Das Fossil 3 - Joshua Tree - E-Book

Das Fossil 3 E-Book

Joshua Tree

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Beschreibung

Zwanzig Jahre sind vergangen, seit die erste bemannte Marsexpedition ein menschliches Fossil auf dem roten Planeten gefunden hat. Die westlichen Demokratien erodieren aufgrund einer neuen Krise, die in Russland ihren Anfang nimmt: Die zehntausend geretteten Erbauer, mittlerweile volljährig, stehen nicht mehr unter dem Schutz der UN und sind zur Flucht gezwungen. Ein Land, das die Nachfahren von Xinth aufnimmt, ist die Sonderverwaltungszone Südafrika, in der ein einzelner Erbauer, der sich Hortat nennt, zur Wahl als Präsident antritt. Ein beispielloser Vorgang, der ebenso viel Empörung in der Welt hervorruft, wie Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hortat gewinnt, wird jedoch noch in der Wahlnacht Opfer eines Anschlags. Um die mysteriösen Umstände seines Todes aufzuklären, lässt der Kopf der Human Foundation, Luther Karlhammer, den ehemaligen Ermittler Pano Hofer einfliegen, der mit seinem alten Leben eigentlich längst abgeschlossen hatte. Doch als er den Namen Agatha Devenworth hört, stürzt er sich in eine gefährliche Verschwörung ...

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DAS FOSSIL 3

JOSHUA TREE

INHALT

Prolog

1. Pano

2. Agatha

3. Pano

4. Agatha

5. Pano

6. Agatha

7. Pano

8. Agatha

9. Pano

10. Agatha

11. Pano

12. Agatha

13. Pano

14. Agatha

15. Pano

16. Agatha

17. Pano

18. Agatha

19. Pano

Epilog

Nachwort

Impressum

PROLOG

Hortat Junior musterte die kleine Phiole in seiner rechten Hand und tätschelte sie sanft mit der anderen, ehe er sie in die Innenseite seines Jacketts steckte und sich selbst im Spiegel betrachtete. Seine bronzefarbene Haut war glatt und schimmerte im warmen Schein des Lichtbandes über den Waschbecken. Seine großen schwarzen Augen glänzten feucht, was sie nur äußerst selten taten. Aber heute war schließlich kein Tag wie jeder andere.

»Sir?«, hörte er die Stimme seiner persönlichen Assistentin, die in der Tür zu den Herrentoiletten lehnte und ihn nachsichtig musterte. »Es ist Zeit.«

»Ich weiß«, erwiderte er mit einem tiefen Seufzen und löste sich von seinem Ebenbild, ehe er auch die Hände vom Waschbecken nahm und seinen maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug glatt stricht. »Weißt du, was dieser Spiegel bedeutet?«

»Dass du selbstverliebt bist?«, fragte sie mit dem für sie typischen Gesichtsausdruck aus Spott und Aufmerksamkeit und verschränkte die Arme unter ihren Brüsten.

Hortat schmunzelte und betrachtete die lange Reihe aus Waschbecken und Spiegeln, von denen die letzten beiden deutlich größer und höher angebracht waren, sodass er sich selbst sehen konnte, ohne sich herab zu beugen.

»Er bedeutet, dass wir bereits im Vorfeld mehr erreicht haben, als heute.«

»Rede deinen Sieg nicht klein, Hortat.« Seine Assistentin schüttelte den Kopf. »Nicht nur die Medien haben erkannt, dass dies ein historischer Tag ist. Die Menschen feiern auf den Straßen, und zwar nicht nur in Johannesburg und der SSVZ. Du hast das vollbracht.«

»Nein, diejenigen, die heute ihre Häuser verlassen haben, um ihrer Stimme Ausdruck zu verleihen, sie haben das vollbracht.«

Sie lächelte. »Ich kenne niemanden, der so verschlagen und gleichzeitig so naiv-altruistisch ist wie du.«

»Nimmst du deinen Job deshalb so ernst?«, entgegnete er lächelnd und begann sich die Hände zu waschen. Während er die Maserung seiner Handinnenflächen betrachtete, sah er immer wieder, wie sie tiefer und runzliger wurde. Erinnerungen daran, wie er auf seinem Schiff unter dem roten Sand des Mars’ in ein viel älteres Spiegelbild gesehen hatte, legten sich über das Jetzt und ließen ihn erschaudern.

»Ich kenne diesen Gesichtsausdruck«, wich sie seiner Frage aus. »Du siehst ihn schon wieder, habe ich recht?«

»Er ist ich«, korrigierte er sie.

»Nein, eigentlich bist du vielmehr er. Aber auch das ist nicht wahr.«

»Nein, ist es nicht.«

»Du hast alle seine Erinnerungen, aber auch diejenigen aller männlichen genetischen Vorfahren. Du bist also genauso sehr sie wie er. Im Grunde genommen bist du also bloß du selbst mit zu viel Wissen.«

Hortat lachte. Es war ein tiefer Basslaut, der die Spiegel vibrieren ließ. Der kurze Augenblick der Heiterkeit verflog jedoch schnell wieder, als er sich bewusst wurde, wie lange es her war, dass er das letzte Mal unbeschwert gelacht hatte.

Seine Assistentin sah auf ihre altmodische Armbanduhr hinab und zuckte mit den Schultern.

»Nicht schlecht. Das hat bestimmt zwei Sekunden gedauert.«

»Ich wünschte, ich hätte dich aufgrund deines Zynismus’ eingestellt.«

»Hast du bestimmt. Das war deine menschliche Seite.«

»Das wirst du mir ewig vorhalten, oder?«

»Du bist kein Mensch, Hortat, und du bist auch nicht Hortat, was das angeht.«

»Was denkst du, warum wir Erbauer uns unsere Namen selbst geben?«, entgegnete er und hielt eine Hand nach der anderen in den Heißlufttrockner. Beide zusammen passten nicht hinein, da das Gerät für menschliche Hände gemacht war. Jeder Wandel brauchte seine Zeit.

»Weil ihr nicht als unbeschriebene Blätter auf die Welt kommt.« Sie winkte ab. »Für jemanden, der nicht bloß die eigenen Erlebnisse, sondern auch die seiner Vorfahren nicht vergisst, hast du ein ziemlich löchriges Gedächtnis. Dieses Gespräch haben wir schon einige Male geführt.«

»Ich bin genauso sehr Mensch wie du Erbauer. Ihr tragt immerhin einen Teil unserer DNA in euch, schon vergessen?«

»Wir sind eure Nachfahren. Trotzdem sehe ich da große Unterschiede. Ich kann mich auch kaum mit einem Schimpansen vergleichen, obwohl wir auf dem beinahe identischen genetischen Code basieren.«

»Du bist zu hart zu deiner eigenen Art.«

Wieder zuckte sie mit den Achseln. »Nein, ich kenne uns bloß ziemlich gut. Besser als du, darum hast du mich vermutlich auch eingestellt.«

»Du hast gesagt, dass ich nicht antreten soll. Und? Wo sind wir jetzt?«

»Nicht da, wo ich … das ist etwas anderes. Ich habe gesagt, dass du es wie Luther Karlhammer machen sollst und nicht wie John F. Kennedy. Der Meinung bin ich immer noch.«

»Dafür ist es jetzt wohl zu spät. Meine Rede steht fest.«

»Ja. Dafür ist es zu spät.« Wieder blickte sie auf ihre Uhr und hob eine Augenbraue in seine Richtung, als er betont langsam seine zweite Hand in den Heißlufttrockner schob. »Wärst du ein Mensch würde ich glauben, dass du dich vor dem, was jetzt kommt, drückst.«

»Ich bin aber kein Mensch, wie du mir immer wieder versicherst.«

»Nein, du bist das, was Euphemisten gerne menschlich nennen, und deshalb bin ich hier an deiner Seite. Weil Menschen wie Karlhammer und Amorosa es nicht schaffen, das wichtigste Erbe, das unsere Spezies je erhalten hat, richtig zu verwalten.« Sie wirkte plötzlich bedrückt.

