Das erste Fundament - Band I - Michel Peltriaux - E-Book

Das erste Fundament - Band I E-Book

Michel Peltriaux

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Beschreibung

»Das Haus wählt seine Besucher sehr gezielt aus. Und Sie, Mr. Miller - Das Haus hat gute Gründe, weshalb ausgerechnet Sie hier sind.« Ein Gebäude, das es nicht geben dürfte. Wahrheiten, die nicht real sein dürften. Ein junger Mann, am Anfang einer Reise ins Ungewisse. Wider Willen gerät Andrew in einen Sog, der ihn und die Welt für immer verändern wird. Doch je tiefer er in den Kaninchenbau stürzt, je größer die Zweiffel an sich und der Realität werden, desto stärker brennt das Verlangen in ihm zu Verstehen - und zu Handeln.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


 

 

 

 

 

 

 

Das erste  Fundament

Band I

 

 

Prolog

 

Fünfter Februar 2002

 

»Was tun wir?! Was passiert, wenn sie uns sieht?!«, flüsterte er panisch über das Bett hinweg.

Schweigend ermahnte sie ihn leise zu sein und wies ihn erneut an, danach zu greifen. Es an sich zu reißen. Sie schien ihn geradezu anzubetteln, dass er endlich auf sie höre. Was war das nur in ihrem Blick? Er erkannte sie kaum wieder. Was hatte sie gesehen? Was würde passieren, wenn er es nicht berührte? Warum musste ausgerechnet er es an sich nehmen? Warum er? Das pulsierende Leuchten erhellte ihr Gesicht und zog lange Schatten durch den Raum. Sie wiederholte ihre Aufforderung ein weiteres Mal. Die Panik, die in ihren Augen bebte, ließ ihn endlich handeln. Sie verließ sich auf ihn - er hatte es ihr versprochen! Endlich streckte er den Arm aus und fühlte das Zittern der Luft, während sich seine Finger näherten. Plötzlich glitt eine schnelle, geräuschlose Bewegung durch seinen Augenwinkel. Ein Schatten regte sich bei der Tür und reflexartig fuhr sein Kopf herum, wo er sie mit gezogener Waffe im Türrahmen stehen sah, den Lauf auf sie gerichtet. Sie hatte sie also eingeholt. Sprachloses Entsetzen lag in ihrem Blick, als sie sah, wie er bereits danach griff und jeden Augenblick seine Hand darum schließen würde. Sein Blick hingegen schnellte wieder nach vorne. Sie, die ihm gegenüber stand, riss den Mund auf als wollte sie ihn anschreien, es endlich an sich zu reißen. Er musste jetzt zugreifen. Musste es beenden. Durfte nicht länger …

Ruckartig zuckte ihr Kopf. Blut verteilte sich an der Wand zu ihrer Seite. Dann erst hallte der Schuss von den Wänden des Zimmers wieder. Durch die Wucht des Treffers aus dem Gleichgewicht gebracht, schwankte ihr Körper einen Moment lang, als würde sie sich auf den Beinen halten wollen, nur um letztlich doch zusammenzubrechen. Noch im Moment des Einschlags schien ihr Bewusstsein zu entweichen und ihr Körper, hilflos und allein, wurde sich selbst überlassen. Sein Blick folgte ihrem, der sich schlagartig in der Leere verloren hatte und glanzlos an ihm vorbeiglitt. Ihr Kopf schlug auf dem Nachttisch auf, glitt dann davon ab und hinterließ dabei eine blutige Spur entlang der Holzmaserung, während er die Nachttischlampe scheppernd mit zu Boden riss.

In diesem Moment verlor Zeit jede Bedeutung für ihn.

Ein unerträgliches Pfeifen breitete sich in seinen Ohren aus. Seine Augen zitterten, starrten an die Stelle, an der sie gerade eben noch stand und folgten dann der verschmierten Blutspur, die sich entlang der Wand und über den Nachttisch nach unten zog. Ihr Körper lag leblos am Boden. Unter ihrem Kopf breitete sich eine Blutlache auf dem Teppich aus. Regungslos starrte sie an die Decke.

Sie hatten versagt. Die Waffe bewegte sich. Er hatte versagt. Leere breitete sich in seinem Kopf aus und ließ keinen Gedanken mehr zu. Keinen, außer einem einzigen. Nur ein Bild erlaubte die Leere ihm: Ihr flehender Blick. Er hätte es nehmen können. Ihr Tod war umsonst gewesen. Wieder drückte sie ab, wieder und wieder. Er schloss die Augen. Schwärze. Freiheit.

 

Das Haus

 

Zweiter Februar 2002

 

Die gewaltige gläserne Tür schwang für ihre Größe verblüffend leicht auf und endete nur knapp unter der Betondecke des Eingangsbereichs. Andrew schob sie trotz ihrer Leichtgängigkeit nur so weit auf, dass er sich durch den Spalt in die große Eingangshalle des monumentalen Gebäudes schieben konnte.

Vor ihm erstreckte sich eine längliche Halle, an deren Ende eine Rezeption thronte. Der Tresen war aus denselben großen, schwarzen Steinplatten gearbeitet, die den restlichen Hallenboden auskleideten und erweckte den Eindruck, als würden Boden und Tresen eine untrennbare Einheit bilden. Die beiden Säulenreihen, die zu je einer Seite den Weg zur Rezeption wie eine Allee einfassten, waren hingegen aus demselben Beton gegossen, aus dem auch die Decke über seinem Kopf bestand. Sprachlos ließ Andrew den Blick hinauffahren. Kaltes Licht field aus faustgroßen Bohrlöchern herab und brach sich im Schwarz der Steinplatten. Seine Aufmerksamkeit glitt hinab und richtete sich auf einen Mann, der hinter der Rezeption saß und aufgrund seiner geringen Größe leicht zu übersehen gewesen wäre.

Kerzengerade und erwartungsvoll saß er hinter seinem steinernen Tresen und beobachtete jede von Andrews Bewegungen mit penibler Genauigkeit. Es war still. Sie schienen allein zu sein. Andrew näherte sich mit vorsichtigen Schritten der Rezeption, auf dass er seine Frage nicht durch die große Halle rufen müsste. Bei jedem Schritt quietschten seine Schuhe auf den blank polierten Fliesen und unterstrichen dabei den geradezu lächerlich großen Abstand zwischen Tür und Tresen auf eine für ihn unangenehme Art. Jemand musste viel Zeit und Arbeit investiert haben, um sie derartig auf Hochglanz zu bringen, dachte er bei sich und versuchte so aufzutreten, dass er das Quietschen minimieren könnte - vergeblich. Es hallte von den Betonwänden und der hohen Decke wider und schien sich damit über die Anwesenheit seiner erbärmlichen Gestalt in einem imposanten Gebäude wie diesem geradezu lustig zu machen. Andrew schluckte, als er der Rezeption kaum näherzukommen schien und beschleunigte seinen Gang. Das Tempo des Quietschens erhöhte sich ebenso, was er für den Moment aber eben in Kauf nehmen musste. Es war ihm allemal lieber, als durch die Halle rufen zu müssen.

Endlich erreichte er den Tresen, legte behutsam die Hände auf dem schwarzen Stein ab und warf einen neugierigen Blick auf den Mann dahinter. Eine kleine Arbeitsfläche zog sich hinter dem Tresen entlang, an welcher der Mann auf einem Stuhl saß. Ein geradezu antik wirkendes Telefon stand neben einem fein säuberlich geordneten Stapel Papiere, aus welchem kein einziges Blatt hervorstach. Drei Bleistifte lagen darauf abgelegt und schienen der Größe nach angeordnet zu sein. Es machte auf Andrew nicht den Anschein, dass der Rezeptionist in Arbeit versinken würde.

Der Mann trug ein weites, weißes Hemd mit kurzen Ärmeln, das ihm eindeutig zu groß zu war. Die Knöpfe hatte er bis zum Hals geschlossen, weshalb Andrew eine Fliege oder Krawatte vermisste, die den Hemdkragen abgeschlossen hätte, so wie es normalerweise üblich wäre. So allerdings wirkte die freie Fläche unter seinem Hals geradezu befremdlich leer. Sein weiches Gesicht war sauber rasiert und die dunklen Haare lagen in einem akkurat frisierten Scheitel. An seinem Handgelenk trug der Rezeptionist eine altmodische Armbanduhr mit hellbraunem Lederband, die zugleich sein einziger Schmuck zu sein schien. Selbst im Vergleich zu Andrew war er von eher schmächtiger Statur und mochte stehend wohl kaum größer als ein Schüler gewesen sein. Aufmerksam blinzelte er Andrew mit seinen hellen Augen an und schien darauf zu warten, dass der Besuch nun auch sein Anliegen vortrage, wo er es doch immerhin bis zur Rezeption geschafft hatte.

                 »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er schließlich, als Andrew weiter still blieb und ihn verwundert anstarrte. Als hätte man ihn aus einer Trance gerissen, wirkte Andrew wie überrumpelt und verschluckte sich beinahe an seiner eigenen Spucke, als er nach den richtigen Worten suchte.

»Guten Tag. Ich … also … ich weiß gar nicht, wie ich das jetzt fragen soll, aber … Irgendwie interessiert es mich so sehr, dass ich direkt hier reinkommen musste: Seit wann gibt es dieses Gebäude? Ich kam hier eben vorbei und …«, stammelte er und war von seinen rhetorischen Qualitäten ebenso wenig überzeugt wie sein Gegenüber. Die steigende Aufregung, die sich als Rasen in der Brust bemerkbar machte, konnte er nicht länger ignorieren, nicht zuletzt, da er nicht wusste, woher sie überhaupt kam. War es die unerwartete Frage des Rezeptionisten, die die befremdliche Stille der Eingangshalle durchbrochen und ihn aufgeschreckt hatte?

