Das Geheimnis der goldenen Sonne - Sonja Benthake - E-Book

Das Geheimnis der goldenen Sonne E-Book

Sonja Benthake

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Beschreibung

Aus dem Kulturhistorischen Museum in Altenburgthal wird ein Relikt aus der Inka-Zeit gestohlen. Die kleine goldene Sonne wurde dem Museumsleiter Konrad Freudenberger unerwartet von seinem Freund, dem Archäologen Dr. Sander, aus Peru zugeschickt. Der beigefügte Brief gibt Rätsel auf. Angeblich führt das Relikt zu einem verschollenen Goldschatz der Inka. Doch der Schatz droht in die falschen Hände zu fallen und Dr. Sander ist plötzlich nicht mehr erreichbar. Um Antworten zu finden, entsendet Freudenberger seinen Sohn Lukas und dessen Freundin Mila nach Peru. Doch die beiden ahnen nicht, auf was für ein Abenteuer sie sich da eingelassen haben. Denn tief im Dschungel sind sie nicht die einzigen auf der Suche nach dem Inka Gold.

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Seitenzahl: 414

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Ähnliche


Das Geheimnis der goldenen Sonne
Über die Autorin
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Danksagung

Sonja Benthake

Das Geheimnis der goldenen Sonne

XOXO Verlag

Über die Autorin

Sonja Benthake, 1977 in Bremen geboren, lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Ritterhude, unweit des kleinsten Bundeslandes. Die ausgebildete Bürokauffrau arbeitet in Teilzeit in einer Reederei. Ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte sie schon früh. Bereits als Schulkind liebte sie es kleine Hefte mit Geschichten zu füllen. Nach einer längeren Pause war das Verlangen zu schreiben urplötzlich neu entfacht.

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-222-8

E-Book-ISBN: 978-3-96752-720-9

Copyright (2023) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

unter Verwendung der Bilder:

Stockfoto-Nummer: 1059170384, 1799674702

von www.shutterstock.com

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Alte Heerstraße 29

27330 Asendorf

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Für meine Tochter Alexandra

Du warst der Funke für dieses Buch

Kapitel 1

Alles war, wie es sein sollte. Jedenfalls glaubte Mike Berger das, als er in den Raum der Überwachungstechnik des Kulturhistorischen Museums von seinem Rundgang zurückkehrte.

Er lehnte sich auf dem äußerst komfortablen Bürostuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und fragte sich, warum er diesen Job angenommen hatte. Klar, des Geldes wegen. Nachtarbeit und Wochenendzuschlag brachten ihm einen zusätzlichen Bonus, den er gut gebrauchen konnte. Zu Hause stapelten sich die Rechnungen.

Er seufzte und sah auf die Wanduhr: 03:18 Uhr. Noch zweidreiviertel Stunden, bis seine Schicht endete und ein Kollege übernehmen würde. Endlich! Trotz der finanziellen Zuschläge verabscheute er die Nachtschichten. Sie zogen sich wie ein Kaugummi, weil nie etwas passierte. Seine einzige Tätigkeit bestand darin, die Bildschirme zu beobachten. Der stündliche Rundgang durch die verschiedenen Bereiche bot kaum mehr Abwechselung. Wer und vor allem warum sollte nachts jemand versuchen, in dieses Museum einzubrechen? Die Fenster waren abends nach Schließung gesichert und lösten beim Öffnen Alarm aus. Ebenso die Ein- und Ausgänge. Tag und Nacht wurden die Räume per Video überwacht. Seiner Meinung nach reichten diese Sicherheitsmaßnahmen aus. Überflüssig, Nachtdienst vor Ort zu verrichten. Überflüssig, Rundgänge durch die Ausstellungsräume zu machen. Nur sein Gehalt empfand er nicht als überflüssig.

Ein gelangweilter Blick auf die Monitore bestätigte das, was er schon wusste: Alles war ruhig. Wie immer. Wie jede einzelne verdammte Nacht, in der er Dienst schob.

Mike gähnte. Zeit für einen Kaffee. Er erhob sich aus seinem Sitz und erreichte mit drei Schritten ein Tischchen in der Ecke des engen, fensterlosen Raumes, auf dem ein Becher mit der Aufschrift »Anti Stress Becher« sowie eine Thermoskanne standen. Er goss ein, nahm sich zwei Stückchen Zucker aus einem Schälchen, rührte um und schritt zu seinem Platz zurück. Die restliche Nacht würde ebenso monoton weitergehen bis 6 Uhr wie die vorangegangene.

Schlürfend trank er einen Schluck, verzog aber sofort das Gesicht. Scheiße, war der Kaffee heiß! Er pfefferte die Tasse auf den Schreibtisch und verschüttete etwas von der braunen Brühe.

Er fluchte und holte eine Serviette, um die Flüssigkeit aufzuwischen.

Ein flüchtiger Blick auf die Überwachungsmonitore ließ ihn innehalten. War da was? Er runzelte die Stirn. Er hatte nicht richtig aufgepasst. Es war nur kurz zu sehen gewesen. Eine Bewegung für den Bruchteil einer Sekunde. Wie ein Geist, der vorbeihuschte.

Er schüttelte den Kopf. Unsinn! Geister gab es nicht!

Er wischte weiter, warf die Serviette in den Mülleimer und setzte sich wieder.

Hatte er tatsächlich etwas gesehen oder sich getäuscht? Er warf einen zweiten Blick auf den Bildschirm.

Nichts.

Er schaute auf die anderen Monitore. Alles ruhig. Nichts Ungewöhnliches.

Vorsichtshalber ging er alle Kameras im Gebäude des Museums durch, vom Eingangsbereich bis zu den Sonderausstellungsräumen.

Seltsam. Er hätte schwören können, dass er eine Gestalt gesehen hatte.

Sein Magen grummelte. Vielleicht lag es daran. Er hatte seit Stunden nichts mehr gegessen. Wenn er hungrig war, spielte ihm manchmal sein Verstand einen Streich.

Aus seinem Rucksack holte Mike eine Brotdose hervor und packte ein dick belegtes Salamibrötchen aus. Seine Frau Simone hatte es wieder zu gut gemeint. Er bekam von ihrem guten Essen bereits einen Bauchansatz. Simone störte das wenig. Sie meinte, er wäre genau richtig und ein bisschen mehr auf den Rippen könnte nicht schaden.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Herzhaft biss er ins Brötchen und seufzte. Augenblicklich ging es ihm besser. Mit einer Handbewegung fegte er einige Krümel, die sich auf sein Hemd verirrt hatten, weg.

Kauend ging er erneut alle überwachten Bereiche durch. Keine Bewegungen. Keine Geister. Nichts. Niemand. Das Museum war absolut verlassen, bis auf ihn. Hatte sich eine Motte ins Gebäude verirrt und flatterte um eine der Kameras? Aber Motten flogen ins Licht, und die einzigen Lichtquellen waren die Notausgangslampen. Die Kameras waren nur mit einem winzigen roten Lämpchen ausgestattet. Es signalisierte, dass das Gerät angeschaltet war, absorbierte jedoch nicht genügend Helligkeit, als dass sich ein Nachtfalter davon angezogen fühlen könnte.

Mike Berger schüttelte den Kopf. »Mann, du wirst langsam wunderlich«, murmelte er.

Mittlerweile war er überzeugt, dass es an seinem leeren Magen gelegen hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte eine Fliege oder eine Spinne die geisterhafte Erscheinung hervorgerufen.

