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Band 2 von 2 "Das Erbe des dritten Buchstabens" BEFREIUNG Jan Orsens neue Bekanntschaft, Clara Borel, überlässt nichts dem Zufall. Mit Hilfe ihres Schulfreundes, Jon Foges, einer der besten Privatdetektive, hofft sie Jan Orsens mysteriöses Verschwinden zu klären. Joschi sowie sein Freund Koni mit Sohn Michel entschliessen sich, C zu suchen, um ihn vor den ungeahnten Gefahren zu bewahren. Wird C die übereilte Suche nach seiner Familie mit dem Tod bezahlen? Ist die Bruderschaft so mächtig, dass sie das Auffinden von C weiterhin verhindern kann? Sind die neu gewonnenen Liebesbeziehungen so konstant, dass sie den holprigen Pfad zusammen überwinden?
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Seitenzahl: 557
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Ich widme dieses Buch meinem Lieblingsmenschen und Ehefrau Gisela. Für die Kraft und Zeit, die sie mir schenkte, um mich dem Buchprojekt hinzugeben.
Die Stunden, die sie opferte, für das Installieren und Einrichten des Schreibprogrammes sowie der Textverarbeitung. Das gelungene, selbstkreierte Cover Design und zuletzt die Veröffentlichung meiner Bücher. Wir sind wie immer ein gutes Team.
Buchbeschreibung:
Band 2 von 2 „Das Erbe des dritten Buchstabens“ BEFREIUNG
Jan Orsens neue Bekanntschaft, Clara Borel, überlässt nichts dem Zufall. Mit Hilfe ihres Schulfreundes, Jon Foges, einer der besten Privatdetektive, hofft sie Jan Orsens mysteriöses Verschwinden zu klären. Joschi sowie sein Freund Koni mit Sohn Michel entschliessen sich, C zu suchen, um ihn vor den ungeahnten Gefahren zu bewahren. Wird C die übereilte Suche nach seiner Familie mit dem Tod bezahlen?
Ist die Bruderschaft so mächtig, dass sie das Auffinden von C weiterhin verhindern kann? Sind die neu gewonnenen Liebesbeziehungen so konstant, dass sie den holprigen Pfad zusammen überwinden?
Über den Autor:
Franco Vitalini lebt mit seiner Frau in einem idyllischen Dorf in der Schweiz. Die erwachsenen Kinder sind längst ausgeflogen. Seine erst klein geplante Geschichte verzweigte sich immer mehr, sodass eine Leidenschaft für das Schreiben und daraus ein zweiteiliger Roman entstand.
Verschleppung ins Verlies im September 1969
Die Suche nach C
Fundsachen
Anna und Tom
Das Versprechen
Die Entscheidung
Brief von C
Georgs Geschichte
Das Geschenk
Flussfahrt
Todesfall
Aufholjagd
Das Verlies
Unerwartetes
C
Anna und Maria
Brad Maron und Doktor Ken Bolt
Neues Verlies
Clara Borel
Der Anruf
Naturschauspiel
Weitere Aufholjagd
Mitgliedschaft
Selbsthilfe
Jon Foges
Bedenken
Früher Schneefall
Der Unfall
Hotelgast
Der Baum
Spurensuche
Geduldsprobe
Neubesetzung
Schlafstelle
Der Spiegel
Nichts Neues
Kompromisse
Unerwartet
Trubik November 1969
Verabredung
Freiheit
Anna und Maria
C's Einsicht
Kellereimer Akten
Dank
Anna und Tom
Lesestoff
Gefühle
Bedankung
Bens Geheimnis
Warten
Aronis
Ida
Fassungslos
Verzweiflung
Besuch
Neuanfang
Brad Maron
Der Fremde
Idas Heimkehr
Aussprache
Die Fremde
Suchgedanken
Erleichterung
Ferien
Unglaubliches
Freud und Leid
Jana und C
Frust
Fremder Besuch
Heimkehr
Janas Hütte
Stadtbummel
Angriff von oben
Zukunftsgedanken
Linda
Weltuntergangsstimmung
Eingeschneit
Hoffnung
Männergespräch
Willenskraft
Anna
Geburtstagskuchen
C und Jana
Annas Glück
Eingesperrt
Schwere Entscheidung
Unverständlich
Der Informant
Entfernte Gedanken
Wundersames
Eingesperrt
Das Foto
Starrex
Erleichterung
Hoffnung
Der Plan
Weihnachten 1969
Scanland 23. Dezember 1969
Unerwartet
Gedanken
Snorland, Dezember 1969
Zwischenfall
Schlag auf Schlag
Das Wunder
Weihnachten
Adventszeit 1969
Linda und C
Schlechte Neuigkeiten
Rückkehr
Finale Entscheidung
Nördliches Gebirge, Scanland April 1970
Snorland 1972, zwei Jahre später
Trubik in Scanland 1972
Nördliches Gebirge von Scanland 1972
Aronis, Snorland im Jahr 1972
Wornas, Scanland 1972
Trubik in Scanland
Rauchwolken
Verwunderung
Neuanfang und Ende
Ausreise aus Scanland
Jana
Sommerausflug
Ein Jahr später
Die Fahrt dauerte vierzig Minuten. Die Strassen waren wie ausgestorben, was um diese Zeit keine Seltenheit war. Das Fahrzeug parkte in einer offenstehenden Scheune, die kurz darauf geschlossen wurde. Sven und Frank schleppten den schlafenden Jan Orsen zwei Treppen nach unten. Sie legten ihn in ein dafür vorgesehenes Verlies.
Leicht verschwitzt betrat Michel das Haus und sprach: „Er ist nirgends aufzufinden, ich habe alles durchsucht, sämtliche Gebäude und Räume!“
Marga zog eine noch besorgtere Miene als zuvor.
„Hoffentlich ist dem Jungen bei dieser Kälte und dem Wenigen, das er auf sich trug, nichts passiert. So kann niemand im Freien übernachten.“
Michels Vater schoss hoch und sprach: „Wir suchen ihn gemeinsam! Du Marga bleibst hier, falls er unverhofft auftaucht. Wir teilen uns auf, du gehst nach Norden und ich Richtung Süden. Wir werden mit dem Funkgerät in Verbindung bleiben, Gott steh uns bei.“
Jeder wusste, dass ein Mensch mit normaler Bekleidung eine solch kalte Nacht draussen nicht unbeschadet überstand. Nichtssagend hatten die drei den gleichen Gedanken. Marga lief schnell in C‘s Zimmer, der Rucksack sowie die anderen Utensilien waren alle da. Das hinterliess ein klein wenig Hoffnung, dass er wiederkommen würde. Sie hatte ihn in ihr grosses Herz geschlossen und würde es nicht ertragen, wenn ihm etwas zustossen würde.
Michel lief direkt in Richtung Hütte, er hatte grosse Hoffnung, ihn dort anzutreffen. Er stellte sich vor, wie sich C fühlen musste, verlassen, hintergangen und dies alles weit weg von der eigenen Familie. Allein der Gedanke daran liess seine Augen feucht werden. Die Schritte wurden immer schneller, aber die Strecke schaffte man kaum unter vierzig Minuten. Das Gute daran war, wenn C zurücklaufen würde, müssten sie sich zwangsläufig kreuzen.
„Hallo Michel, bitte antworten.“
„Hier Michel, was ist los Vater, hast du ihn gefunden?“
„Nein, leider noch nicht und du?“
„Nein, aber ich vermute, dass er in meiner Hütte übernachtet, werde in einer halben Stunde da sein.“
„Bitte melde dich, wenn du da bist.“
Lange war es still.
„Vater, bist du noch da, hallo?“
„Ja, entschuldige. Bist du überzeugt, dass die Wahrheit zu sagen das Richtige war?“
„Ja Vater, ich hätte nicht anders gehandelt, ehrlich, ich bin stolz auf dich, egal wie die Geschichte endet.“
Wehmütig wichen die letzten weissen Wolken der wärmenden Sonne, der Himmel erschien in einem angenehmen Blau. Der Fluss führte erneut rauschend in einen Wald hinein, dort kämpften die Sonnenstrahlen um ein Durchkommen. Mein Bauch fing gewaltig zu knurren an, viel konnte ich nicht von der Hütte mitnehmen, aber es musste für drei magere Tage reichen. Die eingemachten Gurken und Paprikas waren gewöhnungsbedürftig, aber das Endziel, mich einigermassen zu ernähren, erfüllten sie.
Einige Fleischkonserven lieh ich mir auch von Michels Vorrat, das Öffnen dieser Delikatessen blendete ich erstmals aus.
Die Essiggurken schmeckten zum Frühstück schrecklich, egal, sie hielten mich bei Kräften. Alles, was Spuren hinterliess, beseitigte ich. Meine wenigen Essensreste schmiss ich in den Fluss, die Strömung floss mit mir, so konnte das Weggeworfene mich nicht verraten.
Nach einer weiteren Stunde hörte ich plötzlich Stimmen, es waren männliche. Vorsichtig versuchte ich, herauszuhören woher sie kamen, das Getose der Strömung machte es mir nicht leicht. Automatisch ging ich in die Hocke und lauschte weiter.
