Das Buch im Buch. Selbstreferenz - Intertextualität und Mythenadaption in Cornelia Funkes Tinten-Trilogie - Saskia Heber - E-Book

Das Buch im Buch. Selbstreferenz - Intertextualität und Mythenadaption in Cornelia Funkes Tinten-Trilogie E-Book

Saskia Heber

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Beschreibung

Cornelia Funkes Tinten-Trilogie ist nicht nur ein populäres Werk der Kinder- und Jugendliteratur, sondern beinhaltet wichtige literaturwissenschaftliche Konzepte wie das der Selbstreferenz, der Intertextualität und der Mythenadaption. Wie diese Konzepte verarbeitet werden und warum die drei Bände der Postmoderne zugeordnet werden können, wird in diesem Buch analysiert.

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Saskia Heber

Das Buch im Buch

Selbstreferenz, Intertextualität und Mythen­adaption in Cornelia Funkes Tinten-Trilogie

geist und wissen band 8

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2012 by Verlag Ludwig

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Holtenauer Straße 141

24118 Kiel

Tel.: +49-(0)431-85464

Fax: +49-(0)431-8058305

[email protected]

www.verlag-ludwig.de

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ISBN 978-3-86935-169-8

Ich danke allen, die mich unterstützt haben.

Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Claus-Michael Ort, meinem Schwiegervater Christian Heber und meinem Ehemann Philipp Heber.

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Flensburg, im Mai 2010

Saskia Heber

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Cornelia Funkes Tinten-Trilogie, die die Bände Tintenherz (2003), Tintenblut (2005) und Tintentod (2007) umfasst. Das Werk wird fälschlicherweise oftmals als Fantasy bezeichnet,1 obwohl es eindeutig zur Phantastik gehört. Dieser Einordnung liegt folgende, von Daniela Langer im Anschluss an Marianne Wünsch plausibel dargestellte Unterscheidung zugrunde:

»Phantastik unterscheidet sich von Fantasy dadurch, dass sie das Anders-Sein des Übernatürlichen und Realitätsinkompatiblen als solches thematisiert. Thematisiert werden kann es allerdings nur, wenn es im Text ein Gegenmodell gibt. […] Phantastische Texte entwerfen ein zweidimensionales Wirklichkeitsmodell, während Fantasy eindimensional ist.«2

Die Tinten-Trilogie weist ein zweidimensionales Wirklichkeitsmodell auf, bestehend aus einer realitätskompatiblen Welt3 und der Tintenwelt, die für den Leser und zunächst für die Figuren nicht realitätskompatibel ist.

Zudem beinhaltet sie einige Aspekte, die eine Einordnung in die Postmoderne gestatten. In der Forschung gibt es unterschiedliche, sich zum Teil widersprechende Ansichten darüber, welche Kriterien ein Text erfüllen muss, um ihn dieser Stilrichtung zuzuordnen. Dadurch entsteht das Problem, dass ein Text, zum Beispiel Die letzte Welt von Christoph Ransmayr, von einem Literaturwissenschaftler als Roman der Postmoderne angesehen wird, von einem anderen jedoch nicht, je nachdem, welche Kriterien der Einordnung zugrunde liegen. So legt Thomas Anz neben dem »intertextuellen Spiel«4 noch sieben weitere Aspekte der Postmoderne fest, die verschiedenen Literaturtheorien entnommen sind. Aufgrund dieser Kriterien sieht Anz Die letzte Welt als postmodernen Roman an.5

Albert Meier hingegen stellt diese Zuordnung in Frage, vor allem weil seiner Meinung nach »eine mehrfache Kodierung (›Palimpsest-Struktur‹) oder eine Tendenz zur Trivialisierung bzw. Popularisierung«6 nicht nachweisbar ist. Für beide Literaturwissenschaftler ist allerdings das von Roland Barthes entwickelte Konzept vom ›Tod des Autors‹ ein Merkmal postmoderner Literatur.7 Darunter versteht man die Annahme, dass ein Text keine eigenständige und einmalige Leistung des Autors, sondern ein von ihm neu zusammengefügtes »Gewebe aus Zitaten«8 ist. Daraus folgt, dass nicht der Autor, sondern der Leser, abhängig von seiner Intention und seinem Wissensstand, dem Text einen Sinn zuschreibt.