»So einfach ist es nicht«, sagte Hortat sanft.

»Sie lehnen dich ab«, gab sie mit bitterem Unterton in der Stimme zurück. »Das macht mich fassungslos. Vor allem wegen …«

»Ich kann es verstehen.«

Seine Assistentin schnaubte bloß und verdrehte die Augen.

»Sie lehnen nicht mich ab, sondern die Tatsache, dass ich seinen Namen gewählt habe und damit öffentlich wurde, dass Hortat seine DNA in Xinths 10.000 Nachfahren geschmuggelt hat. Er war ein gerissener Schelm in den Diensten des Guten«, erinnerte er sie. »Dieser letzte Akt eines Spielers hat sie nervös gemacht, und ich kann es verstehen. Ich weiß, dass es sein letzter Akt war, sie aber nicht. Sie meinen es gut.«

»Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.«

»Warum arbeitest du für mich?«

Sie schien überrascht von der Frage und tippte mit dem Zeigefinger auf ihre Armbanduhr. »Wir müssen los.«

»Diese Frage noch. Also: warum?«

»Weil wir keinem Menschen die Kontrolle über die Menschen geben dürfen.«

»Das ist nicht der Grund. Das darf nicht der Grund sein, und du weißt weshalb. Nicht nach dem, was wir gesehen haben.«

»Doch.«

Hortat legte in einer sehr menschlichen Geste den Kopf schief und sah auf sie herab, als er vor sie trat.

Sie sah auf und hielt seinem Blick stand, wie es nicht viele konnten, sagte jedoch nichts.

»Du hoffst, dass ich das in deiner Art wachrufen kann, was du sehen musst, um nicht den Glauben an sie und damit an das, was du selbst mit ins Rollen gebracht hast, zu verlieren.« Er machte eine kurze Pause und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Seine Hand war so groß, dass es aussah, als würde er sie zerquetschen, wenn er nur ein wenig zu fest zudrückte. »Das ist sehr menschlich. Es ist auch menschlich, zu glauben, man sei ganz allein mit seiner Meinung und seinen Überzeugungen, aber das ist nicht so. Du wirst sehen.«

»Ich denke, wir müssen los.«

Seine Assistentin nickte und räusperte sich, ehe sie hinausging und den Flur hinab deutete. »Hier entlang, Mr. President.«

Hortat nickte und folgte ihr über den polierten Marmor des Crown Plaza Hotels. Es war so still, dass das Klackern ihrer harten Absätze von den Wänden widerhallte, an denen die Bilder südafrikanischer Würdenträger der letzten zweihundert Jahre hingen, umrahmt von komplizierten indigenen Holzkunstwerken. Er mochte die melancholische Art menschlicher Kunst, die in jeder Form und Funktion ihre Angst vor dem Tod widerspiegelte. Alles in ihrem Leben war der universellen Vergänglichkeit aller Materie unterworfen und das in einem verhältnismäßig kurzen Zeitrahmen, und er empfand jedes Mal so etwas wie einen Stich der Sehnsucht, wenn er sah, wie ihre Hände und Gedanken Dinge schufen, die genau diese Erkenntnis – oft unwissentlich – in künstlerischen Ausdruck übersetzten. Ironischerweise wurden viele davon über Generationen penibel gepflegt und vor dem Verfall gerettet.

»Da ist eine Falte.« Seine Assistentin hatte vor der großen Doppeltür am Ende des Flurs angehalten und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf seine Stirn.

Hortat lächelte und entspannte sich, ließ über sich ergehen, dass sie seine Hemdsärmel richtete und sein Revers glatt strich wie die Mutter bei einem Kind an seinem ersten Schultag.

»Es wird schon gehen«, sagte er und lauschte dem hundertfachen Gemurmel hinter der Tür, ehe sie endlich nickte und klopfte, woraufhin seine Leibwächter auf der anderen Seite die beiden Türflügel aufzogen und ein Sturm aus Rufen und dem Klackern von Fotoapparaten einsetzte.

Für einige Sekunden blieb er stehen, wo er war, hob eine Hand zum Winken und lächelte breit, während seine Augen versuchten, sich an das Blitzlichtgewitter zu gewöhnen, und seine Ohren den Lärm ertrugen. Dann ging er los, folgte dem abgesperrten und von Sicherheitskräften geschützten Korridor zu dem Podium am Ende des Saals, wie ein Boxer, der in den Ring trat. Er schüttelte Hände, die ihm an den breiten Schultern des Wachpersonals vorbei entgegengestreckt wurden, tauschte hier und da kurze Worte der Freundlichkeit aus, signierte Notizbücher, Fankarten und Unterarme und verneigte sich immer wieder leicht. Hier und da hielt er für Fotos von Journalisten an und winkte freundlich und bescheiden in die vielen Linsen, die ihm wie leblose Augen entgegen starrten, bevor sie mit grellen Blitzen zum Leben erwachten.

»Hortat! Hortat! Hortat!«, begannen Sprechchöre aufzubranden, sobald er das Podest erreicht hatte und die Kristallleuchter des Saals schepperten, als wollten sie applaudieren.

Er winkte jetzt mit beiden Armen, versuchte sämtliche der über fünfhundert Würdenträger aus Politik, Militär und Verwaltung, Prominente und Medienvertreter mit einzubeziehen, ehe er an sein Rednerpult trat, und einigen Helfern bedeutete, die unscheinbaren Teleprompter fortzuschaffen, was für tosenden Applaus sorgte. Seine Assistentin stand in der ersten Reihe und schien aufgeregter zu sein als er selbst.

Der Lärm im Saal legte sich langsam, als er die Hände an das Pult senkte und geduldig nickte.

