Das Buch der Nacht - Deborah Harkness - E-Book

Das Buch der Nacht E-Book

Deborah Harkness

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Beschreibung

Wenn die größte Gefahr eine Liebe hervorbringt, die stärker ist als das Leben selbst ...

Nach ihrer Zeitreise in das London Elisabeth‘ I. kehren Diana Bishop und Matthew Clairmont zurück in die Gegenwart, wo neue Herausforderungen, vor allem aber alte Feinde sie erwarten. In Sept-Tour, der Heimat von Matthews Ahnen, treffen sie aber auch endlich ihre Freunde und ihre Familien wieder. Außerdem werden sie mit einem tragischen Verlust konfrontiert, der besonders Diana trifft. Die wahre Bedrohung für die Zukunft aber, muss noch aufgedeckt werden, und dafür ist es von höchster Wichtigkeit, das Geheimnis um das verschollene Manuskript Ashmole 782 zu entschlüsseln und die fehlenden Seiten zu finden …

Der krönende Abschluss der großen Saga.

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Seitenzahl: 1057

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Deborah Harkness

Das Buch der Nacht

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christoph Göhler

Die Originalausgabe erschien 2014unter dem Titel »The Book of Life« bei Viking, published by the Penguin Group, New YorkGedicht aus: »Die Wolke«, aus: Percy Bysshe Shelley,Ausgewählte Werke. Dichtung und Prosa. Herausgegeben und mit einer Einführung versehen von Horst Höhne. © Insel Verlag Leipzig 1985.

1. AuflageCopyright © der Originalausgabe 2014 by Deborah HarknessCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenAll rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.This edition published by arrangement with Viking, a member of Penguin Group (USA) Inc.Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-14638-2www.blanvalet.de

Für Karen – sie weiß, warum

Es ist nicht die stärkste Spezies die überlebt, auch nicht die intelligenteste, es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann.

Philippe de Clermont,oft Charles Darwin zugeschrieben

Sol in Cancer

Das Signum des Krebses steht für Häuser, Ländereien, Schätze und für alles, was verborgen ist. Es ist das vierte Haus im Tierkreis. Es steht für Tod und Ende.

Anonymes englisches Kollektaneenbuch, um 1590,Gonçalves MS 4890, f.8v

1

Geister hatten praktisch keine Substanz. Sie bestanden ausschließlich aus Erinnerungen und ihrem Herzen. Hoch oben auf einem der Rundtürme über Sept-Tours presste Emily Mather eine durchscheinende Hand auf den Ort in ihrer Brust, der selbst jetzt sorgenschwer war.

Wird es irgendwann erträglicher? Ihre Stimme war, so wie alles andere an ihr, nicht mehr als ein Hauch. Das Ausschauhalten? Das Warten? Das Wissen?

Ganz und gar nicht, antwortete Philippe de Clermont kurz angebunden. Er saß neben ihr und studierte seine genauso transparenten Finger. Philippe hasste vieles am Totsein – dass er seine Frau Ysabeau nicht mehr berühren konnte; dass er nichts mehr roch oder schmeckte; dass er keine Muskeln mehr hatte, um ein schönes Turnier auszufechten –, doch unsichtbar zu sein war das Schlimmste. Es erinnerte ihn ununterbrochen daran, wie unwichtig er geworden war.

Emilys Mundwinkel sackten nach unten, und Philippe verfluchte sich insgeheim. Seit die Hexe gestorben war, war sie ständig an seiner Seite und halbierte dadurch seine Einsamkeit. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie anzuschnauzen wie eine Dienstmagd?

Vielleicht wird es erträglicher, wenn sie uns nicht mehr brauchen, ergänzte Philippe sanfter. Er hatte zwar mehr Erfahrung als Geist, aber Emily begriff die Metaphysik ihrer Situation wesentlich besser als er. Was ihm die Hexe erzählt hatte, widersprach allem, was Philippe über die Nachwelt zu wissen geglaubt hatte. Er hatte gedacht, die Lebenden würden die Toten sehen, weil sie sich etwas von ihnen erhofften: Beistand, Vergebung, Vergeltung. Emily beharrte darauf, dass dies nur menschliche Mythen seien und dass die Toten den Lebenden erst erscheinen konnten, wenn diese mit ihnen abgeschlossen und sich wieder dem Leben zugewandt hatten. Seit er das wusste, ertrug er es ein bisschen, aber nicht viel leichter, dass Ysabeau ihn nicht sehen konnte.

»Ich bin so gespannt, wie Em reagiert. Sie wird ganz aus dem Häuschen sein.« Dianas warme Altstimme schwebte zu den Wehrgängen empor.

Diana und Matthew, sagten Emily und Philippe im Chor und spähten hinab in den gepflasterten Innenhof vor dem Château.

Dort, sagte Philippe und deutete auf die Zufahrt. Auch nach dem Tod war sein Vampirblick schärfer als der jedes Menschen. Und er sah mit seinen breiten Schultern und dem teuflischen Lächeln immer noch besser aus, als es irgendeinem Mann rechtmäßig zustand. Jetzt bedachte er Emily mit genau diesem Lächeln, woraufhin sie nicht anders konnte, als es zu erwidern. Sie sind ein schönes Paar, nicht wahr? Sieh nur, wie sich mein Sohn verändert hat.

Eigentlich konnte einem Vampir die Zeit nichts anhaben, und so rechnete Emily fest damit, dieselben lackschwarz glänzenden Haare zu sehen wie immer; dieselben unbeständigen graugrünen Augen, kühl und zurückhaltend wie ein Wintermeer; dieselbe blasse Haut, denselben breiten Mund. Es gab allerdings, wie Philippe richtig angemerkt hatte, ein paar subtile Veränderungen. Matthew trug das Haar kürzer und dazu einen Bart, mit dem er noch gefährlicher aussah, beinahe wie ein Pirat. Dann stockte ihr der Atem.

Ist Matthew … runder geworden?