Das musste es sein! Eine verirrte Fliege. Flog das Tier direkt vor die Linse, wirkte es, als ob eine Monsterfliege wie aus einem Horrorfilm erschienen war. Er hatte derartiges vor ein paar Jahren erlebt. Damals sorgte das kleine Tier für lustige Momente, als es sich ständig vor die Linse setzte. Mike lächelte, als er daran zurückdachte und beruhigte sich langsam. Er streckte sich und widmete sich seinem restlichen Brötchen und seiner Autozeitschrift, die er von zu Hause mitgebracht hatte. Niemand konnte von ihm verlangen, dass er über Stunden ununterbrochen auf die Bildschirme starrte. Tagsüber war das anders. Dann liefen jede Menge Besucher durchs Museum. Manche hatten den unwiderstehlichen Drang, etwas anzufassen, trotz des Hinweises, dass es verboten war. Andere stützten sich auf niedrige Vitrinen oder aßen und tranken direkt vor den Ausstellungsobjekten. Mike und seine Kollegen, die im Überwachungsraum Dienst schoben, überwachten ständig die Bildschirme und gaben gegebenenfalls den in den Ausstellungsräumen umherwandernden Sicherheitsbeamten Hinweise, sobald sich Besucher falsch verhielten.

Mike blätterte ein paar Seiten weiter, die ihn nicht interessierten. Auf Monitor eins war alles in Ordnung.

Er überflog einen Artikel über einen Formel 1-Piloten.

Monitor zwei zeigte eine verlassene Galerie.

Er schlug die Seite um. Schob das letzte Stück Brötchen in den Mund. Kaute. Spülte es mit einem Schluck Kaffee hinunter. Sah auf Monitor drei. Und sprang auf. Seine Augen weiteten sich. Da war sie wieder! Die dunkle Gestalt. Eine in Schwarz gekleidete Person mit Sturmhaube, die nur die Augen freigab, bewegte sich flink auf die Kamera zu und verschwand wieder aus dem Sichtfeld. Im nächsten Moment fiel das Bild aus.

»Was zum Teufel…?« Mit offenem Mund starrte Mike auf den schwarzen Bildschirm. Seine Nackenhaare stellten sich auf.

»Scheiße!« Es war also doch jemand im Museum! Er hatte sich vorhin nicht getäuscht, als er einen Schatten wahrgenommen hatte. Keine Fliege oder Motte! Ein Eindringling. Warum war der Alarm nicht ausgelöst worden? Mike sah auf die Anzeige der Alarmanlage. Sie war scharf! Kein gewaltsamer Einbruch durch Fenster oder Türen. Andernfalls wäre sofort ein ohrenbetäubendes Geheul losgegangen. Wie war die Person unbemerkt ins Museum gelangt?

Er griff zum Telefon, um die Polizei zu verständigen. Noch ehe er wählte, hielt er inne. Nein, keine Zeit verlieren! Bis die hier auftauchte, war der Einbrecher schon über alle Berge. Er selbst würde den Dieb dingfest machen. Danach konnte er sich immer noch mit der Polizei in Verbindung setzen.

Stattdessen schnappte sich seine Taschenlampe, die auf dem Tisch stand, und verließ das Büro im Erdgeschoss eilig in Richtung des Saals, in dem die Kamera ausgefallen war. Am Durchgang zur großen Eingangshalle verlangsamte er seine Schritte und blieb unterhalb der Treppe stehen. Die Notausgangslampen tauchten das Foyer in giftgrünes Licht. Er horchte. Alles war still.

Mike knipste seine Taschenlampe an, trat vor und leuchtete in die Ecken. Niemand. Er hatte es nicht anders erwartet. In diesem Teil des Museums gab es zu viele Objekte, die sich als Versteckmöglichkeiten boten. Aufmerksam stieg er Stufe für Stufe die breite Treppe hinauf und achtete darauf keinen Laut zu verursachen. Am oberen Treppenabsatz wandte er sich nach rechts und lief an der Wand entlang bis zum betreffenden Saal.

Mike lugte um die Ecke. Im Licht der durch die großen Fenster hereinscheinenden Straßenlaternen erkannte er, dass der Raum menschenleer war.

Er inspizierte die ausgefallene Kamera. Sofort sah er, warum sie nicht funktionierte: Das Kabel, das ein Stück aus der Wand ragte, war durchtrennt worden. Kein normal gewachsener Mensch war in der Lage, in dieser Höhe die Kamera zu manipulieren, man brauchte schon eine Leiter. Wie hatte es der Eindringling also geschafft? Hier war keine Leiter. Und mit Sicherheit hatte der Kerl sich nicht die Mühe gemacht, sie in den Lagerraum zurückzubringen, aus dem er sie hätte holen können.

Hektisch ließ er die Taschenlampe schwenken. Horchte.

Langsam schritt Mike an den verschiedenen Exponaten vorbei und erschrak beinahe, dabei waren es nur seine eigenen Schuhe, die auf dem glatten Boden quietschende Geräusche von sich gaben.

Er leuchtete in jede Ecke, jeden Winkel, um zu prüfen, ob sich die Gestalt irgendwo versteckt hielt.

Von diesem Saal gingen an den jeweils gegenüberliegenden Seiten zwei Ausstellungsräume ab. Dort drinnen gab es keinen Fluchtweg, die Türen wurden jeden Abend, wenn der letzte Mitarbeiter gegangen und die Putzleute ihre Arbeit erledigt hatten, abgeschlossen. Zu viele Wertgegenstände waren hier ausgestellt. Dennoch, Mike musste die Türen überprüfen. Er drückte auf die Klinke der ihm nächstgelegenen Tür. Abgesperrt.

Er eilte zum anderen Ende des Saals und versuchte es dort. Sie war unverschlossen!

Plötzlich ertönte ein Klirren. Mike riss die Tür auf. Sein Blick fiel auf eine der Vitrinen, dessen Glas zersplittert überall verteilt lag. Dann griff die in Schwarz gekleidete Gestalt in die Auslage und nahm einen Gegenstand heraus.

»Halt!«, rief Mike, weiter kam er nicht. Er spürte einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf und fiel vornüber. Schwärze umfing ihn.

Kapitel 2

Mila Kreuzer war schon immer eine Frühaufsteherin. Sie brauchte nie übermäßig viel Schlaf, selbst wenn sie am Vorabend spät ins Bett ging. So war sie bereits als kleines Kind gewesen. Ihre Eltern hielten es anfangs nur für eine Phase, die irgendwann vorbei sein würde, aber in ihren ganzen 32 Jahren hatte es sich nie geändert.

Auch an diesem Sonntagmorgen Ende Mai war sie, wie so häufig, früh auf den Beinen, um zu joggen. Sie liebte den morgendlichen Frieden, wenn nur vereinzelte Läufer oder Spaziergänger mit Hunden unterwegs waren. In der Woche, wenn sie arbeitete, verlegte sie ihren Sport oft in die Abendstunden, in denen das Laufen jedoch nicht so entspannt war wie am Sonntagmorgen. Ständig musste sie Radfahrern und anderen Fußgängern ausweichen, die auf dem Weg nach Hause oder zu irgendwelchen Terminen waren.

Mila trat aus der Haustür, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und sog die frische Morgenluft ein. Blühende Büsche verströmten einen leicht süßlichen Duft, den sie mit Genuss einatmete. Das Gezwitscher von Vögeln, die in den Bäumen ihr Morgenlied trällerten, drang an ihre Ohren. Sie nahm den Morgen mit allen Sinnen in sich auf, um Energie für den Tag zu tanken.

Als Mila die Augen öffnete, blickte sie in den blauen Himmel, an dem keine Wolke zu sehen war. Es versprach ein schöner Tag zu werden, der Wetterbericht hatte Sonne satt mit 23 °C vorhergesagt.

Mila lächelte, als sie über ihr Smartphone Musik anschaltete und sich die kleinen Kopfhörer in die Ohren steckte. So sehr sie die Ruhe des Morgens genoss, zum Joggen brauchte sie ihre Lieblingssongs, um einen guten Laufrhythmus zu finden.

Sie setzte sich in Bewegung und nahm Kurs auf den Stadtpark von Altenburgthal, der ganz in der Nähe der Wohnung lag, die sie gemeinsam mit ihrem ein Jahr älteren Freund Lukas bewohnte.

