Das gefallene Imperium 5: Die Ehre der Legion - Stefan Burban - E-Book

Das gefallene Imperium 5: Die Ehre der Legion E-Book

Stefan Burban

0,0

Beschreibung

Die Drizil setzen zu ihrer letzten Offensive gegen Carlo Rix und dessen Verbündete an. In einem gewagten Unterfangen führen die Streitkräfte der Invasoren ihre Verbände zu einem Zangenmanöver, indem sie sowohl die letzten freien imperialen Welten als auch die Systeme der Allianz angreifen. Die Verteidiger beider Fronten befinden sich von Anfang an in der Defensive. Zahlen- und waffenmäßig weit unterlegen stehen imperiale Legionen und Allianztruppen bald schon mit dem Rücken zur Wand. Die Niederlage scheint nur noch eine Frage der Zeit. Selbst die Schattenlegion kann den endgültigen Untergang lediglich hinauszögern, nicht aber verhindern. Doch in letzter Sekunde ersinnt Carlo Rix einen verzweifelten Plan, mit dem er hofft, das Ruder noch herumreißen zu können. Sollte dieser Plan jedoch tatsächlich erfolgreich sein, so würde er weit mehr als nur unzählige Leben kosten. Um wirklich erfolgreich zu sein, müsste Carlo alles aufgeben, woran er glaubt und was ihn ausmacht …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 500

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Prolog

Teil I. Widerstand

1

2

3

4

Teil II. Der Feind, mein Verbündeter

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Teil III. Krieg ohne Ehre

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

Epilog

Weitere Atlantis-Titel

Stefan Burban

Die Ehre der Legion

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Juni 2019 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-656-0 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-671-3 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Unter Feuer Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen (Plato)28. Oktober 2856

Barinbau stand seit fast einer Woche unter heftigem Beschuss starker Drizilverbände. Captain Montgomery Mumford vom Neuen Protektorat führte die Verteidigung vom Schlachtkreuzer der Behemoth-Klasse HMS Winston Churchill aus.

Er besaß nicht viel, um den Gegner in Schach zu halten. Sein gemischtes Geschwader bestand noch aus zwei Dutzend ehemaligen imperialen Großkampfschiffen, etwa hundert Torpedobooten sowie einem Dutzend Allianzkriegsschiffen. Aufgrund ständigen Rohstoffmangels hatte die Allianz Schiffsfriedhöfe und ehemalige Schlachtfelder geplündert und Mittel und Wege gefunden, Einzelteile imperialer Schiffe mit den Wracks von Drizilraumern zu kreuzen. Die Protektoratstruppen nannten das Endergebnis schlicht Warzenschweine. Ähnlich hässlich sahen sie auch aus. Trotzdem musste Mumford eingestehen, dass sie ohne deren Hilfe nicht würden standhalten können.

Die Allianz legte inzwischen Schiffe nach imperialem Vorbild auf Kiel. Einige wenige waren bereits fertiggestellt, wie etwa der Angriffskreuzer Hope. Die Massenproduktion musste aber erst noch richtig anlaufen.

Mumford sah durch das Brückenfenster auf die sich nähernden Drizilkriegsschiffe und seufzte tief. Es wäre schön gewesen, hätten die Fledermausköpfe ihnen hierfür etwas mehr Zeit gelassen.

Sein Erster Offizier, Commander Jennifer McCauley, trat an ihn heran und reichte ihm ihr Datenpad. Er überflog es und reichte es frustriert zurück. In der Ferne blitzten Explosionen auf, als die Drizilflotte die Reste des Minenfelds durchbrach. Die Drizil arbeiteten bereits seit gut drei Tagen daran, das Feld zu räumen. Ihre Taktik war zwar einfach, nichtsdestoweniger effektiv. Sie legten mit den Bordwaffen einen Teppich vor ihren Verbänden. Mumford verzog gehässig die Miene. Die Taktik war effektiv, gut und schön, aber nicht perfekt. Allein innerhalb der letzten achtundvierzig Stunden hatten die Fledermausköpfe mehr als dreißig Schiffe an das Minenfeld verloren.

»Wie lange noch?«, wollte der Captain tonlos wissen.

»Weniger als zwölf Stunden schätzen die Analytiker«, erwiderte McCauley ebenso leise. »Dann ist das Minenfeld so weit dezimiert, dass die Drizil schalten und walten können, wie es ihnen beliebt.«

Mumford schnaubte. »Das können sie bereits jetzt.« Sein Blick zuckte nach links, wo die graubraune Staubkugel lag, die sich allen Ernstes Planet schimpfte. Normalerweise würde niemand auch nur mit dem Gedanken spielen, für diesen Planeten zu kämpfen. Barinbau war jedoch rohstoffreich und damit enorm wichtig für das Protektorat und seine neuen Verbündeten von der Allianz. Ohne Rohstoffe, keine Raumschiffe, keine Rüstungen, keine Waffen, keine Munition.

Vor einem Tag war es einer größeren Drizilstreitmacht gelungen, trotz großer Verluste zum Planeten durchzubrechen und in großer Zahl Truppen abzusetzen. Sie hatten sich einfach durch das Minenfeld gekämpft und dabei hohe Verluste schlicht in Kauf genommen. Etwas, was kein menschlicher Kommandant, der seinen Sold wert war, gewagt hätte. Doch leider ging der Plan auf. Die Drizil rückten inzwischen am Boden und im Raum gegen die verteidigenden Einheiten vor.

Seit der Kampflandung der Fledermausköpfe herrschte auf dem Planeten die Hölle. Die Bodenkämpfe waren nicht weniger brutal als jene im All. Mumford wollte nicht mit den Erdkriechern tauschen, wie die Infanterie scherzhaft von Raumoffizieren genannt wurde.

Seine Einheiten hatten alles versucht, den Gegner aufzuhalten. Mumford hatte ein gutes Dutzend Protektoratsschiffe und fast ebenso viele Allianzeinheiten verloren.

Über dem Nordpol des Planeten befanden sich noch immer elf Drizilschiffe, die das Gefecht im Orbit überlebt hatten. Der Feind hatte das Kunststück fertiggebracht, Mumford vom Planeten abzudrängen. Obwohl die imperialen Einheiten zumindest zahlenmäßig immer noch deutlich überlegen waren, wagte er keinen Angriff gegen die feindlichen Stellungen. In Erwartung des gegnerischen Durchbruchs am Minenfeld zog er alle seine Kräfte zusammen. Wenn sich die beiden Drizilverbände vereinigten, würde Barinbau fast sicher fallen. Mumford würde das nicht gestatten.

Weitere Explosionen blitzten auf, als die Drizil Raketen und Energietorpedos nach einem vorher festgelegten Beschussplan in den Raum entsandten und dort detonieren ließen. Mumford ließ die Positionen des noch vorhandenen Minenfelds auf sein taktisches Hologramm legen.

Er fluchte unterdrückt. Die Drizil wussten es noch nicht, doch sie hatten das Feld bereits so weit ausgedünnt, dass ein halbwegs gefahrloser Vormarsch ihrer Hauptverbände möglich wurde.

Mit schockierender Plötzlichkeit verschwanden zwei ihrer Zerstörer und eine Fregatte vom Plot. Mumford grinste gehässig. Die drei Schiffe waren in einen Bereich des Systems vorgedrungen, in dem noch einige Minen lagen und auf Beute lauerten. Das war Pech für die Drizil, aber gut für Barinbau.

Die Drizil verlangsamten ihren Vormarsch erneut und verdoppelten im Gegenzug den Beschuss. Der unerwartete Verlust dieser drei Schiffe ließ sie vorsichtiger werden. Mumford nickte. Gut, das verschaffte seinen Einheiten und ihm selbst ein wenig mehr Zeit. Allerdings wusste er nicht, ob ihm das viel nutzen würde. Irgendwann wären die Drizil auf Gefechtsentfernung heran. Und sie waren ihm fast zwei zu eins überlegen. Sollte keine Verstärkung eintreffen, würde Barinbau nicht zu halten sein. Das Problem dabei war: Er wusste genau, es gab keine Verstärkung.

Colonel Benedikt Sanchez stapfte in seiner klobigen Kampfrüstung über das Schlachtfeld und huschte dabei behände von Haus zu Haus. Er nutzte jede mögliche Deckung, um den Drizil einen Schritt voraus zu bleiben.

Der Prätorianeroffizier, den Rix aus dem Solsystem gerettet hatte, kommandierte die Bodenverteidigung von Barinbau. Er verfügte über sechshundert gut ausgebildete und ausgezeichnet bewaffnete Prätorianer sowie etwa sechstausend Mann der 111. Fremdenlegion, einer Einheit imperialer Legionäre, die Rix aus den Überresten eines Dutzends während des Krieges aufgeriebener Einheiten zusammengestellt hatte.

Die Legionäre waren gut, keine Frage, doch die meisten von ihnen hatten nie zusammengearbeitet. Sie waren kein Team und darunter litt ihre Effizienz. Irgendwann würden sie vielleicht einmal eine ernst zu nehmende Einheit werden, im Moment waren sie davon aber noch weit entfernt.

Über Sanchez rauschte es und der Prätorianeroffizier hob den Kopf. Driziljäger der Typen Flüsterwind und Blutstachel flogen über ihn hinweg. Er gab seinen Männern ein kurzes Zeichen, still zu verharren. In der Ferne vernahm er, wie die Feindjäger etwas am Boden bombardierten. Vereinzeltes Feuer aus versteckten Bodenstellungen erwiderte den Beschuss. Gleichwohl eilten keine eigenen Jäger herbei, um den Gegner für seine Frechheit zu bestrafen. Das war kein gutes Zeichen. Es bedeutete, die Drizil besaßen die absolute Luftüberlegenheit. Eine Schlacht ohne Luftüberlegenheit war praktisch nicht zu gewinnen.

Auf seinem HUD blitzte eine Warnung auf. Die Sensoren der Rüstung hatten Bewegung ausgemacht. Die Prätorianer unter Sanchez’ Befehl verteilten sich augenblicklich mit angelegten Waffen zu beiden Seiten der Straße. Bereits nach wenigen Sekunden blinkte die Entwarnung auf. Die IFF-Kennung identifizierte die Neuankömmlinge als Teil der 111.

