Das Berghotel 171 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 171 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Wenn’s mal kriselt im Paradies - Heimatroman um romantisch-turbulente Flitterwochen im Berghotel


Hedi Kastler instruiert an diesem herrlichen Sommermorgen noch Zimmermadel Sofie mit den letzten Hinweisen. Schließlich muss das Hochzeitszimmer perfekt hergerichtet sein, wenn das frischgebackene Ehepaar eintrifft. Carolin und Toni wollen hier im Berghotel unvergessliche Flitterwochen verbringen. Hedi Kastler ist ganz angetan von dem sympathischen Paar und hat ein Auge auf die beiden Turteltauben. Alles läuft perfekt!

Doch als Carolin und Toni eine geführte Tour zu einer Almhütte unternehmen, läuft die traute Zweisamkeit aus dem Ruder. Es kommt zu einem heftigen Streit. Am nächsten Morgen kehren beide getrennt voneinander zum Berghotel zurück, packen ihre Sachen und reisen Hals über Kopf ab. Hedi Kastler versteht die Welt nicht mehr. So was ist ihr in all den Jahren noch nicht untergekommen. Doch sie ahnt ja nicht, welch abstruse Geschichte sich hinter allem verbirgt ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Wenn's mal kriselt im Paradies

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6561-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Im idyllischen St. Christoph, dort, wo auch der »Bergdoktor« lebt und praktiziert, liegt das Hotel »Am Sonnenhang«. Es ist ein Haus, in dem sehr viel Wert auf Tradition und Gastlichkeit gelegt wird – und sich für die Gäste so mancher Traum erfüllt.

Wenn’s mal kriselt im Paradies

Heimatroman um romantisch-turbulente Flitterwochen im Berghotel

Von Verena Kufsteiner

Hedi Kastler instruiert an diesem herrlichen Sommermorgen noch Zimmermadel Sofie mit den letzten Hinweisen. Schließlich muss das Hochzeitszimmer perfekt hergerichtet sein, wenn das frischgebackene Ehepaar eintrifft. Carolin und Toni wollen hier im Berghotel unvergessliche Flitterwochen verbringen. Hedi Kastler ist ganz angetan von dem sympathischen Paar und hat ein Auge auf die beiden Turteltauben. Alles läuft perfekt!

Doch als Carolin und Toni eine geführte Tour zu einer Almhütte unternehmen, läuft die traute Zweisamkeit aus dem Ruder. Es kommt zu einem heftigen Streit. Am nächsten Morgen kehren beide getrennt voneinander zum Berghotel zurück, packen ihre Sachen und reisen Hals über Kopf ab. Hedi Kastler versteht die Welt nicht mehr. So was ist ihr in all den Jahren noch nicht untergekommen. Doch sie ahnt ja nicht, welch abstruse Geschichte sich hinter allem verbirgt …

Biesach war ein stilles, abgelegenes Örtchen in den österreichischen Alpen, nicht weit vom Zillertal. Einige gepflegte, helle Bauernhäuser in der typischen Alpenbauweise scharten sich um eine kleine, aber schmucke Kirche und ein weiß getünchtes Bürgermeisterhaus mit dunklen Holzbalkonen, an denen bunte Geranien blühten. Umgeben war diese Ansammlung von Gehöften von majestätisch emporragenden Bergen, deren üppig-grüne Almen nach oben hin zu bläulich-grauem Gestein und schließlich zu schneeweißen Spitzen zuliefen.

Auf einem etwas außerhalb gelegenen Hof wohnte Hubert Angerer. Noch vor wenigen Monaten hatte der Zweiundfünfzigjährige die gut laufende Landwirtschaft gemeinsam mit seinem älteren Bruder Alois geführt. Doch seit dieser einer schweren Erkrankung erlegen war, mussten Hubert und seine einundzwanzigjährige Tochter Carolin die Arbeit im Stall und auf den Almwiesen allein bewältigen.

Sie beklagten sich nicht, denn sowohl Hubert als auch Carolin waren harte Arbeit gewohnt, und sie ging ihnen rasch von der Hand. Außerdem hielten die Bauern in Biesach zusammen, und so gab es immer wieder den einen oder anderen, der zum Heuen oder für den Almauftrieb der Kühe hinzukam, um den beiden unter die Arme zu greifen.

