Das Erdbeben in Chili von Heinrich von Kleist: Reclam Lektüreschlüssel XL - Heinrich von Kleist - E-Book

Das Erdbeben in Chili von Heinrich von Kleist: Reclam Lektüreschlüssel XL E-Book

Heinrich Von Kleist

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Beschreibung

Reclam Lektüreschlüssel XL – hier findest du alle Informationen, um dich zielsicher und schnell vorzubereiten: auf Klausur, Referat, Abitur oder Matura! Differenziert, umfassend, übersichtlich! - Präzise Inhaltsangaben zum Einstieg in den Text - Klare Analysen von Figuren, Aufbau, Sprache und Stil - Zuverlässige Interpretationen mit prägnanten Textbelegen - Informationen zu Autor:innen und historischem Kontext - Hilfreiche Infografiken, Abbildungen und Tabellen - Aktuelle Literatur- und Medientipps - Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen - Zentrale Begriffe und Definitionen als Lernglossar Ein Erdbeben verheerenden Ausmaßes erschüttert die Stadt St. Jago im Königreich Chile. Die Naturkatastrophe, die vielen entsetzliches Leid bringt, bedeutet für Jeronimo und Josephe das größte Glück. Dem unverheirateten Paar stand der baldige Tod bevor: Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes erwartete Josephe die Todesstrafe; der inhaftierte Jeronimo plante seinen Suizid. Durch das Erdbeben davor bewahrt, findet die junge Familie wieder zusammen – doch religiöse Fanatiker deuten das Beben als göttliche Rache und gefährden so erneut das unerwartete Glück.

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Seitenzahl: 131

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Heinrich von Kleist

Das Erdbeben in Chili

Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler

Von Mathias Kieß

Reclam

Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:

Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili. Hrsg. von Martin C. Wald. Stuttgart: Reclam 2019. (Reclam XL. Text und Kontext, Nr. 19409.)

 

Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8002.

 

E-Book-Ausgaben finden Sie auf unserer Website

unter www.reclam.de/e-book

 

 

Lektüreschlüssel XL | Nr. 15528

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961825-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015528-8

www.reclam.de

Inhalt

1. Schnelleinstieg

2. Inhaltsangabe

(1) Erster Satz (S. 5, Z. 2 – S. 5, Z. 8)

(2) Die Vorgeschichte (S. 5, Z. 8 – S. 6, Z. 31)

(3) Wie Jeronimo das Erdbeben erlebt (S. 6, Z. 31 – S. 9, Z. 27)

(4) Wie Josephe das Erdbeben erlebt (S. 9, Z. 28 – S. 11, Z. 8)

(5) Liebesglück und soziale Utopie (S. 11, Z. 9 – S. 15, Z. 23)

(6) Gottesdienst und Lynchjustiz (S. 15, Z. 24 – S. 21, Z. 19)

(7) Ende und Ausblick (S. 21, Z. 20 – S. 22, Z. 5)

3. Figuren

Jeronimo und die Familie Asteron

Familie Ormez

Die Peiniger

4. Form und literarische Technik

Gattung

Aufbau

Sprache und Stil

Erzählform und -verhalten

5. Quellen und Kontexte

Die politische Situation in Chile vom 17. bis 19. Jahrhundert

Das Erdbeben von 1647 und die Stadt Santiago

6. Interpretationsansätze

Das Erdbeben von Lissabon und Theodizee

Naturzustand als Utopie

Der aufgebrachte Mob und die Lynchjustiz

Die Philosophie des Utilitarismus

Bezug auf Bibelstellen

Zufall und bewusst stilisierte Darstellung

Der letzte Satz

7. Autor und Zeit

Geschichtlicher Kontext

Kleists Leben

Kleists Tod

8. Rezeption

9. Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen

Aufgabe 1: Erörterung eines pragmatischen Textes

Aufgabe 2: Innerer Monolog Don Fernandos

Aufgabe 3: Interpretation einer Schlüsselstelle

Aufgabe 4: Literarische Charakteristik Jeronimos

10. Literaturhinweise/Medienempfehlungen

Text- und Werkausgaben

Zu Kleists Biografie

Zum Erdbeben in Chili

Medienempfehlungen

11. Zentrale Begriffe und Definitionen

1. Schnelleinstieg

Autor

Heinrich von Kleist, geb. 18. Oktober 1777 in Frankfurt (Oder), gest. 21. November 1811 am Kleinen Wannsee, Berlin

Entstehungszeit und Veröffentlichung

Entstehung vermutlich 1806

Erstveröffentlichung im Morgenblatt für gebildete Stände, einer Literaturzeitschrift der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung im Jahr 1807 (unter dem Titel: Jeronimo und Josephe. Eine Scene aus dem Erdbeben zu Chili vom Jahr 1647)

1810 Veröffentlichung im Band Erzählungen (unter dem heutigen Titel)

Gattung

Erzählung/Novelle

Handlung

Eltern eines unehelichen Kindes entgehen dank eines Erdbebens ihrer Strafe und werden im Anschluss von einer wütenden Meute getötet.