„Nächstes Mal müssen wir früher los, die Viecher beissen nicht an.“
„Ja, ja, aber die Flusskrebse sehen gut aus, die haben ein schönes Gewicht.“
„Hast du noch Kaffee dabei?“
„Klar habe ich den, liegt alles in meinem Versteck.“
Zu gerne wollte ich sehen, wo dieses verheissungsvolle Versteck lag. Ich pirschte mich so nah als möglich heran, da erblickte ich zwei Männer in Gummianzügen. Sie waren scheinbar Fischer und sassen auf ihrem umgelegten Boot, sie assen schmatzend ihre Brote.
„Hat es in deinem Kaffee wirklich auch Kaffeepulver drin, oder nur dieses Teufelszeugs?“
„Du musst keinen trinken, wenn du ihn nicht magst.“
„Sei nicht gleich eingeschnappt, du ähnelst immer mehr meiner Frau.“
Beide lachten laut und genehmigten sich noch einen Kaffee. Der eine stand auf, lief zwei Meter vom Boot weg und entledigte sich seiner Fischerkluft. Er packte alles zusammen und legte es neben das Boot.
„Wir lassen es hier, sonst müssen wir es morgen wieder hierher schleppen, was meinst du?“
„Klar, machen wir, das Wetter sollte halten.“
Endlich packten sie alles unters Boot und liefen wortlos davon. Ich wartete, bis ich ziemlich sicher war, dass sie nicht mehr zurückkamen. Mit dieser scheinbaren Gewissheit schlich ich leise zum Boot. Es war ruhig, keine Stimmen oder Sonstiges. Vorsichtig stürzte ich es um, um zu schauen, was sich darunter verbarg.
Die Fischerkleider stanken fürchterlich, gaben aber bestimmt warm. Eine Flasche ohne Etikett lag auch darunter, ich schraubte vorsichtig den Korken hinaus und roch daran. Meine Nase hatte schnell einen grösseren Abstand genommen, es roch unangenehm, nach etwas unbekannt Stechendem. Angelruten sowie eine Rolle mit Schnur lagen neben der Kleidung, ich überlegte, was ich gebrauchen könnte. Die Kleider waren wärmer und schützender als meine, aber dieser Geruch war gewöhnungsbedürftig. Enttäuscht stand ich auf und deckte die Sachen wieder mit dem Boot zu.
Urplötzlich vernahm ich in der Nähe ein Knacken von Holz, meine Knie wurden weich und schwer wie Blei. Verdammt, du musst verschwinden, hörte ich mich sagen. Ich versuchte es, doch ich war wie angewurzelt. In letzter Sekunde schaffte ich es, mich mit einem beherzten, nicht stilgerechten Hechtsprung ins Unterholz zu retten. Kaum gelandet, stand der Grössere dicht neben mir, ich fühlte mich völlig lächerlich.
Der ältere Mann hob das Boot, nahm eine Angelrute hervor und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Von Weitem hörte ich eine zweite Stimme rufen.
„Wie lange hast du noch, ich muss zur Arbeit?“
„Ja, ja ich komme ja gleich“murmelte er, öffnete zügig die Flasche und nahm einen grossen Schluck daraus. Schnell verstaute er alles und huschte davon.
Trotz der Kälte hatte ich Schweissperlen auf der Stirn. Das war anscheinend kein flüssiges Brennmaterial, sondern etwas zum Trinken. Da ich durstig war, nahm ich die Flasche und trank einen richtig grossen Schluck daraus. Ohne Vorankündigung schoss ein Blitz durch meinen Körper, er raubte mir den Schnauf und liess die Körpertemperatur in die Höhe schnellen. Ungewollt warf ich die Flasche zu Boden und hielt mit den Händen meinen Hals, als ob es das Brennen stoppen könnte. Keuchend taumelte ich zum Fluss, da liess ich mich auf die Knie fallen, steckte den Kopf unters Wasser und kühlte damit meinen Rachen. Das Brennen wurde langsam weniger, die Schmerzen im Hals und in den Knien liessen mich weiter leiden.
Nach mehrmaligen Hustenattacken und einer verlorenen halben Stunde war ich wieder im Stande, normal zu denken. Das Teufelszeug liess ich schnell unter dem Boot verschwinden, ein grosser Teil war verschüttet. Verärgert über mein dummes Verhalten, verliess ich die Stelle und lief weiter flussabwärts. Erst nach einer Weile wurde mir klar, dass ich völlig falsch überlegt hatte. Nicht was unter dem Boot lag, war von Bedeutung, sondern das Boot selbst. Ich lief ja mit der Strömung mit, das Boot würde mir viele Stunden Marsch ersparen. Fest entschlossen lief ich wieder zurück.
Das Boot war schwerer, als ich annahm, nur mit Mühe schleppte ich es bis zum Fluss. Die Fischerkluft nahm ich vorsichtshalber doch mit. Ich verstaute meine Habseligkeiten mit einem etwas schlechten Gewissen und stiess das Boot vom Ufer weg.
Die Strömung war stärker als angenommen. Das Boot erhielt eine nicht gewollte Geschwindigkeit. Mir war angst und bange, noch nie sass ich in so einem Khan. Ich versuchte, mit dem Paddel die Richtung zu beeinflussen, dies gelang nur halbherzig. Immer wieder schlug das Boot mit dem vorderen Teil an Felsen, die aus dem Wasser ragten.
Es drehte sich ohne mein Dazutun um die eigene Achse.
Die herunterhängenden Äste der am Ufer gewachsenen Bäume versuchten, mich zu treffen. Zum Glück war ich flink genug, diesen geschickt auszuweichen.
Die Fahrt bereute ich schon nach den ersten Metern, dass das Laufen anstrengender wäre, war eine fatale Fehleinschätzung. Das endlose Ausweichen wegen Ästen, Schwemmholz sowie Steinen war kräfteraubend. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde die Strömung ruhiger, ich konnte endlich etwas verschnaufen. In diesem Tempo hat es mir angefangen zu gefallen.
Anna erledigte zügig die Hausaufgaben und setzte sich ans Fenster, das zum Garten hin lag. Tom schwirrte ihr erheblich mehr im Kopf herum, als ihr lieb war. Durch das Fenster sah sie Ida im Garten sitzen, welche ihren noch fehlenden Bauch streichelte. Innerlich verärgert über Idas Zustand fing sie an, über das Internat nachzudenken.
Wenn sie so überlegte, wäre es gar keine so üble Idee, sie hat sich bei Alex und Ida nie wirklich wohl gefühlt.
Wenn Maria weniger im Hause anwesend gewesen wäre, hätte sie es kaum ausgehalten.
Dem Haus am Fluss gegenüber wollte sie nicht undankbar erscheinen, sie hatten ihr damit eine einmalige Gelegenheit verschafft, in eine Familie zu kommen.
„Mein Haus am Fluss“, sprach sie leise. Sie verlor sich in Gedanken daran.
Sie vermisste die Bewohner von Tag zu Tag weniger, dies bereitete ihr Angst. Sie wollte sie nicht vergessen, sie waren ihre Vergangenheit. Logischerweise galt dies nicht für ihre Lieblinge G, K und die Leiterin Z, die immer sehr lieb sowie fürsorglich zu ihr waren. Was sie am meisten beschäftigte, war C. Sie liebte ihn über alles, doch sie wusste nicht, ob sie ihn überhaupt irgendeinmal wiedersehen würde. Z hatte ihr mitgeteilt, was die Polizei annahm.
Diese angenommene Wahrheit hatte sie immer wieder ausgeblendet. Sie war davon überzeugt, dass man spürt, wenn einem geliebten Menschen so etwas geschieht. Sie hatte es nie gespürt, also war sie sich sicher, dass C lebte. Was würde er von ihr halten, wenn sie Spass mit Tom erlebte?
Es war eine ganz andere Beziehung, dennoch ertappte sie sich, wie sie es genoss.
Ihr schlechtes Gewissen liess sie eine halbe Stunde über dieses Thema schwelgen, bis Maria sie mit dem Wunsch, nach unten zu kommen, aus ihren Träumen riss.
Hunger hatte sie keinen. Die zwei, besser gesagt eineinhalb Tassen heisse Schokolade mit Tom hielten sie gesättigt. Doch aus Dankbarkeit und Sympathie zu Maria leistete sie ihr beim Abendessen Gesellschaft.
„Wo sind Ida und Alex?“, fragte Anna.
„Sie haben kurzfristig irgendwohin müssen, Genaueres kann ich dir nicht sagen, du sollst nicht auf sie warten.“
Anna zeigte keine Reaktion auf das Gesagte, was Maria verwunderte.
„Gibt es in der Schule und so Neuigkeiten?“, wollte sie wissen. Anna sah sie fragend an, obwohl sie die Frage genau verstand.
„Wie meinst du das?“
Maria wiederholte die Frage mit einem Lächeln.
„Es ist wie immer, es läuft gut“, war Annas Antwort.
„Und das andere, du kannst mit mir über alles reden, das weisst du, es bleibt unter uns.“
Anna fragte sich, was sie wohl meinte.
„Was meinst du genau, Maria?“
„Ich bin eine Frau und Mutter, mir kannst du nichts vormachen, da muss ein Junge im Spiel sein. Habe ich recht oder habe ich recht?“ Annas Gesichtsfarbe änderte sich wie bei einem Chamäleon.