Dennoch war die Stimmung zwischen Vater und Tochter angespannt. Vor einem Monat hatte Ferdinand Herbichel, der für den Biesacher Bürgermeister arbeitete und die meisten Verwaltungsangelegenheiten des kleinen Örtchens regelte, ihnen das Testament von Alois Angerer eröffnet.

Carolin und Hubert waren nicht wenig überrascht über den Inhalt gewesen, denn der ältere der beiden Angerer-Brüder hatte sein Erbe an eine Bedingung geknüpft: Seine Hälfte des Hofes sollte nur dann an seine Nichte Carolin übergehen, wenn diese einen ortsansässigen Burschen heiratete und diesen damit zum Bauern machte. Andernfalls würde das Erbteil der Gemeinde Biesach zufallen.

Alois Angerer selbst war unverheiratet und kinderlos geblieben, und Huberts Frau war früh verstorben, sodass Carolin das einzige Kind der Familie Angerer war. Die beiden Brüder hatten dem hübschen, blonden Madel mit der sportlichen Figur und den hellblauen Augen alles beigebracht, was sie über die Landwirtschaft auf einem Bergbauernhof wussten.

Auch eine tiefe Verbundenheit mit der Heimat hatten sie ihr mitgegeben. Deshalb machte es Carolin nichts aus, die meiste Zeit im Stall, auf dem Hof und auf den Wiesen zu verbringen. Sie liebte Biesach und seine kleine Welt. Nur den Wunsch des Onkels, dass sie heiraten solle, konnte sie nicht erfüllen, und das bereitete ihr große Sorgen.

Als sie an diesem Abend die Kühe hereingeholt und fürs Melken vorbereitet hatte, dachte sie wie so häufig darüber nach. Es war nicht etwa so, dass Carolin nicht hätte heiraten wollen. Wie die meisten Madeln wäre auch sie für ein wenig Romantik in ihrem arbeitsreichen Leben durchaus dankbar. Aber leider gab es in Biesach niemanden, an den sie ihr Herz hätte verschenken können.

Ihre Jugendliebe Anton Preising – ein fescher, großgewachsener Bursche mit dunklen Haaren und tiefbraunen Augen, der damals der Erste gewesen war, der das Madel jemals hatte küssen dürfen – war schon vor fünf Jahren nach Amerika ausgewandert, als seine Eltern gestorben waren und er den elterlichen Hof hatte verkaufen müssen. Zu diesem Zeitpunkt war Carolin erst sechzehn gewesen, und sie wäre ihm vielleicht sogar in seine neue Heimat gefolgt, wenn Anton nicht so vernünftig gewesen wäre, sie daran zu hindern. Er hatte damals schließlich nichts besessen und war als einfacher Arbeiter auf einen Rinderzuchtbetrieb in Texas gegangen.

Inzwischen hatte sich der mittlerweile dreißigjährige Anton seine eigene Rinderranch aufgebaut – gemeinsam mit einem Freund namens Dan Brixton, den er in Amerika kennengelernt hatte. Carolin war freilich niemals dort gewesen, doch sie kannte die Ranch, die dazugehörigen Ländereien und auch die Mitarbeiter von Fotos, die Anton ihr in seinen Briefen und E-Mails zuschickte.

Der Kontakt war in all den Jahren nie abgebrochen, obwohl das Leben in Texas vollkommen anders war als in Biesach. Schon allein die wesentlich kargere, flache Landschaft mit ihrem schier endlosen Horizont hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den saftigen Wiesen in den Bergen. Daher schickte auch Carolin Anton Fotos, so oft sie nur konnte, und sie erzählte von den kleinen und großen Dingen, die in Biesach passierten. Sie wusste, dass Anton oft unter schlimmem Heimweh litt.

Als sie nun die Kühe mit ihren bunten Almglocken in einer Reihe stehen sah, die Schnauzen zum Futtertrog gesenkt und treuherzig dreinblickend, holte sie wieder einmal ihr Handy hervor, um sie zu fotografieren. Was hätte ein typischeres Bild sein können für einen österreichischen Bergbauernhof zur Abendstunde?

