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Peter F. Hamilton ist der erfolgreichste britische Science-Fiction-Autor und gilt als Meister der groß angelegten, wahrhaft epischen Space Opera. Nach »Der Abgrund jenseits der Träume« kommen alle Fans nun in den Genuss des neuen Bands aus der »Chronik der Faller«: Der Planet Bienvenido konnte zwar endlich aus der Leere ins Universum zurückkehren. Doch er ist Millionen Lichtjahre von der Konföderation entfernt und die Menschen sind in ihrer erbitterten Schlacht gegen die Faller auf sich allein gestellt. Diese haben fast jeden Bereich der Gesellschaft infiltriert, nur darauf aus, das menschliche Leben zu zerstören. Aber es gibt Hoffnung: Eine mysteriöse Gestalt, die als kriegerischer Engel bekannt ist, führt den verzweifelten Widerstand an. Und der Astronaut Ry Evine macht eine Entdeckung, die die Rettung bedeuten könnte – oder den Untergang der Menschheit ...
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Übersetzung aus dem Englischen von Wolfgang ThonISBN 978-3-492-97841-5Oktober 2017© Peter F. Hamilton 2016Titel der englischen Originalausgabe: »Night Without Stars«bei Pan Macmillan, LondonDeutschsprachige Ausgabe:© Piper Verlag GmbH, München 2017Karte: ML DesignCovergestaltung: Guter Punkt, MünchenCovermotiv: Kim Hoang, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von thinkstock
Datenkonvertierung: Fotosatz Amann, MemmingenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
Inhalt
Cover & Impressum
Commonwealth-Zeitleiste
PROLOG
BUCH EINS: Ein zweiter Tod für Laura Brandt
BUCH ZWEI: Verteidigung des Staates
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
BUCH DREI: Flucht vor dem Fall
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
BUCH VIER: Eine lange kurze Woche
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
BUCH FÜNF: Ein sicherer Hafen
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
BUCH SECHS: Atomkrieg
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
BUCH SIEBEN: Die Faller-Apokalypse
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
BUCH ACHT: Commonwealth
GLOSSAR
Commonwealth-Zeitleiste
1000000 v. Chr. (Schätzwert) Eine Armada der Raiel dringt in die Leere ein. Sie kehrt niemals zurück
1200 n. Chr. Das Heimatsystem der Prime-Spezies und der Stern der abtrünnigen Prime-Kolonie (Dyson-Paar) werden von den Anomine hinter einem Kraftfeld isoliert
1900 Der Starflyer strandet auf Far Away, 400 Lichtjahre von Terra entfernt
2037 Erster Versuch einer menschlichen Rejuvenation durch Jeff Baker
2050 Nigel Sheldon und Ozzie Fernandez Isaacs öffnen ein Wurmloch auf den Mars
2057 Ein Wurmloch nach Proxima Centauri wird geöffnet. Beginn der interstellaren Kolonisation
2100 Acht neue Welten werden besiedelt. Intersolar Commonwealth Council, das »Parlament der Welten«, wird offiziell ins Leben gerufen
Seit 2100 Massive Expansion menschlicher Besiedelung auf H-kongruenten Planeten. Aufstieg der Big15-Industriewelten
2102 Huxley’s Haven wird gegründet
2150 Prime Star verschwindet vom Himmel – unbemerkt
2163 HIGH ANGELentdeckt Icalanise im Orbit
2222 Geburt von Paula Myo auf Huxley’s Haven
2270 Das Prime Star-Paar wird als Dyson Emission Spectrum-Zwillinge identifiziert
2380 Dudley Bose beobachtet das Verschwinden von Dyson Alpha
2381 Das Raumschiff SECOND CHANCEfliegt nach Dyson Alpha
2381–2383 Starflyer-Krieg
2384 Die erste Kolonisierungsflotte (Brandt-Dynastie) bricht auf, um eine Menschenkolonie außerhalb des Commonwealth zu gründen
Seit 2545 Einsatz von Großraumschiffen, um »Externe« Commonwealth-Welten zu etablieren
2550 Aufbau der Commonwealth-Navy-Explorationsflotte, um die Galaxie jenseits der Externen Welten (Phase-Fünf-Raum) zu erforschen
2552(–3450) Kontakt zu 47 intelligenten (physikalische Entwicklungsstufe) Spezies in der Galaxie
2560 Das Commonwealth-Schiff ENDEAVOUR umrundet unter Captain Wilson Kime die Galaxie, Entdeckung der Leere
2603 Die Navy stößt auf das 7. HIGH-ANGEL-Typ-Schiff
2620 Die Raiel bestätigen ihre Identität als uraltes Volk der Galaxie, das einen Kampf gegen die Leere verlor
2833 Vollendung der ersten Stufe von ANA (Advanced Neural Activity) auf Terra; Mitglieder der Großen Familien beginnen, ihre Erinnerungen in ANA statt in die SI downzuloaden
2867 Das Gigalife-Projekt der Sheldon Dynastie erweist sich als teilweise erfolgreich; es folgen erste biononische Ergänzungen des menschlichen Körpers zur Regeneration und zu allgemeinmedizinischen Zwecken
2872 Geburtsstunde des Higher-Menschen; biononische Ergänzungen ermöglichen eine Zivilisationskultur mit allmählich fortschreitend hoher Lebenserwartung; Abwendung von Wirtschaftsökonomie und alten politischen Ideologien
2913 Auf Terra beginnt man, »gereifte« Menschen aufzunehmen, die »Migration nach Innen« setzt ein
2984 Formierung radikaler Higher, die das Ziel verfolgen, die gesamte menschliche Spezies zu einer Higher-Kultur umzuwandeln
3001 Ozzie erzeugt einen einheitlichen neuralen Verschränkungseffekt, auch als GaiaField bekannt
3040 Die Explorationsflotte der Commonwealth-Navy wird eingeladen, sich Centurion Station anzuschließen, dem Leeren-Observationsprojekt unter Leitung der Raiel und der Beteiligung von mehr als 30 Alien-Spezies
3120 ANA wird offiziell Regierung von Terra, Planetenbevölkerung fünfzig Millionen (aktivierte Körper) und abnehmend
3126 die Brandt-Dynastie startet ihre transgalaktische Kolonisierungsflotte
3150 Besiedlung der Externen Welt Ellezelin
3255 Kerry, Radikaler Angel, erscheint auf Anagaska, Inigos Empfängnis
Derzeitige Ära (genauer Zeitpunkt ungewiss) Edeard wird in der Leere geboren
3320 Inigo begibt sich ins Centurion-Sonnensystem, sein erster Traum
3324 Inigo lässt sich auf Ellezelin nieder, gründet die Living-Dream-Bewegung und beginnt mit der Errichtung von Makkathran2
…
Der Stern war als A7 im Morgan-Keenan-System klassifiziert, also heißer und heller als die Sonne der G2-Klasse, unter der sich die Menschheit entwickelt hatte. Selbst zwei Astronomische Einheiten entfernt, wo Zoreia in einem Orbit kreiste, musste Nigel Sheldon eine Sonnenbrille tragen; nicht einmal seine modifizierten grünen Augen konnten das schärfere Licht der Sonne dieser neuen Welt filtern.
Er erreichte die Kuppe einer Anhöhe, von der aus er sehen konnte, wie sich das üppige grüne terrestrische Gras in alle Richtungen über die Landschaft ausbreitete. Gras war bei der Terraformung einer neuen Welt immer der einfache Teil. Nachdem man Zoreias Landmasse mit Samen bombardiert hatte, hatten die Kolonisten dreißig Jahre lang gewartet, dass die Wurzeln, Mikroben, Insekten, Würmer und toten Blätter eine Erdschicht hätten bilden können, die tief genug war, um größere Pflanzen einsetzen zu können. Nigel blickte über die Wälder, die auf dem unebenen Boden gediehen waren. Vogelschwärme nisteten in den höheren Zweigen. Hier waren ihre Nester vor den räuberischen Tieren sicher, die zwischen den Stämmen herumschlichen. Da die Biosphäre jetzt komplett war, fingen sie langsam an, höher stehende Lebewesen anzusiedeln.
Zoreia war ein bescheidener Triumph, wenn man bedachte, dass vor zweiundfünfzig Jahren, als die Flotte von Kolonialschiffen in dieses Sternensystem gerauscht war, der Planet nur ein luftloser, unfruchtbarer Felsbrocken gewesen war. Sie hatten seitdem sehr viel erreicht, und nicht nur auf dem Planeten. Oran und Bourke, zwei der riesigen City-Habitate, hingen deutlich sichtbar in dem klaren topasfarbenen Himmel. Sie befanden sich in einem Orbit hundertfünfzigtausend Kilometer weit im All, weit oberhalb der beiden kleinen Monde, die sie in den Orbit gebracht hatten, um einige spektakuläre Gezeitenwechsel zu erzeugen. Und außerdem … Nigel lächelte, als sich seine Netzhautfilter aktivierten. Die Oberfläche des blau-weißen Sterns zeigte drei sehr helle Flecken über seinem Äquator, wie intensive Energieblumen. Die Blüten waren riesige Plasmaströme, die mit fast relativer Lichtgeschwindigkeit ins All schossen und sich dann in einer Parabel in die J-Nodes zurückbogen. Irgendwo auf der anderen Seite der Sonne strömte die Materie aus entsprechenden J-Nodes heraus, aber verändert, modifiziert in die Textur ihrer ersten Dyson-Hülle, die eine Ausdehnung von mehr als anderthalb Millionen Kilometer haben würde, wenn sie in ein paar Jahren fertig war.
Eine Wahrnehmung drang in die untersten Ebenen seines Bewusstseins – Wissen von CENTRAL. Es gab eine Unregelmäßigkeit im Hyperraum außerhalb des Sternensystems, die sich rasch näherte. Das Wissen weitete sich zu vollständiger Erkenntnis aus, und er wurde Zeuge, wie sich eine Linie durch die Quantenfelder zog, die die Realität unterlegten, und die direkt nach Zoreia führte. Ihre Signatur war ihm wohlbekannt: ein UltraDrive des Commonwealth. Aber er stammte von einem kleinen Schiff, war kein Ungetüm wie die Antriebe der Kolonisierungsflotte, die die Sheldon-Dynastie zu diesem Ort gebracht hatte. Nigel seufzte müde, als er eine Liste aufrief, aus der hervorging, wen dieses Schiff wohl an Bord haben könnte. Es war eine sehr kurze Liste, die aus nur zwei Namen bestand. Das Schiff mit dem Hyperantrieb zuckte durch das Sternensystem und fiel neben Oran aus dem Hyperraum.
