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Gustav Knuth

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Beschreibung

Der beliebte Schauspieler und Fernsehmime Gustav Knuth erzählt von seinen Erlebnissen und Begegnungen mit berühmten Kollegen aus der Welt des Theaters, Films und Fernsehens, heitere, verschmitzte, lebenskluge Geschichten und Anekdoten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Gustav Knuth

Darüber hab’ ich sehr gelacht

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Inhalt

Fotos: [...]Zum GeleitEin gedrückter StammtischProvinz und SchmiereDie ElbeBerlinZürich und UmgebungDirektoren und RegisseureKollegenDer EinschnittPublikum und PresseMeine liebsten Freunde: die Rollen[Bildteil Teil 1][Bildteil Teil 2][Bildteil Teil 3][Bildteil Teil 4]Ick sitze da und [...]

Fotos:

Baur (2), Bayer (1), Clausen (2), Comet (1), Grimm (1), Grünert (2), Haas (2), Haury (3), List (1), Litzmann (1), Schwenke (1),Terra-Dittmer (1), Privatalbum Knuth (13).

Zum Geleit

Wo sollte ich beginnen?

Vielleicht mit den gar nicht so selten gebrauchten Worten, daß ein Buch, das diesen Namen verdient, sei es nun weil es bedeutend ist oder amüsant, gescheit oder lehrreich oder aufregend, gar kein Vorwort benötigt.

Es spricht für sich selbst. Und dies ist sicher im Falle von Gustav Knuth der Fall.

Ich weiß, und Gustav Knuth weiß es auch oder vielleicht noch besser, daß viele über dieses Buch sagen werden: Noch ein Buch von Knuth. Und sie werden es nicht abschätzig sagen.

Und die einzige Antwort darauf ist: Warum eigentlich nicht? Warum eigentlich nicht noch ein Buch über einen Schauspieler, das den Vorzug hat, von einem Schauspieler geschrieben zu sein.

Über Shakespeares »Globe Theater«, so wird überliefert, standen die Worte »Totus mundus agit histrionem«, zu deutsch: Alle Welt spielt wie Schauspieler es tun. Man könnte auch sagen: Jeder von uns spielt Theater – ist also ein Schauspieler.

Und Arthur Schnitzler, der große österreichische Dichter, schrieb über seinem Drama Paracelsus: »Wir alle spielen, wer es weiß, ist klug!«

Und auch dies wäre hier zu erwähnen: Der größte aller Dramatiker, Shakespeare nämlich, hat in den meisten seiner Stücke die Schauspielerei, die Kunst des Theaterspiels irgendwie untergebracht. Im »Hamlet« tritt eine ganze Truppe von Schauspielern auf, im »Sommernachtstraum« spielen Handwerker Theater zur Heirat ihres Herzogs, selbst im düsteren »Macbeth« vergleicht dieser das Leben mit einem armen Komödianten, der sein Stündchen auf der Bühne hat und von dem dann nichts mehr gehört wird.

Die Reihe wäre nach Belieben fortzusetzen.

Damit bin ich aber schon mitten in dem Inhalt dieses Buches.

Wenn man mich fragt, warum ich dieses Vorwort geschrieben habe, so kann ich nur sagen, daß es zwei Gründe dafür gab. Der eine ist, daß Gustav Knuth mich darum bat. Und er ist ein Freund seit vielen vielen Jahren und darüber hinaus ein Nachbar in jeglichem Sinne des Wortes; auch im Geographischen. Hätten wir einen Hubschrauber, wären wir von seinem Haus in meinem oder umgekehrt in zwei oder drei Minuten.

Der andere Grund, für den Leser vielleicht entscheidender, ist, daß ich Gustav Knuth für eine einmalige Persönlichkeit halte.

Vielleicht erkläre ich das am besten, indem ich ein wenig zurückgehe, hundert Jahre oder zweihundert. Damals war Schauspielerei ein Beruf, verbunden mit dem Begriff Heimatlosigkeit. Komödianten zogen herum, sie waren niemals seßhaft. Das ist natürlich alles längst vorbei oder vielleicht schon wieder im Kommen. Ich denke etwa an die Opernstars, die dank der ungeheuer vielen und schnellen Flugzeuge heute in New York singen und übermorgen in der Scala in Mailand und wieder zwei Tage später in München oder in Hamburg oder Stockholm.

Der absolute Gegensatz des wandernden Schauspielers ist für mich Gustav Knuth. Kein Bürger könnte seßhafter sein als er. Gewiß, manchmal muß er irgendwohin fahren, um dann ein Fernsehen zu machen, oder gar ein Gastspiel zu absolvieren oder, was auch gelegentlich vorkommt, eine Tournee. Daß er auch zudem begabt ist, hat die Popularität zur Folge, die er sich durch das Fernsehen errungen hat und die alles schlägt, was andere Schauspieler, ungeachtet Ihrer Qualität, an Popularität errungen haben.

Aber im Grunde genommen ist er ein Bürger, er lebt eigentlich am liebsten in seinem Haus oder in seinem Gärtchen.

Und da wir gerade dabei sind, ihn zu beschreiben: Er hat auch sonst wenig von den Zügen, von denen wir glauben, daß die meisten Schauspieler sie besitzen. Daran sind nicht zuletzt sie selbst schuld. In ihrem Jargon nennen sie sich ja mit einer gewissen Selbstironie »Versteller«. Nun, Gustav Knuth ist genau das Gegenteil davon, er ist kein Versteller. Er ist die Aufrichtigkeit in Person, auch wenn er Rollen spielt, die nicht unbedingt seiner Persönlichkeit entsprechen. Das muß ein Schauspieler nur zu oft, er muß Könige spielen und Verbrecher und Liebhaber und Kranke oder auch eingebildete Kranke – während diese Zeilen zu Papier gebracht werden, spielt Gustav Knuth gerade den »Eingebildeten Kranken« von Molière.