Sanchez gab einen kurzen Funkimpuls über die interne Kommunikation an die Legionäre und gab ihnen zu verstehen, sie dürften sich nähern. Verbale Kommunikation wurde inzwischen auf ein Minimum reduziert. Es bestand die sehr reale Gefahr, dass die Drizil in ihre Funkkanäle eingebrochen waren.

Die Legionäre der Fremdenlegion eilten über den großen Marktplatz. Sie bewegten sich schnell und zielstrebig. Es handelte sich lediglich um zwei Trupps, ausnahmslos Aufklärungslegionäre.

Sanchez trat ihnen entgegen. Der Anführer salutierte kurz und ging in einem Hauseingang in die Hocke. Der Prätorianeroffizier tat es ihm gleich. Beide öffneten ihren Helm. Sanchez atmete die raue, ungefilterte Luft dankbar ein. Sie roch zwar nach Qualm und dem Gestank abgefeuerter Waffen und gefallener Bomben, doch sie war dem sterilen Gas, das in seinem Anzug immer wieder aufbereitet wurde, jederzeit vorzuziehen.

»Wie sieht es aus?«, wollte Sanchez wissen.

Der Aufklärungslegionär, ein Veteran mit einer bösartig aussehenden Narbe quer über der Stirn, schüttelte den Kopf. »Nicht gut. Die Drizil haben die andere Seite der Stadt eingenommen. Damit umfasst der Bereich, den sie kontrollieren, einen Kreis mit etwa hundertfünfzig Kilometer Radius. Ausgehend von ihrer Landezone.«

Sanchez fletschte erneut die Zähne. »Wie viele?«

»Zehntausend. Mindestens. Wir kamen nicht näher als zwanzig Kilometer an die Landezone ran. Aber nach dem, was da an Truppentransportern steht, wird die LZ von einer Truppe in derselben Stärke gehalten.«

Sanchez’ Schultern sackten leicht ab. »Wir sind nicht stark genug, sie wieder zu vertreiben«, meinte er niedergeschlagen.

Der Aufklärungslegionär nickte. »Colonel Azikiwe ist der gleichen Meinung. Er hat einen Rückzug in die Innenstadt befohlen. Er will die Verteidigung auf den Häuserkampf und die Minenanlagen am Südende der Stadt konzentrieren.«

Colonel Nigel Azikiwe befehligte die 111. Fremdenlegion. Ein Prätorianer ließ sich von einem Offizier der gewöhnlichen Legionen nichts befehlen, dennoch kam Sanchez nicht umhin, Azikiwe insgeheim zuzustimmen. Wenn bereits derart viele Drizil die Nordseite der Stadt stürmten, war sie nicht länger zu halten. Auch die Prätorianer würden nicht viel ausrichten können.

Die Stadt war eine Bergbausiedlung. Sie war direkt im Anschluss an die Minen gebaut worden, damit die Arbeiter keine langen Anfahrtswege zu ihrer Arbeitsstelle zurücklegen mussten. Aus diesem Grund bot die Verteidigung der Südseite einige Vorteile. Die Legionäre konnten sich dort verschanzen und dem Gegner auf dessen Vormarsch erhebliche Verluste beibringen. Und sollten die Fledermausköpfe trotzdem durchbrechen, konnten die Verteidiger als letzte Konsequenz den Rückzug in die Minen antreten und sich dort noch eine Weile verteidigen. Es würde ein Kampf mit dem Rücken zur Wand sein, doch das war er ja schon immer gewesen.

Sanchez nickte. »Gehen Sie voran«, wies er den Aufklärungslegionär an. »Wir folgen.« Mit diesen Worten schloss er seinen Helm und erhob sich geschmeidig.

»Feindliche Verbände nehmen Fahrt auf«, informierte seine XO ihn.

Mumfords Hände packten verkrampft die Lehnen seines Kommandosessels. Er zwang sie mühsam, sich wieder zu entspannen. Da war er also: der Moment, den er gefürchtet hatte. Die Drizil waren der Meinung, das Minenfeld genug ausgedünnt zu haben, um einen Großangriff wagen zu können.

»Befehl an alle Einheiten«, ordnete er an, »auf Gegenkurs gehen und Gefechtsformation einnehmen.«

Mumfords Gedanken rasten. Energietorpedos der Drizil verfügten über eine höhere Reichweite. Hätte er über die doppelte Anzahl an Einheiten verfügt, so hätte er sich ungeachtet des feindlichen technologischen Vorsprungs dafür entschieden, auf Abstand zum Gegner zu gehen und diesen so lange wie möglich zu halten. Terranische Torpedos waren zielsicherer und ihre Drizilpendants verloren mit zunehmendem Weg, den sie zurücklegen mussten, an Durchschlagskraft aufgrund massiven Energieverlusts.

Doch es sprachen in dieser speziellen Situation zwei Dinge dagegen. Die Drizil waren zahlenmäßig überlegen. Trotz ihrer mangelnden Genauigkeit und Durchschlagskraft auf höhere Entfernung würden die Fledermausköpfe sein Kommando in Stücke schießen. Außerdem war ihm die Sicherheit der einzigen bewohnten Welt im System anvertraut. Legte er den Rückwärtsgang ein, würde er den Drizil den Planeten kampflos überlassen und dazu war er nicht bereit. Es blieb also nur der Nahkampf. Und diesen musste er so schnell wie möglich herbeiführen.

»Voller Schub auf den Gegner!«, befahl er. Die Männer und Frauen auf der Brücke der Winston Churchill waren Profis. Sie versahen ihren Dienst mit der nötigen Disziplin. Trotzdem wurde er sich der unvermittelt umschlagenden Stimmung durchaus bewusst. Einen Nahkampf gegen einen überlegenen Verband aus Drizilschiffen würden sie nur unwesentlich länger überleben als ein Fernkampfduell. »Jäger ausschleusen!«

Die vier Trägerschiffe, über die Mumford verfügte, öffneten die Luken zu ihren Startdecks. Auf seinem taktischen Plot beobachtete er, wie insgesamt nicht einmal zweihundert Maschinen eine Position oberhalb des Verbands einnahmen. Zeitgleich formierten sich an ihrer linken Flanke die sechzig Jäger, die die Allianzschiffe mit einbrachten.

Besorgt musterte Mumford weiterhin seinen taktischen Plot und registrierte, dass der Gegner gut die doppelte Anzahl Jäger heranführte. Er schluckte schwer. Das ganze Gefecht besaß das Potenzial, zur Katastrophe zu werden. Er leckte sich über die staubtrockenen Lippen. Es half nicht viel.

Seine erste Kampflinie überschritt die imaginäre Markierung, die die effektive Gefechtsdistanz seiner Fernwaffen anzeigte. Er schluckte erneut.

»XO? Fernkampfgefecht starten!«

Colonel Benedikt Sanchez stürzte hinter der Deckung eines zerbombten Gebäudes hervor. Die beiden Drizil wurden davon völlig überrascht.

Sanchez führte in jeder Hand ein bösartig aussehendes Kampfmesser mit halbseitig geschliffener und halbseitig gezackter Klinge. Ähnlich wie die Schwerter der Schattenlegion, bestanden die Kampfmesser aus einem speziell gehärteten Verbundstahl, der so gut wie alles durchdringen konnte.

Das Messer in der linken Hand durchdrang problemlos das Helmvisier des Drizil. Der Soldat öffnete den Mund zu einem schrillen Todesschrei. Dieser lag oberhalb der Frequenzen, für die Menschen empfänglich waren, sodass Sanchez nichts davon hören konnte. Und die Filter seines Kampfanzugs bewahrten ihn vor den negativen Auswirkungen der tödlichen Drizilschreie.

Der zweite Drizil dagegen schüttelte seine Überraschung schnell ab. Er wich Sanchez geschmeidig aus, sodass dessen Stoß mit dem rechten Messer ins Leere ging. Der feindliche Soldat war beileibe kein Anfänger. Er ging in die Hocke, schnellte nach vorn und holte Sanchez von den Beinen. Dieser schlug schwer auf dem Rücken auf. Sein Kampfanzug bewahrte ihn davor, keine Luft mehr zu bekommen, nichtsdestoweniger war der Aufschlag auch so recht unangenehm.

Der Drizil zog seine eigene Klinge. Sanchez zögerte keine Sekunde, rollte sich um die eigene Achse und nutzte den Schwung, um wieder auf die Beine zu kommen. Sobald er wieder aufrecht stand, griff er auch schon an und überraschte den Drizil beinahe ein zweites Mal. Doch diesem gelang es gerade noch rechtzeitig, zur Seite auszuweichen.

Sanchez’ Klinge kratzte über die Rüstung des feindlichen Soldaten, ohne sie zu durchdringen. Der Drizil nutzte diesen Moment für eine eigene Attacke. Seine Klinge stieß blitzartig vor. Sanchez fletschte die Zähne. Er änderte schlagartig die Angriffsrichtung. Mit der linken Messerhand blockte er den feindlichen Angriff, während seine rechte in einer geraden Bewegung nach oben kam. Die Klinge durchdrang den Helm des Drizil und spaltete dessen Kinn. Der Drizil schrie – und dieses Mal war es ein Schrei, den Sanchez hören konnte. Aber Soldaten im Krieg durften kein Mitleid empfinden. Wäre die Situation andersherum, würde der Fledermauskopf keine Sekunde zögern.

Sanchez zog seine Klinge aus dem Helm, schlug dem feindlichen Soldaten die seine brutal aus der Hand, wobei er ihm das Handgelenk innerhalb seiner Rüstung brach, und nahm seinen Gegner in den Schwitzkasten. Dieser war durch Schmerz und Blutverlust bereits kaum noch bei Bewusstsein. Er setzte seine Klinge an einer Schwachstelle zwischen Rüstung und Helm des Drizil an. Zielsicher und entschlossen stieß er das Messer hinein und durchtrennte dabei den zweiten und dritten Nackenwirbel seines Gegners. Der Körper des Drizil erschlaffte augenblicklich. Sanchez ließ ihn achtlos zu Boden fallen.