//Du hast eine Anfrage wegen eines Besuchs//, informierte ihn CENTRAL.
»Hab ich bereits bemerkt«, erwiderte er trocken. »Sieht aus, als wäre mein Terminkalender heute leer. Lass sie herein.« Seine bionische Feldfunktion registrierte, wie sich die T-Sphäre des Planeten aktivierte und reagierte.
Paula Myo wurde knapp vier Meter von ihm entfernt auf den Boden teleportiert.
Nigel hätte beinah gelacht. Es dauerte etwas mehr als fünf Jahre, um mit einem UltraDrive-Schiff vom Commonwealth nach Zoreia zu fliegen. Man musste wirklich unbedingt hierher wollen, um einen solchen Flug auf sich zu nehmen. Und Paula hatte ihn allein absolviert, wenn auch natürlich in Suspension. Jetzt stand sie da, in einem grauen Hosenanzug, das pechschwarze Haar makellos gestylt. Und das Verblüffende war, dass sie das alles nur als einen ganz normalen Arbeitstag betrachtete, wie er wusste.
»Paula!« Er umarmte sie und küsste sie schicklich auf die Wange. »Willkommen in der Andromeda-Galaxie.«
»Sterne sind einfach nur Sterne. Bis auf den Punkt, dass die Entfernung halt größer ist.«
»Oh, wie tiefsinnig.« Er wartete, bis sie sich einmal um die eigene Achse gedreht hatte, um den Anblick in sich aufzunehmen. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und blinzelte zu der blendend weißen Sonne empor. »Corona-Materie-Transferenz, das allerdings ist beeindruckend«, gab sie zu.
»Oh, danke.«
»Hast du dir eine ANA gebastelt?«
»Wir nennen sie CENTRAL. Sie hat dieselbe technologische Grundlage, gewiss, aber wir laden unsere Persönlichkeit nicht einfach hinein, wenn wir des Lebens überdrüssig sind. Zu vermeiden, des Lebens überdrüssig zu werden, ist doch der Sinn des Lebens.«
»Sehr tiefgründig«, konterte sie.
Nigel lachte leise. »Schön, dich zu sehen.«
»Danke gleichfalls. Du scheinst dir hier eine sehr interessante Zivilisation aufzubauen. Wie willst du sie nennen?«
»Keine Ahnung. High-End-Idylle?«
»Also so was wie Silfen-lite?«
»Autsch.«
»Entschuldige.« Sie ließ ihren Blick wieder über die weite, leere Landschaft gleiten. »Habt ihr auch Habitate? Oder soll ich sagen: Wohnstätten?«
»Nun, wer eine haben will, kriegt auch eine.«
»Willst du eine, Nigel?«
»Im Moment bin ich ganz zufrieden damit, etwas herumzureisen. Ist dir klar, dass noch nie jemand den Fuß auf diesen Boden gesetzt hat? Das gefällt mir.«
»Das klingt so gar nicht nach dir. Du warst immer so geschäftig.«
»Ich helfe ein bisschen mit CENTRAL und bei unseren größeren Projekten. Dafür muss ich nicht im Büro sein. Abgesehen davon haben wir auch gar keins.«
»Und was ist mit anderen Menschen? Musst du mit ihnen zusammen sein?«
»Du bist zwischen den Galaxien hin und her gereist, um mir diese Frage zu stellen?«
»Nein. Die Leere ist verschwunden.«
»Was?« Er hätte gedacht, dass ihn in seinem Alter nichts mehr überraschen könnte, aber das waren außerordentliche Neuigkeiten. »Was soll das heißen, sie ist verschwunden?«
»Sie ist transzendiert.«
»Wie zum Teufel ist das passiert?«
Paulas Lippen zuckten. »Es gab einen kleinen Konflikt.«
»Ach zum …!« Er hob gereizt die Hände. »Diese Schwachköpfe des Living-Dream sind also endlich auf ihre Pilgerreise gegangen.«
»Ja. Aber sie wurden von den Accelerators manipuliert …«
»Dieser Hurensohn Ilanthe! Ich wusste, dass diese Beschleuniger Ärger machen würden. Ich habe es euch gesagt, bevor ich verschwunden bin.«
»Sehr vorausschauend von dir. Ach ja, und Gore hat ebenfalls eine große Rolle gespielt. Ich habe eine Zusammenfassung der entscheidenden Ereignisse in einer Datei dabei, falls du Zugang haben möchtest. Sie ist ziemlich umfangreich.«
»Natürlich ist sie das. Du warst immer sehr gründlich, Paula.«
»Danke.« Sie drehte sich um und starrte auf die ausgedehnte Steppe. »Unsere Galaxie ist jetzt sicher. Die Raiel überlegen, was sie jetzt tun sollen, nachdem ihre Große Wache vorbei ist. Das Commonwealth verändert sich, langsam wie immer. Es bricht ein neues Zeitalter der Erforschung und der Kontaktaufnahme an.«
»Und doch bist du hier«, sagte Nigel argwöhnisch. »Was ist der Grund, Paula? Was kann so wichtig sein, dass du fünf Jahre opferst, um hierherzufliegen – und fünf, um zurückzufliegen?«
»Du weißt genau, warum«, erwiderte sie leise. »Meine Akte ist nicht vollständig.«
»Du meinst unsere geheime Mission.«
»Deine geheime Mission. Du bist in die Leere eingedrungen, Nigel. Vor zweihundertfünfzig Jahren bist du tatsächlich hineingekommen. Das macht dich einzigartig.«
»Mein Klon ist hineingegangen.«
»Und du hast sein Leben geträumt.«
Nigel schloss die Augen. Der heutige Tag hielt wahrhaftig etliche emotionale Überraschungen für ihn bereit. Trotz der langen Zeit war der Schmerz über ihren Verlust immer noch so stark, wie er an dem Tag gewesen war, als sein Klon den infizierten Quantenzerstörer hatte explodieren lassen.
»Paula, das alles war vor langer Zeit. Belass es dabei. Sie ist jetzt längst verschwunden.«
»Sie?«
»Das ist persönlich.«
»Du hast uns einfach verlassen, Nigel. Als die Raiel dich nach Hause gebracht haben, bist du in eine andere verfluchte Galaxie geflogen, um dem zu entkommen, was dir in der Leere widerfahren ist. Du hast mir nicht gesagt, was es war. Und die Raiel wollten es mir auch nicht sagen. Ich habe im echten Makkathran gestanden und Torux zur Rede gestellt, der bei dir gewesen ist, als du das Leben deines Klons geträumt hast, aber er wollte es mir nicht sagen.« Sie wurde lauter. »Torux sagte nur, sie würden mit ihrem Schweigen deine Wünsche respektieren.«
»Ja«, sagte er kleinlaut. »Das tun sie.«
»Du schuldest es mir, Nigel. Ich habe dir geholfen, diese Mission durchzuziehen. Mehr als das. Für mich ist das auch etwas Persönliches. Ich habe darin investiert. Ich will nicht nur alles über deine Mission wissen, sondern auch über deinen Notfallplan. Ich habe ein Recht zu erfahren, ob du auf ihn zurückgreifen musstest. Also, Nigel, sag mir, was passiert ist! Was ist mit deinem Klon in der Leere passiert?«
»Ich bin ein Monster geworden«, antwortete er, während ihm Tränen über die Wangen liefen.
»Inwiefern?«
»Ich bin nicht auf Querencia gelandet.«
»Was … Aber wo denn dann?«
»Es gab noch eine andere menschliche Welt in der Leere. Sie hieß Bienvenido.«
»Oh, verflucht! Es gab noch eine?«
»Wir haben nie von ihrer Existenz erfahren. Wie auch? Aber sie war dort, wo der Rest der verschollenen Kolonisierungsflotte der Brandt-Dynastie gestrandet ist. Und ich.«
»Du hast also niemals Kontakt mit Makkathran gehabt?«
»Nein. Nachdem ich auf Bienvenido gelandet bin, musste ich dortbleiben. Sie wurden von einer fremden Spezies angegriffen. Den Fallern. Psychotische Expansionisten, die sogar den Prime Angst einflößen könnten. Also konnte ich Bienvenido nicht im Stich lassen. Die Leute brauchten Hilfe. Und ich dachte, ich hätte eine Möglichkeit gefunden. Ich war so verdammt überheblich und bin einfach drauflosmarschiert. Eines der Kolonisierungsschiffe der Brandt hatte die Havarie überstanden. Beziehungsweise seine Waffenkammer hatte es.«
»Die Waffenkammer?«, fragte Paula vorsichtig.