Der berühmte, längst klassisch gewordene Schauspieler Coquelin von der Comedie Française hat einmal auf die Frage, kann er sich eins mit seiner Rolle fühlen, erklärt: »Dann wär ich ja verrückt!«

Irgendwie gilt dies auch für Gustav Knuth, er ist in vielen, man darf wohl sagen – in den meisten seiner Rollen – herrlich gewesen, ist es noch immer. Und doch vielleicht ist dies auch gar kein Gegensatz: die Aufrichtigkeit ist immer da.

Es gab große Schauspieler, das kann man ja sehen im väterlichen Freund von Gustav Knuth, Werner Krauss, dessen Verwandlungsfähigkeit frappierend war. Er konnte klein sein oder groß, dick oder dünn, krank oder putzmunter.

Das konnte wohl außer ihm niemand, jedenfalls nicht in unserem Jahrhundert, dem hatten die bedeutendsten Schauspieler nichts entgegenzusetzen, auch Knuth nicht. Aber was er mitbringt ist eben jene Aufrichtigkeit, jene Ehrlichkeit, jene, man kann es gar nicht anders sagen, Naivität. Er ist vielleicht der naivste Schauspieler, den die meisten von uns je zu Gesicht bekommen haben.

Und dies ist wohl der letzte Grund seiner außerordentlichen Popularität. Diese Popularität manifestiert sich nicht nur, wie bei vielen anderen darin, daß die Leute auf der Straße sich nach ihm umdrehen, daß sie Autogramme von ihm verlangen. Das natürlich auch. Aber seine Popularität kommt nicht aus der Verehrung oder sogar Anbetung. Es ist schwer, sich einen Knuth vorzustellen, dem das begeisterte Publikum vor der Bühnentür die Pferde seines Wagens ausspannte. Seine Popularität kommt aus dem Gefühl der meisten, mögen sie viel oder gar nichts von Schauspielerei verstehen: Das ist ein Mann wie ich, wie mein Vater, wie mein Freund, wie mein Sohn.

 

Dies nun folgende Buch ist, um es gleich zu sagen, kein Buch, das Knuth über sich selbst geschrieben hat, das gibt es ja bereits. Es ist ein Buch, in dem er über Menschen schreibt, die er im Laufe seines ja wirklich sehr reichhaltigen Lebens kennengelernt hat. Über sie, über ihre Besonderheiten, über Einmaligkeiten. Unterstellt, daß Knuth von je ein Menschenkenner war, ist jedes menschliche Wesen in gewissem Sinne einmalig.

Und dann ist es ein Buch von kleinen Geschichten, Anekdoten, wenn man will. Knuth ist ja bekannt dafür, nicht nur bei seinen Freunden, sondern auch bei dem breiten Publikum – ich denke etwa an die Millionen, die seinen »Stammtisch« miterlebten, daß er unzählige Geschichten kennt. Sie würden viele Bücher füllen, nicht nur dies eine. Er hat sich hier darauf zurückgezogen, im wesentlichen nicht, um kleine Anekdoten oder Witze zu erzählen, sondern Geschichten, die irgendwie mit der Schauspielerei, mit der Filmerei, mit der Fernseherei zu tun haben.

Nun ist es ja so eine Sache mit Anekdoten. Wer hat eigentlich irgendeine Schauspielergeschichte als erster erzählt oder gar erlebt? Es gibt, wenn man lange genug solche Geschichten gehört hat, immer wieder irgendeine Geschichte, die bald in Wien spielt, bald in Berlin, bald in Paris, bald in Italien und immer mit anderen »Mitwirkenden«. Es ist ein Glücksfall – auch für dieses Buch, daß Anekdoten nicht unter Copyright-Schutz stehen. Sie sind sozusagen Güter in Freihäfen.

Aber das Besondere an den Knuthschen Anekdoten ist das Wie, nicht das Was.

Er kann erzählen. Es ist natürlich im Rahmen eines Buches nicht möglich, ihn sprechen, ihn hören, ihn verschmitzt lächeln zu sehen. Ein Teil seiner Wirkung muß also abgestrichen werden.

Wir, die wir ihn kennen, haben ihn hundertmal bewundert und gefragt, wie er das eigentlich »mache«. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Gesellschaft, die meine Frau, die Schauspielerin Heidemarie Hatheyer, und ich, in Berlin gaben. Auch Knuth war geladen, konnte aber erst später kommen, er hatte irgendwelche Filmaufnahmen – Fernsehen gab es damals noch nicht oder kaum.

Die Party war ein Reinfall. Wir hatten zwar Gott und die Welt geladen und Leute, die im allgemeinen lustig waren, aber an diesem Abend saßen sie alle da und schwiegen und lächelten kaum, und es war ziemlich langweilig und für die Gastgeber unangenehm. Und dann gegen zehn Uhr abends kam Knuth aus dem Atelier. Er kam übrigens allein, seine bezaubernde Frau Titi war nicht mitgekommen. Sie hatte sich ein Kleid zu dieser Gelegenheit machen lassen und beim Anziehen waren plötzlich die Nähte geplatzt. Ich bin zu galant, um auch nur anzudeuten, warum.

Knuth war also allein. Er setzte sich irgendwo hin und begann zu erzählen. Ich weiß nur, daß innerhalb von Minuten die ganze Gesellschaft sich um ihn herum gruppierte, viele saßen auf dem Boden, um ihm näher zu sein. Nach einer Viertelstunde lachte die ganze Gesellschaft. Der Abend war gerettet. Und Knuth hatte eigentlich nichts getan, als Geschichten erzählt, von denen viele gar nicht so unbekannt waren.

