Das Ende vom Anfang - Isabelle Kocher - E-Book
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Isabelle Kocher

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Beschreibung

»Warum bist du heute hier?« – »Mein Freund wünscht sich, dass ich verrückt bin.« Lis Behrens ist 26 Jahre alt und sitzt einem Therapeuten gegenüber, weil ihr Leben nicht mehr so funktioniert, wie es sollte. Weil ihre langjährige Beziehung sich nicht mehr nach Liebe anfühlt, sondern nach Stillstand. Weil sie nicht weiß, ob mit ihr etwas nicht stimmt – oder mit der Welt um sie herum. Um zu verstehen, wer sie heute ist, muss sie dorthin zurück, wo alles begann. In eine Zeit, in der ihr Vater starb, ihre Welt zerbrach – und Henrik mit den grünen Augen sich neben sie setzte. Er, der sie zum Lachen brachte, wenn alles in ihr schrie. Er, der ihr zeigte, dass Glück auch dann möglich ist, wenn alles verloren scheint. Er, der ihr als Teenager den ersten Kuss stahl – und dem ihr Herz noch immer gehört. Aber was, wenn die Vergangenheit nicht nur Antworten bereithält, sondern auch eine Wahrheit, die alles verändern könnte?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


Das Ende vom Anfang

Für die Liebe

die einmal gefühlt, nie wieder vergessen werden kann.

1

»Warum bist du heute hier?«

»Mein Freund wünscht sich, dass ich verrückt bin.«

Die grauen Augen meines Gegenübers blicken mich schweigend an. Nicht überrascht, nicht verwirrt. Es sind Augen, die bereits alles gesehen haben und alles verstehen.

»Warum wünscht er sich das?«

»Weil es alles leichter machen würde, wenn ich verrückt wäre. Dann wäre es nicht seine Schuld, sondern meine. Dann könnte man mich heilen. Dann könnte man zurück.«

Die Hände meines Gegenübers ruhen sachte auf einem Block. Sie sind bereit, eine neue Geschichte zu schreiben. Eine wie jede andere.

»Und glaubst du, dass du verrückt bist?«

»Manchmal. Manchmal glaube ich es. Doch meistens wünsche ich es mir nur.«

Die Lippen meines Gegenübers kräuseln sich. Es sind Lippen, die nur wenig sagen, doch jedes Wort mit Bedacht wählen. In der Stille suchen sie Worte, die ein anderer spricht.

»Nun, dann liegt es wohl an uns, herauszufinden, wo die Grenze zwischen Wunsch und Wahrheit liegt. Wann würdest du sagen, hat das alles angefangen?«

Mein Gegenüber klickt den Kugelschreiber, schlägt das Buch auf und wirft mich in das erste Kapitel.

Vom Ende der Einsamkeit

Mein Wecker klingelt immer zu früh. Nicht weil ich ein Morgenmensch wäre und nur wenig Schlaf bräuchte. Nicht weil ich ein Morgenmuffel wäre und früh Stunden zum Wachwerden bräuchte. Nicht weil ich technikavers wäre und nicht verstünde, wie man einen Wecker richtig stellt. Mein Wecker klingelt zu früh, um mich aus dem Schlaf zu reißen. Denn nur auf diese Weise kann ich sicherstellen, nicht in meinen Träumen gefangen zu werden.

Ich hasse es zu träumen. Träume zeigen uns das, was wir während des Tages erfolgreich schaffen zu verdrängen. Träume zeigen uns das, was wir uns sehnlichst wünschen und doch nie bekommen. Träume zeigen uns eine Welt, für die es in der Wirklichkeit keinen Platz gibt. Wer nicht träumt, muss am Morgen weniger vergessen.

Deshalb klingelt mein Wecker, bevor ich die Traumphase erreiche. Er klingelt laut und schrill und penetrant und ich liebe ihn dafür. Er schenkt mir jeden Morgen einige Sekunden Chaos, bevor mein Gehirn die Puzzleteile zusammensetzt und mir wieder mit brutaler Logik erklärt, wer ich bin, wo ich bin und warum meine Augen brennen. Ich bin Lis Behrens, liege in meinem Bett und weine mich jeden Abend in den Schlaf.

Der Morgen ist für mich, was Charles Dickens als die schönste und die schlimmste aller Zeiten zugleich beschreibt. Der schönste Moment des Chaos gefolgt von dem schlimmsten Moment des Erinnerns: Dein Dad ist tot. Du wirst ihn nie wieder sehen, nie wieder mit ihm sprechen, ihn nie wieder umarmen, nie wieder sein Lachen hören und nie wieder seine Nähe spüren. Du bist allein.

Dein Dad ist tot. Mit diesem Wissen stehe ich auf, ziehe mich an, gehe ins Bad und gebe meiner Mum einen Guten-Morgen-Kuss. Dein Dad ist tot. Mit diesem Wissen steige ich in den Schulbus, grüße meine Klassenkameraden, lache über ihre belanglosen Witze und fühle mich leer. Dein Dad ist tot. Mit diesem Wissen gehe ich in die Schule, fülle meinen Kopf mit nutzlosen Erkenntnissen über Regionen am anderen Ende der Welt, Personen lange vor meiner Zeit und überholte Denkweisen. Dein Dad ist tot. Mit diesem Wissen schlucke ich mein geschmackloses Mittagessen herunter, male mir ein Lächeln ins Gesicht und kratze mir die Arme unter meinem Pulli blutig. Dein Dad ist tot. Mit diesem Wissen setze ich mir meine Kopfhörer auf und drehe Swiss & die Anderen auf volle Lautstärke, damit zur Abwechslung andere Stimmen in meinem Kopf schreien. Dein Dad ist tot. Mit diesem Wissen kaufe ich ein, führe Unterhaltungen, erledige meine Hausaufgaben, streichle meinen Hund, treffe meine Freunde, frage mich, auf welche Art und Weise ich mich umbringen soll und verhalte mich nach außen hin normal. Dein Dad ist tot. Mit diesem Wissen kämpfe ich mich durch den Tag, jeden Tag aufs Neue. Nachdem mein Wecker am Morgen den neuen Tag einläutet, geschieht immer das Gleiche.

Doch heute geschieht es anders.

»Ist der Platz neben dir noch frei?«

Eine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blicke verwundert auf und frage mich, wer es wagt, mich bei meiner Pro-und-Kontra-Liste zu einem Abgang à la Anna Karenina zu stören.

»Ähm na klar.« Ich ziehe meinen Rucksack von dem Sitz neben mir runter auf den Boden und schaue verwundert in die grün lachenden Augen eines Jungen in meinem Alter. Die Sitzplätze hinter ihm sind frei.

»Ich glaube, wir gehen auf dieselbe Schule: Astrid-Lindgren-Gymnasium? Ich bin in der Achten, ich glaube, du bist einen Jahrgang unter mir, oder?« Er strahlt mich an.

Warum spricht er mit mir? »Ja genau, ich bin in der 7b.« Warum antworte ich ihm?

»Oh je, dann hast du Herrn Ott als Klassenleiter, oder? Eine Freundin von mir ist in der 7a und heilfroh, dass sie ihn nicht hat. Er ist der Schlimmste!« Er verdreht kurz die Augen und schaut mich danach direkt weiter an. Sein Blick wirkt so leicht, so frei. Ich frage mich, wie er wohl die Welt sieht… wie er wohl mich sieht? Ich ziehe meinen Pulli zurecht, streiche mir meine Haare hinters Ohr und versuche, seine ungezwungene Art nachzuahmen. Fake.

»Absolut! Er hat schon zwei Klassen entzogen bekommen, weil sich die Eltern so sehr über ihn beschwert haben. Wir sind die letzte, die ihm noch bleibt, deshalb werden wir ihn wahrscheinlich nie los. Ohne uns hat er keine Daseinsberechtigung mehr als Lehrer, deshalb ist er an uns gefesselt und wir an ihn.«

Ich verziehe den Mund bei dem Gedanken an Herrn Ott. Er ist der lebende Beweis dafür, dass selbst das brillanteste Gehirn kein Ausgleich für fehlende Sozialkompetenzen ist.

»Oh je, das ist hart.« Er schenkt mir einen mitleidigen Blick. »Ich würde gerne Frau Scholl mit dir teilen, damit sie Herrn Ott mit ihrer Lebensfreude Kontra geben kann. Sie ist meine Klassenleiterin und die beste Lehrerin der Schule.«

»Ich nicht«, lache ich. »Niemand kann dem Pessimismus von Herrn Ott auf Dauer standhalten. Sein Menschenhass würde ihre Lebensfreude zerstören.« So viel habe ich noch nie mit einem Fremden im Bus gesprochen.

Der unbekannte Grünäugige lacht ebenfalls. »Stimmt auch wieder. Das will ich Frau Scholl natürlich nicht antun. Na dann, muss ich dich wohl selbst aufheitern. Ich seh dich in der Pause!« Er zwinkert mir zu, greift nach seinem Rucksack und hüpft aus dem Bus.

Ich blicke ihm verwundert hinterher.

Was war das denn? Und was meint er mit in der Pause?

Fast vergesse ich ebenfalls auszusteigen und springe in letzter Sekunde aus dem Bus, bevor dieser zur nächsten Schule weiterfährt. Vielleicht wäre das sogar eine gute Idee – andere Schule, anderer Pausenhof. Doch aus irgendeinem Grund will ich den Jungen mit den grünen Augen wiedersehen. Anna Karenina kann warten.