Noch während Andrew stammelnd nach Worten rang, nahm der Rezeptionist vorsichtig die drei Bleistifte der Größe nach und einzeln vom Papierstapel, zog eines der leeren Blätter hervor, legte dieses vor sich ab und die Stifte in umgekehrter Reihenfolge wieder zurück auf den Stapel. Er nahm sich die Zeit, um sie wieder so anzuordnen, wie sie zuvor gelegen hatten. Andrew beobachtete das Geschehen zunächst beiläufig, senkte aber bald seine Stimme, als es schien, dass der Mann ihm ohnehin nicht zuhörte. Stattdessen beobachtete Andrew ihn schweigend, wie er die Perfektion seines Arbeitsplatzes wiederherstellte und war dabei von diesem Verhalten nicht einmal überrascht. Der Rezeptionist drehte mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen das Papier um, auf dessen Rückseite sich ein kleines Formular offenbarte.

»Name?«, fragte er, ohne von dem Formular aufzublicken. Seine Hände lagen dabei auf der Arbeitsfläche vor sich abgelegt und machten keine Anstalten nach einem der Stifte zu seiner Seite zu greifen

»... Was?«, erwiderte Andrew, durch die unerwartete Frage des Mannes sichtlich irritiert und immer wieder zwischen ihm und dem leeren Formular hin und her. Vergeblich versuchte er zu erkennen, worum es sich bei dem Dokument handeln mochte, wobei er mehr und mehr den Kopf in eine auffällig unauffällige Schieflage brachte, in der Hoffnung, so einen besseren Blick auf das Papier erhaschen zu können.

»Ihren Namen. Ich benötige Ihren Namen«, wiederholte der Rezeptionist höflich und fixierte Andrew mit seinen beinahe unangenehm hellen Augen, von denen Andrew nach einiger Zeit nicht mehr wusste, ob sie einfach durch ihn hindurchblickten, als stünde er gar nicht vor dem Tresen.

»Wozu brauchen Sie …«, setzte Andrew erneut an, doch wurde wieder von dem Mann unterbrochen, der gegen eine flache Schale aus Edelstahl tippte, die neben Andrews Händen auf dem Tresen ruhte. Verwundert blickte Andrew die leeren metallene Schale an. Er konnte sich nicht erinnern, sie beim Betreten der Halle auf dem Tresen gesehen zu haben, was ihn aber, im Vergleich zu dem wundersamen Eingangsbereich selbst, nicht sonderlich überraschte. Sie hatte die Form einer Niere und machte auf Andrew den Eindruck, dass sie aus einem Operationssaal entwendet worden war. Er konnte das Klappern der blutverschmierten Patrone förmlich hören, die in den Filmen in derartige Schalen geworfen wurden, nachdem ein Arzt sie zuvor aus einem angeschossenen Polizisten gezogen hatte.

»Legen Sie bitte Ihr Mobiltelefon und andere elektronische Geräte, wie zum Beispiel Pager, in dieser Schale ab«, führte der Rezeptionist aus und tippte erneut mit seinem schmalen Finger gegen die Schale, ohne sie dabei wirklich zu berühren.

»... Hören Sie: Ich möchte doch nur wissen, seit wann es dieses gigantische …«, erwiderte ein mehr und mehr verwirrter Andrew, doch wurde er gleich wieder aufs Neue unterbrochen.

»Ihre elektronischen Geräte und Ihren Namen brauche ich, bitte. Es wird sich jemand um Ihre Fragen kümmern - keine Sorge. Sie sind hier in einer Behörde und keinem Gefängnis«, versicherte ihm der Rezeptionist mit dem Anflug eines wohlwollenden Lächelns auf den jugendlichen Lippen. Die Mimik war von einer alltäglichen Routine bestimmt, die Andrew wohl ein Gefühl von Sicherheit vermitteln sollte. Doch stattdessen, schien dieser absurde Moment von dem aufgedrängten sicheren Gefühl nur noch absurder zu werden, sodass Andrews Herz noch immer nicht zur Ruhe kommen wollte. Er schluckte, als sich ein ungutes Gefühl, sanft, wie ein schwerer Winterschal, über Nacken und Schultern legte. Andrew biss auf die Innenseite seiner Wange und blinzelte den Mann fragend an.

»Behörde? Ehm … A-Andrew Miller. Ich bin Andrew Miller. Und … Und ich habe gar kein Mobiltelefon. Wenn mich jemand erreichen möchte, kann er auf meinem Festnetz anrufen. Das reicht mir vollkommen aus.«

Der Rezeptionist lugte mit leichter Skepsis im Blick über den Tresen hinauf zu dem jungen Mann, warf einen prüfenden Blick auf das Formular vor sich und blickte dann wieder freundlich lächelnd auf.

»Nein, nein. Sie sind nicht Andrew Miller. Sie werden lediglich Andrew Miller genannt. Die übrigen Angaben sind hingegen korrekt – ausgezeichnet!«

Entgeistert runzelte Andrew über den Unfug, den der kleine Rezeptionist von sich gab, die Stirn und beugte sich erneut über den Tresen, um einen Blick auf das Formular werfen zu können. In den zuvor leeren Feldern standen plötzlich Inhalte. Andrew erkannte seinen Namen am oberen Rand, etwas weiter darunter schienen in einem größeren Kasten Stichpunkte notiert worden zu sein. Verblüfft blickte er zwischen den gefalteten Händen des Mannes und den drei geordneten Bleistiften hin und her. Weder das eine, noch das andere hatte sich gerührt. Er rieb sich die Augen und überlegte wie viele Stunden Schlaf er in der vergangenen Nacht nochmal hatte. War er übermüdet? Hatte er einfach nicht aufgepasst? Oder war das Formular bereits ausgefüllt, als der Mann es vom Stapel gezogen hatte? Doch, wie hätte er Andrews Namen bereits auf dem Formular vorbereiten können, ehe Andrew ihn genannt hatte? War es denn tatsächlich sein Name? Die Gedanken kreisten, schienen ihn vor sich herzutreiben. Ein weiteres Mal lehnte sich Andrew über den Tresen und riss den Kopf herum.

Miller, Andrew.

Für einen Moment des Entsetzens setzte sein Herz aus, erinnerte sich dann daran, dass es eine Aufgabe hatte und schlug umso schneller, als wollte es die verpassten Schläge aufholen. Mit offenem Mund starrte Andrew auf das Formular hinab, während ihn der Rezeptionist freundlich anlächelte. Dieser hatte sich in höflicher Art in seinem Stuhl zurückgelehnt, sodass Andrew, der bald auf seinen Arbeitsplatz fallen würde, ihm nicht zu nahe kam, während er noch immer die Hände gefaltet ablegte. Andrew ließ sich wieder langsam auf seine Seite des Tresens gleiten, noch immer sichtlich verwirrt.

Der Rezeptionist begann leise eine Melodie vor sich hin zu summen und griff in eine Ecke seines Arbeitsplatzes, aus welcher er den schmucklosesten Tischkalender hervorzog, den Andrew jemals gesehen hatte. Keine Sprüche. Keine Motive. Nichts. Es war einfach nur ein Kalender, von dem das heutige Datum in roten Lettern hervorstach.

»Sooo … Andrew Miller. Datum? Zweiter Februar 2002! Welch wunderbare Ziffernfolge - das sind immer die Besten, oh ja! Sehr gut. Alles passt. Ihre Akte liegt bereits vor«, sagte der Rezeptionist und legte den Kalender zurück. Andrew blinzelte schnell, als hätten ihn die Worte aus einem Traum gerissen. Das erdrückende Gefühl, das sich in den Momenten seiner Gedankenverlorenheit verflüchtigt hatte, schlug wieder mit ganzer Härte zu und drohte ihn glatt zu übermannen. Seine Oberarme brannten. Die Unterarme wurden taub, die Fingerspitzen kalt. Das Herz kreischte, schrie ihn an, dass er endlich gehen solle. Kochendes Blei schien sich dabei in seinen Magen zu ergießen und seine Innerein zum Kochen zu bringen. Er schnappte nach Luft.

»Was reden Sie da? … Bin ich …«, sagte er zitternd, als ihm ein Gedanke kam, »Bin ich etwa im Fernsehen? Ist das eine von diesen Shows mit versteckten Kameras in den Ecken?«

Entsetzt hob der Rezeptionist die Hände.

»Grundgütiger - nicht doch! Die ganze Verkabelung, die notwendig wäre. Die elektrischen Interferenzen! Das würde das Fundament nur stören! Und mich erst! Seien Sie unbesorgt – all Ihre Fragen werden zum richtigen Zeitpunkt beantwortet werden. Ich rufe jetzt für Sie an, dass man Sie in Empfang nehmen wird, Mr. Miller. Bitte – fahren Sie doch schon mit dem Aufzug hoch, ja?«, erwiderte der Rezeptionist und führte mit einem eleganten Griff den Hörer des schweren Telefons an sein Ohr und begann die Wählscheibe zu drehen.

»Aufzug? Welcher Aufzug? Hören Sie! Ich will niemanden treffen, verdammt. Ich wollte nur wissen, seit wann es dieses riesige Gebäude hier gibt. Mein ganzes Leben habe ich in New York verbracht aber diesen fensterlosen Betonklotz würde man ja wohl kennen, wenn …«.