Eben diesem Konzept stehen andere Forscher skeptisch gegenüber, so zum Beispiel Christer Petersen: für ihn sind der ›Tod des Autors‹ und das Popularisierungstheorem als »inadäquate Versuche der Be­schrei­bung eines euro-amerikanischen Postmodernediskurses«9 zu­rück­zuweisen. Vielmehr lassen sich seiner Meinung nach Offenheit, Im­ma­nenz, Selbstreflexivität und Intertextualität als Signa festlegen.10

Aus dieser kurzen Gegenüberstellung aktueller Forschungspositionen ergibt sich folgende Feststellung: solange es in der Literaturwis­sen­schaft keinen Konsens über feste Kriterien gibt, bleibt die Einord­nung eines Werkes in die Postmoderne problematisch. Ich sehe Peter­sens Kriterien Selbstreflexivität und Intertextualität sowie den ›Tod des Autors‹ als ausschlaggebend an, und da eben diese – wie sich zeigen wird – in Cornelia Funkes Werk enthalten sind, ist es als postmodern zu bezeichnen.

Die Handlung der Tinten-Trilogie beginnt in unserer Welt und ist anfangs, im ersten Band, der neunundfünfzig Kapitel umfasst, auch nur dort angesiedelt. Sie wird meist aus der Figurenperspektive erzählt, wobei der Erzähler von Kapitel zu Kapitel wechselt. In die An­ders-Welt, die Tintenwelt, erhält der Leser von Tintenherz nur Einblick, wenn Figuren von ihr berichten.

Im zweiten Band wechseln einige der Figuren von unserer Welt in die Tintenwelt, die somit zum konkreten Handlungsort wird. Bei den Figuren findet im weiteren Verlauf allmählich ein Wandel statt: unsere Welt wird von ihnen als die Anders-Welt wahrgenommen. Von den insgesamt siebenundsiebzig Kapiteln spielen nur noch vierzehn in unserer Welt, somit dreiundsechzig in der Tintenwelt. Auch die Kapitelabfolge verdeutlicht die Verlagerung der Handlung: Die Anzahl der Kapitel, die hintereinander in der Tintenwelt spielen, nimmt kontinuierlich zu. Damit einher geht die Anzahl der Figuren, die von unserer Welt in die Tintenwelt wechseln.11

In Tintentod schließlich spielen nur noch vier von einundachtzig Kapiteln in unserer Welt, jeweils aus Elinors Perspektive erzählt. Als sie, gemeinsam mit Darius, als letzte Figur ebenfalls in die Tintenwelt wechselt, ist der Wandel, der mit einer Spiegelung vergleichbar ist, abgeschlossen: am Ende der Trilogie ist unsere Welt die Anders-Welt. Figuren wie Meggies Bruder, der nie in unserer Welt war, erfahren von ihr nur das, was sie berichtet bekommen.

Die Handlung der Tinten-Trilogie umfasst einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Sie spielt im 21. Jahrhundert.12 Gleich zu Beginn wird mit dem Satz »Erst viele Jahre später, als Meggie selbst Kinder hatte, […]« (TH 149) das weitere Geschehen vorausgedeutet und somit als geschlossen gekennzeichnet.

Neben dem Kerntext gehört der Trilogie ein Paratext13 an. Dieser besteht im Wesentlichen aus jeweils den Kapiteln vorangestellten Motti, Widmungen und Gedichten, die sich auf den Kerntext beziehen lassen, sowie den Inhalts- und Quellenverzeichnissen. Diese an sich strikt getrennten Ebenen werden in der Trilogie oft vermischt, worauf an gegebener Stelle hingewiesen wird.