Handlungszeit

Zwei Tage und eine Nacht, mit zwei Rückblenden

Handlungsorte

St. Jago, Hauptstadt des Königreichs Chili (Santiago, Chile), und Hügel vor der Stadt

Heinrich von Kleist wurde nur 34 Jahre alt. Zu seinen Lebzeiten kommt seine literarische Karriere nur schwer ins Rollen. Zwar schreibt er einige mehr oder weniger bekannte Dramen, aber er schafft es nicht, Förderer für sich zu gewinnen oder Kritiker von sich zu überzeugen. Nachdem er sich 1811 am Kleinen Wannsee das Leben nimmt, dauert es noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, bis seine Werke wiederentdeckt und von der Kritik Kleists literarischer Erfolggelobt werden. Oft erhalten die Dramen den Vorrang vor den Erzählungen und finden schnell den Eingang in den Kanon der Schulliteratur.

Erst viel später ist dies auch den Erzählungen vergönnt. Besonders die kunstvollen und informationsreichen Schachtelsätze machen ihren Charme aus, und dank der relativen Kürze der Prosa eignen sie sich gut für den Deutschunterricht. Auch Kleists Das Erdbeben in ChiliErzählung Das Erdbeben in Chili ist nicht sehr umfangreich und kann in wenigen Unterrichtsstunden behandelt werden. Trotzdem gelingt es Kleist, mehrere philosophische Themen parallel zu behandeln und seine Leserinnen und Leser von Beginn an zu fesseln.

Die Erzählung spielt im Jahre 1647 und wurde 1807 in der Literaturzeitschrift Morgenblatt für gebildete Stände veröffentlicht. Demnach liegen etwa 160 Jahre zwischen der behandelten Zeit und der Gegenwart des Autors. Die Literaturwissenschaft spricht in einem solchen Fall von einer Doppelte Historizitätdoppelten Historizität. Wollen Leserinnen und Leser aus dem 21. Jahrhundert das Werk in Gänze verstehen, so müssen sie sowohl mit den Besonderheiten der Mitte des 17. Jahrhunderts als auch mit den Besonderheiten des beginnenden 19. Jahrhunderts ein wenig vertraut sein.

Tatsächlich gab es im Jahr 1647 in Chile (in der Erzählung: »Chili«) ein Das Erdbeben von LissabonErdbeben, das auch die Hauptstadt Santiago (in der Erzählung: »St. Jago«) getroffen hat. Geistesgeschichtlich bezieht sich Kleist jedoch auf das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755. Nach dieser Naturkatastrophe gab es zahlreiche Debatten in Philosophie und Theologie, die sich der Frage nach einem gerechten Gott und dem Sinn von Religion im Allgemeinen widmeten. Dieses Erdbeben fand direkten Eingang in die Schriften von Voltaire, Rousseau und Kant und beeinflusste Literaten bis zur Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert.

2. Inhaltsangabe

Kleists Erzählung ist nicht weiter in Kapitel, jedoch in der diesem Lektüreschlüssel zugrunde liegenden Ausgabe in 31 Absätze unterteilt (zur Absatzeinteilung verschiedener Textfassungen siehe Kapitel »Form und literarische Technik«, S. 54). Diese durch den Autor vorgegebene Einteilung hilft bei einer inhaltlichen Annäherung an die Erzählung kaum, da die Absätze zu zahlreich sind. Deshalb soll hier eine Einteilung in sieben Sinnabschnitte erfolgen, die zwar unterschiedlich lang sind, aber jeweils einem neuen Handlungsteil entsprechen.