»Mrs. Moore? Guten Tag. Mr. Andrew Miller ist soeben eingetroffen. Er wird gleich zu Ihnen stoßen, ich schicke ihn sofort rauf«, sagte der Rezeptionist, als sein Anruf plötzlich entgegengenommen wurde. Andrews Beine begannen zu zittern und stimmten den Schreien in seiner Brust zu, die ihn aufriefen endlich davonzulaufen.

»Eingetroffen?! Sie konnten doch gar nicht wissen …«

Doch noch während er sprach, entfielen ihm die Worte, als die hochkochende Panik mehr und mehr übernahm und ihn zum ohnmächtigen Beobachter seiner selbst werden ließ. Ruckartig schob sein Körper sich vom Tresen fort, als würde er eine unheimliche Anziehungskraft überwinden müssen, die ihn am schwarzen Stein hielt. Er stolperte zurück, entfernte sich rücklings mit schnellen Schritten von der Rezeption, den Blickkontakt zu dem verschrobenen kleinen Mann hinter dem Tresen nicht unterbrechend. Er vertraute ihm nicht. Es sei nichts weiter als eine dieser lächerlichen Sendungen, sagte Andrew immer wieder zu sich selbst. Doch sie übertreibten. Er wollte weg, nein, er musste weg. Der Rezeptionist folgte Andrew mit seinem Blick und ließ den dunklen Hörer zurück in die Halterung gleiten, wobei ein leises Klacken hörbar durch die große Halle schallte. Das Geräusch war das Startzeichen zur Flucht. Andrew wirbelte endlich herum, sprintete in Richtung des Ausgangs, doch waren seine Beine mit einem Male so schwer, als hätten sie sich gegen ihn verschworen und wollten ihn nun, wo es auf sie ankäme, im Stich lassen. Sein Blick raste über die polierten Steinplatten zu seinen Füßen hinauf zur großen Glasfront am anderen Ende der Halle. Doch nach nur wenigen Metern kam er bereits wieder zum Stehen. Die Beine, schwer wie Blei, zitterten wieder, als er es sah. Fast ziellos rasten seine Augen über die massive Betonwand, die sich nur wenige Meter vor ihm über die gesamte Breite der Halle erstreckte.

»Unmöglich«, murmelte Andrew unter seinem panischen Atem hindurch. Es konnte nur eine Attrappe sein, die sie geräuschlos vor den Ausgang bewegt hatten, während der schräge Rezeptionist seine ganze Aufmerksamkeit gebunden hatte. Und wenn es nur eine Attrappe war, musste er sie einreißen können, dachte sich Andrew, rannte auf die Wand zu und warf sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Immer und immer wieder warf er sich gegen eine massive Betonwand, die sich weder rührte, noch den Anschein machte, nicht aus massivem Beton errichtet worden zu sein. Andrew gab nach einigen Versuchen auf und hielt sich die schmerzende Schulter, mit der er sich immer wieder gegen die Wand geworfen hatte.

»Wo ist diese scheiß Tür?! Wo. Ist. Diese. Scheiß. Tür?!«

Sein Brüllen verhallte in dem gewaltigen Raum, während er verzweifelt mit der Faust immer wieder gegen die Betonwand hämmerte, von der er nicht wahrhaben wollte, dass sie so echt war, wie die verschwundene Tür, durch die er dieses Gebäude betreten hatte. Als auch die Faust schmerzte, legte er die Hand auf dem kalten Beton ab, bevor er mit der Handfläche daran entlang tastet. Etwas nach oben, dann wieder nach unten. Etwas mehr links, dann wieder rechts, doch es gab keinen Spalt oder sonst etwas, das darauf hindeutete, dass irgendwer hier schnell einzelne massive Elemente zusammengeschoben hatte, während er abgelenkt war. Die Betonwand bestand aus einem einzigen sauberen Guss. Keine Spalten, keine Risse. Nichts.

Andrews Hand glitt von der riesigen Wand ab, die er noch einige Momente keuchend beobachtete, während seine Gedanken wieder rasten, Schulter und Fäuste schmerzten. Als er keine Antwort fand, drehte er sich schließlich wieder zur Rezeption. Er wäre ihm Antworten schuldig

»Was ist das für ein schlechter Scherz?!«, kreischte Andrew mit der letzten Luft, die seine pumpenden Lungen noch aufbringen konnten, in Richtung der Rezeption. Ihm wurde schwindelig. Die Halle um ihn herum drehte sich bereits. Das Keuchen wurde zu einem Röcheln. Er hustete. Ein metallisches Klappern hallte zu ihm hinüber und wortlos starrte Andrew auf die Quelle dieses Geräuschs, am anderen Ende der Halle. Die Rezeption und der Mann dahinter waren so spurlos verschwunden, wie die Betonwand hinter Andrew aufgetaucht war. An ihrer statt hatte sich hinter der jetzt verschwundenen Rezeption ein Aufzug an der Wand geöffnet, von der Andrew genau wusste, dass diese zuvor genauso leer und schmucklos war, wie die übrigen. Doch ebenso sicher war er, dass sich dort vor ihm vor wenigen Momenten auch noch eine Rezeption befunden hatte, so wie sich hinter ihm eine große Glastür bis unter die Decke erstrecken müsste. Die unheimliche Stille der Halle wurde nur durch Andrews röchelnden Atem gestört, dem das mittlerweile zerzaustes Haar ins Gesicht fiel und auf der verschwitzten Stirn kleben blieb. Die einsame Stille dauerte an. Die Aufzugkabine wartete geduldig auf ihn.

»Was ist das für ein kranker Scheiß?!«, brach es plötzlich aus Andrew hervor, als er die Ecken und Winkel der Halle nach versteckten Kameras absuchte – ohne jeden Erfolg.

»Wer denkt sich so was aus?! Das ist nicht lustig!«

Wieder verhallte seine Stimme unter der hohen Decke, ohne dass er eine Antwort erhielt.

»Bitte eintreten. Den Aufzug im Brandfall nicht benutzen!«

Aus einem Lautsprecher im Aufzug drang eine bekannte Stimme hervor und schien ihn förmlich in seinen Bann zu ziehen. Es war das erste Geräusch, seit dem Verschwinden der Rezeption, das ihn in der Stille abholte. Andrew beäugte den leeren Fahrstuhl, der sich ihm mit geöffnetem Gatter darbot und begriff, dass sie ihm keine Wahl ließen. Langsam näherte er sich dem Aufzug durch die steinerne Halle, begleitet vom Quietschen seiner Turnschuhe.

»Bitte eintreten. Den Aufzug im Brandfall nicht benutzen!«, wiederholte der Lautsprecher, der kaum besser klang als ein billiges Küchenradio. Vor der Schwelle des Aufzugs kam Andrew zum Stehen. Warmes Licht fiel aus einer kunstvollen Deckenleuchte und erhellte die Kabine. Von der Decke bis auf Höhe der Hüfte erstreckten sich zu den beiden Seiten der Kabine Spiegelflächen, die von Haltestangen aus Messing abgelöst wurden, die aus den altehrwürdigen Vertäfelungen aus Wurzelholz hervorragten, die wiederum bis hinab zum Teppichboden reichten. Die Rückwand der Kabine hingegen war vom Boden bis unter die Decke mit den hölzernen Vertäfelungen verkleidet. Einen solchen Aufzug hätte Andrew in einem luxuriösen Grandhotel erwartet, doch niemals an einem Ort wie diesem. Er warf einen prüfenden Blick über seine Schulter. Die Eingangshalle lag unverändert hinter ihm – still und groß und schien geradezu darauf zu warten, dass er endlich den Aufzug besteigen würde.

»Bitte eintreten. Den Aufzug im Brandfall nicht benutzen!«, wiederholte die Stimme ein drittes Mal und jetzt, wo er unmittelbar vor der Kabine stand, erkannte er sie endlich wieder. Wie gebannt starrte er in die offene Kabine, aus der die Stimme des Rezeptionisten drang. Wozu all der Aufwand? Weshalb brachen sie die Dreharbeiten nicht ab, wenn sie doch sahen, dass das, was sie hier von ihm aufnahmen, wohl kaum für Lacher bei den Zuschauern sorgen würde? Die Schwere, die sich auf seinen Schultern breit gemacht hatte, schien plötzlich eine prickelnde Wärme auszustrahlen, die hinab über den Rücken, bis in seine Waden kroch und dabei ein Gefühl verströmte, das Andrew nicht einzuordnen wusste. Zugleich fühlte es sich verängstigend und berauschend an und schien ihn in den Fahrstuhl treiben zu wollen. Wenn es das war, was sie von ihm wollten, dachte er sich, hatte er wohl keine andere Möglichkeit, als ihr Spielchen mitzuspielen.

Endlich setzte er vorsichtig einen Fuß auf den Boden der Kabine, auf den er nur langsam etwas Gewicht verlagerte. Als er aber merkte, dass der Boden zumindest nicht nachzugeben schien oder eine andere Überraschung auf ihn lauerte, zog er auch den zweiten Fuß nach und betrat den Fahrstuhl. Der dunkelblaue Teppichboden unter seinen Schuhen war so stark ausgetreten, dass er an einigen Stellen bereits ergraute und so dünn geworden sein musste, dass er drohte aufzureißen. Andrew drehte sich sachte um, ließ die Hand über die Haltestange zu seiner Seite fahren und begutachtete sein Spiegelbild, das zwischen den verspiegelten Seiten der Kabine bis in die Unendlichkeit geworfen wurde.