»Ja. Ich habe einen Quantenzerstörer zusammengezimmert.«
»O nein.«
»O doch. Denn ich hatte recht. Ich hatte immer recht. Ich dachte, ich hätte einen Schwachpunkt in der Quantenstruktur der Leere gefunden. Ich glaubte wirklich, dass ich sie von innen heraus zerstören könnte. Ich habe ihr versprochen, dass ich sie alle retten würde. Und sie hat ihr ganzes Vertrauen in mich gesetzt.«
»Nigel«, Paula legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Also habe ich ihn gezündet. Mein Klon saß direkt daneben, als das Ding hochging … Ist das nicht ein verdammt edles Opfer? Nur hat es nicht funktioniert. Und ich hätte es wissen sollen. Die Raiel haben eine Scheiß-Armada aus Kriegsschiffen mit einer Technologie dort hineingeschickt, die den Waffen des Commonwealth um Lichtjahre überlegen war, und sie konnten die Leere nicht vernichten. Stattdessen hat sie die Raiel vernichtet. Glaubst du, ich hätte mal kurz innegehalten, um dem Rechnung zu tragen? Aber nicht doch. Ich hatte meinen Kopf so weit in meinen eigenen Hintern gesteckt, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, dass ich scheitern könnte.«
»Du dachtest, du hättest eine Möglichkeit gefunden, der Leere ein Ende zu setzen. Du wärst kein Mensch, wenn du sie nicht ergriffen hättest.«
»Ha! Wir wussten nicht einmal, dass Bienvenido existierte. Rate mal, was wir sonst noch nicht wussten? Die Leere hat einen Verteidigungsmechanismus. Er nennt sich Honious oder Uracus, je nachdem, auf welchem Planeten zu landen du das Pech hattest. Nachdem mein Klon bei der Explosion gestorben ist, habe ich immer noch das Leben meiner ANAdroiden geträumt. Ich habe durch ihre Augen beobachten müssen, wie Uracus sich öffnete und die ganze verfluchte Welt verschlungen hat. Sie standen neben ihr, als es passierte. Ich habe ihre Schreie gehört.« Er schüttelte wütend und frustriert den Kopf. »Ich höre sie immer noch. Der gesamte Scheiß-Planet, Paula – einfach ausgelöscht. Das ist jetzt zweieinhalb Jahrhunderte her, und ich kann sie immer noch hören. Und ich habe es auch verdient, sie zu hören. Für mein Verbrechen gibt es keine Strafe und keine Sühne, die angemessen wäre.«
»Es tut mir leid.«
»Das braucht es nicht. Nicht meinetwegen.«
Sie musterte ihn einen Moment lang eindringlich. »Wer war sie?«
»Das spielt keine Rolle. Sie ist tot.«
»Ein Mädchen.« Paula lächelte ihn ein wenig traurig an. »Es geht immer um ein Mädchen. Selbst bei dir, am Ende.«
»Selbst bei mir. Wer weiß? Wahrscheinlich bin ich doch letztendlich nur ein Mensch.«
Als es die äußere Atmosphäre des Planeten traf, flog das RaumschiffVERMILLION immer noch mit einem beachtlichen Bruchteil der Orbitalgeschwindigkeit. Wie bei fast allen anderen Bordsystemen funktionierten auch die Ingrav- und RegravDrives des Schiffs nur höchst unzuverlässig. Deshalb konnten sie die gewaltige Hülle des Schiffs nicht vor der Schwerkraft schützen und sie ihrer Funktion entsprechend zu einer sanften Landung herunterlassen. Aber es gelang ihnen, trotzdem noch einen gewissen Widerstand gegen die gierige Gravitation des Planeten aufbauen, sodass sie die katastrophale Geschwindigkeit des Raumschiffs etwas vermindern konnten. Auf der Brücke taten Captain Cornelius und die zehn an Bord verbliebenen Freiwilligen der Mannschaft alles, was sie konnten, um das bevorstehende Desaster in Grenzen zu halten. Kraftfelder, die normalerweise stark genug waren, um ohne Probleme Nuklearexplosionen abzuwehren, drohten zusammenzubrechen, als sie sich von der Hülle her ausdehnten. Rote Instabilitätswarnungen glühten in Cornelius’ Exosicht auf, als er dieVERMILLION sicher im Zentrum einer Blase aus schillerndem Plasma hielt, die fünf Kilometer im Durchmesser maß. Die VERMILLION beschrieb eine Kurve um den Planeten und riss ein kreischendes Loch in die Atmosphäre, als sie durch den Luftwiderstand zu einer handhabbaren Geschwindigkeit abgebremst wurde. Ihr ungeheures hypersonisches Kielwasser erzeugte allerdings eine schreckliche Furche der Vernichtung über sämtliche Landmassen, die sie überflog; nach zweiundsiebzig Minuten Folter verlangsamte sie schließlich auf Unterschallgeschwindigkeit. Als ihre Höhe null erreichte, betrug die Geschwindigkeit des Raumschiffs immer noch achtzig Kilometer pro Stunde. Ein letzter verzweifelter Energiestoß wurde in den erloschenen Antrieb gepumpt, um ihre Geschwindigkeit noch weiter zu drosseln. Bei dem Aufprall brachen die Kraftfelder zusammen, und die ungeschützte Hülle derVERMILLION prallte auf den Boden.
Ihr unkontrollierter Flug hatte sie zu einem unebenen Gebiet unmittelbar hinter einem breiten Fluss geführt, wo die Luftfeuchtigkeit einen ständigen Nebel bildete, der zwischen den grünen Bäumen hing. Es war ein Dschungel mit weichem lehmigem Boden. Nur: Weich war für ein transgalaktisches Schiff der Kolonisierungsflotte, das über anderthalb Kilometer lang war und Hunderttausende von Tonnen wog, ein sehr relativer Begriff.
Es schlug am Fuß einer kleinen Anhöhe auf, pulverisierte die Vegetation und zog eine tiefe Furche in den Boden. Module und andere Teile, die nicht dafür konzipiert waren, solchen Kräften zu widerstehen, brachen ab und segelten zwischen den Bäumen davon, bis sie schließlich irgendwo zerschellten. Aber der Hauptrumpf grub sich weiter durch die Erde und den Hügel hinauf, bis er schließlich zum Stehen kam.
Durch eine wundersame Kombination aus Glück und stählernen Nerven blieben fünfundsiebzig Prozent derVERMILLION intakt. Captain Cornelius wurde zu Recht von den Passagieren mit Beifall bedacht, die zuvor in weit sichereren Shuttles mit altmodischen, guten soliden Flügeln auf dem Planeten gelandet waren. Diese Heldenverehrung führte dazu, dass niemand seine Autorität anzweifelte, als die gestrandeten Überlebenden langsam in dieser fremdartigen Umgebung der Leere ihre Zivilisation errichteten. Die Bedrohung durch die Faller, die aus dem All in ihre Welt eindrangen, rechtfertigte die Bildung von Verteidigungsregimentern, deren Oberbefehlshaber Cornelius wurde. Die Maschinen, die dieVERMILLION aus dem Commonwealth hierhergebracht hatte, erwiesen sich in der Leere als größtenteils unbrauchbar. Elektrische Ströme wurden von der Leere behindert, und alles, was komplexer war als eine Dampfmaschine, wurde Opfer von willkürlichen Ausfällen. Diejenigen Apparaturen, die funktionierten, vor allem die kostbaren MedKapseln, wurden bewacht und waren für den Captain und seine engste Familie reserviert. Dadurch verstärkte er seine Macht und seine Autorität. Die Überreste derVERMILLION wurden der Herrschaftssitz der neuen und etwas ironisch benannten Welt von Bienvenido. Um ihren schwindenden technischen Vorsprung zu nutzen, verleibte sich die Familie des Captains die ursprünglichen Sektionen des Sternschiffs als Arbeitsresidenz ein und weitete dies schließlich aus. Sie schlossen einen exekutiven Komplex und ein militärisches Hauptquartier ebenso ein wie ihre Privatklinik. Während Größe und Reichtum des Palastes wuchsen, wurde immer mehr von dem Schiff darum herum errichtet, hauptsächlich jedoch darauf.
Nach dreitausend Jahren war von derVERMILLION von außen her nichts mehr zu sehen. Doch zu der Zeit war es nicht mehr von Bedeutung, denn die Natur der Leere hatte selbst das einfachste technologische Artefakt des Commonwealth unbrauchbar gemacht. Die Herrschaft der Familie des Captains wurde durch Gesetze, politische Macht und eine brutale effektive Geheimpolizei gesichert.
Dann tauchte – irgendwie – Nigel Sheldon auf Bienvenido auf. Ein Quantenzerstörer wurde gesprengt, und die Leere reagierte mit der Großen Transition, in der sie Bienvenido in den tiefsten Abgrund des intergalaktischen Raums schleuderte. Die Technologie funktionierte wieder.
Das große düstere Labyrinth aus Gewölben unterhalb des uralten Palastes, der im flackernden Licht von Yalsamen-Öllampen erbaut worden war, war jetzt von neuen elektrischen Lampen erleuchtet. Auch gut, dachte Laura Brandt, als sie zu der Krypta eilte, in der das Wurmloch-Gateway lag, das sie hatte reparieren können. Zu viele Menschen liefen hier unten herum, und alle hatten einen Ausdruck von unterdrückter Furcht auf dem Gesicht. Oben, auf dem Erdboden, heulten Alarmsirenen und schrien ihre Warnung vor einem Fall durch die ganze Stadt Varlan. Aber das war nicht ganz richtig. Diese neuen Lichter am Himmel über Bienvenido waren kein Fall, jedenfalls nicht im üblichen Sinn. Aber es würde genügen, die Menschen vor einer bevorstehenden Bedrohung aus dem Weltraum zu warnen.
Marineposten in ihren schmucken schwarzen Uniformen standen vor den großen Holztüren, die in die Krypta mit dem Wurmloch führten. Dieses Mal waren die Türen weit geöffnet, sodass neu verlegte Telefonkabel sich in den Raum schlängeln konnten. Außerdem konnten so die Techniker vom Manhattan-Projekt große Metallwagen hineinrollen. Warum um alles in der Welt habe ich das so genannt?, fragte sich Laura. Wahrscheinlich ist es das mentale Äquivalent des Trostes, den Essen spendet.
Sie blieb stehen, um die Trollies vorbeifahren zu lassen, sie starrte auf die schwarzen Eisengehäuse der großen Zylinder, die darauflagen. Die Atombomben waren nicht stromlinienförmig, andererseits waren sie auch nie dafür bestimmt gewesen, innerhalb der Atmosphäre eines Planeten abgeworfen zu werden.
In der Krypta sank der Lärm der aufgeregten Stimmen, als die Techniker und Offiziere der People’s Air Defence Force den Waffen furchtsame Blicke zuwarfen. Ihre Ankunft war die endgültige Bestätigung, dass die Bedrohung erschreckend real war.