Aber wie er das machte! Ich finde, daß er das auch jetzt in Wort und Schrift getan hat und dazu noch, daß vieles von dem, was er in den nächsten Kapiteln erzählen wird, noch relativ unbekannt ist.

Mir persönlich erscheint, daß eine Geschichte, die er mir einmal erzählt hat und die in dem Buch nicht vorkommt, weil sie nichts mit Theater, Film oder Fernsehen zu tun hat, ihn am besten charakterisiert. Ich notiere: »Mutter, wie ist die Welt groß!« sagte der kleine Junge vor sich hin und dabei guckte er über den Gartenzaun. Da ist der ganze Knuth drin. Die Welt Gustav Knuths ist so groß, weil sie so klein ist. Und weil er immer wieder zeigt, daß die Welt immer groß ist, eben weil sie im Grunde klein ist.

Eine Art Variante zu den Worten von Macbeth.

 

Und nun lesen Sie selbst.

Curt Riess

Scheuren auf der Forch

Ein gedrückter Stammtisch

Kennen Sie den?

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, muß ich damit beginnen zu wiederholen, daß ich versuchen werde, mich nicht zu wiederholen.

Denn diese Gefahr besteht bei mir leider immer. Wenn man so oft interviewt worden ist wie ich, wenn man gar ein Buch über sich selbst geschrieben hat und einige sogenannte Porträts im Fernsehen erschienen sind, ist es schwer, zu vermeiden, daß man das eine oder andere sagt, was man schon gesagt hat.

Zum Beispiel am Stammtisch. Der Künstler-Stammtisch, der sechsmal im Fernsehen erschienen ist, freut sich ja einer gewissen Popularität. Ich sage ausdrücklich der »Stammtisch«. Denn das war nicht ich, ich war nur mit dabei.

Wie ist nun dieses merkwürdige Gebilde, »Stammtisch« genannt, an dem ich mich mit einigen Kollegen und anderen bekannten Persönlichkeiten, etwa Komponisten oder Sängerinnen oder einem ehemals bekannten Boxer treffe, zustande gekommen? Die Sache begann im Fernsehen von Zürich. Es war keine Sendung, sondern eine Unterhaltung mit einem dort recht wichtigen Mann. Der kam auf die eine oder andere Geschichte zurück, die er einmal von mir gehört hatte und von der er sagte: »So etwas können Sie doch unnachahmlich erzählen! Wie wär’s denn, mein lieber Knuth, wenn wir daraus eine Sondersendung machten?«

Aber aus der Sache wurde gar nichts, der Mann vergaß sie wohl, und ich vergaß sie ganz sicher. Nein, ich vergaß sie nicht. Denn, als ich kurz darauf in Berlin war, unterhielt ich mich darüber im dortigen Fernsehen mit dem Chef der Abteilung Unterhaltung, Wolfgang Rademann.

Der war auch sehr angetan. Und im Gegensatz zu seinem Kollegen aus Zürich krempelte er sofort die Ärmel hoch. »Das machen wir! Aber die Hauptsache ist, daß wir die richtigen Leute finden. Wer käme dann in Frage, sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen, etwas zu trinken und zu plaudern?«

Ich hatte gewisse Ideen. Er hatte auch Ideen. Wir hatten bald eine größere Liste. Es fragte sich nur, ob die Leute, die wir »ausersehen« hatten, überhaupt Lust verspürten, da mitzuspielen.

Sie machten mit.

Der Witz der Sendung war und ist geblieben: Jeder erzählte mir die Geschichten, die er vor der Kamera erzählen würde. Ich kannte sie also alle, und auch diejenigen, die ich vorbringen würde. Außer mir kannte jeder nur das, was er selbst sagen wollte. Daß ich alles wissen mußte, war klar, ich sollte ja die Sendung leiten. Und dazu mußte ich wissen, wo die Pointen steckten. Vor allem, damit ich nicht einem die Pointe abschnitt und einen anderen aufforderte, etwas zu erzählen.

Ich glaube, der Erfolg der Sendung, ich wiederhole: der Sendung, und das ist nicht nur meine Meinung, beruht darauf, daß die anderen eben die meisten Geschichten in der Sendung zum erstenmal hörten. Und so mußten sie nicht so tun, als ob sie alles sehr lustig fänden, sondern sie lachten wirklich als ganz natürliche Reaktion.

Die Zuschauer waren von der Sendung sehr angetan. Sie wurde keineswegs nach der sechsten Folge »erledigt«. Ich war es, der für eine Beendigung der Geschichte war. Ich halte es immer für besser, eine Sache zu beenden, wenn die Leute mehr haben wollen, als wenn sie schon zu murmeln beginnen: »Schon wieder!«

Übrigens: Der Erfolg, der sich dann einstellte, genau wie Rademann und der Mann in Zürich angenommen hatten, schien mir durchaus keine so sichere Sache zu sein. Es ist problematisch, etwas aus der privaten Sphäre in die Öffentlichkeit zu bringen. Aber die Tatsache, daß manche der Geschichten, die ich und auch andere erzählten, schon einmal erzählt worden waren, von mir etwa und in einem Kreis von fünf oder zehn oder auch zwanzig Personen, bedeutet in diesem Zusammenhang gar nichts. Man erzählt auf einer kleinen Gesellschaft eine Geschichte, weil sie in einen bestimmten Augenblick paßt, das heißt, weil die Zuhörer gerade in der richtigen Stimmung sind.