Als ihm die fragenden Blicke der tausenden Andrews begegneten, wich er ihnen aus und schaute zurück, in die große Eingangshalle, aus welcher die große Stille ihn ebenso abwartend zu beobachten schien, wie er sie. Sein Blick fuhr durch die Kabine, auf der Suche nach einem Knopf oder Hebel, den er betätigen müsste. Doch das einzige, das sich im Innenraum des Aufzugs befand, war ein kupferner Zeiger über der Tür, welcher auf einer ebenfalls kupfernen Halbkreisplatte montiert war und nach links und rechts schwenken konnte, je nachdem, in welchem Stockwerk sich die Kabine gerade befand. Trotz, dass er sich im Erdgeschoss befand, stand der Zeiger kerzengerade empor und deutete in die Mitte des Halbkreises. Andrew vermutete, dass der Aufzug wohl nicht mehr in der besten Verfassung war, was ihn bei dessen Alter kaum wunderte. Er ertappte sich dabei, wie er für einen Moment der Illusion des Fernsehteams Glauben schenkte. Plötzlich und ohne jede weitere Vorwarnung schloss sich das Messinggatter des Fahrstuhls vor ihm und mit einem Ruck senkte sich der Zeiger über ihm zur linken Seite. Auf einen Moment der Stille folgte ein ohrenbetäubendes Knirschen von gewaltigen Steinen, einer Gerölllawine gleichkommend, die aus der großen Stille der Halle auf die Aufzugkabine zuzurasen schien. Mit Entsetzen sah Andrew, wie der Anblick der Eingangshalle vor der Kabine einfach nach hinten wegzukippen schien, als würde eine Fotowand vor dem Aufzug einfach umkippen und aus dem Sichtfeld der Passagiere ins Bodenlose hinwegstürzen.

Panisch krallte Andrew sich an den Haltestangen zu beiden Seiten fest und beobachtete verstört den entsetzlichen Anblick, der vom ohrenbetäubenden Getöse begleitet wurde. Kaum war der Anblick der Eingangshalle, wie an einem Scharnier, befestigt am Boden der Kabine, außer Sichtweite verschwunden, so war es auch der tosende Lärm. Eine Stille hatte sich in den Fahrstuhl gelegt, die so durchdringend war, dass Andrew das Rauschen des Blutes in seinem Kopf hören konnte. Der Zeiger baumelte nach unten, als wäre die Feder gebrochen, die ihn auf der Platte hin und her bewegt hatte. Andrew versuchte sich so weit wie möglich an das Gatter zu wagen, ohne seinen sicheren Stand in der Mitte des Aufzugs aufzugeben.

Doch dort, hinter dem Gatter, gab es nichts außer einer tiefen Dunkelheit, in die er mit zugekniffenen Augen blinzelte, um in ihr etwas erkennen zu können. Doch die Finsternis ließ keine neugierigen Blicke zu. Es war die reinste Dunkelheit, die Andrew jemals gesehen hatte. So dunkel, dass er nicht wusste, ob sein Kopf ihm Streiche spielte oder er womöglich doch - jenseits des schützenden Gatters - einen gewaltigen Raum ausmachen konnte. Ein Raum, so riesig, dass seine Ausmaße weder gesehen noch begriffen werden konnten und hätte man eine Münze durch das Gatter geworfen, so wäre sie wohl in eine endlose Tiefe gestürzt, nur um vielleicht dort aufzuschlagen, wo sie letzten Endes doch niemand hören würde. Als wäre ein Damm in ihm gebrochen, kochte mit einem Male Todesangst in Andrew hoch. Wo auch immer er war, wie auch immer sie das machten – es machte etwas mit ihm. In purer Verzweiflung schrie er nach Hilfe, hoffte, dass sein Flehen sie endlich erbarmen würde und sie – was auch immer sie mit ihm trieben – endlich abbrechen mögen, doch zu seinem noch viel größeren Entsetzen hörte er nichts. Seine Augen weiteten sich in stiller Furcht, als er spürte, wie sein Hals vibrierte und der Kehlkopf tanzte, wie die Lungen sich unter seiner Anstrengung noch lauter zu brüllen zerdrückten. Er schrie und kreischte unaufhörlich weiter, ohne, dass er auch nur den geringsten Ton vernahm. Die Atempausen wurden kürzer, die Schreie länger. Speichel tropfte aus dem Mund, den er nicht mehr zu schließen wusste. Andrew brüllte aus tiefster Seele, doch niemand hörte ihn – sich damit eingeschlossen. Es blieb still.

Ein plötzlich einsetzendes Vibrieren, das sich zu einem regelrechten Beben auswuchs, ließ den Aufzug unter seinen Füßen immer stärker erzittern. Sein klammernder Griff presste sich um die Haltestangen, die von seinem Angstschweiß bereits so verschmiert waren, dass sie kaum noch Halt boten. Das Beben ließ ihn für einen Augenblick wieder zur Vernunft kommen, sodass er sich den Speichel, der ihm über das Kinn lief, mit dem Ärmel seines Pullovers wegwischte und dem lauschte, das sich durch die Mark und Bein erschütternde Stille näherte. Ein fernes Dröhnen drängte sich mit dem immer stärker werdenden Beben an sein Ohr und wurde mit jeder Sekunde lauter. Der Zeiger begann sich über die rechte Seite der halbkreisförmigen Platte wieder nach oben zu kämpfen und erreichte gerade die Waagerechte, als sich von der Oberseite der Aufzugkabine unter demselben ohrenbetäubenden Knirschen und Getöse ein neuer Anblick herab klappte. Der Flur kam allmählich zum Stehen, als sich Kabinen- und Flurboden auf gleicher Höhe annäherten.

Der Zeiger schlug schließlich in die Vertikale aus, so wie er im Eingangsbereich gestanden hatte und die beiden Böden prallten geräuschvoll aneinander. Ein kurzer Moment der Stille folgte, während dem sich Andrew noch immer an den Haltestangen verkrampfte, um sicherzugehen, dass ihn nicht gleich der nächste Schrecken überraschte. Noch hatte sich das Gatter nicht geöffnet. Flach und keuchend atmete Andrew in den Innenraum der Kabine – das nächste Unheil erwartend und sollte Recht behalten als sich erneut reißender Lärm unterhalb des Kabinenbodens ausbreitete. Er sprang auf der Stelle, fürchtete, dass sich nun der Boden doch noch wegklappen würde und er in die alles verschluckende Finsternis fallen würde, die sich außerhalb dieser Wände versteckte. Doch der Boden gab nicht nach. Stattdessen klang es, als würde sich ein gewaltiger steinerner Riegel langsam in eine Halterung schieben und dort geräuschvoll verkeilen. Wieder wurde es ruhig. Noch nie hatte Andrews Herz so fest geschlagen, wie in diesem Moment. Seine Augen bebten, als sie den Zeiger über sich beobachteten und nicht wussten, ob sie seiner entspannten Haltung Glauben schenken durften.

Doch endlich öffnete sich das Gatter des Aufzugs klappernd und gab den Weg in den Flur frei, der schon nach wenigen Metern in eine Art Lobby überging. Der elegante tiefrote Teppichboden vor der Aufzugkabine war mit geradlinigen weißen Stickmustern verziert und bildete einen harten Kontrast zum ausgetretenen Blau in der Kabine. Holzvertäfelungen aus Mahagoni schmückten die Wände erneut bis zur Hüfte und wurden darüber von cremefarbenen Stofftapeten abgelöst, welche sich bis zur stuckverzierten hohen Decke erstreckten. Geschwungene Lampen entlang der Wände erhellten mit ihren warmgelben Gläsern den kurzen Flur und die dahinterliegende Lobby.

Eine hochgewachsene Frau mittleren Alters stand in erwartungsvoller Haltung am Durchgang zur Lobby und blickte nun, da sich das Gatter geöffnet hatte, von einer Aktenmappe auf. Ihre Aufmerksamkeit galt nun der offenen Kabine und ihrem Passagier, der sich noch immer mit aller Kraft an den Haltestangen des Aufzugs festkrallte und am ganzen Leib zitterte.

»Zweiter Stock. Bitte verlassen Sie den Aufzug«, tönte es blechern aus der Kabine, wobei sich Andrew nicht sicher war, ob er in ihr einen amüsierten Unterton heraushörte. Die Frau näherte sich ihm und machte dabei ein paar Schritte in den Flur, bevor sie erneut stehen blieb. Sie trug einen dunklen Hosenanzug mit weißer Bluse. Der Kragen der Bluse legte sich in großen, eleganten Rüschen, die sich entlang der Knopfreihe fortsetzten. Die Hose, unter der dunkle Anzugschuhe zum Vorschein kamen, endete nur eine Fingerbreite über dem Teppichboden. Ihr glattes, schwarzes Haar reichte nur knapp bis zu den Schultern. Der geradlinige Pony reichte ihr bis zu den Augenbrauen, unter denen kalte, tiefdunkle Augen ernst in die Kabine blickten. Ihr prüfender Blick musterte Andrew von oben bis unten, als sich dieser versuchte, kreidebleich und zitternd, aufzurichten und den Fahrstuhl mit sicherem Schritt zu verlassen.