Auch innerhalb des Kerntextes ist eine Vermischung der Ebenen auszumachen, vor allem, wenn die Figuren metaleptisch von einer Diegese, zum Beispiel aus der des fiktiven Buches Tintenherz14 oder aus der von Peter Pan in eine andere wechseln. Zusätzlich wird damit die extradiegetische Ebene involviert, da real existente Bücher thematisiert werden. Somit sind in der Tinten-Trilogie zwei literaturwissenschaftliche Konzepte von besonderer Bedeutung: zum einen das der Selbstreferenz, zum anderen das der Intertextualität.

Ziel der vorliegenden Untersuchung ist, diese beiden in der Forschung noch immer kontrovers diskutierten Konzepte in einem Werk der neuesten deutschen Literatur nachzuweisen und die Schlussfolgerungen, die sich aus der literarischen Verarbeitung literaturwissenschaftlicher Themen ziehen lassen, zu nennen. Es ist zu klären, in welchem Verhältnis die beiden Konzepte zueinander stehen und ob sie ihre Bedeutung im Verlauf der Handlung variieren.

Weiterhin ist interessant, welche selbstreferenziellen Phänomene dominieren, welche Primärtexte intertextuell verarbeitet werden, auf welche Art und Weise dies geschieht und welche Funktion damit übernommen wird.

Ein weiteres Thema ist die Mythenadaption; besonders der Or­pheus-Mythos15 nimmt eine herausragende Stellung innerhalb der Tinten-Trilogie ein. Neben einer gleichnamigen Figur sind Parallelen im Hand­lungsschema der Metamorphosen und der Tinten-Trilogie aus­zumachen. Darüber hinaus werden zahlreiche Mytheme aufgegriffen.

1So zum Beispiel Hollmer, Heide: Cornelia Funke: Tintenherz. In: Jürgensen, Christoph (Hg.): Die Lieblingsbücher der Deutschen. Kiel. 2006. S. 107–125. S. 107 sowie

Rühle, Alex: Genuscheltes Fantasy-Esperanto. Unter:

www.sueddeutsche.de / kultur / artikel / 529 / 135269 / . 28.09.2007.

(Letzter Zugriff am 19.06.2009).

2Langer, Daniela: Harry Potter und der Stein der Weisen. In: Jürgensen, Christoph (Hg.): Die Lieblingsbücher der Deutschen. Kiel. 2006. S. 147–183. S. 154 f..

3Im weiteren Verlauf wird diese Welt ›unsere Welt‹ genannt.

4Anz, Thomas: Spiel mit der Überlieferung. Aspekte der Postmoderne in Ransmayrs Die letzte Welt. In: Wittstock, Uwe (Hg.): Die Erfindung der Welt. Frankfurt. 1997. S. 120–132, S. 120.

5Vgl. Anz: Spiel mit der Überlieferung. A.a.O., S. 120.

6Meier, Albert: Zusammenfassung: Christoph Ransmayr: Die letzte Welt. Unter: http: / / www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de / veranstaltungen / vorlesungen / literatur20 / letztewelt.pdf. S. 8. (Letzter Zugriff am 19.06.2009.)

7Vgl. Meier: Zusammenfassung. A.a.O., S. 4 und Anz: Spiel mit der Überlieferung. A.a.O., S. 122.

8Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Jannidis, Fotis; Lauer, Gerhard; Martinez, Matias; Winko, Simone (Hgg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart. 2000. S. 185–193. S. 190.

9Petersen, Christer: Der postmoderne Text. Rekonstruktion einer zeitgenössischen Ästhetik am Beispiel von Thomas Pynchon, Peter Greenaway und Paul Wühr. Kiel. 2003. S. 313.

10Vgl. Petersen: Der postmoderne Text. A.a.O., S. 313.

11Vgl. Grafik 1: Kapitelanordnung und Figurenmetalepsen, Anhang.