Wie kann ich wissen, ob, wenn ich eine Geschichte im Fernsehen erzähle, die paar Millionen Zuschauer, die vor ihrem Bildschirm sitzen, gerade in der richtigen Stimmung für diese oder für eine andere meiner Geschichten sind? Und: zehn oder 15 Personen in einem Raum animieren einander. Fünf oder zehn Millionen Zuhörer in zehn Millionen Räumen oder doch durchschnittlich zumindest in halb so vielen Räumen – denn ganz allein sitzen ja nur die wenigsten vor ihrem Bildschirm – die haben überhaupt keine Tuchfühlung. Da überträgt sich nichts – ich würde sagen, es ist schon viel, wenn einer einen zweiten, etwa seine Frau oder ihren Mann »ansteckt«.

Und letzten Endes kam es doch auf die Geschichten an, die mußten eben alle irgend etwas haben, von dem ich hoffe, daß auch die Geschichten, die nun folgen sollen, es besitzen. Sie müssen irgendeine menschliche Substanz haben, sie müssen komisch, lustig oder traurig sein, aber eben für jedermann, das heißt, sie dürfen nicht nur auf diejenigen wirken, die ganz bestimmte Voraussetzungen mitbringen.

Bei dieser Gelegenheit: einige, aber die wenigsten dieser Geschichten stammen von mir. Will sagen, es handelt sich um dies oder jenes, was ich selbst erlebt habe. Die meisten stammen von anderen. Von wem? Das ist so leicht nicht auszumachen. Ich kenne Hunderte von Anekdoten über das Bühnen- und Filmleben – und die meisten dieser in diesem Buch erzählten Anekdoten handeln ja davon. Also die meisten sind zwei, drei oder vier verschiedenen Persönlichkeiten zugeschrieben worden.

Wem die Geschichte ursprünglich eingefallen ist – wer weiß das? Glücklicherweise gibt es bei Anekdoten oder Witzen nicht so etwas wie Autorenrecht.

Daß die Sachen nicht ursprünglich von mir stammen – ich würde sagen zu 98 Prozent –, hat schon mit der Tatsache zu tun, daß ich viele der Leute, die darin die Hauptrollen spielen, gar nicht gekannt habe, aus dem einfachen Grund, weil sie schon tot waren, bevor ich geboren wurde.

 

Adele Sandrock habe ich natürlich noch als die klassische Komische Alte gekannt, die in den zwanziger Jahren durch viele Berliner Theater geisterte, wo ich sie freilich nicht sah, und die dann in unzähligen Filmen eingesetzt wurde, von denen ich viele sah.

Als der Filmregisseur Carl Fröhlich »Die göttliche Adele« traurig vor ihrem Spiegelbild stehen sah, erkundigte er sich nach ihrem Kummer.

»Immer, wenn ich in den Spiegel sehe, muß ich mich ärgern. Alle Falten befinden sich im Gesicht, wo doch woanders soviel mehr Platz wäre.«

Im Volksmund nannte man sie »General Adele Sandrock.« Es wäre vielleicht ganz amüsant zu erfahren, auf welche originelle Weise sie zu dem Titel »General« gekommen ist.

Hier die Anekdote:

 

Sie ging an einem Bettler vorbei, der blind auf dem Kurfürstendamm auf dem Trottoir saß, den Hut zwischen den Knien. Adele warf ein Geldstück hinein und sagte in ihrem barschen Kellerton: »Da haben Sie was, mein Guter!« und der Bettler rief ihr nach: »Danke, Herr General!«

 

Um die Jahrhundertwende war sie eine der populärsten Schauspielerinnen Wiens. Ihr Freund war kein geringerer als der Dichter Arthur Schnitzler. Sie spielte – am Burgtheater – die berühmte Christine in seiner »Liebelei«.

Damals hatte Schnitzler bereits seinen »Anatol« geschrieben, und über diesen war ein junger, noch völlig unbekannter Poet namens Hugo von Hofmannsthal so begeistert, daß er ein Gedicht machte, das in der Buchausgabe von Anatol als Prolog verwandt wurde. Hofmannsthal war die Schüchternheit in Person und Schnitzler arrangierte, um ihn etwas aufzuheitern, daß er zur schönen Sandrock zum Tee geladen wurde. Dieser Tee zog sich bis in den späten Abend, ja bis in die Nacht hinein, und Schnitzler fiel auf, daß Hofmannsthal am nächsten Tag völlig erschöpft war. Er gab dann auch ohne viele Umschweife zu, daß ihn Adele mit ins Bett genommen hatte. Schnitzler war darob ein bißchen verärgert. Er sagte zu Adele: »War das denn notwendig?« – »Ja, es war notwendig. Da saß er nun am Teetisch und machte überhaupt den Mund nicht auf«, äußerte die Schauspielerin trocken.

Die Sandrock wurde dann eine Art europäische Berühmtheit, die fast ausschließlich gastierte. Einmal wurde sie gefragt, ob sie auf ihren Gastreisen je die Duse gesehen hätte. »Nein, aber die Duse hat mich gesehen.« – »Wo?« – »Es war in Königsberg oder vielleicht Breslau.« – »Und dann?« – »Als ich in meine Garderobe zurückkam, wartete sie schon auf mich.« – »Und dann?« – »Sie hat nichts gesagt. Ich hab’ auch nichts gesagt. Wir lagen beide wortlos voreinander auf den Knien.« Nein, bescheiden war der General Sandrock nie.

