht mir einen Teller mit Speck und Waffeln, und Valerie tritt neben mich. Sie nimmt mir die Champagnerflasche aus der Hand, hält sie noch höher und übertönt die Musik: »Auf Aspen.«

Dann setzt sie die Flasche an die Lippen und trinkt.

4

Verbindung

Der Tag verging wie im Flug.

Oma erwachte wenige Minuten, nachdem unsere improvisierte Party begann. Doch sie wirkte nicht allzu verärgert. Sie kam einfach nur die Treppe herunter, setzte sich zu uns auf ihr großes Sofa und hielt sich an ihrer Wasserflasche fest. Aus der sie heimlich Wodka trinkt. Max und ich benahmen uns wie die Bekloppten und bestanden darauf, dass Valerie, die jetzt nüchtern war, uns in ihrem Mercedes herumfuhr. Wir hielten den Kopf aus dem Fenster und heulten die Nachmittagssonne und später den Mond an. Charlie saß zwischen uns, während wir durch Peachville, Alabama, gondelten und hier und da Halt machten, um Mutproben zu bestehen und den ganzen Schwachsinn mit Max’ neuem Telefon aufzunehmen. Wir hielten außerdem vor The Wireless Hut, damit Valerie sich selbst ein Handy besorgen konnte, und in einem coolen Moment kaufte sie Charlie und mir auch welche. Ich hätte es selbst getan, aber ich konnte nicht. Ich konnte meine AmEx Black Card nicht mehr nutzen, da sie von der Hölle ausgegeben worden war.

Als wir wieder bei Oma sind, verabschiede ich mich von Max. Er umarmt mich, klopft mir hart auf den Rücken, zieht dann seinen Schatten über und wird unsichtbar. Ich drehe mich zu Valerie um. »Danke für das Telefon.«

»Den Bedürftigen helfe ich gern«, erwidert sie.

Ich rümpfe die Nase. »Man kann mir vieles nachsagen, aber bedürftig bin ich nicht. Da wir gerade davon sprechen, wann bekomme ich meine neue Karte? Ist sie blau und glitzert, um den Himmel darzustellen?«

»Du bekommst sie morgen, sobald ich dich zum Flughafen gebracht habe.«

Stöhnend lege ich den Arm um Charlie. »Um wie viel Uhr?«

»Morgens um sieben«, antwortet Valerie.

Ich schüttele den Kopf. »Das hast du mit Absicht gemacht.«

Valerie lächelt und winkt, bevor sie in ihrem Mercedes verschwindet. Als sie mit heruntergekurbelten Fenstern davonfährt, höre ich das Klappern leerer Flaschen, die auf dem Rücksitz gegeneinanderklirren.

Charlie drückt mich. »Das war schön heute.«

Ich schließe die Augen und atme sie ein. Wer auch immer gesagt hat, »gleich und gleich gesellt sich gern« – sein Kopf hat in einem dunklen, übel riechenden Ort gesteckt.

Ich schmiege mich an ihren warmen Hals und küsse ihn. Mein Magen krampft sich zusammen, als sie mir über den Rücken und die Seiten streicht. Sie lässt die Hand weiter hinabgleiten, bis sie die Finger in meine Taschen steckt. Dann zieht sie mich enger an sich. »Bleibst du heute Nacht wieder hier?«

Ich hebe den Kopf. Ich kapiere gar nicht, wie sie daran überhaupt zweifeln kann. Es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wäre. Bei dem bloßen Gedanken daran, dass ich von ihr getrennt und in Denver sein werde, macht sich ein flaues Gefühl in meinem Magen breit. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Tage damit zu verbringen, mich zu fragen, wo sie gerade ist, und darüber nachzugrübeln, ob sie in Sicherheit ist. »Natürlich bleibe ich.«

Ich erwarte, dass sie lächelt, aber stattdessen zieht sie verwirrt die Augenbrauen zusammen. »Was ist das?«, fragt sie und gräbt tiefer in meiner Tasche.