12Vgl. Funke, Cornelia: Tintenherz. Mit Illustrationen der Autorin. Hamburg. 2003. S. 146.

Im weiteren Verlauf werden Zitate aus Tintenherz mit der Sigle TH und der Seitenzahl in Klammern nachgewiesen.

13Dieser Begriff wird hier übernommen nach Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Übersetzt nach der ergänzten 2. Auflage. Frankfurt am Main. 1993. (Erstmals Paris. 1982). S. 11.

14Im weiteren Verlauf ist unter Tintenherz Cornelia Funkes Roman, unter Tintenherz das intradiegetische Buch zu verstehen. Ebenso werden die in der Trilogie kursiv geschriebenen Titel von Primärliteratur in dieser Arbeit in Kapitälchen gesetzt, es sei denn, sie werden zitiert. Fiktive Werke stehen kursiv.

15An dieser Stelle muss bereits geklärt werden, dass »Orpheus« in dieser Untersuchung sowohl die Figur aus Ovids Metamorphosen als auch die Figur aus der Tinten-Trilogie bezeichnet. An Textstellen, in denen nicht deutlich wird, welcher Orpheus gemeint ist, wird die Figur aus den Metamorphosen als antiker Orpheus, mythischer Orpheus oder Ovids Orpheus bezeichnet. Wenn vom Orpheus-Mythos gesprochen wird, ist ausschließlich der antike Orpheus gemeint.

Theoretische Einbettung

1. Selbstreferenz

Das Konzept der Selbstreferenz umfasst mehrere unterschiedliche Phänomene und wird mit vielen verschiedenen und zumeist äquivalenten Begriffen benannt.16 Das hat zur Folge, dass zunächst in Auseinandersetzung mit bereits bekannten Definitionen anderer zu klären ist, was man mit einem gewählten Begriff meint.

Michael Scheffel, der mit seiner Untersuchung, besonders mit seinem Klassifikationssystem, einen einflussreichen und ausführlichen Forschungsbeitrag geleistet hat, entscheidet sich für den plausibel begründeten Begriff der »Selbstreflexion«.17

Werner Wolf, der sich auf Scheffel bezieht und versucht, dessen Typologie weiterzuentwickeln, sieht Selbstreflexion und Selbst- oder Autoreferentialität bzw. -referenz als äquivalent an, 18 geht aber vom Oberbegriff »Selbstreferentialität« aus.19

Harald Fricke beschreibt das Konzept der Selbstreferenz zwar recht anschaulich und nennt auch – neben anderen – eben diesen Begriff, doch sein Postulat, den Sammelbegriff »Potenzierung«20 anzusetzen, wird dem Konzept in seiner Komplexität bei weitem nicht gerecht und ignoriert die Tatsache, dass andere Begriffe in der Forschung viel geläufiger sind. Diese realitätsferne Namensgebung wird in Frickes ansonsten gutem Überblick über die relevante Forschungsliteratur deutlich: Nur wenige Beiträge tragen ›Potenzierung‹ in ihrem Titel.

Hans Krah wählt »Selbstreferentialität« als Oberbegriff für relevante Phänomene21 und gibt einen groben, aber guten Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Stand der Forschung. Das Verdienst des Beitrages liegt darin, an die Fiktionalität der Kunst, ob selbstreferenziell oder nicht, zu erinnern und dadurch paradoxe Strukturen logisch zu erklären.

Claus-Michael Ort legt als gleichwertige Begriffe Selbstreferenz und Selbstreferentialität fest, wobei er zwischen direkter und indirekter Selbstreferenz unterscheidet sowie die Größe der Kontingenz, das ›Auch-anders-sein-Können‹, in die Debatte einführt.22

Christoph Schamm schließlich verwendet diverse Begriffe wie Autoreflexivität, Autoreferenzialität, Selbstbezüglichkeit oder Autoreflexion äquivalent nebeneinander.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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