 

Die Duse … – hab’ ich leider auch nie gesehen, aber natürlich unendlich viel von ihr gehört. Wer hätte das nicht, gleichgültig, ob er zur Bühne gehört oder nicht? Um die Duse gibt es natürlich auch eine Unzahl von Geschichten. Mir hat immer folgende am besten gefallen:

Sie spielte oft die »Kameliendame«. Im dritten Akt besucht der Vater ihres Geliebten sie, um ihr klarzumachen, daß dieser sich ruiniere, wenn er sie nicht aufgebe. Die Duse spielte – die Sache geht in einem Landhaus vor sich – mit vielen Rosen in der Hand. Während der Alte sie davon überzeugt, daß sie seinem Sohn entsagen müsse, entglitten ihr die Rosen, eine nach der anderen und fielen zu Boden. Als einmal, irgendwo, der Requisiteur die Blumen wieder einsammeln wollte – es waren, auch das verstand sich – echte Blumen, meinte die Duse: »Lassen Sie die liegen. Kunst ist unerbittlich. Sie fordert von uns allen alles. Wer sein Leben auf der Bühne lebt, paßt nicht mehr in den Alltag.«

 

Franz Molnár, den bekannten ungarischen Komödienschreiber, habe ich zwar auch nie getroffen. Aber gespielt habe ich ihn, und sein »Liliom« war eine meiner Lieblingsrollen.

Über Molnár gibt es auch unzählige Geschichten. Eine gefällt mir besonders gut. Er lebte, wo immer er war, im Hotel – er starb auch in einem New Yorker Hotel. Er verdiente zwar irrsinniges Geld, aber weder in Berlin noch in Wien, noch in Budapest hatte er eine Wohnung, sondern immer nur ein Hotelzimmer. Seine Devise: »Das billigste Zimmer im besten Hotel.«

Einmal wohnte er in einem Budapester Hotel oder dem Budapester Hotel und sollte wegen eines ganz unwichtigen Prozesses als Zeuge auftreten. Er war auf den kommenden Montag um 9 Uhr geladen. Da Molnár selten vor 3 oder 4 Uhr ins Bett ging, verschlief er diesen Termin natürlich. Natürlich, so fand er das jedenfalls. Es erfolgte eine zweite Ladung, und als er der ebenfalls nicht nachkam, ohne es überhaupt nur nötig zu finden, sich dafür zu entschuldigen, schickte der erboste Richter ihm am folgenden Montag nicht eine Ladung, sondern einen Gerichtsbeamten, der ihn unsanft aus dem Schlaf rüttelte und nicht von seiner Seite wich, während er sich anzog und mit ihm auf die Straße ging. Dort blieb Molnár verblüfft stehen. Er konnte sich nicht erinnern, daß er in Budapest oder in einer anderen großen Stadt je so früh auf der Straße gestanden hätte. Er beobachtete interessiert die vielen hundert Menschen, die an ihm vorbeihasteten, aus Verkehrsmitteln herauskamen oder sie bestiegen. Erstaunt fragte er schließlich den Gerichtsbeamten: »Lauter Zeugen?«

 

Er war der bestangezogene und gepflegteste ältere Herr in Budapest und immer war das schönste Mädchen aus Budapest seine Freundin. Diese Freundin begleitete ihn auch zum Stammtisch, nur hielt sie es da nie lange aus. Nach einer kurzen Zeit verabschiedete sie sich schnell. Küßchen auf die Wange und weg war sie.

Eines Abends faßten sich die Freunde ein Herz und sagten: »So, du Depp, du Trottel, jetzt sagen wir es dir!« – »Bitte, was?!« – »Sie betrügt dich, du drehst den Kopf und schon betrügt sie dich!« Molnár lächelte: »Bitte – kann sein, aber Geld – nimmt sie nur von mir!«

 

Auch den großen G.B. Shaw habe ich persönlich nicht gekannt, aber fast alles von ihm gespielt, zuletzt vor gar nicht allzu langer Zeit in Hamburg sein »Haus Herzenstod«. Bernhard Shaw war aber nicht gerade ein Anhänger unseres Metiers. Einmal traf er einen, der ihm folgendes mitteilte: »Ich habe mich entschlossen, auf ehrlichem Wege Karriere zu machen.«

Dazu Shaw: »Da werden Sie wenig Konkurrenz haben.«

Ganz im Gegensatz zu Shaw schrieb der kaum minder bekannte Ernest Hemingway ein einziges Theaterstück, das übrigens nie auf deutschen Bühnen gespielt wurde. Allerdings wurde sein herzzerbrechender, berühmter Roman »In einem anderen Land« dramatisiert, und das Stück kam in Berlin heraus! Und Käthe Dorsch, die mir die Geschichte erzählte, spielte die Hauptrolle.

Hemingway kam zur Premiere und erschien, wie so oft, voll mit Whisky. Während der Vorstellung trank er noch mehr, verständlich, denn er konnte kein Deutsch verstehen, hatte also relativ wenig von der Aufführung. Immerhin sah er die Dorsch und war von der damals bereits Dreißigjährigen, die aber aussah, als sei sie kaum zwanzig, ganz begeistert. Er wollte sie sprechen. Das war schwierig, denn – wie gesagt – er sprach kein Wort Deutsch und sie kein Englisch. Immerhin versuchte es Hemingway: »You are a nice girl – du bist ein nettes Mädchen.« Dann fragte er den Regisseur Heinz Hilpert, was die denn koste, nur für eine Nacht. Der Hilpert verstand zwar ein bißchen Englisch, hütete sich aber, diese Frage zu übersetzen. Die Dorsch war überzeugt, Hemingway hätte etwas sehr Wichtiges gesagt und nickte selig. Hemingway machte darauf sein Angebot: »Ich zahle hundert Dollar. Aber keinen Penny mehr.« Wie die Geschichte ausgegangen ist? Hemingway behielt seine hundert Dollar.

