Das Berghotel 206 - Verena Kufsteiner - E-Book

Das Berghotel 206 E-Book

Verena Kufsteiner

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Beschreibung

Schlittenfahrt im Schneegestöber

Ein Wintermärchen aus St. Christoph

Von Verena Kufsteiner

Jauchzend sausen die Serviermadeln Isa und Franzi mit ihren Schlitten den Abhang am Feldkopf herunter. Was für eine Gaudi!
In ihrer Euphorie bemerken sie gar nicht, dass das Schneegestöber immer dichter wird. Viel zu spät wird Isa bewusst, dass sie auf einen Abhang zurast und nicht mehr bremsen kann. Da wird sie - wie durch ein Wunder - von stärken Händen gepackt und in allerletzter Sekunde vom Schlitten gerissen.
Isa findet sich in den Armen ihres fremden Retters wieder, und überwältigt vor Erleichterung küsst sie ihn leidenschaftlich. Der magische Moment ist so schnell vorbei, wie er gekommen ist, als Isa die verzweifelten Rufe der Freundin hört. Sie macht sich erschrocken von dem Fremden los, rappelt sich auf und läuft davon. Zurück bleibt ein völlig verdatterter Jannik Ziegler - mit einem Prickeln auf den Lippen und einem weißen Handschuh in der Hand ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Schlittenfahrt im Schneegestöber

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Sam Edwards / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8952-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Schlittenfahrt im Schneegestöber

Ein Wintermärchen aus St. Christoph

Von Verena Kufsteiner

Jauchzend sausen die Serviermadeln Isa und Franzi mit ihren Schlitten den Abhang am Feldkopf herunter. Was für eine Gaudi!

In ihrer Euphorie bemerken sie gar nicht, dass das Schneegestöber immer dichter wird. Viel zu spät wird Isa bewusst, dass sie auf einen Abhang zurast und nicht mehr bremsen kann. Da wird sie – wie durch ein Wunder – von stärken Händen gepackt und in allerletzter Sekunde vom Schlitten gerissen.

Isa findet sich in den Armen ihres fremden Retters wieder, und überwältigt vor Erleichterung küsst sie ihn leidenschaftlich. Der magische Moment ist so schnell vorbei, wie er gekommen ist, als Isa die verzweifelten Rufe der Freundin hört. Sie macht sich erschrocken von dem Fremden los, rappelt sich auf und läuft davon. Zurück bleibt ein völlig verdatterter Jannik Ziegler – mit einem Prickeln auf den Lippen und einem weißen Handschuh in der Hand …

Hochzufrieden blickte Hotelchefin Hedi Kastler über das eingeschneite Tal. Besser hätte es der Wettergott mit ihnen nicht meinen können. Ganz St. Christoph lag unter einer glitzernden, funkelnd weißen Schneedecke, als wäre es mit einem Zuckerguss überzogen. Die strahlende Wintersonne lockte die Gäste des Sporthotels „Am Sonnenhang“ nach draußen, wo sie den verschiedensten Wintersportarten nachgingen.

Hedi zog ihre Trachtenstrickjacke enger um den Körper, denn auf der Panoramaterrasse des Berghotels war es eisig kalt. Doch das hielt sie nicht davon ab, ihren Urlaubsgästen zufrieden nachzublicken, die sich mit Skiern und Schlitten auf den Weg in den Winterspaß machten.

„Na, reizt es dich auch, ein bisserl rodeln zu gehen, Spatzl?“, fragte Andreas Kastler. Er war Hedis Ehemann und mit ihr gemeinsam Inhaber des gemütlichen Berghotels, das wie jedes Jahr zur Skisaison restlos ausgebucht war.

„Rodeln? Als ob ich Zeit dafür hätt!“, entgegnete Hedi mit gespielter Entrüstung. „So viele Gäste, wie wir heuer beherbergen, bin ich viel zu beschäftigt, mir Aktionen auszudenken, um sie bei Laune zu halten.“

Andi grinste. „Und das dir, die du so ausgesprochen ungern Veranstaltungen wie den kommenden Winterball planst!“

„Ertappt.“ Hedi schmunzelte.

Sie liebte es, für ihre Gäste gemütliche Abende oder rauschende Feste nach Zillertaler Art zu organisieren. Mit den Planungen dazu konnte sie Andi stundenlang in den Ohren liegen. Aber die Mühe, die sie sich gab, zahlte sich aus. Hedi wusste, was ihre Urlauber mochten, und sie setzte alles daran, die Veranstaltungen stimmungsvoll zu organisieren.