*

Der Regen peitscht gegen mein Fenster, die Tränen gegen mein Gesicht. Ich sitze unter meinem Schreibtisch, weil ich mich in einem dunklen Loch im Erdboden verkriechen will. Mein Schreibtisch kommt dem am nächsten. Mit meinen Knien an den Ohren und meinem Kopf an die Seitenwand des Tisches gedrückt, passe ich sogar darunter. Ich schreie lautlos in die Leere meines Zimmers, schlinge meine Arme um meine Brust, um mein Herz zusammenzuhalten und kratze die Haut von meinen Beinen ab. Rote Fingernägel graben sich in mein Fleisch auf der Suche nach Schmerzen, die greifbar sind und nicht aus meiner Seele stammen. Bluttropfen sprenkeln meine Haut. Salz tropft aus meinen Augen. Stille zerreißt den Lärm in meinem Kopf.

Mein Handy vibriert.

Ich drehe den Kopf zur Seite und ignoriere es. Mein Dad ist tot. Heute, gestern und morgen. Von ihm kann die Nachricht nicht sein, also wen interessiert‘s.

Ich schließe die Augen und stelle mir vor, die Arme, die mich umgreifen, sind nicht meine. Mein Dad umschlingt mich mit seinen großen Pranken. Stark und mächtig und warm. Eine Umarmung, die mich die Einsamkeit vergessen lässt. Eine Umarmung, die mich beschützt. Eine Umarmung, die mir sagt: Du bist nicht allein, ich bin für dich da. Ich atme seinen Duft ein und lehne mich in seinen Armen zurück. Ich rieche sein altes Parfüm, das er immer auftrug, um den Geruch des Restaurants zu überdecken, in dem er täglich als Küchenchef arbeitete. Doch wenn man genau hinriecht, kann man dennoch seinen Lieblingsleckerbissen an ihm erschnuppern. Ich rieche Drakkar Noir und Pfannkuchen und denke: Du bist hier, du bist bei mir.

Mein Handy vibriert.

Ich öffne die Augen und er ist verschwunden. Genervt greife ich nach meinem Telefon.

Zwei ungelesene Nachrichten. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und öffne sie.

Unbekannt, Montag, 19. Juni 2006, 16:14 Uhr:

Ich hasse Regen. Regen bedeutet Zimmerpause.

Unbekannt, Montag, 19. Juni 2006, 16:16 Uhr:

Drei Wochen hing Pauls Slime bei uns an der Decke, heute ist er mitten während der Schulaufgabe auf Bens Tisch gelandet. Der ist vor Schreck fast vom Stuhl gefallen. Herr Zimmer dachte, er wollte spicken und ihm eine Sechs eintragen, doch dann hat er ihm nur ein neues Blatt gegeben, weil der Slime nicht mehr von seinem abging. Damit wollte ich dich heute in der Pause aufheitern. Schade, dass wir uns nicht gesehen haben. Reservierst du mir trotzdem morgen einen Platz im Bus?

Was zur? Ich starre fassungslos auf mein Handy. Woher hat er meine Nummer? Und noch viel wichtiger: Warum schreibt er mir?

Lis Behrens, Montag, 19. Juni 2006, 16:21 Uhr:

Wer ist da?

Unbekannt, Montag, 19. Juni 2006, 16:22 Uhr:

Autsch, da habe ich wohl keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich habe mich heute im Bus neben dich gesetzt.

Lis Behrens, Montag, 19. Juni 2006, 16:27 Uhr:

Woher hast du meine Nummer?

Unbekannt, Montag, 19. Juni 2006, 16:29 Uhr:

Ich habe den Schulverteiler gehackt und eine Rundmail an alle Mädchen geschrieben. Ich führe dieselbe Unterhaltung gerade mit 300 weiteren Mädchen des Astrid-Lindgren-Gymnasiums und potenziell 20 Jungen mit Unisex-Namen. Wenn du das Mädchen aus dem Bus mit dem Tolstoi-Roman auf dem Schoß bist, dann antworte bitte mit: Anna.

Okay gut, einen Pluspunkt für Kreativität und einen dafür, dass er kein Analphabet ist. Damit ist er den meisten Jungs in meinem Alter bereits zwei Punkte voraus. Eine traurige Welt, in der wir leben. Vielleicht sollte ich nicht zu hart zu ihm sein und mitspielen. Mal sehen, ob er sich durch sein Wissen über Tolstoi einen dritten Punkt verdienen kann – oder durch seine Fähigkeit dazu, einen Sparknotes-Eintrag zu überfliegen.

Lis Behrens, Montag, 19. Juni 2006, 16:34 Uhr:

Alexei?

Unbekannt, Montag, 19. Juni 2006, 16:35 Uhr:

Hi Anna :) Wie war dein Tag heute?

Lis Behrens, Montag, 19. Juni 2006, 16:40 Uhr:

Überraschend ereignisreich. Mein Zug nach Sankt Petersburg wurde gecancelt, die Bauern bei uns im Dorf planen einen Aufstand, meine Schwester soll mit einem Fürsten verheiratet werden und im Bus hat sich ein Junge neben mich gesetzt, der sich später als mein Stalker entpuppte.

Lis Behrens, Montag, 19. Juni 2006, 16:41 Uhr:

Und deiner?

Unbekannt, Montag, 19. Juni 2006, 16:43 Uhr:

Überraschend ereignislos. Ich hab ein Mädchen kennengelernt, das ich unbedingt wiedersehen wollte, doch dann war Zimmerpause. Im Bus nach Hause war sie nicht und nachdem ich die Prinz-Charming-Taktik angewandt habe und alle Mädchen aus dem Schulverteiler auf der Suche nach der Einen befragt habe, nennt sie mich einen Stalker.

Im Bus nach Hause war ich nicht, weil ich Nachmittagsunterricht hatte. Als wäre eine Doppelstunde Französisch nicht schon Grund genug den Kopf gegen die Wand zu schlagen, wird diese auch noch auf den Nachmittag gelegt. So kann man sicherstellen, dass selbst die Streber die Lust am Lernen verlieren. Und so kann man verhindern, dass ein Mädchen mit einem Hang zu russischen Autoren einen Jungen mit wunderschönen grünen Augen auf der Heimfahrt wieder sieht.

Lis Behrens, Montag, 19. Juni 2006, 16:48 Uhr:

Ein wahrer Stalker würde sich davon nicht beirren lassen.

Unbekannt, Montag, 19. Juni 2006, 16:48 Uhr:

Stimmt! Ich seh dich morgen im Bus! :) Bis dann, Anna.

Verrückt, das ist wahrscheinlich die beste Unterhaltung, die ich heute geführt habe. Mit einer Person, die nicht einmal meinen Namen kennt. Vermutlich wird er sich als Psychopath entpuppen, der mich bereits seit Monaten beobachtet, einen kranken Fetisch hat und eine Gefahr für mich und meine Familie darstellt. Vermutlich sollte ich ihm nicht antworten.

Lis Behrens, Montag, 19. Juni 2006, 16:50 Uhr:

Wenn ich nicht davor springe (: Bis dann, Alexei.

*

Ich sitze im Bus mit einem aufgeschlagenen Buch auf meinem Schoß. Seit zehn Minuten starre ich auf die gleiche Seite und habe doch noch kein einziges Wort gelesen. Meine Augen blicken auf die Wörter von Tolstoi, doch ich sehe nur den Jungen mit den grünen Augen. Wo ist er?

Ich zermartere mir das Gehirn darüber, wann er gestern in den Bus eingestiegen ist, doch kann mich einfach nicht erinnern. Ist es diese Haltestelle oder die nächste? Und warum ist mir das so wichtig? Ich werde ihn noch früh genug sehen. Wenn er wirklich kommt. Wenn er nicht seine Meinung geändert hat. Vielleicht nimmt er einen früheren Bus, weil er mich doch nicht wiedersehen will. Oder er steigt hinten ein, um so meinen Sitzplatz zu umgehen.

Ärgerlich blättere ich eine Seite zurück. Falls dem so ist, werde ich es auch überleben. Ich kenne ihn schließlich kaum, wenn ich ihn nie wiedersehe, dann ist das eben so. Ich versuche, mich auf mein Buch zu konzentrieren: »Sie schauderte zusammen, sowohl vor Kälte wie auch infolge der inneren Angst, die sie in der reinen Luft mit neuer Kraft überfiel…«

»Hi Anna. Darf ich mich setzen?« Grün funkelnde Augen lächeln mir entgegen.

»Alexei würde nicht fragen, er würde sich einfach setzen«, erwidere ich, während ich meinen Rucksack vom Sitz neben mir nehme, damit er sich setzen kann.

»Um ehrlich zu sein, mochte ich Alexei nie wirklich. Hi, ich bin Henrik, dein Stalker.« Er streckt mir grinsend eine Hand entgegen.

»Hi, ich bin Lis«, antworte ich und schüttle seine Hand.

»Ich weiß, Hannah hat es mir erzählt. Aus der 7a, von ihr habe ich deine Nummer.«

Hannah. Hannah? Ach ja, Jules Freundin! Wir unternehmen ab und an gemeinsam etwas. Eigentlich ist sie nicht meine Freundin, sondern die von Jule, meiner besten Freundin. Irgendwann haben wir wohl auch Nummern ausgetauscht, nachdem wir uns öfter in der Gruppe getroffen hatten.

»Also doch kein Prinz Charming, der die ganze Schule für mich anschreibt?«, necke ich ihn.