Am Stadtpark überlegte sie kurz, welchen Weg sie einschlagen sollte und entschied sich kurzerhand für die große Runde am Stadtgraben entlang. Hier gab es wunderschönen alten Baumbestand wie Kastanien, Eichen und Buchen. Der älteste Baum Altenburgthals, eine 250jährige Eiche, stand hier. Sie bog nach rechts auf einen festen Sandweg ab, der gleichermaßen für Fußgänger und Radfahrer gedacht war. Um 7 Uhr morgens war hier noch niemand unterwegs. Sie hatte den Weg für sich, was ihr nur recht war. Ihr hellbraunes, schulterlanges Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, wippte bei jedem Schritt hin und her. Die Sonne schien durch das frische Grün der Bäume und warf aparte Schatten auf die Wege und die Rasenflächen. Im Takt ihrer Lieblingsmusik lief sie am Wasser des Stadtgrabens entlang, auf dem ein Entenpaar in aller Ruhe seine Runden schwamm. Im Mittelalter umschloss das Gewässer Altenburgthal, jetzt beinhaltete der Park einen Teil des Grabens. Im Sommer konnte man sich Kanus leihen und ihn befahren.

Früher war sie mit Lukas oft gemeinsam im Park gewesen, aber das war schon lange her.

Mila erinnerte sich nicht einmal mehr daran, wann sie mit ihrem Freund das letzte Mal joggen war, aber sie vermisste es.

Anfangs hatte sie geglaubt, es läge an ihren vielen beruflichen Reisen. Als Reisejournalistin schrieb sie für mehrere Zeitschriften eines großen Verlages. Seit einigen Monaten war sie häufig für Recherchen unterwegs.

Aber es lag weder an ihrem noch an Lukas‘ Job als Medieninformatiker oder an mangelnder Zeit. Sie unternahmen nach wie vor gemeinsam etwas, gingen ins Kino und besuchten ihre Familien. Im Sommer grillten sie mit Freunden. Trotzdem hatte Mila den Eindruck, Lukas hielt sie seit dem Vorfall vor vier Jahren auf Distanz. Mila vermutete, dass er das Geschehene nie richtig verarbeitet hatte und deshalb eine Mauer um sich herum aufbaute. Und diese Mauer wuchs immer ein kleines bisschen höher. Lukas zog sich mehr und mehr zurück. Mila wusste nicht, ob sie diesen Prozess aufhalten konnte, geschweige denn wie. Seit einigen Monaten ließ Lukas Mila nur noch selten an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben. Sprach sie ihn darauf an, wich er aus oder erklärte, dass alles in Ordnung sei. Mila kaufte ihm das nicht ab, dafür kannten sie sich zu lange.

Sie hatte versucht ihn zum gemeinsamen Joggen und Spazieren gehen zu überreden, um mit ihm darüber zu reden, aber seine Antworten lauteten stets »vielleicht ein anderes Mal« oder »hab gerade keine Lust«. Er vermied bewusst die Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Mittlerweile hatte sie es aufgegeben. Sie liebte Lukas, aber ihre Beziehung wurde auf eine harte Probe gestellt. Wie lange sie noch standhalten würde, wusste sie nicht.

Ihren Sport übte sie nun ohne ihn aus.

Es bedeutete zweifellos nicht, dass Lukas auf der faulen Haut lag. Er ging ins Fitnessstudio und betrieb Kraftsport, Milas Meinung nach mit zu hohen Anforderungen an seinen Körper. Häufig trainierte er bis zur völligen Erschöpfung und hatte Schmerzen. Sein Hausarzt hatte ihm deswegen mehrfach eine Sportpause verordnet, der er selten nachkam.

Mila hielt an und verschnaufte. Sie fand heute nicht den richtigen Rhythmus beim Laufen. Sie bekam Seitenstechen, was äußerst selten bei ihr auftrat. Zu viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf. Gerade einmal zwanzig Minuten waren vergangen. Normalerweise schaffte sie locker eine volle Stunde.

Sie startete einen neuen Versuch und lief los, aber das Seitenstechen blieb und bremste sie aus. Es hatte keinen Zweck, sie würde den Heimweg antreten.

Im langsamen Tempo bog sie an der nächsten Weggabelung ab, verließ den Stadtpark und machte einen Schlenker beim Bäcker vorbei.

Mila nahm ihre Kopfhörer aus den Ohren, stoppte die Musik, holte aus einer kleinen Tasche in ihrer Sportleggings Kleingeld heraus und betrat den Laden.

»Guten Morgen, das Übliche, wie immer?«, begrüßte die Verkäuferin sie freundlich.

»Guten Morgen! Ja, danke, wie immer«, erwiderte Mila leicht außer Atem und legte ihr Geld auf den Tresen.

Während die Frau Brötchen in eine Tüte füllte, sah sich Mila um. Sie holte hier immer die Brötchen fürs Wochenende und kam auch in der Woche vorbei, wenn sie spät dran war und fürs Frühstück ein belegtes Brötchen und ein Coffee-to-go reichen musste.

Die Bäckerei war klein, nur zwei Tischchen standen an den Seiten der großen Fensterfront. An einem der Tische saß ein älterer Mann vor einem großen Becher Kaffee und las eine Zeitung. Er blickte über den Rand und musterte sie von oben bis unten. Keine Frage, sie sah irre gut aus in ihrem engen weißen Funktionsshirt und der grauen Sportleggings, die mit weißen Schrägstreifen abgesetzt war. Ihre sportlich schlanke Figur kam darin gut zur Geltung, aber wie der Mann sie ansah, störte sie. Mila hatte ihn öfter hier gesehen und jedes Mal sah er sie anzüglich an. »Ist was?«, fragte sie schroff. Statt zu antworten, verkroch er sich hinter seiner Zeitung.

»Bitte sehr«, sagte die Verkäuferin, legte die Brötchentüte auf den Tresen und wünschte Mila noch einen schönen Sonntag. Sie bedankte sich und verließ den Laden.

Das letzte Stück joggte sie im gemächlichen Tempo.

Ihre Wohnung in einem Mehrparteienhaus lag am Rande von Altenburgthal in einer ruhigen Wohnstraße, die mit vielen Bäumen gesäumt war. Unmittelbar hinter dem Grundstück des Wohnhauses befand sich, durch einen Bach getrennt, das Ende eines kleinen Wäldchens, das wiederum an den Stadtpark grenzte.

Als Mila an der Haustür ankam, saß eine grau gemusterte Katze davor. Sobald sie Mila sah, begann sie zu miauen. Offenbar wollte sie hinein. Mila kannte das Tier. Es gehörte ihrer Nachbarin, die im Mietshaus im Erdgeschoß unter ihr und Lukas wohnte.

Mila streichelte die Katze kurz, die sofort um ihre Beine strich. »Du weißt, ich darf dich nicht hineinlassen«, sagte sie zu dem Tier. Sie schloss die Haustür auf und schlüpfte durch den Spalt.

Aus dem Briefkasten entnahm sie die Tageszeitung und warf einen Blick darauf. Eine Schlagzeile verkündete: »Post-Diebstahl – Erneut Briefe und Pakete aus dem Postverteilzentrum gestohlen«. Mila seufzte. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie bisher ihre Post immer bekommen hatte.

Als sie gerade die Treppe nach oben in den ersten Stock gehen wollte, öffnete sich die Wohnungstür ihrer Nachbarin.

»Guten Morgen, Frau Friedmann«, begrüßte Mila die 82jährige Dame.

»Oh, Frau Kreuzer, guten Morgen. Sagen Sie, haben Sie meine Paula gesehen? Sie ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen. Auf der Terrasse ist sie auch nicht.«

»Ja, Paula sitzt draußen vor der Haustür. Soll ich sie hereinlassen?«

»Ach, da bin ich aber froh! Nein, danke! Ich muss sowieso meine Zeitung noch holen. Ich lasse sie selbst herein«, erwiderte die alte Frau erleichtert.

Mila nickte ihr freundlich zu und stieg die Treppe hinauf.