Vorsichtig setzte er dabei einen schlotternden Fuß vor den anderen und stützte sich dabei an der Holzvertäfelung des Flurs ab. Der Blick der Frau blieb an seinem feucht-verschmierten Kinn und den nassen Flecken auf dem Pullover hängen. Ihrem abschätzigen Blick gesellte sich ein unterschwelliger Ekel bei. Als er ihren Blick bemerkte, versuchte Andrew sich unbeholfen mit dem Arm, den er nicht gerade als Stütze an der Wand benötigte, das feuchte Kinn erneut trocken zu reiben. Ihr Blick wich kurz auf den Teppichboden neben ihm aus, als sie tief auszuatmen schien und sich dann wieder zu ihm wandte, den Kopf dabei leicht erhoben.

»Mr. Andrew Miller. Es ist mir eine Freude, Sie zu empfangen«, sagte sie in professioneller Manier und wirkte dabei nicht im Geringsten erfreut. Im Gegenteil: Die Frau strahlte eine geradezu einschüchternde Strenge und Kälte aus, die kaum weiter von Freude hätte entfernt sein können. Immer noch an der Wand abstützend, versuchte Andrew tief Luft zu holen und gab dabei lediglich ein ungewolltes pfeifendes Jaulen von sich. Als hätte sein Magen erst jetzt begriffen, was er soeben durchgemacht hatte, begann er erst jetzt zu rebellieren, sodass Andrew hoffte, dass er weder die beeindruckenden Holzvertäfelungen, noch die unbezahlbar wirkende Textiltapete oder den erhabenen Teppichboden unter ihm mit seinem Innersten entweihen müsste. Erst recht nicht vor ihrer Gegenwart.

»Wie … wie haben Sie das gemacht?«, nuschelte Andrew unter schwerem Atem und versuchte sich ungelenk von der Wand zu stemmen, wobei er sich schon im nächsten Moment nicht mehr sicher war, ob er sein gesamtes Gewicht bereits wieder allein den Beinen anvertrauen sollte. Die Frau neigte ihren Kopf zu ihm, als hätte sie ihn nicht verstanden. Etwas in Andrew sagte ihm hingegen, dass sie ihn sehr wohl verstanden hatte. Dennoch atmete Andrew tief durch, versuchte seinen Atem zu beruhigen und nochmals deutlicher nachzufragen.

»Ich meine die Wände in der Halle. Sind die … eine optische Täuschung? Oder aus dem Boden ausfahrbar? Irgendwie sowas? Und dann dieser Aufzug. Diese Dunkelheit vor der Kabine… das war doch so ein doppelter Spiegeltrick? So einer, der einen unendlich großen Raum vorgaukelt, richtig? Ist das nicht … ist das nicht alles ein wenig übertrieben, nur für ...«

»Das Haus entscheidet eigenständig über seine Form«, unterbrach sie ihn kurz angebunden, nachdem sie Andrews wirres Rätselraten mit einem deutlich genervten Ausatmen unterbrochen hatte. Nun schritt sie auf Andrew zu, die Mappe fest in ihrem Arm haltend.

»Was soll das heißen … das Haus entscheidet über seine Form?«, entgegnete Andrew und wunderte sich, dass sie noch immer weitermachten, obwohl er doch gerade offen gelegt hatte, dass er genau wusste, dass sie ihn nur mit Taschenspielertricks verwirren wollen. Körper und Magen beruhigten sich allmählich, doch sein Herz schlug noch immer schnell, was nicht zuletzt an der beinahe unheimlichen Ausstrahlung der großen Frau liegen mochte, die kaum mehr eine Armlänge von ihm entfernt war.

»Und wo kommt dieses Gebäude überhaupt her? Ich bin in der Gegen groß geworden und die großen Gebäude kennt hier einfach jeder. Aber das hier … diesen riesigen Betonturm habe ich nie zuvor gesehen oder davon auch nur gehört«, fuhr Andrew fort, während die Frau einen Arm in ihre Hüfte stemmte und ihr Gewicht auf eine Seite verlagerte. Nur eine weitere Geste, die ihren durchdringenden Blick unterstreichen sollte, der auf ihn hinabblickte. Sie war einen guten Kopf größer als er, was ihm erst bewusst wurde, als diese tiefdunklen Augen über ihm thronten.

»Heute sollten Sie es sehen. Heute sollten Sie eintreten. So läuft das eben«, erwiderte sie unbeeindruckt, während ihr Blick Andrew geradezu in seinen Bann zu ziehen schienen. Kaum merklich wechselte dieser zwischen seinen Augen hin und her, als schien sie zu prüfen, über welche Pupille sie am direktesten in seine Seele starren könnte. Ein Schauer fuhr Andrew über den Rücken und für einen Moment überlegte er, ob es womöglich das Beste wäre, einfach wieder in den Fahrstuhl zu steigen – nicht zuletzt, da er so das Gatter zwischen sich und die furchteinflößende Fremde bringen könnte.

»Was soll das heißen … Ich sollte es sehen?«, nuschelte er erneut kaum hörbar. Die Frau schloss für einen Moment die Augen und atmete erneut tief ein, als überlegte sie, wie sie am besten mit jemandem wie Andrew umgehen sollte. Damit hatte er zumindest den Beweis: Sie hatte ihn beim ersten Mal ganz genau verstanden – er sollte zumindest damit Recht behalten. Nach einer kurzen Pause schlug sie die Augen wieder auf und blickte ihn aufs neue eindringlich an.

»Folgen Sie mir bitte, Mr. Miller«, sagte sie mehr anweisend als bittend, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte und in die Lobby voranschritt. Andrew zögerte einen Moment lang, bis ihn aus heiterem Himmel erneut das unbekannte, bedrückende Gefühl aus der Eingangshalle überkam. Schnell warf er einen Blick über die Schulter und fixierte den Aufzug mit Argusaugen, von dem er den Eindruck bekam, dass dieser etwas damit zu tun haben könnte. Doch die Kabine stand regungslos in der Wand und machte einen so gewöhnlichen Anschein, wie er es von einem Fahrstuhl erwarten würde. Das Gefühl schien sich allmählich um seinen Hals zu legen, wärmend und erdrückend, sodass Andrew schlucken musste. Rasch wandte er sich wieder vom Fahrstuhl ab und versuchte mit den weiten Schritten der Fremden mitzuhalten. Die Lobby, die sie durchquerten, war ein quadratischer Raum, zu dessen vier Seiten je ein Flur tiefer in das Gebäude führte. Andrews Blick fuhr empor und bewundernd starrte er gegen die hohe Altbaudecke, an denen sich die stuckverzierten Decken der Flure zu einer imposanten, kunstvollen Verzierung trafen, aus deren Mitte ein in die Decke eingelassenes Licht geradezu Wärme zu spenden schien.

In den Ecken der Lobby, zwischen den Fluren, standen kleine Sitzgruppen mit niedrigen Tischen, auf denen fächerförmig Zeitschriften ausgebreitet lagen. Immer wieder lockerten große schwarze Pflanzkübel mit goldenem Dekor den Anblick auf, in denen großblättrige Pflanzen wuchsen.

Der gegenüberliegende Flur, der aus der Lobby hinausführte, grenzte zu beiden Seiten an vollverglaste Großraumbüros, in denen Personen an Schreibtischen saßen, durch Akten blätterten oder auf Schreibmaschinen tippten. Es waren die ersten Menschen, die Andrew – abgesehen von dem schmächtigen Rezeptionisten und der hochgewachsenen Frau – in diesem Gebäude zu Gesicht bekam. Die Fremde, der Andrew eilig in einen der Flure gefolgt war, um sie nicht aus den Augen zu verlieren, grüßte die Leute im Vorbeigehen, als wäre es ein gewöhnlicher Arbeitstag, wie jeder andere. Zu Andrews Überraschung nickten die Büromenschen auch ihm grüßend zu, wenn auch mit einem neugierigen Funkeln in den Augen, den er nicht einzuordnen wusste. Zugegebenermaßen stach er zum ersten Mal in seinem Leben aus der Menge hervor: Die meisten trugen helle Oberteile und dunkle Anzughosen oder -röcke. Ohne, dass es einen offiziellen Dresscode zu geben schien, der genau vorschrieb, was zu tragen sei, schien man sich auf ungeschriebene Regeln geeinigt zu haben. Regeln, denen Andrews grauer Pullover, die weite blaue Jeans und seine ausgetretenen Turnschuhe ebenso wenig folgten, wie der nicht vorhandene Haarschnitt, der lediglich aus mittellangem dunklen Haar ohne jede Form bestand. Zielstrebig bog die Frau um Ecken, die sich weiter hinten im Flur auftaten, sodass Andrew seine Mühe hatte, ihr zu folgen.

»Stopp! Moment! Wann ist dieser Streich vorbei? Wann kommt die Auflösung? Es sind doch keine guten Aufnahmen mehr, wenn derjenige, dem der Streich gespielt wird, bereits verstanden hat, dass …«, begann er zunächst, verstummte aber schnell, als er wieder glaubte zu hören, wie die Frau ein weiteres Mal merklich ausatmete. Er schien ihre Geduld merklich zu strapazieren, doch weder verlangsamte sie ihren Schritt, noch drehte sie sich zu ihm um, während sie sprach.