Ganz recht. Ich habe ihn ein bisschen gemästet, als er und Diana mich hier im Jahr 1590 besuchten. Die Bücher machten ihn damals weich. Matthew brauchte mehr Kämpfe und weniger Lektüre. Philippe hatte schon immer die Theorie verfochten, dass es so etwas wie ein Übermaß an Bildung gebe. Matthew sei der lebende Beweis dafür.

Diana hat sich auch verändert. Mit diesen langen roten Haaren sieht sie ihrer Mutter viel ähnlicher, kommentierte Em die auffälligste Veränderung an ihrer Nichte.

Diana stolperte über einen Pflasterstein, und sofort schoss Matthews Hand vor, um sie zu halten. Früher war Emily der Ansicht gewesen, dass sich in seiner allgegenwärtigen Fürsorge der übertriebene Beschützerinstinkt eines Vampirs zeigte. Jetzt erkannte sie mit dem Scharfblick eines Geistes, dass er zu diesem Verhalten neigte, weil er mit seinem extrem feinen Gespür jede noch so kleine Veränderung in Dianas Gesichtsausdruck, jede Stimmungsschwankung, jedes winzige Anzeichen von Hunger oder Müdigkeit registrierte. Heute allerdings wirkte Matthews Fürsorge noch konzentrierter und intensiver.

Nicht nur Dianas Haar hat sich verändert. Philippes Miene spiegelte Verwunderung. Diana trägt ein Kind im Bauch – Matthews Kind.

Emily nahm ihre Nichte genauer in Augenschein und nutzte dabei die geschärfte Erkenntnis, die mit dem Tod einherging. Philippe hatte recht – teilweise. Du meinst Kinder. Diana trägt Zwillinge aus.

Zwillinge, wiederholte Philippe ehrfürchtig. Dann lenkte ihn seine Frau ab, die in diesem Moment erschien. Sieh nur, da sind Ysabeau und Sarah mit Sophie und Margaret.

Was kommt jetzt, Philippe?, fragte Emily, und das Herz wurde ihr schwer.

Ein Ende. Ein Neuanfang, antwortete Philippe absichtlich vage. Veränderungen.

Diana mag keine Veränderungen, sagte Emily.

Weil sich Diana vor dem fürchtet, was sie werden muss, sagte Philippe.

Marcus Whitmore hatte schon oft dem Grauen ins Angesicht geblickt, seit Matthew de Clermont ihn an jenem Abend im Jahr 1781 zum Vampir gemacht hatte. Aber nichts hatte ihn auf die Prüfung vorbereitet, vor die er sich heute gestellt sah: Diana Bishop erklären zu müssen, dass ihre geliebte Tante Emily Mather tot war.

Ysabeau hatte ihn angerufen, während er und Nathaniel Wilson in der Familienbibliothek die Nachrichten gesehen hatten. Sophie, Nathaniels Frau, und ihr gemeinsames Kind Margaret hatten dösend auf dem Sofa gelegen.

»Zum Tempel.« Ysabeau hatte atemlos und aufgewühlt geklungen. »Komm. Sofort.«

Ohne auch nur einmal nachzufragen, war Marcus der Aufforderung seiner Großmutter nachgekommen und hatte noch in der Tür nach seinem Cousin Gallowglass und seiner Tante Verin gerufen.

Je näher er der Lichtung auf dem Gipfel gekommen war, desto deutlicher hatte sich die sommerliche Abenddämmerung unter dem Strahlen der jenseitigen Kraft aufgehellt, die Marcus durch die Bäume blitzen sah. Die Luft war derart mit Magie aufgeladen, dass seine Haare Habtachtstellung angenommen hatten. Dann witterte er die Anwesenheit eines Vampirs – Gerbert von Aurillac. Und da war noch jemand – eine ihm fremde Hexe.

Leichte, entschlossene Schritte hallten durch den steinernen Gang und holten Marcus in die Gegenwart zurück. Quietschend wie immer, schwang die schwere Tür auf.

»Hallo, Liebes.« Marcus wandte sich von dem Ausblick auf die ländliche Auvergne ab und holte tief Luft. Phoebe Taylors Duft erinnerte ihn an das Fliederdickicht vor der rot lackierten Tür auf dem Bauernhof seiner Eltern. Früher hatte das gleichzeitig feine und durchdringende Aroma die Hoffnung auf Frühling nach dem langen Winter in Massachusetts mit sich getragen und das verständnisvolle Lächeln seiner längst verstorbenen Mutter heraufbeschworen. Jetzt dachte Marcus dabei nur noch an die zierliche Frau mit dem eisernen Willen, die vor ihm stand.

»Es wird alles gut laufen.« Phoebes olivbraune Augen sahen ihn mitfühlend an, während sie seinen Kragen richtete. Marcus hatte die T-Shirts mit den Konzertaufdrucken ab- und gediegenere Kleidung angelegt, seit er seine Briefe mit Marcus de Clermont und nicht mehr mit Marcus Whitmore unterzeichnete – jenem Namen, unter dem sie ihn kennengelernt hatte, bevor er ihr von Vampiren, fünfzehnhundert Jahre alten Vätern, französischen Schlössern voller reservierter Verwandter und einer Hexe namens Diana Bishop erzählt hatte. In Marcus’ Augen war es ein reines Wunder, dass Phoebe an seiner Seite geblieben war.

»Nein. Bestimmt nicht.« Er nahm ihre Hand und drückte einen Kuss in ihrer Handfläche. Phoebe kannte Matthew nicht. »Bleib hier bei Nathaniel und den übrigen. Bitte.«

»Zum allerletzten Mal, Marcus Whitmore, ich werde neben dir stehen, wenn du deinen Vater und seine Frau begrüßt. Wir werden nicht noch mal darüber diskutieren.« Phoebe streckte ihm die Hand hin. »Sollen wir?«

Marcus nahm Phoebes Hand, doch statt ihr aus dem Zimmer zu folgen, wie sie erwartet hatte, zog er sie an seine Brust. Die eine Hand in seiner, die andere auf seinem Herzen, wurde Phoebe gegen seinen Brustkorb gedrückt. Überrascht sah sie zu ihm auf.

