Das Ende der Eifersucht - Marcel Proust - E-Book

Das Ende der Eifersucht E-Book

Marcel Proust

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Beschreibung

Marcel Proust legte mit 26 Jahren den Band Les Plaisirs et les Jours vor, eine Sammlung von Erzählungen und impressionistischen Miniaturen, aus denen für den vorliegenden Nocturnes-Band einige der bezwingendsten versammelt sind. Atmosphärenreiche Bilder, feinfühlige Personen- und Gesellschaftsporträts, vor allem aber die Beschwörung aller betörenden Facetten der Schwermut und der Liebe lesen sich wie elegante Vorstudien zur Suche nach der verlorenen Zeit und zeigen doch bereits Prousts stilistische Meisterschaft. Wir befinden uns, wie immer bei Proust, in den höchsten Kreisen der Gesellschaft: Violante, die alles unternimmt, damit die Welt ihr zu Füßen liegt, muss am Ende die Eitelkeit ihres Tuns erkennen; Françoise de Breyves wird Opfer ihrer unerfüllten Verliebtheit in den mittelmäßigen Monsieur Laléande; ein zur Unkeuschheit verführtes Mädchen legt nach einem Selbstmordversuch ihre Lebensbeichte ab; der von Eifersucht geplagte Honoré erfährt erst angesichts des Todes die Befreiung einer allumfassenden Liebe. In all diesen tiefsinnigen psychologischen Parabeln spiegelt sich die moralische Brüchigkeit der Belle Époque.

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Marcel Proust Das Ende der Eifersucht

Frühe Erzählungen

Steidl Nocturnes

Auf der Grundlage der Übersetzung von Ernst Weiss, die 1926 im Propyläenverlag in Berlin erschien. Die Übersetzung wurde für diese Ausgabe überarbeitet.

Inhalt

Violante oder die Weltlichkeit

Traum

Trauriger Landaufenthalt der Madame de Breyves

Begegnung am Ufer des Sees

Die Beichte eines jungen Mädchens

Der Fremde

Ein Diner in der Stadt

Mondscheinsonate

Das Ende der Eifersucht

Nachwort

Anmerkungen

Violante oder die Weltlichkeit

I Gedankenvolle Kindheit der Violante

Habt wenig Umgang mit jungen Leuten und mit Personen aus der großen Welt … sehnt euch nicht danach, vor den Großen dieser Welt zu erscheinen.

Nachfolge Christi I, 8

Die Gräfin von Steyer war eine vornehme und zärtliche Seele; ihr ganzes Wesen war durchdrungen von einer bezaubernden Anmut. Der Graf, ihr Herr Gemahl, war geistig außerordentlich lebhaft, und die Züge seines Gesichts musste man in ihrer Regelmäßigkeit bewundern. Aber der erstbeste Grenadier verfügte über mehr Zartgefühl und weniger Banalität. Diese Eltern erzogen nun fern von der Welt auf ihrem bäuerlichen Gut von Steyer ihre Tochter Violante, die, schön und voller Leben wie ihr Vater, warmherzig und geheimnisvoll berückend wie ihre Mutter, alle Eigenschaften ihrer Eltern in der vollendeten Harmonie ihres Wesens zu vereinen schien. Aber die wechselnden Wünsche ihres Herzens und ihrer Gedankenwelt begegneten in ihrer Seele keiner gleich starken Willenskraft, die sie hätte sicher leiten können, ohne sie zu hemmen, und die verhindert hätte, dass sie nur ein charmantes und zerbrechliches Spielzeug eben dieser Regungen des Herzens und des Kopfes war. Dieser Mangel bereitete Violantes Mutter einiges Unbehagen, das mit der Zeit hätte Früchte tragen können, wenn nicht die Gräfin durch einen Jagdunfall zusammen mit ihrem Gatten umgekommen wäre und Violante im Alter von fünfzehn Jahren als Waise zurückgelassen hätte. Nun lebte Violante fast allein, unter der zwar wachsamen, aber doch recht schwerfälligen Aufsicht des alten Augustin, der ihr Hauslehrer und zugleich der Schlossverwalter von Steyer war. Violante, der die Freunde fehlten, schuf sich aus ihren Träumen wundersame Gefährten, denen sie dann ihr ganzes Leben treu zu bleiben versprach. Sie führte sie denn auch spazieren in den Alleen des Parks, ließ sie durch die Landschaft streifen und hieß sie sich mit den Ellbogen auf die Terrassenbrüstung stützen, die als Abschluss des Guts auf das Meer hinausging. Sie wurde von diesen Träumen wie über sich selbst hinausgehoben, von ihnen in den geheimen Kreis eingeweiht, und so fühlte sie das Sichtbare in seiner ganzen Fülle und ahnte ein wenig das, was die irdischen Augen nicht sehen. Ihr Frohsinn kannte keine Grenzen, von Zeit zu Zeit schwebte Traurigkeit über sie hin und milderte die helle Freude in süße Wehmut.