»Nein, aber auch kein Stalker.« Er grinst mich an und wird dann plötzlich ernst: »Aber wenn du nicht willst, dass ich dir schreibe, kannst du die Nummer auch wieder aus meinem Handy löschen.« Er hält mir sein Handy hin und sieht mich fragend an.

›Lis Karenina‹ steht auf seinem Display über meiner Nummer.

Ich nehme sein Handy und ersetze den Namen durch ›Lis Behrens‹.

»Eigentlich mag ich Alexei auch nicht – und Anna noch weniger«, sage ich und gebe ihm sein Handy zurück. Sein nervöses Stirnrunzeln verschwindet und ein entspanntes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Während er sein Handy entgegennimmt, berühren sich unsere Hände und etwas Seltsames passiert: Ich lache. Ich lache, weil ich einfach lachen muss, wenn ich in Henriks grüne Augen blicke. Und da ist sie: Eine Sekunde des Chaos, die mich vergessen lässt, wie einsam ich bin. Eine Sekunde, in der ich unbeschwert glücklich bin. Eine Sekunde. Und dann noch eine.

2

»Warum nennst du eure Geschichte das Ende deiner Einsamkeit?«

Ich verstehe nicht, worauf diese Frage abzielen soll. Ich blicke von meinen blauen Fingernägeln auf und schaue mein Gegenüber fragend an.

»Warum nennst du sie nicht den Beginn deiner Liebesgeschichte?« Darauf zielt sie also ab. Fast wünsche ich mir, ein Schmunzeln hinter ihren schmalen Lippen zu erkennen, ein freudiges Zeichen des Triumphs, mit dieser Frage aufgekommen zu sein. Doch natürlich bleiben ihre Gesichtszüge undeutbar.

Ich versuche, weniger über die Gedankenwelt meines Gegenübers nachzudenken und mehr über meine eigene. Wider Willen. Ich würde jetzt lieber Stühle tauschen. Einer anderen Person dabei zuhören, wie sie die Abgründe ihrer Seele erkundet, als das selbst durchzustehen.

»Ich glaube, weil das damals für mich wichtiger war. Ich war nicht auf der Suche nach einer Liebesgeschichte, ich war nicht auf der Suche nach einem festen Freund. Was ich damals wirklich brauchte, war Jemand, der mir beistand und mich nicht allein ließ.« Ich schluckte. Ich war damals ziemlich am Ende. Fast noch mehr sogar als heute. Vielleicht weniger verrückt, dafür mehr depressiv.

»Warum hast du dich so allein gefühlt?«

Zählt die Antwort ›weil mein Dad gestorben ist‹ denn nicht? Ich versuche es.

Nein, sie zählt nicht. Mein Gegenüber sagt nichts, stellt keine weitere Frage, macht sich keine abschließende Notiz. Sieht mich nur weiter an, mit diesen tiefen trüben Augen. Also gut.

»Mein Dad ist gestorben, als ich neun Jahre alt war. Eigentlich war das Jahre bevor ich Henrik kennenlernte. Eigentlich hätte diese Zeit ausreichen sollen, um seinen Tod etwas zu überwinden, aber mir ging es schlechter denn je. Ich glaube, es lag daran, dass ich mit neun Jahren einfach noch viel zu klein war, um zu begreifen, was passierte. Ich verstand sehr wenig und verdrängte sehr viel.« Bis es später mit meinen Hormonen wieder nach draußen gespült wurde und hier im Chaos meiner Teenie-Emotionen fruchtbaren Boden fand. Ich schüttle betrübt den Kopf.

Mein Gegenüber verlangte schweigend nach einer Fortsetzung der Geschichte. ›Aber was war mit deiner Mutter?‹, lese ich in ihren Augen.

»Natürlich versuchte meine Mum, für mich da zu sein. Doch als Kind war ich zu sehr ein Daddy’s Girl und als Teenager zu sehr ein Teenager.« Ich verdrehe die Augen bei dem Gedanken an mein überemotionales Vergangenheits-Ich. »Ich war ein klassischer Pubertierender, der glaubte, seine Eltern können ihn unmöglich verstehen. Heute weiß ich, dass mich wahrscheinlich niemand je so gut verstehen kann, wie meine Mum. Doch damals war meine Mum meineMutter, mein Bruder bereits früh ausgezogen, meine Freunde Teil ihrer eigenen Vorzeigefamilien und ich Dauergast in meiner Festung der Einsamkeit.«

»Und dann kam Henrik.« Eine Frage und Feststellung zugleich.

»Und dann kam Henrik«, bestätige ich. Bei dem Gedanken daran wird mir warm und kalt zugleich. Kleine Härchen auf meinen Armen stellen sich auf, Salzwasser benetzt meine Augen und Finger verschließen sich ineinander.

Denn dann kam Henrik und meine Liebesgeschichte begann.

(K)eine Liebesgeschichte

»Was machst du heute nach der Schule?« Henrik setzt sich wie selbstverständlich auf den Platz neben mir im Bus. Ich ziehe wie selbstverständlich meinen Rucksack beiseite, um ihm Platz zu machen, und grinse ihn an.

›Kopfhörer auf, Buch aufschlagen und dann aufs Handy starren, bis du mir endlich schreibst‹, denke ich. Dann entscheide ich mich für eine ungezwungenere Antwort: »Ach, nichts Besonderes: Hausaufgaben, mit unserem Hund spazieren gehen, vielleicht mich mit Jule treffen.«

»Was hältst du davon, die Hausaufgaben morgen im Bus zu machen, deinen Hund nur in den Garten zu lassen und dich stattdessen mit mir zu treffen? Wir könnten aufs Volksfest gehen?«

›Ja! Ja! Ja! Und eine Millionen Mal Ja!‹, möchte ich in die Welt hinausschreien. Und wenn Kurt Cobain persönlich von den Toten aufersteht, um sich mit mir zu einer Jam-Session zu verabreden, würde ich ihn für das hier versetzen. Das würde bedeuten, die gemeinsame Zeit mit Henrik und mir wäre nicht auf täglich zwanzig Minuten Busfahrt und gegebenenfalls ein kurzes Gespräch auf dem Pausenhof limitiert, sondern wir würden den ganzen Nachmittag miteinander verbringen. Ich schwebe auf Wolke Sieben.

»Klar, klingt gut«, antworte ich lässig und versuche dabei die Euphorie-Explosion in mir zu unterdrücken. Ganz gelingt mir das wohl nicht, denn Henrik lächelt mir verschmitzt zu, bevor er das Thema wechselt und ein unverfänglicheres Gespräch über die Leichtigkeit des Seins beginnt. Oder irgendetwas anderes. Zu meinem Kopf dringt nichts vor, denn meine Gedanken sind bestimmt von: Unser erstes Date! Ich kann es kaum erwarten.

*

Henrik steht an meiner Haltestelle. Henrik steht sonst nie an meiner Haltestelle. Normalerweise steigt er fünf Haltestellen nach mir ein. Ich bin mir dessen sicher, weil ich sie lieber jeden Morgen im Bus mitzähle, als meine Hausaufgaben zu machen.

»Hi«, sagt er und grinst mich an.

»Hi«, sage ich ebenfalls, »was machst du denn hier?«

»Oh, entschuldige, ich dachte wir wären verabredet. Hattest du jemand anderen erwartet?«

»Ja, ich meine nein, ich meine, was machst du denn hier, also genau hier, das ist doch gar nicht deine Bushaltestelle«, stammle ich. Sehr gut, ich habe ganze zehn Sekunden gewartet, bis ich mich blamiert habe. Ab jetzt kann es nur noch bergauf gehen.

»Nein, aber es ist deine«, sagt er und grinst mich dabei immer noch schelmisch an. »Nenn mich einen Chauvinisten, aber ich dachte, es ist so üblich, dass der Mann die Frau zum ersten Date abholt.«

Ich schaue ihn immer noch verwirrt an. Woher weiß er, wo meine Haltestelle ist? Ich bin immer bereits lange vor ihm im Bus, er kann nicht ahnen, wo ich einsteige.

»Deinem Blick nach zu urteilen, hätte ich dich wohl offiziell zu Hause abholen sollen. Ich dachte, die Bushaltestelle wäre unverfänglicher, aber wenn du das volle Programm willst, schieße ich dir später einen Strauß Blumen, kaufe dir ein Lebkuchenherz und halte dir die Bustür auf.« Er ahmt eine knappe Verbeugung nach, deutet hinter mich und sagt: »Nach Ihnen, My Lady.«

Ein Stahlelefant auf Rädern, der sonst so geräuschvoll durch die Straßen trampelte, dass bei uns die Scheiben in den Fenstern klirren, hat es geschafft, sich lautlos an mich heranzuschleichen. Die Türen sind bereits geöffnet und der Busfahrer schaut genervt zu mir herab.

»Rein oder raus?«, blafft er mich an.

Immer rein ins Abenteuer, denke ich, reiche Henrik galant meine Hand und schreite dann lachend die Stufen des Busses empor.

*

Die Luft riecht nach verbranntem Zucker, die Fahrgeschäfte um uns herum leuchten in ihren grellen Farben und man versteht sein eigenes Wort kaum dank der lärmenden Achterbahnschreie, Karusselldurchsagen und Pop-Musik überall um uns herum. Ich finde es wundervoll.

»Was?«, frage ich erneut und blicke fragend zu Henrik auf. Ich weiß genau, was er gesagt hat, aber ich will, dass er sich näher zu mir herunterbeugen muss. Mein Plan geht auf.