(1) Erster Satz (S. 5, Z. 2 – S. 5, Z. 8)

»In St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken.« (S. 5)

In nur einem – wenn auch sehr langen – Satz gelingt es Kleist, Handlungszeit und -ort, eine der Hauptfiguren und die Ausgangssituation zu benennen. Und diese hat es in sich: Ein junger Sträfling will sich selbst töten, als ein Erdbeben einsetzt. Unweigerlich drängen sich den Leserinnen und Lesern Zwei Fragenzwei Fragen auf. Wie kam der Mann in diese Situation? Und wie wird sie sich auflösen? Die erste Frage betrifft die Vergangenheit und Gegenwart des Häftlings. Man will erfahren, welches Verbrechen er begangen hat und warum er sich umbringen will. Die zweite Frage betrifft seine Zukunft. Die Leserinnen und Leser fragen sich, wie es ihm ergehen wird, ob er sich befreien kann, ob er weiterhin an seinem Wunsch zu sterben festhalten wird.

(2) Die Vorgeschichte (S. 5, Z. 8 – S. 6, Z. 31)

Nach diesem komprimierten Beginn erhalten die Leserinnen und Leser zunächst Antworten auf den ersten Fragenkomplex. Um Spannung aufzubauen, erzählt Kleist zunächst die Vorgeschichte des Protagonisten. Jeronimo war Hauslehrer bei einem der reichsten Adligen der Stadt und wird entlassen, weil er eine Affäre mit der Tochter des Hauses, Josephe, hat (S. 5).

Josephe im KlosterJosephe wird von ihrem Vater in ein Kloster geschickt. Doch Jeronimo findet weiterhin Wege, sie zu treffen. Josephe wird schwanger und ihre Wehen setzen während der Feierlichkeiten zu Fronleichnam ein. Hat sie es bisher anscheinend geschafft, ihre Schwangerschaft geheim zu halten, so erregt sie nun »außerordentliches Aufsehn« (S. 5) und wird ohne Rücksicht auf ihren Zustand in ein Gefängnis gesperrt. Eine schwangere Nonne ist ein Skandal zu dieser Zeit, und der Erzbischof macht ihr gleich nach der Entbindung ihres Kindes den Prozess. Weder ihre einflussreiche Familie noch die ihr gut gesinnte Klostervorsteherin schaffen es, die Todesstrafe für Josephe abzuwenden. Lediglich der Feuertod soll ihr erspart bleiben, denn der Vizekönig setzt sich dafür ein, dass Josephe enthauptet werde. So ist der Verurteilten zumindest ein schneller Tod vergönnt (S. 6).

Verglichen mit seiner Geliebten ist es Jeronimo relativ gut ergangen. Er wurde lediglich ins Jeronimo im GefängnisGefängnis gesperrt. Dort erfährt er vom Schicksal Josephes, denn die Hinrichtung ist ein großes Event. Fenster und Dächer, von denen aus man einen guten Blick auf das Geschehen hat, werden vermietet, und die »frommen Töchter der Stadt luden ihre Freundinnen ein« (S. 6). Jeronimo misslingen Ausbruchsversuche und so beschließt er, zeitgleich mit seiner Geliebten durch die eigene Hand zu sterben.

(3) Wie Jeronimo das Erdbeben erlebt (S. 6, Z. 31 – S. 9, Z. 27)

Die Vorgeschichte geht sanft und ohne klaren Schnitt in die Gegenwart der Erzählung über. Nur durch das Textsignal »wie schon gesagt« (S. 6) bemerken die Leserinnen und Leser, dass nun wieder die Situation des ersten Satzes erreicht ist. Dieser erste Satz hätte an dieser Stelle stehen müssen, wenn der Erzähler sich an die chronologische Reihenfolge der Ereignisse gehalten hätte. Da er jedoch am Anfang steht, dient er als Vorausblende.

Zu Beginn des Erdbebens setzt sich der Überlebensinstinkt Jeronimos gegen seinen Todeswunsch durch und er klammert sich an den Pfeiler, an dem er sich eigentlich erhängen wollte (S. 7). Aus dem zerstörten Gefängnis kann der Häftling nach draußen flüchten.

Anschließend beschreibt der Erzähler das Darstellung des ErdbebensErdbeben und wie es Jeronimo glückt, aus der Stadt zu entkommen. Es gelingt dem Autor durch zahlreiche Personifikationen und zwei parallel gestaltete Sätze, die Gleichzeitigkeit und die Grausamkeit zahlreicher Einzelbeobachtungen darzustellen (S. 7); eine genaue Analyse folgt in Kapitel 4 (S. 57–59).