Der Prätorianeroffizier atmete noch nicht einmal schwer, als er seine Messer wegsteckte und das Nadelgewehr aufhob. In seinen Ohren knackte es. »Colonel?«, drang die Stimme eines seiner Soldaten aus dem Komgerät. Sein Computer identifizierte die Stimme als die von Major Vasili Kuratow. Gleichzeitig wurde seine Position auf einer kleinen halbtransparenten Karte auf dem HUD des Colonels identifiziert. Er führte eine kleine Truppe von Prätorianern von der Südseite der Straße heran. »Feindbewegung im Norden«, informierte der Major ihn. »Drei Uhr.«

Sanchez ging in die Knie und spähte in die angegebene Richtung. Er brauchte nicht lange zu suchen. Eine Drizilkolonne bewegte sich rasch über drei Straßen in seine Richtung. Es waren etwa zweihundert Mann. Die beiden Soldaten, die er erledigt hatte, mussten Späher für diese Einheit gewesen sein. Während er die vorrückenden feindlichen Soldaten beobachtete, stieg seine Achtung für den Gegner etwas. Trotz ihrer Schnelligkeit bewegten sie sich mit äußerster Disziplin. Die Art und Weise, wie sie jedes Haus, jeden Keller und auch jedes verfallene und ausgebrannte Gebäude auf ihrem Weg kontrollierten, bewies in beeindruckender Weise ihre Erfahrung. Das waren keine Anfänger, sondern kampferfahrene Veteranen.

Sanchez schürzte die Lippen. Doch auch Veteranen waren anfällig gegen einen Hinterhalt, wenn man ihn nur gut genug platzierte.

Sanchez bestätigte die Funkverbindung. »Kuratow, bringen Sie Ihre Leute herüber.«

Kuratow zögerte. »Colonel Azikiwe hat den Rückzug befohlen.«

Sanchez zügelte seinen plötzlich aufkeimenden Unmut. Er schnaubte. »Azikiwe hat mir gar nichts zu befehlen.« Er zwang sich, etwas runterzukommen. Einen gleichrangigen Offizierskollegen vor Untergebenen niederzumachen, war schäbig und schlechter Stil. »Aber er hat recht«, gab er widerwillig zu. »Das ist jedoch kein Grund, den Drizil nicht noch ein Geschenk zum Abschied zu machen.«

Colonel Nigel Azikiwe, Befehlshaber der 111. Fremdenlegion, ließ den Blick über das schweifen, was nur wenige Wochen sein Hauptquartier gewesen war.

Die Männer und Frauen waren eilig dabei, alle vorhandenen Unterlagen einzuäschern. Es durfte nichts verbleiben, was dem Feind in irgendeinem Umfang nutzen konnte. Bei den Unterlagen handelte es sich nicht nur um Daten zu den auf Barinbau stationierten Einheiten, sondern auch um geheime Meldungen und Kommuniqués, die Rückschlüsse auf die Verteidigungsbemühungen von Protektorat und Allianz in anderen Systemen zuließen. Unter anderem Equuro, Vector Prime und sogar Perseus.

Azikiwe seufzte, während er langsam seinen Helm in der Hand wog. Während des Krieges hatte er die 32. Legion auf dem Planeten Duramar befehligt. Fünf Jahre lang hatten sie dort die Stellung gehalten, hatten gekämpft, geblutet und waren gestorben, Seite an Seite mit den Soldaten von Miliz und imperialer Armee. Erst als die große Offensive über sie hinwegrollte, der letztendlich auch das Solsystem zum Opfer fiel, hatten sie ihre Stellung aufgegeben.

Monatelang waren sie umhergeirrt, eingepfercht in die wenigen Schiffe, die sie besaßen, bis sie schließlich Perseus erreichten und sich dort Rix und seinem Ziel anschlossen, irgendetwas von der Menschheit zu retten und ihre Freiheit zu erhalten. Zu diesem Zeitpunkt waren noch einhundertdreiundfünfzig Legionäre der einstmals stolzen 32. Legion übrig.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Nun kommandierte er wieder eine Legion, doch er kam nicht umhin, Vergleiche anzustellen. Dabei kam die 111. nicht gut weg. Man musste zu ihrer Verteidigung anführen, dass sie aus den Überresten von gut drei Dutzend verschiedener Legionen bestand.

Natürlich gab es übergeordnete Vorschriften und Regeln des imperialen Militärs. Aber jede Legion besaß darüber hinaus eigene ungeschriebene Gesetze, eigene Arten, an eine bestimmte Situation heranzugehen. Und nun waren Tausende von Legionären gezwungen, zusammen in einer Einheit Dienst zu tun, ohne eine klare einheitliche Linie. Azikiwe hatte sich bemüht, dem Abhilfe zu verschaffen. Leider hatte Rix sie zu schnell ins Gefecht geworfen. Natürlich hatte der General der 18. keine andere Wahl gehabt. Trotzdem war es bedauerlich.

Die 32. Legion hatte Duramar fünf Jahre lang gegen alles gehalten, was die Drizil gegen das System schickten. Die 111. hatte Barinbau nicht einmal eine Woche halten können.

Duramar hatte natürlich wesentlich mehr Unterstützung genossen und wesentlich mehr Ausrüstung ihr Eigen genannt. Und doch war Azikiwe überaus unzufrieden. Trotz aller widrigen Umstände hätte die Fremdenlegion eine bessere Vorstellung zeigen sollen – zeigen müssen.

Er seufzte erneut. Ein Sergeant eilte herbei und öffnete seinen Helm. Das Gesicht des Mannes war wettergegerbt und braun gebrannt. Azikiwe fragte sich einen Moment, wie der Mann das schaffte, wo er doch die meiste Zeit in seiner Rüstung verbringen musste.

»Wir sind fast so weit, Colonel. In ein paar Minuten ist alles von Wert nur noch Asche.«

Azikiwe nickte leicht und ließ den Blick ein letztes Mal schweifen. Der Rauch der zahlreichen kleinen Feuer sammelte sich unter der niedrigen Decke. Bald würde die Luft hier drin nicht mehr auszuhalten sein. Er setzte seinen Helm auf. »Dann lassen Sie uns verschwinden, Sergeant.«

Das Gefecht verlief von Anfang an zu Mumfords Gunsten. Er verlor während des Fernkampfgefechts nur vier Schiffe, der Gegner sieben. Unter den gegebenen Kräfteverhältnissen stellte dies einen hervorragenden Schnitt dar. Dennoch wusste er, dass die Schlacht nicht zu gewinnen war.

Sein eigener Schlachtkreuzer und ein weiterer, die Battle Axe, schossen sich auf ein feindliches Intruder-Flaggschiff ein und fügten dem gegnerischen Großkampfschiff erhebliche Schäden zu. Dabei konzentrierten beide Schiffe ihren Beschuss auf bereits durch Torpedos zugefügte Breschen in der Panzerung.

Die schweren und mittelschweren Laserbatterien fraßen sich tief in das Metall und verbreiterten die größte Bresche mittschiffs. Der Intruder brach nach steuerbord aus, geriet dadurch jedoch in den Feuerbereich eines Ares-Angriffskreuzers, der das größere Schiff mit allem eindeckte, was ihm zur Verfügung stand.

Drei Warzenschweine der Allianz lieferten sich ein erbittertes Energiewaffengefecht mit ebenso vielen Drizilkriegsschiffen. Den Warzenschweinen gelang es sogar, die Stellung zu halten, und das, obwohl die Drizil an Feuerkraft und Panzerung überlegen waren.

Dann gesellten sich allerdings zwei feindliche Fregatten und ein Zerstörer hinzu. Gemeinsam überwältigten sie die Allianzschiffe binnen weniger Minuten. Eines der Warzenschweine detonierte so plötzlich, dass klar war, diesem Inferno war kein Mitglied der Besatzung entkommen. Ein zweites erlitt mehrere heftige Treffer unter dem Bug und oberhalb der Brücke. Der Captain versuchte noch, sein Schiff zu retten, indem er es aus der Gefahrenzone steuerte, doch es war bereits jetzt zu spät. Ein Volltreffer schaltete den Antrieb aus, ein weiterer die Brücke. Nur Augenblicke später verließen Dutzende Rettungskapseln das zum Untergang verurteilte Schiff.

Driziljäger stürzten herbei. Ihre Waffen tasteten ohne Mitleid nach den Flüchtenden. Die glücklicheren starben sofort, aber einige Kapseln wurden lediglich perforiert und ihre Insassen dem Vakuum preisgegeben.

Terranische Shadow- und Vanguard-Jäger eilten zu Hilfe und verwickelten die Drizil in eine heftige Jägerschlacht. Beide Seiten erlitten Verluste. Der Ausgang des Scharmützels entschied sich erst, als eine Staffel schwerer Mammoth-Jäger angriff und die Drizil zum Rückzug zwangen. Ein terranischer Träger nahm unterdessen die überlebenden Rettungskapseln an Bord.

Der Intruder, den die Winston Churchill und zwei Begleitschiffe angegriffen hatten, war inzwischen lediglich noch ein im All treibendes Wrack. Zwei Zerstörer, die dem Schiff hatten zu Hilfe kommen wollen, hatten sich in eine Wolke driftender Trümmerteile verwandelt. Im Gegenzug hatte Mumford einen Träger, zwei weitere Warzenschweine, zwei Begleit- und einen Angriffskreuzer verloren. Und es strömten bereits weitere Feindschiffe durch das Loch im Minenfeld.

Mumford knirschte mit den Zähnen. »Befehl für die Torpedoboote«, befahl er gepresst. McCauley gab die Anweisung über ihr Datenpad weiter. Auf seinem taktischen Display beobachtete Mumford, wie ein großer Schwarm kleiner Objekte hinter zweien seiner Träger zum Vorschein kam. Wie ein Schwarm Piranhas stürzten sie sich auf den Gegner.