»Wo möchtest du als erstes hin?«, fragt er erneut. Direkt in mein Ohr. Er duftet wunderbar.

»Lass uns erst einmal eine Runde laufen«, antworte ich.

»Klar«, erwidert er grinsend, »mal schauen, was es dieses Jahr Neues gibt.«

Natürlich nichts. Es gibt nie etwas Neues. Jährlich wechselt sich die immer gleiche Achterbahn mit der immer gleichen Wildwasserbahn als Hauptattraktion ab. Neue Attraktionen gibt es eigentlich nie, trotzdem läuft man immer zuerst eine Runde, um sich alles anzuschauen. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist Taschengeld begrenzt und es erfordert sorgsame Planung, die diesjährigen Fahrgeschäfte zu evaluieren, das Budget zu planen und anschließend eine mentale Prioritätenliste zu erstellen. Zum anderen ist unser Volksfest so klein, dass man alles ohne Probleme in einer Stunde fahren kann. Wer nicht direkt wieder nach Hause will, muss lernen Zeit zu schinden. Also läuft man seine Runden.

»Was sind deine Top drei Fahrgeschäfte?«, frage ich Henrik, während wir glücklich durch die Menge hyperaktiver Kinder und ihrer verzweifelten Eltern schlendern. Ich liebe Rankings.

»Meine Top drei jetzt und für alle Zeiten? Ohne Kompromisse? Direkt aus dem Stegreif?«, neckt mich dieser.

»Du hast es erfasst. Und obwohl du keine Vorbereitungszeit für diese wichtige Prüfung hattest, werde ich dich auf ewig danach beurteilen.«

»Ganz schön hart. Das zwingt mich fast dazu, zu lügen und auf die allgemein anerkannten Favoriten Breakdance, Auto Scooter und Riesenrad zu setzen.«

Ich schüttle den Kopf. »Geht nicht. Für Ehrlichkeit erhältst du einen Extrapunkt und nur damit kannst du eine Wiederholung beantragen, falls du durchfällst. Die Nachholklausur befasst sich dann mit deinen Top-drei-Volksfestsüßigkeiten.« Schokofrüchte, gebrannte Mandeln und Schlümpfe, denke ich, und versuche, in Henriks Augen keine zwei grünen Trauben mit Schokoladenkern zu sehen. Vielleicht sollte ich diesen Spaziergang zum Süße-Früchtchen-Stand lenken.

»Puh, also um ehrlich zu sein, habe ich glaube ich keinen speziellen Favoriten.«

Oh je. Wenn er jetzt Bierzelt antwortet, wird das ein sehr langer Nachmittag.

Er kratzt sich am Kopf und gesteht mir dann: »Ich bin ein klassischer Achterbahn-Fan. Je höher, schneller und waghalsiger, desto besser. Am besten mit Katapultstart, Loopings und so viel Airtime wie möglich.« Er lächelt mich entschuldigend an. Grundlos.

»Perfekt, ich liebe Achterbahnen!«, stimme ich ihm zu.

»Wirklich?«, fragt er etwas zu verwundert.

»Klar! Ich sehe das genauso wie du, ich liebe Achterbahnen und Freizeitparks!« Henrik blickt mich immer noch verwirrt, aber eindeutig erfreut an. »Aber zu meinen Top drei Fahrgeschäften zählen sie trotzdem nicht«, erwidere ich.

»Ach nein?«, hakt er nach.

»Nein. Meine Top drei sind Kettenkarusselle, Schiffschaukeln und diese Karusselle, die sich ganz schnell im Kreis drehen, von denen niemand den Namen weiß«, lache ich.

»Wieso ausgerechnet die?«, lacht Henrik nun ebenfalls.

»Schiffschaukeln, weil ich früher immer alle beneidet habe, die damit fahren konnten. Bevor ich Reisetabletten entdeckt habe, konnte ich nicht einmal Auto-Scooter fahren, ohne dass mir übel wurde, geschweige denn den Endgegner Schiffschaukel! Und Kettenkarusselle, weil es keinen Moment im Leben gibt, in dem man dem Fliegen näher kommt – vor allem, wenn man die Augen dabei schließt.« Ich breite die Arme wie ein Vogel aus, schließe meine Augen und hüpfe lachend ein paar Schritte voraus.

»Und die namenlosen Kreis-Karusselle?«, fragt Henrik als er mich einholt.

Weil ich die immer mit meinem Dad gefahren bin. Zu zweit in einem Waggon. Er außen und ich innen in seinen großen Armen. Sobald die Fahrt losging, flog der Waggon über die Wellenplattform und die Zentrifugalkraft drückte die Passagiere aneinander. Zugegeben, für den, der außen saß, war es wohl nicht gerade entspannend, wenn der Griff der Waggontür versuchte, sich als kunstvoller blauer Fleck in der Haut zu verewigen. Doch für mich, der innen saß, und mit aller Kraft gegen die Brust meines Dads gedrückt wurde, während seine Arme mich schützend umschlossen, war es wundervoll. Ich liebte diese Momente.

»Ach, ich weiß auch nicht. Irgendwie bin ich sie schon immer gefahren. Ich denke, es hat einfach Tradition.« Ich zucke mit den Schultern und füge dann zwinkernd hinzu: »Außerdem weiß man nie, ob sie am Schluss noch eine Rückwärtsrunde einlegen, man ist dem Schausteller gnadenlos ausgeliefert, das ist mein Adrenalinkick.«

»Na gut, dann los.« Henrik greift meine Hand und zieht mich mit sich.

»Was? Wohin?«, frage ich verdutzt, während ich hinter ihm her stolpere. Meine Hand in seiner. Henrik hält meine Hand.

»Schiffschaukeln gibt es hier leider keine und ganz ehrlich gesagt, habe ich etwas Angst vor Kettenkarussells, aber ich glaube, das ist das namenlose Kreis-Karussell, oder?« Er bleibt stehen und deutet auf das Fahrgeschäft vor uns.

»Du hast Angst vor Kettenkarussells?«, sage ich und versuche dabei meine Gesichtszüge zu beherrschen. Ich will ihn nicht auslachen, aber der Gedanke daran ist so surreal. Meine Lippe zuckt kurz nach oben.

»Etwas.« Er zuckt die Schultern und versucht das Thema zu wechseln.

»Wirklich?«, hake ich nach. Ich kann es noch nicht ruhen lassen. »Mister ›je höher, schneller und waghalsiger desto besser‹?« Das ist mein Comeback für seine Verwirrung darüber, dass ein Mädchen auf gefährliche Achterbahnen steht.

Er stöhnt leicht genervt. »Das ist etwas anderes. Achterbahnen sind mit jeder Kurve anders. Falls es einen Moment gibt, der gefährlich wirkt, ist er in Nullkommanichts vorbei und man muss ihn nicht immer wieder aufs Neue durchleben. In Kettenkarussells ist man in einer andauernden Gefahrenschlaufe gefangen. Ohne wirkliche Sicherung sitzt man in einem Drahtstuhl, der an zwei dünnen Eisenketten baumelt und hat die nächsten fünf Minuten Zeit darüber nachzudenken, wann diese wohl reißen werden.« Er schüttelt sich leicht bei dem Gedanken daran.

Ich kann mein Grinsen nun nicht länger verbergen. Henrik hat tatsächlich Angst vor einer Kinderattraktion. Am liebsten möchte ich ihm die Nase stupsen, so süß wirkt er gerade.

»Du hast wirklich Angst vor Kettenkarussells?«, necke ich ihn stattdessen.

»Ich würde nicht direkt sagen, dass ich Angst vor Kettenkarussells habe«, versucht er eine Blamage abzuwenden. »Ich denke, ich bin einfach noch nicht bereit dazu, zu sterben.« Er zuckt mit den Schultern und schaut dann wieder zu mir. »Ganz besonders heute nicht«, schiebt er nach, während er erneut nach meiner Hand greift. »Sollen wir?« Er nickt fragend in Richtung namenloses Kreis-Karussell.

»Unbedingt«, erwidere ich strahlend.

Wir kämpfen uns durch einen Schwall kleiner Knirpse und ihre elterlichen Geldbeutel, zahlen unsere Tickets und betreten das Karussell. Henrik lässt mich die Farbe des Waggons wählen, also steuere ich zielsicher auf einen grünen zu und nehme darin Platz. Er außen und ich innen.

»Ach Lis?«, fragt er mich zögerlich, kurz bevor die Fahrt losgeht.

»Ja?« Ich blicke verträumt zu ihm auf. Die Luft um uns herum knistert. Das Karussell hat noch nicht damit begonnen, sich im Kreis zu drehen, doch meine Welt tut es bereits. Henrik ist mir so nahe. Fast will ich meinen Kopf auf seine Schulter legen, doch dann kann ich nicht länger in seine grünen Augen sehen. Er wirkt leicht nervös. Was will er mir wohl sagen?

»Dieses Mal hast du doch eine Reisetablette genommen, oder?«

Meine Seifenblase platzt und ich lache auf: »Ja, na klar!«

Er bricht mit seinem Pokerface und lacht ebenfalls.

»Gut«, sagt er. Dann legt er seinen Arm um mich, und die Fahrt beginnt.

*

»Okay, dein diesjähriges Kirmes-Highlight?«, stellt mir Henrik die nächste Frage.

Wir laufen von meiner Bushaltestelle aus nach Hause. Auf Umwegen. Ich will noch nicht, dass dieser Tag endet.