Außerhalb der Stadt sinkt Jeronimo für eine Viertelstunde bewusstlos nieder. Als er aufwacht, stellt er seine Jeronimo kommt mit dem Leben davonUnversehrtheit fest. Glücklich genießt er die blühende Landschaft, die St. Jago umgibt. Einzig die »verstörten Menschenhaufen« (S. 8) stören die Idylle. Er dankt Gott für sein Leben und beginnt vor Glück zu weinen. Als er sich an Josephe und die geplante Hinrichtung erinnert, ändert sich seine Einstellung Gott gegenüber zum Negativen: »fürchterlich schien ihm das Wesen, das über den Wolken waltet« (S. 8). Sofort begibt sich Jeronimo auf die Suche nach seiner Geliebten.

Obwohl eine Passantin auf die Nachfrage, ob die Hinrichtung vollzogen wurde, behauptet, Josephe sei enthauptet worden, Suche nach Josephesucht Jeronimo nach kurzem Wanken unbeirrt weiter (S. 8 f.). Die Wege um die Stadttore sind mittlerweile voller Menschen, die sich aus der Stadt retten. Andere haben sich bereits vor der Stadt niedergelassen. Jeronimo sucht die gesamte Umgebung ab, und als die Sonne schon wieder unterzugehen droht, findet er Josephe, die gerade ihr gemeinsames Kind Philipp in einer Quelle wäscht (S. 9). Sie umarmen sich glücklich.

(4) Wie Josephe das Erdbeben erlebt (S. 9, Z. 28 – S. 11, Z. 8)

Nun durchbricht der Erzähler ein zweites Mal die chronologische Reihenfolge der Ereignisse und springt einige Stunden in die Vergangenheit, indem er berichtet, wie die zweite Hauptfigur das Erdbeben er- und überlebt.

Josephe befindet sich auf dem Weg zum Richtplatz, als das Erdbeben einsetzt. Die Prozession wird durch das Beben auseinandergesprengt, und sie flüchtet Richtung Stadttor, als sie sich an ihren Josephe rettet ihren SohnSohn Philipp erinnert, der noch im Kloster ist. Sie findet das Kloster in Flammen vor, und die Äbtissin schreit um Hilfe, da das Baby noch im Inneren ist. Unerschrocken geht Josephe in das Klostergebäude und rettet das Baby aus Flammen und Rauch.

Anschließend muss sie mit ansehen, wie die Äbtissin und einige Schwestern unter Trümmerteilen begraben werden. Die junge Mutter bleibt kurz zurück, um der Klostervorsteherin die Augen zu schließen. Auf ihrer Flucht aus der Stadt findet sie die Die am Prozess Beteiligten sind totLeiche des Erzbischofs (S. 10) – er hat Josephe zuvor den Prozess gemacht (S. 5). Auch die Gebäude, die ihren Leidensweg verdeutlichen, sind zerstört: das väterliche Haus, das Kloster, die Kathedrale des Erzbischofs, der Palast des Vizekönigs und der Gerichtshof, in dem das Urteil gesprochen wurde (S. 10).

Während die eben erwähnten zerstörten Gebäude in rascher Folge aufgezählt werden, erhält das zerstörte Auch das Gefängnis ist zerstörtGefängnis mehr Raum in der Erzählung: Zunächst sinkt Josephe nieder, da sie davon ausgeht, ihr geliebter Jeronimo liege unter den Trümmern begraben. Doch dann wird sie sich bewusst, dass dieser Schluss nicht notwendigerweise wahr sein muss. An einer Gabelung wartet sie auf Jeronimo. Mit der Zeit gibt sie die Hoffnung jedoch auf und begibt sich in ein »dunkles, […] beschattetes Tal«, in dem sie auf Jeronimo trifft und das für sie so zum »Tal von Eden« (S. 11) wird.

(5) Liebesglück und soziale Utopie (S. 11, Z. 9 – S. 15, Z. 23)

Geschickt leitet Kleist wieder in die Gegenwart der Erzählung über: »Dies alles erzählte sie jetzt voll Rührung dem Jeronimo« (S. 11). Sie verbringen die erste Nacht nahe der Quelle, an der sie sich wiedergefunden haben, und denken darüber nach, »wie viel Elend über die Welt kommen musste, damit sie glücklich würden« (S. 11). Bevor sie im Morgengrauen einschlafen, entscheiden sie sich, schnellstmöglich in die nahegelegene Hafenstadt La Conception zu reisen, um von dort aus nach Spanien einzuschiffen, wo Jeronimos Verwandte wohnen. Das Liebespaar scheint sich also bewusst, dass sein Glück nur so lange anhält, wie die Wirren des Erdbebens die Stadt im Griff haben.