Dieser erkannte die Bedrohung augenblicklich und warf den Torpedobooten ein Netz aus Abwehrfeuer entgegen. Laser und Raketen prasselten auf die zerbrechlichen Schiffe ein. Bereits in den ersten Minuten des Angriffs verlor Mumford mehr als zwanzig der kleinen, wendigen Einheiten. Die restlichen hielten unbeirrbar auf den Gegner zu. Sie vollführten komplizierte Ausweichmanöver, als würden sie einen Tanz mit dem Feind abhalten. Bis sie auf Angriffsentfernung heran waren, ging gut ein weiteres Dutzend verloren. Doch dann entfalteten die verbliebenen Torpedoboote ihre ganze Kraft auf einen Schlag. Jedes schickte mehrere Schiffskillertorpedos auf die Reise. Die Boote konzentrierten sich auf den dichtesten Pulk des Gegners. Dieser wurde von vier Intrudern angeführt.

Die Lenkwaffen hämmerten förmlich auf den Gegner ein. Allein zwei Dutzend von ihnen schlugen in das Führungsschiff des Gegners ein. Sie brachen die Panzerung mühelos auf und ihre Detonationskraft pflanzte sich ungehindert bis in sensible Bereiche des Innenlebens vor. Der Intruder wurde von internen Sekundärexplosionen in Stücke gerissen.

Doch damit nicht genug, brachte der Torpedoangriff dem Gegner verheerende Verluste bei. Die Verteidiger verloren zwanzig weitere Torpedoboote. Bis der Angriff langsam abebbte, büßten die Drizil aber drei weitere Intruder und elf Begleitschiffe ein.

Die überlebende Feindflotte legte den Rückwärtsgang ein und zog sich behäbig hinter das Minenfeld zurück. Mumford ließ sie gewähren. Seine Torpedoboote zogen sich ebenfalls hinter die eigenen Linien zurück. Der Schwarm war im Vergleich zu vorher empfindlich geschrumpft. Mumford bezweifelte, dass sie noch mal von solch großem Nutzen sein würden.

Er warf einen Blick auf seine XO. Diese stand neben seinem Kommandosessel. Ein schmales Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.

Mumford schüttelte den Kopf. »Kein Grund zur Freude, Jennifer. Die formieren sich lediglich neu und fordern vielleicht Verstärkung an. Aber wir haben sie bald wieder auf dem Hals, so viel ist sicher.«

McCauleys Lächeln schwand zusehends.

Die Schallgranaten explodierten inmitten der feindlichen Marschkolonne. Für Menschen klangen ihre Detonationen lediglich wie ein leises Plopp. Doch sie erfüllten die Luft auf den für Drizil hörbaren Frequenzen mit ohrenbetäubendem Kreischen, das selbst deren Rüstung nicht gänzlich ausblenden konnte.

Dutzende Drizil klappten einfach zusammen, Dutzende weitere krümmten sich unter unvorstellbaren Schmerzen. Einige rissen sich den Helm vom Kopf und fügten sich selbst schwere Verletzungen zu, indem sie sich mit eigenen Händen tiefe Wunden im Bereich der Ohren schlugen.

Colonel Benedikt Sanchez erhob sich geschmeidig hinter seiner Deckung. Zu beiden Seiten der Straßen verließen weitere Prätorianer ihre Stellung. Mit tödlicher Präzision woben sie ein vernichtendes Netz. Die Drizil saßen innerhalb von Sekunden im Kreuzfeuer fest. Sanchez hatte Ort und Zeitpunkt des Hinterhalts gut gewählt.

Die Drizil hatten nicht den Hauch einer Chance. Sie versuchten, den Menschen Widerstand entgegenzubringen. Sanchez erhielt über sein HUD die Meldung vom Tod dreier seiner Männer. Zwei weitere wurden verwundet. Von den Drizil überlebte kein einziger.

»Feuer einstellen!«, befahl er. Die Prätorianer gehorchten sofort, wenn auch einige mit deutlich erkennbarem Widerwillen. Sanchez verstand die Männer. Beim Fall der Erde hatte jeder von ihnen jemanden verloren: Freunde, Kameraden, Familienmitglieder und geliebte Menschen. Jeder von ihnen sann auf Rache. Dennoch waren sie Soldaten, die ihre Pflicht zu erfüllen hatten.

Sanchez ließ den Blick schweifen. In der engen Straße hatte es für die Drizil keine Deckung gegeben. Ihre Leichen lagen doppelt und dreifach übereinandergestapelt. Nichts rührte sich mehr. Der Prätorianeroffizier nickte zufrieden. Barinbau würde fallen. Nichts konnte daran etwas ändern. Aber er wollte verdammt sein, wenn die Fledermausköpfe diese Welt problemlos in ihre Finger bekamen.

»Colonel?«, hörte er Major Kuratows Stimme übers Kom. »Der Norden.«

Sanchez sah in die angegebene Richtung. Er fletschte mit den Zähnen. In der Ferne sanken weitere feindliche Truppentransporter nieder. Die Drizil bereiteten das Ende für die Verteidiger vor.

»Abrücken!«, befahl er. »Wir ziehen uns zu den Minen zurück. Hoffen wir, dass wir uns mit Azikiwe vereinigen können, bevor man uns den Weg abschneidet.« Er deaktivierte die Komverbindung. »Sonst wird es zappenduster für uns«, flüsterte er in die Stille seines Helms hinein.

»Bringt alles an Vorräten, Waffen und Munition in die Minen!«, schrie Azikiwe, obwohl dies gar nicht nötig war. Dank der Komverbindung, die zwischen den Kampfanzügen von Legionären bestanden, war seine Stimme ausnehmend gut zu verstehen. Doch niemand kam gegen den menschlichen Instinkt an.

Die Schlacht tobte mit unverminderter Härte und die 111. Fremdenlegion schlug sich herausragend. Sie hielt den Gegner auf Abstand, während die Evakuierung in vollem Gange war. Nicht nur Material wurde in die Minen geschafft, sondern auch noch Zivilisten, die nicht rechtzeitig die Schutzräume hatten aufsuchen können. Sie alle brachte man in die vorübergehende Sicherheit der Minenanlage.

Wie weit diese Sicherheit reichen würde, das vermochte Azikiwe natürlich nicht zu sagen. Platz war nicht das Problem. Die Anlagen verliefen unterirdisch mehrere Kilometer lang in jede Richtung. Größere Sorgen bereiteten ihm Wasser und Nahrungsmittel.

Er zog unvermittelt den Kopf ein, als ein Truppentransporter der Drizil im Tiefflug über ihre Köpfe hinwegzog und eine Position westlich von ihnen ansteuerte. Abwehrfeuer tastete nach dem Schiff, bis es außer Sicht geriet. Die Geschützbesatzung brachte ein paar gute Treffer an. Der Truppentransporter qualmte aus mindestens zwei Löchern am Heck. Als er hinter den Dächern verschwand. Azikiwe fluchte lautstark. Die Drizil richteten eine zweite LZ ein. Das war übel. Damit saßen die Verteidiger quasi zwischen zwei überlegenen Feindverbänden fest. Er hoffte, dass Sanchez sich beeilte, ansonsten hingen dieser und seine Prätorianer auf der falschen Seite der feindlichen Linien fest.

Azikiwe öffnete eine Funkverbindung zu einem seiner Adjutanten in der Mine. »Senden Sie eine Nachricht an Mumford. Er soll schleunigst verschwinden, bevor es zu spät ist. Die Kolonie ist gefallen. Wir ziehen uns jetzt endgültig in die Mine zurück. Haben Sie verstanden? Senden Sie sofort die Meldung.«

Als Azikiwes Nachricht Mumfords Flottenverband erreichte, befand sich dieser bereits auf dem Rückzug. Nur wenige Minuten zuvor hatten die Drizil in großer Zahl sowohl die Reste des Minenfelds als auch seine ohnehin geschwächten Abwehrlinien durchbrochen. Dabei hatte er neun weitere Schiffe und die Hälfte seiner verbliebenen Torpedoboote verloren. Die Reste seiner Jagdgeschwader landeten soeben auf den zwei überlebenden Trägern, die er noch sein Eigen nannte.

Mumford beobachtete mit flauem Gefühl in der Magengrube, wie weitere feindliche Truppentransporter in die Atmosphäre von Barinbau eindrangen, während ihre Großkampfschiffe den Planeten umkreisten. Vermutlich scannten sie in diesem Augenblick nach versprengten menschlichen Einheiten. Wer auch immer sich jetzt noch außerhalb der Minenanlagen befand, dem gnade Gott.

Teil I. Widerstand

1

Hannibal ad portas lat.: Hannibal vor den Toren (Warnruf der Römer)30. Oktober 2856

Colonel Finn Delgado platzte unangemeldet und ohne anzuklopfen, in die hochkarätige Besprechung, an der unter anderem Colonel René Castellano, General Carlo Rix, Commodore Horatio Lestrade sowie Präsident Bastian Genaro teilnahmen. Sämtliche Augenpaare richteten sich auf ihn. Die Aufmerksamkeit aller war ihm gewiss. Finn stoppte schlagartig mitten in der Bewegung. Er richtete sich zu voller Größe auf.

»Wir haben Barinbau verloren«, erklärte er ohne Umschweife.

Rund um den Tisch wurden Flüche laut, Köpfe wurden geschüttelt und Schultern sackten schlagartig ab. Rix’ Mimik verdüsterte sich zusehends.

»Mumford musste sich zurückziehen. Das Schicksal der Prätorianer sowie der 111. ist ungewiss«, fuhr Finn schwer atmend fort.

Es war Lestrade, der als Erster das Wort ergriff. »Wo ist Mumford jetzt?«

Finn eilte an den Holotank, um den sich alle versammelt hatten. Mit wenigen Handgriffen wurde das Barinbau-System hervorgehoben. Eine kleine Gruppe Symbole befand sich an dessen äußerstem Rand.