»Meine lieben Freunde, ich bin stolz, heute hier vor euch zu stehen, als gewählter Präsident der Südafrikanischen Sonderverwaltungszone – jenem Ort, der in allen Teilen der Welt als Symbol für den Kampf- und Widerstandsgeist Afrikas und einer Zukunft der Überwindung von Rassenkonflikten gilt. Ich bin stolz, euch mit einem Programm der Versöhnung und Kooperation überzeugt zu haben, statt auf Spaltung und Angst zu setzen. Ich bin stolz darauf, sagen zu dürfen: Ich bin ein Südafrikaner! Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte, der: Ich bin ein Bürger Roms. Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Südafrikaner. Auch wenn meine physische Zeit auf diesem wunderbaren Planeten erst kurz währt, trage ich doch die Erinnerungen Hunderter Generationen in mir und weiß, wie schwer Fortschritt erkämpft worden ist und immer wieder erkämpft werden muss. Ich verneigte mich darum in meinem Stolz vor all jenen Südafrikanern vor mir und vor uns, liebe Freunde, die jahrzehntelang gegen Unterdrückung, Vorurteile und Hass gekämpft haben, gegen Apartheid und Folter, aber diese großen Männer und Frauen haben nicht nur gegen etwas gekämpft, sondern vor allem für etwas: für Gleichheit vor Gesetz und Würde, eine Politik, die sich nicht um die Farbe der Haut schert, die sexuelle Orientierung, oder die politische Gesinnung.« Er machte eine Pause und richtete betont die Ärmel seines Hemds, das den Kontrast zu seiner bronzefarbenen Haut betonte. »Diesen Persönlichkeiten möchte ich meinen Respekt zollen, indem ich meinen politischen Kontrahenten die Hand reiche: Alles, was gesagt worden ist, bin ich bereit zu vergessen, mit dem Ziel, gemeinsam für dieses bewegte Land einzutreten und der Welt zu zeigen, dass es auch einen anderen Weg gibt als den der Unterschiede. Ich sehe hier im Publikum Schwarze und Weiße, Männer und Frauen, Alte und Junge – so vieles scheint uns zu trennen, und doch denken und fühlen wir alle, und es braucht nur einen Augenblick der Offenheit des Herzens, um zu erkennen, dass uns so viel mehr verbindet. Es gibt Leute, die sagen, der Humans First-Bewegung gehöre die Zukunft. Sie sollen nach Südafrika kommen. Und es gibt wieder andere in China und in anderen Teilen der Welt, die behaupten, man könne mit der Humanis-Bewegung zusammenarbeiten. Auch sie sollen nach Südafrika kommen. Und es gibt auch einige wenige, die sagen, es treffe zwar zu, dass diese Bewegung ein böses und ein schlechtes Ziel verfolge, aber sie setze sich für die Freiheit und Zukunft der Menschheit ein. Ich sage euch: Lasst auch sie nach Südafrika kommen. Ein Leben in Freiheit und Zuversicht ist nicht leicht, und unsere Zukunft wird nicht vollkommen sein. Aber wir werden es nie nötig haben, eine Mauer zu bauen, um unsere Leute bei uns zu halten und sie daran zu hindern, woanders hinzugehen. Wir geben ihrer Stimme ein Gefühl. Ich möchte euch im Namen all derjenigen, die vor mir lebten, sagen, dass sie stolz wären, diesen Augenblick zu erleben. Nicht, weil ich gewählt wurde, sondern weil ein Land, das bereits abgeschrieben worden war, der Welt zeigt, dass es einen anderen Weg gibt, dass Mauern eingerissen werden können, wo sie überall rings herum gebaut werden. Der hinter uns liegende Wahlkampf ist die abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen der Humanis-Bewegung. Die ganze Welt sieht dieses Eingeständnis des Versagens in unserem Sieg über die Furcht. ›Ich habe gelernt, dass Mut nicht die Abwesenheit von Furcht ist, sondern der Triumph darüber. Der mutige Mann ist keiner, der keine Angst hat, sondern der, der die Furcht besiegt‹, hat einer der größten Südafrikaner gesagt. Er ist jemand gewesen, der nicht auf zehntausende von Jahren an Erinnerungen und Wissen zurückgreifen konnte, und er hat uns damit ein Zeichen gesetzt: Jeder hier im Saal und jeder hier in diesem wunderbaren Land der Hoffnung trägt Weisheit im Herzen – in einem guten Herzen, auf das wir bloß zu lauschen brauchen, um die richtigen Antworten zu finden. Ich weiß, dass wir bloß der Anfang sind, aber ich weiß auch, dass was für Südafrika gilt, für die gesamte Welt gilt. Was es braucht ist ein positives Beispiel, und das wollen wir denjenigen bieten, die an uns glauben und ihre Hoffnungen in uns setzen, aber wir wollen es auch mitfühlend all jenen bieten, die uns hassen und verachten, weil auch sie ihre Furcht vor dem Unbekannten überwinden können. Ihr alle lebt ab heute auf einer verteidigten Insel der Freiheit und des Mitgefühls, der Kooperation. Aber euer Leben ist auch untrennbar mit dem um unsere Landesgrenzen hinweg verbunden, und deshalb fordere ich euch zum Schluss auf, den Blick über den Triumph des Heute hinweg auf die Hoffnung des Morgen zu richten, über die Freiheit dieser jungen Nation mit alten Wurzeln zu jenen, die euch mit Hass begegnet sind und begegnen werden. Vergebt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Vergebt ihnen, weil ihr wisst, was ihr tut. Richtet euren Blick auf den Vormarsch von Vielfalt und Brüderlichkeit, über die Mauern von Hautfarbe, Rasse oder Spezies hinweg auf diesen Tag des Neuanfangs. Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind nicht alle frei. Aber wenn der Tag gekommen sein wird, an dem alle die Freiheit haben und unser Land und unser Planet wieder vereint sind, wenn Menschen und Erbauer geeint sind und Bestandteil eines friedvollen und zu höchsten Hoffnungen berechtigten Globus, dann, wenn dieser Tag gekommen sein wird, können wir mit Befriedigung von uns sagen, dass die Südafrikaner und seine vielfältigen Bewohner das Licht der Zukunft entzündet haben. Alle freien Menschen und Erbauer, wo immer sie gerade leben mögen, was auch immer sie gerade durchmachen mögen, sind Bürger dieses Südafrikas, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Südafrikaner, und schon bald wird dieser Ort ein sichtbares Symbol für den Aufbruch sein, das weithin für alle Augen klar erkennbar sein wird.«

Hortat trat von seinem Rednerpult zurück und begann wieder zu winken, als Applaus einsetzte und zu einem regelrechten Jubelsturm wurde. Er verneigte sich einige Male und ging dann vom Podium herunter, wo er sofort von einer Traube seiner Bodyguards umgeben wurde, zwei Erbauern und sechs Menschen, die mit wachsamen Blicken alles und jeden bedachten, der sich in diesem Raum befand. Seine Assistentin, die er während der Rede die erste Reihe hatte verlassen sehen, war mittlerweile zurückgekehrt, und die Leibwächter ließen sie in seine kleine Schutzblase hereinkommen, während sie sich langsam zum Ausgang vorankämpften, nachdem er ihnen ein entsprechendes Zeichen gegeben hatte.

»John F. Kennedy. Nicht schlecht«, meinte sie an seiner Seite und nickte anerkennend und – wie immer – mit spöttischem Unterton.

»Er war eine inspirierende Persönlichkeit, auch für mich. Du hast die Rede doch mitgeschrieben.«

»Weil du dich nicht davon abbringen lassen wolltest.«

»Er war umstritten als Präsident. Der Kult um ihn entstand erst nach seiner Ermordung.«

Hortat lächelte, antwortete jedoch nicht.

»Du hast Zukunft gesagt«, wechselte sie unvermittelt das Thema, nachdem er einige Hände geschüttelt hatte, die es durch den Sicherheitskokon aus breiten Rücken geschafft hatten. »Sie kann gar nicht perfekt werden.«

»Ein treffender Begriff für das, was wir vorhaben, findest du nicht? Wir haben die absolute Mehrheit errungen, also werden wir auch das Wahlrecht ändern können. Ein guter Schritt in eine gute Zukunft.«

»Die Mühlen der Politik mahlen langsam.«

»Die Politik wird hier nicht das Problem sein, sondern die Technologie, und dieses Problem ist gelöst.«

»Ist es das?«

»Ja. Du wirst es sehen. Morgen beginnen wir mit der Arbeit.«

»Du bist Wahlsieger, aber noch nicht vereidigt. Für mich wird sie beginnen, und ich weiß nicht einmal, wie sie aussehen wird. Oder wie ich das durchstehen soll.«

»Versöhnung beginnt man am besten sofort, und sie nimmt Wege, die wir häufig erst im Nachhinein verstehen. Wenn du diesen Weg gehen kannst, dann wird es sich dir von selbst zeigen.« Er suchte ihren Blick, und sie verharrten eine Weile ineinander, ehe sie tief einatmete und nickte.