Sie betrat ihre Wohnung und warf einen Blick ins gegenüberliegende Schlafzimmer, dessen Tür ein Stück offenstand. Sanftes Licht fiel durch die hellen Vorhänge. Ihr Freund Lukas Freudenberger schlief noch. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht zur Tür gewandt. Die Hände hatte er unters Kissen vergraben und sein nackter durchtrainierter Oberkörper schaute ein Stück unter der Decke heraus. Das verwuschelte dunkelbraue Haar trug er modisch als klassischen Undercut. In der letzten Zeit hatte er sich einen Dreitagebart wachsen lassen, was Mila gefiel. Sie lächelte.

Lukas war definitiv kein Frühaufsteher, allerdings schlief er selten die Nächte durch. Oft wachte er mitten in der Nacht auf, schlief schlecht wieder ein und versuchte den Schlafmangel am Wochenende auszugleichen.

Mila legte die Brötchentüte auf die Anrichte in der Küche und ging ins Badezimmer, um zu duschen.

Nach dem sechsten Klingeln registrierte Lukas endlich, dass ihn jemand anrief. Er griff nach seinem Smartphone auf dem Nachttisch und nahm das Gespräch an, ohne auf dem Display zu schauen, wer ihn aus dem Schlaf riss. »Ja?«, murmelte er.

»Lukas?«, meldete sich die Stimme am anderen Ende.

»Papa?«, erwiderte Lukas überrascht.

»Ja, wer sonst?«, entgegnete Konrad Freudenberger. »Schläfst Du noch?«

»Es ist Sonntag.«

»Entschuldige. Ich habe angenommen, dass du wach bist. Mila ist doch meist früh auf.«

Er warf einen Blick auf ihre leere Bettseite. »Ist sie.«

»Hör zu, ich muss dringend mit dir reden.«

»Können wir das auf später verschieben?«

»Nein, Lukas. Es kann nicht warten … es ist dringend … ich muss dich sehen … sofort. Wie schnell kannst du zum Museum kommen?«

Lukas stützte sich auf seine Ellenbogen. »Was ist denn los?«, fragte er mit zusammengezogenen Augenbrauen.

»Jemand ist ins Museum eingedrungen.«

Er drehte sich auf den Rücken und setzte sich im Bett auf. Mit einem Mal war er hellwach. »Eingedrungen? Du meinst, er ist eingebrochen? Wann? Ist dir etwas passiert?«

Konrad Freudenberger war der Museumsleiter und Kurator des Kulturhistorischen Museums Altenburgthal und arbeitete stets lange in seinem Büro. Oft verließ er erst sehr spät das Gebäude.

»Nein, nein. Mir geht es gut. Ein Wachmann wurde niedergeschlagen. Darum geht es jedoch nicht. Es wurde etwas gestohlen. Darüber muss ich mit dir reden. Allerdings nicht am Telefon.«

»Ist das nicht ein Fall für die Polizei?«

»Die ist längst hier und ermittelt.«

»Dann ist doch alles geregelt. Wozu brauchst du mich?«

»Wie ich bereits sagte: Nicht am Telefon.«

»Wirst du bedroht?«

»Wieso sollte ich bedroht werden?«, wunderte sich Konrad Freudenberger.

»Weil du erpresst wirst und es eine Lösegeldforderung gibt?«

Er lachte. »Du schaust zu viele Filme! Nein, ich kann dich beruhigen. Ich werde weder bedroht noch erpresst. Also, Lukas«, startete er noch einen Versuch, »wie sieht es aus? Kannst du kommen?«

»Denke schon. Gib mir eine Stunde.«

»Kein Problem. Ach, … und bring Mila mit. Bis gleich!« Er legte auf, bevor sein Sohn weitere Fragen stellen konnte.

Lukas setzte sich auf die Bettkante. Stirnrunzelnd starrte er auf sein Smartphone, auf dem der Hinweis »Anruf beendet« aufleuchtet. Was hatte das alles zu bedeuten?

Er legte das Telefon auf seinen Nachttisch und rieb sich die restliche Müdigkeit aus dem Gesicht.

»Guten Morgen«, begrüßte ihn Mila, die im Türrahmen des Schlafzimmers auftauchte. Sie war fertig mit duschen und hatte sich ein Handtuch umgeschlungen.

»Guten Morgen«, erwiderte Lukas.

»Du bist schon wach?«

»Ja, zwangsläufig.«

»Zwangsläufig?«

»Ich hatte einen Anruf von meinem Vater. Im Museum wurde eingebrochen. Er möchte, dass wir zu ihm kommen.«

Kapitel 3

Eine Stunde später fuhren sie mit Milas hellblauem Fiat Cinquecento in Richtung Kulturhistorisches Museum. Es lag im Zentrum von Altenburgthal am Platz des Friedens, den ein großer Springbrunnen schmückte. Am Beckenrand standen auf vier Sockeln Ritterstatuen, die ihre Hände auf Schwerter abstützten und nach Norden, Osten, Süden und Westen blickten. Oben auf einer kleineren Schale, von dem das Wasser ins große Becken plätscherte, hockte ein Engel. Ein kopfsteingepflasterter Autokreisel umrahmte den Platz, von dem die Straßen sternförmig abgingen.

Da das Museum über keinen Parkplatz verfügte, stellten sie das Auto in einer Nebenstraße ab. Generell war es schwierig im Altstadtbereich einen Stellplatz zu finden, überall gab es Parkverbote. Die nächste Möglichkeit für Besucher des Museums war ein nahegelegenes Parkhaus.

Lukas hatte Mila beim Frühstück, was kürzer als gewöhnlich ausfallen musste, über den Inhalt des Gesprächs mit seinem Vater unterrichtet. Sie war gespannt, was er ihnen zu sagen hatte.

Vom Parkplatz aus liefen sie zum Kulturhistorischen Museum Altenburgthal. Im Allgemeinen wurde es von den Einwohnern nur liebevoll »KuMu« genannt. Es war ein modernes kastenförmiges Gebäude aus grauem Stein. Den Eingangsbereich oberhalb eines breiten Treppenaufgangs zierten als Kontrast vier römische Säulen, die die Gegenwart mit der Antike verbinden sollten.

Riesige Banner an der linken und rechten Seite der Frontfassade verkündeten: »Das Reich der Inka - Sonderausstellung - Nur noch bis Ende Juni«.

An den römischen Säulen versperrte Flatterband der Polizei den Eingang. Zwei Polizeifahrzeuge standen auf dem großen Vorplatz unterhalb der Treppen, der normalerweise nur für Fußgänger zugänglich war. Sie ließen darauf schließen, dass die Polizei mit ihren Ermittlungen noch nicht fertig war.

Mila und Lukas stiegen die Treppe zum Haupteingang hinauf. Ein Polizist, der oben stand, sah die beiden kommen und wies sie mit nach vorn gerichteten Handflächen zurück: »Tut mir leid, das Museum hat zurzeit geschlossen!«

»Wir sind keine Besucher«, erwiderte Lukas, »wir möchten zu Herrn Freudenberger. Er ist mein Vater und hat mich angerufen und uns hergebeten.«

Der Beamte sah ihn prüfend an und informierte über Funk einen Kollegen, der wenig später erschien.

»Die beiden hier möchten zu Herrn Freudenberger«, erklärte er ihm.

»Wie ist denn Ihr Name?«

»Lukas Freudenberger. Ich bin sein Sohn. Mein Vater erwartet mich«, wiederholte Lukas.

»Können Sie sich ausweisen?«

Sie zeigten ihm ihre Personalausweise. Er nickte.

»In Ordnung. Kommen Sie mit.«

Lukas und Mila schlüpften unter dem Plastikband durch und folgten dem Beamten ins Innere des Gebäudes.

Sie durchquerten einen Vorraum, in dem sich die Kassen, ein Museumsshop und eine Garderobe befanden. Überall standen Sitzbänke, auf denen es sich Besucher bequem machen konnten, wenn sie warten mussten. Zurzeit hielt sich hier niemand auf, was zum einen der Tatsache geschuldet war, dass das Museum für die Öffentlichkeit gesperrt war und zum anderen die Angestellten noch keine Freigabe erhalten hatten, die Kassen sowie den Shop zu besetzen.