Ich schnuppere gespielt an meinen Plastikrosen und antworte: »Die wunderschönen Blumen, die mir der unbekannte Mann neben dir geschossen hat.«

»Oh ja, er war wirklich hin und weg wegen dir. Etwas frech, einfach einem Mädchen Blumen zu schenken, das eindeutig in Begleitung eines anderen da ist. Aber nun gut, er hat es zumindest versucht.«

»Er hatte Mitleid mit dir!«, kontere ich und boxe ihm leicht gegen die Schulter. »Er war Mitte siebzig und eindeutig nicht interessiert an mir.«

»Mitleid? Warum sollte er denn Mitleid mit mir gehabt haben? Ich war doch der mit dem Mädchen«, grinst er mich an.

»Aus seiner Sicht warst du wohl eher der, der es nicht geschafft hat, seinem Mädchen eine Rose zu schießen«, necke ich ihn weiter.

»Ich sehe das eher so: Ein anderer hat sein Geld an der Schießbude für ein Mädchen verspielt, das dann mit mir nach Hause geht. Wenn hier einer Mitleid haben sollte, dann ich mit ihm.« Er zwinkert mir zu. Dann sagt er lachend: »Mein Highlight war, wie du die Schokobanane seitlich abgeknabbert hast. So habe ich sie noch nie jemand essen sehen.«

»Das ist die einzig richtige Art eine Schokobanane zu essen! Wenn du sie von der Spitze aus abbeißt, hast du den Holzstab im Mund. Rempelt dich in diesem Moment einer von hinten an, durchstichst du dir den Rachen!«, beschwere ich mich kopfschüttelnd, während Henrik noch mehr lacht.

»Und ich dachte, dein Highlight war, als sich der Junge neben dir in der Achterbahn übergeben hat«, ärgere ich ihn deshalb.

»Ich dachte, wir waren uns einig, nicht mehr darüber zu reden«, sagt Henrik ernst und schüttelt sich angeekelt.

»Aber es war rosa! Ich muss darüber reden, ich habe noch nie gesehen, dass sich jemand rosa erbricht!«

»Die Konsequenz eines laissez-fairen Erziehungsstils. Das passiert, wenn du auch nach dem dritten Mal immer noch nicht ›nein‹ sagst, wenn dein Sohn nach Zuckerwatte schreit.« Henrik verzieht immer noch leicht das Gesicht bei dem Gedanken daran.

»Was für eine verrückte Welt, in der wir leben«, beende ich deshalb das Thema.

»Verrückt ist nur, dass du es anscheinend geschafft hast, dich in deiner eigenen Straße zu verlaufen. Diese Bäume haben sich fast schon besser in mein Gedächtnis eingebrannt, als meine rosarote Achterbahnfahrt.« Sein Gesicht ist nun wieder von einem neckischen Grinsen umspielt.

»Oh, stimmt.« Ich bleibe überrascht vor meinem Haus stehen. Nicht überrascht, weil hier mein Haus steht. Selbstverständlich weiß ich, wo ich wohne und habe mich nicht verlaufen. Überrascht, weil es Henrik aufgefallen ist. Ich dachte, ich wäre besonders raffiniert darin gewesen, in verschiedenen Gassen und Abzweigungen um mein Haus herumzuschleichen und so noch mehr Zeit herauszuschinden. Anscheinend nicht.

»Okay, gut, dann danke für den schönen Tag und ähm die Blumen«, versuche ich einen ungezwungenen Scherz zu machen und lache, doch Henrik lacht nicht. Er sagt überhaupt nichts, schaut mich nur an. Sekunden werden zu Stunden und verglühen dann plötzlich in einem flüchtigen Augenblick. Ich fühle mich, als wäre ich wieder zurück an meiner Bushaltestelle und stammle nervös vor mich hin, wohingegen Henrik die Ruhe selbst ist. Die Welt wird unscharf, während ich zu ihm hochblicke und alles hinter ihm in Vergessenheit verschwimmt.

»In Ordnung, gut, dann bis morgen im Bus. Wir sehen uns. Danke nochmals. Und komm gut nach Hause.« Komm gut nach Hause? Ich klatsche mir gedanklich eine Hand ins Gesicht. Was für brillante Worte. Anscheinend hatte ich es mir zur Pflicht gemacht, ein Date, das peinlich begann, auch peinlich zu beenden. Ich fummle am Griff hinter mir, öffne die Gartentür und will gerade durch sie hindurchschreiten, als meine Füße plötzlich die Richtung ändern und rückwärts laufen. Der Grund dafür ist nicht meine mangelnde Koordination, sondern Henriks Hand, die meine umschlossen hält und mich sanft zu sich zurückzieht.

Dieses Mal ist alles still. Keine Achterbahnschreie, keine Karusselldurchsagen, keine Pop-Musik auf voller Lautstärke. Nur wir zwei. Sein Atem, der leise auf meine Haut trifft, mein Herz, das unregelmäßig in meiner Brust pocht. Und dann eine Stimme, die mir sanft ins Ohr flüstert: »Mein Highlight heute war, dass du da warst.«

Danach treffen seine Lippen auf meine und unsere Welt explodiert. Wir sind zurück auf dem Jahrmarkt. Alles um uns herum rauscht, und glitzert und dreht sich im Kreis. Ich schmecke Liebe in meinem Herzen und Schokofrüchte auf meinen Lippen.

Mein erster Kuss mit Henrik.

Mein erster Kuss.

3

»Warum bist du mit Henrik zusammengekommen?«

Interessante Frage. Denn tatsächlich musste ich sie mir noch nie stellen: Von der ersten Sekunde an hatte ich mich in den Jungen mit den grünen Augen verliebt.

»Er war einfach alles, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich es mir wünschte. Er war liebevoll, witzig, schlau, selbstbewusst, gutaussehend, aufregend, … und aus irgendeinem Grund auch noch in mich verliebt.« Ich lache kurz auf bei der Erinnerung an unsere frischverliebten Teenie-Versionen.

»War das denn so ungewöhnlich?«, folgt direkt die zweite Frage.

»Ich weiß es nicht«, überlege ich. »Selbstbewusstsein war damals nicht gerade meine Stärke. Ich war definitiv nicht unbeliebt in meiner Klasse, aber ich glaube, ich hätte mir nie eingestehen können, dass mich manche Jungs gut fanden. Außerdem war ich damals einfach zu sehr in meiner Traurigkeit gefangen. Ich dachte nicht, dass irgendetwas oder irgendjemand das ändern konnte, also warum es versuchen?«

»Aber mit Henrik hast du es versucht.«

»Nun ja, er war wohl einfach zu hartnäckig, würde ich sagen.« Ich grinse bei dem Gedanken daran, wie er sich jeden Morgen erneut auf den Platz neben mir im Bus zwängte, mich absichtlich zufällig im Pausenhof traf und mir nach der Schule dutzende SMS schrieb. »Aus irgendeinem Grund hat er sich für mich interessiert und dann alles daran gesetzt, dass wir zusammenkommen. Nicht, dass er viel Überredungsarbeit hätte leisten müssen. Ich mochte ihn von Anfang an. Ich glaube, das Problem war eher, dass ich Angst davor hatte, mich einem anderen Menschen zu öffnen. Ich hatte zwar auch Angst davor, allein zu sein, aber diese Angst war mir wenigstens vertraut. Sie war bereits seit Jahren mein Weggefährte.«

»Scheint, als hättest du damals vor sehr vielem Angst gehabt.«

»Stimmt. Meine Angst und ich waren uns sehr nahe.«

»Waren?«

»Waren«, gestehe ich zögerlich. »Ich glaube, heute habe ich nur noch Angst davor, keine Angst mehr zu haben – wenn das irgendwie Sinn ergibt. Manche sagen, dass das Einzige, was wir zu fürchten haben, die Angst selbst ist, doch bei mir ist eher das Gegenteil der Fall: Die Angst war so lange mein Schatten, dass es sich seltsam anfühlt, sie nicht mehr tagtäglich um mich zu spüren. Ich glaube, ich fürchte mich davor, keine Angst mehr zu haben.« Ich zupfe nervös an meinen Ärmeln und blicke zur Seite. Fast erwarte ich, dort die Reinkarnation meine Angst sitzen zu sehen. Sie schaut mich mit großen, leeren Augen an und tätschelt mir sanft die Hand, als wolle sie sagen: ›Keine Sorge, ich bin hier. Ich kann so lange hier bleiben, wie du willst.‹

»Warum glaubst du, dass du dich davor fürchtest, keine Angst mehr zu haben? Ist es nicht etwas Gutes, sich von seiner Angst zu befreien?«

Mein Gegenüber schaut mich aufmerksam an. Ich schaue traurig meine Angst an. Meine Angst schaut panisch den Ehering an ihrem Finger an. Sie dreht ihn nervös, umschlingt ihn fest mit ihrer rechten Hand und drückt ihn sich an die Brust. Mit großen, flehenden Augen schaut sie zu mir hoch.

»Ich weiß nicht, warum ich mit Henrik zusammengekommen bin«, rekapituliere ich, während ich meine Angst betrachte, »aber ich weiß, warum ich mit ihm zusammengeblieben bin.« Dann schaue ich mein Gegenüber an und gestehe es ihr: »Weil es meine größte Angst war, dass er mich irgendwann verlässt und ich wieder allein bin.«

Gemeinsam allein

Schmerzen sind etwas Seltsames. Manchmal sind sie laut und grell und nah. Sie schreien uns an, springen unserem Gegenüber ins Gesicht und drängen sich in den Vordergrund. Sie zerfressen unsere Mimik, zerbeißen unsere Haut und zerreißen unsere Distanz. Ein Blick auf unsere klaffende Wunde reicht, um zu sehen, welche Schmerzen wir erdulden.