„Ich kenn dich halt schon ein bisserl länger, Spatzl.“ Andi drückte seiner Frau ein Busserl auf die Wange. „Aber warum stehst du hier draußen in der Kälte? Du holst dir noch den Tod mit deinem feschen Dirndl und dem viel zu dünnen Trachtenjankerl.“

„Mei, Andi, tu net so väterlich. Hast ja selbst nur eine Lederhose und ein Trachtenhemd an.“

„Ich schau nur nach dir. Was treibst du hier?“

„Ich schau ins Wetter und bin rundum glücklich.“

„Na, wenn’s mehr net braucht …“ Andi legte wärmend einen Arm um Hedis Schultern, und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie kalt ihr zuvor gewesen war.

„Also gut, gehen wir rein.“

„Was denn? Wo’s hier grad so lauschig wird? Ganz allein auf der Panoramaterrasse …“

„So allein sind wir gar net. Schau, da vorn laufen die Isabelle und die Franzi.“

„Unsere Serviermadeln? Ja, sind denn heut alle ein bisserl durcheinander? Sie werden doch wohl net draußen servieren wollen, wo uns die Gäste erfrieren?“

Hedi lachte. „Nein, die Franzi und die Isabelle haben heut ihren freien Tag. Die zwei gehen offenbar rodeln.“

Nun hatte auch Andi die Madeln entdeckt. In dicke Winterjacken gekuschelt und mit Schal, Mütze und Handschuh versehen, zogen sie zwei Schlitten hinter sich her. Franzi hatte ihren offensichtlich bei Kilian Garnreiter geliehen, Hedis und Andis Angestelltem, der im Berghotel für alles sorgte, was rund ums Haus anfiel. Unter anderem chauffierte er manchmal die Gäste zum Bahnhof. Doch den alten Holzschlitten, den Franzi jetzt zog, benutzte er dafür nicht. Mit dem transportierte Kilian manchmal das Brennholz für den gemütlichen Kamin im Weinstüberl, wo Andi seinen Gästen Wein servierte.

„Ach, das freut mich, dass die Franzi unsere Isabelle einmal ein bisserl herauslockt“, sagte Hedi leise, damit die Madeln sie nicht hörten.

„Wie meinst du das?“, fragte Andi, der freilich wusste, dass Hedi stets im Auge behielt, ob es all ihren Mitarbeitern gut ging.

„Das Madel ist in letzter Zeit ziemlich eingespannt. Net nur bei uns, wo sie ja nur drei Tage die Woche kellnert, sondern auch daheim beim Kulmbacher in seiner Tischlerei. So jedenfalls hat’s mir die Franzi erzählt. Und mir kommt’s manches Mal vor, als wär die Isabelle doch recht erschöpft.“

„Ist das so? Mei, das ist mir noch gar net aufgefallen.“

„Na, weil du net richtig hinschaust, Anderl, darum.“

Andi grinste. „Wieso sollt ich auch andere Madeln anschauen? Wo ich die Fescheste schon vor Jahren geheiratet hab!“

„Schmeichler“, erwiderte Hedi, fühlte sich mit dem Kompliment aber doch recht wohlig in ihrer Haut.

Nun waren sie schon Mitte vierzig und seit Jahren verheiratet, aber ihre Liebe war noch immer so frisch wie der glitzernde Neuschnee auf St. Christophs Dächern.

„Für dich mach ich einmal eine Ausnahme und schau mir die Isabelle näher an. Und mir fällt auf: Sie lacht. Ihre Wangen sind gerötet, und überhaupt kommt mir das Madel frisch und glücklich vor. Das soll wohl als Diagnose reichen, gell?“

„Spinnert bist du, Anderl! Aber in der Tat bin auch ich recht zufrieden, wie die Isabelle heut ausschaut. Hoffentlich lockt die Franzi sie noch häufiger hinaus.“

„Das soll sie machen. Aber jetzt, mein Spatzl, lock erst einmal ich dich hinein. Denn du zitterst mir schon, und da versteh ich keinen Spaß. Ich muss für dich sorgen!“

Damit zog er sie von der Balustrade der eingeschneiten Panoramaterrasse weg, und Hedi ließ sich bereitwillig ins warme Innere des Hotels führen.