„Er heisst Tom, aber bitte zu niemandem ein Wort. Er weiss nicht, woher ich bin, wir mögen uns.“
„Das ist schön, es gibt nichts Aufregenderes als die junge Liebe. Du musst aber wissen, dass es immer wieder Enttäuschungen gibt.“
„Das ist mir bewusst, ich mag nicht daran denken, ich geniesse es einfach. Ich kann meine Gefühle nicht richtig deuten.“
„Das wirst du nie können, vor allem am Anfang einer Liebe, das ist das Schöne an ihr.“
Sie plauderten nach dem Essen lange miteinander, Maria spürte wie so oft, dass Anna für ihr Alter sehr Erwachsen war. Sie riet ihr, nicht mit Ida oder Alex darüber zu sprechen. Sie wusste, dass dies nur unnötigen Ärger verursachen würde.
Anna hätte Maria am liebsten über C eingeweiht, aber schaffte es nicht. C war ihr Geheimnis, dabei sollte es auch bleiben.
Georg, ehemals G, lag auf dem bequemen Bett in seinem Zimmer. Jeden Tag wurde er von Gewissensbissen geplagt.
Es ging schon so weit, dass er deswegen Fieber bekam.
Mägi brachte ihn zum Arzt Ken Bolt, doch er konnte keine Diagnose stellen. Er meinte nur, dass dies eine Reaktion auf die neue Lebenssituation sein könnte.
Mägi glaubte dies nur teilweise, seit die Zwillinge einzogen, fiel nie ein böses Wort oder dergleichen. Sie hatten mit den Zweien wirklich ein Riesenglück, dafür bedankte sie sich fleissig in ihren Gebeten.
Georg war sich längst nicht mehr so sicher, ob er mit dem selbst auferlegten Schwur des Schweigens nicht etwas Unrechtes tat. Jetzt ist es schon über einen Monat her, als C sich davonmachte. Aufgegriffen wurde er nicht. Die Polizei glaubt an einen Unfall, die gefundenen Sachen waren für sie Beweis genug. Dies erzählte ihm Z, weiter wusste er, dass sich C nie bei F meldete. Immer noch auf dem Bett liegend überlegte er, ob er mit Mägi und Ross darüber reden sollte. Sie waren sozusagen neutral, aber ungefährlich wäre es nicht, wer hätte schon gern einen Lügner im Haus. Seinen Bruder wollte er ebenfalls nicht gefährden, er konnte ja nichts dafür. Er dachte nach, wem er, wenn überhaupt, die Wahrheit erzählen sollte, den neuen Eltern, seinem Bruder oder Z.
Wieder verging ein Tag voller Ungewissheit, wie lange wird er dies ertragen? Mit diesen letzten fast täglich wiederkehrenden Gedanken schlief er wie gewohnt für wenige Stunden ein.
Der nächste Morgen war fast nicht auszuhalten, Georg war gleichermassen müde wie am Vorabend. Es fühlte sich so an, als habe er den Schlaf verschlafen.
Kelly und die anderen waren schon rege am Diskutieren, er grüsste sie und liess sich in seinen Stuhl nieder. Er füllte sich ein grosses Glas Orangensaft und trank es in einem Zug hinunter. Mägi beobachtete ihn, ihr gefiel sein Zustand schon lange nicht mehr. Sie nahm sich vor, heute mit ihm allein eine ernsthafte Unterredung zu führen. Kelly und Ross waren in eine tiefschürfende Diskussion über Automobile vertieft.
Das nutzte Mägi und fragte Georg leise: „Könntest du nach der Schule mit mir in die Stadt kommen und mir bei diversen Besorgungen helfen?“
Georg nickte, da er ein Stück Marmeladenbrot im Mund zerkaute.
„Sicher, ich helfe dir gerne beim Einkaufen.“
„Ich hole dich direkt nach der Schule ab, wenn es dir recht ist?“
„Klar Mägi.“
Nach dieser kurzen aber herzlich anzuhörenden Antwort assen sie weiter. Die anderen am Tisch haben von ihrer Unterhaltung nichts mitbekommen, sie waren immer noch in ihre Diskussion versunken.
Georg wartete vor dem Schulhaus auf einer grünen Bank auf Mägi. Was sie wohl mit ihm besorgen wollte? Sonst erledigte sie ihren Einkauf immer selbst.
Sie parkte hinter dem Schulhaus und freute sich auf Georg. Als er sie sah, stand er auf und lief ihr entgegen.
Die Begrüssung war herzlich, aber dennoch distanziert. Sie liefen gemeinsam Richtung Altstadt, an diesem Septembertag schien die Sonne nur schüchtern.
„Sollen wir uns was Süsses gönnen?“
„Ja gerne, ich liebe es.“
Sie begaben sich in ein Café mit eigener Bäckerei, das Mägi kannte. Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke.
Irgendwie kam es Georg komisch vor, warum sie mit ihm alleine in ein Cafè ging.
Als beide die Getränke sowie die dazugehörenden Süssigkeiten bestellt hatten, fing Mägi das Gespräch an.
„Georg, du hast dich sicher gefragt, warum ich allein mit dir Einkaufen gehe. Es ist so, ich wollte mal mit dir ungestört über etwas reden.“
Georg fühlte sich plötzlich unwohl, hatte er was Unbedachtes getan, waren es seine schulischen Leistungen? In Bruchteilen von Sekunden schossen ihm alle nur erdenk lichen Gedanken durch den Kopf, bis hin zur Rückkehr ins Heim.
„Ich habe in letzter Zeit das Gefühl, dass dich irgendetwas sehr beschäftigt. Dies hat dich verändert, ich mache mir ernsthafte Sorgen. Wenn es mit mir oder Ross zu tun hat, sage es mir bitte, wir können über alles reden. Du bist nicht allein, du hast jetzt wieder eine Familie, und eine Familie ist füreinander da.“
Georg senkte seinen Blick zum nicht mehr ganzen Stück Apfelkuchen.
„Es hat nichts mit euch zu tun, es tut mir leid, dass ich euch dieses Gefühl gegeben habe. Es ist nur eine Angelegenheit zwischen mir und jemand anderem.“
„Ich höre dir gerne zu, man kann alle Probleme versuchen zu lösen. Wenn man am Schluss scheitert, hat man es wenigstens versucht“, sprach Mägi.
Eine Minute wurde geschwiegen.
„Weisst du Mägi, ich habe demjenigen versprochen, dass nie jemand davon erfahren wird.“
Mägi antwortete: „Da stimme ich dir völlig zu, Versprechen bricht man nicht. Es gibt jedoch Situationen, in denen es ehrenvoller ist, ein solches zu brechen, als es um jeden Preis zu halten. Wenn man es nur schützt, um sein eigenes Fehlverhalten damit zu rechtfertigen, dann ist es der falsche Weg.“ Georg überlegte und nahm ein Stück Apfeltorte, um etwas Zeit zu gewinnen.
„Entschuldige Mägi, habe ich das recht verstanden, wenn ich das Versprechen nur halte, um mich zu schützen, dann wäre dies feige?“
„Nicht direkt, aber es ist nicht die feine Art. Schau, ich oder wir haben schon seit Längerem bemerkt, dass es dir schlecht geht. Du hast schlaflose Nächte sowie unerklärliche Fieberattacken. Da gibt es irgendetwas, dass dich innerlich auffrisst. Wir wollen dich nur vor etwas schützen, das du eventuell später bereust, doch nicht mehr ändern kannst. Du musst jetzt nichts dazu sagen, wenn du nicht magst, aber überleg es dir genau. Eines sollst du wissen, egal was es ist, wir stehen hinter dir und werden für dich kämpfen, falls nötig!“
Das war zu viel des Guten, Georg brach in Tränen aus und lehnte sich an Mägi.
„Es wird alles gut!“, sprach sie und drückte ihn an sich.
Mägi musste das Weinen selbst unterbinden, so einen Gefühlsschub hatte sie seit Samus Tod nicht mehr erlebt. Es fühlte sich trotz der unglücklichen Lage angenehm an. Als Georg sich einigermassen fasste, fing er an zu erzählen.
Mägi hörte gespannt zu, man hätte meinen können, in Georg verbarg sich eine Staumauer, die dem Druck nicht mehr standhalten konnte. Statt Wasser strömten Wörter hinaus.
Mägi staunte nicht schlecht, wie gewitzt und überlegt ihr Georg doch war.
Sie sassen bestimmt eine Stunde in diesem Cafè. Sie vergasen alles um sich herum, es gab nur sie und seine Geschichte.
Als alles erzählt war, fühlte er sich hundert Kilo leichter. Es gelang ihm, seit Langem wieder frei zu atmen. Mägi kam aus dem Staunen nicht heraus.
„Das, was du mir erzählt hast, braucht sehr viel Mut und Vertrauen mir gegenüber. Ich danke dir dafür, wir werden, wenn du einverstanden bist, diese Sache gemeinsam mit Ross versuchen zu lösen.“
Georg nickte nur und nahm einen Schluck Wasser, sein Hals war staubtrocken.
„Wenn du erlaubst, werde ich es Ross weitererzählen.
Danach setzen wir drei uns zusammen und besprechen das weitere Vorgehen. Wir werden ohne dein Einverständnis nichts unternehmen. Du wirst sehen, es wird alles gut, ich bin mir sicher, dass du das Richtige getan hast. Ich bin sehr stolz auf dich.“
Auf der Rückfahrt plauderten sie über vieles weiter, nur das eben Besprochene liessen sie im Café zurück. Kurz vor Verlassen des Autos umarmte sie Georg und küsste ihn auf den Kopf.
