Das Geheimnis der Weißen Dame - Barbara Cartland - E-Book

Das Geheimnis der Weißen Dame E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Gerard Langston, ein junger und mittelloser Adliger vergnügt sich gerne in London mit der vergnügungssüchtigen Clique, die König George IV umgibt, zu der auch der reiche und gutaussehende Graf von Trevarnon gehört. Der Graf hat seine Pferde beim Rennen in Ascot angemeldet und ist sich seines Sieges sicher. Als seine gemietete Unterkunft abbrennt, mietet er Gerards leicht verwahrlosten Landsitz, Langston Manor, das von dessen jungen und bildhübschen Schwester Diana verwaltet wird. Gerard will nicht, dass weder der Graf noch seine Gäste etwas von Dianas Anwesenheit erfahren, da vor allem der Graf für seine Frauengeschichten bekannt ist. Daher muss sich Diana in einem Geheimzimmer verstecken. Sie kümmert sich jedoch in Anwesenheit der Gäste um das Haus und da sie eine Pferdekennerin ist, besucht sie auch die Rennen in Ascot. Um den Grafen aus einer gefährlichen Situation zu retten, gibt sich Diana als Weiße Dame aus, die sich laut den Legenden in Langston Manor aufhalten soll. Wird sie es schaffen, den Grafen rechtzeitig zu warnen und wird der Graf die Weiße Dame wiedersehen, um sie für sich zu gewinnen?

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Seitenzahl: 207

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Erstes Kapitel

„Diana!“

Diana ließ das Buch, in dem sie gerade las, sinken und lauschte.

„Diana! Diana!“

Hastig sprang sie auf und lief über die knarrenden Dielen der Bildergalerie zur Treppe. Unten in der Halle stand ein sehr eleganter Mann, der sein hübsches Gesicht zu ihr emporwandte. Er hatte den Kopf nach hinten geneigt und wollte sie gerade noch einmal rufen.

„Gerard!“ rief sie erfreut. „Ich habe dich nicht erwartet.“

„Das wusste ich, Diana.“

Sie lief die Treppe hinunter und umarmte ihren Bruder.

„Sei vorsichtig!“ warnte er sie. „Pass auf meine Krawatte auf!“

„Oh, eine neue Mode! Gerard, die sieht wirklich sehr schick aus!“

„Das dachte ich auch“, stimmte er selbstgefällig zu.

„Sie sieht so aus, als sei sie nicht ganz einfach zu binden.“

„Da hast du recht. Ich habe Stunden dafür gebraucht und dabei über ein Dutzend völlig ruiniert.“

„Lass dich ansehen!“ bat Diana.

Sie trat einen Schritt zurück und bewunderte seine elegante Erscheinung. Er trug champagnerfarbene Hosen, einen enganliegenden Gehrock und eine prächtige Weste.

„Dein neuer Schneider ist wirklich ein Könner“, meinte sie schließlich, weil sie wusste, dass er auf ihr Urteil wartete. „Aber seine Rechnung möchte ich lieber nicht sehen.“

„Deswegen bin ich gerade zu dir gekommen“, erwiderte Sir Gerard Langston.

Diana stieß einen kleinen Schrei aus. „Gerard! . . . doch nicht etwa Mahnungen?“

„So weit wäre es fast gekommen“, antwortete ihr Bruder. „Aber lass uns das in der Bibliothek besprechen. Außerdem könnte ich etwas zu trinken gebrauchen. Die Straßen waren wieder schrecklich voll.“

„Das kann ich mir gut vorstellen. Vor den Rennen ist es immer so.“

Die Vorbereitungen für die Rennen in Ascot begannen immer schon einige Zeit vorher. Gewöhnlich trafen zuerst die Pferde ein. Sie wurden in zahlreichen Ställen rings um den Rennplatz untergebracht. Besucher aus den Provinzen machten sich schon viele Tage oder Wochen vorher auf die lange Reise. Aus London kamen die Leute in der Woche vor den Rennen in die Umgebung von Ascot.