Als sie den Ausgang erreicht hatten und in die kühle Nachtluft Johannesburgs hinaustraten, wartete bereits der Fahrzeugkonvoi auf sie: eine schwer gepanzerte Limousine und vier SUVs mit Bodyguards, die in den geöffneten Türen und im Zentrum einer doppelt so großen Polizeieskorte warteten. Die Straße war auf seinen Wunsch hin abgesperrt worden, sodass es keine Menge gab, die ihm zujubeln konnte. Zusammen mit seiner Assistentin stieg er in den Fond der Limousine ein, und als einer der Leibwächter die Tür zuschlug, wurde es totenstill.

»Hast du migebracht, worum ich dich gebeten habe?«

Sie zögerte kurz und nickte dann, legte ihre Handtasche neben sich und fasste an den Türgriff.

»Ich wünschte, ich könnte mit dir kommen.«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf und lächelte ruhig. »Dein Weg ist ein anderer.«

Wieder trafen sich ihre Blicke für eine lange Zeit. Sein Fahrer sah bereits ungeduldig zu ihnen nach hinten. Ihm fiel auf, dass es sich nicht um Sabo handelte, sondern einen seiner Ersatzmänner, der ihn vor ein paar Monaten zu einer Wahlkampfveranstaltung gefahren hatte. Er wirkte nervös in seiner neuen Funktion – immerhin war sein Chef jetzt kein Außenseiterkandidat mehr, sondern gewählter Präsident der Südafrikanischen Sonderverwaltungszone.

Schließlich öffnete seine Assistentin die Tür und trat in die Nacht hinaus. Sie sah sich nicht mehr um und stieg die Treppen zum Hotel hinauf. Als sie darin verschwunden war, klebte Hortats Blick noch immer auf den Nachbildern seiner Netzhaut, ihrer verblassenden Silhouette in der Nacht.

»Wir können losfahren«, sagte er und nahm ihre Handtasche. Sein Fahrer tat es nicht und war stattdessen im Begriff, sich gerade umzudrehen, als eine mächtige Explosion die Limousine zerfetzte. Der kurzlebige Feuerball ließ den Straßenzug aufleuchten und versiegte rasch wieder, als im selben Moment ein kalter Regen einsetzte.

1

PANO

ACHT STUNDEN NACH DEM ANSCHLAG

Pano blickte auf sein Handterminal hinab und seufzte. Er griff in seine Jackentasche und zog den kleinen Inhalator heraus, den er schon seit einer Stunde mit der Hand knetete. Nachdem er einen Stoß eingeatmet hatte, seufzte er erneut, diesmal erleichtert.

»Flugangst?«, fragte seine Sitznachbarin und lächelte mild.

»Nein. Asthma.«

»Ich verstehe das. Habe selbst damit zu kämpfen gehabt. Aber dann habe ich so ein Seminar gemacht, das mir meine Familie zum Geburtstag geschenkt – oder eher verordnet hat!« Die ältere Dame mit den grauen Locken gluckste mit pietätvoll vor den Mund gehaltener Hand und zwinkerte ihm mütterlich zu. »Ich kann Ihnen sagen, dass mir damals ganz schön der Schweiß auf der Stirn stand, allein schon von der Vorstellung, mich mit dem Thema Fliegen befassen zu müssen.«

»Ich habe wirklich keine Flugangst, Ma’am«, wiederholte er und konnte sich nur mühsam davon abhalten, mit den Augen zu rollen.

»Das ging mir genauso. Ich habe gedacht, dass wenn ich es nicht sage, es auch nicht so ist. So war es auch …«

»Hören Sie, Ma’am«, unterbrach er sie und räusperte sich, ehe er sie direkt anblickte. »Ich habe weder Schweiß auf der Stirn, noch Angst davor abzustürzen. Wenn es Ihnen hilft, über Ihre eigene Flugangst zu reden, dann tun sie das, aber bitte: Ich habe Kopfschmerzen und habe keine Lust auf diese Reise.«

»Ähem.« Seine Nachbarin richtete sich auf und strich ihren altmodischen Rock zurecht. »Tut mir leid, junger Mann. Ich wollte Sie nicht stören.«

Pano seufzte. »Es tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein, ich habe nur einfach einen miesen Tag, das ist alles.«

»Das verstehe ich. Haben wir doch alle seit dieser schrecklichen Sache«, gab sie in versöhnlichem Tonfall zurück. »Mein Sohn wohnt keine zwei Blöcke vom Ort des Anschlags entfernt.«

»Schlimme Sache«, murmelte er.

»Er war die Hoffnung einer ganzen Generation, wissen Sie? Sie sind bestimmt Europäer, oder? Italiener?«

»Nein!«, brummte Pano und mäßigte sich rasch wieder. »Ich bin Südtiroler.« Er blickte auf seine spitz zulaufenden Kunstlederstiefel hinab und zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur einen guten Geschmack.«

»Südtirol?« Die Dame sah aus, als zermartere sie sich ernsthaft den Kopf. »Das kenne ich nicht.«

»Wir sprechen deutsch, essen deutsches Essen und sind eher Österreicher. Außerdem arbeiten wir härter und …«

»Aber das gehört zu Italien?«

»Ja, aber …« Er seufzte erneut und winkte ab. »Egal.«

»Was machen Sie in Johannesburg, wenn ich fragen darf?«

Pano hob sein Handterminal an und hielt das Display so, dass sie den Betrag auf seiner Konto-App ablesen konnte. Sie machte große Augen.

»Oh.«

»Ja.« Er nahm es zurück und musterte die siebenstellige Zahl einmal mehr. Es war, als handle es sich um ein komplexes Bild, das viele kleinere und größere Rätsel enthielt, die er nicht zu erkennen vermochte, so sehr er sich auch konzentrierte. Natürlich handelte es sich bloß um Ziffern, aber es steckte so viel mehr dahinter. Warum zahlte man ihm so viel Geld? Das war selbstverständlich die naheliegendste Frage, auf die er noch immer keine Antwort bekommen hatte. Die zweite und wesentlich wichtigere aber war, warum er es nach so kurzer Bedenkzeit überhaupt angenommen hatte. Zum x-ten Mal öffnete er die Kurznachricht, die er schon so oft angestarrt hatte, dass sie sich in seine Netzhaut gebrannt zu haben schien: Ich brauche deine Hilfe. Komm sofort nach Johannesburg. Dazu dieser seltsame Countdown, der seither in einer gesonderten App herunterzählte.

»Sie sind also beruflich unterwegs?«

»Ja.« Er nickte und steckte sein Handterminal fort.