„Komm, lass uns reingehen.“
Nach dem Abendbrot und den Hausaufgaben gingen Georg und Kelly aufs Zimmer und legten sich bald schlafen. Mägi schenkte Ross ein Glas Rotwein ein und bat ihn, sich ins Wohnzimmer zu setzen. Nach getaner Küchenarbeit begab sie sich zu ihm.
„Du musst mir den heutigen Abend schenken, es geht um Georgs Zustand.“
„Wart ihr beim Arzt, ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Ross nervös.
„Nein, ich werde dir jetzt eine schier unglaubliche Geschichte erzählen. Ich habe Georg versprochen, dass wir, egal was geschieht, hinter ihm stehen. Wir werden auch nichts ohne sein Einverständnis unternehmen, das habe ich ihm versprochen.“ Mägi nahm einen Schluck vom Rotwein, anschliessend begann sie zu erzählen.
Der Leiterin war bewusst, dass sie nicht mehr viel Zeit zur Verfügung hatte. Da Z dies wusste, nahm sie die Strapazen gerne auf sich, sie arbeitete fast Tag und Nacht. Die vielen Akten der Kinder mit ihren dazugehörenden Geschichten nahmen allerlei Zeit in Anspruch. Gewiss musste sie nicht alle durchgehen, doch nach dieser Zeit wurde eine Neueinteilung längst fällig. Die Feinarbeit wurde aus gegebenen Gründen auf später verschoben. Nach fünf fast zwanzigstündigen Tagen war das wichtigste übergeben. Was fehlte, wurde auf die kommenden Tage verschoben.
Die Leiterin hatte nahezu das ganze Wochenende mit Schlafen und der nötigen Nahrungsaufnahme verbracht.
Sie spürte, dass die Müdigkeit immer mehr ihren Körper einnahm. Die Schmerzen waren akzeptabel, doch der restliche Zustand war sehr unangenehm. Der Sonntagabend wurde durch den Regen früher eingedunkelt, sie ging zum Telefon und wählte eine Nummer.
„Hallo, wer ist am Apparat?“, sprach eine ernste Männerstimme.
„Hey Brad, hier ist Hara!“
„Hara, schön von dir zu hören, wie geh…?“, Brad vergass kurz ihre Vereinbarung.
„Was kann ich tun, soll ich für dich Kochen?“
„Lieb von dir, aber nein danke, ich habe schon gegessen. Der Grund des Anrufs ist folgender. Ich habe die neue Leiterin wie vereinbart eingeführt. Die Aufnahme- und Übergabebestimmungen hat sie sehr schnell begriffen.
Die Personalfragen sowie Zahlungsmodalitäten waren auch keine Hexerei, jetzt stellt sich die Frage, wie weiter. Die geheimen Akten wird sie irgendwann kennenlernen müssen.
Bei einem Todesfall oder sonst einem unvorhergesehenen Zwischenfall, wie zum Beispiel bei C, kann es sehr schnell in einem Desaster enden.“
„Schwierige Lage, hast du ihr von der Bruderschaft erzählt?“
„Nur das Nötigste, was wir besprochen haben.“
„Wie hat sie es aufgenommen?“
„Da die Bruderschaft das Heim unterstützt erwartungsgemäss positiv. Die anderen Gründe habe ich ihr vorerst verschwiegen.“
„Klar, das hast du gut gemacht, wie immer. Was meinst du, was traust du ihr zu, wie weit könnten wir gehen? Sie müsste erst der Bruderschaft beitreten, sowie die lebenslange Treue und Geheimhaltung schwören.“
Eine Schweigeminute wurde eingelegt.
„Garantieren kann ich nichts, ihr liegt das Wohl dieses Hauses und dessen Bewohner sehr am Herzen. Von da her sehe ich keine Probleme, das andere muss ich langsam angehen. Sie ist ehrlich und gesetzestreu, man wird sehen.“
Brad überlegte kurz.
„Versuche es, berichte ihr von der Bruderschaft, ohne Namen zu nennen. Erzähl ihr, warum du dabei bist, du spürst ihre Einstellung bestimmt schnell. Danach gehst du so weit, wie du es für richtig hältst. Wir konnten immer auf deinen Spürsinn zählen, ich glaube an dich.“
„Gut, mache ich, uns bleibt fast keine Wahl oder hast du eine andere Idee?“
„Nein, zuerst dachte ich an Ken, er hätte das Heim von der Praxis aus führen können. Du kennst selbst den Aufwand, der betrieben werden muss, das wäre kaum zu schaffen. Zusätzlich wäre es unklug, wenn ein Zusammenhang zwischen ihm und der Bruderschaft bekannt werden würde. Wir hätten nicht mehr die gleichen Freiheiten wie bisher“, sagte Brad.
„Da stimme ich dir zu, es hat über Jahrzehnte so funktioniert, gefährden wir es lieber nicht. Ich lasse dich den weiteren Verlauf wissen, schlaf gut, ich liebe dich“, sprach Hara leise.
„Du weisst nicht, wie ich dich liebe, freue mich auf unser nächstes Wiedersehen, Hara, gute Nacht.“
Sie lief ins Bad und sah in den Spiegel, sie erschrak, als sie die fremde Gestalt darin sah. Sie dachte, verdammt, lass mir noch ein wenig Zeit, ich bin früh genug bei dir oben, danach kippte sie den Lichtschalter.
Am nächsten Morgen liess sie Z wissen, dass ein weiteres persönliches Gespräch anstand. Sie verabredeten sich im Besprechungszimmer neben dem eigentlichen Büro.
Die Leiterin hatte sich so gut wie möglich zurechtgemacht.
Z war wie immer pünktlich, nach der Begrüssung lag ihr die Frage nach ihrem Befinden auf der Zunge. Sie sah ihr die Strapazen der letzten Wochen an, doch hielt sie sich zurück, was ihr sehr schwerfiel.
„Was ich jetzt mit Ihnen bespreche, fällt mir schwer, da ich nicht weiss, wie Sie darauf reagieren. Dieses Risiko werde ich eingehen, es bleibt mir keine andere Wahl, da Sie die Auserwählte sind.“
Z trank ihren zweiten Kaffee, der leider nicht mehr heiss war.
„Ich verstehe Sie nicht, Sie machen mir etwas Angst, habe ich was Falsches getan?“
„Nein, Sie haben keineswegs etwas zu befürchten, Sie haben bestimmt nichts Falsches getan. Im Gegenteil, ich bin überrascht, wie schnell Sie das Ganze aufgenommen haben. Um Ihnen die Spekulationen zu ersparen, komme ich gleich zur Sache.“
Sie berichtete Z, dass sie in der Bruderschaft Arche sei, sie ist die Eigentümerin dieses Heims. Was sich alles schön und grossherzig anhörte. Sie erklärte ihr ebenfalls die Verpflichtungen dieser Bruderschaft, sie sollte spüren, dass dies nicht irgendein Verein sei.
Z fragte sich, was denn daran so geheimnisvoll sei.
Die Leiterin spürte die verständliche Unsicherheit und sprach: „Es ist an der Zeit zu erfahren, ob Sie unter den gegebenen Umständen dieser Bruderschaft beitreten werden. Bevor Sie antworten, muss ich Sie darüber informieren, dass ein Ausstieg aus dieser Gemeinschaft nicht möglich wäre. Es ist ein Bund fürs Leben.“
Z war etwas verunsichert, sie versuchte, dies der Leiterin nicht zu zeigen.
„Darf ich fragen, was dieser Geheimschwur in Wirklichkeit bedeutet, wird mir meine Redefreiheit genommen, wie muss ich dies verstehen?“
„Nein, was jedoch die Bruderschaft betrifft, wird nur intern besprochen. Alles andere bleibt so, wie es ist. Ein Fehlverhalten würde einiges gefährden, nicht nur unser Haus am Fluss, sondern viele weitere Institutionen, die von der Gemeinschaft unterstützt werden. Alles wäre in Gefahr, darum dieses Schweigegelübde.“
„Ich verstehe, ich kannte bisher nicht einmal meinen wahren Arbeitgeber. Ich war der Meinung, dieses Haus würde von den Spenden der Allgemeinheit, sowie aus den Vermittlungen finanziert. Sie haben das vorbildlich vor uns allen geheim gehalten, die ganzen Jahre, gratuliere, das meine ich nicht negativ.“
Die Leiterin verzog keine Miene.
„Danke, ich empfinde dies als Kompliment. Gerne würde ich Ihnen mehr erzählen, vor Ihrer endgültigen Entscheidung sind mir die Hände gebunden. Eines müssen Sie wissen, in unserem, besser gesagt in Ihrem Fall, täten Sie es für eine gute Sache. Verlieren werden Sie nur Ihre uneingeschränkte Meinungs- und Entscheidungsfreiheit. Gewinnen dafür eine lebenslange Treue und Unterstützung, die Sie vermutlich nirgendwo sonst erhalten. Wenn Sie mit neunzigprozentiger Sicherheit für ja tendieren, werde ich Sie noch tiefer in unser Schaffen einführen. Sie müssen sich einfach bewusst sein, danach gibt es kein Ausscheiden mehr, falls doch, wird es ein steiniger, unschöner Weg!“
Z machte ein Gesicht, als ob sie die Welt neu erklärt bekäme, alles drehte sich im Kopf. Jetzt einen klaren Gedanken zu fassen wäre unmöglicher, als einen Stern am Himmel einzufangen.