Als sie die Bibliothek betraten, sah Gerard sich um, als betrachte er den Raum mit Wohlgefallen. Diana war verwundert. Normalerweise kam er nur nach Hause, um seine Kleidung abzuholen, nachdem sie von ihr und ihrem alten Kindermädchen gewaschen, gebügelt und geflickt worden war. Oder er kam, weil er keinen Pfennig mehr besaß und seine teure Wohnung in der Half Moon Street in London vorübergehend aufgeben musste.

„Was suchst du?“ fragte Diana schließlich.

Gerards Augen waren über die verblichenen Samtvorhänge gewandert, über den Teppich, der an einigen Stellen schon stark abgetreten war, und über die Armsessel, die seit über zehn Jahren auf einen neuen Bezug warteten.

Der Raum sah zwar abgenutzt und ärmlich aus, aber er zeigte doch eine gewisse Würde und Schönheit. Ihr Bruder meinte endlich mit einem Seufzer der Erleichterung: „So schlimm ist es gar nicht. Und schließlich sind es nur die Emporkömmlinge und die Neureichen, bei denen alles piekfein und blitzblank aussieht.“

„Wovon redest du, mein Lieber?“ fragte Diana mit sanfter Stimme.

„Ich habe dir einige sehr aufregende Neuigkeiten zu erzählen“, erwiderte Gerard. „Du wirst sehr erstaunt sein.“

„Was ist es denn?“ fragte Diana etwas ängstlich.

„Ich habe unser Haus für die ganze nächste Woche vermietet.“

Diana schwieg einen Augenblick und fragte dann ungläubig: „Das Haus vermietet? Was meinst du damit?“

„Genau das, was ich gesagt habe“, antwortete Gerard und warf sich auf das Sofa, das unter seinem Gewicht ächzte.

„Aber warum? Weshalb? An wen?“

Dianas Fragen überstürzten sich. Ihr Bruder legte eine effektvolle Pause ein, bevor er antwortete: „An den Grafen von Trevarnon.“

Als er bemerkte, wie Dianas Augen größer wurden, fügte er schnell hinzu: „Warte erst einmal ab, bis ich dir gesagt habe, was er mir geboten hat.“

„Aber wieso sollte er gerade . . . hierherkommen wollen?“

„Das ist leicht zu beantworten“, erklärte Gerard. „Der Gasthof ,Crown and Feathers’ in Bracknell ist vorletzte Nacht abgebrannt.“

„Abgebrannt?“ rief Diana aus. „Wie schrecklich! Ist jemand verletzt worden?“

„Keine Ahnung“, erwiderte ihr Bruder uninteressiert, „aber Trevarnon hatte den ganzen Gasthof für die Rennwoche gemietet.“

„Und nun weiß er nicht, wo er unterkommen soll“, meinte Diana zögernd.

„Er war verzweifelt. Du weißt genauso gut wie ich, dass man zurzeit im ganzen Bezirk kein Zimmer, ja nicht einmal ein Bett finden kann.“

Diana wusste, dass er die Wahrheit sagte. Im Gegensatz zu den Rennen in Epsom, die von London aus leicht zu erreichen waren, war der Rennplatz in Ascot fast dreißig Meilen von der Hauptstadt entfernt. Nur wenige Kutschen verkehrten täglich zwischen Ascot und London mit hoher Geschwindigkeit, die einen Pferdewechsel auf der Strecke notwendig machte. Für die meisten Besucher der Rennen bedeutete es, dass sie sich hier fünf Tage aufhalten mussten. Deshalb war die ganze Umgebung zu dieser Zeit buchstäblich vollgestopft.

Wenn jemand das Glück hatte, Gast in Windsor Castle zu sein oder in einem der Landhäuser unterzukommen, wofür astronomische Summen gezahlt wurden, gab es keine Probleme. Aber wer dieses Glück nicht hatte, musste mit den sehr unbequemen und überfüllten Gasthöfen vorliebnehmen, die für dieses Privileg kräftig kassierten. Es kam vor, dass Gästen zugemutet wurde, auf einem Sofa zu übernachten oder sich gar auf einem Kaminvorleger zusammenzurollen.