Hier sorgten die Inneneinrichtung aus heimischem Zirbelholz, die vertäfelten Wände und die bunten Teppiche über dem Holzfußboden für eine gemütliche Atmosphäre. Hedi liebte die winterliche Stimmung im Berghotel, und sie wusste, dass es den Gästen nicht anders erging, denn viele waren längst zu Stammgästen geworden und kamen jedes Jahr wieder in das ruhige Nebental des Zillertals, um sich im Sporthotel „Am Sonnenhang“ zu erholen.

Schnell eilte Hedi hinter den Empfangstresen, als ihr bewusst wurde, dass dort ein solcher Stammgast bereits auf sie wartete.

Jannik Ziegler, dreißigjähriger Geschäftsführer einer bekannten Wiener Druckerei und alljährlicher Wintergast im Berghotel, erkundigte sich nach den Wetterbedingungen auf dem Feldkopf-Gletscher. Er wollte eine Wanderung unternehmen und wusste, dass dort oben nicht nur hervorragende Ski- und Rodelstrecken waren. Der hoch aufragende Feldkopf bot auch einen atemberaubenden Ausblick über das Tal und die umliegenden Gipfel. Den wollte er mit seiner Kamera einfangen.

„Das Wetter ist für diese Zwecke ganz fantastisch“, schwärmte Hedi. „Gerade vor einer halben Stund hab ich noch mit der Kabinenstation auf dem Feldkopf telefoniert, und man sagte mir, dort droben sei es genauso sonnig wie hier herunten. Allerdings sollten Sie net zu lang bleiben, denn für heut Nachmittag ist ein Schneesturm angesagt. Wenn Sie aber diese Route nehmen, sollten Sie rechtzeitig zurück sein.“

Sie zeigte ihm eine Wandertour auf einer der Faltkarten, die neben der Rezeption in einem Metallständer auslagen.

Jannik Ziegler bedankte sich so freundlich, wie Hedi es von ihm gewohnt war. Der Bursche hatte ein nettes Lächeln, das sein gebräuntes Gesicht unter den kurzen dunkelblonden Haaren vollständig erhellte. Dabei funkelten seine blauen Augen so lustig, dass man ihn fast für einen Lausbuben hätte halten können. Allerdings nur, wenn man nicht wüsste, dass er ein gut gehendes Familienunternehmen leitete, dessen hervorragende Druckerzeugnisse weit über Wien hinaus bekannt waren.

„Dann mach ich mich also auf den Weg, Frau Kastler. Ich dank Ihnen recht schön für die Auskunft.“

Damit zog er den Reißverschluss seiner teuren Daunenjacke bis unters Kinn und schulterte die Tasche mit der Kamera.

Hedi sah ihm nach, während er durch den Ausgang des Berghotels verschwand.

„Ein netter Mann, der Herr Ziegler“, kommentierte sie, nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.

„Also, Hedi, außer mir sollst du aber eigentlich keinen anderen nett finden!“, erwiderte Andi, nur halb im Scherz.

Hedi lachte. „Mei, netter als du ist für mich ohnehin keiner. Darauf kannst du dich verlassen, Anderl.“

***

„Herrlich! Franzi, ich bin so froh, dass du mich überredet hast, heut einmal Schlitten zu fahren zu! Mei, das hab ich ewig nimmer gemacht!“

Isabelle vermochte ihr Hochgefühl nicht mehr zu zügeln, obwohl sie freilich sah, dass die Freundin ein bisserl schmunzelte, so überschwänglich, wie sie sich zeigte.

Aber wann hatte sie zuletzt die Gelegenheit gefunden, einer so unbeschwerten Beschäftigung wie dem Schlittenfahren nachzugehen? Obwohl sie in den Bergen wohnte, konnte Isabelle sich nicht daran erinnern, wann sie sich so viel frische Luft um die Nase hatte wehen lassen.

Immer fühlte sie sich daheim für alles verantwortlich, seit ihre Mutter vor einigen Jahren verstorben war. Sie kümmerte sich um die Buchführung in der Tischlerei ihres Stiefvaters Bernhard Kulmbacher, um den Haushalt und um ihren jüngeren Stiefbruder David Kulmbacher. David war mit seinen neunzehn Jahren zwar nur drei Jahre jünger als Isabelle, hatte jedoch jede Menge Flausen im Kopf und bereitete ihr oft Kummer.