»Sie kommen mir gar nicht wie ein Geschäftsreisender vor.«

»Nicht?«

»Nun ja, wenn Sie so viel Geld haben, würden Sie doch sicher in der Businessclass fliegen und nicht hier hinten in der Economy.«

»Mir wurde ein Privatjet angeboten, aber ich habe abgelehnt und im erstbesten Linienflieger gab es keine Businessclass-Tickets mehr. Ist mir aber auch egal. Der Flug dauert nur wenige Stunden.«

»Abgelehnt? Warum sollten Sie das tun?«

»Weil mein Geschäftspartner ein – pardon – Arschloch ist und ich keine Almosen von ihm will.«

»Aber Sie haben doch ohnehin sein Geld genommen? Dieser Betrag kommt doch von diesem Geschäftspartner, schätze ich?«, fragte sie und in seinem Magen ballte sich eine Faust zusammen.

»Ja«, knurrte er. »Frage mich selbst, weshalb.«

»Kennen Sie ihn?«

Ja, ich habe gemeinsam mit ihm die Welt und die Erbauer gerettet. Gern geschehen, übrigens, dachte er und glättete gleichzeitig seine Züge.

»Ja, ich kenne ihn ein wenig. Sie kennen ihn auch.« Pano sah aus dem›Fenster‹, einem ovalen Ausschnitt in der Kabinenwand, der weder Rand noch Kontur besaß, und zog sein Handterminal hervor, auf dem er die App der Fluggesellschaft öffnete. »Warten Sie kurz, ich mache das Fenster größer.«

Mühsam tippte er sich durch das Menü und suchte die Steuerung für das ihm zugewiesene Fenster, damit er den Sensoren befehlen konnte, Echtzeitbilder von draußen an die Innenwand zu projizieren.

»Ist wirklich ein Wunder, dass diese alten Geräte überhaupt noch unterstützt werden«, kommentierte die Dame, die trotz Rejuvenation offenbar deutlich älter war als er. »Darf ich?«

Pano gab entnervt auf und warf das Terminal in die kleine Tasche am Vordersitz. Seine Sitznachbarin lächelte und öffnete ihre linke Handfläche, wo sich dichte STE-Tattoos in ihren oberen Hautschichten wanden. Symbole erschienen und sie tippte mit den Fingern der anderen Hand darauf herum. Kurze Zeit später wurde der gesamte Hüllenabschnitt neben Pano scheinbar transparent. Einige einsame Wolken flogen herbei, und im Osten waren bereits die Lichter von Johannesburg zu sehen, das sich wie ein leuchtender Teppich unter der einsetzenden Dämmerung in einer langweiligen Hügellandschaft dahinstreckte, so weit das Auge reichte. Die City stach mit ihren vielen Wolkenkratzern hervor, die sich bis zu eintausend Meter in die Höhe streckten. Sie waren kein Vergleich zu jenen neuen in Asien, die teilweise zwei- oder dreimal so hoch waren, aber für Pano bildeten sie trotzdem einen ungewohnten Anblick für ein afrikanisches Land. Doch das war es nicht, was ihn den Atem anhalten ließ: Es war die pechschwarze Pyramide, die wie eine gigantische Fata Morgana direkt darüber reglos in der Luft schwebte. Sie bedeckte die gesamte Innenstadt und warf einen dichten Schatten darauf, der lediglich von den vielen Scheinwerfern durchbrochen wurde, die die Unterseite des Objekts beschienen.

»Wissen Sie, als ich es in den Nachrichten gesehen habe, dachte ich wirklich, dass es sich um einen Schwindel handelt«, meinte seine Sitznachbarin mit belegter Stimme. »Aber sie ist wirklich echt. Diese Pyramide, meine ich.«

»Mhm.«

»Was das wohl sein kann?«

»Ich weiß es nicht, Ma’am«, gab er zu, unfähig seinen Blick von dem Objekt abzuwenden. Die Spitzen der Wolkenkratzer reichten beinahe bis an die Basis der Pyramide, deren Höhe in etwa ihrer Entfernung von den Straßen Johannesburgs entsprach. Er konnte keine genauen Konturen erkennen, obwohl die Hülle – falls es denn eine war – nicht gänzlich glatt wirkte.

»Wie kann sie einfach so da schweben, als würde es keine Schwerkraft geben?«

»Erbauer«, murmelte er.

»Wie bitte?«

»Erbauer-Technologie. Ich habe Dinge gesehen, die Sie mir nicht glauben würden. Sie stecken irgendwie dahinter.«

»Es kann ja auch kein Zufall sein, dass diese Pyramide nur wenige Minuten nach dem Tod von Hortat aufgetaucht ist«, stimmte sie ihm zu, den Blick wie gebannt nach draußen gerichtet. Ihr elektrischer Überschalljet ging in eine scharfe Rechtskurve und bremste dann merklich ab.

»Verehrte Fluggäste, die Steuersoftware hat den Landeanflug eingeleitet. Wir bitten Sie, die Waschräume ab jetzt nicht mehr zu benutzen, ihre Tische hochzuklappen und die Sitzlehnen aufzurichten«, erklang die Stimme einer der Flugbegleiterinnen aus den Lautsprechern und sie begannen bereits an Höhe zu verlieren. Die Kurve erzeugte einen merkwürdigen Effekt, als würde die Pyramide um ihre Längsachse rotieren, was natürlich bloß eine Sinnestäuschung aufgrund der Lichtreflexionen auf ihren schwarzen Seiten und entlang der Kanten war. Nun kam eine weitere Pyramide in Sicht: die neue Zentrale der Human Foundation, die sich noch immer in Konstruktion befand. Im Gegensatz zum über der Stadt schwebenden mysteriösen Objekt, über das sich die ganze Welt seit Tagen den Kopf zerbrach, war das einst als Symbol von Macht und Einfluss der Organisation gedachte Prestigeprojekt geradezu mickrig, obwohl es riesig war und seine golden schimmernden Fassaden und Glaskonstruktionen das vermutlich Erstaunlichste zeigten, das menschliche Baukunst bieten konnte. Aber eben nur das: menschliche Baukunst. Wenn es noch eines Beweises bedurft hatte, dass ihre Spezies nicht bloß einige Ligen unter ihren bronzefarbenen Vorfahren aus der Kreidezeit rangierte, sondern nicht einmal in der gleichen Sportart spielte, dann war er spätestens mit dem Auftauchen der dunklen Pyramide erbracht. Das geschah auf gleich mehreren Ebenen. Sie war nicht nur deutlich größer und massiver, sondern sie schwebte auch noch und war in ihrer düsteren Schlichtheit ein Zeichen, das zu sagen schien: »Ich brauche weder Prunk noch Protz. Ich habe es nicht nötig, meine Überlegenheit zu unterstreichen.«

Dekadent!

»Was meinen Sie damit?«, fragte die Dame.

»Wie bitte?« Er schüttelte verwirrt den Kopf und löste sich aus seinen Grübeleien.

»Sie sagten gerade dekadent.«

»Oh. Ich war in Gedanken. Mein Ziel ist die Pyramide. Die kleinere.«

»Sie arbeiten für die Human Foundation?«

»Nein!«, antwortete er etwas zu schnell und zu harsch. »Noch habe ich nicht zugestimmt.«

»Aber Sie haben eine Menge Geld bekommen. Darum geht es doch bei dem Betrag, den Sie mir gezeigt haben?«

»Damit ich herkomme und mir anhöre, was für einen Mist auch immer sie mir erzählen wollen.«

»Sie scheinen die Foundation wirklich nicht zu mögen. Darf ich fragen, wieso? Ich weiß, dass viele Menschen in Europa und Nordamerika sie als zu erbauerfreundlich verteufeln, aber sicher wird ein gebildeter Mann wie Sie doch nicht diesen Unfug glauben?«

»Es ist … kompliziert.« Er begann gedankenversunken an dem goldenen Ring an seiner rechten Hand zu drehen und atmete tief ein.