Ihr Bruder brauchte ihr also nicht erst zu erklären, welche Probleme entstanden, wenn am Freitag vor dem Rennen einer der besseren Gasthöfe wie der ‚Crown and Feathers‘ in Bracknell abbrannte. Diana konnte sich das alles sehr gut vorstellen.

Gerard erzählte ihr, was geschehen war. „Wir saßen gestern Abend im White's Club und tranken zusammen, als Trevarnon die Nachricht erhielt. Er fragte: ,Was zum Teufel kann ich nur tun?’

Niemand antwortete, und er fuhr fort:

,Ich habe fünf Pferde für das Rennen gemeldet, darunter Crusader. Sie sind schon unterwegs nach Bracknell.’ “

„Crusader!“ flüsterte Diana. Auf dieses Pferd hatte sie sich am meisten gefreut. Es hatte schon eine Reihe von Rennen gewonnen. In jeder Zeitung hatten Lobreden über sein Aussehen und seinen Gang gestanden.

„Genau - Crusader!" wiederholte ihr Bruder. „Ich werde ganz schön verlieren, wenn er nicht läuft.“

„Oh, Gerard, wie konntest du nur!“ rief Diana. „Du hast mir doch versprochen, dass du nicht mehr wettest, bevor du nicht wenigstens einige deiner Rechnungen bezahlt hast.“

„Aber Crusader ist ein todsicherer Tipp!“ erwiderte Gerard. „Auch der Graf hat ein ganzes Vermögen auf ihn gesetzt.“

„Der Graf kann sich das leisten!“ sagte Diana ruhig.

„Und ich auch, jetzt, wo ich das Haus vermietet habe.“

„Willst du damit sagen, dass du dem Grafen von Trevarnon und seiner Gesellschaft wirklich erlauben willst, hierher zu kommen?“

„Das versuche ich dir die ganze Zeit zu erklären, Diana. Und nun mach bloß kein Theater deswegen! Gott weiß, wie sehr wir das Geld nötig haben.“

„Wieviel?“

Seine Stimme zitterte etwas, als er mit einem gewissen Stolz sagte: „Tausend Pfund!“

Diana starrte ihn an, als habe sie nicht richtig gehört.

„Tausend Pfund?“ wiederholte sie nach einer Pause. „Das ist doch . . . unmöglich! Das ist doch nicht dein Ernst!“

„Ich sagte dir schon, dass er ganz verzweifelt war. Der Raum war voller Menschen. Er sah sich um, als sei ihm der Gedanke gekommen, dass irgendjemand anwesend sein könnte, der ein Haus in der Nähe von Ascot hatte. Plötzlich erblickte er mich.

,Wenn ich mich recht erinnere, Langsten, dann leben Sie bei Ascot.’

,Das stimmt, Mylord’, erwiderte ich.

,Und ist Ihr Haus schon voll besetzt?’

,Nein, Mylord, aber ich glaube kaum, dass es Ihren Bedürfnissen entspricht.’

,Alles, wenn es nur ein Dach besitzt, würde mir unter diesen Umständen genügen. Vermutlich haben Sie Stallungen?’

,Ja, Ställe sind vorhanden.’

,Für wie viele?’ “

Gerard streckte die Arme aus. „Ich habe ihm die Wahrheit gesagt, Diana. Was hätte ich sonst tun sollen?“

„Erzähl weiter!“ bat ihn seine Schwester.

„Ich erwiderte: ,Über vierzig, Mylord.’

Der Graf zog mich zur Seite: ,Haben Sie irgendwelche Bedenken dagegen, dass ich Ihr Mieter werde?’

.Natürlich nicht, Mylord.’

.Warum zögern Sie dann noch?’

.Das Haus ist alt, und weil ich mich dort selten aufhalte, haben wir nur wenige Diener.’

,Das macht nichts. Ich werde meinen eigenen Küchenchef, meinen Butler und so viele Bediente wie nötig mitbringen.’