»Sie wurden am dreizehnten August 1982, einem Freitag, in Queens geboren. Ihre Eltern, William und Margaret Miller genannt, gaben Ihnen den Namen Andrew. Ihre Großmutter mütterlicherseits, namentlich Annabelle Thompson, Jahrgang 1931, eine streng gläubige Evangelikale, sah in Ihrer Geburt an einem Freitag den Dreizehnten ein schlechtes Omen für die gesamte Familie Miller. Zu jedem Familientreffen gab sie ihre Thesen über den Zusammenhang zwischen Ihrer Geburt und dem nahenden jüngsten Gericht zum Besten. Ihr Vater drohte Ihrer Großmutter an Thanksgiving …«, sie hielt inne und blätterte in der Akte auf ihrem Arm, bevor sie fortfuhr, »... 1987. Drohte ihr an Thanksgiving 1987 ihr - Zitat - eine Ladung Schrot in ihr dämliches Gesicht zu verpassen, wenn sie nicht mit dem dummen Geschwätz aufhören würde - Zitat Ende. Erbost verließen Ihre Großeltern umgehend die Feier. Es war das letzte Mal, dass Sie Ihre Großmutter sahen. Sie starb an einer Lungenentzündung am dreizehnten November 1998. Ebenfalls ein Freitag.«

Während ihres Monologes hatte sich Andrews Mund immer weiter vor Ungläubigkeit geöffnet. Noch immer hechteten sie um Flurecken, vorbei an Büroräumen, Konferenzsälen, Toiletten und tropischen Pflanzen in gewaltigen Kübeln.

»Woher wissen Sie das alles? Ist das hier das FBI? Oder die CIA? Und wo laufen wir überhaupt hin? Können Sie mir endlich mal irgendeine meiner Fragen beantworten? Was wird hier gespielt?!«

Andrew war aus einer schweigsamen Fassungslosigkeit sogleich in eine Rage geraten, dass er nach wie vor nicht wusste, wo er sich überhaupt befand oder was all dies zu bedeuten hatte, dass er nicht bemerkte, wie die Frau vor ihm plötzlich zum Stehen kam. Schwungvoll drehte sie sich auf dem Absatz um und starrte ihn an, sodass die Kälte ihres Blicks das Blut in seinen Adern gefrieren ließ.

Erschrocken riss er sich wieder zusammen und kaute auf den Innenseiten seiner Wangen, damit er bloß endlich seinen Mund halten würde. Geradezu abschätzig glitt ihr musternder Blick über Andrew. Doch allmählich gewann dieser den Eindruck, dass sie womöglich nicht seinetwegen so dreinblickte. Es war einfach ihr natürliches Gesicht, dachte sich Andrew. Eine ernste, kalte, geradezu verachtende Aura umgab diese Fremde, die vermutlich jedem menschlichen Wesen auf diese Art begegnete – zumindest versuchte er sich das einzureden, während sich seine Nackenhaare unter ihrem durchdringenden Blick aufstellten.

»Vergangenen September, an einem Dienstagmorgen, suchten Sie Ihren Schlüsselbund, den Sie stets an einem Wandhaken hinter Ihrer Wohnungstür aufbewahren. Zu Ihrer Verwunderung hing er dort jedoch nicht. Panisch suchten Sie Ihre Wohnung ab, da Sie für 9:00 Uhr zu einem Vorstellungsgespräch bei einem Finanzdienstleister mit Sitz im Nordturm des World Trade Centers erwartet wurden. Sie wollten einen guten Eindruck machen und durften deshalb auf keinen Fall zu spät ankommen. Zugleich wussten Sie aber auch, dass Sie es sich nicht leisten konnten, ohne Schlüssel zu gehen, da Sie nicht das Geld für einen Schlüsseldienst gehabt hätten, wären sie später ohne diesen heimgekehrt. Folglich steckten Sie in einer Zwickmühle und entschieden sich, dass Sie auf das Finden der Schlüssel angewiesen waren. Verzweifelt suchten Sie also weiter. Gegen 08:30 Uhr fanden Sie Ihren Schlüsselbund endlich: Er hing wie gewohnt am Wandhaken hinter der Tür. Sie ärgerten sich über Ihre vermeintliche Schusseligkeit und liefen zur U-Bahn. Um 08:46 Uhr, Sie befanden sich noch auf dem Weg, schlug American Airlines Flug 11 in den Nordturm des World Trade Centers ein. Sie selbst erreichten den Nordturm gegen 9:10 Uhr, wo Sie bereits durch Straßensperren der Polizei daran gehindert wurden, sich dem Turm weiter zu nähern. Um 10:28 Uhr kam es bekanntermaßen zum Einsturz des Nordturms. Am selben Abend, gegen 21:20 Uhr, schrieben Sie Ihrer Mutter eine E-Mail und beendeten diese mit dem Satz – Zitat: Die Suche nach diesem verdammten Schlüsselbund hat mir heute mein verficktes Leben gerettet - Zitat Ende.«

Geräuschvoll knallte die Aktenmappe auf ihrem Arm zu, während sie Andrew erneut durchdringend anblickte. Vorsichtig wich dieser zwei Schritte von ihr zurück und schluckte, bevor er an sich hielt und versuchte ruhig und bestimmend weiterzusprechen.

»Wer sind Sie? Seit wann und wie beobachten Sie mich? Wo sind wir hier?«, fragte er und schlagartig wurde ihm klar, dass er mit keiner Auflösung durch eine Fernsehshow mehr rechnen konnte. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und betrachtete die Tür neben sich, vor der sie zum Halten gekommen waren.

»Dies, Mr. Miller«, sagte sie, bevor sie eine dramatische Sprechpause einlegte und dann, ohne den Kopf von der Tür abzuwenden, ihre Augen zu ihm hinab rollte, »Ist die Kaffeeküche. Trinken Sie Schwarz oder mit Milch und Zucker? Die Alternative ist schwarzer Tee. Kandis gibt es nicht.«

Der sprachlose junge Mann vor ihr blickte verwirrt die Plakette an der Tür an, auf der eine dampfende Tasse zu erkennen war. Als Andrew stumm blieb und wie angewurzelt die Tür anstarrte, atmete sie wieder deutlich aus und betrat einfach die Kaffeeküche. Andrews leerer Blick glitt in den Raum, der auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Küche in einem Bürogebäude wirkte. Erst als er realisierte, dass sie ihm die Türe offenhielt und ihn allmählich mit leicht erhobenem Kopf, von dem ein erwartender Blick hinab funkelte, ermahnte, sich endlich zu bewegen, riss Andrew sich aus seiner Starre der Verwirrung und rettete sich in die Kaffeeküche. Der Raum wirkte, im Gegensatz zu den großflächigen Büroräumen und der ausladenden Lobby, geradezu beengt und schmucklos. Versprühten die Flure noch eine altehrwürdige Eleganz, so war diese Küche die Essenz manifestierter Tristesse, wie sie zugleich in den meisten Büros zu finden wäre. Eine schmale Küchenzeile erstreckte sich entlang der gegenüberliegenden Wand. Davor gab es gerade genug Platz für zwei kleine Tische, an denen je vier Personen Platz fanden. Zwei jüngere Frauen, unwesentlich älter als Andrew, saßen an einem Tisch und tranken aus ihren Tassen, während sie mit gesenkter Stimme sprachen. Auch sie grüßten die Frau mit der Akte, nahmen Andrew dabei kurz wahr, nickten ihm zu und wendeten sich dann wieder ihrem Gespräch zu.

Verwundert entgegnete Andrew ihr Nicken und beobachtete die hochgewachsene Fremde, die an ihnen vorbei in Richtung der Hängeschränke schritt. Ein jeder schien sie zu kennen, was ihn bei der absurden Größe des Gebäudes geradezu unmöglich vorkam. Arbeitete sie womöglich doch auf diesem Stockwerk? War sie eine Vorgesetzte dieser Leute? Wer war sie? Doch viel wichtiger war ihm noch immer die Antwort auf die Frage, wo er genau war – außer in einer Kaffeeküche.

Die Frau durchsuchte einen Schrank über dem Spülbecken, aus der sie schließlich zwei Tassen hervorzog, in die sie Kaffee aus einer befleckten Filtermaschine goss. Offensichtlich nahm sie Andrew die zuvor gestellte Wahl von Kaffee und Tee nun einfach ab, um nicht noch mehr Zeit mit ihm zu verschwenden, was ihm in diesem Moment aber auch ganz recht war. Anschließend drehte sie sich wieder zu ihm und drückte ihm eine der Kaffeetassen in die Hand, die er willenlos entgegennahm. Der ausgeblichene Aufdruck zeugte von unzählbaren Spülgängen, die diese Tasse bereits erlebt haben musste und zog Andrews Aufmerksamkeit auf sich, nicht zuletzt, da neben dem Motiv auch noch die Reste eines Schriftzugs zu lesen war: Billy Bob’s Car Wash 10th Anniversary.

Darunter war ein fröhliches Cartoon Cabrio mit großen Kulleraugen anstelle der Scheinwerfer und einem menschengroßen Stück blubbernder Seife auf dem Fahrersitz zu erkennen. Langsam ließ er die Tasse sinken und blickte auf ihre. Sie war weiß. Kein Aufdruck. Nun war es Andrew, der merklich ausatmete, sodass die Frau aufhorchte. Er fasste allen Mut, den er noch aufbringen konnte.