»Na schön. Du kannst mitkommen, Phoebe, aber nur unter gewissen Bedingungen. Erstens wirst du ständig an meiner oder Ysabeaus Seite bleiben.« Phoebe wollte schon aufbegehren, doch Marcus’ ernster Blick erstickte ihren Protest. »Zweitens wirst du den Raum verlassen, sobald ich es sage. Unverzüglich. Ohne Widerrede. Du gehst dann direkt zu Fernando. Du wirst ihn in der Kapelle oder in der Küche finden.« Marcus sah ihr tief in die Augen und erkannte, dass sie sich trotz ihres Argwohns fügen würde. »Drittens wirst du jederzeit, und zwar unter allen Umständen, mindestens eine Armlänge Abstand zu meinem Vater halten. Einverstanden?«

Phoebe nickte. Als gute Diplomatin war sie bereit, Marcus’ Regeln zu befolgen – bis auf Weiteres. Aber falls Marcus’ Vater tatsächlich das Monster war, für das einige im Haus ihn offenbar hielten, würde Phoebe tun, was sie tun musste.

Fernando Gonçalvez kippte die verquirlten Eier in die heiße Pfanne und übergoss die angebräunten Kartoffeln. Seine Tortilla Española war eines der wenigen Gerichte, die Sarah Bishop überhaupt aß, und heute hatte die Witwe eine Kräftigung besonders nötig.

Gallowglass saß am Küchentisch und zupfte Wachstropfen aus einem Riss in der uralten Tischplatte. Seine schulterlangen blonden Haaren und die festen Muskeln bildeten einen seltsam kraftvollen Kontrast zu seiner Traurigkeit. Tattoos schlängelten sich in grellen Farbwirbeln um seine Unterarme und den Bizeps. Die Motive verrieten, was Gallowglass zurzeit besonders beschäftigte, weil ein Tattoo auf der Haut eines Vampirs schon nach wenigen Monaten verblasste. Momentan schien er viel über seine Wurzeln nachzudenken, denn seine Arme waren mit keltischen Knoten, Runen und Fabeltieren aus nordischen und gälischen Sagen und Legenden überzogen.

»Hör auf, dir Sorgen zu machen.« Fernandos Stimme war warm und weich wie im Eichenfass gereifter Sherry. Gallowglass sah kurz auf und konzentrierte sich dann wieder auf die Wachstropfen. »Niemand wird Matthew davon abhalten, das zu tun, was er tun muss, Gallowglass. Emilys Tod zu rächen ist eine Frage der Ehre.« Fernando schaltete den Herd aus und kam zu Gallowglass an den Tisch, ohne dass seine nackten Füße auf den Steinplatten einen Laut gemacht hätten. Im Gehen krempelte er die Ärmel seines weißen Hemdes nach unten. Kein einziger Fleck war darauf zu sehen, obwohl er Stunden in der Küche verbracht hatte. Er steckte das Hemd in die Jeans und fuhr sich mit den Fingern durch die dunklen Haarwellen.

»Marcus wird die Schuld auf sich nehmen«, sagte Gallowglass. »Dabei kann der Junge wirklich nichts für Emilys Tod.«

In Anbetracht der Umstände hatte die Szene auf dem Berg merkwürdig friedlich gewirkt. Gallowglass war direkt nach Marcus beim Tempel angekommen. Eine tiefe Stille hatte über dem Kreis aus hellen Steinen gelegen, in dem er Emily Mather knien sah. Neben ihr hatte mit gespannter – nein, hungriger – Miene der Hexer Peter Knox gestanden, der beide Hände auf ihren Kopf gelegt hatte. Gerbert de Aurillac, der nächste Vampir-Nachbar der de Clermonts, hatte interessiert zugesehen.

»Emily!« Sarahs Entsetzensschrei hatte die Stille so brutal durchschnitten, dass sogar Gerbert einen Schritt zurücktrat. Verblüfft hatte Knox die Hände von Emily genommen. Bewusstlos sackte sie zu Boden. Sarah schlug den Hexer mit einem einzigen machtvollen Zauberspruch zurück, der Knox quer über die Lichtung fliegen ließ.

»Nein, Marcus hat sie nicht getötet.« Fernandos Bemerkung ließ Gallowglass aufsehen. »Aber seine Nachlässigkeit …«

»Unerfahrenheit«, warf Gallowglass ein.

»Nachlässigkeit«, wiederholte Fernando, »trug sehr wohl zu der Tragödie bei. Marcus weiß das und übernimmt die Verantwortung dafür.«

»Marcus hat sich nicht darum gerissen, dieses Amt zu übernehmen«, brummelte Gallowglass.

»Nein. Ich habe ihn für diese Position nominiert, und Matthew hat meine Entscheidung mitgetragen.« Fernando drückte kurz Gallowglass’ Schulter und kehrte dann an den Herd zurück.

»Bist du deshalb gekommen? Fühlst du dich schuldig, weil du dich geweigert hast, die Bruderschaft zu führen, als Matthew deine Hilfe brauchte?« Niemand war überraschter gewesen als Gallowglass, als Fernando auf Sept-Tours aufgetaucht war. Fernando hatte die Burg gemieden, seit Gallowglass’ Vater Hugh de Clermont im 14. Jahrhundert gestorben war.

»Ich bin hier, weil Matthew für mich da war, nachdem der französische König Hugh hinrichten ließ. Damals hatte ich nichts in der Welt außer meiner Trauer.« Fernando klang fast barsch. »Und ich habe mich geweigert, den Lazarusorden zu führen, weil ich kein de Clermont bin.«

»Du warst Vaters Gefährte!«, protestierte Gallowglass. »Du bist genauso ein de Clermont wie Ysabeau oder ihre Kinder!«

Fernando klappte behutsam die Ofentür zu. »Ich bin Hughs Gefährte.« Er wandte Gallowglass immer noch den Rücken zu. »Dein Vater wird für mich nie der Vergangenheit angehören.«

»Entschuldige, Fernando«, erwiderte Gallowglass betroffen. Auch wenn Hugh inzwischen seit fast sieben Jahrhunderten tot war, war Fernando nie über den Verlust hinweggekommen. Gallowglass bezweifelte, dass es je so weit kommen würde.