Der Polizeibeamte führte Mila und Lukas in die große Halle. Jedes Mal, wenn Mila das Gebäude betrat, war sie aufs Neue beeindruckt. Durch ein Glasdach fiel Tageslicht herein, so dass kaum künstliches benötigt wurde. Gegenüber dem Eingang führte eine Treppe, die sich auf halber Höhe nach links und rechts gabelte, ins obere Stockwerk. Am Fuße der Treppe stand zur linken Seite eine lebensgroße Puppe, die einen Inka darstellte. In einer Hand hielt sie ein Schild: »Zur Sonderausstellung«. Die andere Hand wies auf die obere Etage.

Der Polizist durchlief mit Mila und Lukas im Schlepptau die Halle bis zu einer Pflanzengruppe in der Nähe der Fahrstühle in der hinteren linken Ecke. Dort stand, auf Gehhilfen gestützt, ein Mann mit schütterem weißem Haar. Auf seinem Kopf machte sich eine kleine Glatze breit. Es war Konrad Freudenberger, der sich mit einer Beamtin unterhielt.

Er sah seinen Sohn und dessen Freundin kommen und rief ihnen zu: »Lukas! Mila!«

Die Polizistin sah sich erstaunt um. Herr Freudenberger erklärte ihr, wer sein Besuch war, und sie nickte.

»Brauchen Sie mich im Moment noch?«, fragte er sie.

»Nein, ich denke, wir sind soweit durch.«

»Wann können wir das Museum öffnen?«

»Sobald die Spurensicherung durch ist. Vielleicht in einer halben Stunde.«

»Vielen Dank! Ich werde in meinem Büro sein.«

Sie nickte und ging zusammen mit ihrem Kollegen, der Mila und Lukas zu Herrn Freudenberger geleitet hatte, zurück.

»Hallo Papa«, begrüßte nun Lukas seinen Vater.

»Hallo Lukas! Mila, wie schön, dass ihr kommen konntet.« Er lächelte Mila herzlich an, was sie erwiderte. Die beiden waren sich sehr sympathisch. Konrad bezeichnete sie gegenüber anderen Leuten oft als seine Schwiegertochter, obwohl sie nicht mit Lukas verheiratet war. Er mochte ihre offene Art auf Menschen zuzugehen und ihr Interesse an anderen Kulturen und Ländern.

»Was ist denn nun der Grund, dass du uns sehen wolltest?«, fragte Lukas ungeduldig.

Konrad sah sich verstohlen um. »Nicht hier. Gehen wir in mein Büro«, erwiderte er und humpelte auf seinen Gehhilfen in Richtung Fahrstuhl. Vor drei Wochen hatte er sich bei der Reparatur einer Dachgosse an seinem Haus den rechten Fuß gebrochen, als er von der Leiter gefallen war. Er konnte von Glück reden, dass ihm nicht mehr passiert war.

Mila eilte voraus und drückte auf den Knopf. Die Fahrstuhltüren öffneten sich sofort, und sie fuhren in den ersten Stock. Am Ende des Gangs befand sich Konrad Freudenbergers Büro. Es war funktionell, aber gemütlich eingerichtet mit schönen alten Kirschholzmöbeln. An drei Wänden standen hohe Regale, die mit Büchern und Ordnern überfüllt waren. Eine große antike Weltkarte zierte die Wand, die von Konrad Freudenbergers Schreibtisch aus zu sehen war. Ein riesiger Perserteppich lag auf dem Boden.

»Setzt euch«, sagte er und wies auf zwei Besucherstühle, die vor seinem Schreibtisch standen. Er nahm dahinter Platz. »Möchtet ihr etwas trinken? Kaffee? Wasser?«

»Gerne ein Wasser«, erwiderte Mila. Konrad stand umständlich auf, aber Lukas kam ihm zuvor. »Bleib sitzen und schone deinen Fuß. Ich mach das.« Er ging an einen Schrank, holte drei Gläser und eine Flasche Mineralwasser heraus und goss allen ein. Er hatte öfter seinen Vater hier besucht und kannte sich ein wenig aus.

Lukas setzte sich wieder. Unverwandt sah er seinen Vater an.

Konrad Freudenberger überlegte, wie er sein Anliegen vorbringen sollte und entschied sich, ihnen zunächst ausführlich über den aktuellen Vorfall zu berichten.

»Letzte Nacht gab es hier im Museum einen Einbruch. Ihr wisst, wir haben zurzeit die Sonderausstellung.«

»Über die Inka«, warf Lukas ein.

»Richtig. Viele wertvolle Stücke sind hier ausgestellt. Einige sind mehrere tausend Euro wert, darum haben wir unsere Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Eigentlich unmöglich nachts hier einzudringen. Ein winziges Schlupfloch hat gereicht.«

»Schlupfloch?«, fragte Mila.

»Ja. Sämtliche Ein- und Ausgänge sowie alle Fenster sind geschützt. Das heißt, sollte sich jemand gewaltsam Zugang verschaffen, geht sofort Alarm los. Ebenso werden alle Räume rund um die Uhr kameraüberwacht. Das einzige Fenster, das nicht alarmgesichert ist, ist das der Herrentoilette auf dieser Etage. Es wird abends verschlossen und kontrolliert. Letzte Nacht verschaffte genau das Fenster den Einbrechern Einlass«, berichtet Konrad Freudenberger.

»Es stand noch offen?«, schlussfolgerte Lukas.

»Das ist nicht ganz klar. Der Sicherheitsbeauftrage, der das Fenster kontrollieren sollte, beteuert, dass es verschlossen war. Die Polizei ermittelt in der Sache noch.«

»Du sprachst von den Einbrechern. Waren es mehrere?«, meldete sich Mila zu Wort.

Konrad Freudenberger nickte. »Zwei. Sie sind auf irgendeine Art und Weise durchs Fenster hereingekommen und haben eine der Kameras lahmgelegt. Der Mann von der Nachtschicht entdeckte einen der Eindringlinge auf einem der Monitore und beabsichtigte ihn zu stellen. Er bemerkte nicht, dass nicht nur eine, sondern zwei Personen ins Gebäude gelangt waren und wurde niedergeschlagen. Er liegt mit einer Platzwunde am Kopf und einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Der Kollege, dessen Schicht um 6 Uhr begann, fand ihn blutüberströmt. Die Einbrecher waren zu dem Zeitpunkt längst verschwunden.«

»Hauptsache, dem Mann ist nichts schlimmeres passiert«, meinte Mila.

»Es geht ihm, den Umständen entsprechend, gut.«

»Worauf hatten sie es abgesehen?«, wollte Lukas wissen.

»Gold.«

»Gold?«, fragten Mila und Lukas mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Ja, Inka-Gold.«

»Wieviel haben sie mitgenommen?«

»Nur ein Ausstellungsstück.«

Lukas blinzelte. »Verstehe ich das richtig? Die Diebe betreiben einen Riesenaufwand, um ins Museum zu gelangen, nur um ein einziges Goldstück zu stehlen?«

»Vergiss nicht, dass sie vom Wachmann gestört wurden«, erinnerte Mila ihn.

Konrad Freudenberger schüttelte den Kopf. »Sie hatten es nur auf das eine Stück abgesehen, vermute ich.«

Mila und Lukas runzelten die Stirn.

Konrad stand auf, griff sich seine Gehhilfen und ging zu einem Regal. Er holte einen dicken Ordner hervor und versuchte damit an seinen Schreibtisch zurückzugelangen. Mila sprang aus ihrem Sessel auf und nahm ihm den Ordner ab. Sie legte ihn auf seinen Schreibtisch. »Ich danke dir«, sagte er. Sogleich begann er darin zu blättern. Er enthielt Klarsichtfolien, in denen die Exponate der Sonderausstellung über die Inka aufgeführt waren. Zuhinterst befand sich ein Umschlag. Konrad holte ihn heraus.