»Er hält eine Position am Rand des Systems. Außerhalb der Sensorreichweite der Drizil.«

Lestrade schnaubte. »Das hofft er. Wir wissen immer noch nicht, wie leistungsfähig Drizilsensoren sind. Wie viel Schiffe hat er noch?«

Finn neigte leicht den Kopf zur Seite. »Etwa ein Dutzend. Nicht genug, um etwas gegen die feindliche Streitmacht über Barinbau zu unternehmen. Unser Minenfeld vor Ort ist quasi zerstört. Die wenigen noch intakten Minen liegen so weit auseinander, dass sie für die Drizil keine Bedrohung darstellen. Wir müssen das System als verloren ansehen.«

Rix schürzte die Lippen. »Aktivität am Boden?«

Finn zögerte, bevor er auf diesen Punkt zu sprechen kam. »Die Fledermausköpfe unterhalten jetzt eine ziemlich große Streitmacht auf dem Planeten. Mindestens zwölftausend Mann. Zum Zeitpunkt von Mumfords Meldung befanden sich weitere feindliche Truppentransporter im Anflug.«

Rix nickte. »Dann gibt es zumindest noch einen Kern des Widerstands.«

Genaro blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf. »Und das schließen Sie woraus?«

»Die Bevölkerung des Planeten ist relativ klein und zentralisiert. Die Drizil müssten keine so starken Verbände auf dem Planeten stationieren, es sei denn, sie machten sich noch wegen irgendetwas Sorgen.«

»Verzeihen Sie, General«, warf Lestrade gedrückt ein, »aber das ist doch nur Wunschdenken. Wir müssen uns an Fakten halten.«

Rix schüttelte knapp den Kopf. »Azikiwe und Sanchez sind zwei sture Hundesöhne. Die werden nicht so leicht aufgeben. Und wir dürfen sie nicht aufgeben. Mit Barinbau verlieren wir einen wichtigen Dominostein unserer industriellen Basis. Ohne Barinbau wird es schwer, Kriegsschiffe und Rüstungen herzustellen.«

Genaro schürzte die Lippen. »Solange diese Offensive andauert, werden wir sowieso nichts produzieren können.«

»Trotzdem dürfen wir den Fall Barinbaus nicht auf die leichte Schulter nehmen«, hielt Lestrade dagegen. »Die freie Menschheit besitzt nicht mehr so viele Welten, als dass wir auch nur auf eine einzige verzichten könnten.«

Genaro sah auf. »Was schlagen Sie also vor?«

Lestrade streckte sich. »Wir erobern Barinbau zurück.«

Rix wirkte nicht überzeugt. »Besitzen wir dafür im Moment überhaupt die nötigen Mittel?«

»Ich könnte innerhalb eines Tages mit einem umfangreichen Flottenverband von Perseus aus aufbrechen.«

Rix’ Augenbrauen zogen sich drohend zusammen. »Das ist nicht Ihr Ernst. Damit wäre der Perseus-Sektor praktisch ungeschützt.«

»Nach der gescheiterten Meuterei und der anschließenden Okkupation der Drizil steht Perseus derzeit nicht sehr hoch oben in der Prioritätenliste der Fledermausköpfe. Inzwischen verfolgen sie andere Ambitionen.«

Genaro nickte. »Die Allianz.«

Rix warf dem Präsidenten der AVK einen mitfühlenden Blick zu. »Wie steht es an dieser Front?«

Genaro machte einen niedergeschlagenen Eindruck. »Nicht gut. Cosa Tauri hält stand, aber Driziltruppen haben unsere Linien bei Equuro durchbrochen und sind in großer Zahl gelandet.«

Rix schürzte die Lippen. »Welche Verbände stehen auf beiden Planeten?«

Genaro holte zwei Systeme in den Vordergrund des Hologramms. Die Anwesenden folgten seinen Ausführungen gebannt. »Auf Equuro stehen fünfundzwanzigtausend Mann und auf Cosa Tauri zweiunddreißigtausend. Allesamt reguläre Allianzinfanterie.«

»Ungepanzert?«, wollte Rix wissen.

Genaro nickte. »Leider. Die Zeit reichte bei Weitem nicht, um all unsere Soldaten mit den neuen Rüstungen nach imperialem Vorbild zu versorgen. Die Fabriken der Allianz arbeiten auf Hochtouren, um die Nachfrage zu befriedigen, doch fünf Jahre waren einfach nicht genug, um uns auf den Krieg vorzubereiten.«

»Vielleicht zielt der Angriff der Drizil gegen die Allianz genau darauf ab«, meinte Finn nachdenklich. »Wir wissen, dass der Feind weit besser informiert ist, als wir uns hätten träumen lassen. Falls sie davon wissen, dass wir die Allianz mit Know-how und technischen Mitteln versorgen, dann würden sie unter allen Umständen verhindern wollen, dass Genaros Leute zu einer ernsthaften Bedrohung werden. Ungepanzerte Infanterie ist für Drizil in voller Kampfmontur auf die Dauer keine Gefahr.«

»Möglich wäre es«, stimmte Rix zu. Er fixierte Genaro mit festem Blick. »Jetzt mal Klartext, wie viele gepanzerte Soldaten besitzt die Allianz inzwischen?«

Genaro zögerte kurz und deutete schließlich auf das Hologramm. »Siebentausend auf Equuro, sechstausend auf Cosa Tauri. Mehr als vierzigtausend Rüstungen befinden sich in der Endphase der Fertigung, sind aber noch nicht gefechtstauglich. Hätten wir ein Jahr mehr Zeit gehabt, würde die Sache anders aussehen. Aber die Umrüstung unserer Fabriken auf imperialen Standard nahm zu viel Zeit in Anspruch. Unsere Techniker hatten mit allerhand Problemen zu kämpfen.«

Rix stieß einen Schwall Luft aus. »Dreizehntausend gepanzerte Allianzsoldaten schaffen es auf die Dauer auch nicht gegen diese Übermacht.«

Genaro markierte ein weiteres System und vergrößerte die Ansicht. »Ich war noch nicht fertig. Das ist das Akka-System. Es ist unbewohnt und bis auf seine Lage von keinem großen Wert. Die Allianz unterhält dort eine große Militärbasis. Dort stehen weitere zwanzigtausend gepanzerte Soldaten. Ich werde mich dorthin begeben und persönlich das Kommando übernehmen. Von Akka aus ist Equuro in weniger als drei Tagen zu erreichen. Ich habe veranlasst, dass sich sämtliche Raumstreitkräfte der Allianz dort zu einem massiven Gegenschlag sammeln. Fast hundert Kriegsschiffe sind bereits vor Ort und erwarten meine Befehle.« Er schürzte die Lippen. »Bei fast der Hälfte handelt es sich jedoch um Warzenschweine.«

»Wird das reichen, um die Belagerung von Equuro zu durchbrechen?« Rix ließ das Hologramm nicht aus den Augen.

»Ich hoffe es«, entgegnete Genaro. »Sobald der Kampf um Equuro beendet ist, sehen wir, was von diesen Truppen noch übrig ist, und wenden uns der feindlichen Blockade um Cosa Tauri zu. Anschließend führe ich meine Kräfte zurück ins Protektorat.«

Rix nickte. »Das bringt uns zu Vector Prime.« Er hob den Blick in Lestrades Richtung. »Commodore?«

»General Great Bear hält die Stellung auf dem Planeten und Commodore van Bergen führt die Verteidigung im Raum. Beide haben einen schweren Stand. Ohne die Raumstation und ihre schweren Waffen wäre der Kampf vermutlich bereits verloren.«

»Das Minenfeld?«

»Nicht mehr existent. Commodore van Bergen schickt ständig Minenleger raus, um es zu erneuern und den Drizil das Leben schwer zu machen. Doch drei von fünf Minenlegern kehren nicht zurück. Die Verluste werden langsam ein Problem.«

Rix seufzte. »Das waren sie schon immer.« Er überlegte angestrengt. »Also gut. Wir teilen das auf, was wir noch an Kräften haben. Ich nehme die 18. Legion und mache mich auf den Weg nach Vector Prime. Commodore Lestrade, Sie begeben sich nach Barinbau und erobern das System zurück. Haben Sie dafür genügend Kräfte?«

Lestrade warf Finn einen kurzen Blick zu. »Ich könnte zwei Kohorten der Schattenlegion gebrauchen.«

Finn warf Rix einen Erlaubnis heischenden Blick zu. Dieser nickte ernst. Finns Blick glitt zurück zu Lestrade. Er lächelte. »Commodore. Das lässt sich einrichten.«

Daniel Red Cloud schritt über eine weite, karge Ebene. Die Luft wurde dominiert von heißen, giftigen Gasen. Hier gab es auf den ersten Blick nichts Lebendiges. Nichts konnte hier existieren. Und doch konnte er hier atmen. Mehr noch, er wusste, dass er nicht allein war. Jemand beobachtete ihn. Er konnte es spüren.

Er sah zum Himmel. Über ihm spannten sich bläuliche Wolken vor einem grün schimmernden Himmel. Die fernen Sterne waren durch diesen Dunst kaum zu erkennen.

Er hob die Stimme. »Hallo?« Niemand antwortete ihm. »Ist da jemand?« Erneut keine Antwort. Daniel wurde wütend. »Zeig dich. Ich weiß, dass du da bist.«

Die Luft begann vor ihm leicht zu flimmern, als wäre er in einer Wüste und eine Fata Morgana würde sich direkt vor seiner Nase materialisieren.

Eine Gestalt wuchs vor ihm aus dem Boden. Erst klein, dann wurde sie riesengroß. Daniels Augen weiteten sich. Die Kreatur ähnelte entfernt den Beschreibungen einer Qualle von der Erde. Von denen hatte er schon gehört. Doch diese hier war so fremdartig, dass es beinahe in den Augen wehtat, sie auch nur anzusehen. Sie maß gut und gerne fünf Meter. Ihre zahlreichen Tentakel bewegten sich ohne Unterlass, trotzdem schien sie auf diesen dürren Gebilden auf dem festen Boden zu stehen. Der Körper der Qualle waberte und veränderte ständig seine Form.

Die Kreatur besaß keine Augen und doch war sich Daniel sicher, von ihr beobachtet zu werden. Sie war sich seiner Existenz bewusst.