»Und was deine Behauptung angeht, dass ich ein de Clermont sei«, fuhr Fernando fort, den Blick immer noch auf die Wand über dem Herd gerichtet, »da war Philippe anderer Meinung.« Gallowglass begann wieder nervös an den Wachstropfen zu zupfen. Fernando goss Rotwein in zwei Gläser und trug sie zum Tisch. »Hier.« Er schob Gallowglass eines davon zu. »Auch du wirst heute deine Kräfte brauchen.«

Marthe kam in die Küche geeilt. Als Ysabeaus Haushälterin herrschte sie über diesen Teil des Schlosses und war gar nicht erfreut, hier Eindringlinge zu entdecken. Nach einem säuerlichen Blick auf Fernando und Gallowglass schnupperte sie kurz und riss dann die Ofentür auf.

»Das ist meine beste Pfanne!«, rief sie vorwurfsvoll.

»Ich weiß. Darum habe ich sie ja genommen«, erwiderte Fernando und trank einen Schluck Wein.

»Sie gehören nicht in die Küche, Dom Fernando. Gehen Sie nach oben. Und nehmen Sie Gallowglass mit.« Marthe nahm eine Packung Tee und einen Teekessel von dem Regal neben der Spüle. Dann fiel ihr die in ein Handtuch gewickelte Kanne auf, die neben mehreren Tassen, Untertassen, Milch und Zucker auf einem Tablett bereitstand. Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich.

»Wieso darf ich nicht hier sein?«, wollte Fernando wissen.

»Sie gehören nicht zum Dienstpersonal«, belehrte ihn Marthe. Sie nahm den Deckel von der Kanne und schnupperte misstrauisch.

»Es ist Dianas Lieblingstee. Sie haben mir doch erzählt, was sie am liebsten trinkt.« Fernando lächelte melancholisch. »Und in diesem Haus dienen wir alle den de Clermonts, Marthe. Der einzige Unterschied ist, dass Sie, Alain und Victoire großzügig dafür bezahlt werden. Von uns Übrigen wird erwartet, dass wir uns dankbar für diese Ehre zeigen.«

»Mit gutem Grund. Andere Manjasang träumen davon, dieser Familie anzugehören. Sehen Sie zu, dass Sie das in Zukunft nicht vergessen – genauso wenig wie die Zitrone, Dom Fernando«, sagte Marthe mit besonderer Betonung auf seinem Adelstitel. Sie hob das Tablett an. »Übrigens verbrennen gleich Ihre Eier.« Fernando sprang auf, um sie zu retten. »Und was Sie betrifft«, sagte Marthe, die schwarzen Augen fest auf Gallowglass gerichtet, »Sie haben uns nicht alles erzählt, was wir über Matthew und seine Frau wissen sollten.« Gallowglass starrte schuldbewusst in sein Weinglas. »Madame, Ihre Großmutter, wird Sie deswegen später noch sprechen.« Mit diesen frostigen Worten verließ Marthe den Raum.

»Was hast du jetzt schon wieder angestellt?«, fragte Fernando, während er seine Tortilla – die keineswegs verbrannt war, Alhamdulillah – auf den Herd stellte. Aus langjähriger Erfahrung wusste er, dass Gallowglass jegliches Chaos nur aus den besten Absichten ausgelöst haben konnte.

»Aaalso.« Gallowglass dehnte die Vokale, wie es nur ein Schotte konnte. »Vielleicht habe ich bei meinen Berichten das eine oder andere unterschlagen.«

»Zum Beispiel was?« Schon witterte Fernando einen Hauch von Unheil inmitten der heimeligen Küchendüfte.

»Zum Beispiel, dass Tantchen schwanger ist – und zwar von keinem anderen als Matthew. Und die Tatsache, dass Großvater sie als Tochter adoptiert hat. Gott, sein Blutschwur war ohrenbetäubend.« Gallowglass’ Blick wurde nachdenklich. »Glaubst du, wir werden ihn immer noch hören können?« Fernando starrte ihn stumm und mit offenem Mund an. »Sieh mich nicht so an. Es erschien mir nicht richtig, ihnen vorab von dem Baby zu erzählen. Frauen können in solchen Dingen komisch sein. Und Philippe hat Tantchen Verin von dem Blutschwur erzählt, bevor er 1945 starb, und sie hat auch nie ein Wort darüber verloren!«, wehrte sich Gallowglass.

Als wäre eine lautlose Bombe explodiert, durchschnitt eine Erschütterung die Luft. Etwas Grünes, Feuriges schoss am Küchenfenster vorbei.

»Was zum Teufel war das?« Fernando riss die Tür auf und schirmte die Augen vor dem grellen Sonnenschein ab.

»Eine stinksaure Hexe, könnte ich mir vorstellen.« Gallowglass klang düster. »Wahrscheinlich hat Sarah Diana und Matthew das mit Emily erzählt.«

»Nicht die Explosion. Das da!« Fernando deutete auf den Glockenturm von Saint-Lucien, um den ein geflügeltes, zweibeiniges, Feuer spuckendes Wesen kreiste. Gallowglass stand auf, um besser sehen zu können.

»Das ist Corra. Sie weicht Tantchen nicht von der Seite«, erklärte Gallowglass ungerührt.