 

Apropos Hilpert: Unter dem hab ich ja noch oft gespielt; das war ein Urberliner mit einem eigenen trockenen Humor. Über ihn gibt es natürlich auch zahllose Geschichten. Ich denke da an die mit dem Schauspieler Wilfried Seyfferth, der Ende der dreißiger, anfangs der vierziger Jahre in Hilperts Deutschem Theater – er war der Nachfolger Max Reinhardt’s – wichtige Rollen spielte.

Er war eines Tages zu Hilpert gekommen, um sich vorzustellen. »Wo haben Sie die letzten Jahre gespielt?« – »Ich war die letzten Jahre in Frankfurt am Main.« – »Sie sind …?« – »Hauptberuflich Komiker.« – »Und haben die Leute da über Sie gelacht?« – »Sie haben sich vor Lachen gewälzt.« – »Da hab’ ich wohl nur noch ein Problem«, meinte Hilpert. »Wie binge ich diese vielen Frankfurter nach Berlin?« Aber er engagierte Seyfferth dann doch.

Ich sagte oben, daß ich nicht alle diejenigen, die in meinen Geschichten auftreten, persönlich gekannt habe. Dies gilt leider, leider auch für Goethe, jawohl, den nicht ganz unbekannten Dichter, der unter anderem auch Theater-Direktor war. Er kümmerte sich sehr um seine Schauspieler und Schauspielerinnen und es ging ihm auf die Nerven – heutige Theater-Direktoren, besonders Direktoren von Opern werden das verstehen können – wenn Gatten oder Gattinnen der Künstler oder Künstlerinnen in alles hineinredeten. Als er die Schauspielerin Burgdorf engagierte, nahm er folgenden Passus in ihren Vertrag: »Herr Burgdorf geht ohne Reservation die Bedingung ein, daß er es sich gefallen lassen wolle, falls es zur Kenntnis der Direktion kommen würde, daß er mit seiner Frau in Uneinigkeit lebe und sie dadurch an der Arbeit und der Einstudierung der ihr zugeteilten Rollen behindert werden sollte, seine Frau von ihm genommen, in ein anderes Quartier gebracht, die Gage unter beide geteilt und ihm allen weiteren Umgang mit derselben untersagt werden solle.« Immerhin!

 

Auch Jacques Offenbach habe ich nun leider nicht gekannt. Er ging nicht so streng mit seinen Schauspielerinnen um. Als eines Tages ein Kleindarsteller zu ihm kam und bat, engagiert zu werden, sagte Offenbach, der eigentlich keine Verwendung für ihn hatte: »Gut, Sie gehen in der Operette, die wir im Augenblick spielen, jeden Abend einmal über die Bühne und geben dem Darsteller des Bettlers ein Almosen. Hier nehmen Sie fünf Francs, und von diesen fünf Francs geben Sie dem Bettler immer einen Centime.« Der andere war gerührt. »Oh, nein, für fünf Francs müßte ich doch etwas mehr bieten können.« – »Also gut«, gestand Offenbach ein, »dann geben Sie dem Bettler eben zwei Centimes pro Abend.«

 

Der berühmte Komiker Alexander Girardi lebte zwar noch, als ich auf die Welt kam, aber als ich Theater spielte, lebte er nicht mehr, und seine letzten Jahre verbrachte er fast nur noch in Wien. Er war bekannt wegen seiner ständigen Gereiztheit – gutmütige Menschen geben sich oft gereizt. Da sagte einmal ein Kollege zu ihm: »Verehrter Meister, seien Sie so gut und leihen Sie mir zehn Gulden.« Worauf prompt die Antwort kam: »Wissen Sie, mein Lieber, seien Sie mir lieber gleich bös’.«

 

Der große Schauspieler Friedrich Ludwig Schröder starb ca. 100 Jahre bevor ich überhaupt auf die Welt kam. Er war Lessings erster »Nathan«. Als er einmal mit einem Kollegen durch eine der Wiener Parkanlagen spazierte, blieb er bei einem Bettler stehen und gab ihm einen ganzen Gulden. Zur Begründung meinte er: »Der Mann sieht so aus, als habe er seit Tagen nichts Warmes mehr im Bauch.« Der Kollege: »Ach, der hat sicher nur gespielt, daß es ihm so schlecht geht.« – »Dann hätte ich ihm zwei Gulden schenken sollen. Wenn er das eben nur gespielt hat, ist er der beste Schauspieler, den ich je gesehen habe.«

 

Das erinnert mich an eine Geschichte aus den Memoiren von Sascha Guitry, den bekannten französischen Schauspieler und Dramatiker. Als er noch ein Kind war, ging er mit seinem Großvater spazieren. Sie kamen an einem blinden Bettler vorbei, der auf ein Schildchen geschrieben hatte, daß er blind sei – und der Großvater gab dem jungen Sascha einen Franc, um ihn dem Bettler zu überreichen. Als der Junge zurückkam, meinte der Großvater vorwurfsvoll: »Du scheinst vergessen zu haben, was ich Dir immer wieder gesagt habe.« – »Du meinst, daß ich den Hut abnehmen sollte, wenn ich einen Almosen gebe.« – »Ja.« – »Aber er hätte es doch gar nicht sehen können! Er ist doch blind.« – »Und wenn er gar nicht blind ist?« wollte der Großvater wissen.