»Ala gri gamma dau«, sprach die Kreatur endlich. Daniel verstand kein Wort und schrak zusammen. Aus irgendeinem Grund hatte er nicht erwartet, die Kreatur könne überhaupt sprechen.

»Ala gri gamma dau«, wiederholte das Wesen. Diesmal lauter. Außerdem schien es wütend zu werden. Oder vielleicht frustriert?

Daniel breitete in einer – wie er hoffte – friedlichen Geste beide Arme aus, die leeren Handflächen nach oben. Dies war in der Galaxis das universelle Zeichen für unbewaffnet. Selbst die Drizil verstanden das. Er hoffte nur, dieses Wesen verstand es ebenfalls.

»Ich verstehe dich nicht.«

Das Wesen zögerte. Plötzlich glitt es näher, so schnell, dass der Legionär einfach nur wie versteinert dastand. Die Tentakel der Qualle peitschten vor und ihre Stimme dröhnte in Daniels Kopf. »Wo bist du?«

Daniel erwachte schweißgebadet. Er richtete sich mühsam auf. Sein Blick glitt beinahe wie in Panik umher. Doch seine kleine Kammer in der Kaserne auf Perseus war leer. Es drohte ihm keine unmittelbare Gefahr. Sein Mund fühlte sich an, als hätte er seit einem Tag nichts getrunken. Neben seiner Pritsche stand eine Wasserflasche. Er öffnete sie und stürzte den ganzen Inhalt in einem Zug hinunter, obwohl man ihn während der Ausbildung etwas anderes gelehrt hatte. Es half nicht viel. Seine Kehle brannte immer noch wie die Hölle. Er richtete sich halb auf.

Sein Blick glitt auf die Rüstung mit den neuen Rangabzeichen, die im Ständer neben der Tür stand. Die Verbindungsstücke waren geöffnet, damit der Träger sie in Sekundenschnelle ohne Hilfe anlegen konnte. Die Abzeichen eines Captains glänzten.

Vor nicht einmal einer Woche hatte Finn Delgado sein Versprechen eingelöst und Daniel zum Captain mit dem Befehl über eine eigene Zenturie der Schattenlegion betraut. Tod in der Finsternis lautete ihr Name. Und wie jede Minute seither ging ihm immer wieder die Frage durch den Kopf, ob er bereit dafür war.

Es klopfte mit einem Mal an der Tür. Sie ging auf, bevor Daniel die Person hereinbitten konnte, und plötzlich stand Finn Delgado vor ihm. »Red Cloud? Rufen Sie Ihre Leute zusammen. Es geht los. Wir haben einen Auftrag.«

Delgado wollte sich umdrehen und schon wieder entfernen, als sein Blick sich mit dem Daniels kreuzte. Der Kommandant der Schattenlegion erkannte auf den ersten Blick, dass etwas nicht stimmte. Er seufzte. »Schon wieder derselbe?«

Daniel nickte gepresst und ließ den Kopf hängen. »Derselbe«, bestätigte er. »Seit über einer Woche immer derselbe Albtraum.«

Delgado trat näher und setzte sich auf die Kante der Pritsche. Der Offizier trug volle Kampfmontur und das Bett quietschte besorgniserregend unter dem beträchtlichen Gewicht. »Das hängt vielleicht einfach nur mit der Beförderung zusammen. Angst vor der Verantwortung nennen das die Psychologen, glaube ich.«

Daniel warf die Decke zurück und wischte sich den letzten Schweiß von der Stirn. »Es ist mehr – und das wissen Sie. Irgendetwas geht mit mir vor. Irgendetwas stimmt nicht. Schon seit mich die verfluchten Fledermausköpfe in diesen Stuhl gesetzt und in die Nefraltirianlage eingestöpselt haben.«

Delgado schürzte die Lippen. »Die Ärzte erklären Sie für diensttauglich.«

»Es ist mir scheißegal, was diese Quacksalber sagen. Es geht darum, wie ich selbst mich fühle. Und diensttauglich würde ich das auf keinen Fall nennen.« Sein Blick suchte den Delgados. »Sie müssen mich zurücklassen. Ich gefährde die Einheit. Wenn ich im falschen Moment ausraste …« Er ließ den Satz vielsagend ausklingen.

Delgado hob eine Augenbraue. »Sind Sie denn schon mal ausgerastet?«

Daniel räusperte sich verhalten. »Nein, das nicht. Das heißt aber nicht, dass es nicht dazu kommen könnte. Ich vertraue mir einfach selbst nicht.«

Delgado nickte. »Das ist in der Tat ein Problem. Doch so wie ich das sehe, leiden Sie lediglich an Albträumen. Solange Sie wach sind, ist noch nie etwas vorgefallen, was sie dienstuntauglich machen würde. Aus diesem Grund ist Ihr Gesuch abgelehnt. Sie kommen mit.«

Daniel ließ niedergeschlagen die Schultern sacken. Delgado legte ihm kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. »Hören sie, Red Cloud. Wir stehen gerade mit dem Rücken zur Wand. Die Allianz kämpft in diesem Moment ums Überleben und im Protektorat sieht es auch nicht besser aus. Würde es nach mir gehen, würde ich Sie hierlassen. Nur zur Sicherheit. Doch wir brauchen jeden einzelnen Mann und jede Frau, die eine Waffe halten können. Und deshalb … reißen Sie sich gefälligst zusammen. Verstanden?« Daniel erwiderte nichts. Delgado fixierte den Legionär mit festem Blick. »Kann ich auf Sie zählen?«

Daniel überlegte kurz und reckte schließlich das Kinn. »Natürlich, Sir.«

Delgado lächelte, Daniel entging dennoch nicht der Ausdruck in den Augen seines befehlshabenden Offiziers. Der Mann forschte nach einer Schwachstelle, die während der Mission zu einem gefährlichen Hindernis werden könnte. Daniel verbannte jede Unsicherheit tief in seinem Geist und konterte den Blick Delgados mit mehr Gelassenheit, als er tatsächlich empfand. Delgado entspannte sich schließlich ein wenig und nickte. »Gut.« Der Befehlshaber der Schattenlegion erhob sich trotz seiner Rüstung extrem geschmeidig. »Rufen Sie Ihre Leute zusammen. Wir brechen in zwei Stunden auf.«

Daniel sah auf. »Und wo geht’s hin?«

Delgados Miene wurde zu Eis. »Nach Barinbau. Wir erteilen den Fledermausköpfen eine Lektion, die sie so schnell nicht vergessen.«

2

Captain Edgar Cutter von der Zenturie Dunkler Sturm der Schattenlegion stürmte ohne Ankündigung in die Unterkunft seiner Legionäre. »Hoch mit euch! Faules Pack! Es gibt Arbeit!«

Die Legionäre waren schlagartig wach, rollten sich von ihren Pritschen und legten ohne Umschweife ihre Rüstungen an. Die Soldaten reagierten in höchstem Maße professionell. Der Eindruck überkam Edgar, einige von ihnen waren wach gewesen und hatten bereits auf sein Eintreten gewartet. Die Informationen über die bevorstehende Gegenoffensive war unter strengem Verschluss gehalten worden, doch es sickerte immer etwas durch. Die Buschtrommeln funktionierten also noch.

Becky war eine der Ersten, die in voller Montur vor ihm stand. Die inzwischen zum Lieutenant beförderte Becky Lacroix diente ihm als Adjutantin innerhalb der Zenturie und diese Aufgabe löste sie famos. Edgar lächelte leicht. Solange sie sich nicht gerade in anderen Betten herumlümmelte. Diese Verhaltensweise würde sie wohl nie ganz abstellen können.

Sein Lächeln verblasste wieder. Vielleicht machte sie das ganz richtig so. Niemand wusste, ob das Neue Protektorat die nächsten Wochen überleben würde. Man sollte leben, als wäre jeder Tag der letzte. Denn dies konnte durchaus so sein.

»Becky, bring sie auf Vordermann«, ordnete Edgar an und verließ die Unterkunft zügig. Hinter sich hörte er seine Kameradin brüllen und Legionäre, die nicht schnell genug waren, antreiben.

Edgar wartete ungeduldig auf dem Hof vor dem Quartier. Weitere Zenturien der 1. und 2. Kohorte der Schattenlegion stürmten aus den Türen und nahmen vor dem Gebäude Aufstellung. Es waren die einzigen Einheiten der Legion, die sich derzeit auf Perseus befanden. Die 3. und 4. standen auf Vector Prime, die 5. auf Equuro, wo sie bei der Verteidigung halfen. Die beiden in Ausbildung befindlichen Kohorten waren ebenfalls mobilisiert worden und befanden sich derzeit im Transit im Hyperraum Richtung Akka, wo sich das Gros des Allianzmilitärs für den Gegenschlag sammelte.

Die Zenturie Dunkler Sturm nahm Aufstellung, zweihundertzwanzig der derzeit besten menschlichen Kämpfer. Die Legionäre Vincent Turner und Galen Fuentes standen mit ausdrucksloser Miene in der ersten Reihe. Beide waren inzwischen zum Sergeant ernannt. Sie ließen sich die Beförderung jedoch nicht zu Kopf steigen. Wie beim Militär üblich, starrten die Soldaten auf einen imaginären Punkt hinter Edgar.

Edgar schritt langsam die Formation ab, nahm sich Zeit, jeden einzelnen der Männer und Frauen mit persönlichem Nicken zu begrüßen, bevor er zu sprechen begann.

»Meine Damen und Herren, die meisten von Ihnen werden es bereits geahnt haben. Es geht los. Wir ziehen in den Krieg.« Die Legionäre blieben an und für sich regungslos. Nur bei einigen zuckten kurz Muskeln in der Mimik, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hatten. Vor allem bei unerfahrenen Mitgliedern der Einheit fiel das auf.