Die Marineposten grüßten plötzlich zackig. Laura drehte sich um. Premierminister Slvasta kam hinter ihr in den Raum. Er trug eine gelb-blaue Uniformjacke. Sie konnte sich einfach nicht merken, welches Regiment welche Farben hatte. Und wie immer war Slvastas leerer Ärmel deutlich sichtbar über seiner Brust befestigt – das Ergebnis einer Begegnung mit einem Faller. Von allen Anachronismen auf Bienvenido kam Laura dieser am sonderbarsten vor. Nachdem sie die ersten dreihundert Jahre ihres Lebens im Commonwealth verbracht hatte, war es ihr gänzlich unbekannt gewesen, dass es Leute gab, denen Gliedmaßen fehlten. Selbst wenn irgendein fahrlässiger Unfall einen Bürger verunstaltete, wurde innerhalb weniger Wochen ein Ersatzglied geklont, um das fehlende zu ersetzen. Hier jedoch nicht. Hier war Slvasta ein körperliches Mahnmal, dass die Wachsamkeit niemals erlahmen durfte. Sie verabscheute ihn, aber sie brauchte seine Autorität, um ihren verzweifelten Rettungsplan für diese zurückgebliebene Welt in die Wege zu leiten. Also musste sie die bedrückende Kehrseite seiner diktatorischen Herrschaft stillschweigend übersehen. Und ihre Biononics, einschließlich eines Ganzkörperkraftfeldes, bedeuteten, dass er sie nicht eliminieren konnte. Sie waren förmlich aneinandergekettet. Slvastas üblicher Hofstaat bildete eine Phalanx um ihn herum. Javier, ebenfalls ein ehemaliger Anführer der Revolution, war problemlos in seine Rolle als Slvastas politischer Berater geschlüpft. Der riesige Mann wirkte so mürrisch und erregt wie immer. Nicht einmal dieser Notfall hatte seinen ständigen Argwohn gegen Laura mildern können. Neben ihm stand Yannrith, Slvastas Leibwächter während der Revolution und jetzt der Vorsitzende des People’s Security Regiment, der Volkssicherheit. Seine Erscheinung passte zu seinem Job, er war steif und abweisend und hatte eine knallrote Narbe an seinem Hals. Das war offenbar der Grund für seine heisere, scharfe Stimme. Er hielt immer wachsam Ausschau nach Faller-Nestern und noch wachsamer nach konterrevolutionären Kräften. Andricea vervollständigte das Trio: eine große, dürre Frau mit einem Gesicht, das Laura zu grausam fand, um wirklich hübsch zu sein. Sie war offiziell Slvastas oberste Leibwächterin, obwohl die Gerüchte im Volkskongress wissen wollten, dass sie auch sein Bett teilte, nachdem seine Frau zu zwanzig Jahren in den Pidrui-Minen verurteilt worden war.
»Laura, funktioniert alles?«, fragte Slvasta.
»Scheint so«, erwiderte sie mürrisch. Die Erschöpfung forderte allmählich ihren Tribut, trotz ihres mit Biononics angereicherten Körpers.
»Die Schwimmer«, setzte er drängend nach. »Hast du die Schwimmer repariert?«
»Ja, sie funktionieren.« Sie schloss die Augen und ließ die letzten fünf Tage wie einen Traum an sich vorüberziehen. Ihre Biononics hatten ihr erlaubt, auf Schlaf zu verzichten, aber sie spürte, dass die Konsequenzen dieses Raubbaus an ihrem Körper bereits ihren Tribut forderten. Trotzdem hatten sie und ihr erschöpftes Team von Assistenten es geschafft, zwei Schwimmer mit Ersatzteilen instand zu setzen, indem sie die anderen ausgeschlachtet hatten. Ihre frühere Erfahrung bei der Renovierung des Wurmloch-Gateways hatten ihr sehr viele Erkenntnisse für diese Prozedur vermittelt.
»Wenn du noch etwas brauchst, irgendetwas, dann sag es mir einfach«, sagte er ernsthaft. »Ich sorge dafür, dass du es bekommst.«
Wie wäre es mit Demokratie. Bürgerrechten. Ein öffentlicher Prozess vor einer Jury. »Klar.«
Sie betraten nebeneinander die Krypta. Es war eine der größten Kammern unterhalb des Palastes, deren staubige Ziegelwände zu einem Gewölbedach emporführten, das von Metallgerüsten gestützt wurde, die aus derVERMILLION stammten. Wenn Laura sich umsah, fiel ihr immer wieder die Ähnlichkeit mit einer europäischen Kirche auf, wenn auch einer Kirche mit einer düsteren gotischen Ausstrahlung. Die Kammer war jahrhundertelang nicht mehr betreten worden, bevor sie die uralten Maschinen dort gefunden hatte.
Am anderen Ende stand statt eines Altars das kreisförmige Gateway, das in dem violetten geisterhaften Licht der Cherenkow-Strahlung schimmerte. Der Generator war ein Modell CSTBC5800d2, der kleine planetarische und interplanetarische Wurmlochverbindungen erzeugen sollte, durch die man sperriges Material transportieren konnte, wenn eine neue Siedlung ihre Produktionsstätten errichtete. DieVERMILLION hatte fünf davon an Bord gehabt, die alle noch in ihren Transithüllen versiegelt gewesen waren, als Laura vor acht Jahren auf Bienvenido gelandet war.
Als letzte Überlebende der VERMILLIONwar sie die Einzige, die die Commonwealth-Technologie verstand. Trotzdem war es ein höllisch schwieriger Job gewesen, den Wurmloch-Generator zum Laufen zu bringen, vor allem angesichts der Menge an Aufgaben, die sie sonst noch zu erledigen hatte.
Seit sie gelandet war, wurde Laura den Gedanken nicht los, dass sie im Commonwealth irgendein schreckliches Verbrechen begangen haben musste und dass dies ihre Strafe war. Zuerst war sie in einer perversen Zeitschleife in der Leere gefangen, dann von Nigel Sheldon befreit worden, nur um in diese Hölle zu fallen, die von Menschen bewohnt wurde, die sie als psychotische Halbwilde betrachtete. Sie hatte die letzten acht Jahre damit verbracht, die misstrauischen Bürger von Bienvenido zu unterrichten, deren Gesellschaft sich auf dem Entwicklungsstand der Erde um etwa 1850 befand. Ihre Unterweisung hatte sich darauf konzentriert, ihre Technologie und ihre Produktionsstätten um beinah ein Jahrhundert voranzubringen, um die Faller besser bekämpfen zu können – eine Mission, die sehr sorgfältig durchgeführt werden musste. Bienvenido kämpfte gegen die fremden Invasoren ums Überleben, und die Maschinen, deren Herstellung sie ihnen zeigte, mussten zuverlässig sein. Und sie mussten in ihren sehr einfachen Fabriken hergestellt werden können. Bisher hatten sie bereits Flugzeuge, die von einfachen V12-Maschinen angetrieben wurden, bessere Waffen, Elektrizität und Funk. Die Flugzeuge der neuen People’s Air Force genügten, um die Faller in Schach zu halten. Derweil machte sie sich daran, die Wurmlöcher zu reparieren, die unter dem Palast gelagert worden waren. Die Idee dahinter war, zu dem Ring von Bäumen zu gelangen, die hoch über Bienvenido kreisten. Es waren kristalline fremdartige Biotechnologie-Bienenstock-Raumschiffe, jedenfalls soweit sie es erkennen konnte, welche die tödlichen Eier herstellten, deren Fall eine Plage für den ganzen Planeten war. Ihr Plan war, ein Wurmloch mitten zwischen diesen Bäumen zu öffnen und sie dann mit den primitiven Atombomben zu beschießen, die das Manhattan Project unter ihrer Anleitung so vorsichtig sammelte. Waren die Faller erst einmal eliminiert, konnte sich Bienvenido endlich auch sozioökonomisch entwickeln und vielleicht eines Tages Kontakt mit dem Commonwealth aufnehmen. Es war zwar eine ziemlich verzweifelte Idee, aber mehr hatte sie nicht.
Jetzt starb selbst dieser fantastische Traum. Die Bedrohung, die sie auf Ursell entdeckt hatte, näherte sich Bienvenido sehr schnell, und sie war mächtig genug, Menschen und Faller gleichzeitig zu vernichten.
Man hatte an einer Seite der Krypta eine Reihe von Klapptischen aufgebaut. An denen saßen hohe Offiziere aus verschiedenen Regimentern und redeten in die schwarzen Bakelit-Telefone, die sie mit ihren jeweiligen Hauptquartieren verbanden. In ihren Stimmen schwang deutlich unterdrückte Panik mit.
»Ma’am!«, rief einer der Offiziere. »Das Space Vigilance Office hat eine Annäherung bestätigt. Die erste Invasionsflotte wird die Atmosphäre oberhalb von Fanrith in sieben Minuten erreichen.«
»Danke«, erwiderte Laura so gelassen, wie sie konnte. Sie wusste, dass alles verloren wäre, wenn sie vor diesen Leuten Schwäche zeigte. Sie verließen sich alle darauf, dass sie sie rettete. »Kann mir jemand eine Bestätigung für die zweite Flotte geben?«
»Geschätzter Eintritt in die Atmosphäre über Tothland in achtundzwanzig Minuten!«, rief ein anderer Offizier.
»Okay. Chief Air Marshal, sind Sie bereit?«
»Unsere Geschwader kreisen über Fanrith, Ma’am.« Das Gesicht des Marshals war ernst. »Wir werden Sie nicht im Stich lassen.«
Laura nickte kurz und kämpfte gegen ihre Tränen an.
Sie hatten gerade über vierhundert IA-505-Abfangjäger zu dem unbewohnten Kontinent von Fanrith geschickt, das waren zwei Drittel der gesamten Luftwaffe des Planeten. Die IA-505 waren ihre eigene Erfindung, zusammengeschustert aus den enzyklopädischen Dateien in ihrer Speicherlakune über den Zweiten Weltkrieg. Es waren schrecklich klapprige Dinger aus einem Metall-Monocoque, über das man eine Metallhaut genietet hatte. Die V12 Motoren, die die Propeller antrieben, waren einfach nur Turbo-Kolbenmotoren. Sie war noch nicht dazu gekommen, Turbinen einzuführen.
Die Kontrolloberflächen bewegten sich, wenn der Pilot an einem Joystick zog, der Drähte bewegte, die an hydraulischen Geräten befestigt waren. Die Flugzeuge waren mit vier sehr durchschlagskräftigen pneumatischen Gatling-Bordkanonen bestückt, und zwar in den vorderen und hinteren Geschütztürmen. Die Mannschaften, sieben Köpfe pro Flugzeug, waren stolze und eifrige Jugendliche, ihrer Welt glühend loyal ergeben und entschlossen, sie um jeden Preis zu beschützen. Sie waren von ihren Flugmaschinen vollkommen begeistert und lächelten stolz, wenn Laura ihre Geschwader auf ihren Stützpunkten besuchte. Sie versprachen ihr, sie stolz zu machen, wenn sie aufstiegen, um die Faller-Eier mit ihren Kanonen zu vernichten.