»Sie sind verheiratet?«

»War ich.«

»Also sind Sie geschieden?«

»Nein, ich …«

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich die Dame. »Ich wollte Sie nicht bedrängen, Mister.«

Ihre ebenholzfarbene Stirn legte sich in Falten und ihr faltiger Mund verzog sich, als schäme sie sich.

»Ist schon gut.« Pano winkte ab und seufzte. »Ist schon lange her.«

»Sind Sie deshalb wirklich hier? Wegen Ihrer Frau?«

»Nein. Ja.« Er machte eine Pause. »Vielleicht. Ich weiß es nicht.«

»Lebt sie in Johannesburg?«

»Mhm.« Er nickte. »Sie hat sich vor langer Zeit der Human Foundation angeschlossen.«

»Oh. Sie aber nicht?«

»Nein. Ich habe mit unserem alten Leben abgeschlossen, und sie schien das auch getan zu haben, bis die Klone aus Sibirien umgesiedelt wurden und Bürgerrechte bekamen und all die Probleme auf der Welt angefangen haben.«

»Also denken Sie, dass die Erbauer schuld sind?«

»Nein.«

»Die Human Foundation?«

»Ja. Sie haben die ganzen Technologien vorgefiltert und für sich beansprucht, die uns die letzten zwanzig Jahre überschwemmt haben. Diese STE-Tattoos, die Rejuvenationen, all das. Wir waren nicht bereit dazu und sind es noch immer nicht.«

»Und Ihre Frau war anderer Meinung?«, wollte seine Sitznachbarin wissen.

»Sie war der Meinung, dass wir uns nicht auf unserem Altenteil ausruhen dürften und handeln müssten, um die Erbauer vor unserer Hyänen-Spezies zu schützen. Also hat sie sich selbst einer Rejuvenation unterzogen, obwohl wir beschlossen hatten, es nicht zu tun.«

»Ist das der Grund, warum Sie noch so ein altmodisches Handterminal benutzen?«

»Ja. Ich will meinen Körper nicht künstlich mit Dingen aufblasen, die ich nicht brauche, um glücklich zu sein. Komfort ist der Tod des Glücks, wissen Sie?«

»Aber Sie sind offensichtlich rejuveniert.«

»Ja«, hauchte er und drehte sich weg, um die sich nähernden Lichter Johannesburgs zu mustern. Vor seinem inneren Auge spielte sich eine Szene in den Alpen ab. Er stand mit Agatha vor der Glastür ihres Balkons, durch die sie das gesamte Tal mit seinen wunderschönen grünen Hängen und Wiesen sehen konnten. Ihr faltiges, gealtertes Gesicht war von Wut gezeichnet. Natürlich nicht so, wie bei anderen Menschen mit zusammengezogenen Brauen, schmalen Lippen und bebenden Wangen. Nein, es war Agathas ganz persönliche Art, Wut auszudrücken: ohne jegliche Regung, die Mimik so still wie ein Bergsee, die Augen kalt. Sie hielt den Flyer einer Rejuvenationsklinik der Human Foundation in der einen Hand und ihr Handterminal in der anderen. Er konnte nicht sehen, was darauf lief, wusste jedoch, dass es eine Nachrichten-App war, auf der die neuesten Schreckensmeldungen aus den europäischen Großstädten abliefen. Neue Anti-Erbauer-Krawalle, wieder ein Anschlag auf Niederlassungen der Human Foundation, extreme Polizeigewalt hier, Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten dort. Ihre Lippen bewegten sich, sie sprach, doch in der Erinnerung konnte er sie nicht hören. Das brauchte er auch nicht, da er ohnehin niemals vergessen würde, was sie gesagt hatte. Sie wollte wieder ins Getümmel, nicht mehr wegsehen. Sie schämte sich, nicht für sich oder ihn, sondern für ihre gesamte Spezies, was sie tief zu treffen schien. Er sah sich selbst, wie er ihr den Flyer aus der Hand nahm und beschwichtigend auf sie einwirkte. Im nächsten Augenblick saß er auf dem Balkon und sah sie mit ihrem gemeinsamen Wagen davonfahren. Eine einsame Träne fiel auf das Hochglanzpapier hinab und landete auf dem freundlich lächelnden Gesicht von Luther Karlhammer auf der Rückseite und irgendeinem Werbespruch darüber, was seine Foundation alles Gutes tat. Wütend zerknüllte er den Prospekt in seiner Faust. In einer weiteren Erinnerung stand er vor einer Klinik in Wien, über der das Logo der Human Foundation prangte. Er wollte sich umdrehen, doch schließlich machte er einen Schritt auf den Eingang zu.

Als er sich wieder aus den inneren Bildern löste, landeten sie bereits. Die Flugzeug-KI setzte ihren stromlinienförmigen Jet weich auf die asphaltierte Landebahn und bremste sanft genug ab, dass es keinen echten Ruck gab. Die Lichter des langgezogenen Terminals zogen glitzernd an ihnen vorbei, bis sie sich auf den Taxiway drehten und auf eine der Gangways zusteuerten. Sobald sie standen und die Anschnallzeichen erloschen waren, nickte Pano der alten Dame unverbindlich zu, die ihm eine Hand auf die Schulter legte.

»Johannesburg bringt Glück, wissen Sie? Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen.«

»Danke.«

Gemeinsam mit den anderen Passagieren verließ er das Flugzeug der Lufthansa und stellte sich an der Passkontrolle an, nur um dort von zwei Herren in Nadelstreifenanzügen angesprochen zu werden.

»Herr Hofer?«, fragte einer von ihnen in akzentfreiem Deutsch.

»Und Sie sind?«

»Wir sind hier, um Sie zum Hauptquartier zu bringen. Mein Name ist Schmidt, das ist Mr. Obanayo. Bitte folgen Sie uns.«

Pano zuckte mit den Schultern und trottete ihnen zum Schalter für Diplomaten hinterher, vor dem es keine Schlange gab. Der Beamte würdigte sie nicht einmal eines Blickes und winkte sie gelangweilt durch.

»Die strahlende Südafrikanische Sonderverwaltungszone«, schnaubte er. »Wo Korruption und Fremdenfeindlichkeit der Vergangenheit angehören.«

»Unser Wagen wartet vor dem Terminal«, meinte der Größere der beiden, Herr Schmidt, ungerührt. Pano fiel sofort die extreme Polizeipräsenz auf. Dutzende Beamte in Vollmontur standen zwischen den Imbissbuden und Reisebüros, die sich gegenüber der Ausgänge von den Flugsteigen befanden, und behielten das rege Treiben der Reisenden wachsam im Auge. Eine Familie wurde von Polizisten aufgehalten und musste ihre Taschen öffnen, was dazu führte, dass alles recht unwirsch durchwühlt wurde, ehe die eingeschüchterten Eltern vor unzähligen Augenpaaren wieder einpackten. Eine würdelose Prozedur, die die Umstehenden nicht zu kümmern schien. Vielmehr schien jeder peinlichst damit beschäftigt, so zu tun, als sei es gar nicht passiert. Es war eine Atmosphäre der Angst und Anspannung, die Pano beinahe körperlich spüren konnte, so als habe sich ein zu enger Mantel um ihn gelegt, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte.

