Das Berghotel 194 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 194 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Hochzeit ohne Bräutigam
Im Berghotel entscheidet sich Annas Schicksal
Von Verena Kufsteiner

Anna Karger ist unglücklich verliebt - und auch noch ausgerechnet in ihren Chef, Justus Birkner, Inhaber von "Birkner Braut- und Trachtenmoden" in Wien. Anna ist schon seit mehreren Jahren als Fotografin für das familiengeführte Unternehmen tätig, und fast genauso lange schwärmt sie heimlich für den gut aussehenden Justus. Doch der ist verlobt mit Langzeitfreundin, Model und dem "Aushängeschild" der Firma: Kathi Böckl. Neben dem blonden Engel scheint die zurückhaltende brünette Anna geradezu unsichtbar.
Als Justus Anna bittet, die bevorstehende Hochzeit in St. Christoph mit der Feier im Berghotel fotografisch zu begleiten, sträubt sich Anna erst. Verzweifelt sucht sie nach Ausflüchten und Ausreden, doch sie merkt selbst, wie lahm diese klingen. Schließlich lässt sie sich gegen ihren Willen darauf ein, weil sie Justus ja doch nichts abschlagen kann. Doch schon kurze Zeit nach der Ankunft überschlagen sich die Ereignisse, und der Bräutigam ist plötzlich spurlos verschwunden ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Hochzeit ohne Bräutigam

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Halfpoint / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8118-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Hochzeit ohne Bräutigam

Im Berghotel entscheidet sich Annas Schicksal

Von Verena Kufsteiner

Anna Karger ist unglücklich verliebt – und auch noch ausgerechnet in ihren Chef, Justus Birkner, Inhaber von „Birkner Braut- und Trachtenmoden“ in Wien. Anna ist schon seit mehreren Jahren als Fotografin für das familiengeführte Unternehmen tätig, und fast genauso lange schwärmt sie heimlich für den gut aussehenden Justus. Doch der ist verlobt mit Langzeitfreundin, Model und dem „Aushängeschild“ der Firma: Kathi Böckl. Neben dem blonden Engel scheint die zurückhaltende brünette Anna geradezu unsichtbar.

Als Justus Anna bittet, die bevorstehende Hochzeit in St. Christoph mit der Feier im Berghotel fotografisch zu begleiten, sträubt sich Anna erst. Verzweifelt sucht sie nach Ausflüchten und Ausreden, doch sie merkt selbst, wie lahm diese klingen. Schließlich lässt sie sich gegen ihren Willen darauf ein, weil sie Justus ja doch nichts abschlagen kann. Doch schon kurze Zeit nach der Ankunft überschlagen sich die Ereignisse, und der Bräutigam ist plötzlich spurlos verschwunden …

Es muss wohl Schicksal sein, überlegte Anna Karger und drehte dabei ihr Kündigungsschreiben in den Händen. Ausgerechnet in dem Moment, als ich es bei ‚Birkner Moden‘ nicht mehr aushalte, bekomme ich diese Stelle in Italien angeboten …

Dabei hatte Anna immer gerne bei „Birkner Braut- und Trachtenmoden“ gearbeitet, einer kleinen Wiener Modelinie, für die viele Liebhaber von Trachtenmoden geradezu schwärmten. Sieben Jahre lang hatte sie sich von der unbedeutenden Vertriebspraktikantin bis zur persönlichen Assistentin des Inhabers hochgearbeitet. Nun, mit sechsundzwanzig Jahren, war es ebendieser Inhaber, der ihr das Leben beziehungsweise das Herz so schwer machte.

Denn Justus Birkner, der vor nicht einmal einem Jahr das Erbe seines Vaters angetreten und die Firmenleitung übernommen hatte, war … einfach nur fantastisch!

Er war klug, kompetent, integer und dabei freundlich, offen und – verflixt, musste er das auch noch sein? – viel zu gut aussehend! Schlank und von sportlicher Statur bei fast einem Meter neunzig, hatte er kurzgeschnittene dunkle Haare und diese besonderen, tiefgründigen, dunklen Augen, in denen man sich verlieren konnte.