»Für einige von Ihnen wird es das erste Mal sein, dass Sie ins Gefecht ziehen. Für andere wird es wie ein Tag im Büro sein.« Edgar blieb stehen und fixierte die angetretene Formation mit festem Blick. »Ich weiß, was andere Kommandeure an diesem Punkt sagen. Sie sagen, Sie werden es alle schaffen – um Ihnen Mut zu machen. Doch ich werde Sie nicht anlügen. Wenn sich der Rauch der Schlacht verzogen hat, werden nicht mehr alle von Ihnen hier stehen. So tragisch es ist, einige von Ihnen werden Perseus nur im Leichensack wiedersehen.«

Leichte Unsicherheit trat in die Augen einiger Legionäre. Edgar fuhr ungerührt fort. »Sie haben die beste Ausbildung genossen, die man sich nur vorstellen kann. Jeder von Ihnen ist hervorragend vorbereitet auf die Tage, die vor uns liegen. Halten Sie sich an Ihre Ausbildung und vertrauen Sie den Kameraden an Ihrer Seite. Mehr kann niemand tun. Sie sind das Beste, was die Menschheit vorweisen kann.« Edgar schnaubte. »Beweisen wir es dem Protektorat.« Edgar wollte sich abwenden, hielt jedoch inne. »Und noch eines: Ich sagte, dass einige von Ihnen Perseus in einem Leichensack wiedersehen werden. Es wäre mir aber wesentlich lieber, wenn Sie dafür sorgen, dass die Drizil in ihre Heimat in einem Leichensack zurückgeschickt werden.« Gelächter brandete unter den Legionären auf und die Spannung legte sich.

»Sergeant Fuentes, Sergeant Turner, bringen Sie die Zenturie auf Trab.«

Die beiden Unteroffiziere traten vor die Legionäre und machten ihnen durch gebrüllte Anweisungen Beine. Sie trieben die Soldaten im Laufschritt in Richtung Raumhafen, wo bereits ein Transporter wartete, der sie ins All bringen würden.

Becky wollte sich der Truppe anschließen, doch Edgar hielt sie zurück. Sie warf ihm einen verwunderten Blick zu, dem dieser gelassen begegnete.

»Wir haben ein anderes Ziel.«

Wie aufs Stichwort brauste ein Fahrzeug heran und hielt direkt neben den beiden Legionären. Es handelte sich um einen umgebauten Geländewagen, sodass Legionäre in voller Rüstung im hinteren Teil Platz nehmen konnten. Der Wagen sackte trotzdem etwas ab und quietschte bedrohlich, als sowohl Edgar als auch Becky einstiegen und sich auf die Rückbank setzten.

Der Fahrer brauste in dem Moment los, in dem Beckys Hinterteil den Sitz berührte. Und er hatte es ziemlich eilig. Der Fahrer verließ das Kasernengelände in Richtung Norden. Edgar spürte, dass Becky Fragen hatte. Er war überaus dankbar, dass sie sich zurückhielt.

Schon bald war klar, wohin sie fuhren. Edgar spürte, dass Beckys Verwirrung wuchs, doch noch immer hielt sie ihre Fragen zurück.

Sie erreichten ein kleines Flugfeld, auf dem ein Shuttle bereitstand. Dieses Areal war eigentlich höheren Offizieren vorbehalten. Der Wagen hielt direkt vor der Einstiegsluke. Edgar und Becky stiegen ohne Umschweife aus und schlenderten eilig die Rampe hinauf. Im Inneren wurden sie bereits erwartet.

Colonel Finn Delgado und Captain Daniel Red Cloud saßen festgeschnallt in ihren Sitzen, zusammen mit fast einem Dutzend weiterer Offiziere. Es handelte sich allesamt um Zenturienkommandanten der Schattenlegion sowie deren Adjutanten. Auch Delgado war nicht allein. Die inzwischen zum Major beförderte Jessy Mondego saß auf dem Platz zu seiner Rechten. Lediglich Daniel hatte keinen mitgebracht. Er starrte nachdenklich durch das Bullauge.

Delgado nickte den Neuankömmlingen freundlich zu. Becky setzte sich gleich auf den Sitz zur Linken des Colonels, was bei Edgar ein missbilligendes Stirnrunzeln auslöste. Er kannte diesen Blick. Sie hatte es auf den Colonel abgesehen. Er seufzte. Sich mit höheren Dienstgraden einzulassen, brachte nichts als Ärger. Aber Beckys Jagdinstinkt war mal wieder geweckt worden. Der Sitz neben Daniel Red Cloud war frei und so wählte er diesen Platz. Dieser reagierte mit keinem Muskelzucken, als sich der andere Legionär neben ihn quetschte.

Die Rampe schloss sich und das Shuttle hob ab. Sie stiegen schnell höher und verließen bereits nach wenigen Minuten die Atmosphäre.

Edgar sah an Daniel vorbei aus dem Bullauge. Heftige Aktivität beanspruchte das All rund um Perseus. Die Spuren der Raumschlacht gegen die Drizil waren immer noch überall deutlich zu sehen. Dutzende Wracks und Tausende Trümmer machten das Navigieren zum Wagnis. Trotzdem pendelten Hunderte kleiner Nachschubtender zwischen dem Planeten und den imperialen Kriegsschiffen. Sie beförderten Lebensmittel, Gegenstände des täglichen Gebrauchs sowie Waffen und Munition. Sie bereiteten die Flotte auf den Krieg vor.

Edgar schätzte, dass sich derzeit gut siebzig Schiffe im Perseus-System aufhielten. Wenige Tage zuvor waren es noch beinahe doppelt so viele gewesen, doch die AVK hatte ihre Einheiten abgezogen. Unter Führung von Bastian Genaro waren sie auf dem Rückweg in die Allianz, um ihre Heimat zu verteidigen.

Daniel schwieg die ganze Zeit über. Dies nervte Edgar so sehr, dass er schließlich selbst das Gespräch suchte – wenn auch auf etwas plumpe Weise. Er zog leicht eine Augenbraue hoch.

»Na, Kumpel? Alles klar?«

Daniel versteifte sich für einen Moment. Edgar wurde klar, dass der Mann so in Gedanken versunken gewesen war, dass er weder etwas vom Flug noch von Edgars Anwesenheit mitbekommen hatte. Er wandte sich seinem Freund und Offizierskollegen zu. Edgar bemühte sich, den Schock, den er empfand, zu verbergen. Daniel Red Cloud wirkte, als wäre er gerade aus einem Tiefschlaf erwacht – aber aus keinem besonders erholsamen. Seine Augen wirkten eingefallen und dunkle Ringe hatten sich unter ihnen gebildet.

»Edgar? Schön, dich zu sehen.«

»Schön … auch dich zu sehen«, zögerte Edgar. »Geht es dir gut?«

»Ja, alles bestens«, erwiderte der Legionär.

Edgar zögerte erneut. Vermutlich wäre es besser gewesen, den Mund zu halten, doch das war einfach nicht seine Art. »Tut mir leid, Kumpel, aber du siehst echt scheiße aus.«

Daniels Lippen verzogen sich zu einem leichten Schmunzeln. Es war die erste echte Gefühlsregung, die Edgar an dem Mann wahrnahm.

»Feinfühlig wie immer«, entgegnete Daniel sarkastisch, jedoch nicht unfreundlich. Seine Miene wurde aber schnell wieder ernst. »Ja, es geht mir gut. Keine Sorge.«

Edgar glaubte ihm kein Wort. Er wollte es nicht so deutlich sagen, doch der Mann wirkte wie ausgekotzt. Edgar startete einen neuen Versuch. »Falls dich etwas beschäftigt …« Er ließ den Satz vielsagend ausklingen.

Daniel nickte. »Danke. Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück.« Mit diesen Worten wandte er sich erneut den Vorgängen vor dem Bullauge zu, als hätte er nie etwas Faszinierenderes erlebt. Das Gespräch war soeben einseitig beendet worden.

Edgar biss sich leicht auf die Unterlippe. Daniel hatte gelogen. Er würde sich nicht Hilfe suchend an Edgar wenden. Und diese Erkenntnis bereitete ihm große Sorge. Was mochte an dem Mann nagen, dass er sich nicht einmal einem Freund anvertrauen wollte?

Den Rest des Fluges über verbrachten sie in gedrücktem Schweigen. Die übrigen Insassen bekamen von Edgars Dilemma nichts mit und tuschelten angeregt miteinander, sodass der Innenraum von Gemurmel erfüllt war. Wie Hintergrundrauschen bei einem alten Radio. Hin und wieder hörte er Becky lachen, während sie mit Finn Delgado scherzte.

Edgar sah erneut an Daniel vorbei aus dem Bullauge. Der Rumpf der Vengeance wurde voraus immer größer. Sie hatten ihr Ziel beinahe erreicht.

Einer der Beiboothangare öffnete seine Tore wie das Maul einer Bestie und verschluckte das kleine Schiff. Das Shuttle setzte sanft auf und die Rampe öffnete sich. Offiziere und Adjutanten verließen es zügig und formierten sich zu Zweiergruppen. Gemeinsam verließen sie den Hangar und schlenderten durch mehrere Korridore. Daniel Red Cloud bildete allein das Schlusslicht und beteiligte sich auch weder an Spekulationen noch an allgemeinen Gesprächen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie einen Besprechungsraum, in dem bereits Commodore Horatio Lestrade auf sie wartete. Die Menge verteilte sich rund um den Holotank. Lestrade wartete geduldig, bis sich alle einen Platz gesucht hatten und Ruhe einkehrte. Die Männer und Frauen warteten gespannt. Lestrade nickte zufrieden.