Und jetzt schickte sie sie in einem Kampf gegen interplanetarische Raumschiffe, die von den übelsten Aliens bemannt wurden, denen die Menschheit jemals begegnet war. Sie hatte Slvasta und den Marshals der Air-Force-Regimenter gesagt, dass es nahezu sicherer Selbstmord war, aber sie hatten trotzdem den Start der Geschwader befohlen. Denn hätten sie es nicht getan, wäre ganz Bienvenido verloren.
Und daran gab Laura sich selbst die Schuld.
Es war erst sechs Monate her, seit sie das Wurmloch zum Funktionieren gebracht hatte. Sie hatte eine höllische Zeit seit ihrer Ankunft auf Bienvenido gehabt, hatte verzweifelt versucht, die primitive militärische Technologie zu verbessern, damit sie eine Chance gegen die Faller hatten, und dabei gegen das paranoide autoritäre Regime von Slvasta kämpfen müssen. Schließlich hatte sie die Zeit gefunden, das Wurmloch zu reparieren. Sie hatte gehofft, durch eine Erforschung der anderen Planeten, die mit ihnen dieses schreckliche Exil teilten, möglicherweise einen Verbündeten gegen die Faller zu finden. Und in diesen wenigen Monaten hatte es ausgesehen, als wäre der Traum wahr geworden.
Sie hatte das Wurmloch fünfhundert Kilometer über Aqueous geöffnet, dem vielversprechendsten der neun anderen Planeten, die um diese einsame Sonne kreisten. Eine wunderschöne ozeanische Welt mit dunkeltürkisem Wasser, von langen weißen Wolken gesäumt und mit einer Standard-Sauerstoff-/Stickstoff-Atmosphäre. Bis auf das Fehlen jeglicher Landmassen hätte es eine andere Erde sein können. Erst als das Wurmloch sich unmittelbar über der Atmosphäre öffnete, sah sie die grünen und rosa Punkte winziger Koralleninseln, von denen keine mehr als einige Hundert Meter im Durchmesser maß.
Sie hatten Kontakt mit den Vatni aufgenommen, die auf diesen Inseln und um diese herum lebten. Diese teilweise im Wasser lebende Spezies war bereit, sich mit ihnen zu verbünden, hatte allerdings keinerlei technologische Fähigkeiten. Aber dank der begrenzten Zahl der Inseln hatten sie ein beträchtliches Populationsproblem, was Slvastas diplomatischem Team die Verhandlungen ziemlich leicht machte. Man vereinbarte, dass Familien der Vatni nach Bienvenido kommen und an der Küste von Lamaran leben durften, im Austausch dafür, jede maritime Bedrohung der Faller zu bekämpfen, auf eine Weise, in der Menschen es nie gekonnt hätten.
Nach einem Monat waren Tausende eifriger Vatni nach Bienvenido gekommen und Laura hatte den Wurmlochterminus auf den zweiten vielversprechenden Planeten gerichtet: Ursell. Die Vatni hatten ihr berichtet, vor tausend Jahren beobachtet zu haben, wie Raumschiffe von Ursell aus gestartet waren, um alle Planeten zu erforschen. Danach hatte etliche Jahre lang ein Krieg auf Ursell getobt. Die Explosionen auf der Oberfläche waren selbst durch den Raum zu sehen gewesen.
Seinerzeit hatte Laura in diesem Gewölbe gestanden und mit dem Observationsteam auf einen Planeten hinabgeblickt, der von einer dicken Schicht schmutzig grauer Wolken verhüllt war. Er war nicht mehr wirklich H-kongruent, musste es aber vor etlichen Jahrhunderten einmal gewesen sein.
Durch gelegentliche Lücken in dem dichten Dunst sahen sie eine öde Landschaft, eine braune Halbwüste, die von zerstörten Städten überzogen war. Die Hintergrundstrahlung war sehr hoch – das unausweichliche Ergebnis von Nuklearwaffen, die auf dem ganzen Planeten explodiert waren. Der Funk nahm ein ständiges hohes Klicken in demstarken Rauschen wahr, eindeutig ein Signal. Etwas dort unten lebte noch. Sie schickten eine Botschaft in Richtung der Quelle, eine übliche Willkommenssequenz, die vor sehr langer Zeit von Alien-Kontaktspezialisten des Commonwealth entwickelt worden war und die tief in ihrer Lakune steckte.
Sie bekamen eine Antwort, einen linguistischen Code, der ebenfalls in ihrer Lakune gespeichert war.
An diesem Tag waren sehr viele rote Symbole in ihrer Exosicht aufgeflammt, denn es handelte sich um eine Spezies, die das Commonwealth sehr gut kannte.
Die Prime. Die lebende Verkörperung der Rücksichtslosigkeit, die nur einen einzigen evolutionären Imperativ kannten – ständige Expansion. Für die Prime waren alle anderen Lebensformen eine Bedrohung, die ausgelöscht werden musste.
So wie sie jetzt ausgelöscht werden würden, falls Lauras verzweifelter Plan scheiterte.
»Ach, scheiß drauf!«, murmelte Laura. »Los geht’s.«
Sie stellte sich allein vor das Wurmloch. Ihr U-Shadow schickte einen Code an den Smartcore der uralten Maschine, und Schemata öffneten sich auf ihrer Exosicht. Sie gaben ihr einen Statusbericht der Systeme des Wurmlochs. Es war ein vollkommen geschlossenes System, das von einem Massekonverter gespeist wurde. In den dreitausend Jahren, die der Apparat hier ungestört gelegen hatte, waren viele Komponenten verfallen, aber indem sie die anderen vier BC5800d2s ausschlachtete, hatte sie diesen wieder funktionsfähig machen können. Auch wenn er etwas zickig war.
Sie ging die Exosicht-Displays durch und überzeugte sich, dass es nicht zu viele gelbe Warnsignale gab. Zufrieden lud sie die Koordinaten.
»Bereithalten«, sagte sie zu den Anwesenden.
Der vier Meter breite Kreis der Cherenkow-Strahlung wurde plötzlich durch schlangenförmige Schatten gestört. Dann klärte sich der Nebel. Der Wurmlochterminus war auf eine Stelle zweitausend Kilometer über dem Kontinent Fanrith gerichtet und blickte direkt hinunter. Lauras Exosicht-Displays zeigten ihr, dass der Terminus vibrierte, was bei einem am Ende offenen Wurmloch immer der Fall war. Man musste es verankern, um es vollkommen stabil zu machen. Aber die Bewegung war minimal, im schlimmsten Fall einige Zentimeter. Als sie jetzt durch die Öffnung blickte, hatte sie einen hervorragenden Blick über die Landmasse, die zwölfhundert Kilometer westlich von Lamaran lag, Bienvenidos Hauptkontinent.
Fanrith war ein eher ovaler Kontinent, der sich über den Äquator erstreckte; ein Drittel der Landmasse wurde von einer Wüste beherrscht. An der östlichen Küste ging bereits die Sonne auf, deren Strahlen den Boden in einem blassen Ocker leuchten ließen, das von dem dunklen Grün einheimischer Vegetation gesäumt wurde. Dünne Wolken huschten darüber hinweg.
Laura war sich des ehrfürchtigen Schweigens hinter sich sehr deutlich bewusst. »Beobachter!«, rief sie. »Vorne und in der Mitte, bitte.«
Fünf junge Offiziere mit perfektem Augenlicht traten hastig vor. Der Blick wurde von dem integralen Kraftfeld des Wurmlochs ein wenig verschleiert, welches das Vakuum zurückhielt. Trotzdem waren neun Lichtpunkte sichtbar, die langsam in die Atmosphäre hinabsanken. Ihre Abgase waren glühend heißes Hydrocarbon, das extrem radioaktiv war. Laura vermutete, dass es sich um irgendeine Art von nuklearbetriebener Rakete handelte.
Sie hatten die Raumschiffe der Prime sechs Wochen lang verfolgt, seit sie von Ursell gestartet waren. Jedes Schiff hatte eine Masse von etwa zweitausend Tonnen. Diese waren zwar nicht riesig, aber doch groß genug, um eine ernste Bedrohung darzustellen. Die Technologie der Prime von Ursell reichte zweifellos nicht an das Level des Commonwealth heran und sie hatten keine Kraftfelder. Das bedeutete, die primitiven Streitkräfte von Bienvenido hatten durchaus eine Chance gegen sie. Wenn auch nur eine kleine.
»Sie fliegen jetzt deutlich langsamer als Orbitalgeschwindigkeit«, sagte sie und überprüfte die Vektormessung des Terminus. »Die Flugbahn ist nahezu vertikal. Markiert sie.«
Die Beobachter gaben ihre Werte an die Operatoren weiter, die sich um die große strategische Karte versammelt hatten, welche man auf zwei Klapptischen ausgebreitet hatte. Hölzerne Raumschiffe – einfache Kegel – wurden mit langen Stangen über die große Karte von Fanrith geschoben. Die Geschwader der Air Force waren bereits dort, angezeigt durch Modellflugzeuge. Sie hätte am liebsten vor Frustration geweint, hätte sie nicht gewusst, dass sie am Ende angesichts dieser monströsen Sinnlosigkeit in hysterisches Lachen ausgebrochen wäre.
Kommunikationstechniker der Geschwader sprachen angespannt in ihre Telefone. Die Modellflugzeuge wurden mit den Stangen über die Karte geschoben, als die IA-505er ihren Kurs änderten, um die herabsinkenden Raumschiffe abzufangen.
»Ich will mithören«, sagte sie.
Lautsprecher erwachten zum Leben und füllten die Krypta mit verzerrten Stimmen und lautem Rauschen, als die Funkverbindung wiedergegeben wurde. Die Geschwaderführer gaben Instruktionen weiter und empfingen knappe Bestätigungen von den Flugzeugführern.
»Ich sehe sie!«, wurde häufiger wiederholt. Darunter mischten sich jubelnde Schreie in das statische Rauschen. Immer mehr Stimmen drangen blechern aus den Lautsprechern, ein verwirrendes Medley aus Navigationsangaben und Befehlen zur Kurskorrektur.
Laura drehte sich wieder zu dem Gateway um. Die Raumschiffe traten in die Atmosphäre ein und die Kondensstreifen ihrer Raketentriebwerke lösten sich auf. Obwohl sie langsamer als Orbitalgeschwindigkeit flogen, verursachten ihre Größe und ihre stumpfen kegelförmigen Hüllen eine riesige Schockwelle in der Ionosphäre. Sie schickten ringförmige Wellen aus glühenden Atomen aus, als würden Phantomblumen hoch über Fanrith erblühen. Die neun Schiffe flogen in einer annähernd kreisförmigen Formation und hielten nicht mehr als fünfzehn Meilen Abstand zueinander.