Es wäre ein Traum gewesen, für ihn zu arbeiten, wenn es nicht so unglaublich schmerzen würde, ihm jeden Tag zu begegnen und zu bemerken, dass sie für ihn regelrecht unsichtbar war. Freilich, was ihre Zusammenarbeit betraf, konnte sie sich nicht beklagen. Justus behandelte sie stets mit Respekt. Aber für ihn war sie eben „nur“ die fleißige Assistentin, die alles zu seiner Zufriedenheit erledigte und dafür sorgte, dass die Abläufe der Firma reibungslos funktionierten.

Sein Desinteresse lag freilich daran, dass er viel zu viel arbeitete. Justus teilte sich die Firmenleitung mit seinem Bruder Robin, doch letzterer war keine große Hilfe.

Robin war flatterhaft, kam oft spät zur Arbeit oder an manchen Tagen gar nicht. Er hinterfragte alles, was Justus machte, brachte aber keine eigenen Vorschläge ein, sodass er letztlich nur zusätzliche Arbeit verursachte. Anna fand, dass der alte Herr Birkner, Justus‘ und Robins Vater, richtig entschieden hatte, als er Justus die Firma hinterlassen hatte.

Aber das war freilich alles nur Annas Meinung und insofern völlig unwichtig. Außerdem glaubte sie nicht, dass Justus sie jemals nach dieser Meinung gefragt hätte, selbst wenn er wüsste, dass sie eine hatte.

Anna fuhr sich mit der Hand durch das lange, kastanienbraune Haar.

Jetzt stand sie schon viel zu lange mit ihrer Kündigung vor Justus‘ geschlossener Bürotür. Eigentlich hätte sie längst anklopfen und ihm mit fester Stimme ihre Entscheidung mitteilen sollen.

Sie wollte „Birkner Braut- und Trachtenmoden“ verlassen und ins Ausland gehen, um so wenig Berührungspunkte wie möglich mit Justus zu haben. Letzteres würde sie natürlich für sich behalten.

Ihr Herz klopfte und ihre Hände wurden feucht. Wenn sie die Kündigung nicht bald überreichte, würde sie ganz klamm sein. Anna erhob die Hand zum Klopfen.

Wahrscheinlich würde er sich gar nicht weiter um ihre Kündigung kümmern. Schließlich beschäftigten ihn gerade andere Themen. Die neue Kollektion befand sich kurz vor ihrer Fertigstellung, was immer ein aufregender Moment war, und Justus selbst stand in wenigen Wochen sein eigener aufregender Moment bevor. Er wollte heiraten!

Wenn Anna nur daran dachte, wurde ihr ganz flau im Magen. Seit Jahren war der Mann, für den sie schwärmte, mit einer anderen verlobt. Was gab ihr das Recht, überhaupt so für ihn zu empfinden?

Zumal Kathi Böckl – das Madel, das er im Juni in Kathis Geburtsort St. Christoph zum Altar führen sollte – das genaue Gegenteil von ihr war. Kathi war groß, schlank, blond und schön, während Anna eher klein war, braune Haare und dunkle Augen hatte. Annas Figur war ganz passabel, manchmal lobte sie einer der Designer für ihre zierliche Gestalt. Doch mit Kathis elegantem Kleidungsstil, der ihre weiblichen Reize perfekt betonte, den eng anliegenden Etui-Kleidern oder weitausgeschnittenen Dirndln, den hochhackigen Schuhen und dem kunstvollen Make-up konnte Anna nicht mithalten. Sie trug meist praktische Hosenanzüge und flache Ballerinas, die es ihr ermöglichten, zwischen den Bereichen der Firma hin und her zu flitzen, wenn ihre Arbeit es erforderte. Die Haare frisierte sie selten aufwendig, und Make-up trug sie ebenfalls kaum. Kathi war ein Model – das Aushängeschild der Firma – da passte eine glamouröse Erscheinung. Anna hingegen war nur eine emsige Arbeitsbiene, die sich entsprechend bedeckt hielt.

Es war nicht weiter verwunderlich, dass Justus sich statt einer Arbeitsbiene die Bienenkönigin Kathi ausgesucht hatte.

Noch einmal tief durchatmend, nahm Anna jetzt all ihren Mut zusammen, um endlich an Justus‘ Tür zu klopfen und ihre Kündigung einzureichen. Einmal musste sie es ja doch wagen.

Doch noch bevor sie sich bemerkbar machen konnte, wurde die Tür von der anderen Seite geöffnet, und Justus stand vor ihr.