»Aber das ist ein Drache.« Fernando sah seinen Stiefsohn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Quatsch! Das ist kein Drache. Siehst du nicht, dass sie nur zwei Beine hat? Corra ist eine Feuerdrachin.« Gallowglass drehte den Arm und präsentierte ihm das Tattoo eines geflügelten Wesens, das dem fliegenden Ungeheuer auffallend ähnelte. »Das ist sie. Ich habe vielleicht ein oder zwei Einzelheiten verschwiegen, aber ich habe auf jeden Fall alle gewarnt, dass Tantchen Diana nicht mehr die Hexe ist, die wir von früher kennen.«

»Es ist leider wahr, Schatz. Em ist tot.« Diana und Matthew diese traurige Nachricht zu überbringen, ging eindeutig über ihre Kräfte. Sarah hätte schwören können, dass sie einen Drachen gesehen hatte. Fernando hatte recht. Sie musste unbedingt ihren Whiskykonsum einschränken.

»Ich glaube dir nicht.« Vor Panik klang Dianas Stimme hoch und scharf. Ihre Augen tasteten Ysabeaus eleganten Salon ab, als wäre sie überzeugt, dass sich Emily hinter einer der kunstvollen Ottomanen versteckt hatte.

»Emily ist nicht hier, Diana.« Trauer und Zärtlichkeit tränkten Matthews Stimme, als er vor sie trat. »Sie ist von uns gegangen.«

»Nein.« Diana versuchte sich an ihm vorbeizuschieben, um weiter nach ihrer Tante zu suchen, doch Matthew zog sie in seine Arme.

»Es tut mir so leid, Sarah«, sagte Matthew und drückte Diana dabei an seine Brust.

»Sag nicht, dass es dir leidtut!«, weinte Diana und versuchte sich gleichzeitig aus der eisernen Umklammerung des Vampirs zu befreien. Sie schlug mit der Faust gegen Matthews Schulter. »Em ist nicht tot! Das ist ein Albtraum. Weck mich auf, Matthew – bitte! Ich will aufwachen und wieder im Jahr 1591 sein.«

»Das ist kein Albtraum«, versicherte ihr Sarah. Die langen Wochen hatten sie überzeugt, dass Em wirklich und wahrhaftig tot war.

»Dann muss ich irgendwo falsch abgebogen sein – oder bei meinem Zeitwandel-Zauber einen falschen Knoten geknüpft haben. Das hier kann unmöglich unser eigentliches Ziel gewesen sein!« Diana zitterte am ganzen Leib, so entsetzt und erschüttert war sie. »Em hatte mir versprochen, dass sie mich auf keinen Fall allein lassen würde, ohne sich von mir zu verabschieden.«

»Em hatte keine Zeit, sich von irgendwem zu verabschieden. Aber das heißt nicht, dass sie dich nicht geliebt hat.« Das musste sich Sarah selbst hundertmal am Tag ins Gedächtnis rufen.

»Diana sollte sich hinsetzen«, sagte Marcus und zog einen Stuhl heran. In mancher Hinsicht sah Matthews Sohn immer noch aus wie der Surferboy von Mitte zwanzig, der damals im Oktober in das Haus der Bishops spaziert war. Das Lederband mit dem eigenwilligen Sortiment unterschiedlichster, über mehrere Jahrhunderte hinweg angesammelter Anhänger verfing sich immer noch in dem blonden Schopf in seinem Nacken. An den Füßen trug er immer noch seine geliebten Converse Sneakers. Aber der reservierte, melancholische Blick war neu.

Sarah war froh, dass Marcus und Ysabeau bei ihr waren, aber eigentlich hätte sie sich in diesem Augenblick vor allem Fernando an ihrer Seite gewünscht. Er war ihr während dieser endlosen Qualen ein Fels in der Brandung gewesen.

»Danke, Marcus«, sagte Matthew und schob Diana auf den Stuhl. Phoebe versuchte, ihr ein Glas Wasser in die Hand zu drücken. Als Diana verständnislos darauf starrte, nahm Matthew es ihr ab und stellte es auf einen Tisch.

Alle Blicke waren auf Sarah gerichtet.

Sarah war in solchen Dingen nicht gut. Diana war die Historikerin in der Familie. Sie hätte gewusst, wo sie ansetzen musste und wie sie das Gewirr von Ereignissen zu einer zusammenhängenden Geschichte ordnen musste, damit es einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hatte und vielleicht sogar eine plausible Erklärung dafür, warum Emily gestorben war.

»Es gibt keine einfache Erklärung«, seufzte Dianas Tante.

»Du brauchst uns gar nichts zu erklären.« Mitgefühl und Trauer lagen in Matthews Blick. »Die Erklärungen können warten.«

»Nein. Ihr müsst das wissen.« Sarah griff nach dem Whiskyglas, das sonst immer neben ihr stand, aber sie griff ins Leere. Sie sah Marcus in einer stummen Bitte an.

»Emily starb oben im alten Tempel«, nahm Marcus ihr die Rolle des Berichterstatters ab.

»Im Tempel der Göttin?«, flüsterte Diana und zog konzentriert und angestrengt die Brauen zusammen.

»Genau«, krächzte Sarah und räusperte sich, um den Kloß in ihrem Hals zu lösen. »Emily verbrachte immer mehr Zeit dort oben.«

»Sie war allein?« Matthews Miene hatte jede Wärme und jedes Verständnis verloren, und seine Stimme war frostig.

»Emily ließ nicht zu, dass jemand mitkam«, sagte Sarah und nahm ihren ganzen Mut zusammen, um bei der Wahrheit zu bleiben. Diana war eine Hexe wie sie und würde es spüren, sobald sie davon abwich. »Marcus beschwor sie, jemanden mitzunehmen, aber das wollte Emily auf keinen Fall.«

»Warum wollte sie denn alleine sein?« Diana spürte sofort, dass Sarah unsicher geworden war. »Was war los, Sarah?«

»Seit Januar hatte Em sich den Mächten der höheren Magie zugewandt, weil sie sich Führung erhoffte.« Sarah senkte unter Dianas entsetztem Blick den Kopf. »Sie hatte schreckliche Vorahnungen, die sich um Tod und Katastrophen drehten, und sie hoffte, dass diese Mächte ihr eine Erklärung dafür liefern könnten.«

»Aber Em hat mir immer gesagt, die höhere Magie wäre zu dunkel, als dass eine Hexe sie beherrschen könnte.« Diana war wieder lauter geworden. »Sie hat selbst gesagt, dass jede Hexe, die sich für immun gegenüber ihren Gefahren hält, schmerzhaft erfahren wird, wie mächtig die höhere Magie ist.«

»Sie hat aus Erfahrung gesprochen«, sagte Sarah. »Diese Magie kann süchtig machen. Wenn es nach Emily gegangen wäre, hättest du nie erfahren, dass sie ihren Sirenengesang einst gehört hatte, Schatz. Sie hatte seit Jahrzehnten keinen Wahrsagestein mehr angerührt und keinen Geist mehr beschworen.«

»Sie hat Geister beschworen?« Matthews Augen verengten sich zu Schlitzen. Mit seinem dunklen Bart sah er wirklich furchteinflößend aus.