II Sinnenwelt

Stützet euch ja nicht auf ein Rohr, das der Wind bewegt, noch auch bauet darauf; denn jegliches Fleisch ist wie die Pflanze, und sein Ruhm vergeht wie das Kraut der Felder.

Nachfolge Christi

Außer Augustin und einigen Dorfkindern sah Violante keine Menschenseele. Nur eine jüngere Schwester ihrer Mutter, die in Julianges (das Schloss war einige Stunden weit entfernt) wohnte, erschien manchmal, um Violante zu besuchen. Bei solcher Gelegenheit kam eines Tages einer ihrer Freunde mit. Er nannte sich Honoré und war sechzehn Jahre alt. Er gefiel Violante nicht, kam aber dennoch wieder. Während er mit ihr durch eine Allee des Parks promenierte, brachte er ihr höchst unanständige Dinge bei, über die sie noch sehr im Unklaren gewesen war. Was sie dabei empfand, war sehr gut und angenehm, doch schämte sie sich dessen sofort. Später dann, als die Sonne schon untergegangen war und sie einen weiten Weg hinter sich hatten, nahmen sie auf einer Bank Platz, zweifelsohne nur, um den Widerschein des rosafarbenen Himmels zu betrachten, der dem Meer Sanftmut verlieh. Honoré rückte näher an Violante heran, damit sie ja nicht fror, knöpfte den Pelzumhang am Hals mit raffinierter Langsamkeit zu und schlug ihr vor, mit seiner Hilfe die Theorien, über die er ihr im Park Unterricht erteilt hatte, praktisch zu erproben. Er wollte ganz leise mit ihr sprechen und brachte seine Lippen dem Ohr des Mädchens, das sich nicht zurückzog, immer näher. Violante hörte ein Geräusch im Gebüsch. »Aber es ist nichts«, sagte Honoré zärtlich. »Das ist meine Tante«, sagte Violante; es war der Wind. Aber Violante hatte sich schon erhoben. Sehr im rechten Augenblick durch den Wind ernüchtert, wollte sie sich durchaus nicht wieder setzen und sagte Honoré trotz seiner Bitten Adieu.

Sie hatte Gewissensbisse, eine Nervenkrise, sie konnte zwei Tage lang kaum einschlafen. Ihre Erinnerung war ein glühendes Kopfkissen, das sie unablässig hin und her wendete. Zwei Tage danach wollte Honoré sie sehen; sie ließ antworten, sie sei spazieren gegangen. Honoré glaubte es nicht und wagte nicht wiederzukommen. Im nächsten Sommer dachte sie mit Zärtlichkeit an Honoré zurück, freilich auch mit Betrübnis, denn sie wusste, dass er als Matrose zur See gegangen war. Wenn die Sonne im Meer untergegangen war, saß sie auf der Bank, zu der er sie damals (es war gerade ein Jahr her) hingeführt hatte, und gab sich alle Mühe, die suchenden Lippen Honorés in die Gegenwart zurückzurufen, seine grünen Augen zwischen den halb gesenkten Lidern, seine wie Strahlen umherwandernden Augen, die plötzlich ein heißes, lebensvolles Licht auf sie warfen. Und in den milden Nächten, in den weiten, von aller Welt abgeschlossenen Nächten, wenn die Gewissheit, allein zu sein, ihr Verlangen ins Unermessliche steigerte – da hörte sie Honorés Stimme, die ihr verbotene Dinge ins Ohr flüsterte. Sie beschwor ihn herauf, bis er vor ihr stand, quälend und lockend wie eine Versuchung.

Eines Abends beim Diner sagte sie seufzend zum Verwalter, der ihr gegenübersaß:

»Ich bin sehr traurig, mein Augustin. – Niemand hat mich lieb«, fügte sie hinzu.

»Und doch«, erwiderte Augustin, »sind es keine acht Tage – es war, als ich in Julianges die Bibliothek in Ordnung brachte –, da hörte ich von Ihnen sagen: ›Ach, wie schön sie ist!‹«

»Und wer war es?«, fragte Violante sehr betrübt.

Ein zartes Lächeln kräuselte kaum merklich die Winkel ihrer Lippen, als versuchte man einen Vorhang zu lüften, um das fröhliche Licht des Tages einzulassen.