Abrupt ließ Anna die Hand sinken und starrte ihn an.

Er sah wieder einmal viel zu gut aus in seinem dunklen, tailliert geschnittenen Trachtenanzug mit dem weißen Hemd darunter! Außerdem stieg ihr, so nah, wie er vor ihr stand, sein unvergleichlicher Duft in die Nase – ein wenig herb, aber frisch.

„Anna!“, rief Justus überrascht und trat automatisch einen Schritt zurück. „Ich wollt dich grad zu mir hereinrufen.“

„Ach ja?“ Schnell versteckte sie das Kündigungsschreiben hinter ihrem Rücken. Sie musste erst hören, was er wollte, bevor sie eine elegante Überleitung zu ihrem Anliegen fand.

„Ja, komm doch herein.“ Er machte eine einladende Geste in Richtung der bequemen Sesselgruppe, die in einer Ecke seines Büros stand. „Ich muss etwas mit dir besprechen.“

Sofort wurde Anna nervös. Normalerweise saßen Justus und sie sich an seinem großen Schreibtisch gegenüber, auf dem sich Unmengen an Papieren und Unterlagen stapelten. In die Sitzecke bat er nur seine Gäste und Geschäftspartner. Anna konnte sich nicht erinnern, dass sie je dort gesessen hätte.

Die Hand mit dem Kündigungsschreiben noch immer hinter dem Rücken verborgen, ließ sie sich auf einen der Sessel sinken.

Was machte sie sich eigentlich so verrückt? Was konnte Justus ihr schon sagen, das sie noch betreffen würde? Schließlich hatte sie eh vor zu kündigen.

Doch was er sagte, traf dennoch: „Anna, du weißt ja, dass ich im Juni heiraten werd …“

„Ja?“, erwiderte sie schwach und fragte sich, ob ihm auffiel, wie unsicher sie klang.

„Du weißt ja, wie viel Arbeit in solch einer Hochzeit steckt, und ich wollt dich fragen, ob du dir vorstellen könntest, mit zur Hochzeit in diesem Berghotel zu fahren und ein bisserl aufzupassen, dass alles reibungslos verläuft …“

„Da wollt ich schon in Italien sein!“, schoss es aus ihr heraus, bevor sie die Worte aufhalten konnte. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund.

„Italien? Willst du Urlaub zu machen?“ Justus klang überrascht.

Anna war dafür bekannt, dass man sie regelrecht zwingen musste, sich frei zu nehmen. Ein Arbeitsbienchen eben.

„Nein, ich …“

Nun zog sie den Umschlag mit der Kündigung hinter dem Rücken hervor. Einen Moment lang sah sie ihn an und schluckte. Dann reichte sie ihn Justus.

„Ich kündige“, erklärte sie schlicht.

„Wie?“ Er hatte den Umschlag entgegengenommen, starrte sie aber nur an, anstatt ihn zu öffnen. „So plötzlich?“

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nein, net plötzlich. Bloß …“

Seine Augen hellten sich auf, und die Falte, die auf seiner Stirn erschienen war, glättete sich ein wenig.

„Hast du ein Angebot erhalten? Wie viel? Ich zahl dir mehr.“

Ein unvernünftig warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Hatte er gerade signalisiert, dass er um sie kämpfen wollte?

„Ich mein, so eine fähige Assistentin find ich doch nie wieder!“

Da wurde ihr wieder bewusst, dass es ihm nur um ihre Arbeitskraft ging. Freilich, als Assistentin war sie ihm Gold wert. Aber als Frau …

„Nein, ich … will was Neues versuchen. Mailand. Wer wollte da net hin?“

Wieder krauste er die Stirn. „Eine Firma, die ich kenn?“

„Glaub ich net. Travelli. Die machen Sportbekleidung, hauptsächlich Wandern … Haben nix mit Trachten zu tun …“

Ungläubig starrte er sie an. „Aber du magst doch Trachten!“

„Freilich, aber …“

Die Argumente gingen ihr aus. Sie konnte ihm schlecht erklären, dass sie seinetwegen ging. Dass ihr Herz an „Birkner Moden“ hing, dass sie hier aber trotzdem nicht glücklich werden konnte. Stattdessen war es ihr Schicksal, in die Welt hinauszugehen und ihr Glück woanders zu suchen, während der Mann, den sie … für den sie schwärmte, eine andere heiratete.