»Ich glaube, sie versuchte, Kontakt zu Rebecca aufzunehmen. Wenn ich geahnt hätte, wie weit sie bei ihren Versuchen schon gegangen war, hätte ich alles versucht, um sie aufzuhalten.« Tränen standen in Sarahs Augen. »Peter Knox muss gespürt haben, mit welchen Mächten Emily arbeitete, und ihn hat die höhere Magie schon immer fasziniert. Nachdem er Em aufgespürt hatte …«

»Knox?« Obwohl Matthew genauso leise sprach wie zuvor, stellten sich Sarah die Nackenhaare auf.

»Als wir Emily fanden, waren Knox und Gerbert bei ihr.« Es war Marcus sichtlich unangenehm, das gestehen zu müssen. »Sie hatte einen Herzanfall. Offenbar versuchte Emily, Knox zu widerstehen, aber der Stress war einfach zu groß. Sie war kaum noch bei Bewusstsein. Ich habe versucht, sie wiederzubeleben. Auch Sarah versuchte ihr Bestes. Aber wir konnten beide nichts ausrichten.«

»Was wollten Knox und Gerbert dort? Und was in aller Welt wollte Knox denn damit erreichen, dass er Em umbringt?«, weinte Diana.

»Ich glaube nicht, dass Knox sie umbringen wollte, Schatz«, erwiderte Sarah. »Knox las Emilys Gedanken oder hat es wenigstens versucht. Ihre letzten Worte waren: ›Ich kenne das Geheimnis von Ashmole 782, und du wirst es niemals besitzen.‹«

»Ashmole 782?« Diana sah sie perplex an. »Bist du sicher?«

»Ganz sicher.« Sarah wünschte, ihre Nichte wäre nie in der Bodleian Library auf dieses verfluchte Manuskript gestoßen. Es war die Ursache für fast alle ihre augenblicklichen Probleme.

»Knox behauptete beharrlich, dass die de Clermonts mehrere fehlende Seiten aus Dianas Manuskript besäßen und die Geheimnisse darin kennen würden«, meldete sich Ysabeau zu Wort. »Verin und ich versicherten Knox, dass er sich irrte, aber ihn konnte nur eines von dem Thema ablenken – das Baby. Margaret.«

»Nathaniel und Sophie waren uns zum Tempel gefolgt. Mit Margaret«, erklärte Marcus auf Matthews fassungslosen Blick hin. »Bevor Emily in Ohnmacht fiel, sah Knox Margaret und wollte wissen, wie zwei Dämonen eine Hexe gebären konnten. Knox berief sich auf den Pakt. Er drohte uns an, Margaret vor die Kongregation zu bringen und eine Untersuchung der, wie er es nannte, schweren Verstöße gegen die Bestimmungen des Paktes zu beantragen. Während wir uns bemühten, Emily wiederzubeleben und das Baby in Sicherheit zu bringen, verschwanden Gerbert und Knox.«

Bis vor Kurzem hatte Sarah die Kongregation und den Pakt stets als notwendige Übel betrachtet. Es war nicht leicht für die drei nichtmenschlichen Spezies – Dämonen, Vampire und Hexen –, unter den Menschen zu leben. Alle hatten irgendwann im Lauf der Geschichte unter den Ängsten und der Brutalität der Menschen leiden müssen, darum hatten die nichtmenschlichen Geschöpfe vor langer Zeit einen Pakt geschlossen, um das Risiko, den Menschen aufzufallen, so klein wie möglich zu halten. Dieser Pakt untersagte es den Spezies, untereinander Verbindungen einzugehen oder sich in religiöse oder politische Affären der Menschen einzumischen. Die neunköpfige Kongregation wachte über den Pakt und sorgte dafür, dass er eingehalten wurde. Jetzt, wo Diana und Matthew wieder zu Hause waren, konnte sich die Kongregation mitsamt ihrem Pakt zum Teufel scheren, soweit es Sarah betraf.

Diana fuhr herum und sah ungläubig auf. »Gallowglass?«, hauchte sie, als ein Geruch nach Meer durch den Salon wehte.

»Willkommen zu Hause, Tantchen.« Gallowglass’ Bart glänzte auf, als er zu ihr trat und die Sonnenstrahlen sich darin fingen. Diana sah ihn verwundert an, dann musste sie schluchzen. »Na, na.« Gallowglass schloss sie in seine starken Arme. »Es ist schon einige Zeit her, seit eine Frau bei meinem Anblick in Tränen ausgebrochen ist. Außerdem sollte unser Wiedersehen eher mich zu Tränen rühren. Für dich waren es schließlich nur ein paar Tage, seit wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben. Für mich waren es ein paar Jahrhunderte.« Ein numinoser Schein flackerte um Dianas Körper herum auf, wie eine langsam aufleuchtende Kerze. Sarah blinzelte. Sie musste wirklich aufhören zu trinken. Matthew und sein Neffe wechselten einen Blick. Je hemmungsloser Diana weinte, desto stärker wurde das Leuchten um sie herum und desto ernster wurde auch Matthews Miene. »Matthew sollte dich nach oben bringen.« Gallowglass griff in seine Tasche und zog ein zerknittertes gelbes Stirnband heraus. Er hielt es Diana hin und schirmte sie dabei sorgsam vor den Blicken der anderen ab.