Ich erwiderte nichts. Nach einer kurzen Weile fragte er:

,Würden Ihnen tausend Pfund als Miete für die Woche ausreichen?’ “

Gerard schwieg einen Moment, als wenn er sich daran erinnerte, wie ihm bei dieser gewaltigen Summe der Atem gestockt hatte. Bevor seine Schwester etwas sagen konnte, fügte er hinzu: „Es ist schon alles abgemacht. Er kommt morgen mit seinen Gästen. Die Pferde werden wohl schon heute Abend hier sein.“

„Aber Gerard, wie sollen wir bis dahin fertig werden? Wir haben nur Nattie und die alte Betsy, um alles vorzubereiten.“

„Wenn es dem Grafen hier nicht gemütlich genug ist, kann er uns keinen Vorwurf machen“, erwiderte Gerard sorglos. „Denk doch nur: tausend Pfund!“

Dann sah er sie etwas unbehaglich an und erklärte:

„Ich hatte gerade die Absicht, nach Haus zu kommen und den Rest des Sommers hier zu verbringen.“

Er war also wieder völlig abgebrannt! Diana wusste nur zu gut, dass es ihm unmöglich gewesen wäre, ein solch großzügiges Angebot abzulehnen. Allerdings sah sie unzählige Schwierigkeiten vor sich.

Langston Manor war schon seit der Zeit Heinrichs VIII. im Besitz der Familie Langston. Sie hatte es erworben, als die Klöster aufgelöst wurden. Es war immer wieder einmal umgebaut und durch Anbauten ergänzt worden, hatte dabei aber stets das Giebeldach mit den vielen Kaminen und die rautenförmigen Fenster bewahrt. Es wirkte etwas geheimnisvoll - wie aus einer anderen Welt. Diana schrieb das dem Umstand zu, dass es ursprünglich Zisterzienser-Mönche beherbergt hatte.

Das Vermögen der Langstens hatte sich im Laufe der Jahrhunderte mehrere Male verändert. Einige Mitglieder der Familie waren sehr reich und Staatsmänner von großem Einfluss und Ansehen gewesen, andere hingegen waren mit dem Geld verschwenderisch umgegangen und hatten das Familienvermögen verschleudert.

Sowohl ihr Vater als auch ihr Großvater hatten zu der zweiten Kategorie gehört. Gerard hatte deshalb außer dem Haus und einigen Morgen Waldland wenig geerbt.

Natürlich wollte er am liebsten die meiste Zeit in London leben und die Gesellschaft der Lebemänner und Stutzer pflegen, die während der Regentschaft des Prinzen von Wales von sich reden machten. Nachdem dieser kürzlich als König Georg IV. gekrönt worden war, bildeten sie noch immer den Kern der vergnügungssüchtigen Clique, die ihn umgab.

Während Gerard sich in London amüsierte, musste Diana völlig zurückgezogen zu Hause leben. Sie hatte jedoch nie ein anderes Leben kennengelernt. Deshalb vermisste sie den gesellschaftlichen Wirbel auch nicht, an dem sie wohl teilgenommen hätte, wenn ihre Mutter noch am Leben gewesen wäre und Geld gehabt hätte. Sie war äußerst genügsam, half ihrem alten Kindermädchen, das Haus in Ordnung zu halten, besorgte den Garten und verbrachte viel Zeit mit Lesen.

Am glücklichsten war sie, wenn sie auf den Pferden ihres Bruders ritt. In London konnte er sich keinen Stall leisten. Er besaß ein Rennpferd, Firebird, auf das er große Hoffnungen setzte. Er hatte es seiner Schwester und dem alten Reitknecht Abbott - der schon seit ihrer Kindheit hier lebte - überlassen, es zu trainieren.

Abbott hatte darauf bestanden, dass sie Firebird für eines der Rennen in Ascot anmeldeten. Sein Enkel Jem Abbott sollte das Pferd reiten. Jem war auf dem Schloss aufgewachsen. Er begann gerade als junger Jockey auf sich aufmerksam zu machen. Wie viele andere mühte auch er sich, an jedem der bekannteren Rennen teilzunehmen. Jem hatte Diana von der unvergleichlichen Erscheinung und den hervorragenden Leistungen Crusaders erzählt. Aber dass dieses Pferd dem Grafen von Trevarnon gehörte, hatte sie erst von ihrem Bruder erfahren.