 

Den berühmten Josef Kainz hätte ich noch erleben können, wenn er nicht so früh gestorben wäre: das heißt, ich war schon auf der Welt, als er kurz vor dem Ersten Weltkrieg starb, aber natürlich noch nicht beim Theater. Er hatte die Fähigkeit, die nur wenige von uns haben, das Publikum jener Zeit in seine Gewalt zu bekommen. Da gab es ein Stück, ich konnte leider nicht herausfinden welches, in dem er einen jungen Römer zu spielen hatte. Er trug dazu eine rote Perücke und darauf, da er von einem Gastmahl kam, einen Rosenkranz. Den mußte er sich dann abreißen. Er zog so heftig, daß die ganze Perücke mitging. Das Publikum brach in Gelächter aus, er selbst mußte auch lachen. Dann hob er die Perücke auf, staubte sie ab, nahm die Blumen aus den Haaren, stülpte sich die Perücke über den Kopf, trat an die Rampe und befahl mit energischer Stimme: »Jetzt wieder ernst!« Und das Publikum war sogleich totenstill. Als Cyrano von Bergerac erschütterte er das Publikum so, daß man das Schluchzen aus dem Zuschauerraum hörte. Als einer seiner Partner auch zu schluchzen anfing, zischte Kainz: »Fällst Du auch auf mich herein?«

 

Als er im Jahre 1897 zum erstenmal am Burgtheater, wo er relativ spät Einzug hielt, den ›Hamlet‹ spielte, hörte er aus der Garderobe kommend und dem Bühnenausgang zusteuernd die Unterhaltung zweier Arbeiter an. Beide waren sich darüber einig, daß sein ›Hamlet‹ besser sei, als der anderer berühmter Schauspieler, die sie alle in dieser Rolle gesehen hatten. Er dankte. »Aber ich möchte doch zu gerne wissen, warum Sie meinen ›Hamlet‹ für besser halten?« Beide antworteten gleichzeitig: »Sie waren zwanzig Minuten früher fertig als die anderen!«

 

Eine ältere Dame, die ihn nach einer Hamlet-Aufführung in der Garderobe besuchte, sagte: »Mein Gott, Herr Kainz, Sie haben den Hamlet wieder so lebensecht gespielt!« Worauf er grimmig erwiderte: »Ach gnädige Frau, Sie haben den Prinzen Hamlet noch bei Lebzeiten gekannt?«

 

Über das Burgtheater wären natürlich Bände, ja Bibliotheken zu schreiben. Ich möchte dies allerdings lieber denen überlassen, die dort gespielt haben. Ich hatte niemals die Ehre. Ich kann aber immerhin ein paar Geschichten erzählen, die sich dort abgespielt haben:

Da war vor vier Jahrzehnten ein Kleinstdarsteller. Der wurde auf die Direktion berufen und der Direktor bat ihn inständig, in Pension zu gehen. Der Mann war pikiert, und er sagte es auch. »Bin ich denn nicht gut?« – »Ja, das sind Sie. ›Die Pferde sind gesattelt.‹ Das bringen Sie vorzüglich vor, aber sehen Sie, ich habe so etwas wie einen Stellenplan. Und der ist voll. Und ich kann Werner Krauss nicht engagieren, wenn nicht ein anderer in Pension geht. Also.« Der Mann ging übrigens nicht in Pension, aber Werner Krauss wurde trotzdem engagiert.

 

Bis zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges war es im Burgtheater Sitte, daß die Schauspieler nicht mit Vornamen auf dem Zettel standen, sondern als Herr oder Frau Soundso. Wenn einmal ein Kind auftrat, was ja relativ selten vorkam, dann wurde vor seinem Nachnamen ›kl.‹ für Kleiner oder Kleine gesetzt. Eines Tages erschien der Inspizient ganz aufgeregt bei dem stellvertretenden Direktor. »Ich habe also den kleinen Danegger in seiner Garderobe aufgesucht, und wissen Sie, was ich sah? Ich sah Fräulein …« – »Und?« – »Die beiden lagen auf dem Sofa …« – »Und?« – »Was soll ich bloß tun?« – »Das will ich Ihnen sagen: Künftig schreiben Sie auf den Theaterzettel vor den Namen Danegger ›Herr‹. Klar?« Es war klar.

 

Einer der berühmtesten Schauspieler am Burgtheater war Raoul Aslan, der neben seiner herrlichen Stimme und seiner bezaubernden Ausstrahlung berühmt dafür war – weit über Bühnenkreise hinaus – daß er seine Rolle manchmal nicht konnte. Er steuerte immer auf den Souffleurkasten zu. Bösartige Kollegen behaupteten sogar, der Weg zum Souffleurkasten sei von ihm und anderen bereits »ausgetreten«. Damals trat er auf, ging schnurstracks auf den Souffleurkasten zu und zischte: »Wo?« Der Souffleur gab ihm seine ersten Worte. Aslan antwortete: »Keine Details! Welches Stück?«

 

Ein anderes Mal mußte er einen König spielen, der im Hintergrund auf der Bühne auf einem Thron saß. Keine Chance, zu hören, was der weit entfernte Souffleur sagte, selbst wenn er es nicht flüsterte sondern brüllte. Aslan wußte einen Ausweg. Er verpflichtete seinen Garderobier, sich hinter den Thron zu setzen, dort wo er von niemandem gesehen werden konnte, das Textbuch in der einen Hand, die Taschenlampe in der anderen, und so konnte er Wort für Wort flüstern, was Aslan dann Wort für Wort wiederholte. Nur bei der 25. Aufführung klappte es nicht mehr. Es kam von dem Garderobier gar kein Text. Aslan fuhr ihn in der Pause an: »Was ist eigentlich los mit Dir?« – »Sie müssen schon entschuldigen, Herr Aslan, aber die Taschenlampe hat nicht funktioniert, die Batterie …« – »Was heißt hier Batterie! Wir spielen das Stück zum 25. Mal und Sie können den Text immer noch nicht?«

 

Auch Gustav Waldau, ein bezaubernder Münchner Kollege, war nicht immer textsicher. Einmal hatte er eine Rolle zu spielen, bei der er ziemlich weit hinten auf der Bühne zu sitzen hatte, auf einer Veranda unter einer Markise. Vorn auf der Bühne war der Garten und es regnete. Es gab also wenig Chance für Waldau, den Souffleur zu verstehen. Tat nichts: Er machte ein paar Schritte in den Garten, wo es angeblich regnete, natürlich nur angeblich, hob die Hand prüfend, erklärte seiner Partnerin: »Es regnet ja gar nicht mehr, da können wir uns in den Garten setzen«, nahm zwei Stühle und setzte sich dicht vor den Souffleurkasten.