Gerade hielt sie das Gerät quer vor sich und versuchte, die ganze, lange Reihe der Kühe einzufangen, als ihr Vater den Stall betrat.

»Hast nix Besseres zu tun, als die Küh zu fotografieren?«, brummte er.

Seit der Testamentseröffnung hatte Hubert ständig schlechte Laune.

»Mei, Vaterl, ich will dem Toni heut Abend noch eine E-Mail schicken.«

»Du weißt schon, dass der net mehr zurückkommt?«

Hubert ging zu der modernen Melkmaschine hinüber und kontrollierte, ob die Kühe richtig angeschlossen waren.

»Ich weiß«, erwiderte Carolin betrübt. »Aber wir sind trotzdem Freunde.«

»Freunde!« Hubert schnaubte. »Tausende von Kilometern seid’s voneinander entfernt. Wenn bei uns die Sonn aufgeht, ist bei ihm der letzte Tag noch net einmal zu End.«

»Ganz so ist’s ja auch wieder net …«

»Mit dem Ferdinand solltest dich lieber anfreunden.«

Carolin verdrehte die Augen. »Der Ferdinand …«

»Ich mein’s ernst. Du brauchst einen Mann.«

»Was soll ich denn machen? In Biesach sind alle jungen Burschen schon vergeben und verheiratet!«

»Genau. Nur der Ferdinand noch net.«

»Schon klar. Aber der Ferdinand ist auch ein schmieriger Weiberer. Der lässt keine Gelegenheit aus, den Madeln beim Dorffest an den Po zu langen.« Carolin schüttelte sich. »Außerdem weißt du genau, dass das ganze Dorf über ihn ratscht. Krumme Geschäft hätt er am Laufen neben seiner Arbeit für den Bürgermeister.«

»Schmarrn! Die Leut erzählen viel, wenn der Tag lang ist.«

Hubert packte eine Schaufel und verteilte Kraftfutter in den Trögen, »um die Kühe beim Melken bei Laune zu halten«, wie er es nannte.

»In Biesach ist der Tag aber net lang. Oder wär dir schon mal aufgefallen, dass hier irgendwer Langeweile hat? Außer dem Ferdinand vielleicht in seiner Amtsstube …«

Mit einem Ruck drehte Hubert sich zu ihr um.

»So sprichst du net vom Herbichel!« Sein Blick wurde stechend. »Madel, die Testamentsverkündung ist schon einen Monat her, und es ist noch nix passiert. Lang haben wir net mehr Zeit, eh Alois’ Hofhälfte an die Gemeinde Biesach fällt. Und dann? Was glaubst, wovon wir uns ernähren sollen?«

Carolin schluckte. Sie konnten sich bisher nicht beklagen, dass der Angerer-Hof zu wenig abwerfen würde, aber dass sie auch mit nur einer Hälfte auskommen konnten, war unwahrscheinlich.

»Ich begreif einfach net, warum der Onkel mir das antut«, murmelte sie bedrückt.

»Er ist halt ein traditioneller Mensch gewesen. Das weißt du genauso wie ich.«

»Ja, schon, aber dass er das von mir verlangt. Und dann auch noch so ganz ohne Vorwarnung. Das ist schon ein bisserl merkwürdig.«

Hubert stützte sich auf seiner Schaufel auf.

»Ganz und gar net. Er hat sein Testament ordnungsgemäß beim Herbichel im Gemeindebüro hinterlegt.«

»Aber hätt er uns net vorher sagen können, was er vorhatte …?«

Plötzlich verdunkelte sich Hubert Angerers Gesicht.

»Madel, du kannst’s drehen und wenden, wie du willst: Du wirst den Ferdinand heiraten! Es bleibt dir gar nix anderes übrig.«

Erschrocken wich Carolin vor seinem wütenden Blick zurück.

»Und du wirst aufhören, dem Texas-Toni zu schreiben!«, fügte er mit einem Blick auf das Handy in ihrer Hand hinzu. »Keine E-Mails, keine SMS, keine Briefe, keine Anrufe! Hast mich verstanden?«

»Wieso das?«, flüsterte sie.

»Weil der Ferdinand, dein Zukünftiger, mit Fug und Recht von dir verlangen wird, dass er für dich der Einzige ist.«

»Aber ich lieb ihn doch gar net. Und ich mag ihn auch net heiraten«, wagte sie leise einzuwenden.