Doch manchmal sind Schmerzen auch ganz leise. Tief versunken in unserer Seele, lauern sie unter der Oberfläche und werden stückweise mit der Flut ans Ufer getrieben. Nur bei Ebbe wird sichtbar, wie zerfurcht der Meeresboden wirklich ist. Doch sobald die nächste Welle kommt, begräbt sie diesen wieder unter sich und spült die Erinnerungen an das Gesehene davon. Das Meer selbst weiß, wie krank es ist, doch die Urlauber sehen nur gelegentlich eine Plastikflasche, die einsam an den Strand gespült wird.

Heute ist bei mir Vollmond. Die Flut ist besonders stark und schwemmt längst vergessene Schiffstrümmer an den Strand.

Hier ist das Steuerrad, mit dem mein Dad uns zielsicher jeden Samstagmorgen zu den besten Flohmarktschätzen dirigierte. Für mich gab es eine Pumuckl-Kassette, für meinen Bruder ein Super-Mario-Spiel, für ihn selbst eine Elvis-Schallplatte. Ich saß immer vorne im Auto, sang im Radio mit und quasselte aufgeregt vor mich hin. Mein Bruder döste auf der Rückbank und verfluchte seinen Papa-Wecker, der ihm um fünf Uhr früh die Decke fortzog und zum Trödelmarkt schleppte.

Hier ist das Segel, mit dem uns mein Dad immer an einen sicheren Hafen brachte. Wenn ich Angst davor hatte, im Schwimmbad ins Wasser zu springen, ließ er mich langsam an meinen Armen hinab. Wenn ich meinen Teddybär bei Freunden vergaß, fuhr er kommentarlos die fünfzig Kilometer zurück, um ihn mir zu holen. Wenn ich am Abend auf dem Sofa einschlief, trug er mich in mein Zimmer, damit ich am nächsten Morgen in meinem Bett aufwachen konnte.

Und hier ist das Ruder, das uns mit kräftigen Zügen immer zu meinem Dad brachte. Bei Sonnenschein paddelten wir gemütlich damit in die Küche, wo er einen Berg an Pfannkuchen für uns briet, der selbst Petzi neidisch machte. Bei Gewitter ruderten wir damit zu seiner neuen Wohnung, nachdem er aus unserem Zuhause ausgezogen war. Und im Sturm kämpften wir uns damit zu ihm ins Krankenhaus, als er mit Schläuchen an ein weißes Bett gefesselt war. Bis das Ruder zerbrach.

Ich halte seine Trümmer in meinen Händen und weiß, dass sie mich nicht mehr von meiner einsamen Insel forttragen können. Ihre Spreißel stechen in meine Haut und treiben mir Tränen in die Augen. Mit jeder Träne wird eine Erinnerung aus mir herausgespült, die heiß über meine Wange läuft und dann auf meinem Kissen erlischt. Fort ist sie. Und ich bin noch ein Stückchen mehr allein.

Es klingelt an der Tür.

Verdammt.

Ich schließe die Augen, halte die Luft an und zähle bis drei. Dann atme ich ein, wische meine Tränen fort und krabble unter meinem Tisch hervor. Ich gehe zum Spiegel und betrachte mein Gesicht. Keine sichtbare Veränderung. Das ist wohl das Gute daran, von Natur aus ein trauriges Gesicht zu haben – es sieht vor und nach dem Weinen gleich aus. Ich löse meinen etwas zerzausten Zopf, fahre mir mit den Fingern durchs Haar und öffne dann die Tür.

»Stör ich?«, fragt eine zerknirschte Stimme auf der anderen Seite.

»Niemals«, antworte ich und gebe Henrik einen Kuss.

Ein freudloses Lächeln huscht kurz über sein Gesicht und ist dann wieder verschwunden. Seine Wangen sind rot, seine Augen noch mehr. Seltsam, fast sieht es so aus, als wäre er derjenige von uns beiden, der gerade geheult hat.

»Alles in Ordnung?«, frage ich besorgt.

Er läuft an mir vorbei in mein Zimmer und lässt sich auf mein Bett fallen. Ich folge ihm und schließe die Tür. Es ist niemand außer uns hier, aber es fühlt sich nach einem Moment an, in dem geschlossene Türen Sicherheit bieten.

Henrik liegt auf dem Rücken, hält sein Gesicht in den Händen und atmet schwer.

»Ich hasse meinen Vater«, presst er hervor.

Ich setze mich neben ihn und lege meine Hand auf seinen Arm.

»Was hat er getan?«, frage ich.

›Was hat er nun wieder getan?‹, müsste ich eigentlich fragen, denn es ist nichts Neues, dass zwischen ihm und Henrik die Fronten aufeinandertreffen. Nicht verwunderlich, wenn auf der einen Seite eine cholerische Autoritätsperson steht, die mit strenger Hand dirigiert und keine Kompromisse eingeht und auf der anderen Seite ein heranwachsender Teenager ist, der gerade seinen eigenen Willen entdeckt und mit der Sturm-und-Drang-Phase sympathisiert.

»Er hat mir eben erklärt, dass ich die ganze Woche nach der Schule zu arbeiten habe. Es gab wohl einen Großauftrag, den er nicht allein stemmen kann, deshalb muss ich herhalten«, erklärt er genervt.

»Nun ja, wenn er es nicht allein schafft, ist es doch in Ordnung, dass er dich fragt. Außerdem kannst du dir dadurch etwas dazuverdienen«, versuche ich zu vermitteln, doch Henrik unterbricht mich sofort.

»Aber er hat mich nicht gefragt! Das ist es ja gerade: Er fragt mich nie! Er kommandiert. Er erteilt Befehle. Alles hat nach seiner Pfeife zu tanzen. Er weiß bereits seit Wochen von diesem Auftrag, aber er hielt es nicht für nötig, mir vorher Bescheid zu geben oder es mit mir abzusprechen. Denn es steht außer Frage, dass ich keine Zeit haben könnte. Was er sagt, geht immer vor. Es ist ihm egal, dass ich nächste Woche eine Mathe-Klausur schreibe, es ist ihm egal, dass ich morgen einen Werkstatttermin mit meinem Roller habe. Es ist ihm egal, dass verdammt noch mal Sommer ist und ich vielleicht auch einmal einen Nachmittag mit meinen Freunden am See verbringen will!« Er schüttelt meine Hand ab, springt auf und läuft aufgebracht im Zimmer hin und her. Seine Hände fahren ihm abwechselnd durchs Haar und ballen sich dann wieder zu Fäusten. Ein ungewöhnlicher Anblick. Henrik ist der wahrscheinlich ausgeglichenste Mensch, der mir je begegnet ist. Die Momente, in denen ich ihn bisher wütend gesehen habe, kann ich an einer Hand abzählen.

»Du hast noch nie für eine Mathe-Klausur lernen müssen, deinen Roller kannst du bestimmt trotzdem in die Werkstatt fahren und für diese Woche ist Regen gemeldet«, versuche ich erneut die Situation zu schlichten. »Lass uns nächste Woche zum See gehen, da soll das Wetter viel besser sein.« Ich will wieder seine Hand nehmen, doch er zieht sie fort und schaut zur Seite.

Dann sagt er leise: »Es ist ihm auch egal, dass am Donnerstag die Lesung ist.«

Nein. Plötzlich fügt sich das letzte Puzzleteil ins Bild und ich verstehe, warum Henrik so aufgebracht ist. Sofort bin ich Feuer und Flamme.

»Aber das kann er nicht machen, wir haben das schon vor Wochen ausgemacht!«

»Das interessiert ihn nicht.«

»Aber hast du ihm nicht gesagt, dass wir Pläne haben? Wir haben doch die Karten bereits gekauft!«

»Natürlich habe ich ihm das gesagt, aber andere Pläne als seine zählen nicht.«

»Aber es ist ja nichts, was wir uns spontan ausgedacht haben. Es ist etwas Offizielles. Es ist nichts, was wir verschieben können!«

»Ich weiß das, aber er versteht es nicht. Für ihn ist alles, was nichts mit seinem Geschäft zu tun hat, unwichtig.«

»Aber du hast ihn doch gefragt, bevor wir Plätze reserviert haben? Wir können die Karten doch nicht zurückgeben!«

»Natürlich habe ich das, Lis!« Jetzt ist Henrik wieder lauter, was mich wieder leiser werden lässt. Ich will ihn nicht angreifen, ich bin nur ebenfalls wütend. Auf seinen Vater, niemals auf Henrik.

»Ich habe ihn gefragt, bevor wir die Tickets gekauft haben und ihn mehrmals daran erinnert, dass ich an diesem Tag frei haben muss, aber es ist ihm egal! Für ihn kommt die Arbeit immer vor dem Vergnügen und so lange ich unter seinem Dach wohne, zählt das auch für mich!« Die Worte seines Vaters in Henriks Mund. Ich sehe, wie ein Kampf der Gefühle in ihm tobt: Hass, Wut, Selbstzweifel, Angst, Rebellion und Schuld. Zumindest von einem kann ich ihn befreien. Ich schlucke meinen eigenen Ärger herunter und versuche mich in Vergebung.