»Es ist ein besonderes Exponat«, sagte er, entnahm aus dem Umschlag ein Foto und zeigte es Mila und Lukas. Eine kreisrunde Scheibe in Form einer goldenen Sonne mit Gesicht und vielen filigranen, aufwändigen Verzierungen war zu erkennen.

»Sieht aus wie ein Medaillon«, fand Mila.

»Könnte man meinen. In Wirklichkeit ist diese Sonne Teil eines Kopfschmuckes. Er gehörte wahrscheinlich einem Inkaherrscher und ist aus dem 15. Jahrhundert.«

»Was ist das Besondere an der Sonne?«

»Alles, was hier in der Sonderausstellung gezeigt wird«, begann Konrad Freudenberger, »sind Leihgaben aus dem Larco Museum in Lima und dem Inka Museum in Cusco. Jedes Exponat ist hier katalogisiert.« Er tippte mit seinen Fingern auf den Ordner, der vor ihm lag. »Alles … außer der goldenen Sonne. Sie war in keinem der Museen ausgestellt. Ein Freund von mir ist Archäologe und hat diese Sonne auf einer Expedition vor einigen Jahren entdeckt. Was ich nicht wusste, ist, dass er sie unter Verschluss hielt.«

»Was ist der Grund?«, fragte Lukas.

»Angeblich führt diese Sonne zu einem Schatz.«

»Einem Schatz?«

»Ja, ein großer Goldschatz, unter anderem soll es sich auch um die verschollene Sonnenscheibe aus dem Sonnentempel in Cusco handeln.«

Mila und Lukas sahen sich fragend an. Keiner der beiden wusste, was Konrad meinte.

»Ihr wisst nicht, wovon ich spreche, oder?«, der ihre Blicke richtig gedeutet hatte.

Sie schüttelten die Köpfe.

»Aber ihr kennt die Geschichte der Inka?«

»Na ja, ich glaube, wir hatten sie mal kurz in der Schule«, druckste Lukas herum.

»Nur vage, ein Bruchteil, würde ich sagen«, meinte Mila.

Konrad seufzte. »Ihr hättet euch die Ausstellung ansehen sollen. Na gut, dann gebe ich euch jetzt mal Unterricht in der Geschichte der Inka.«

Lukas warf Mila von der Seite einen prüfenden Blick zu, die ihre Stirn in Falten zog.

»Es gibt viele Legenden über die ersten Inka, aber die bekannteste besagt, dass der erste Inka Manko Cápac -der Sohn der Sonne- und seine Schwester Mama Ocllo vom Sonnengott Inti gesandt wurden, um die Welt zu verbessern und ihnen Kultur beizubringen. Sie bekamen einen goldenen Stab mit. Dort, wo es ihnen gelang den Stab mit einem Schlag in die Erde zu stecken, sollten sie siedeln. So wurde laut Mythologie um 1200 Cusco gegründet, der Nabel der Welt für die Inka. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Inka aus dem Amazonastiefland stammten. Wie dem auch sei, die Inkaherrscher regierten von Cusco aus alles: Landwirtschaft, den Bau der Dörfer, den Handel mit Waren und so weiter. Das Volk errichtete Brücken, Kanäle für die Wasserversorgung und ein riesiges Straßennetz. Auf Terrassenfeldern bauten sie Kartoffeln, Mais und Hülsenfrüchte an. Es war gänzlich durchstrukturiert. So errichteten sie das größte Reich in Südamerika, was jemals existierte. 1532 marschierte der spanische Eroberer Francisco Pizzaro ins Inkareich ein. Damals herrschte gerade ein Erbfolgekrieg unter den Brüdern Atahualpa und Huáscar. Das kam Pizzaro gelegen. Er nahm Atahualpa gefangen. Das Inkavolk hatte keine Chance sich zu wehren, weder kannten sie die europäische Waffentechnik noch die mitgebrachten Pferde und Kampfhunde. Sie machten ihnen Angst. Pizzaro richtete ein Blutbad an und vernichtete die ohnehin, durch eingeschleppte Krankheiten, angeschlagene Bevölkerung. Die Spanier hatten es nicht nur auf die Eroberung des Inkareiches und der Zerstörung ihrer Kultur abgesehen, sondern vor allem auf ihr Gold. Sie plünderten Schatzkammern und Tempel. Für die Inka hatte Gold einen besonderen Stellenwert. Es wurde nicht als Zahlungsmittel verwendet, sondern zu Kunst- und Kultobjekte verarbeitet. Das Gold war ihnen heilig. Sie nannten es den »Schweiß der Sonne«. Der heiligste Ort aber war der Sonnentempel Coricancha in Cusco. Dort entsprangen aus ihrer Sicht die vier Himmelsrichtungen und das Universum. Die Inka nutzten den Tempel für Zeremonien, Rituale und Feste. Die Wände dort drinnen sollen mit Platten aus purem Gold verkleidet gewesen sein. An einer der Wände befand sich eine massive goldene Sonnenscheibe, die so aufgestellt war, dass sie das einfallende Sonnenlicht reflektierte. Atahualpa wollte sich aus der Hand der Spanier freikaufen und bot ihnen dermaßen viel Gold und Silber an, dass man einen großen Raum damit füllen könne. Sie ließen sich auf den Handel ein, hintergingen ihn jedoch und töteten ihn. Als die Spanier nach Cusco vorrückten und die Inka vom Tod ihres Herrschers erfuhren, verschwand die Sonnenscheibe auf mysteriöse Weise. Und mit ihr noch einiges Gold, was für die Spanier bestimmt war. Keiner weiß, wo es versteckt wurde. Angeblich in unterirdischen Höhlen und Tunnelsystemen.«

»Und die Sonne, also das Kopfschmuckteil, das gestohlen wurde, führt zu diesem Schatz?«, fragte Lukas.

»So verstehe ich es.«

»Woher kennst du diesen Archäologen?«, erkundigte sich Mila. »Ich meine, kann man auf das vertrauen, was er behauptet?« Sie zog die Stirn in Falten.

Konrad lächelte sie an. »Ich kann deine Zweifel verstehen, aber wenn man jemanden vertrauen kann, dann ihm. Wir haben uns während des Studiums kennengelernt. Sein Name ist Dr. Hans-Werner Sander. Er ist Deutscher.«

Lukas kam der Name bekannt vor. Er hatte ihn früher öfter gehört, als er noch zu Hause gewohnt hatte.

»Hans-Werner hat sich immer sehr für die Inka interessiert. Verschlang alle Bücher, die er fand, sah sich Dokumentationen über die Inka an und saugte förmlich alles in sich auf, was mit dem Thema zu tun hatte. Auch das Studium lenkte er schließlich in diese Richtung. Kurz nach dem Studium reiste er nach Peru. Er war begeistert von dem Land und beschloss dort zu bleiben. Seine Forschungen und archäologischen Arbeiten trieb er voran und zog nach Cusco. Dann verliebte sich Hans-Werner in eine Peruanerin und heiratete sie. Seit wir uns kennen, sind über 40 Jahre vergangen. In der ganzen Zeit haben wir immer Kontakt gehalten. Als ich ihm vor anderthalb Jahren von meinen Plänen einer Sonderausstellung über die Inka erzählte, war er begeistert und versprach mir mich bei der Organisation zu unterstützen. Hans-Werner hat gute Verbindungen zu den Museen in Lima und Cusco und hat es möglich gemacht, dass wir viele Exponate hier ausstellen können, die noch niemals das Larco Museum in Lima oder das Inka Museum in Cusco verlassen haben. Erst recht nicht für eine Ausstellung außerhalb Perus. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Umso schlimmer ist es, dass der Kopfschmuck gestohlen wurde«, seufzte Konrad. Es ging ihm nicht nur darum, dass ein altes Relikt verschwunden war, was einen unschätzbaren Wert hatte, sondern auch, dass er seinen Freund enttäuscht hatte, der ihm dieses wertvolle Stück anvertraut hatte.