„Sie haben weitere zwei Tage, um sich das Ganze zu überlegen, denken Sie daran, diese Entscheidung steht in keiner Weise in Abhängigkeit mit Ihrer jetzigen Arbeit.
Wenn Sie hier etwas bewirken wollen, kommen Sie um eine Zugehörigkeit nicht herum. So, ich habe viel geredet und Sie in eine nicht beneidenswerte Situation gebracht.
Nehmen Sie die nächsten zwei Tage frei und überlegen, was Sie aus Ihrem Leben machen wollen. Wir treffen uns in zwei Tagen um die gleiche Zeit, bei Fragen wissen Sie ja, wo Sie mich finden. Bitte, kein Wort zu niemandem.“
„Geht klar, hatte ich auch nicht vor. Danke für Ihr Vertrauen und die Offenheit mir gegenüber.“
Voller unbeantworteter Fragen lief Z zurück zum Haupthaus, die Kälte liess sie zusammenfahren. Vor lauter herumsitzen empfand sie es kälter, als es tatsächlich war.
Beim Öffnen der Haupttüre kam ihr eine Welle warmer Luft entgegen. Sie blieb kurz stehen, um die angenehm unsichtbare Umarmung über sich ergehen zu lassen.
„Willst du mit uns Mittagessen?“, fragte X beim Vorbeigehen. Z bemerkte erst Sekunden später, dass jemand zu ihr sprach.
„Entschuldige X, hast du mich eben etwas gefragt?“
„Ja, wollte nur wissen, ob du mit uns isst?“ Nach kurzem Überlegen rief sie: „Gerne, ich komme gleich nach hinten.“ X schlenderte weiter, dabei winkte sie bejahend mit der Hand.
Im Grunde wollte sie allein sein, doch die Ablenkung durch die anderen würde ihr guttun. Sie war in letzter Zeit sowieso seltener anzutreffen als sonst. Zum Glück lief mit den anderen Kindern alles wie am Schnürchen. So hatte sie genügend Freiraum für ihre wichtigen Entscheide, die sie in letzter Zeit arg in Anspruch nahmen. Die anderen Mitarbeiter haben natürlich ihre Abwesenheit bemerkt, doch nie danach gefragt. Sie wussten genau, wenn Z es ihnen erzählen wollte, würde sie es von sich aus tun.
Zurück in ihren Räumen, fingen die Gedanken wie Geier über sie zu kreisen. Sie setzte sich an den Tisch, der vor dem Fenster zum Hof stand, sie blickte mit leeren Augen in die Ferne. So sicher mit ihrer Entscheidung wie vor dem Gespräch, war sie sich nicht mehr. Ihr war bewusst, nur mit dem Beitritt war sie im Stande, ihre Aufgabe hier im Hause ernsthaft umzusetzen. Im Gegenzug würde sie einen Teil ihres Lebens in fremde Hände legen, das wäre letztlich der Preis, den sie bezahlen würde.
Sie trank vom mitgebrachten Eisenkrauttee einen grossen Schluck, danach führte sie beide Hände zum Gebet zusammen und sprach leise.
„Ist dies meine Aufgabe auf Erden oder ist es eine Prüfung, die du mir auferlegst. Ich bitte dich selten um einen Gefallen, aber heute bete ich zu dir, um eine Antwort zu erhalten. Lass mich mit dieser Entscheidung nicht allein. Gib mir irgendein Zeichen von dir, dies deute ich dann für ein Ja. Ich will dich nicht nerven, aber bitte vergiss C nicht.“ Mit dem obligaten Amen beendete sie ihr Gebet.
Sie schlief ohne das erhoffte Zeichen von oben ein. Die Nacht verlief ereignislos und neigte sich dem Ende zu.
Sie verliess das warme Bett und bemerkte, dass sie die Nachtvorhänge nicht wie sonst lichtdicht zugezogen hatte.
Ein Sonnenstrahl bohrte sich durch die enge Öffnung, fasziniert verfolgte sie dessen Ziel. Der Strahl erhellte wie ein Scheinwerfer das Kruzifix, das über ihrem Bett hing. Beim Bestaunen dieses Schauspiels wurde ihr warm ums Herz.
Oh Gott, dachte sie, ist dies dein Zeichen oder purer Zufall. Voller Zuversicht bedankte sie sich mit einem Blick nach oben.
Michel war geschafft, er schnaufte wie eine alte Dampflokomotive. Der warme Atem stiess auf die klare, kalte Aussenluft. Er drückte auf die Türklinke, sie gab nicht nach, die Hoffnung ihn hier anzutreffen war gross. Enttäuscht entdeckte er den Schlüssel in seinem Versteck.
Nach dem Öffnen deutete nichts auf C hin. Von innen schloss er sie zügig, damit die kalte Luft nicht Einzug halten konnte.
Erst auf den zweiten Blick erkannte er einige Veränderungen, darunter ein Stück Papier auf dem Tisch. Er befreite sich erst von seiner schweren Jacke. Anschliessend nahm er ihn so behutsam auf, als wäre es ein frisch geschlüpftes Küken. Noch stehend begann er den kurzen Text zu lesen.
Lieber Michel
Wie ich dich kenne, wirst du als Erster hierherkommen. Ich habe mich auf den Weg gemacht, um meine Familie und mein Zuhause zu suchen. Zu viele Wochen sind vergangen, bitte folgt mir nicht, ich hoffe, ihr akzeptiert meine Entscheidung. Ich bin euch zu Dank verpflichtet, ja sogar mehr als das, ihr habt mein Leben gerettet. Die Wut über die erfahrene Wahrheit hat sich wieder gelegt. Bitte sei nicht böse über die Sachen, die ich mitnahm, ich hoffe, du kannst sie entbehren.
Bitte Grüsse und umarme alle von mir, C.
Koni sog die kalte Luft ein, damit er die Fassung nicht verlor, die Worte von C drangen tief in ihn. Er setzte sich auf den Holzstuhl und trank einen Schluck aus der Flasche des starken Birnengebräus. Nach dem Dritten ging es wieder. Er nahm sein Funkgerät und meldete sich.
„Hallo Vater, ich habe ihn gefunden. Besser gesagt ich weiss, wo er übernachtet hat, er ist unterwegs nach Hause.“
Nach ein paar Nebengeräuschen meldete sich sein Vater.
„Habe verstanden, woher weisst du, dass er nicht in der Nähe geblieben ist?“
„Er schrieb mir einen Brief, ich nehme ihn mit. Was meinst du, soll ich ihm folgen?“
„Das wäre nicht klug, der Wintereinbruch wurde bereits angedroht. Wir treffen uns zuhause und besprechen alles Weitere.“
„Ja, ich begebe mich auf den Weg, bis dann.“
Der Wintereinbruch wurde vor zwei Tagen angekündigt, dieses Jahr käme der Schnee früher als sonst, Michel hatte es vergessen. Hier im Norden konnte er über Nacht bis zu einem Meter oder mehr fallen. C hatte dies sicher verdrängt, wer nicht hier aufwuchs, konnte die Gegebenheiten schwer einschätzen. Begleitet von weiteren Gedanken nahm er den Rückweg in Angriff.
Ross trank vom Rotwein, den Mägi auf den Salontisch deponiert hatte. Sie erzählte ihm die ganze Geschichte ohne Pause. Die Spannung stand ihm sichtlich ins Gesicht geschrieben, er suchte nicht nach Fragen, sondern sog das Gehörte in sich auf.
Nach etwa einer halben Stunde befeuchtete Mägi mit Rotwein ihren Gaumen.
„Das ist wahrhaftig eine geballte Ladung, bist du sicher, dass dies der Wahrheit entspricht?“
„Du hättest Georg beim Erzählen miterleben sollen, das war echt, glaube mir.“
„Der arme Junge, das trägt er schon so lange mit sich.
Hast du bereits eine Idee Mägi? Wir müssen dieses Wissen mit jemandem teilen. Sonst sind wir noch mitschuldig.“
Mägi überlegte kurz.
„Georg darf dafür nicht bestraft werden, darum überlegen wir genau, was wir tun. Mein Vorschlag wäre, wir reden mit der Leiterin des Heims, sie wird Georg sicher am besten verstehen. Wir müssen ihr ein Versprechen abnehmen, alles vertraulich zu behandeln. Was meinst du dazu?“
„Finde ich gut, wir rufen gleich morgen an“, sprach Ross.
„Erst reden wir mit Georg, wie bereits erwähnt, entscheiden wir nichts ohne seine Einwilligung.“
„Entschuldige Mägi, das habe ich kurz vergessen.“
Die Geschichte begleitete sie bis ins Bett, das Einschlafen fiel ihnen schwer.
Am nächsten Morgen liess Ross Georg wissen, dass er von Mägi eingeweiht wurde und sie heute nach dem Mittagessen zusammensitzen.
Da Georg am Nachmittag schulfrei hatte und Kelly seit neustem Judounterricht nahm, war der Zeitpunkt ideal.
Der Morgen verging für alle wie im Fluge. Nach dem Mittagessen verschwand Kelly, er hatte sich mit seinem neuen Freund verabredet, um zusammen das Training zu besuchen.
Nach einem kurzen Geläuf waren alle drei am runden Tisch in der Küche versammelt. Mägi erklärte Georg, dass sie Ross alles erzählte und sie auf die folgende Idee kamen.
Georg sass schweigend da und war überrascht, dass kein Tadel seitens Ross folgte.