»Man hat sie inzwischen informiert, dass wir zur Rückeroberung nach Barinbau aufbrechen, nehme ich an«, begann der Commodore. »Die Operation besteht aus zwei Phasen. Die erste ist der Schlag gegen die feindlichen Besatzungstruppen vor Ort. Unser Einsatz gilt allerdings weniger den dortigen Rohstoffvorkommen als vielmehr der örtlichen Bevölkerung. Solange die Driziloffensive andauert, nutzen uns die Minenanlagen ohnehin nicht viel, und an Abbau beziehungsweise industrielle Nutzung der abgebauten Ressourcen ist nicht zu denken.«

In diesem Moment durchlief ein leichtes, kaum wahrnehmbares Zittern den Schiffsrumpf. Die Legionäre wechselten überraschte Blicke. Lestrade hingegen lächelte. »Ganz recht. Wir springen bereits. Unser erstes Ziel ist Vector Prime, wo wir Commodore van Bergen sowie General Great Bear mit Nachschub sowie Verstärkung versorgen werden. Der Transit wird etwa drei Wochen in Anspruch nehmen. Zeit genug, dass wir uns etwas wegen Barinbau überlegen können.«

Einer der Offiziere rümpfte die Nase. »Zeit genug, dass die sich eingraben können.«

Edgar warf dem Mann einen missbilligenden Blick zu. Da war er nicht der Einzige. Delgado spießte den Offizier mit seinem stechenden Blick praktisch auf und brachte diesen damit zum Erröten. Der Mann trat unruhig von einem Bein auf das andere, bis Delgado ihn endlich aus dem Zentrum seiner Aufmerksamkeit entließ. Lestrade ließ sich davon jedoch gar nicht erst beeindrucken. Sein Lächeln und sein Selbstbewusstsein waren ungebrochen.

»Ganz recht. Der Gegner wird die Zeit nutzen. Ein Grund mehr, dass wir uns etwas einfallen lassen, mit dem wir den Drizil einen Schlag versetzen können.«

Edgar hob den Kopf und gab damit zu verstehen, er wolle eine Frage an den Commodore richten. Lestrades Blick fokussierte sich auf ihn. »Ja, Captain Cutter?«

»Was wissen wir über die Drizilverbände vor Ort?«

Lestrade nickte. »Eine gute Frage. Captain Mumford versorgte uns mit Scans der in das System eingedrungenen Schiffe und Truppentransporter. Wenn man die Einheiten abzieht, die die Fledermausköpfe während der Eroberung des Systems verloren haben, dann verfügten sie zum Zeitpunkt von Mumfords Übertragung über annähernd hundert Schiffe und gut zwanzig- bis dreißigtausend Mann Bodentruppen.«

Ein Raunen ging durch die Menge. Delgado schürzte die Lippen und ergriff das Wort. »Die Bodentruppen machen mir keine Sorgen. Mit denen werden wir fertig. Doch ihr Verband umfasst nur – wie viel? – etwa achtzig Schiffe?«

»Achtundsiebzig«, korrigierte Lestrade ungerührt.

»Achtundsiebzig terranische Schiffe gegen mindestens hundert Drizileinheiten. Ein direkter Schlagabtausch wäre Selbstmord.«

»Sechzig«, korrigierte Lestrade erneut.

Delgado neigte den Kopf leicht zur Seite. »Wie bitte?«

»Es werden nur sechzig Schiffe nach Barinbau springen. Die übrigen bleiben unter van Bergens Kommando bei Vector Prime, um dessen Kräfte zu stärken.«

»Sechzig Schiffe«, wiederholte Delgado, »und das, was von Mumfords Einheiten noch übrig ist. Die dürften allerdings in relativ schlechtem Zustand sein, nachdem die Drizil sie aus dem inneren System gekickt haben.«

»Davon ist auszugehen«, nickte Lestrade.

»Ihnen ist schon klar, dass die Kräfteverhältnisse nicht zu unseren Gunsten stehen?«

Lestrade seufzte. »Und was wäre die Alternative?«

»Wir könnten uns bei Vector Prime verschanzen und erst einmal dort helfen, die Drizil in Schach zu halten«, warf Edgar ein.

Lestrade seufzte erneut. »Das wird nicht ewig funktionieren. Früher oder später werden die Drizil bei Vector Prime Fuß fassen und dann ist es umso wichtiger, dass Barinbau sich wieder in unserer Hand befindet. Ansonsten nehmen die Drizil Vector Prime aus zwei Richtungen in die Zange und das war es dann. Bisher müssen wir sie nur in einer Richtung abwehren. Das ist einer der Gründe, warum das System noch nicht ernsthaft in Bedrängnis geraten ist. Barinbau muss zurückerobert werden, falls das Neue Protektorat überleben soll.«

»Und wie schaffen wir das?«, wollte der Offizier, der zuvor so unbedacht gesprochen hatte, kleinlaut wissen.

Lestrade schürzte die Lippen. »Ich habe keine Ahnung. Deswegen sind Sie alle hier. Die Schattenlegion besteht zum überwiegenden Teil aus unkonventionellen Denkern. Deswegen habe ich Sie zu dieser Besprechung geladen.«

Delgado warf Edgar einen nachdenklichen Blick zu. Dieser seufzte und zuckte leicht die Achseln. Ihm fiel auch keine Möglichkeit ein, das Kräfteverhältnis in erforderlichem Umfang zu manipulieren.

Delgado merkte plötzlich auf. »Gibt es auch Daten über das Minenfeld?«

Lestrade schüttelte den Kopf. »Das ist kaum noch existent und dürfte für unsere Planungen nicht weiter relevant sein.«

»Das habe ich nicht gefragt«, versetzte Delgado.

Lestrade nickte einem Junioroffizier zu, der ein paar Einstellungen am Holotank vornahm. Mit einem Mal erwachte der Tank zum Leben und zeigte im Mittelpunkt eine schmutzig braune Welt. In ihrem Orbit tummelten sich Dutzende rote Symbole und einige grüne drängten sich in den Außenbereichen der stellaren Objekte – die Einheiten der Drizil und Terraner.

Auf den Anflugvektoren, die die Drizil hatten durchqueren müssen, erschienen mehrere gelbe Symbole. Delgado schürzte die Lippen. »Zwei Dutzend«, meinte er nachdenklich.

»So in etwa«, erwiderte Lestrade. »Nicht genug, um für die Schiffsbewegungen der Drizil eine Gefahr darzustellen. Wir bräuchten schon sehr, sehr viel Glück, damit einige feindliche Schiffe auf die Minen auflaufen.«

Delgado lächelte. »So wie sie jetzt liegen … vielleicht.«

Lestrade merkte beim Tonfall des Schattenoffiziers auf. »Interessante Formulierung. Was schwebt Ihnen vor?«

Daniel Red Cloud hatte unterdessen große Probleme, dem Gespräch zu folgen. Seine Haut fühlte sich klamm an und er litt unter ständig wiederkehrenden Schweißausbrüchen. Es kostete ihn große Mühe, überhaupt aufrecht zu bleiben.

Wo bist du?

Er schreckte so plötzlich auf, dass der Legionär neben ihm Daniel einen verwunderten Blick schenkte. Das Wesen in seinem Albtraum hatte diesen Satz gesagt und nun hämmerten diese drei Worte sogar durch seinen Kopf, während er wach war.

Wo bist du?

Erneut durchdrang dieser Satz seinen Geist. Was stimmte nur nicht mit ihm? Wurde er langsam verrückt? Vielleicht. Das war auch kein Wunder, wenn man bedachte, was die verdammten Fledermausköpfe mit ihm gemacht hatten.

Daniel schwankte leicht und ihm wurde übel. Er wusste nicht, wie lange er sich noch zusammenreißen konnte.

Edgar folgte Delgados Ausführungen fasziniert. Der Plan seines Vorgesetzten war nicht neu. Etwas Ähnliches hatte man getan, um die Drizilflotte über Perseus auszudünnen, bevor der eigentliche Angriff erfolgte. Viele gute Leute waren dabei gestorben. Um genau zu sein, fast die gesamte Einheit, die den Auftrag ausgeführt hatte. Doch er war erfolgreich gewesen. Und die terranisch-alliierte Flotte hatte den Blockadering um Perseus anschließend durchbrochen. Die Frage war nur, ob die Drizil noch mal darauf hereinfallen würden. Sein Blick glitt unbewusst zur Seite.

Was seine Aufmerksamkeit auf einmal in diese Richtung zog, wusste der Legionär selbst nicht so recht zu sagen. Vielleicht war es eher so eine Art Gefühl gewesen. Auf jeden Fall stockte ihm für einen Moment der Atem. Daniel Red Clouds Gesicht war aschfahl. Jedes Quäntchen Farbe war daraus gewichen. Und was beinahe noch schlimmer war – er schwankte bedenklich. Der Mann hielt sich mit einer Hand verstohlen am Holotank fest, um nicht endgültig aus den Latschen zu kippen.

Der Legionär hob plötzlich den Kopf. Es schien, als würde diese minimale Bewegung bereits all seine Kraft erfordern. »Bitte … würden Sie mich für einen Augenblick entschuldigen?« Mit diesen Worten stürmte Edgars Freund zur Tür hinaus, ohne auf die Erlaubnis zu warten. Edgar warf Delgado einen kurzen Blick zu. Dieser gab ihm mit einem knappen Nicken die Erlaubnis und Edgar stürmte Daniel hinterher.

Er brauchte nicht lange zu suchen. Daniel hatte einen der Sanitärräume aufgesucht und übergab sich dort lautstark. Es dauerte mehrere Minuten lang, bis sich nichts mehr im Magen befand, was der Mann von sich geben konnte. Seine Rüstung entpuppte sich dabei als recht hinderlich.

Edgar trat vorsichtig näher und legte Daniel die Hand auf die Schulter. »Daniel? Fehlt dir etwas?«

Im selben Moment, in dem er die Worte sprach, kam er sich bereits selten dämlich vor. Etwas Dümmeres hätte er nicht sagen können. Niemand übergab sich, dem nichts fehlte. Doch er fühlte sich selbst seltsam hilflos. Seinen Freund leiden zu sehen, nahm ihn ebenfalls mit.

Daniel blickte auf und wischte sich den Mund mit einem Stück Toilettenpapier ab. Edgar konnte dessen säuerlichen Atem riechen und bot alle Selbstbeherrschung auf, um nicht von Ekel überwältigt den Mund zu verziehen.

»Nicht wirklich«, gab der Mann zurück.

Edgar trat näher. »Was ist los mit dir? Das sieht dir gar nicht ähnlich.«

Daniel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schüttelte dann jedoch den Kopf und erhob sich schwerfällig. »Ich muss jemanden sprechen«, erwiderte er schlicht und verließ den Sanitärraum, ohne Edgar noch einmal anzusehen. Dieser vermutete, sein Kamerad empfinde Scham darüber, dass er ihn auf diese Weise gesehen hatte.