„Liegt‘s an uns? An Robin?“ Er bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. „Liegt‘s an mir?“

Anna spürte, wie sie rot wurde.

„Freilich net“, stammelte sie. „Das ist einfach der nächste Schritt für mich.“

Eine Weile sah Justus sie wortlos an. Unter seinem nachdenklichen Blick wurde es Anna abwechselnd heiß und kalt. Dann legte er den Umschlag beiseite und räusperte sich.

„Tja, da kann man wohl nix machen. Ich wünsch dir alles erdenklich Gute für deine neue Stelle. Aber bis zur Hochzeit bleibst du uns noch erhalten, gell?“

„Wie gesagt …“

„Ich bitt dich, Anna. Du kennst alle Einzelheiten der Planung. Du hast das Hotel gebucht – dieses hübsche Sporthotel ‚Am Sonnenhang‘ – und du hast den Termin mit dem Pfarrer abgestimmt. Wie hieß er gleich noch mal?“

„Roseder, Andreas Roseder“, antwortete Anna lahm.

„Roseder. Genau. Siehst du, noch nicht einmal den Namen des Pfarrers kann ich mir merken. Was soll ich bloß ohne dich tun? Du kannst mich doch jetzt nicht im Stich lassen …“

Anna wusste, dass sie diesem halb verschmitzten, halb flehentlichen Ausdruck auf seinem Gesicht nicht würde widerstehen können.

„Aber ich wollt mir an dem Wochenende in Mailand eine Wohnung suchen …“ Sie hörte selbst, wie lahm ihr Einwand klang.

„Kein Problem. Da kann dann wiederum ich dir bei behilflich sein. Ich hab einen ehemaligen Studienfreund in Mailand, der sich dort bestens auskennt. Den werd ich gleich mal anrufen …“

Schon stand er auf, um nach dem Telefon zu greifen.

Das ging Anna alles zu schnell.

Doch dann hielt er inne. „… Aber nur, wenn du mir hilfst, die Kathi unter die Haube zu bekommen“, legte er augenzwinkernd als Bedingung fest.

Wie unwohl sie sich dabei fühlte, schien er gar nicht zu bemerken.

„Und dann akzeptierst du meine Kündigung?“, fragte sie leise.

Er legte das Telefon zurück auf seinen Schreibtisch und schaute sie ernst an.

„Freilich, Anna. Es ist deine Entscheidung, was du mit deinem Leben anfangen willst. Wenn’s Mailand ist, soll’s Mailand sein. Ich wünsch dir nur das Beste. Mein Empfehlungsschreiben hast du in der Tasche. Also?“

Anna wusste nicht, ob sie über seine Reaktion erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Machte es ihm wirklich gar nichts aus, sie gehen zu lassen?

Sie seufzte. „Gut, ich helf dir bei der Hochzeit.“

Schon während sie es versprach, fragte sich Anna, wie sie dieses Wochenende im Zillertal bei klarem Verstand überstehen sollte.

***

Die Wochen vor der Hochzeit waren für Justus vollgestopft mit Terminen und Entscheidungen bezüglich der neuen Kollektion.

So saß er auch heute wieder vor seinem Schreibtisch und brütete über den Unterlagen.

Immer wieder fragte er sich, wie er bei diesem ganzen Stress auch noch eine neue Assistentin einarbeiten sollte. Freilich konnte er verstehen, dass Anna ging. Wenn sie meinte, dass sie ihre Karriere in Italien vorantreiben konnte, durfte er es ihr nicht verdenken. Die Kündigung kam nur recht plötzlich für ihn, Anna hatte nie etwas angedeutet, und ungelegen kam sie auch.

Obwohl, ungelegen wäre ihre Kündigung wahrscheinlich immer gekommen. Anna hatte schon für seinen Vater gearbeitet, und der alte Herr hatte große Stücke auf sie gehalten. So klein und unscheinbar Anna war, so flink war sie auch, wenn es darum ging, Dinge zu organisieren und Aufträge zu erledigen.