„Wir haben gestern Folgendes als mögliche Lösung besprochen. Wir könnten mit der Leiterin des Heims sprechen. Sie muss im Voraus versprechen, dass sie im Gegenzug nicht preisgibt, von wem sie dieses Wissen erhielt. Was denkst du, können wir ihr vertrauen?“
Georg sprach: „Ich kenne die Leiterin des Heims nicht gut, sie hat sich eigentlich nie um uns gekümmert.“
Mägi überlegte kurz.
„Eine Frage Georg, zu wem würdest du gehen, wenn du niemand anders hättest?“
Georg überlegte nicht lange.
„Ich würde zu Z gehen, sie hat uns immer zugehört und gut behandelt. Ihr habe ich, neben meinen Freunden, am meisten vertraut.“
Sie schauten sich gegenseitig an, Ross meldete sich als Erster.
„Wenn das so für dich stimmt, kontaktieren wir Z.
Was ich dich noch Fragen wollte, was ist mit Kelly, weiss er es?“
Leicht beschämt sprach Georg: „Nein, nur ihr zwei wisst davon, ich werde es ihm erzählen, wenn wir mit Z gesprochen haben.“
Ross erhob sich und holte die Unterlagen des Heims, darin fand er zwei Telefonnummern für diejenigen, die Kinder aufgenommen haben.
„Soll ich dort anrufen, jetzt?“
„Ja bitte Ross, vielleicht lebt dieser C ja noch, ich hoffe es.“
„Denkt ihr, C versteht es, dass ich nicht mehr schweigen konnte? Womöglich muss er ins Heim zurück, oder gar ins Gefängnis.“
Mägi rutschte etwas näher zu Georg.
„Was richtig oder falsch ist, ist schwer zu sagen. Wie du erwähnt hast, hat er seine Freundin F noch nicht besucht oder benachrichtigt. Sie war ja der Grund für die Flucht. Ich glaube, wenn alles so verlaufen wäre, wie er es sich erhoffte, hätte er sich schon längst irgendwo gemeldet.
Nein Georg, deine Entscheidung war weise.“
Sie drückte ihn an sich und er liess es sichtlich zu.
Im Büro der Heimleitung klingelte das Telefon. Da Hara Bensen wiederholt starke Schmerzen im Unterleib verspürte, fuhr sie nach Hause, um ihre vergessenen Medikamente einzunehmen. Sie beabsichtigte anschliessend zurückzukehren, daher unterliess sie es, jemanden einzuweihen.
Immer wieder störte das Klingeln des Telefons die unheimliche Stille im Büro der Leiterin.
Z hatte ihren zweiten freien Tag, doch das Ganze wurde ihr ohne Arbeit zu viel. Sie lief ins Nebenhaus in ihr neues Büro, dabei wunderte sie sich, dass die Leiterin nicht an ihrem Platz sass.
Z fragte im Haupthaus nach, ob sie sich bei jemandem abmeldete, so wie man es normalerweise handhabte. Niemand konnte ihr eine brauchbare Antwort liefern.
Sie nahm an, dass sie kurz weggegangen und bald wieder eintreffen werde. Z hatte sich entschieden, selbst wenn es nicht ihrer Wertvorstellung entsprach, würde sie dem Heim zuliebe zusagen. Sie freute sich darauf, Frau Bensen die erfreuliche Nachricht persönlich zu überbringen.
Nächstes Jahr würde sie dreiundvierzig Jahre werden, eine eigene Familie wird es wohl nicht mehr geben. Sie hatte sich auch nie danach gesehnt, wahrscheinlich deswegen, da sie ihre Familie hier gefunden hatte. Die Männer hat sie nicht vergessen, aber sie spielten nie eine grosse Rolle in ihrem Leben.
Wie aus dem Nichts klingelte das Telefon der Leiterin und bescherte Z beinahe einen Herzstillstand. Sie war derart in ihre Gedanken vertieft, dass sie vergass, wo sie war.
Der Anruf wiederholte sich mehrmals, sie hoffte umsonst, es würde irgendwann aufhören. Wenn es nicht Hara Bensens persönliches Telefon wäre, hätte sie es längst entgegengenommen. Sie traute sich nicht, eigenmächtig zu handeln. Aktuell war Hara die Heimleiterin, nur sie besass die Befugnis für diesen Anschluss. Da das Telefon keinen Laut mehr von sich gab und wehrlos auf dem Schreibtisch stand, setzte sich Z. Sie fing an, die Akten der Bewohner zu ordnen. Alle hier Wohnenden hatten ihre persönliche Akte, in diese wurde nur der Leiterin Einblick gewährt. Ihr fiel auf, dass nur die Akten der Bestehenden sowie der diesjährigen Abgänge vorhanden waren.
Sie wusste genau, das was sie jetzt im Schilde führte, ihre Kompetenzen überstieg. Sie sah zur Tür, um sicherzugehen, dass die Leiterin nicht im Anmarsch war. Sie fühlte sich wie ein Kind, das heimlich Süsses naschte und Angst vor dem Erwischen hatte. Sie fand sie nicht, erst dachte sie, die Akte wäre bei den Abgängen falsch abgelegt. Alles Suchen half nichts, sie war nicht auffindbar, das hatte sicher seinen Grund. Als sie hinter dem Stuhl der Leiterin kniete, erwachte das Telefon aus dem Tiefschlaf. Sie kroch schnell hervor und bemerkte, dass es ihres war. Sie führte den Hörer zum Ohr und begrüsste den Anrufer mit ihrem Namen.
So, wie mit Hara Bensen besprochen, da diese zwei Leitungen nur für Mitglieder bestimmt waren. Sie wurde etwas stutzig, da sich der Anrufer nicht mit seinem Namen meldete. Erst musste sie bestätigen, dass sie wirklich Z wäre und anschliessend versprechen, mit niemandem über dieses Telefonat zu sprechen.
Erst dachte sie an einen schlechten Scherz, doch die Tonlage konnte ernster nicht klingen. Als sie nachfragte, um was es denn gehe, erfuhr sie das Unerwartete. Das Weitere würde nur persönlich an einem neutralen Ort besprochen.
Sie willigte sofort ein, Ort und Zeit wurden festgelegt.
Ohne den Namen des Anrufers zu erfahren, liess sie sich in das Abenteuer ein.
Kaum aufgelegt, änderte sich ihre Gesichtsfarbe von halb Rot zu fast Weiss. Sie liess sich in ihren Bürosessel fallen und verharrte in eine Starre der Ratlosigkeit.
Das Telefon klingelte genau vier Mal, dann verstummte es, nach kurzer Zeit ertönte es erneut, beim vierten Klingelton wurde der Anruf entgegengenommen.
„Hallo“, sprach eine Männerstimme.
„Hier der Schatten, das Geschenk ist sicher aufbewahrt.“
„Gut gemacht, ich überlege mir das weitere Vorgehen.
Es darf ihm während dieser Zeit nichts geschehen, ist das klar.“
„Alles klar.“
Das Telefonat wurde so wortkarg beendet, wie es begann.
Langsam fing ich zu frieren an, die Sonne gab ihr Bestes, doch die tiefen Temperaturen konnte sie nicht besiegen.
Es würde bestimmt auch an der fehlenden Bewegung liegen, im Boot sitzend war es unmöglich, mich aufzuwärmen. Trotz des Geruches zog ich die Fischerkluft an. Die Hose war mir viel zu gross und würde mich nur behindern, doch die Jacke hielt den kalten Wind ab. Durch Bewegen der Arme und Beine, das lächerlich aussah, schaffte ich es, meine Glieder etwas aufzuwärmen.
Die Gegend war wunderschön, bisher konnte ich diese gar nicht geniessen. Der Fluss schlängelte sich wie eine Riesenschlange durch die unberührte Landschaft. Da er um einiges unruhiger wurde, musste ich das Paddel des öfteren einsetzen, was doch meiner Körpertemperatur entgegenkam. Irgendwoher hörte ich Stimmen, bis ich am Flussufer einen Angler entdeckte. Er winkte und rief mir immer wieder etwas zu, doch ich verstand es nicht. Als die Strömung mich näher ans Ufer trieb, änderte der Angler plötzlich seine Stimmlage.
„Hey, wo ist Loni, das ist doch sein Boot!“
Erst wusste ich nicht genau, was er meinte. Doch er wurde stets lauter und rief einem anderen zu, den ich noch gar nicht gesehen hatte. Er rief immer wieder, ich solle ans Ufer kommen, das sei nicht mein Boot.
„Verdammt, komm endlich hierher, sonst holen wir dich raus!“ Dies klang nicht wie eine Frage, sondern als eine ernst gemeinte Drohung. Ich paddelte wie besessen, nur weg von hier dachte ich. Das Boot bewegte sich langsamer als mir lieb war. Die zwei fingen an, mit Steinen zu werfen, sie riefen immer wieder Fluchworte in den Wind.
Das Paddeln ermüdete mich extrem, ich durfte nicht nachlassen, es war so schon ein Kampf gegen Windmühlen. Die Steine wurden immer mehr und grösser, eine Auswahl davon landete im Boot. Plötzlich spürte ich einen heftigen Schlag, die Augen brannten, danach brummte der Kopf. Immer wieder wurde ich getroffen, mal am Körper dann abermals am Kopf. Das Paddel glitt mir aus der Hand, ich hatte keine Kraft, das andere hochzuheben. Ich legte mich auf den schon mit etwas Wasser gefüllten Bootsrumpf und hielt mir die Hände schützend über den Kopf. Mir war speiübel, alles tat weh. Die Fahrt konnte ich nicht mehr beeinflussen. Ob sie mich erwischen, war nicht mehr von Bedeutung. Als der Steinschlag langsam weniger wurde, entfernten sich ebenfalls die gerufenen Worte.