Total fantasielos, dachte Laura. Keine raffinierte Taktik. Sie fliegen einfach runter, errichten einen planetarischen Brückenkopf und greifen an.
Die Schiffe erreichten die Mesosphäre, heißt: Die Flammen der supererhitzten Atmosphäre wurden länger undheller. Die Kommunikation der Piloten wurde lauter und unverständlicher, während sie auf die Invasoren zuflogen. Laura warf einen Blick auf die Karte auf den Tischen und sah, dass sich zwölf Geschwader um die Schiffe versammelten. Sie kamen am nördlichen Rand von Fanriths zentraler Wüste herunter, knapp südlich des Äquators.
»Sie müssen unter die Schiffe«, sagte Laura zu dem Chief Air Marshal.
»Ja, Ma’am.«
»Und zwar direkt darunter, das ist die blinde Stelle ihrer Sensoren.«
»Das wissen sie.« Der Chief Air Marshall klang ruhig. »Ihre Anweisungen waren glasklar.«
Slvasta trat neben Laura. »Lassen Sie die Piloten ihren Job tun«, sagte er leise.
Laura nickte und rieb sich mit der Hand über die Stirn. Sie war besorgt, besorgt wegen der Flugzeuge und ihrer Mannschaften, besorgt, dass die Invasion Erfolg haben könnte, besorgt, dass sie Fehler machte, weil sie so müde war.
»Etwas …!« Die Stimme im Lautsprecher verstummte.
»Marco … Mar…! Oh, Uracus, sie haben sich einfach aufgelöst! Es ist nichts von ihnen übrig!«
»Evelina! Evelina ist verschwunden!«
»Explosionen. Sie explodieren einfach!«
»Wir haben drei verloren!«
»Oberkommando, wir werden von irgendetwas getroffen!«
»Was benutzen sie? Was …?«
»Nichts! Da ist gar nichts!«
Laura starrte auf die neuen langen glühenden Kondensstreifen, die sich durch die Stratosphäre zogen. »Strahlenwaffen!«, sagte sie und wiederholte es lauter, während sie versuchte, die Angst aus ihrer Stimme zu verbannen. »Die schießen mit Strahlenwaffen auf sie! Mit Röntgenstrahlen oder Maser, mit verstärkten Mikrowellen! Fliegt unter sie!«
Einer der Offiziere am Ende der Klapptische machte Striche auf einer Tafel. Die Zahl der verlorenen Maschinen. Als er bei siebenundzwanzig angekommen war, sah Laura weg. Die IA-505 waren mit ihren Maschinenkanonen noch nicht einmal in Schussweite zu den Raumschiffen der Invasoren.
»Die Geschwader Portlynn und Siegen kreisen unter Eindringling Sieben«, sagte ihr Verbindungsoffizier.
Aus den Lautsprechern ertönten Schreie. Befehle waren nur noch undeutliches Gebrüll. Das Rauschen wurde immer lauter.
Auf dem Tisch erreichten die Modellflugzeuge für die Geschwader Gretz und Wurzen Eindringling Drei.
Lauras U-Shadow befahl dem Wurmlochterminus, weiter zu sinken. Der Panoramablick wurde verschwommen, als das Wurmloch sehr schnell an Höhe verlor. Dann wurde das Bild wieder stabil, als es etwa hundertzehn Kilometer über Fanrith zur Ruhe kam. Es gab keine Wolken. Die einzigen Flecken bildeten die rasch verblassenden schimmernden Stellen verzerrter Luft, die von den Raumschiffen zerfetzt wurde.
»Neunzehn Kilometer Höhe!«, verkündete Laura. »Passt auf die Raketenstrahlen auf. Sie sind genauso gefährlich wie jede Waffe.«
Noch während sie sprach, sah sie die weißen Speere radioaktiven Plasmas. Aus den Lautsprechern drangen noch mehr verwirrte Schreie.
»Zweiunddreißig bestätigte Verluste«, erklärte ein Kommunikationsoffizier.
Niemand in der Krypta sagte ein Wort.
»Missiles bereit machen.« Laura wusste, dass all das vollkommen vergeblich war. Es waren keine ferngelenkten Missiles. Sie hatte Bienvenidos Elektronik noch nicht bis zu diesem Level entwickeln können. Es waren ungesteuerte Geschosse, die entwickelt worden waren, um in kleinen Gruppen von ihren Halterungen unter den Flügeln der Flugzeuge auf ein Faller-Ei abgefeuert zu werden, das gerade heruntersank.
Dreißig IA-505 waren hastig modifiziert worden, damit man sie auch vertikal abfeuern konnte. Laura gab sich nicht der Illusion hin, dass sie die Raumschiffe treffen könnten, aber sie würden zumindest als Ablenkung dienen und so hoffentlich etwas von dem Feuer der Strahlenkanonen auf sich ziehen.
»Missile-Sperrfeuer!«, befahl der Chief Air Marshal. Die Abgase der Raumschiffe waren jetzt schillernde Streifen von mehreren Kilometern Länge. Sie kamen immer schneller herunter. Lauras U-Shadow aktivierte ihre Retina-Filter und erlaubte ihr so, die winzigen Pünktchen der Raketengruppen zu sehen, die auf sieben der neun Eindringlinge zuflogen. Sie war sich nicht sicher, glaubte aber, dass die Wut- und Schmerzensschreie aus den Lautsprechern weniger geworden waren.
»Die Eindringlinge Zwei, Drei und Acht kommen auf Ihre Höhe herunter und werden langsamer«, sagte Laura. »Vier und Sechs erreichen Angriffshöhe.«
»Annäherung!«, befahl der Chief Air Marshal.
»Giu segne euch alle!«, sagte Slvasta laut und deutlich. »Holt sie euch!«
»Eins und Sieben«, sagte Laura. »Fünf und Neun«, setzte sie nach einer kurzen Pause hinzu. »Das sind alle.« Jetzt blieb ihnen nichts mehr, als zu beten.
Aus den Lautsprechern drang ein unaufhörlicher Strom aus gebrüllten Warnungen und Flüchen, untermalt von dem hohen Jaulen der pneumatisch angetriebenen rotierenden Kanonenläufe. Laura schloss die Augen und stellte sich vor, wie die lächerlichen propellergetriebenen Flugzeuge abdrehten und auf die gewaltigen Eindringlinge zuflogen, sie angriffen und mit ihren Gatling-Bordkanonen wie verrückt auf sie feuerten. Sie waren gut, diese Gatling-Kanonen, die sie für sie entworfen hatte. Sie feuerten fünfeinhalbtausend Geschosse pro Minute, von denen jedes einzelne 100-Gramm-Projektil eine Mündungsgeschwindigkeit von fast neunhundert Metern pro Sekunde hatte.
Ein Treffer von einem Geschoss würde einem Raumschiff dieser Größe nichts anhaben können, aber die IA-505 hämmerten eine ganze Wand aus Geschossen heraus, die die Hülle der Raumschiffe und ihrer äußeren Komponenten zerfetzen mussten. Sie würden zumindest Schaden anrichten, und die Eindringlinge waren immer noch in der Luft und hatten drei Kilometer vor sich. Wenn irgendetwas ihren Antrieb traf …
Lauter Jubel hallte durch die Krypta, als die Antriebsraketen von Eindringling Sieben versagten. Das Raumschiff setzte zu einem langen taumelnden Absturz auf die gnadenlose Wüste unter ihnen an.
»Die Angreifer gegen Eindringling Sieben haben dreiundsiebzig Prozent Verluste«, verkündete ihr Verbindungsoffizier.
»Scheiße!«, stöhnte Laura gequält. Sie weigerte sich, auf die Tafel zu sehen. Die Zahlen waren ohnehin nicht genau; sie verloren so schnell Flugzeuge, dass niemand mitzählen konnte. Aber sie konnte sie durch den Terminus sehen, kleine Feuerbälle, die aufflackerten und in der heißen Luft weit über der Wüste erloschen.
Auf dem Kartentisch stieß eine Stange feierlich die Holzrakete um, die den Eindringling Sieben repräsentierte.
Der Raketenstrahl von Eindringling Drei wurde dunkler und erlosch. Der Antrieb von Eindringling Fünf begann zu wabern und schleuderte sein Plasma in langen Kurven durch die Luft.
»Wir bringen sie um!«, stellte Slvasta zufrieden fest.
»Das reicht nicht!«, fuhr Laura ihn an. Du verstehst das nicht. Wenn nur einer dieser Mistkerle landen kann …
»Der Angriff auf Eindringling Zwei ist vorbei«, verkündete der Kommunikationsoffizier.
»Vorbei?«, fragte Javier. »Was soll das heißen, vorbei? Das Ding fliegt noch. Schicken Sie die Flugzeuge zurück.«
»Das können wir nicht«, erwiderte der Offizier resigniert.
»Warum nicht?«
»Sie sind alle zerstört. Ausgelöscht.«
»Verfluchter Uracus!«
Laura versuchte, all das zu verdrängen, das Leiden und den Tod. Sie versagte sich jede Emotion, alles, was sie menschlich machte, und konzentrierte sich stattdessen auf die Fakten. Eindringling Drei stürzte jetzt auf den Boden zu und drehte sich wild, als seine angeschlagenen Raketen ihren tödlichen Ausstoß über den Himmel verteilten. Eindringling Eins wurde unvermittelt zur Seite gestoßen, als irgendetwas explodierte. Flammen schlugen aus dem Raumschiff. Dann neigte es sich, weniger als einen Kilometer vom Boden entfernt, und die stumpfe Kegelnase deutete direkt auf die Buschwüste darunter. Die Raketen trieben das Schiff immer noch an und beschleunigten den Flug nach unten. Es prallte mit voller Wucht auf dem Boden auf und detonierte in einem gewaltigen kochenden Pilz aus Flammen und Rauch. Flugzeuge, die sich bereits zurückzogen, wurden von der Explosionswelle erfasst. Sie sah, wie Flügel zerbrachen und zerstörte Rümpfe langsam Richtung Boden stürzten.
Die Lautsprecher verstummten.