»Also … beantworten Sie mir jetzt meine Fragen? Was ist das hier? Wer sind Sie? Wieso konnte ich nicht wieder einfach durch den Eingang hinausgehen, durch den ich hineingekommen war? Warum bin ich jetzt hier und warum habe ich Kaffee bekommen?«

Die Frau nippte an ihrer Tasse, verzog dann über den scheußlichen Geschmack des Kaffees das Gesicht und griff nach dem Kunststoffkanister Milch, der neben ihr auf der Anrichte stand. Sie roch an den milchigen Resten, die unförmig am Boden des Kanisters hin und her schwappten und wirkte unentschlossen, ob sie es riskieren sollte, goss dann aber doch einen großzügigen Schluck in ihre Tasse, bevor sie den Kanister in einen kleinen Kühlschrank unter der Arbeitsplatte verstaute – wo ihn der Vorgänger wohl auch gleich hätte hinräumen sollen. Ungläubig beobachtete Andrew das Geschehen, ohne, dass er dessen Alltäglichkeit mit den abnormalen Umständen, die ihn hierhergeführt hatten, vereinbaren konnte. Während die Frau mit dem Kühlschrank beschäftigt war, warf er einen Blick in ihre Tasse, an deren Oberfläche kleine Fettklümpchen in der hellbraunen Flüssigkeit umhertrieben. Schließlich griff sie nach der Tasse, warf ebenfalls einen stummen Blick hinein und nippte ohne jede weitere Regung daran, womöglich, weil sie die Gegebenheiten nun einfach zu akzeptieren schien. Mit einem Male hatten Andrew und die Fremde also doch etwas gemeinsam.

»Mein Name ist Elisabeth Moore. Sie stehen in einer Kaffeeküche des Bureau mit Sitz im ersten Fundament oder wie wir verkürzt sagen: dem Haus. Ich arbeite seit fünfzehn Jahren für unseren Aufseher, Alistair Douglas. Er leitet diese Behörde. Der Titel für diesen Posten ist … sagen wir historisch gewachsen. Das Haus hat mich am dritten Mai 1987 eintreten lassen. Ich möchte Ihnen gerne all Ihre Fragen beantworten und ich bin mir sicher, dass noch sehr viele weitere kommen werden.«

Nachdem sie eine auswendig gelernte Vorstellung im Eilverfahren herunter gerattert hatte, nippte Elisabeth Moore erneut an ihrem Kaffee und beobachtete, wie ihre Kolleginnen die Kaffeeküche verließen, bevor sie auf seine restlichen Fragen einging.

»Nun, der Eingang. Sehen Sie: Das Haus entscheidet nicht nur, wem es sich im Äußeren zeigt, sondern auch, wie es sich im Inneren zeigt. Es ist stets im Wandel. Wie ein natürlicher Flusslauf, der sich über Jahrzehnte hinweg verändert, neue Flussschleifen ausbildet, alte Schleifen vom Rest des Flusslaufs abkapselt, nur um diese ein halbes Jahrhundert später doch wieder in den natürlichen Lauf zu integrieren. Das Haus zeigte sich erstmals am ersten September 1938. Es ist bislang ungeklärt, ob es zu diesem Zeitpunkt auch entstand oder sich lediglich zum ersten Mal zeigte.«

Andrew starrte Elisabeth mit leerem Blick an. Nach einem zu lang wirkenden Moment des Starrens, nahm er einen schlürfenden Schluck aus seiner Tasse, der die eingetretene Stille unangenehm durchbrach.

»Sie … Sie wollen mir weismachen … dass dieses Gebäude, das Haus, aus dem Nichts aufgetaucht ist und dann auch noch lebt? … Verarschen Sie mich gerade?«

Noch im selben Augenblick wollte er sich auf die Zunge beißen, doch es war bereits gesagt. Doch zu seiner Überraschung reagierte Elisabeth Moore geradezu gelassen.

»Niemals. Sie schließen lediglich voreilige und darum falsche Schlüsse. Das Haus lebt nicht. Und dennoch verfügt es anscheinend über so etwas wie ein Bewusstsein.«

»Entschuldigen Sie bitte, aber das klingt nach esoterischer Haarspalterei, wenn Sie mich fragen«, rutschte es erneut aus Andrew heraus.

»Deswegen werden Sie auch nicht gefragt, Mr. Miller. In Ihrer Anfangszeit im Bureau wird erwartet, dass Sie die Fragen stellen. Das hat eine Ausbildung eben so an sich.«

Vor Schreck verschluckte sich Andrew an seinem Kaffee, stellte die Tasse schnell auf der Küchenzeile ab und begann unter flehendem Röcheln und Klopfen seine Brust frei zu husten. Elisabeth beobachtete den jungen Mann mit hochrotem Kopf und atmete mit einem Anflug von Resignation aus, bevor sie ihre Tasse leerte. Andrew fing sich wieder und richtete sich unter pfeifendem Atem auf.

»Was sagen Sie da? Ausbildung? Nein! Was soll ich hier? Ich gehöre hier doch gar nicht hin. Was auch immer hier gespielt wird – ich will es schnellstmöglich wieder vergessen. Also machen Sie Ihr geheimes Regierungs-Blitzdings mit mir und bringen mich bitte wieder zurück auf den Gehweg vor dem Gebäude. Ich werde in Zukunft ganz sicher in keine mir unbekannten Gebäude mehr laufen, nur weil ...«

»Zum einen ist das hier kein Hollywood Film, Mr. Miller«, unterbrach sie ihn und verdrehte die Augen, »Wir blitzdingsen nicht. Zum anderen wird das Haus selbst entscheiden, ob und wann Sie bereit sind, wieder einen Schritt auf den Gehweg zu setzen. Das entscheiden nicht Sie, nicht ich und auch nicht der Aufseher.«

Andrews Blick fixierte Elisabeth, während seine Augen immer größer wurden. Er wollte nicht glauben, was Elisabeth Moore ihm gerade offenbarte, doch fühlte er die Last auf seinen Schultern, die ihm geradezu zuzuflüstern schien, dass sie die Wahrheit sagte. Das Herz schlug wieder schneller. Die Hände wurden feucht.

»Was soll das heißen … das Haus entscheidet, wann ich wieder gehen kann? Sie … Sie halten mich hier einfach gefangen?«

»Nein, Mr. Miller. Das Haus entscheidet schlicht und ergreifend darüber, wann Sie so weit sind, wieder in die Welt dort draußen zu gehen. Das hängt von verschiedenen Faktoren, letztlich aber von Ihnen persönlich ab.«

Andrews Blick wanderte orientierungslos durch den Raum. Was passierte gerade mit ihm? Die Gedanken rasten erneut. Innerhalb weniger Minuten brach sein gesamtes Leben unter seinen Füßen weg und ließ ihn in eine unbekannte Tiefe stürzen, von der er hoffte, dass sie sich jeden Augenblick platzend auflöste und sich als nichts weiter als einen intensiven Fiebertraum im heimischen Bett herausstellte. Angst kroch in ihm empor und stellte die in ihm tobende Verwirrung dabei geradezu in den Schatten. Die Tasse bebte in seiner Hand.

»Trinken Sie aus und nehmen Sie noch einen Butterkeks. Wir müssen los. Man erwartet uns bereits«, sagte Elisabeth mit prüfendem Blick in Andrews Tasse und hielt ihm eine zerwühlte Packung trockener Kekse entgegen, die sie von der Küchenzeile genommen hatte. Andrews Blick fiel auf die bröseligen Kekse, die ihm entgegengehalten wurden. Reflexartig und doch wie in Zeitlupe, zog er einen Keks hervor. Schlagartig hatte nun wieder die Verwirrung die Oberhand errungen.

»Erwarten? Wer? Wer erwartet uns?«, entgegnete er mit fragendem Blick. Elisabeth verschränkte die Arme, beugte sich leicht zu ihm vor und strahlte dabei erneut diese furchteinflößende Präsenz aus, die bereits am Aufzug von ihr ausgegangen war.

»Alistair Douglas. Aufseher des Bureau und Ihr neuer Chef«, entgegnete Elisabeth mit dem Anflug eines Lächelns auf ihren schmalen Lippen.

»Willkommen in der Behörde, Mr. Miller.«

Der Aufseher

 

Der Flur ging in einen kleinen Vorraum über, in dessen Mitte eine hüfthohe hölzerne Apparatur stand. Auf der gegenüberliegenden Seite des Vorraums führten sieben Treppenstufen zu einer auffällig schlichten Tür hinauf, die so schmucklos wirkte, dass man sie einfach für das nächste generische Büro hätte halten können – so wie all die anderen Türen, an denen sie vorbeigelaufen waren. Der Teppichboden folgte den Stufen empor und ging, oben angekommen, wieder in die großen schwarzen Steinplatten über, die Andrew bereits in der Eingangshalle gesehen hatte.

Die spitz zulaufende Decke des Vorraumes erregte Andrews Aufmerksamkeit, als er Elisabeth Moore weiter folgte, welche zielstrebig in Richtung der Treppen schritt. Die vier Seiten der Decke liefen aufeinander zu und trafen sich schließlich in der Mitte, weit oben, über dem hölzernen Apparat. Zu seiner Verblüffung bestand die Deckenkonstruktion ebenfalls aus den dunklen polierten Steinplatten. Je länger Andrew in die Höhe starrte, desto mehr gewann er den Eindruck gegen das Innere einer Pyramide zu blicken. Vermittelten die bisherigen Gänge und Räume hingegen den Eindruck eines altehrwürdigen Herrenhauses, so schien im Vorzimmer die wahre Natur des Hauses zum Vorschein kommen. Elisabeth musste den Anblick gewöhnt sein, da sie ihn keines Blickes würdigte, passierte das hölzerne Objekt unter der Spitze der Pyramide und stieg die Treppenstufen hinauf. Doch Andrew, der bislang versucht hatte mit ihr mitzuhalten, verlangsamte seinen Gang, bis er schließlich in ehrfürchtigem Erstaunen zum Stehen kam, den Blick weiter nach oben gerichtet. Ein leises Surren ließ ihn aufhorchen. Sein Blick folgte dem Geräusch und senkte sich hinab auf den Apparat vor sich, welchem er sich nun vorsichtig näherte. Sieben fein gearbeitete Ringe aus dunklem Holz und von unterschiedlichen Größen waren ineinander verschachtelt und mit Achsen aus Messing miteinander verbunden. Andrew beugte sich vor, um die Bewegungen des Mechanismus genauer erkennen zu können.