»Der junge Mann vom letzten Jahr, Herr Honoré.«

»Ich dachte, er sei auf See«, sagte Violante.

»Er ist zurück«, sagte Augustin.

Violante erhob sich rasch und ging mit unsicheren Schritten in ihr Zimmer, um Honoré zu schreiben, er möge sie besuchen kommen. In dem Augenblick, als sie die Feder ergriff, hatte sie ein Gefühl von Glück, von ungeahnter Macht, das Gefühl, dass sie ihr Leben doch ein wenig nach ihrer Laune und ihrem Sinnenglück gestalten konnte, dass sie dem Räderwerk ihrer beider Geschicke, das sie mechanisch fern voneinander festzuhalten schien, allem zum Trotz einen kleinen Stoß geben könnte, dass er nachts auf der Terrasse erscheinen würde, ganz anders als in der schrecklichen Ekstase ihres nie gestillten Begehrens, dass seine unerwiderten Zärtlichkeiten (ihr ewiger innerer Roman) und die Wirklichkeit Wege hatten, die sich trafen und auf denen man sich zum Unmöglichen emporschwingen konnte, dass sie allein durch ihren Glauben das Unmögliche möglich machen würde.

Am nächsten Tag empfing sie eine Antwort, und sie las sie zitternd auf der Bank, wo er den Arm um sie gelegt hatte:

»Mademoiselle, ich empfing Ihren Brief eine Stunde vor der Abfahrt meines Schiffs. Wir hatten nur auf acht Tage Landurlaub, und ich komme erst in vier Jahren zurück. Vergessen Sie, bitte, nicht ganz Ihren Ihnen herzlich und aufrichtig ergebenen Honoré.«

Nun, im Angesicht dieser Terrasse, wohin er nie wieder kommen sollte und wo niemand ihre Sehnsucht erfüllen würde, angesichts dieses Meeres, das ihn ihr entführte und ihr dafür zum Entgelt, in der Phantasie dieses jungen Mädchens, ein wenig von seinem großartigen, geheimnisvollen und schaurigen Zauber gab, den Zauber der Dinge, die uns nicht gehören, die zu viele Himmel widerspiegeln und zu viele Ufer furchtsam streifen, brach Violante in Tränen aus.

»Mein armer Augustin«, sagte sie abends, »mir ist ein großes Unglück widerfahren.«

Das erste Bedürfnis sich anzuvertrauen entstand in ihr nach der ersten Enttäuschung ihrer Sinnlichkeit, genauso selbstverständlich, wie es gewöhnlich aus der ersten Befriedigung der Liebe entsteht. Noch kannte sie die Liebe nicht. Kurze Zeit danach begann sie unter ihr zu leiden, und das ist die einzige Art, wie man sie im tiefsten Grunde kennenlernt.

III Liebesschmerzen

Violante war verliebt, das will sagen, dass ein junger Engländer, der sich Laurence nannte, während einiger Monate der Gegenstand noch der nebensächlichsten Gedanken war und das Ziel ihrer wichtigsten Aktivitäten. Sie war einmal mit ihm auf die Jagd gegangen und konnte es nicht verstehen, warum die Sehnsucht, ihn wiederzusehen, ihre Gedanken beherrschte, sie auf die Straße trieb, wo sie hoffen konnte, ihm zu begegnen, den Schlaf von ihr fernhielt, ihre Ruhe und damit ihr Glück zerstörte. Violante war verliebt, sie wurde verschmäht. Laurence liebte die große Welt, und sie liebte ihn genug, um ihm dorthin zu folgen, aber Laurence hatte keinen Blick für diese Landschönheit von zwanzig Jahren. Sie wurde krank vor Kummer und Eifersucht und wollte Laurence in den Bädern von S… vergessen, aber sie blieb in ihrer Eigenliebe verletzt, weil man ihr so viele Frauen vorgezogen hatte, die nicht besser waren als sie, und war entschlossen, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

»Ich verlasse dich, mein guter Augustin«, sagte sie, »und gehe an den Hof von Österreich.«

»Das möge Gott verhüten«, sagte Augustin, »die Armen unserer Gegend haben dann niemanden mehr, der sie tröstet, wenn Sie unter so vielen bösen Menschen weilen. Wollen Sie sich nicht mehr mit unseren Kindern in den Wäldern verlustieren? Wer soll die Orgel in der Kirche spielen? Wir sollen Sie also nicht mehr in den Feldern malen sehen? Sie werden keine Lieder mehr erfinden?«