Nach einiger Zeit flogen keine Steine mehr, die Stimmen waren dem Rauschen des Wassers gewichen.
Langsam sowie unter Schmerzen bewegte ich meinen Oberkörper über die Bootskante. Ich sah keine Menschenseele mehr, der Fluss floss ruhig dahin, der Luftraum war steinfrei. Ich setzte mich so gut es ging auf und sah meine blutigen Hände. Da keine Wunde festzustellen war, wusch ich sie mit Wasser und tastete den Kopf ab. Schnell wich mein Haupt dem Händetasten, ich fühlte eine gewisse Wärme, die meine Haut streichelte. Wieder waren die Hände mit frischem Blut verschmiert, abermals wusch ich sie und suchte nach einem Stück Stoff. In meiner Hosentasche fand ich ein Taschentuch, ich benetzte es im Fluss, anschliessend führte ich es vorsichtig an die Verletzung am Kopf, die heftig pochte. Mehrmals wiederholte ich dies, langsam lies das Pulsieren nach, was man vom Bluten nicht behaupten konnte. Ich zog mein Unterhemd aus und band es so gut als möglich um den Kopf.
Mein Oberkörper schmerzte unangenehm, ich setzte mich auf und warf die Steine, die den zwei Verrückten als Geschoss dienten, in den Fluss. Danach schöpfte ich mit dem Einmachglas das Wasser aus dem Boot. Zum Glück fiel bei dieser Schlacht nicht mein Beutel in den Fluss, ansonsten wären alle Vorräte für immer verloren. Um wieder zu Kräften zu kommen, verschlang ich die restlichen eingelegten Gurken und Paprikas. Die Fleischkonserven konnte ich leider nicht öffnen, hierfür wäre ein kantiger Stein von Nöten gewesen, die hatte ich längst dem Fluss geschenkt.
Das Rauschen wurde stets lauter, dabei herrschte beinahe Windstille.
Die nassen Kleider liessen mich immer mehr frieren, ich musste so schnell als möglich das Ufer erreichen. Unter Schmerzen paddelte ich ans Ufer, danach zog ich das Boot instinktiv so weit als möglich an Land.
Es war niemand zu sehen oder zu hören. Brennholz lag genügend herum, erst sammelte ich trockenes Gras, um das gesammelte Holz schneller anzuzünden. Mein Beutel war nicht vollends durchnässt. Die Zündhölzer hatte ich vorsorglich in ein Einmachglas gesteckt, worin ebenfalls etwas Dörrobst lag.
Das Feuer schenkte mir neue Lebenskraft, die Wärme lud meinen Körper mit Energie auf. Die nassen Kleider hängte ich an eine selbst gebaute Vorrichtung aus Ästen zum Trocknen. Der Himmel versteckte sich langsam hinter weissgrauen Wolken, die Dunkelheit liess die Uhrzeit nur erahnen. Ich war hundemüde. Darum entschloss ich mich hier für die Nacht einzurichten. Erst besorgte ich mehr Holz, um das Feuer vor dem Erlöschen zu bewahren.
Anschliessend erkundete ich vorsichtig die Gegend, um eine geschütztere Schlafstelle zu finden. Da ich mich nicht auskannte, wagte ich nicht, mich zu weit vom Feuer zu entfernen. Leider fand ich nur dicht überwachsenes Unterholz, das war es schon. Meinen Standort konnte man scheinbar nur vom Fluss her erreichen und einsehen, was eine gewisse Sicherheit garantierte. Mit Mühe öffnete ich eine Fleischkonserve, die ich genüsslich verspeiste. Das war wohl die beste Konserve, die ich je gegessen hatte. Ich legte so viel Holz ins Feuer wie nur möglich, damit die angenehme Wärme mich die ganze Nacht hindurch wärmte. Alle trockenen Kleider wurden angezogen, die Kälte liess, wie die Nachtschwärze, nicht lange auf sich warten.
Ross legte den Hörer auf und sah zu Mägi: „Morgen um fünf Uhr treffen wir Z im Büro der Firma. Ist es dir möglich, vorher Georg von der Schule abzuholen, sie hat allem zugestimmt, ich hoffe, sie meint es ernst.“
Mägi sass vor ihrer Tasse Kaffee und sprach: „Was meinst du, wird Georg für sein Verhalten bestraft? Wenn das so wäre, verweigern wir jegliche Gespräche.“
Mägi wurde etwas rot im Gesicht, was ihr gut stand, dachte Ross.
„Wir werden dies erst mit Z besprechen, wenn sie uns das schriftlich bestätigt, erzählen wir weiter. Ich setze ein solches Schreiben auf.“
Z erholte sich langsam, sie dachte über das eben geführte Telefonat nach. Genau genommen müsste sie die Leiterin miteinbeziehen, so waren die Regeln. Wenn sie einen Alleingang startete, würde sie sich und dem Heim schaden. Es war wohl der schlechteste Zeitpunkt, den es für sie gab. Nach eifrigem Nachdenken entschloss sich Z, die Leiterin einzuweihen. Sie durfte nicht nur an sich und C denken, die vielen anderen Kinder im Haus am Fluss waren ja auch noch vorhanden. Sie wählte umgehend die Privatnummer von Frau Bensen, etliche Versuche endeten erfolglos.
Sie bat den Fahrer, sie zur Wohnung der Leiterin zu chauffieren. Auf der Fahrt überlegte sie, wie sie ihr Vorgehen erklären konnte, damit sie einverstanden wäre. Die Chancen standen schlecht, denn die Leiterin war wiederum von ihren Vorgesetzten abhängig, was nicht förderlich war.
Als sie in die besagte Strasse einbogen, entdeckte Z das Fahrzeug der Leiterin. Sie liess den Fahrer im Wagen warten. Die Haupttüre des Wohnhauses war nicht verschlossen, sie zählte die Namensschilder ab um etwa einzuschätzen, in welcher Etage sie wohnte. Sie erahnte die Dritte, das Treppenhaus war gepflegt und hinterliess einen eher gehobenen Eindruck. Bei der besagten Türe drückte sie den goldenen Klingelknopf, nach viermaligem Drücken, klopfte sie an. Nichts, kein laut, kein Geräusch folgte auf ihr Klopfen. Langsam wurde ihr unwohl, das Heim ohne Abmeldung zu verlassen, das Auto steht vor dem Gebäude und doch ist niemand zu Hause.
Ohne darüber nachzudenken, drehte sie am Türknopf, er liess sich drehen und löste damit die Entriegelung aus.
Sie rief leise ihren Namen in die anscheinend leere Wohnung. Keine Antwort, sie trat wie auf Eiern in diese ein.
Offensichtlich war sie nicht da, sie schaute in der Stube und in der Küche nach, nichts. Das Zimmer, das durch die Diele zu erreichen war, liess die Hoffnung noch mehr schwinden. Plötzlich hörte sie jemanden, den Namen der Leiterin rufen, sie erschrak derart, dass sie keine Silbe herausbekam.
„Hara, ich bin es, Ken, hallo.“ Z rang nach Luft und lief aus der Küche in den Flur.
„Guten Tag, ich bin Linda, ich suche nach Frau Bensen und wer sind Sie?“
„Entschuldigen Sie, ich bin Doktor Bolt, Ken Bolt, Hara hat mich angerufen, ich bin so schnell wie ich konnte gekommen, wo ist sie?“
„Ich kann sie auch nicht finden.“
„Das verstehe ich einfach nicht, sie bat mich, so schnell wie möglich zu kommen. Wenn Hara dies tut, ist es fünf nach zwölf.“
Ein Schrei, der lauter und schmerzvoller nicht sein konnte, beschallte das Treppenhaus. Sie sahen sich beide an und liefen synchron Richtung Ausgang. Auf dem Flur stehend erahnten sie, woher er kam, anschliessend rannten sie die Treppe hinunter.
Der Haupteingang war leer, sie vernahmen aber Geräusche im unteren Bereich und folgten diesen. Eine Frau älteren Jahrgangs kniete wie eine Statue vor einer am Boden liegenden Frau. Schnell begriff Doktor Bolt und drückte sanft zwei Finger auf Haras Hals, dieser gab kein Pulsieren zurück. Er beugte sich mit seinem Kopf tiefer an ihre Nase und verharrte kurz, aber da war kein Lebenszeichen mehr auszumachen. Er wusste, es war unnötig, doch hörte er mit dem Stethoskop ihr Herz ab, wie befürchtet blieb alles ruhig. Z stand wie versteinert da und bewegte nur noch ihre lebensnotwendigen Organe. Sie wollte sprechen, aber irgendetwas liess es nicht zu.
„Wir müssen die Polizei verständigen“, sprach die Frau, die die Leiterin fand.
„Das werde ich veranlassen, bitte schliessen Sie die Kellertüre ab.“
Da sie erkannte, dass dieser Mann ein Arzt war, nickte sie bejahend und holte den Schlüssel.
Doktor Bolt rief von Haras Wohnung die Polizei an und forderte gleichzeitig einen Leichenwagen. Er füllte ein Formular aus, das die Todeszeit sowie Ursache bestätigte.