Doch heute war Isabelle einmal ganz frei. Dieses Gefühl schien auch jene Lebensgeister in ihr zu wecken, die sich schon lange nicht mehr gemeldet hatten und höchstens zaghaft hervorschauten, wenn sie ins Berghotel ging, um sich etwas dazuzuverdienen, indem sie im Restaurant mitarbeitete.

Dort fühlte sie sich wohl, die Arbeit brachte sie auf andere Gedanken. Außerdem hatte sie sowohl in Franzi als auch in Hedi und Andi Kastler gute Freunde gefunden. Einfach nur Spaß zu haben und sonst nix zu tun, war jedoch etwas ganz anderes, geradezu Ungewohntes.

Darum ließ sie sich auch nicht ins Bockshorn jagen, als Franzi sorgenvoll in den Himmel blickte, der sich langsam, aber stetig verdunkelte.

„Jetzt dauert’s nimmer lang, bis der Schneesturm kommt“, erklärte Franzi. „Wir sollten lieber heimkehren.“

„Was? Nein! Wieso? Ich hab den ganzen Morgen suchen müssen, um den alten Schlitten auf dem Dachboden des Kulmbacherhauses ausfindig zu machen. Der wird jetzt ausgefahren!“

Isabelle war normalerweise alles andere als sorgenfrei. Noch nie hatte sie die Warnungen anderer in den Wind geschlagen.

Aber es stimmte: Sie hatte wirklich allerlei Gerümpel zur Seite räumen müssen, um endlich in der hintersten Ecke des Speichers unter jahrzehntealtem Staub den Holzschlitten zu finden, mit dem sie wundervolle Kindheitserinnerungen verband. Wie oft hatte ihre Mutter sie mit diesem Schlitten hinter sich her durchs Dorf gezogen, um auf einem sanften Hügel rodeln zu gehen?

„Mei, Franzi, sei kein Frosch. Einmal noch! Komm schon!“

„Ich weiß net, Isabelle. Wir sollten lieber kein Risiko eingehen.“

„Ach wo, die dunkle Wolke ist noch ganz weit entfernt. Komm, ziehen wir die Schlitten ein letztes Mal hinauf. Mir zuliebe! So schnell komm ich net wieder dazu, und es macht doch so einen Spaß!“

Zu diesen Worten setzte sie ihren treuesten Hundeblick auf, von dem sie inzwischen wusste, dass es bei Franzi fast immer zog. Fröhlich juchzend stapfte Isabelle der Freundin voran durch den tiefen Schnee, noch bevor diese seufzend nachgab.

Wie gut war doch ihre Entscheidung gewesen, in diesem Winter im Berghotel zu arbeiten! Seither waren Franzi und sie die besten Freundinnen – bei der Arbeit, aber auch in ihrer dünn gesäten Freizeit.

„Auf geht’s!“, jubelte Isabelle, als sie oben an der Rodelbahn angekommen waren.

Franzis skeptischen Blick in den Himmel ignorierte sie. Klar bemerkte auch Isabelle, dass sich die Wolken weiter zugezogen hatten, aber die Madeln würden schon unten ankommen, bevor der Schneesturm richtig losbrach. Viel zu herrlich war das Gefühl des Windes, der ihr um die Ohren sauste, und des aufstiebenden Schnees, während sie den Berg hinunterschoss.

Die Rodelstrecke war lang und gut gepflegt, sodass Isabelle sich durchaus auf ein paar Minuten der wilden Fahrt freuen konnte. Und die plötzliche Freiheit hatte sie so übermütig gemacht, dass sie Franzi rasch hinter sich ließ und immer schneller den Hang hinabraste.

Doch dann fuhr sie plötzlich mitten in eine dunkle Wolke hinein. Von einer Sekunde auf die nächste war es, als hätte jemand das Licht ausgeknipst, und alles, was Isabelle sehen konnte, waren nur noch wirbelnde Schneeflocken, die immer dichter und dichter wurden, je tiefer sie ins Schneetreiben hineingeriet.