»Es ist in Ordnung. Ich kann auch meine Mum mitnehmen. Du interessierst dich doch eigentlich sowieso nicht besonders für seine Bücher und wärst nur für mich mitgekommen. Du verpasst also nichts und ich kann trotzdem hingehen. Meine Mum kauft dir das Ticket ab und niemand verliert etwas.«

»Es ist nicht in Ordnung! Ich kenne die Bücher nicht, aber ich will sie kennenlernen. Du sprichst seit Wochen von nichts anderem und ich will für dich dorthin gehen! Ich will, dass wir das gemeinsam erleben.« Zärtlich sieht er mir in die Augen und mein Zorn ist vergessen. Meine Wut wird von der Liebe in ihre Schranken verwiesen und plötzlich ist es nebensächlich, dass wir nicht gemeinsam zur Lesung gehen werden, weil ich spüre, dass wir gemeinsam durchs Leben gehen werden. Alles ist nebensächlich, solange Henrik hier ist. Es ist seltsam, so viel Liebe für einen Menschen zu verspüren und sie diesem nicht zeigen zu können. Denn während meine Wut komplett erlischt, brennt sie doch noch lichterloh in Henrik.

»Es ist in Ordnung, du kannst zur nächsten mitkommen«, versuche ich es erneut und ergänze dann theatralisch: »Außerdem werde ich dir danach alles davon berichten, Stunden über Stunden, bis ins kleinste Detail. Du wirst gar nicht merken, dass du selbst nicht dabei gewesen bist.« Ich grinse ihn an, doch er sieht es nicht. Ich glaube nicht, dass er meine Worte über die Schreie in seinem Kopf hinweg gehört hat.

»Es geht ums Prinzip!«, bricht es wieder aus ihm heraus. »Alles, was ihn nicht selbst betrifft, ist ihm egal. Was ich denke, interessiert ihn nicht. Was ich sage, interessiert ihn nicht. Ich interessiere ihn nicht! Er ist kein Vater, sondern ein Diktator, der keine Meinung neben seiner eigenen duldet. Für ihn bin ich nicht sein Sohn, sondern eine billige Arbeitskraft. Weißt du, wann er mich das letzte Mal gefragt hat, wie es mir geht? Noch nie! Weißt du, wann er mich das letzte Mal in den Arm genommen hat? Ich nicht. Weißt du, wann er mir das letzte Mal irgendeine Frage über mein Leben gestellt hat? Ich kann mich nicht erinnern. Für ihn zählt nur, dass ich folgsam bin, ihn respektiere und tue, was er sagt. Ich hasse ihn! Ich hasse es zu Hause! Manchmal wünschte ich mir, er wäre tot!«

Sterne explodieren in meinem Kopf.

Alles wird unscharf und leise und fern. Die Welt dehnt sich aus wie ein Gummiband und zieht alles von mir fort. Henrik, mein Bett, mein Zimmer – alles verschwindet meilenweit in der Ferne. Ich höre, dass Henrik irgendetwas ruft, doch ich kann ihn nicht mehr verstehen. Seine Hand streckt sich nach mir aus, doch kann mich nicht mehr greifen. Er ist zu weit weg. Dann schnalzt das Gummiband plötzlich zurück und klatscht mir mit voller Kraft ins Gesicht.

»Lis! Es tut mir leid, ich hätte das nicht sagen sollen! Ich habe es nicht so gemeint, Lis. Es tut mir leid! Hörst du mich, Lis?«

Zu laut. Es ist alles viel zu laut. So laut und so grell und so nah. Henriks Stimme, die in meinen Ohren schrillt, seine Hände, die mich schütteln, meine Gedanken, die gegen meinen Schädel hämmern. Tot. Tot. Tot.

Ich muss hier raus. Muss weg, von dem Menschen, der sich wünscht, dass sein Vater tot ist, während es meiner wirklich ist. Nichts wird ihn wieder zurückbringen, egal wie sehr ich es mir wünsche. Tot. Tot. Tot. Mein Dad ist tot und Henriks Vater ist es nicht. Niemand bekommt das, was er sich wünscht. Tot. Tot. Tot. Mein Dad ist fort und ich kann nicht zu ihm, doch hier bleiben kann ich auch nicht, also renne ich. Renne aus dem Haus, renne die Straße entlang und renne über die Felder weiter fort. Renne, bis ich nicht mehr rennen kann und falle dann vor mir ins Gras.

*

Ich liege im Gras und kann mich nicht bewegen. Meine Finger sind gespreizt, meine Hände verkrampft, meine Augen weit aufgerissen, jeder Muskel angespannt. Doch ich bin machtlos auch nur einen einzigen davon zu benutzen.

Die Welt steht auf dem Kopf. Ich sehe Grashalme vor mir, die versuchen, mir die Tränen aus dem Gesicht zu streichen. Der Wind bläst sie sanft hin und her. Die Sonne lässt das Tau auf ihnen glitzern. Rotze und Wasser gerinnen auf meinen Lippen. Alles schmerzt. Alles ist ruhig. Alles ist bewegungslos. Ich versuche den Kopf zu drehen, zu blinzeln oder wenigstens zu atmen, doch ich kann es nicht. Nichts bewegt sich außer meinen Augen, die panisch in ihren Höhlen zucken. Ich bin gefangen in meinem reglosen Körper. Wie eine ausrangierte Schaufensterpuppe liege ich im Nirgendwo, der Welt hilflos ausgeliefert.

Keine Luft. Ich kriege keine Luft. Ich will atmen, doch ich kann nichts bewegen, nicht einmal meine Lunge. Als wäre da plötzlich eine Barriere zwischen meinem Gehirn und dem zentralen Nervensystem. Ich schreie innerlich so laut ich kann ›Atme!‹, doch mein Körper versteht mich nicht. Nichts bewegt sich. Das Echo meiner Schreie verhallt langsam in meinem leeren Schädel.

Tränen füllen meine Augen.

Luft, ich brauche Luft. Die Panik in mir wächst. Mein Herz schlägt schneller. Mein Herz – der einzige Muskel, der noch in meinem Körper zuckt, nicht getrieben von kognitiven Befehlen, sondern von purem Überlebensinstinkt. Meine Lunge will auch überleben, doch ihr fehlt die Kraft. Keine Luft. Schwarze Schatten werden am Rande meines Sichtfeldes ins Leben gerufen und kreisen mich ein. Sie rücken näher, immer näher. Die Welt wird langsam schwarz. Luft.

Mein kleiner Finger zuckt, die Barriere ist durchbrochen. Befehle strömen durch meinen Körper, Luft durch meine Lunge. Ich atme ein. Ziehe panisch den Sauerstoff so tief es geht in mich hinein. Stoße ihn aus, damit ich noch mehr in mich aufnehmen kann. Luft. Luft. Luft. Ich will mehr! Ich atme, atme, atme schneller. Kann nicht aufhören. Ich muss atmen. Zu schnell. Ich kann den Sauerstoff so schnell nicht aufnehmen, doch ich muss atmen.

Alles, was zuvor still, ruhig und langsam war, ist nun laut, schnell und intensiv. Ich sitze im Gras und mein ganzer Körper bebt. Ich versuche, mich mit meinen Händen irgendwo festzuhalten, doch finde nichts, was mir Halt gibt, deshalb reiße ich wild das Gras um mich herum aus. Ich zittere am ganzen Körper. Tränen fließen aus den Augen, Speichel aus meinem Mund. Ich kann es nicht stoppen. Ich kann nur atmen. Schneller und schneller. Meinen Händen ist das Gras nicht mehr genug, sie verlangen nach mehr. Sie wollen sich bewegen, weglaufen, fliehen, sich vergraben in der Erde unter mir. Stattdessen graben sie sich in meine Haut. Schneller und schneller. Sie wollen Blut sehen. Ich will nichts sehen. Ich will nur, dass das alles vorbei ist. Will nicht mehr von der Panik überrannt werden, will nicht mehr im Schmerz versinken, will mich nicht mehr so fühlen.

Die Hysterie endet und ich falle erschöpft zurück ins Gras. Mein Atem geht flach. Meine Hände zittern neben mir. Gebrochene Nägel. Leise versickern meine Tränen im Gras. Die Welt ist wieder normal, doch ich bin es nicht.

Ich rolle mich zusammen und umschließe meine Beine mit meinen Armen. Ich bin so erschöpft. Ich will nur noch schlafen, hier und jetzt. Die Welt vergessen und ins Träumen abschweifen. Doch meine Augen weinen immer noch. Sie weinen, um den Menschen, den sie einst jeden Tag sahen und der dann verschwand. Sie weinen, um die Erinnerungen an diesen, die einst so klar und greifbar waren und nun immer mehr verblassen. Sie weinen, um eine Liebe, die sie einst kannten, doch jetzt nur noch in fremden Augen finden. Sie weinen, um Farben, wo sie jetzt nur noch Dunkelheit sehen.

Ein Körper fällt neben mich ins Gras. Zwei Arme umschlingen mich von hinten. Ein Kopf küsst meinen.

»Lis?«, haucht Henriks Stimme mir ins Ohr. »Ich bin da. Ich liebe dich. Es tut mir so leid.«

›Nein, mir tut es leid‹, denke ich. Tut es leid, dass du all das mit mir durchmachen musst. Tut es leid, dass du mit so einer kaputten Freundin zusammen bist. Tut es leid, dass du nichts von alledem wusstest, als du dich damals zu dem fremden Mädchen mit dem Tolstoi-Roman auf dem Schoß gesetzt hast.

Ich streiche mir die Tränen fort, drehe mich zu ihm um und nehme ihn in den Arm.