Lukas stand der Geschichte um die Sonne nach wie vor skeptisch gegenüber. Ein alter Kopfschmuck tauchte auf, wurde gestohlen und sollte zu einem längst verschollenen Goldschatz führen? Hörte sich an wie aus einem Hollywood-Blockbuster! Er hatte nichts gegen solche Filme, ganz im Gegenteil: Er wusste nicht, wie oft er die Indiana-Jones-Filme gesehen hatte. Aber sie passten eben doch besser in die Traumfabrik von Los Angeles statt nach Altenburgthal.

»Papa, ich denke, du bist zu leichtgläubig. Woher willst du wissen, dass dein Freund diese Sonne nicht gestohlen hat und einen Weg gesucht hat, sie außer Landes zu schaffen? Und er behauptet, dass dieser Kopfschmuck zu einem Goldschatz führt? Ich bitte dich, das ist nun wirklich weit hergeholt!«

Konrad Freudenberger schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, nein, nein. All das, was ich euch erzähle, ist wahr.« Er entnahm dem Umschlag, in dem sich das Foto der Sonne befunden hatte, einen Zettel und reichte ihn den beiden.

»Was ist das?«, fragte Lukas.

»Hans-Werner schickte mir die Sonne nicht mit allen anderen Exponaten dieser Ausstellung, sondern erst vor circa einem Monat. Sie sollte nie Teil dessen werden. Ich wusste nicht einmal, dass er sie mir zukommen lassen wollte. Eines Tages erhielt ich ein Paket mit der Sonne und den Brief. Lest ihn euch durch.«

Lukas faltete den Zettel auseinander und hielt ihn zu Mila hinüber, damit sie mitlesen konnte:

Lieber Konrad,

unerwartete Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Nie habe ich erwartet, dass es einmal soweit kommen würde. Die Vergangenheit hat mich eingeholt.

Ich schicke Dir dieses Paket, es erscheint mir die beste Lösung zu sein. Hüte die Sonne gut.

Du weißt doch noch, dass ich sie vor Jahren auf einer Expedition fand? Ein Museum hat sie nie zu Gesicht bekommen. Ich hielt sie unter Verschluss. Niemand wusste, dass sie sich in meinem Besitz befand. Sie galt offiziell als verlorengegangen. Bis jetzt.

Jemand hat herausgefunden, dass sie noch existiert. Das hätte nie passieren dürfen! Ich kann niemanden mehr trauen, außer Dir und meiner Familie.

Ich habe mehrere Drohungen -ernstzunehmende Drohungen- erhalten! Meine liebe Frau und mein Sohn wissen davon nichts.

Ich habe keine Ahnung, wer diese Leute sind, aber sie wollen den Schatz mit der legendären Sonnenscheibe! Er darf nicht in falsche Hände geraten. Finden sie den Kopfschmuck, finden sie das Gold.

Das muss ich verhindern! Bei Dir ist die Sonne sicher, das weiß ich.

Dennoch: Sollte mir etwas zustoßen, suche meinen Sohn auf und bitte ihn um Hilfe. Sprich mit niemandem anders über diese Sache. Erst recht nicht am Telefon! Du darfst keinem trauen, außer meinem Sohn! Er muss den Schatz schützen, mit allen Mitteln!

Die Sonne ist der Schlüssel dazu.

Dein Hans-Werner

»Ein merkwürdiger Brief«, sagte Mila, als sie ihn durchgelesen hatte. »Was meint er mit Drohungen? Wird er erpresst? Geht es um sein Leben?«

»Die Fragen stellte ich mir auch. Ich habe mir den Brief immer und immer wieder durchlesen, um ihn zu verstehen. Ich werde nicht richtig schlau daraus. Ich habe versucht ihn zu kontaktieren, aber weder per Email, Telefon oder SMS erreiche ich ihn. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches, er meldet sich öfter nicht sofort, aber da die Sonne gestohlen wurde, mache ich mir Gedanken, dass etwas nicht stimmt«, erwiderte Konrad.

»Aber wenn Hans-Werner Sander wollte, dass du auf die Sonne aufpasst, warum hast du sie in eine der Vitrinen der Ausstellung gelegt?«, fragte Lukas. »Ich meine, offiziell gehört sie nicht zu den Fundstücken.«

Sein Vater zuckte mit den Achseln. »Ich hielt das für den sichersten Ort. Dort wird sie ständig überwacht und fällt nicht auf. Sie war zwischen einigen anderen Goldschmuckstücken arrangiert. Niemand hier aus dem Museum wusste, dass die Sonne nicht zu den anderen Stücken gehörte. Ich habe den Mitarbeitern erzählt, dass noch ein Ausstellungsstück verspätet angekommen sei und den Kopfschmuck dazugelegt.«

»Du hast doch einen Tresor. Dort wäre sie besser aufgehoben gewesen.«

»Ja, Lukas, das weiß ich im Nachhinein auch. Nun müssen wir den Schaden beheben.«

»Wir? Was meinst du?«

»Ihr habt es gelesen: Wir sollen seinen Sohn aufsuchen und ihn um Hilfe bitten. Da ich mit meinem Bein gehandikapt bin, möchte ich euch bitten, das zu tun.«

»Wo wohnt er? In Deutschland?«

»Nein, irgendwo in Cusco, wie Hans-Werner.«

Lukas, der gerade einen Schluck aus seinem Wasserglas genommen hatte, verschluckte sich. Er hustete. Hastig stellte er das Glas auf den Schreibtisch und hustete erneut.

Mila versuchte das Gehörte gedanklich zu ordnen. »Verstehe ich das richtig: Du möchtest, dass Lukas und ich nach Peru reisen und dem Sohn von Herrn Dr. Sander berichten, dass der Kopfschmuck gestohlen wurde?«

»Richtig. Und dass der Schatz droht in die falschen Hände zu geraten. Hans-Werners Sohn scheint demnach zu wissen, was zu tun ist.«

Lukas starrte seinen Vater mit geweiteten Augen an. Wusste er, was er von sich gab? Der Einbruch ins Museum schien ihm zugesetzt zu haben.

»Du meinst das nicht ernst, oder?«

Konrad legte den Kopf schief und blinzelte. »Natürlich meine ich das ernst.«

»Wie stellst du dir das vor? Wir fliegen mal eben nach Peru, suchen den Sohn von Hans-Werner auf -weißt du überhaupt, wo wir ihn finden- erzählen ihm, dass die Sonne weg ist und womöglich ein Schatz in falsche Hände geraten könnte und wir außerdem Hans-Werner nicht erreichen?« Der Wunsch seines Vaters hörte sich absolut absurd an!

Der überlegte kurz. »So in etwa. Und um deine Frage zu beantworten: Nein, ich weiß nicht, wo er wohnt. Aber das lässt sich garantiert herausfinden. Die Adresse von Hans-Werner habe ich, doch wie gesagt, erreiche ich ihn dort per Telefon nicht.«

Lukas schüttelte nur den Kopf. Er stand auf. »Komm, Mila, wir gehen. Solch einen Blödsinn höre ich mir nicht weiter an!«

»Wartet! Setz dich hin, Lukas! Lasst es mich erklären, dann hört es sich vielleicht weniger lächerlich an, als du es dargestellt hast.«

Lukas nahm Platz, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Gut. Nun der Reihe nach«, begann Konrad Freudenberger.

Kapitel 4

Mila und Lukas sollten nach Cusco fliegen. Das war und blieb Konrad Freudenbergers Plan. Normalerweise hätte er selbst diese Reise angetreten, um die Bitte seines langjährigen Freundes nachzukommen, doch aufgrund seines gebrochenen Fußes traute er es sich nicht zu. Zudem hatte er durch den Einbruch eine Menge im Museum zu tun. Als Entschädigung bot er Mila und Lukas an, für die entstehenden Kosten aufzukommen. Lukas fand das zwar sehr großzügig, argumentierte aber, dass er und Mila einen Job hätten und nicht von heute auf morgen verreisen könnten.