»Sorge dich nicht, Augustin«, sagte Violante, »wache mir treu über mein schönes Schloss und meine braven Leute von Steyer. Die Gesellschaft soll mir nur ein Mittel sein. Sie bietet mir zwar gewöhnliche, aber unbesiegliche Waffen, und wenn ich eines Tages geliebt sein will, muss ich sie besitzen. Mich stachelt eine Neugier an und mehr als das, mich treibt eine Lebensnotwendigkeit dazu, ein äußerlich reicheres und weniger abgeklärtes Leben zu führen als hier. Es soll zugleich Ruhe sein und eine Schule für mich. Sobald ich mir meine Stellung geschaffen habe und meine Ferien zu Ende sind, will ich die große Welt verlassen und aufs Land zurückkehren zu unseren guten, einfachen Leuten und, was mir das Liebste ist, zu meinen Liedern. An einem bestimmten Tag, der nicht sehr fern ist, will ich auf der schiefen Ebene haltmachen und in unser Steyer zurückkehren und neben dir leben, mein Lieber.«

»Werden Sie das können?«, fragte Augustin.

»Man kann, was man will«, sagte Violante.

»Sie werden aber dann vielleicht nicht mehr das Gleiche wollen«, sagte Augustin.

»Warum?«, fragte Violante.

»Weil Sie sich verändern werden«, sagte Augustin.

IV Das mondäne Leben

Die Menschen in der großen Welt waren so mittelmäßig, dass Violante bloß anwesend sein musste, um sie fast alle in den Schatten zu stellen. Die exklusivsten Aristokraten, die ungebärdigsten Künstler kamen auf sie zu und buhlten um ihre Gunst. Wenn jemand Geist hatte, war sie es, sie hatte den feinsten Geschmack, die herrlichste Haltung und alles, was die unerhörte Vollendung ihrer Erscheinung zum Ausdruck brachte. Sie brachte Komödien in Mode, nicht anders als Parfums und Toiletten. Die Schneiderinnen, die Literaten, die Friseure lagen vor ihr auf den Knien und bettelten um ihre Protektion. Die berühmteste Modistin Österreichs erbat sich den Titel ihrer Lieferantin, der allerberühmteste Prinz Europas bat um den Titel eines Geliebten. Sie hielt es für ihre Pflicht, beiden ihre Bitte abzuschlagen, die ihrer Eleganz das Prädikat der Auserwähltheit verliehen hätte. Unter den vielen jungen Leuten, die Zutritt zu Violantes Salon erheischten, zeichnete sich Laurence durch besondere Beharrlichkeit aus. Nachdem er ihr viel Kummer bereitet hatte, erfüllte er sie jetzt mit einem gewissen Widerwillen. Seine Selbsterniedrigung stieß sie mehr ab als früher seine Geringschätzung. »Ich habe ja kein Recht, entrüstet zu sein«, sagte sie sich. »Ich habe ihn nicht seiner großen Seele wegen geliebt, sondern habe stets, ohne es mir einzugestehen, seine Gemeinheit gespürt. Das hinderte mich keineswegs, ihn zu lieben, aber das Ideal einer hohen Seele stand mir dennoch vor Augen. Ich habe mir eingebildet, man könnte gemein sein und dabei doch liebenswert. Hat man aber einmal aufgehört zu lieben, dann gewinnen natürlich wieder großherzige Naturen die Oberhand. Wie sonderbar war die Leidenschaft für diesen minderwertigen Menschen, die ganz vom Gehirn bestimmt wurde und durch keine Verirrung der Sinne entschuldigt werden konnte! Platonische Liebe wiegt nicht schwer.« Wir werden sehen, dass Violante wenig später zu der Überzeugung kam, die sinnliche Liebe wiege noch leichter.

Augustin kam zu Besuch und wollte sie mit zurück nach Steyer nehmen.

»Sie haben ein wahres Königreich erobert«, sagte er zu ihr. »Ist das nicht genug? Warum werden Sie nicht noch einmal die Violante von einst?«

»Ich erobere es ja gerade erst, Augustin, in diesem Augenblick«, erwiderte Violante. »Lass mich wenigstens noch ein paar Monate auf meinem Thron.«