»Es tut mir so leid. Entschuldigung. Ich liebe dich auch. Es tut mir so leid.«

Er gibt mir noch einen Kuss und hält mich fest. Gibt mir Halt in einer Welt, in der ich ohne ihn viel zu oft falle. Hält mich im Leben. Hält mich in der Liebe. Was würde ich nur ohne ihn tun?

*

»Willkommen im Wochenende!«, begrüße ich Henrik, der vor dem Schulgebäude auf mich wartet, an unserem ersten freien Wochenende seit langem. Ich werfe mich ihm in die Arme und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Er wirbelt mich einmal herum und gibt mir einen richtigen Kuss. Ich fliege weiter, selbst als meine Füße wieder den Boden berühren.

»Das war alles, an das ich die letzten zwei Mathestunden denken konnte.« Grüne Augen strahlen mich an.

»Wochenende oder mich?« Braune Augen strahlen zurück.

»Wochenende natürlich!« Henrik lacht, legt seinen Arm um mich und schlendert mit mir zur Bushaltestelle. Dabei wirft er mir einen neckischen Blick zu und ergänzt liebevoll: »Und daran, es mit dir zu verbringen.«

»Das wird Herrn Stein aber nicht sehr gefallen haben«, ziehe ich ihn auf.

»Ich weiß, er wird so schnell eifersüchtig«, jammert dieser. »Immer will er, dass sich alles nur um ihn dreht. Jedes Wort soll man ihm von den Lippen ablesen, keine Sekunde darf man auf sein Handy schauen, ständig muss man Fragen beantworten, deren Antworten er bereits kennt. Nur, um ihm zu zeigen, wie begeistert man von ihm und seinem Unterricht ist. Dabei ist Mathe nun wirklich nicht das interessanteste Fach.«

»Das meinst du nicht ernst!«, platzt es aus mir heraus.

»Stimmt«, seufzt er, »Mathe IST das interessanteste Fach.«

Jetzt seufze ich. Warum musste ich mich nur in so einen Streber verlieben?

»Bücher sind interessant«, erkläre ich es ihm noch einmal langsam, damit er mitkommt, »Zahlen sind es nicht.«

»Bücher-Nerd«, sagt er zu mir und stupst mir auf die Nase.

»Mathe-Geek«, erwidere ich und steige in den Bus.

Henrik folgt mir ins Gedränge. Da, wie immer auf der Heimfahrt, keine Sitzplätze frei sind, müssen wir stehen. Ich greife nach dem wild baumelnden Haltegriff, an dem auch ich bald wild baumeln werde. Henrik greift stattdessen nach der festen Eisenstange darüber, legt seinen anderen Arm um meine Hüfte und zieht mich zu sich. Ich lasse meinen nutzlosen Haltegriff los und vertraue lieber auf Henrik.

»Also, was hast du für das Wochenende geplant?«, frage ich ihn.

»Meine Eltern grillen heute Abend – es gibt Nudelsalat.« Yes, Nudelsalat! Ich liebe Nudelsalat! Henrik zwinkert mir kurz zu und fährt dann fort: »Danach kommen Sebbo, Tim, Katarina, Anja, Rick, Thomas und vielleicht Lasse zu mir.«

»Kellerparty?«, frage ich skeptisch.

»Gartenparty«, erklärt Henrik.

Ein Hoch auf den Sommer, ich habe ihn sehnsüchtig erwartet. Die Tage werden langsam wieder länger und die Nächte immer wärmer. Endlich können wir die Abende erneut draußen im Garten verbringen und müssen nicht mehr in den Keller fliehen. Für mich ein absolutes Highlight, denn ich hasse Henriks Keller. Als einziger Nichtraucher unserer Gruppe stehe ich mit dieser Meinung allerdings allein dar. Alle anderen finden es super, dass Henriks Eltern uns erlauben, im schalldichten Keller abzuhängen, auf den Sofas zu chillen und bis spät in die Nacht hinein die Musik aufzudrehen. Super ist das auch tatsächlich, wenn man bereits eine Teerlunge hat oder zumindest keine Aversion dagegen. Denn Henriks Kettenraucher-Eltern sind wohl der Meinung ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn sie ihrem fast volljährigen Sohn selbiges verbieten. Deshalb wird im Party-Keller geraucht. Viel geraucht. Von Henrik zwar nur Wasserpfeife, doch von den anderen auch Zigaretten. Je länger die Feiern gehen, desto dicker wird die Luft und desto roter sind meine Augen am nächsten Morgen. Ohne selbst an einer Zigarette ziehen zu müssen, fühle ich mich danach als hätte mir ein Kohleofen in die Lunge gehustet: Meine Augen brennen, mein Kopf schmerzt und mir ist stundenlang schwindlig. Für mich ist ein Zigaretten-Kater schlimmer als ein Alkohol-Hangover.

Gartenparty klingt deshalb wie Musik in meinen Ohren. Selbst mit Katarina.

»Klingt gut«, erkläre ich.

Henrik nickt. »Und danach, dachte ich, könnten wir am Wochenende etwas Zeit zu zweit verbringen. Vielleicht eine Fahrradtour machen? Oder schwimmen gehen? Oder ins Kino?«

Ich nicke. »Klingt noch besser.«

*

Lis Behrens, Samstag, 15. Mai 2009, 0:10 Uhr:

Gut daheim angekommen. Schönen Abend dir noch!

Henrik Tiedemann, Samstag, 15. Mai 2009, 0:15 Uhr:

Danke! Schlaf gut und träum von mir :)

Lis Behrens, Samstag, 15. Mai 2009, 12:30 Uhr:

Hey, na, hast du gut geschlafen? Habt ihr noch lange gemacht gestern?

Lis Behrens, Samstag, 15. Mai 2009, 14:30 Uhr:

Okay, scheint so, wenn du immer noch schläfst ^^ Wir können auch gerne heute Abend einfach zusammen chillen und erst morgen etwas unternehmen.

Lis Behrens, Samstag, 15. Mai 2009, 20:40 Uhr:

Oder nicht. Hoffe es geht dir gut. Muss ich mir Sorgen machen? Schreib mir doch mal, wenn du das liest.

Lis Behrens, Sonntag, 16. Mai 2009, 09:35 Uhr:

Lebst du noch Henrik?

Lis Behrens, Sonntag, 16. Mai 2009, 17:16 Uhr:

Dann sehen wir uns das Wochenende wohl nicht mehr...?

Henrik Tiedemann, Sonntag, 16. Mai 2009, 17:35 Uhr:

Oh shit, mein Handy war tot. Hab’s jetzt erst geladen und deine Nachrichten gelesen. Bin schon auf dem Weg zu dir, wir sehen uns gleich! :)

Zehn Minuten später klingelt es an der Tür. Ich öffne sie und Henrik rauscht herein.

»Hey, Lis«, begrüßt er mich etwas zu bemüht fröhlich und wirft mir einen Kuss auf die Lippen.

»Sorry, mein Akku ist irgendwann leer gegangen und ich habe komplett vergessen, ihn wieder aufzuladen, deshalb habe ich deine Nachrichten erst jetzt gesehen. Hattest du ein schönes Wochenende?« Er spaziert an mir vorbei in mein Zimmer.

Mein linkes Auge zuckt. Ich mache die Haustür zu und folge ihm.

»Ist das dein Ernst?«, blaffe ich ihn an, sobald wir in meinem Zimmer sind. »Du hast dich das ganze Wochenende über nicht gemeldet! Wir waren verabredet! Ich wusste die letzten zwei Tage nicht, ob ich mir Sorgen machen muss oder auf dich wütend sein soll!«

»Anscheinend hast du dich jetzt entschieden«, antwortet Henrik zerknirscht.

»Und ob! Nachdem Tim heute ein Video von euch gepostet hat, wie ihr alle verstrahlt auf seiner Terrasse sitzt und Pizza mampft, habe ich mich entschieden!«, stimme ich ihm zu.

»Aber wenn du Tims Video gesehen hast, wusstest du doch, wo wir waren! Dann hättest du doch auch dazukommen können.«

»Aber ich wollte mit dir Zeit verbringen und nicht wieder mit der ganzen Truppe!«, versuche ich es ihm zu erklären. »Freitagabend haben wir doch schon alle zusammen verbracht. Ich muss daraus nicht jedes Mal ein Wochenendevent machen.« So wie du.

»Ach Freitag bist du doch schon wieder vor Mitternacht nach Hause gegangen. So viel Zeit hast du nun auch nicht mit den anderen verbracht«, entgegnet Henrik.

»Ich bin nur so früh gegangen, weil ihr wieder in eure Temazcal-Höhle gegangen seid, um euch gegenseitig Rauch ins Gesicht zu blasen!« Obwohl du versprochen hast, dass wir dieses Mal im Garten bleiben.

»Wir sind nur nach drinnen gewechselt, weil es draußen zu kalt wurde! Es ist doch nicht meine Schuld, dass es Mitte Mai noch nicht warm genug ist, um die ganze Nacht im Garten zu bleiben«, rechtfertigt Henrik sich.

»Ach, von wegen kalt«, wehre ich ab, »Sebbo, Rick und Thomas hatten sich doch schon längst warmgetrunken. Ihr wart einfach nur zu faul, die Wasserpfeife aus dem Keller hoch zu holen.«

Henrik seufzt. »Hör zu, Lis, ich bin nicht hierhergekommen, um zu streiten. Ich bin hierhergekommen, um die gemeinsame Zeit mit dir nachzuholen, die ich dir für dieses Wochenende versprochen habe.«

Und dich zu entschuldigen?