Die Ringe drehten sich entlang unterschiedlicher Achsen, je nachdem wo sie im nächstgrößeren Ring aufgehangen waren. Je größer die Ringe nach außen hin wurden, desto langsamer wurden ihre Bewegungen, sodass der kleinste Ring im Inneren sich am schnellsten, der äußerste am langsamsten bewegte. Zwar erinnerte der Mechanismus Andrew an ein Uhrwerk, doch griffen die Räder weder ineinander noch hätte man eine Zeit ablesen können. Neugierig beobachtete er den Lauf der Ringe und versuchte auszumachen, welcher wohl für eine vollständige Drehung genau eine Sekunde benötigen würde, doch zu seiner Enttäuschung ging seine Theorie nicht auf. Selbst eine volle Umdrehung des schnellsten Rings im Inneren benötigte mehrere Sekunden. Der langsamste Ring auf der äußeren Bahn trug die gesamte innere Konstruktion der übrigen Ringe und war selbst wiederum in einem massiven, kunstvoll verzierten hölzernen Ständer eingehangen.

Zwei halbrunde Messingbögen kreuzten sich im rechten Winkel zueinander über den Ringen und schienen sich dabei frei verstellen zu lassen. Zwar verstand Andrew nicht, was die Ringe selbst anzeigten, doch war es offensichtlich, dass die Bögen eine genaue Position über den Ringen markierten, je nachdem wo man sie sich kreuzen ließ. Ohne den Sinn der Maschine zu verstehen, nützte ihm diese Erkenntnis jedoch nur wenig. Das Surren, das Andrew aufhorchen ließ, drang zusammen mit einem noch leiseren mechanischen Klackern aus dem Inneren des massiven Standfußes darunter. Sich über den Zweck der Maschine wundernd, trat er einige Schritte zurück, um sie noch einmal im Ganzen betrachten zu können.

Sprachlos schritt er an der Konstruktion vorbei und versuchte dabei wieder zu Elisabeth Moore aufzuschließen. Doch als er weiter an dem Gerät vorbei schritt, fielen ihm entlang einer Seite des Standfußes tiefe Kerben an Holz und Messing auf. Elisabeth Moore räusperte sich und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Sie stand bereits am Treppenabsatz und beobachtete seine aufkeimende Neugierde für die kunstvolle Mechanik.

»Das Ätharium. Eine recht interessante Maschine«, sagte sie und stieg dabei erneut die Stufen der Treppe zu Andrew hinab. Langsam glitt ihre Hand über einen der beiden Messingbögen über den Ringen, wodurch sich dieser leicht verschob. Andrew beobachtete gebannt, wie der Mechanismus reagieren würde, doch zu seiner Enttäuschung schien sich nicht das geringste zu regen. Die hölzernen Ringe rotierten im selben Tempo wie zuvor umeinander, das Summen und Klackern aus dem Standfuß blieb unverändert.

»Mehrfach wurde bereits versucht zu ergründen, wie es genau funktioniert. Allerdings stoppt der Mechanismus, sobald man das Ätharium von seiner Position bewegen will. Es funktioniert nur genau hier, an dieser Stelle.«

Ihre Finger fuhren über einen der tiefen Kratzer des Holzfußes unter den Ringen.

»Weder gibt es eine Klappe noch irgendeinen anderen Zugang zum hörbaren Mechanismus in seinem Inneren. Diese Kratzer stammen von Diamantsägen, mit denen man schließlich versucht hatte, das Gehäuse zu öffnen. Sie sehen ja, wie erfolgreich das war. Allein für diese kleinen Kerben waren mehrere Sägeblätter notwendig, nachdem eines nach dem anderen stumpf wurde, bevor man die Versuche aufgab. Der Aufseher hat schließlich angeordnet, dass man es einfach in Ruhe lassen soll, da scheinbar keine Bedrohung vom Ätharium auszugehen schien. Bis heute behält es seine Geheimnisse für sich.«

Gebannt lauschte Andrew ihr und konnte seinen Blick dabei kaum von ihren Fingern lösen, die über den hölzernen Rand des Standfußes glitten.

»Aber … was macht es denn überhaupt? Zeigt es denn irgendwas an? Der Name muss doch auch irgendwoher kommen, oder?«, fragte er und blickte zu Elisabeth Moore. Sie verzog die Mundwinkel für ein schnelllebiges Grinsen, bevor ihr kalter Blick wieder dem Innersten der verschachtelten Ringe galt.

»Es ist ein wahrer Hingucker«, erwiderte sie zunächst, als habe sie seine Fragen nicht gehört, »Da seine Erforschung eingestellt wurde, ist es nun nicht mehr als eine sehr beeindruckende Raumdekoration. Auch deshalb ist nicht weiter bekannt, was genau sich davon überhaupt ablesen lässt. Oder ob es überhaupt zum Ablesen von irgendetwas gedacht ist. Und der Name?«, sagte sie weiter und schien wieder den Anflug eines Grinsens unterbinden zu wollen, »Unser Aufseher vergibt lieber Namen statt fortlaufender Nummern. Das führt immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Forschungsabteilung. Irgendwann bezeichnete er die Maschine in einem Memo einfach als Ätharium. Die meisten nennen es deswegen mittlerweile auch so.«

Andrew ließ ab von ihr und blickte wieder in die geradezu hypnotisierende Bewegung der Ringe. Wie konnte es ein solches Ding geben? Wie konnte es einen solchen Ort geben? Wie war es möglich, dass all dies Realität zu sein schien? Elisabeth Moore stieg derweil wieder die Treppenstufen empor.

»Wir sind übrigens da«, sagte sie, als müsste sie für ihn erneut das Offensichtliche ansprechen und klopfte an der Tür. Einige Augenblicke lang blieb es still. Nach einer Weile hob sie erneut die Hand zum Klopfen, als es plötzlich hinter dem Schloss klackte, als würde sie von innen entriegelt werden. Sie legte die Hand auf die Türklinke und drehte ihren Kopf hinab zu Andrew, der noch immer wie versteinert neben dem Ätharium stand. Als er ihren Blick bemerkte sprang er schnell die Stufen hinauf und blieb hinter ihr stehen. Elisabeth Moore nickte ihm zu und öffnete die Tür.

Ein länglicher, schwach beleuchteter Raum offenbarte sich ihnen. Elisabeth Moore schritt voran. Andrew folgte ihr auf dem Fuße. Das Haus zeigte sich ein weiteres Mal von einer ganz neuen Seite. Kein Herrenhauscharme, keine Bürotristesse. Die dunklen Steinplatten kleideten den Boden bis zu den Seiten des Raumes aus, entlang derer sich grobporige Betonwände entlangzogen, in denen quadratische Einlassungen als Regalfächer genutzt wurden. In manchen lagen ungeordnete Stapel von Papieren und Ordnern. In anderen hingegen alte Bücher mit schweren Ledereinbänden, die vermutlich seit Jahrzehnten nicht bewegt worden waren. Ein dunkelroter Rundteppich lag ausgebreitet vor einem großen Schreibtisch am Ende des Raumes. Darauf standen, dem Tisch zugewandt, zwei tiefe rote Sessel, die offensichtlich für Gäste gedacht waren und optisch wieder mehr dem herrschaftlichen Stil der Flure entsprachen.

Die Sessel und der Teppich waren in dem unnahbaren Raum das Einzige, das eine persönliche Note vermittelte und der klinischen Kälte des Raumes wohl entgegenwirken sollte. Der Schreibtisch selbst erinnerte an die steinerne Rezeption in der Eingangshalle, war er doch mit demselben schwarzen Stein verkleidet und ging somit kaum merklich in den Boden über. Dahinter erstreckte sich über die gesamte Länge der Wand ein gewaltiger Spiegel, in dessen linker Hälfte ein großes silbernes Dreieck prangte, dessen Spitze nach oben deutete. Das entsprechende Gegenstück, dessen Spitze zum Boden gerichtet war, lag auf der rechten Seite des Spiegels.

Ein glatzköpfiger Mann saß in der Mitte des Schreibtischs und schien dabei von den Dreiecken hinter sich geradezu eingerahmt zu werden. Sein hohes Alter machte sich in seinem eingefallenen Gesicht, den tiefen Falten an Stirn und Augen sowie der hängenden Mundpartie bemerkbar. Auf seiner Nase saß eine Nickelbrille mit kleinen, runden Gläsern. Er trug ein weißes Hemd mit einer Anzugweste darüber, die an ihm jedoch etwas zu groß wirkte. Das Hemd trug er, wie der Rezeptionist, bis zum obersten Knopf geschlossen. Andrew versuchte sich erneut davon abzulenken, dass eine Fliege oder Krawatte in dem großen leeren Bereich auf seiner Brust fehlte und konzentrierte sich stattdessen lieber auf die unverwechselbaren Gesichtszüge des Alten.