Ein Ereignis, das Augustin nicht hatte voraussehen können, entband Violante für einige Zeit der Verpflichtung, an die Heimreise zu denken. Nachdem sie zwanzig allerhöchste Hoheiten, ebenso viele souveräne Fürsten und einen Mann von Genie, die alle um ihre Hand anhielten, zurückgewiesen hatte, heiratete sie den Herzog von Böhmen, einen Mann von außerordentlicher Anmut und Besitzer von fünf Millionen Dukaten. Die Nachricht, Honoré sei zurückgekommen, hätte die Verbindung am Vorabend der Hochzeit beinahe zum Scheitern gebracht. Aber ein Übel, das Honoré befallen hatte, verunstaltete ihn, und seine Vertraulichkeiten ließen Violante nun schaudern. Sie weinte bittere Tränen über die Vergänglichkeit ihrer Wünsche und Begierden, die einst so feurig hingezogen worden waren zu der Jugendblüte eines Körpers, die nun auf immer dahingewelkt war. Die Herzogin von Böhmen fuhr fort zu bezaubern, wie es die Violante von Steyer getan. Das unermessliche Besitztum des Herzogs war gerade gut genug, einen würdigen Rahmen um das einzigartige Kunstwerk zu bilden, das ihre Person darstellte. Aus einem Kunstwerk verwandelte sie sich in einen Luxusartikel, kraft jener nur zu natürlichen Neigung aller Dinge auf Erden, zum Geringeren herabzusinken, sobald der edle Aufschwung nicht ausreicht, ihren Schwerpunkt über sich selbst zu erheben. Augustin konnte es nicht fassen, was er über sie hörte. Er schrieb ihr:

»Weshalb spricht die Herzogin ohne Unterlass von Dingen, die Violante verhasst waren?«

»Warum? Weil ich nicht gefallen konnte mit meinen Neigungen, die durch ihr bloßes Niveau all denen, die in der Gesellschaft leben, unverständlich und zuwider sind«, entgegnete Violante. »Aber ich langweile mich, guter Augustin!«

Er kam, um sie zu besuchen, und erklärte ihr, warum sie sich langweile.

»Ihr Gefallen an der Musik, an der Betrachtung, der Wohltätigkeit und Einsamkeit, am Leben auf dem Lande, all das ist nicht mehr vorhanden. Ihr einziges Lebensziel ist der Erfolg, Ihr einziger Halt das Vergnügen. Aber man findet das Glück nur, wenn man tut, was man aus dem tiefsten Herzen liebt, und nirgendwo sonst.«

»Wie kannst du das wissen, der du doch nie gelebt hast?«, fragte Violante.

»Ich habe nachgedacht, und darin besteht das Leben«, sagte Augustin, »aber ich hoffe, dass auch Sie bald dieses inhaltsleere Leben satthaben werden.«

Violante langweilte sich mehr und mehr, Heiterkeit wurde ihr fremd. Die Verderbtheit der Gesellschaft, die ihr bis jetzt gleichgültig gewesen war, warf ihren Schatten auf sie und verletzte sie grausam, so wie die Härte der Jahreszeiten einen Körper niederstrecken kann, dem eine Krankheit die Kraft zum Widerstand geraubt hat. Eines Tages ging sie allein in einer verlassenen Allee spazieren, da stieg aus einem Wagen, den sie nicht beachtet hatte, eine Frau und kam gerade auf sie zu. Sie sprach sie an, fragte sie, ob sie Violante von Böhmen sei, und erzählte, sie sei die Freundin ihrer Mutter gewesen und habe sich danach gesehnt, die kleine Violante wiederzusehen, die sie einst auf ihren Knien gehalten habe. Sie umarmte Violante sehr aufgeregt, nahm sie um die Taille und begann sie so stürmisch zu küssen, dass Violante, ohne Adieu zu sagen, sich so eilig wie möglich rettete. Am nächsten Abend begab sich Violante zu einem Fest, das zu Ehren der Fürstin von Misène gegeben wurde. Dort erkannte sie in der Fürstin die aufdringliche Dame vom Tag vorher. Eine vornehme alte Dame, die bis dahin hoch in Violantes Achtung gestanden hatte, fragte sie:

»Wollen Sie, dass ich Sie der Fürstin von Misène vorstelle?«

»Nein«, sagte Violante.

»Seien Sie nicht schüchtern«, sagte die alte Witwe. »Ich bin sicher, dass Sie ihr gefallen werden. Sie liebt hübsche junge Frauen ganz außerordentlich.«

Als Violante schied, hatte sie zwei tödliche Feindinnen mehr, die Fürstin von Misène und die alte Witwe, die sie überall als ein überhebliches und unmoralisches Ungeheuer hinstellten. Violante begriff den Zusammenhang, weinte über sich und über die Bosheit der Frauen. Was die Männer betrifft, war sie über sie schon lange im Klaren. Von nun an konnte man sie jeden Abend zu ihrem Mann sagen hören:

»Wir wollen übermorgen nach meinem alten Steyer abreisen und es nicht mehr verlassen.«