Ich verkneife mir die unanständige Bemerkung, die mir auf den Lippen liegt, dann trete ich zurück und ziehe die Elfenbeinhörner heraus, die mein Vater mir gegeben hat. Bei all dem Gerede darüber, ob ich nach Denver fliegen würde, und der anschließenden Feier – ähm, Trauer – über meine Entscheidung habe ich ganz vergessen, ihr zu sagen, was sonst noch in dem Umschlag mit dem Auftrag war.

Ich werde angesichts der Chance, über meinen Vater zu sprechen, ganz aufgeregt. »Mein Dad hat sie mir geschickt.« Charlie klappt der Unterkiefer herunter. »Genau das habe ich auch gedacht.«

»Was ist das?«, haucht sie, ihre vollen, rosigen Lippen zu einem Lächeln verzogen.

»Frag mich was Leichteres.« Ich gebe beide Hörner in Charlies ausgestreckte Hand. Es ist eine schwierige Transaktion, da ich genug Blubberbrause getrunken habe, um einen Traktor besoffen zu machen.

Charlie rollt die Hörner in ihrer Hand herum. »Irgendwie schwer«, bemerkt sie und reibt mit dem Daumen darüber. »Und so glatt.«

»Mir ist bloß schleierhaft, warum in dem Auftrag nichts davon gestanden hat«, sage ich. Charlie lässt die Hörner wieder in meine Hand fallen, und wir blicken sie beide verwirrt an. »Weißt du, was mir vielleicht helfen würde, es herauszukriegen?«, füge ich flüsternd hinzu.

Charlie beugt sich zu mir, und ihre Augen werden etwas größer.

Ich deute mit dem Kopf auf ihr Zimmer. »Dich nach oben zu bringen.«

Sie wirft den Kopf in den Nacken, wendet ihr Gesicht dem Nachthimmel zu und lacht, und ich muss unwillkürlich auf ihre Kehle schauen. Auf die weiche, sonnengeküsste Haut an ihrem Kinn, ihren Schlüsselbeinen und ihrer Brust. »Du bist schlimm«, gurrt sie.

»Der Schlimmste.« Ich lege ihr einen Arm unter die Schultern und den anderen unter die Kniekehlen und hebe sie auf die Arme. Ich möchte in aller Bescheidenheit anmerken, dass das Casanovas würdig gewesen wäre, nur lasse ich mittendrin eins der Elfenbeinhörner fallen. Ich versuche, mich vorzubeugen, um es aufzuheben, während ich gleichzeitig Charlie festhalte, aber Charlie meint, dass mir die nötigen motorischen Fähigkeiten fehlen, um beides hinzukriegen. Schließlich streckt sie in dem Versuch, ihrem hart arbeitenden Freund zu helfen, den Arm aus und schnappt sich das Horn.

»Geschafft«, brüllt sie und stößt die Faust in die Luft.

Und dann passiert etwas.

Etwas Elektrisches.

Ein Strom schießt durch uns hindurch, und ich lasse Charlie fallen. Sie schlägt auf dem Pflaster der Einfahrt auf.

»Alles okay?«, frage ich. »Ich wollte nicht …«

Aber dann unterbreche ich mich, denn ich fühle etwas zwischen uns, das ich nicht begreife. Charlie steht langsam auf und lässt mich dabei nicht aus den Augen. Schwer atmend sehen wir uns an.

»Spürst du es auch?«, murmelt sie.

Ich lecke mir die Lippen und nicke.

»Machst du das?«

Ich schüttele den Kopf, sage jedoch nichts. Ich kann nicht sprechen. Ich bin zu überwältigt von dem, was geschieht.

»Ich kann …«, beginnt sie. »Ich kann dich fühlen.«

Ich schließe die Augen und versuche mich zu sammeln. Aber selbst mit fest zusammengekniffenen Lidern verändert sich nichts. Ich kann Charlie wahrnehmen. Es ist, als würde ich wissen, wo sie ist, ohne sie zu sehen.