Seit er vor fast einem Jahr den Posten seines Vaters übernommen hatte, war sie für ihn schlicht unersetzlich geworden. Oft nahm sie Gedanken, die ihm gerade erst gekommen waren, bereits vorweg, als hätte sie einen siebten Sinn für alles, was ihm sein Leben als Inhaber und Geschäftsführer von „Birkner Braut- und Trachtenmoden“ erleichterte. Überlegte er gerade noch, dass er eine bestimmte Tabellenkalkulation brauchte, legte Anna sie ihm schon auf den Tisch. Erkannte er zu spät, dass er einen Termin nicht einhalten konnte, hatte sie ihn schon verlegt.

Wo sollte er jemanden finden, der ihn so gut ergänzte?

Zumal Anna auch das richtige Händchen im Umgang mit seinem Bruder bewies, und der stand auf einem ganz anderen Blatt.

Justus seufzte hörbar, während er eine Akte auf den viel zu großen Stapel mit unerledigten Aufgaben legte, der sich auf seinem Schreibtisch angesammelt hatte.

Sein Verhältnis zu Robin war schwierig, seit Vater Justus zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Freilich war Robin auch vor Vaters Tod schon ein Hallodri gewesen, der sein Freizeitvergnügen wichtigen Arbeitsbelangen vorgezogen und den Madeln nachgestellt hatte. Aber nach der Testamentseröffnung – als sie erfahren hatten, dass Justus alleiniger Erbe des Familienunternehmens war und es nicht mit Robin teilen durfte – war Robin schlicht unausstehlich geworden.

Obwohl Justus eine Möglichkeit gefunden hatte, Robin wenigstens als stellvertretenden Geschäftsführer einzubinden, hatte dieser es ihm gedankt, indem er ihm das Leben schwermachte. Justus konnte nichts an Robin delegieren, musste für alle Entscheidungen selbst geradestehen und sich von ihm oft genug vor versammelter Belegschaft kritisieren lassen. Wenn es Robin gerade nicht passte, blieb er der Arbeit fern, wenn er wusste, dass Justus für eine wichtige Entscheidung seine Ruhe brauchte, verbrachte er mehr Stunden im Büro als normalerweise üblich.

Es war, als steuere Robin ihm bei allem entgegen.

Manches Mal wollte Justus deswegen aus der Haut fahren. Aber dann sagte er sich, dass es nur Robins verletzter Stolz war. Und wahrscheinlich auch Trauer. Sie hatten beide vor nicht einmal einem Jahr ihren Vater verloren, und während Justus das Erbe antreten durfte, blieb für Robin nur ein kläglicher Rest übrig.

Deshalb hatte Justus sich vorgenommen, sich mit Robin zu versöhnen. Und aus diesem Grund hatte er ihn gebeten, bei der Hochzeit mit Kathi sein Trauzeuge zu sein.

Kathi! Erst jetzt fiel Justus wieder ein, dass sie für heute Abend verabredet waren.

Da klopfte es schon an der Tür, und Kathi streckte den Kopf herein, sodass ihre glänzenden, blonden Haare seitlich herabhingen.

„Hast du mich vergessen?“, tadelte sie vergnügt, bevor ihr Körper ihrem Kopf folgte und sie in einer koketten Bewegung in den Raum schlüpfte.

Eilig stand Justus auf und ging ihr entgegen.

„Es dauert mich, Kathi! Ich hab’s total verschwitzt! Schau, wie’s auf meinem Schreibtisch zugeht.“

Kathi lachte. „Ich hab’s mir schon gedacht. Drum bin ich hier, um dich abzuholen.“

Justus kam sich unglaublich lieblos vor, aber die Arbeit hatte ihn derart in Beschlag genommen, dass er seine Verlobte vollkommen vergessen hatte. Ringe wollten sie aussuchen gehen, beim besten Juwelier von ganz Wien, wie Kathi fröhlich beteuert hatte, als sie es vorgeschlagen hatte. Kathi wollte immer das Beste vom Besten, und eine Zeit lang hatte Justus es ihr auch gerne geschenkt.

Mittlerweile fragte er sich manchmal, ob ein wenig Bescheidenheit nicht auch eine positive Eigenschaft sein konnte. Aber dann schalt er sich wieder einen Deppen. Er hatte sich das schöne Fotomodell ausgesucht. Freilich wollte sie glänzend aussehen. Und dazu gehörte nun einmal ein funkelnder Brillant.

„Ich weiß net, ob ich mich schon losreißen kann. Wie wär’s, wenn wir morgen …“, begann Justus, aber Kathi schob seine Einwände mit einer wegwerfenden Handbewegung beiseite.