»Ist alles in Ordnung mit ihr?«, fragte Sarah.

»Sie ist nur ein kleines bisschen müde«, sagte Gallowglass und führte Diana gemeinsam mit Matthew aus dem Raum und zu Matthews abgelegenen Turmgemächern.

Sobald Diana und Matthew außer Sichtweite waren, verlor Sarah die mühsam gewahrte Fassung und begann zu weinen. Zwar durchlebte sie Ems Tod Tag für Tag von Neuem, aber es in Dianas Gegenwart tun zu müssen war doppelt schmerzhaft. Auf einmal stand Fernando an ihrer Seite und sah sie mitfühlend an.

»Es ist schon gut, Sarah. Lass es raus«, murmelte er und zog sie an seine Seite.

»Wo warst du, als ich dich gebraucht habe?«, wollte Sarah wissen und begann laut zu schluchzen.

»Jetzt bin ich hier«, sagte Fernando und wiegte sie sanft. »Und Diana und Matthew sind wohlbehalten zurück.«

»Ich kann nicht aufhören zu zittern.« Dianas Zähne klapperten, und ihre Glieder schlotterten, als würden unsichtbare Marionettenfäden daran zerren. Gallowglass wartete, die Lippen fest zusammengepresst, im Hintergrund, während Matthew seine Frau fest in eine Decke wickelte.

»Das ist der Schock, mon cœur«, murmelte Matthew und presste einen Kuss auf ihre Wange. Dianas Angstreaktion wurde nicht allein durch Emilys Tod, sondern auch durch die Erinnerung an den frühen, traumatischen Verlust ihrer Eltern ausgelöst. Er rubbelte mit der Decke über ihre Arme. »Kannst du uns Wein holen, Gallowglass?«

»Das ist keine gute Idee. Die Babys …«, setzte Diana an. Plötzlich verzerrte sich ihr Gesicht, und sie begann wieder zu weinen. »Sie werden Em nie kennenlernen. Unsere Kinder werden in einer Welt ohne Em aufwachsen.«

»Hier.« Gallowglass hielt Matthew einen silbernen Flachmann hin. Sein Onkel sah ihn dankbar an.

»Noch besser.« Matthew zog den Verschluss ab. »Nur einen winzigen Schluck, Diana. Das schadet den Zwillingen nicht, und es wird dich beruhigen. Marthe soll uns schwarzen Tee mit viel Zucker bringen.«

»Dafür bringe ich Peter Knox um«, gelobte Diana zornig, nachdem sie einen Schluck Whisky genommen hatte. Die Luft um sie herum wurde immer heller.

»Aber nicht heute«, entschied Matthew und reichte Gallowglass den Flachmann zurück.

»War Tantchens Glaem immer so hell, seit ihr zurückgekommen seid?« Gallowglass hatte Diana Bishop seit 1591 nicht mehr gesehen, aber er konnte sich nicht entsinnen, dass das Leuchten damals so auffallend gewesen wäre.

»Ja. Sie hatte es unter einem Tarnzauber verborgen. Offenbar ist er durch den Schock verrutscht«, antwortete Matthew und legte Diana auf das Sofa. »Sie hat sich ausgemalt, wie Emily und Sarah sich darüber freuen, dass sie Großmütter werden, bevor sie anfangen, Diana über ihre gewachsenen Zauberkräfte auszufragen.«

Gallowglass verschluckte einen Fluch.

»Besser?«, fragte Matthew und drückte Dianas Fingerspitzen auf seine Lippen. Diana nickte. Gallowglass entging nicht, dass ihre Zähne immer noch klapperten. Ihn schmerzte die Vorstellung, wie viel Kraft es sie kosten musste, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Das mit Emily tut mir so unendlich leid«, sagte Matthew und nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände.

»Sind wir daran schuld? Hatte Vater recht, und wir sind zu lange in der Vergangenheit geblieben?« Diana sprach so leise, dass selbst Gallowglass sie nur mit Mühe verstand.

»Natürlich nicht«, erwiderte Gallowglass ruppig. »Das war das Werk von Peter Knox. Er allein ist schuld.«

»Es geht nicht darum, wer schuld ist«, sagte Matthew, doch sein Blick glühte vor Zorn.

Gallowglass zeigte mit einem Nicken, dass er verstanden hatte. Matthew hatte ihm bestimmt einiges über Knox und Gerbert zu sagen – später. Im Moment machte er sich vor allem Sorgen um seine Frau.

»Emily hätte gewollt, dass du dich jetzt um dich und Sara kümmerst. Damit hast du vorerst genug zu tun.« Matthew löste die kupferroten Strähnen von den salzigen Tränen, die über Dianas Wangen flossen.

»Ich sollte wieder nach unten gehen«, sagte Diana und tupfte sich mit Gallowglass’ knallgelbem Stirntuch die Augen ab. »Sarah braucht mich.«

»Lass uns noch ein bisschen hier oben bleiben. Warte, bis Marthe den Tee gebracht hat«, sagte Matthew und setzte sich neben sie. Diana sank an seine Schulter und hickste leise in unregelmäßigen Abständen, während sie gleichzeitig gegen ihre Tränen ankämpfte.

»Ich lasse euch beide allein«, sagte Gallowglass knapp.

Matthew dankte ihm mit einem stummen Nicken.

»Danke, Gallowglass«, sagte Diana und hielt ihm das Stirntuch hin.

»Behalt es«, sagte er und drehte sich zur Treppe um.

»Wir sind allein. Jetzt brauchst du nicht mehr stark zu sein«, murmelte Matthew Diana zu, als Gallowglass nicht mehr auf der Wendeltreppe zu sehen war.

Nachdem Gallowglass gegangen war, blieben Matthew und Diana eng umschlungen zurück, die Gesichter von Kummer und Sorge gezeichnet, und versuchten sich gegenseitig jenen Trost zu spenden, den sie selbst nicht finden konnten.