»Eindringlinge Zwei, Vier, Acht und Neun sind am Boden«, sagte der Chief Air Marshall. »Den Rest haben wir ausgelöscht. Bestätigte Abschüsse.«
»Holen Sie die Geschwader dort weg!«, drängte ihn Laura. »Tief und schnell. Solange sie in der Luft sind, sind sie für die Strahlenwaffen wie Enten auf einem Teich.«
»Ein letzter Angriff würde doch sicherlich …«
»Ein letzter Angriff wäre einfach nur Selbstmord. Er würde nichts erreichen und uns sämtliche Maschinen kosten, die wir noch haben.«
Slvasta drehte sich um und warf einen Blick auf die großen Atombomben auf ihren Wagen. Dann sah er zurück zu dem Wurmloch, das den Rand der Wüste zeigte, auf der die Schiffe der Eindringlinge jetzt standen. Im Umkreis von etlichen Kilometern war der Boden von brennenden Trümmern übersät. »Sie müssen diese Kernwaffen einsetzen.«
»Das können wir nicht«, widersprach Laura müde. »Wir haben nur drei, und die zweite Invasionsflotte, die nach Tothland fliegt, besteht aus sieben Schiffen. Falls sie dicht genug zusammen fliegen und falls ich den Terminus im richtigen Moment öffnen kann, könnten diese drei Bomben möglicherweise alle sieben Schiffe vernichten, solange sie noch in der Luft sind.«
»Aber …« Er deutete auf das Wurmloch, das immer noch auf den Rand der Wüste hinabblickte, wo die Eindringlinge gelandet waren. »Sie sagten, wir könnten sie nicht aufhalten, wenn sie erst einmal gelandet sind!«
»Ich weiß.« Sie holte tief Luft und befahl ihrem U-Shadow, einen Link zu öffnen.
Ich brauche dich, sendete sie.
»Sie haben ein Commonwealth-Kraftfeld«, sagte Javier. »Können Sie sie eliminieren?«
»Ich muss ihren Planeten zerstören«, antwortete Laura. Es freute sie, wie gelassen sie diese ungeheuerliche Feststellung getroffen hatte. »Ich kann nicht gleichzeitig hier gegen vier Schiffe kämpfen.«
»Also müssen uns die Regimenter erneut verteidigen«, sagte Slvasta ernst. »Ich werde Meister-General Doyle bitten, eine volle Mobilisierung in die Wege zu leiten.«
»Nein«, sagte Laura.
»Aber wir haben keine andere Möglichkeit! Bienvenido wird zerstört werden. Sie haben uns gesagt, dass diese Alien schlimmer sind als sogar die Faller. Wie können wir …«
Vor den Toren der Krypta gab es Unruhe. Einer der Marineposten schrie. »Halt! Sie haben keine Berechtigung, hier zu sein. Ich werde schießen!«
»Ist schon gut«, sagte Laura. »Lassen Sie sie hereinkommen.«
Kysandra kam in die Krypta. Ihr Auftritt sorgte für absolute Ruhe. Biononics, die winzigen Maschinen, die jede Zelle in ihrem Körper durchdrangen, hatten jedoch kaum etwas mit ihrem jugendlichen Aussehen zu tun. Sie war immer noch in den Zwanzigern, ihre keltisch-blasse Haut war von Sommersprossen übersät, und dichtes Tizianhaar fiel ihr fast bis zur Taille. Sie trug einen langen braunen Wildlederrock und eine weiße Bluse. Ihre weite Wildlederjacke hatte viele Taschen, in denen kleine Geräte aus Metall und Plastik steckten. Sie trug einen langen schwarzen Zylinder an einem Schulterriemen. Seine Umrisse waren nicht exakt auzumachen, aber allen im Raum war klar, dass es sich um eine Waffe des Commonwealth handeln musste.
Marek und Fergus folgten ihr in den Raum. Sie trugen beide identische graue Ganzkörper-Overalls aus einem glatten Stoff und hatten die gleichen Zylinderwaffen wie Kysandra geschultert. Selbst in Größe und Statur waren sie identisch, obwohl Marek dunkle Haut hatte und gut dreißig Jahre älter aussah als Fergus.
Laura begrüßte die Besucher mit einem spöttischen Grinsen. Man musste einen vollen biononischen Feldfunktions-Scan einsetzen, um zu erkennen, dass diese Männer ANAdroiden waren, keine echten Menschen. Und sie hatte noch nie Versionen mit einer Morphologie gesehen, die so menschlich aussah. Ihre Schöpfer hatten ausgezeichnete Arbeit geleistet. Andererseits gehörten sie zu Nigels Mission, deshalb wusste sie, dass bei ihnen keine Mühe gespart worden war. Yannrith und Andricea zogen sofort ihre Pistolen, packten sie mit beiden Händen und zielten damit auf die Neuankömmlinge.
»Macht euch nicht lächerlich!«, sagte Laura so verächtlich, wie sie konnte. »Sie haben integrale Kraftfelder, wie ich. Ihr könnt sie nicht erschießen.« Was fast der Wahrheit entsprach. Kysandras Biononics hatten diese Energiefeld-Funktion, während die beiden ANAdroiden Kraftfeld-Skeleton unter ihren leichten Schutzanzügen trugen.
»Was bei Uracus machen die denn hier?«, zischte Slvasta.
»Ich habe sie gebeten, zu helfen«, antwortete Laura. »Niemand sonst kann die Eindringlinge am Boden ausschalten. Würden jetzt bitte alle Schwachköpfe, die hier mit mittelalterlichen Waffen herumfuchteln, dieselben wegstecken, bevor ihr euch selbst verletzt?«
Andricea warf ihr einen hasserfüllten Blick zu, bevor sie Slvasta ansah. Er nickte und die Pistolen wurden zögernd in die Halfter geschoben.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte Kysandra verächtlich zum Premierminister. »Heute schon irgendwelche Unschuldigen eingesperrt? Vielleicht irgendein Kind, das sich beschwert hat, weil seine Massenproduktions-Schuhe zu eng sind?«
»Uracus soll dich holen, du Faller-Hure!«, spie Slvasta hervor.
»Ach zum … Nigel war kein Faller, du hirnloser Schwachkopf!«
»Er hat ihnen diese Welt ausgeliefert!« Slvasta schrie, und Speichel flog aus seinem Mund.
»Nigel hat uns von der Leere befreit«, erwiderte Kysandra kalt. »Er hat sich selbst bei dieser Quantenzerstörer-Explosion geopfert, damit wir die Chance auf eine anständige Zukunft haben.«
»Die Fälle haben sich seit der Großen Transition verzehnfacht!«
»Weil die Bäume, die diese Explosion überlebt haben, nicht mehr von der Waldformation eingeengt werden, in der sie eingeschlossen gewesen sind«, sagte Marek ruhig. »Jetzt haben sie sich in einer hohen Umlaufbahn verteilt und die Zeitschleife ist gebrochen. Deshalb können sie ihre Eier mit größerer Geschwindigkeit ausstoßen. Das war eine unausweichliche Konsequenz der Befreiung von der Leere.«
»Befreiung! Du nennst das hier Freiheit?«
Der ANAdroid zeigte einen Ausdruck milder Verwirrung. »Ja.«
»Dann tust du mir leid.«
»Es hätte Freiheit sein können«, mischte sich Kysandra zuckersüß ein. »Aber dann hast du ja die Herrschaft von dem Captain übernommen.«
»Ich bin nicht im Entferntesten …!«
»Ha! Selbst deine eigene Frau hat die Wahrheit erkannt – am Ende.«
»Du hast sie verdorben! Es war deine Schuld!«
»Das reicht!«, sagte Laura. »Ihr alle vergesst jetzt eure verdammten politischen Querelen. Wir sehen uns heute der Auslöschung gegenüber, also wollen wir doch nicht versuchen, unseren Feinden diese Aufgabe abzunehmen, oder?«
Slvasta warf Kysandra einen wütenden Blick zu. Sie erwiderte ihn mit einem vollkommen ungerührten spöttischen Blick …
»Kysandra, danke, dass du uns zu Hilfe kommst«, sagte Laura. »Vier Raumschiffe haben es an den IA-505 vorbeigeschafft – die Nummern Zwei, Vier, Acht und Neun.«
»Dann haben die Geschwader gute Arbeit geleistet«, sagte Kysandra teilnahmsvoll.
»Ja.« Laura deutete auf das Wurmloch. »Wirst du mit ihnen fertig?«
Kysandra klopfte auf den Zylinder, den sie über der Schulter trug. »Darauf kannst du zählen.«
»Gut, wo sollen wir euch absetzen?«
Marek hatte die Karte auf dem Tisch studiert. »Sind diese Landepositionen genau?«
»Ja«, erwiderte der Chief Air Marshal.
»Okay, Neun und Vier stehen dicht zusammen. Laura, setz mich zwischen ihnen ab. Ich kann mich um beide kümmern.«
»Ich nehme Nummer Acht«, erklärte Kysandra.
Fergus grinste. »Ich vermute, dann bleibt Nummer Zwei für mich übrig.«
»Also gut. Macht euch bereit.« Lauras U-Shadow schickte einen Strom von codierten Anweisungen zum Gateway. Der Terminus bewegte sich.
»Könnt ihr das wirklich schaffen?«
Die Stimme war leise und klang besorgt. Fast alle in der Krypta sahen Javier an. Der Hüne starrte Fergus an.
»Wir schaffen das«, erwiderte der ANAdroid. »Auch Kysandra. Sie sieht vielleicht wie ein Engel aus, aber sie ist eine echte Kriegerin, wenn das von ihr verlangt wird.«
Kysandra zwinkerte Javier zu.
Der Terminus bewegte sich weiter, erreichte fast den Boden und zeigte eine ebene Fläche von mit Felsbrocken übersätem Sand. Vor ihnen erhoben sich hohe Dünen.
»Terminus ist im Windschatten einer Düne«, erklärte Laura. »Kein Sensor weit und breit. Aber ich nehme eine niedrige Strahlung da draußen wahr.«
»Der Raketenstrahl«, erwiderte Marek. »Wir glauben, dass sie Raketen mit Atomgas verwenden.«
»Zu der Schlussfolgerung bin ich auch gekommen.«
»Gut, meine Rüstung wird damit fertig. Lasst mich durch.«
Laura schickte einen Code an das Gateway und das Kraftfeld wurde durchlässig. Marek nahm Anlauf und sprang auf den körnigen Sand dahinter.