Darauf warf ihr Hubert Angerer einen weiteren drohenden Blick zu.

»Mach nur so weiter, Madel, wenn du unseren Hof ruinieren willst!«

»Es muss doch eine andere Lösung geben. Könnten wir net das Testament anfechten?«

»Du hast gehört, was der Herbichel gesagt hat. Es ist rechtsgültig. Und außerdem: Ich werd mich doch net dem letzten Willen meines eigenen Bruders widersetzen! Und du auch net!«

Damit warf er die Schaufel beiseite, dass die Kühe erschrocken zusammenzuckten, und verließ grimmig den Stall.

Bestürzt sah Carolin ihm nach. Das alte Arbeitshemd des Bauern war fleckig und klebte von der Arbeit in der prallen Sommersonne an seinem Rücken. Sein graues Haar lag ihm wie so oft strähnig am Kopf. Hubert war ein stattlicher Mann mit einer kräftigen Statur, doch die Furchen in seinem wettergegerbten Gesicht und die schwieligen Hände zeugten von schwerer Arbeit.

Der Angerer-Hof war sein Ein und Alles, und Carolin wusste, dass er sich nicht schonte, wenn es darum ging, den Betrieb in Schuss zu halten. Nur deshalb war der Hof so gepflegt und stets auf dem neuesten Stand. Nur deshalb erzielten sie die besten Erträge im ganzen Dorf. Wie sollte sie damit leben können, ihm dieses Zuhause zu nehmen?

Doch als Carolin auf das Handy in ihrer Hand hinabblickte, auf dem noch immer das Foto angezeigt wurde, das sie für Anton aufgenommen hatte, zog sich ihr Herz zusammen. Der Vater hatte ja recht: Toni würde niemals aus Amerika zurückkehren.

Sie musste sich endlich die bittere Wahrheit eingestehen: Den Angerer-Hof würde sie nur retten können, wenn sie Ferdinand Herbichel heiratete. Doch beim Gedanken daran, ihr Leben mit ihm zu teilen, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Der Ferdinand mit seiner unangenehmen Art den Madeln gegenüber und dem undurchsichtigen, immer etwas verschlagen dreiblickenden Gesicht war ihr zuwider.

Doch sie würde diese Abneigung überwinden müssen, und allzu viel Zeit durfte sie sich damit nicht lassen, denn der Onkel hatte eine Frist von einem halben Jahr gesetzt. Entschloss sie sich binnen dieser Frist nicht zur Heirat mit einem Biesacher Burschen, so war die Hälfte des Hofes verloren.

Noch heute Abend musste sie Toni anrufen und ihm erklären, dass ihre Brieffreundschaft vorbei war. Natürlich hätte sie ihm auch einen Abschiedsbrief schreiben können, doch Carolins wundes Herz verlangte danach, ein letztes Mal seine Stimme zu hören, bevor sie ihn für immer vergessen musste.

Ihr war klar, dass es schwierig werden würde. Schließlich war er schon fünf Jahre fort, und trotzdem hatte sie nie aufgehört, ihn zu lieben. Aber vielleicht würde sie ja auch an Ferdinand irgendwo eine liebenswerte Seite entdecken und Toni mit der Zeit vergessen.

Carolin blickte noch einmal auf das Foto der langen Reihe Kühe mit bunten Glocken hinab, das sie nur für ihn gemacht hatte. Eine einzelne Träne landete auf dem Display, als sie die Aufnahme löschte.

***

In Texas bearbeitete Anton Preising die angefallene Post einer ganzen Woche. Es war ein heißer Tag gewesen, und er hätte sich liebend gern mit einem kühlen Bier in den Schatten verzogen, doch er wusste, dass er das Chaos auf dem Schreibtisch irgendwann angehen musste.

Weder sein Partner Dan Brixton noch er waren ausgemachte Papiertiger. Sie liebten die praktische Arbeit mit den Rindern auf der Ranch, die sie sich gemeinsam aufgebaut hatten. Wenn es um Bestellungen, Rechnungen, Aufträge und das ganze schriftliche Drumherum ging, wussten sich beide immer wieder zu drücken. So war Dan auch jetzt nicht auffindbar, weil Anton schon heute Mittag angekündigt hatte, dass sie ihre Ablage in Ordnung bringen mussten.