Ich hätte dich nie herrufen dürfen. Ich hätte meine Antworten woanders suchen müssen. Emily drehte sich zu ihrer engsten Freundin um. Du solltest bei Stephen sein.

Ich bin lieber hier bei meiner Tochter als irgendwo sonst, antwortete Rebecca Bishop. Stephen versteht das. Sie drehte sich wieder zu Diana und Matthew um, die immer noch in ihrer trauernden Umarmung verharrten.

Keine Angst. Matthew wird für sie sorgen, sagte Philippe. Er wurde immer noch nicht schlau aus Rebecca Bishop – sie war schwer zu durchschauen und hütete ihre Geheimnisse so eifersüchtig und geschickt wie jeder Vampir.

Sie werden füreinander sorgen, sagte Rebecca, eine Hand auf ihrem Herzen. So wie ich es von Anfang an gewusst habe.

2

Matthew raste die gewundene Steintreppe hinunter, die seine Gemächer im Turm hoch über dem Château mit dem Hauptgeschoss von Sept-Tours verband. Er übersprang den glitschigen Fleck auf der dreißigsten Stufe und die defekte siebzehnte Stufe, deren Kante Baldwin bei einem ihrer erbitterten Schwertkämpfe abgeschlagen hatte.

Matthew hatte den Turmanbau als sein persönliches Refugium errichten lassen, als Ort des Rückzugs vor der rastlosen Geschäftigkeit, die von Philippe und Ysabeau ausging. Vampirfamilien waren weit verzweigt und laut, denn hier vereinten sich zwei oder mehr Blutlinien zu einem unbehaglichen Kollektiv und in dem Bemühen, als ein großes, einiges Rudel zu leben. Raubtiere taten so etwas eigentlich nicht, nicht einmal die zweibeinigen Raubtiere, die in eleganten Villen lebten. Deswegen war Matthews Turm hauptsächlich ein Verteidigungsbollwerk. Er hatte keine Türen, hinter denen sich ein Vampir anschleichen konnte, und keinen Ausgang als den, durch den man hereingekommen war. Matthews akribische Vorkehrungen zeigten deutlich, wie er zu seinen Brüdern und Schwestern stand.

Heute Abend allerdings fand er die Abgeschiedenheit im Turm beengend, so ganz anders als das turbulente Leben inmitten von Freunden und Verwandten, das er und Diana im elisabethanischen London geführt hatten. Matthews Arbeit als Spion der Königin war aufreibend, aber erfüllend gewesen. Als Mitglied der Kongregation hatte er damals mehr als eine Hexe vor dem Erhängen retten können. Diana hatte sich in London erstmals der lebenslangen Aufgabe gestellt, in ihre Hexenkräfte hineinzuwachsen. Sogar zwei Waisenkinder hatten sie aufgenommen und ihnen eine Aussicht auf ein besseres Leben gegeben. Ihr Leben im sechzehnten Jahrhundert war nicht immer einfach gewesen, aber damals waren ihre Tage mit Liebe und Hoffnung erfüllt gewesen, die Diana überall verbreitet hatte. Hier auf Sept-Tours fühlte er sich umzingelt von Bedrohungen und den de Clermonts. Es war eine beunruhigende Kombination, und der Zorn, den Matthew so sorgsam unterdrückte, solange Diana in seiner Nähe war, brodelte gefährlich dicht unter seiner Haut. Der Blutrausch – die Krankheit, die Matthew von Ysabeau geerbt hatte, als sie ihn zum Vampir gemacht hatte – konnte zu jeder Zeit vom Körper und Geist eines Vampirs Besitz ergreifen und ihn unzugänglich für alle Vernunft und jede Selbstbeherrschung machen. Matthew hatte sich widerstrebend bereiterklärt, Diana in Ysabeaus Obhut zu lassen, während er mit seinen Hunden Fallon und Hector durch die Burg spazierte, um den Kopf frei und seinen Blutrausch wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Im großen Saal gurrte Gallowglass ein Seemannslied. Aus unerfindlichen Gründen war dabei jeder zweite Vers mit Flüchen und Drohungen durchsetzt. Nach kurzem Zögern siegte Matthews Neugier.

»Dreckiger Feuerdrache.« Gallowglass hatte einen Spieß aus dem über dem Eingang hängenden Waffenstrauß gezogen und schwenkte ihn langsam durch die Luft. »Nun adieu, ihr spanischen Damen. Jetzt schwing deinen Arsch hier runter, sonst sottet Granny dich in Weißwein und verfüttert dich an die Hunde. Wir legen ab gen Enge-land. Was denkst du dir dabei, wie ein geisteskranker Kakadu durchs Haus zu flattern? Und wer weiß, ob wir euch jemals wiederseh’n.«

»Was treibst du da, verflucht noch mal?«, wollte Matthew wissen.

Gallowglass sah Matthew mit großen blauen Augen an. Er war sichtlich jünger als Matthew und trug ein schwarzes T-Shirt mit einem Totenkopf und gekreuzten Knochen. Etwas hatte den Rücken des T-Shirts aufgeschlitzt und den Stoff dabei von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte durchtrennt. Die Löcher in der Jeans seines Neffen sahen nach Abnutzung, nicht nach einem Kampf aus, und die Haare waren selbst für gallowglasssche Verhältnisse zerzaust. Ysabeau hatte angefangen, Gallowglass mit »Sir Vagabond« anzusprechen, aber nicht einmal das hatte ihn dazu bewegen können, sich zu frisieren.

»Ich versuch, das Tierchen von deinem Frauchen einzufangen.« Gallowglass stach unvermittelt mit dem Spieß in die Luft. Ein überraschter Aufschrei gellte durch die Halle, dann folgte ein Hagelschlag an hellgrünen Schuppen, die wie Glimmerscheiben zersprangen, sobald sie auf dem Boden aufkamen. Die blonden Haare an Gallowglass’ Unterarmen schimmerten unter dem grün glänzenden Staub. Er nieste.

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