»Alles klar!«
Laura bewegte den Terminus zu Raumschiff Zwei. Hier war der Boden mit verwelkten Sträuchern übersät. Einige Quanten noch. Dann zitterte der Terminus, erhob sich um ein paar Meter und glitt anschließend zur Seite. Laura schickte einen Haufen Korrekturen durch ihren U-Shadow, bis sich der Terminus wieder stabilisierte. Dann überprüfte sie die Anzeigen in ihrer Exosicht.
»Er hält«, sagte sie.
Fergus rannte hindurch. Er duckte sich hinter einige Felsen, als der Terminus abschweifte, aber erst, nachdem alle gesehen hatten, wie sein Ganzkörperoverall dieselbe Farbe annahm wie die Felsen. Laura wusste, dass er ihn auch vor jedem Sensor tarnen würde, den die Invasoren entwickelt haben mochten.
»Dann war es nur noch eine«, sagte Kysandra leise, als der Terminus etwa einen Kilometer vor Nummer Acht anhielt.
»Viel Glück«, sagte Javier.
Sie drehte sich zu Slvasta herum. Ihr rotes Haar fiel ihr über die Schultern und sie ließ sich Zeit, einen breitkrempigen Lederhut aufzusetzen. »Ich werde diese Leute, die du unterdrückst, nicht im Stich lassen«, sagte sie. »Ich werde immer hier sein, um ihnen zu helfen. Aber dir nicht, niemals.« Mit diesen Worten trat sie ruhig durch das G3 und nahm dabei ihren Zylinder von der Schulter.
»Arrogantes Miststück!«, grunzte Slvasta. Aber erst, nachdem Laura den Wurmloch-Terminus erneut verschoben hatte.
»Unterschätze sie nicht«, sagte Laura, ohne ihn anzusehen. »Vergiss nicht, dass ich dieselbe Meinung von dir habe.«
Niemand sagte etwas. Alle Offiziere waren plötzlich in ihre Karten oder Klemmbretter vertieft.
»Wie sieht es mit der zweiten Invasionsflotte aus?«, fragte Laura.
»Geschätzte elf Minuten bis zur Landung«, antwortete der Verbindungsoffizier des Space-Vigilance-Office. »Sie treten gerade in die Schimmersphäre ein.«
Laura rekonfigurierte das Wurmloch und öffnete den Terminus über Tothland – eine Insel im Sibal-Ozean, die nicht groß genug war, um als Kontinent zu gelten. Sieben rote Lichtflecken leuchteten hell über der nächtlichen Landmasse, als die Raumschiffe in der Atmosphäre abbremsten. Ihr U-Shadow analysierte die Positionen der Raumschiffe und ihre Flugbahnen. Dann feuerten ihre Raketentriebwerke und schickten blasse Splitter von schimmernder Helligkeit über die verborgenen Berge tief unter ihnen.
»Waffenmeister«, sagte Laura. »Bitte bereiten Sie die Bomben vor.« Drei Schlüssel hingen an dünnen Ketten um ihren Hals. Sie nahm sie ab und reichte sie ihm.
Slvasta gab ihm seine drei Schlüssel ebenfalls. Der Waffenmeister öffnete die Kontrollluke der ersten Atombombe und steckte die beiden Schlüssel in ihre beiden Sockel. Laura war fast versucht, ihre biononische Kraftfeldfunktion zu aktivieren. Aber wenn dieses verdammte Ding hochging, würde auch ein Kraftfeld sie nicht schützen können – nicht bei dieser geringen Entfernung. Die Schlüssel wurden gleichzeitig umgedreht.
»Bombe eins aktiviert«, verkündete der Waffenmeister ernst.
Lauras U-Shadow machte eine kurze Kalkulation, als sie zu dem primitiven Metallzylinder ging, und sie stellte den Timer auf hundert Sekunden ein. Dann betätigte sie den roten Schalter und versuchte, nicht zusammenzuzucken. Drei Kontrollen leuchteten rot auf und sie schloss die kleine Luke wieder.
Fünf Techniker des Manhattan Project rollten die Bombe in die Mitte der Krypta, direkt vor das Gateway.
»Bereit machen!«, befahl sie. Der Terminus verschob sich erneut, hinab in die Stratosphäre, dicht an die Flugbahnen der drei Invasoren. Silbernes Licht flammte auf, das von irgendwo über der Öffnung kam. »Los!«
Die Techniker, jung und fit, waren wegen ihrer Kraft ausgesucht worden. Sie schoben den Wagen mit aller Kraft und wurden auf dem uralten Steinboden immer schneller. Die Bombe wog zwar fast eine halbe Tonne, aber sie bewegte sich sehr schnell, als der Wagen das Gateway erreichte. Dann versetzten die Männer ihm einen letzten Stoß.
Lauras U-Shadow bewegte den Terminus sofort zur Seite.
Theoretisch hatte die Bombe eine Kraft von dreiundvierzig Kilotonnen. Es wäre nutzlos gewesen, sie im Weltraum gegen die Eindringlinge einzusetzen. Erstens war es hoffnungslos zu versuchen, den Gateway-Terminus dicht an ein beschleunigendes Raumschiff heranzubringen und sich dessen Geschwindigkeit dann auch noch genau genug anzugleichen. Und selbst wenn sie die Bombe hätte nahe genug heranbringen können, wäre zweitens eine Explosion im Vakuum höchstwahrscheinlich nicht besonders wirkungsvoll, denn es gab keine Druckwelle. Sicher, das Raumschiff würde unter der Strahlung leiden, und auch unter dem elektromagnetischen Impuls, aber sie konnte nicht sicher sein, dass die Bombe es zerstören würde.
Bei einem Angriff in der Atmosphäre jedoch war das anders. Die Schiffe waren während ihres Sinkflugs angreifbar und die Druckwelle würde den größten Schaden anrichten. Überschallstürme würden gegen die Raumschiffe schlagen und zusammen mit der Strahlung und dem elektromagnetischen Impuls sämtliche ungeschützte Elektronik und Energiesysteme lahmlegen.
Da sie nur drei Bomben hatten, war das ihre beste Chance.
»Bombe zwei aktiviert«, sagte der Waffenmeister.
Sie stellte den Timer auf eine Minute. Das kurze Intervall nutzte sie, um die genaue Position der Invasionsschiffe zu bestätigen. Als sie aus vierhundert Kilometern auf Bienvenido hinabblickte, sah sie den Beweis, dass die erste Bombe erfolgreich explodiert war. In der Krypta brach Jubel aus. Der Lichtblitz der Explosion war bereits erloschen, und jetzt sah man nur einen kochenden Ball von sternenheißem Plasma, der von einer Hülle aus verbrannter Luft umgeben war. Tothland war jetzt von dem teuflischen violettweißen Glanz beleuchtet. Ihr U-Shadow konnte nur noch vier Raumschiffe erkennen, die in der chaotischen Atmosphäre hinabsanken.
Wieder veränderte der Terminus seine Position. Bombe zwei wurde durch das Gateway geschoben, sechs Kilometer über dem Boden.
Bombe drei wurde in nur zweieinhalb Kilometern Höhe abgesetzt.
Bitte funktioniere, betete Laura, als die fünf entschlossenen Techniker die Handgriffe des Rollwagens losließen. Dieses Mantra schien zurzeit ihr Leben zu begleiten. Seit sie gelandet war, hatte sie unablässig im Kampf gegen alle möglichen Widrigkeiten in letzter Sekunde improvisiert und herumgepfuscht. Jedes Mal, wenn sie glaubte, dass sie Fortschritte machte, tauchte etwas auf, das diese Annahme infrage stellte.
Auf eine bizarre Art und Weise begrüßte sie diese Invasion beinahe. Wenn sie die Prime vernichteten, dann würde das Bienvenido Zeit verschaffen. Die Gesellschaft dieses Planeten würde vielleicht beginnen, sich zu verändern, wenn neuere Technologien das Leben einfacher machten. Vielleicht würde sie sogar überleben und das Commonwealth noch einmal sehen.
Unwahrscheinlich.
Nicht, dass im Commonwealth noch jemand auf sie wartete. Die Mehrheit ihrer Freunde und ihrer Familie waren alle in der Kolonisierungsflotte gewesen. Aber es muss noch etwas Besseres geben als das hier.
Der Terminus öffnete sich erneut, diesmal fünfhundert Kilometer über der mit Strahlung gesättigten Zone. Alle beobachteten ängstlich, wie drei bösartige Wirbel aus Energie, die die Luft vergifteten, langsam verebbten. Riesige Feuerstürme tobten über Tothland, die Vegetation wurde vernichtet und ganze Wälder in Brand gesetzt. Tosende Wirbelstürme schossen aus diesem Gebiet heraus und zogen eine Spur der Vernichtung hinter sich her. Es gab kein Anzeichen von irgendwelchen Raketenstrahlen.
»Haben wir es geschafft?«, fragte Slvasta ängstlich.
»Ich glaube schon«, antwortete sie. Ihre angereicherten Retinae scannten das Gebiet, wo die Schiffe gewesen waren, konnten aber außer dem wabernden Ionennebel nichts entdecken.
»Danke.«
Sie nickte. Er meinte es ernst.
»Öffnen wir das Gateway über Fanrith und holen sie zurück?«
»Nein. Kysandra sagte, sie würden allein nach Hause finden.«
»Verstehe.«
»Und woher wissen wir, dass sie Erfolg gehabt haben?«, erkundigte sich Yannrith.
Immer misstrauisch, dachte Laura. »Sie müssen die Außenbeobachter in die Landezone schicken, damit sie bestätigen, dass die Schiffe zerstört wurden. Aber Kysandra wird ihre Aufgabe erledigt haben. Vertrauen Sie mir.« Ich habe euch nicht einmal annähernd die Hälfte von dem erzählt, wozu Biononics fähig sind.
»Also gut.« Slvasta drehte sich zu einem Regimentscolonel herum. »Schicken Sie die Beobachter los.«
»Sir.« Der Colonel nahm ein Telefon und sprach in den Hörer.
»Es wird Zeit, die Sache zu beenden«, sagte Laura. »Schaffen wir die Schwimmer herein.«
»Ja, Ma’am«, bestätigte der Waffenmeister.
Slvasta und Javier wechselten einen vielsagenden Blick.
»Sind Sie sicher?«, fragte der politische Berater.