„Franzi!“, rief sie erschrocken aus und versuchte, ihren Schlitten zu bremsen, aber sie hatte längst ein viel zu hohes Tempo erreicht, um noch einfach so stehen zu bleiben. „Franzi!“

Das Schneegestöber war nun so dicht, dass sie kaum die Hand vor Augen erkannte, und Isabelle beschloss, sich den Elementen zu überlassen. Bis zum Ende der Rodelstrecke konnte es nicht mehr allzu weit sein. Dort würde sie anhalten und auf Franzi warten, die freilich direkt hinter ihr sein musste. Schließlich waren sie gemeinsam gestartet.

Also beugte sie sich tiefer über den Schlitten, um so wenig peitschenden Schnee ins Gesicht zu bekommen wie nur eben möglich und es gleichzeitig schnell hinter sich zu bringen.

Aber dann erkannte Isabelle die Silhouetten einiger Zirbelkiefern. An der Strecke hatten keine Kiefern gestanden, als sie im strahlenden Sonnenschein hinuntergesaust war. Nicht ein einziger Baum war in der Nähe gewesen! Die hatten ein bisserl weiter abseits gestanden, wo das namensgebende Gestein des Feldkopfs aus dem Gletschereis ragte …

„Jessasmariaundjosef!“, entfuhr es Isabelle, als ihr mit kaltem Entsetzen bewusst wurde, dass sie von der Rodelstrecke abgekommen war und im dichten Schneegestöber in unbekanntes Gelände hineinschoss.

Schreiend versuchte sie, den Schlitten herumzureißen, wenigstens etwas abzubremsen, um sich vielleicht irgendwie orientieren zu können. Was hatte ihre Mutter ihr damals erklärt, wie man sich im Schneesturm zurechtfand? Sollte sie stehen bleiben oder weiterfahren?

Doch die Entscheidung wurde ihr im nächsten Moment abgenommen, als etwas Großes, Dunkles an der Seite ihres Blickfelds auftauchte. Es sprang auf sie zu und riss sie so kraftvoll vom Schlitten, dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb.

Nur vage hörte sie weiter unten die Kufen des Schlittens über Gestein schleifen, bevor das Geräusch abrupt verstummte und Sekunden später das Krachen von zerberstendem Holz erklang.

Wie auf ein Stichwort brach der Schneesturm in diesem Moment ab – genauso plötzlich, wie er gekommen war. Vereinzelte Flocken rieselten auf Isabelle nieder, während eine dichte Wand aus Schnee sich weiter bergan schob.

Isabelle brauchte nicht nachzusehen, wohin ihr Schlitten ohne sie gefahren war. Direkt neben ihrem rechten Arm ragten die ersten Felsbrocken aus dem Schnee, und wenn sie den Kopf zur Seite wandte, erkannte sie eine mächtige Spalte, in deren Tiefen sie ebenso zerschellt wäre wie ihr Holzschlitten, wenn nicht …

Erst jetzt setzte Isabelles Atmung wieder ein, doch ihr Herz klopfte wild, als ihr klar wurde, dass das dunkle Etwas, das sie zu Boden gerissen hatte, nichts anderes war als ein junger Mann. Ein Bursche mit dunkelblondem Haar, das nun freilich vom weißen Schnee durchzogen war, mit gebräuntem Gesicht und blauen Augen, die sie so aufmerksam anblickten, dass ihr ganz seltsam zumute wurde.

„Bist du verletzt?“, fragte er mit einer Stimme, die ebenso sanft und weich war wie die dicke Daunenjacke, die er trug.

Isabelle hätte gern den Kopf geschüttelt, aber auf einmal konnte sie sich nicht mehr regen, während er neben ihr im Schnee lag und sie ansah. Sein Duft schien sie zu einzuhüllen. Obwohl er dick eingemummelt war in seine Jacke, roch er dermaßen gut, dass sie sich nicht erinnern konnte, jemals irgendetwas derart Köstliches gerochen zu haben.

Alles schien sich um sie drehen, während sie mühsam den Blick zwischen ihm und dem Abgrund hin und her wandern ließ und ihr ins Bewusstsein sank, dass er sie vor dem sicheren Tod gerettet hatte.

Sie wollte ihm danken, fand aber keine Worte dafür. Weil ihr nichts Besseres einfiel, folgte sie einem plötzlichen Impuls und legte schlicht ihre Lippen auf seine, die den ihren verlockend nah gewesen waren. Sanft und ganz vorsichtig küsste sie ihn, sich kaum darüber im Klaren, dass sie einem wildfremden Mann ein Busserl gab.