Am nächsten Tag passiert etwas Unerwartetes. Das junge Liebespaar wird in eine Familiengemeinschaft eingeführt: Als Don Fernando Ormez und seine FamilieDon Fernando Ormez, ein angesehener Bürger der Stadt, fragt, ob sein Sohn Juan an Josephes Brust gesäugt werden könne, da seine Frau Donna Elvire schwer verletzt sei, gibt Josephe ihre Zustimmung (S. 12). Schnell lernen sie beim Frühstück auch den Rest der Familie kennen. Das sind Don Pedro, Fernandos Schwiegervater, und dessen drei Töchter; die eben erwähnte Donna Elvire mit ihrem Säugling Juan, sowie Donna Elisabeth und Donna Constanze. Rasch entwickelt sich eine Vertrautheit zwischen dem wiedervereinten Liebespaar und der Familie. (Eine Übersicht über die Familie findet sich auch im Figurenverzeichnis des dritten Kapitels dieses Lektüreschlüssels, S. 26.)

Immer wieder wird betont, mit welcher Freundlichkeit (S. 12) die Stimmung der Überlebenden untereinanderÜberlebenden miteinander umgehen und wie liebreich (S. 13) ihre Blicke sind. Nur Donna Elisabeth schaut bisweilen verträumt auf Josephe. Sie war von einer Freundin zur Hinrichtung von Josephe eingeladen worden, ist dem Spektakel jedoch ferngeblieben.

Aus der Stadt wird von Unfrieden und Gewalt berichtet: So beschwören Geistliche das Ende der Welt, und der Vizekönig hat Galgen errichten lassen, um Plünderern Einhalt zu gebieten. Da für gerichtliche Verfahren und der damit einhergehenden Wahrheitsprüfung der Anschuldigungen keine Zeit ist, sind auch Unschuldige der Anarchie und Lynchjustiz in der StadtLynchjustiz zum Opfer gefallen. So findet ein Mann den Tod, der sich durch ein brennendes Haus zu retten versucht, weil dessen Besitzer ihn für einen Dieb hält (S. 13). Auch anarchische Tendenzen sind zu erkennen: Bewohnerinnen und Bewohner behaupten, »es gäbe keinen Vizekönig von Chili mehr!« (S. 13).

Nicht nur innerhalb der Familie, sondern unter allen Überlebenden, die außerhalb der Stadt verweilen, ist die Stimmung trotz oder gerade wegen des erlebten Unglücks positiv. Was der Erzähler beschreibt, gleicht einer Eine soziale Utopie?sozialen Utopie: Der »menschliche Geist« gehe »wie eine schöne Blume« (S. 14) auf und das Unglück habe alle »zu einer Familie gemacht« (S. 14). Die Ständegesellschaft scheint überwunden, wenn »Fürsten und Bettler, Matronen und Bäuerinnen, Staatsbeamte und Tagelöhner, Klosterherren und Klosterfrauen« (S. 14) nebeneinanderliegen und sich gegenseitig helfen. Die oberflächlichen Gespräche, die man sonst beim Teetrinken führt, weichen nun Erzählungen von echtem Heldentum, und es gibt nicht eine einzige Figur, die nicht Großes erlebt oder geleistet hat (S. 14).

Josephe pflegt währenddessen die Wunden von Donna Elvire (S. 13). Die beiden Frauen kommen dabei ins Gespräch, und Josephe lässt sich vom optimistischen Geist der anderen anstecken und Josephe öffnet sich Elvire?erzählt möglicherweise, dass sie die verurteilte Straftäterin ist und wie ihre kleine Familie wieder zusammengefunden hat. Der Erzähler bleibt hier vage: »Und da Josephe ihr, mit beklemmten Herzen, einige Hauptzüge davon angab« (S. 13), ergriff Donna Elvire »ihre Hand und drückte sie, und winkte ihr, zu schweigen« (S. 14). Auch wenn die Leserinnen und Leser nicht explizit erfahren, wie viel Josephe von sich preisgibt, so wird doch angedeutet, dass Elvire darum weiß, dass es sich bei ihrer Gesprächspartnerin um die zum Tode Verurteilte Josephe handelt.

Jeronimo und Josephe sind von der Stimmung unter den Menschen im Tal vor der Stadt so überwältigt, dass sie ihren Jeronimo gibt Fluchtplan auf