Mila fand den Gedanken, nach Peru zu reisen, nicht übel. Sie hatte für den Reiseteil des Frauenmagazins über Peru noch nie berichtet. Vielleicht konnte man das Schöne mit dem Nützlichen verbinden. Ihre Chefredakteurin ließ sich überzeugen, dass sie spontan Urlaub nehmen müsste und trotzdem ihrer Arbeit nachging.

Konrad hatte geahnt, dass er Mila mit seinem Anliegen ködern konnte. Er wusste, dass sie offen für Neues war, sie sich für fremde Länder interessierte und einem kleinen Abenteuer nicht abgeneigt war. Aus dem Grunde hatte er sie bei diesem Treffen dabeihaben wollen. Sie ließ sich schnell für seine Sache gewinnen. Sein Sohn Lukas hingegen tat sich schwer.

»Was weißt du denn über Dr. Sanders Sohn?«, fragte Mila. »Gibt es irgendetwas, wie wir herausfinden können, wo er lebt? Cusco ist kein Dorf.«

»Ich weiß nur, dass er Ricardo heißt und ungefähr in eurem Alter ist. Hin und wieder begleitet er Hans-Werner auf Expeditionen. Ich glaube, er hat, wie sein Vater, Archäologie studiert. Ich erinnere mich, wie Hans-Werner mir einmal erzählte, dass er oft zu dieser Zeit als Guide für die Wandergruppen auf den Inka-Trails arbeitet. Darüber lässt sich bestimmt etwas herausfinden. Hans-Werners Frau besitzt ein Restaurant, aber ich weiß leider nicht, wie es heißt.«

»Ich versuche mich im Internet schlau zu machen«, schlug Mila vor.

»Sehr gut.«

»Und wenn wir ihn nicht finden?«, wandte Lukas ein.

»Irgendwen werdet ihr finden, der euch Auskunft über Hans-Werner oder Ricardo geben kann.«

»Wir können im Museum anrufen!«

»Nein, Mila, das halte ich für keine gute Idee. Hier im Brief steht, dass ich mit niemanden anders sprechen soll. Ich habe mich schon zu weit aus dem Fenster gelehnt, dass ich es euch erzählt habe. Wir dürfen im Museum nicht anrufen. Vielleicht ist Hans-Werner untergetaucht.«

Lukas fühlte sich wie im falschen Film.

»Papa, was redest du da? Wir sind hier nicht bei Indiana Jones. Das hört sich nach einem Fall für die Polizei an!«

»Nein, keine Polizei! Das müssen wir allein lösen. Du liebst doch diese Art von Filmen.«

»Ja, aber im Gegensatz zu dir kann ich zwischen Fiction und Wirklichkeit unterscheiden. Für dich scheint es ein Riesenabenteuer zu sein.«

»Wer mag denn keine Abenteuer, wenn man die Gelegenheit dazu bekommt? Vielleicht könnt ihr bei der Schatzsuche helfen!«, versuchte er Lukas zu überzeugen.

Der sah ihn ungläubig an. »Soweit ich weiß, liegt Cusco weit oben in den Bergen.«

»Auf 3.416 Meter, um genau zu sein.«

»Und die Inka bewohnten diese Höhen. Somit ist davon auszugehen, dass der Schatz in den Bergen liegt.«

»Durchaus möglich.«

Lukas stand auf und sah ihn ernst an. »Du weißt, dass ich nicht mehr in die Berge gehe.«

Lukas‘ Augen verengten sich zu Schlitzen, als er Konrad anstarrte. In der Luft lag ein Knistern.

»Es wird schon nicht so schlimm werden«, gab Konrad zurück und merkte, wie idiotisch es sich anhörte.

Sein Sohn schüttelte den Kopf, warf achtlos den Brief, den er immer noch in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch und verließ wortlos den Raum.

Mila fing das Schriftstück, das durch den Windzug auf die Erde zu fallen drohte, auf. Sie hatte der Diskussion schweigend zugehört. Es missfiel ihr, welches Ende das Gespräch genommen hatte.

»War bescheuert von mir«, gab Konrad mit einem schiefen Lächeln zu und sah Mila hilfesuchend an.

»Ja.« Sie stand langsam von ihrem Stuhl auf.

Konrad erhob sich ebenfalls und schnappte sich seine Gehhilfen. »Mila, warte noch! Ich weiß, das ist nicht so gelaufen wie geplant. Was meinst du zu der Sache? Kann ich auf dich zählen?«

Mila überlegte. »Peru hört sich für mich sehr reizvoll an. Ich könnte auf jeden Fall eine Reisereportage beisteuern, falls weder dein Freund, sein Sohn, noch der Kopfschmuck auffindbar ist. Aber ob ich Lukas überzeugen kann mitzukommen?«, fügte sie achselzuckend hinzu.

»Meine Aussage von eben tut mir leid.«

»Ich weiß, aber daran liegt es nicht.«

»Was ist nur los mit ihm? Früher hätte er nicht gezögert. Er lässt sich gehen. Versuche bitte ihn umzustimmen. Ich möchte dich ungern allein dorthin reisen lassen.«

Sie nickte nachdenklich. Dass Lukas sich gehen ließ, war milde untertrieben. Sie hatte eine bestimmte Ahnung. Trotzdem würde sie noch einmal mit ihm reden.

Sie sah auf den Brief und meinte: »Es scheint deinem Freund Hans-Werner sehr wichtig zu sein, dass du ihm hilfst, sonst hätte er nachträglich das hier nicht mehr hinzugefügt.« Sie tippte auf eine mit Bleistift in die linke untere Ecke geschriebene Notiz: Por favor – Bitte.

Mila gab ihm den Brief zurück, verabschiedete sich von Konrad Freudenberger und verließ sein Büro.

Sie trat auf den Gang und fragte sich, wo Lukas abgeblieben war. Sicher schaute er sich nicht die Sonderausstellung über die Inka an.

Sie lief bis zur großen Halle und ließ am oberen Treppenabsatz ihren Blick nach unten schweifen. Die Polizei und die Spurensicherung hatten ihre Arbeit beendet. Vor den Kassen hatten sich mittlerweile Schlangen gebildet. Besucher waren in die verschiedenen Ausstellungsräume unterwegs. Viele von ihnen hielten ein Prospekt über die Inka-Ausstellung in den Händen und machten sich auf den Weg in die erste Etage.

Von hier aus entdeckte Mila ihren Freund nirgends. Sie stieg die Stufen hinunter, durchquerte die Halle Richtung Ausgang. Auf einer der Sitzbänke entdeckte sie Lukas. Er saß vornübergebeugt mit dem Rücken zu ihr, hatte die Unterarme auf die Oberschenkel gestützt und vertrieb sich die Zeit, indem er Nachrichten auf seinem Smartphone las. Er bemerkte Mila erst, als sie sich neben ihn setzte.

»Hey«, sagte sie.

»Hey«, erwiderte er nur, steckte sein Telefon weg und stand auf. »Lass uns gehen.«

Lukas verließ eilig das Museum, und Mila hatte Mühe hinter ihm herzukommen. Er bog in die Straße ab, in der ihr Auto stand.

»Jetzt warte doch mal!«, rief sie ihm zu.

Er blieb kurz stehen, damit sie zu ihm aufschließen konnte. Als er sich wieder in Bewegung setzte, hielt sie ihn am Arm fest. »Bleib bitte stehen!«

Er stemmte die Hände in die Hüften. »Was ist los?«

»Das frage ich dich! Du rennst, als wäre der Teufel hinter dir her! Lass uns bitte reden. Da vorne an der Ecke gibt es ein kleines Café. Wenn es geöffnet ist, können wir dort etwas trinken.«

»Worüber reden? Über den Blödsinn, den mein Vater erzählt hat?«

»Lukas!«