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Aus spannungsreichen, mysteriösen, humorvollen, poetischen, knappen und weit ausformulierten Geschichten zusammengeführt, entsteht eine Geschichte über Wien-Venedig. Der zu nomadenhafter Häuslichkeit und Metamorphose verführende Archipel, ein Spiel der Reflexionen aus Meer und Sonne, ein Archetypus des Hic et Nunc reichen bis hin zur Tatsache, dass Venedig zeitgeschichtlich eine zu kanalisierende Problemstätte geworden ist. Reisende aus Wien, auf der Suche nach Veränderung, finden an diesem Ort die Möglichkeiten der Neugestaltung, ähnlich dem Bild von der Wiedergeburt des Phönix aus der Asche. Es ist wie ein Archetypus der Reise, der seinen Ausdruck in der Sehnsucht nach nomadenhaft gelebter Häuslichkeit findet und darin eine Metamorphose der Sehnsucht nach Ver- und Umwandlung erfährt.
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Seitenzahl: 206
Veröffentlichungsjahr: 2015
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RENNER • DAS BUCH VON WIEN – VENEDIG
ULRIKE RENNER
Die Herausgabe dieses Buches erfolgtemit freundlicher Unterstützung der Stadt Wienund des Landes Niederösterreich.
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Copyright © dieser Ausgabe 2015 bei Wieser Verlag GmbH,
Klagenfurt/Celovec
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Johanna Battisti
ISBN 978-3-99047-029-9
Für Miriam
Claudius hatte sich verirrt. Die engen Gassen sahen in der anbrechenden Dunkelheit einander ähnlich. Labyrinthisch schien ihr Verlauf. Das Labyrinth besaß eine ihm eignende, geordnete Aufgabenstellung. Eben seinen Ausgang letztendlich zu finden. Eine Aufgabe, die aufreizend zu beunruhigen vermochte, denn zwischendurch, bei all dem Gerenne, mochte der Gedanke entstehen, aus den kreisförmig anmutenden, scheinbar wiederholten, baulich gelenkten Richtungsabläufen den Ausgang nicht zu finden, ein dauerbewegtes Aufderstelletreten ohne bewusste Perspektive zu erleben. Die eng verschlungenen Gassen waren hier, an diesem besonderen Ort Venedig, nicht nach den Vorgaben eines Labyrinthes errichtet, sondern nach dem natürlich bedingt vorgefundenen Konglomerat eines Archipels aus 108 unterschiedlich großen Inselchen. Durch technikreiche bauliche Konstruktionen, ein hoch differenziertes Kanäle-, Brücken- und Gassensystem waren die Inselchen des delphinartig geformten Stadtganzen namens Venezia, Venexia miteinander verbunden worden.
Möglicherweise war Claudius schon mehrmals an der Kirchentür vorbeigelaufen. Sie war just in diesem Moment in seine Aufmerksamkeit geraten, als jemand, kurz bevor er daran vorbeigelaufen wäre, sie geöffnet hatte und ein deutlich wahrnehmbares Duftgemisch aus Myrrhe, Patchouli und Zedernholz dem Kircheninneren entströmte und ein Schwall leise gespielter Töne, der sich mit dem orientalisch behauchten Duft in der calle vermengte. Die Marienvesper des Claudio Monteverdi. Rasch würde die Nacht über der Stadt hereinbrechen und es nicht einfacher machen, aus dem Gässchenwirrsal herauszufinden. Feiner Nebel zog durch die calle. An der Hausecke stand ein kleiner Herrgottswinkel mit angezündeten Kerzen, die müde flackerten. Die Stimmung zog Claudius magisch an. Venezianischer Nebel motivierte sein Alter Ego, den nomadischen Vorfahren, vitalisierte ihn. Nebel, Schnee, Regen, Gewitter, Sonne. Alle diese klimatischen Äußerungen bekamen hier, in Venedig, einen exemplarischen Status, entluden sich an diesem Ort ekstatischer, deutlicher, verheerender, pointierter als anderswo. Die Stadt, sie versank im Regen durch sie versank im Nebel, indem sie ihren Masken aus Nebelschwaden anlegte, hinter denen verheißungsreich angedeutet Hausfassaden ihren architektonischen, schönheitsbewussten, wandlungsfähigen Formenreichtum durchschimmern ließen. Sonne, Regen, Nebel, Schnee fanden in nicht bloß statt, kamen und gingen mit wetterbedingter Beliebigkeit wie in anderen Städten. Sie waren Teil des Ausstellungscharakters der Stadt selbst und stellten einen überpersönlichen Erlebniswert dar, der das venezianische Erscheinungsbild half auszuformulieren. So, als wären die Wirkungen der Sonne, des Nebels, des Gewitters bei der ursprünglichen Stadtplanung zur Ausgestaltung des Ortes ganz bewusst mitberücksichtigt worden. Wie sonst hätte das Wetter so eine besondere, über sich hinausweisende, die Stadt und ihr Ambiente durch permanente Wandlungsfähigkeit beeinflussende Kraft gehabt. Gewiss, der Ort war allein aufgrund seines Ursprunges einzig, und Claudius liebte ihn besonders bei Nebel. Dieser Venedignebel sog Geräusche der schon an sich recht lärmfreien Stadt in sich auf, beruhigte die permanente, klein gewellte Bewegtheit und Geräuschhaftigkeit der Kanäle, die sich, unsichtbar geworden, in einem leise gemurmelten Plätschern verloren. Der Nebel hier glänzte. Keine ungeheuerliche, einkapselnde, blind machende Macht, sondern ein Schwebevorgang, hinter dem sich harmonisierende Veränderungen und Häutungen vollzogen. Vielleicht, mutmaßte Claudius, entsprach der Nebel am meisten dem Stadtcharakter, dem Verschwinden, dem Wiederauftauchen, dem Wandlungspotential hinter wässrig fein gestäubten Nebelschleiern. Feiner Nebel entspannte die Konturen der Stadt. Ein beschlagenes Milchglas, hinter dem sich teilweise neue, moderne, geschichtsbewusste und von der Historie abhängige, auch problemreiche Projektionsflächen mit dem vernetzten, auf kleinem Raum zusammengeschoben. Wie kristallisiert konzentriert.
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