„Brauchen Sie mich noch, ich würde gerne diese Wohnung verlassen?“, fragte Z.
„Nein, aber bitte geben Sie mir Ihre Adresse und Telefonnummer, vielleicht hat die Polizei noch Fragen an Sie.
Woher kennen Sie Frau Bensen, wenn Sie erlauben.“
„Sie dürfen, ich bin ihre Stellvertreterin vom Haus am Fluss.“
„Dann sind Sie Frau Grän?“
„Woher kennen Sie meinen Namen?“, fragte sie erstaunt.
„Hara hat mich informiert, Sie werden die neue Leiterin, nicht wahr?“
„Ja, sie hat mir von ihrer Krankheit erzählt, doch nicht, dass es so schlimm ist.“ Tränen liefen ihr übers Gesicht, Doktor Bolt drückte ihren Oberarm und sagte:
„Das habe ich auch nicht angenommen, aber so bleibt ihr eine lange Leidenszeit erspart.“
Sie verabschiedeten sich, Z liess sich wieder nach Hause chauffieren, im Wissen, dass ab heute alles anders werden würde.
Michels Heimweg war alles andere als ein Spaziergang, seine Gedanken kreisten dauernd um C. Er hat ihn in dieser kurzen Zeit sehr ins Herz geschlossen, die Chemie zwischen ihnen hatte von Anfang an gestimmt. Ihm war klar, dass diese Beziehung nur auf Zeit war, doch er blendete dies immer wieder aus.
Zuhause angekommen entledigte er sich seiner warmen Kleidung, er verspürte einen immensen Hunger. Dieser wurde zusätzlich durch den Duft der Zwiebelringe, die Marga goldgelb röstete, angeregt. Sein Vater sass schon am Tisch in der Küche, sein Blick ähnelte einem Hund, der vor dem Erschiessungskommando stand. Michel klopfte ihm liebevoll auf die Schulter: „Es wird schon. Wir müssen jetzt die Zeit verstreichen lassen und hoffen, dass alles wieder so wie früher wird.“
Marga setzte sich zu ihnen, nachdem sie ihrem Sohn einen Tee vorsetzte.
Er zog den Brief, besser gesagt den Zettel heraus, den C vor der Reise schrieb. Beide rückten näher und lasen die wenigen aber aussagekräftigen Worte. Marga wusch sich die Tränen ab, sie liefen schon seit heute Morgen. Woher nahm sie nur den Nachschub, dachte Michel. Sein Vater atmete tief ein und sprach: „Ich habe keine Angst vor dem, was später kommen wird, ich fürchte mich vor dem, was in den nächsten Tagen geschieht. Er trägt keine Winterkleidung, der Schnee steht bereits in den Startlöchern. Der Weg wird bei den angedrohten Wetterverhältnissen min destens drei Tage in Anspruch nehmen. Er kennt keine Abkürzungen, er wird dem Fluss folgen, wenn er zu spät abzweigt, hat er auf jeden Fall einen Tag länger.“
„C ist dank euch in einer körperlich guten Verfassung, er wird das mit seinen Fähigkeiten schon meistern“, sprach er zur Beruhigung. Marga klopfte halbherzig auf den Tisch und sagte: „Wir müssen zur Polizei um es zu melden, dann werden sie nach ihm suchen. Wir können doch nicht weiter machen, als ob nichts passiert wäre. C wird das nicht ohne fremde Hilfe überstehen. Es gibt keinen anderen Weg.“
Michel meldete sich.
„Ausser wir suchen ihn, Joschi wird bestimmt auch mitmachen. Wir sind schneller als C, wenn wir ihn finden, begleiten wir ihn bis zur Stelle, wo ihr ihn gefunden habt.
Wir könnten uns die Pferde von Karl ausleihen, wir sagen ihm, dass wir einen Ausritt unter Männer unternehmen, da hat er sicher nichts dagegen.“
„Die Idee finde ich gut, so würden wir, also Joschi und ich, auch wieder etwas gut machen. Einzig der Schnee könnte unserem Vorhaben ein Ende setzen, doch lassen wir es darauf ankommen. Die Polizei würde auch nicht schneller handeln, die bewegen sich kaum wegen des ausländischen Jungen.“ Marga stand auf und sprach in einem scharfen Ton: „Wenn es ihm nur hilft und euch nicht schadet. Eines müsst ihr mir versprechen, gefährdet euch selbst nicht, sonst ist am Schluss niemandem geholfen. Ich mache das Essen fertig, bis dahin kannst du Joschi fragen, doch ohne Schnapspause. Sohnemann, du holst die Pferde bei Karl, sag ihm, er hätte was gut bei uns. So verlieren wir keine Zeit!“
Michel war von seiner Mutter überrascht, ohne etwas dagegen zu sagen, bejahte er und verschwand, wie es auch sein Vater tat.
Nach einer knappen halben Stunde waren alle vollzählig eingetroffen. Vater und Sohn bepackten die Pferde mit allem Nötigen, Marga bat Michel, die Sachen von C mitzunehmen.
Sie hatte den Tisch gedeckt und das Essen serviert, Joschi war schweigsam.
„Hast du Bedenken Joschi?“, fragte Koni.
„Nein nein, ich habe mich nur gefragt, was wir machen, wenn wir ihn tot finden. Dann sind wir wieder am Anfang unserer schlechten Geschichte.“ Koni dachte wie die anderen kurz nach.
„Deine Überlegungen sind berechtigt, ich schlage vor, dass wir Pickel und Schaufel mitnehmen.“ Sprach Koni und brachte die anderen damit kurz zum Schweigen.
Nach dem Essen ritten sie los, Marga hielt nach ihrem Verschwinden ein inniges Gebet.
Ihr primäres Ziel war die Hütte von Michel. Von dort aus starteten sie die Aufholjagd, obwohl schon später Nachmittag war. Normalerweise würden sie erst am folgenden Morgen losreiten, doch es war alles andere als normal.
Die absolute Dunkelheit umgab Orsen wie ein schwarzer Umhang, er schaute umher, sah jedoch nichts. Er tappte wortwörtlich im Dunkeln, er tastete erst den Raum direkt um sich herum ab. Er spürte nur den kalten Boden unter sich, streckte die Hand in das über ihm liegenden nichts.
Er versuchte, sich langsam aufzurichten, stehend befühlte er wiederum alles um sich herum ab. Nichts war fühl oder fassbar, ein unangenehmes Gefühl überkam ihn. Er traute sich kaum, sich zu bewegen, das Dunkle bremste seine Neugier. Orsen durchsuchte die Taschen seiner Kleidung, alles leer, wie befürchtet. Er holte tief Luft und bemerkte, dass sie nach Erde sowie Moos roch.
Durch das ruhige Verharren erhoffte er sich, fremde Geräusche wahrzunehmen. Es war der stillste Raum, wenn es einer war, in dem er je stand. Er nahm allen Mut zusammen und rief leise in die Dunkelheit, ein dezentes Echo war die einzige Antwort. Er rief immer lauter, doch nur dieses Echo war zu vernehmen. Genervt schrie er, so laut wie er nur konnte, nichts, nur die Kehle tat weh und fühlte sich trocken an. Leicht fröstelnd begann er die Umgebung Schritt für Schritt abzugehen, die Hände immer halb ausgestreckt voran. Schnell wurde ihm klar, dass der Raum nicht sonderlich gross sowie aus Stein war. Er ging langsam in die Hocke, dabei fing er an zu überlegen.
Wo befand er sich, woher hatte er so einen seltsamen Geschmack im Gaumen? Die Augen tränten leicht, den Grund dafür kannte er nicht. Die Erinnerungen meldeten sich schleichend zurück, die Nacht mit dieser Frau namens Clara, die Fahrt zum Hotel und dann … Er konnte sich nicht mehr an die Ankunft, wenn er überhaupt ankam, erin- nern.
Von den steten Weiterbildungskursen bei der Polizei wusste er, dass er auf keinen Fall die Fassung verlieren durfte. Sein Verhalten könnte für den weiteren Verlauf entscheidend sein. Er setzte sich auf den Boden und überdachte seine Situation völlig nüchtern. Offenkundig hat mich jemand entführt und hier eingesperrt, aber warum?
Die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, er glaubte die Umrisse des Raums zu erkennen. Die Mauern bestanden aus grossen Blöcken. Die Höhe erahnte er nur, da ihr Ende nicht sicht sowie fühlbar war. Plötzlich bemerkte er, dass seine Blase, die er bisher vergass, ihn so sehr nötigte, dass er Bauchschmerzen bekam. Kurzentschlossen stand er auf und löste sein Problem an einer Mauer. Der Geruch des austretenden Urins erinnerte ihn an ein Gewürz, er konnte es nicht bestimmen. Kaum uriniert hörte er ein dumpfes Stampfen, ein Stein in der Mauer bewegte sich.
Der Lichteinfall, der die Dunkelheit durchbohrte, blendete Orsen. Ein dumpfes Aufschlagen verriet, das etwas auf den Boden fiel, danach folgte erneut das Steingeräusch und alles war wieder ruhig.
Er versuchte zu rufen, bekam aber kein Wort aus seiner Kehle, sie war wie zugeschnürt. Anschliessend schlich er, die Hände nach vorne gerichtet, leise in die Richtung, von wo aus er das Licht vermutete. Er bewegte sie synchron wie Scheibenwischer, plötzlich stiess er mit etwas zusammen und blieb schlagartig stehen.