Seufzend fuhr er mit den Fingern durch das kurze, dunkle Haar, das ihm schon wieder im Nacken klebte, obwohl er gerade erst geduscht hatte. Selbst das luftige weiße T-Shirt und die kurzen Khaki-Shorts, die er trug, schienen noch zu warm zu sein für die Hitze, die auch am Abend noch über Texas flirrte. Er schaltete die Klimaanlage ein und starrte eine Weile die vielen Papiere an, die auf dem Schreibtisch lagen.

Dann fiel sein Blick auf den Computerbildschirm. Der Bildschirmschoner war angesprungen und zeigte eine ständig wechselnde Dia-Show der schönsten Fotos, die Caro ihm geschickt hatte. Die saftigen Wiesen seiner österreichischen Heimat wirkten unendlich weit weg, wenn er sie mit der Landschaft hinter seinem Fenster verglich. Natürlich bot auch Antons Farm den Rindern genügend Nahrung, doch sie grasten auf weit ausgedehnten Flächen, die viel weniger üppig bewachsen waren, und dem Horizont fehlte jede Erhebung, sodass Anton sich oft wehmütig an die Berge seiner Kindheit erinnerte.

Wie oft war er als junger Erwachsener zu einem Felsplateau gekraxelt, hatte sich das ruhige Tal, in dem sein geliebtes Biesach lag, von oben angesehen und dann den Gleitschirm entfaltet, mit dem er sanft abwärts geglitten war. Hoch über den Häusern von Biesach hatte er für einen Moment all seine Sorgen vergessen, als die Mutter schon verstorben und der Vater schwer erkrankt gewesen war.

Carolin hatte ihm auch Fotos von Paragliding-Gruppen geschickt, die über dem Tal schwebten, seitdem die Touristen es für sich entdeckt hatten. Sie wusste, dass es sein allerliebstes Hobby gewesen war, als er noch in Österreich gelebt hatte.

Hier in Texas hatte Anton keine Gelegenheit, diesem Hobby nachzugehen. Sicher, wenn er nur weit genug gefahren wäre, hätte er bestimmt auch eine Erhebung oder einen Canyon finden können, wo so etwas möglich war. Aber der flache, karge Landstrich, auf dem sich seine Ranch befand, schien sich endlos auszudehnen, und Anton fand bei der vielen Arbeit, die Rinder einigermaßen beisammenzuhalten, nicht die Zeit für lange Ausflüge.

Gerade als sein liebstes Foto von Caro selbst auf dem Bildschirm erschien, klingelte das Telefon.

»Das ist ja geradezu unheimlich. Ich hab dich just in diesem Moment angeschaut«, eröffnete er das Gespräch, nachdem er die österreichische Nummer auf dem Display erkannt hatte.

»Grüß dich, Toni«, hörte er ihre entfernte Stimme und betrachtete dabei das fesche, blonde Madel im schwingenden Sonntagsdirndl, das auf einer saftig-grünen Bergwiese stand.

Das helle Kleid betonte ihre schlanke Figur, und die zart gebräunten Arme waren weit ausgebreitet, wie um die Berge einzufangen, die sich hinter ihr bis zum strahlend blauen Himmel erhoben.

»Wie könntest mich anschauen? Du bist in Texas und ich in Österreich.«

»Und genau da schau ich dich an. Auf einer Almwiese stehst und schaust frisch aus wie ein junges Reh.«

»Ach, das Foto vom letzten Sommer.« Er hörte sie seufzen.

Irgendetwas in ihrem Tonfall machte ihn hellhörig. Er sah auf seine Armbanduhr. »Es ist ja mitten in der Nacht bei euch!«

»Ich musst warten, bis der Vater eingeschlafen war. Das dauert in letzter Zeit ein bisserl länger.«

»Was ist los?« Besorgt wartete er auf eine Antwort. Doch sie schien zu zögern.

»Caro?«

»Ach, es ist …«, setzte sie an, und Anton konnte einen Schauer in seinem Nacken spüren. War es nur die Klimaanlage, oder hatte ihn gerade eine kalte Vorahnung ergriffen?