Vor den Glastüren nach draußen, wo ihn eine erstaunlich kalte Nacht willkommen hieß, wartete ein riesiges SUV mit getönten Scheiben und geöffneten Türen. An der Fondtür wartete eine dunkle Frau im schwarzen Hosenanzug, die ihm freundlich zulächelte und in das Fahrzeuginnere deutete. Kurz bevor er einstieg, fielen ihm die beiden weiteren Wagen auf, die vor und hinter dem SUV parkten.

»Eine ganze Parade, nur für mich?«, bemerkte er spitz, doch die Dame lächelte bloß neutral, wartete, bis er artig eingestiegen war und folgte ihm dann.

»Mein Name ist Eluise Poyogami«, stellte sie sich vor, und über ihre Augen legte sich ein bläulicher Schimmer, als sie ihn musterte.

Pano verzog das Gesicht und räkelte sich unwohl auf seinem luxuriösen Sitz aus sündhaft teurem Kunstleder. Es gab sogar eine kleine Minibar zwischen den Vordersitzen, auf denen es sich Schmidt und Obanayo bequem machten. Der Wagen fuhr selbstverständlich selbstständig und offenbar in perfekter Synchronizität mit den beiden Begleitwagen.

»Wir freuen uns sehr, Sie in Johannesburg willkommen heißen zu dürfen, Mr. Hofer«, fuhr sie in sauberem Englisch fort. Der Schimmer in ihren Augen war verschwunden, doch sie machte einige Eingaben auf ihrem STE-Tattoo in der linken Hand. Die Linien und Farben der Tech bewegten sich wie winzige Schlangen hin und her, reagierten auf jede Berührung. »Die Fahrt wird etwa zwei Stunden in Anspruch nehmen, was wir zu entschuldigen bitten.«

»Zwei Stunden?«, fragte er überrascht.

»Ja.« Sie nickte. »Leider ist die Situation in der Stadt aktuell sehr angespannt. Der Präsident hat nach dem Anschlag auf Präsident Hortat den Ausnahmezustand verhängt und einige Stadtteile komplett abgeriegelt. Aufgrund von Protesten und einzelnen Aufständen innerhalb der Stadtgrenzen gibt es derzeit Verzögerungen.«

»Deshalb die Eskorte?«

Poyogami nickte.

»Sie brauchen sich keine Sorgen machen. Unsere Premiumfahrzeuge sind mit umfangreichen Abwehrmaßnahmen ausgestattet.«

»Ich dachte, das hier sei das gelobte Land«, entgegnete er mürrisch. »Leben in Eintracht statt Zwietracht.«

»Der Anschlag hat alles verändert. Präsident Muyabe versucht, sich mit Notstandsgesetzen an der Macht zu halten. Hortat wäre erst in einem Monat vereidigt worden, und so sieht sich der eigentliche Wahlverlierer noch immer als legitimer Regierungschef. Hortats Vize Judy Jones akzeptiert er nicht als Nachfolgerin. Zumindest noch nicht.«

»Deswegen gehen die Menschen auf die Straßen, schätze ich?«

»Ja, aber sie haben keine Unterstützung von den Mächtigen des Landes, weil sie alle Angst haben, im Zuge der Notstandsgesetze von Muyabes Polizeieinheiten inhaftiert zu werden – oder direkt zu verschwinden.«

»Klingt nach einem Diktator, wenn Sie mich fragen.«

»Darum gehen die Menschen auf die Straße, obwohl sie eigentlich nur zur Arbeit und zurück dürfen.«

Panos ungutes Gefühl im Magen breitete sich aus und gewann an Intensität hinzu, als er aus der gepanzerten Fensterscheibe in die Stadt hinausblickte, die an ihm vorbeizog. Die meisten Häuser rings um den Flughafen waren mehrstöckige Betonklötze, die offenbar in aller Eile im letzten Jahrhundert hochgezogen worden waren, um den explodierenden Einwohnerzahlen Herr zu werden. Johannesburg war seines Wissens nach schon immer ein kriminelles Moloch gewesen, auch wenn die zweitgrößte Stadt des Landes seit Anfang der 2000er eine kleine Renaissance erlebt hatte und die Zahl der Mordopfer – die häufig die der Verkehrstoten überstiegen hatte – war zurückgegangen. Dann war es freilich zur Reaktorkatastrophe von 2051 gekommen, und das gesamte Gebiet nördlich der Stadt war zur Sperrzone erklärt worden, bis auch dieses Problem mittels des Feenstaubs, wie die Bewohner ihn nannten, von der human Foundation gelöst worden war. Natürlich wusste jeder, dass es die Erbauer gewesen waren, denen sie mal wieder ein Geheimnis entlockt hatten. Diesem Umstand erst hatte es Südafrika zu verdanken, dass die öffentliche Stimmung gegenüber den jungen Riesen von wütenden Anfeindungen in geradezu verblendete Anbetung umgeschlagen war und es gelingen konnte, dass nicht einmal zwanzig Jahre später ein Erbauer zum Präsidenten gewählt werden konnte.

»Er nutzt also den Anschlag, um sich als starker Mann zu inszenieren, der bloß für Ordnung und Aufklärung des Mordes sorgen will«, fasste Pano zusammen, ohne sich seiner Sitznachbarin zuzuwenden. »Der Klassiker.«

Sie passierten ein ausgebranntes Reihenhaus an einer Kreuzung und rasten dann mit halsbrecherischem Tempo unter einer großen innerstädtischen Brücke hindurch auf eine Hauptstraße, die nach Norden hin von einer Hundertschaft der Polizei mit Helmen und Schlagstöcken abgeriegelt war. Zwei riesige Riotbots auf sechs Beinen standen dahinter, die vorderen Arme mit den Waffenaufsätzen drohend über die Köpfe der Menge schwingend, die gegen die Schilder der Sicherheitskräfte anbrandete.

Fünf Minuten später sahen sie einen ganzen Straßenzug in Flammen stehen und Mündungsblitze großkalibriger Waffen in der Dunkelheit. Eine Hubschrauberstaffel jagte über sie hinweg und ihre KI-gesteuerte Mini-Kolonne bog im letzten Moment scharf ab, als ein Lkw in eine Absperrung raste und so auf die Seite stürzte, dass der Weg geradeaus versperrt war.

»Meine Güte! Ist ganz das Paradies, von dem immer geschwärmt wird. Wirklich.«

»Sie mögen die Situation zynisch sehen, doch für uns Südafrikaner und die Human Foundation ist es eine Katastrophe. Wir waren auf einem guten Weg, die Zukunft friedlicher und toleranter zu machen, bis …« Poyogami schüttelte den Kopf. »Sagen wir einfach, dass dieses Land eine rasche Aufklärung des Anschlags benötigt.«

»Deshalb bin ich vermutlich hier, was?«

»Ich bin nicht befugt, diese Art von Gespräch zu führen.«

»Klingt mehr, als hätte ich es mit der CIA zu tun und nicht mit einer Hilfsorganisation.«

»Sie werden alle Ihre Fragen bald stellen können, Detective Hofer.«

»Detective?« Er schnaubte. »Für eine CIA-Agentin haben Sie aber schlecht recherchiert.«

Poyogami runzelte die Stirn, vielleicht irritiert, möglicherweise aber auch verunsichert ob seiner schroffen Art.

Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Ihm fiel auf, dass sie einen großen Bogen um die Innenstadt machten, in der flackernde Lichter, die wie roter Nebel zwischen den Wolkenkratzern aufwallten, auf weitere Straßenkämpfe hindeuteten. Die im Bau befindliche Pyramide der Human Foundation, die nach Fertigstellung der neue Hauptsitz werden sollte, lag auf einem kleinen Hügel, der offenbar in einer gewissen Höhe planiert worden war, und thronte herrschaftlich über der Stadt. Sah die Basis des mächtigen Bauwerks beinahe fertig aus mit ihren goldenen Fassaden und pechschwarzen Glasfenstern, die sich gleichmäßig abwechselten wie die Ringe eines Baumes, änderte sich das weiter oben.

»Sieht ja aus wie der halbfertige Todesstern«, kommentierte Pano den zerpflückten Anblick der Baustelle in der oberen Hälfte der Pyramide, wo rund ein Dutzend Kräne geparkt standen. Einige davon drehten sich im Licht der unzähligen Bauscheinwerfer. »An dem wurde auch rund um die Uhr gearbeitet.«

»Todesstern?«

»Na, ein Mond ist das da ja ganz sicher nicht.«

»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Mister.«

»Da sind Sie nicht die Einzige«, murmelte er in seinen Bart. Ihre Begleitfahrzeuge bogen ab, als sie sich der Absperrung des Geländes näherten und an einem Schlagbaum von bewaffnetem Personal überprüft wurden. Dann fuhren sie einen Schotterweg zum Haupteingang hinauf, der aussah wie der glasgewordene Traum eines Luxushotels. Eine altmodische Drehtür streckte sich auf den Vorplatz, wo in Beton gegossene Formen erahnen ließen, dass hier Springbrunnen geplant waren. Weitere Sicherheit gab es hier nicht, auch wenn er damit rechnete, dass sich irgendwo dieses neuartige Sensorband befand, das so ziemlich jedes Spektrum elektromagnetischer Strahlung und akustischer Signale auffangen konnte.

Poyogami gab ihren Kollegen ein Zeichen und nickte Pano zu, ehe ihr Blick abwesend wurde. Er zuckte bloß mit den Achseln und stieg gemeinsam mit Obanayo und Schmidt aus dem Wagen, die ihn draußen wieder flankierten und in Richtung des Eingangs deuteten. Durch die Tür erreichten sie ein riesiges Foyer mit einem langen Tresen, der mit unaufdringlichen Lichtelementen und strahlendem Weiß an die Konsolenarmatur von Raumschiff Enterprise erinnerte. Er fühlte sich wie in einer der neuen Roboterkliniken, die überall in Europa aus dem Boden sprossen und gleichzeitig wie in einem Museum, weil es so still war. Menschen befanden sich hier nicht, abgesehen von einer Imitation hinter dem Tresen, bei der es sich aber ganz offensichtlich um ein Hologramm handelte. Pano sah die Projektionsschiene an der Decke, und die blonde Dame mit dem unrealistisch guten Aussehen flackerte einige Male, als sie ihnen zulächelte.

»Willkommen im Hauptquartier der Human Foundation. Ich bin Xinthia, virtuelle Assistentin. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«

Obanayo und Schmidt führten ihn wortlos am Tresen vorbei zu den Fahrstühlen. Insgesamt zehn Kabinen, die bereits fertig waren, deuteten an, welche Ausmaße dieses Mammutbauwerk einmal annehmen würde.

Sie fuhren wider Erwarten nach unten, was er mit einer hochgezogenen Braue zur Kenntnis nahm. Seine beiden Schatten schienen es nicht zu bemerken oder beschlossen zu haben, es zu ignorieren. Und so stiegen sie nach einer Weile wieder aus in einen großen freien Bereich von der Größe mehrerer Fußballfelder, der von vielen kleineren Glasparzellen in ein Labyrinth verwandelt wurde. Zu Panos Überraschung funktionierte die Orientierung trotzdem recht gut, da die meisten Scheiben eine geringfügig andere Tönung besaßen als der Rest. Dahinter arbeiteten hunderte Menschen und sogar einige Erbauer an Schreibtischen und in AR-Kollektiven, die er an den Sitzkreisen und ihren leeren Blicken erkannte.

»Von wegen Baustelle«, sagte er, als sie in einen Konferenzraum traten, in dem Luther Karlhammer und eine Frau im Hosenanzug saßen, die ihn keines Blickes würdigte. Sie wirkte ein wenig verloren am Ende des ausladenden Tisches, auf dem sich allerlei Knöpfe und ausfahrbare Displays befanden. In der Mitte deutete eine runde Platte auf einen Holoprojektor hin.

»Freut mich auch, Sie wiederzusehen, Pano«, erwiderte der Gründer der Human Foundation und stand auf, um ihm eine Hand entgegenzustrecken. Pano tat, als würde er es nicht bemerken und sah sich anerkennend um, während er auf den zurückgezogenen Stuhl neben dem mächtigsten Mann der Welt zuging.

»Lassen Sie mich raten? Sie können mir versichern, dass dieser Todesstern voll einsatzbereit ist.«

»Ähm, wie bitte?« Karlhammer wechselte einen verwirrten Blick mit seiner Sekretärin – zumindest schätzte er, dass es sich um eben jene handeln musste, da sie ununterbrochen auf einer virtuellen Tastatur zu tippen schien.

»Keiner mehr mit Filmgeschmack.«

»Wir haben unser Hauptquartier bereits vor einigen Wochen verlegt, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre sahen wir uns gezwungen, vorsichtiger zu werden.«

Pano dachte an die Bilder des Anschlags zurück, der Anfang letzten Jahres auf den Human Tower in Kapstadt verübt worden war. Eine gekaperte Suborbitalrakete war eingeschlagen und hatte zwar letztlich nur die Spitze des Wolkenkratzers zerfetzt, dabei aber einen ganzen Straßenzug der Innenstadt verwüstet, was zu großer Sorge in der dortigen Zivilbevölkerung geführt hatte.

»Stimmen die Gerüchte, dass es die CIA war?«, wollte Pano wissen.

Karlhammer machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist kein Geheimnis, dass die Vereinigten Staaten uns nicht wohlgesonnen sind. Sie wollen die Kontrolle über die Erbauertechnologie und schätzen uns nicht als Gatekeeper. Damit sind sie aber nicht allein, wie Sie als Europäer nur zu gut wissen. Politik ist immer das gleiche Spiel: Jeder will einen Vorteil gegenüber den anderen erringen, um sie zu Dingen zwingen zu können, die nur zu ihrem Vorteil und zum Nachteil der anderen sind.«

»Und Sie tun das nicht?«

»Wir tun das, was zum Vorteil von Menschen und Erbauern zugleich ist. Wir schaffen einen Ausgleich.«

»Und Sie filtern vor, welche Technologien gut für uns sind, und welche nicht.«

»Ja«, gab Karlhammer zu. »Ungehemmter technologischer Fortschritt führt schnell in Sackgassen. Denken Sie nur an die Erfindung des Internets. Die Erfinder hatten es als Netzwerk im Sinn, das schnelleren Datenaustausch und Wissensvermehrung, Zugang zu Bildung und all diese Dinge ermöglichen sollte. Wenig später bestand beinahe die Hälfte des weltweiten Datentraffics aus Pornografie. Später nahmen sich Unterhaltungsangebote der Streams noch einen Gutteil des restlichen Kuchens und die Produktivität nahm immer mehr ab, was auch an den Smartphones lag, die unserem Gehirn eine Menge Arbeit abnahmen.

---ENDE DER LESEPROBE---