 

Unmöglich, alle Geschichten zu erzählen, die mit den Souffleusen oder Souffleuren zu tun haben und mit dem Kasten, in dem sie sitzen und sich die Kehle wund schreien. Da wäre zum Beispiel erwähnenswert die Geschichte eines berühmten Schauspielers, dessen Name außerhalb des Wiener Volkstheaters so berühmt nicht war. Er sollte eine Rolle spielen, die er seit ungezählten Jahren spielte, aber nur immer einmal oder jedes zweite Jahr und die ihm infolgedessen kaum noch geläufig war. Das Stück beginnt damit, daß er als alter Bauer vor seinem Haus sitzt und die Worte zu sagen hat: »Es ist wieder Weihnachten!« Der Souffleur murmelte es. Der Souffleur zischte es, der Souffleur sagte es, der Souffleur rief es. Das ganze Theater wußte bereits, daß Weihnachten vor der Tür steht, nicht aber der Schauspieler. Der begriff es als letzter und sagte: »Wie ich höre, ist es wieder Weihnachten!«

 

Jetzt müßte man natürlich über Oskar Blumenthal aus Berlin sprechen. Er starb so gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Er hatte sich in jeder nur denkbaren Weise betätigt, er hatte alle nur möglichen Rollen gespielt. Nicht als Schauspieler, aber eben sonst alle Rollen. Er war Theaterkritiker, er verfaßte Kritiken, die ihm den Titel »Der blutige Oskar« einbrachten. Er schrieb Lustspiele, von denen das berühmteste »Im weißen Rössl« noch immer gespielt wird, teils mit, teils ohne Musik. Und er war auch Theaterdirektor.

Einmal erschien eine Dame an der Kasse, offenbar aus der Provinz, und fragte: »Haben Sie für heute abend noch Karten?« Und ob die Kassiererin noch Karten hatte! Die Dame aus der Provinz zögerte. »Vielleicht sollten wir doch lieber morgen ins Theater gehen. Was spielen Sie denn?« Direktor Blumenthal, im Hintergrund der Kasse sitzend, mischte sich ein. »Einen Klassiker. Ich rate Ihnen, gehen Sie heute abend. Sie sehen das Stück nie wieder!«

 

Er hielt nichts von Auszeichnungen. Sein berühmter Ausspruch – als Kritiker –: »Je preisergekrönt, um so durchergefallen!«

 

Einmal, in seinen letzten Jahren, wurde im Lessingtheater, das er ja jahrelang als Direktor geführt hatte, »Julius Cäsar« von Shakespeare gespielt. Bassermann wollte den Brutus spielen. Dieser wurde aber mit Curt Goetz besetzt, der eigentlich für Boulevard-Komödien engagiert worden war. In der Pause erschien Blumenthal in seiner Garderobe. Sein Kommentar: »Wer sollte die Rolle eigentlich spielen?«

 

Äußerst berühmt ist auch die Geschichte vom Ifflandring. Oder eigentlich sollte man sagen: die Geschichten. Dieser Ring wurde angeblich von dem berühmten Schauspieler Iffland getragen, der in seinem Testament den Wunsch äußerte, der jeweils beste Schauspieler seiner Zeit sollte den Ring erben und ihn dann an den vermachen, der ihm am würdigsten schien. Er selbst vermachte den Ring dem Berliner Schauspieler Haase und dieser Albert Bassermann. Albert Bassermann zögerte, als es an die Weitergabe des Ringes ging. Ein schon alter Mann, war er wegen seiner jüdischen Frau in die Emigration gegangen. Er kam dann bald nach dem Kriege zurück und spielte noch einige Jahre in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Er erklärte dann: »Der beste Schauspieler, den ich kenne, ist natürlich Werner Krauß. Aber dem kann ich den Ring nicht vermachen. Er hat keinen guten Charakter.«

Er drückte sich noch drastischer aus. Grund dafür: Werner Krauß hatte gleich fünf Juden in dem üblen Film »Jud Süss« gespielt und das nicht gerade auf sympathische Weise. Anders wäre es ja unter Goebbels auch gar nicht denkbar gewesen. Bassermann kam schließlich auf den Einfall, den Ring dem Wiener Burgtheater zu vermachen, das ihn weitergeben sollte, und das Burgtheater gab ihn an Werner Krauß weiter. Und als dieser starb, stellte es sich heraus, daß er ihn dem Wiener Josef Meinrad vermacht hatte …

 

Eine liebe Kollegin, bekannt wegen ihres bissigen Humors, erklärte: »Diese Sache mit Meinrad stimmt auch gar nicht. Werner Krauß lag schon auf dem Totenbett. Als ihm die Sache mit dem Ifflandring einfiel, hauchte Werner Krauß nur noch ›was – da wäre mein Rat – mein Rat‹ und er verlöschte – und so kam Josef Meinrad zum Ifflandring.«