„Du brauchst gar nicht viel zu tun“, meinte Gerard. „Es genügt, wenn du alles so ordentlich wie möglich hinterlässt, so viel Hilfe wie möglich beschaffst und dann irgendwo anderweitig unterkommst.“

„Anderweitig . . . unterkommen?“ wiederholte Diana voller Erstaunen.

„Du kannst ja wohl kaum hierbleiben“, antwortete er. „Das ist eine Junggesellenparty. Und vor allem Trevarnon ist ein Mann, der einen bestimmten Ruf hat. Das habe ich dir ja schon erzählt. Ich bewundere ihn, aber ich würde ihn bestimmt nicht mit meiner Schwester in Berührung kommen lassen.“

„Aber Gerard, wohin könnte ich denn gehen?“

„Irgendetwas wird es schon geben“, meinte er unbekümmert.

„Aber wenn ich hier fortgehe, werden Nattie und Betsy gar nicht zurechtkommen. Und der alte Jacobs wird es vergessen, dass er Kohle für die Küche hereinbringen und den Fußböden säubern muss. Er wird mit jedem Tag seniler.“

„Du kannst jedenfalls nicht hierbleiben, und damit ist die Sache erledigt.“

„Ist der Graf denn wirklich so verdorben?“ fragte sie. Sie brauchte nicht zu erläutern, wen sie meinte.

„Er ist ein richtiger Teufel, wenn es um Frauen geht. Ich kenne keinen Mann, der besser reiten kann als er und der mehr von Pferden versteht. Er ist in jeder Beziehung ein prächtiger Kerl - mit einer Ausnahme.“

„Du hast schon früher von ihm erzählt. Ich habe oft gedacht, dass er nicht gerade der richtige Begleiter für dich ist“, meinte Diana sanft.

„Begleiter!“ rief Gerard aus. „Davon kann nicht die Rede sein. Nur wenige zählen zu seinen wirklich intimen Freunden. Er ist freundlich zu mir, lädt mich zu seinen Partys ein, und ich bewundere ihn. - Natürlich, ich bewundere ihn. Er sticht jeden anderen aus, aber, bei Gott, wenn es um Frauen geht . . .“

„Hat er nie geheiratet?“

„Er ist verheiratet!“

„Das wusste ich nicht. Du hast die . . . Gräfin nie erwähnt.“ „Sie ist verrückt - sie sitzt im Irrenhaus und ist schon seit zwölf Jahren dort.“

„Verrückt! Wie schrecklich! Du musst ihn sehr bedauern.“

„Trevarnon bedauern?“ lachte Gerard. „Das ist wirklich das letzte, was ich tun würde. Er hat mehr Vermögen als irgendjemand sonst in England und ist so reich wie Krösus. Man erzählt sich, dass er den König, als er noch Regent war, mit enormen Krediten verpflichtet hat, die nie zurückgezahlt werden.“

„Aber dass seine Frau verrückt ist . . .“

„Das scheint ihm nichts auszumachen. Aber es ist ein Hindernis für all die Frauen, die mit ihm zum Traualtar schreiten wollen.“

„Vielleicht würde er gern noch einmal heiraten.“

„Das scheint unmöglich, solange seine Frau noch am Leben ist. Und ich kann dir versichern, er zieht ganz schön seinen Vorteil daraus, dass er noch gebunden ist.“

Gerard lachte etwas bitter. „Wenn er eine weinende Frau, deren Herz er gebrochen hat, verlässt, dann kann sie ihm kaum Vorwürfe machen. Schließlich wusste sie ja von Anfang an, dass er sie nicht heiraten konnte.“

„Ich kann das verstehen“, meinte Diana.

„Du kannst gar nichts verstehen!“ entgegnete Gerard kurz. „Ich will auf keinen Fall, dass du mit dem Grafen in Berührung kommst, und damit Schluss! Du verschwindest hier heute Abend, und mehr will ich darüber nicht hören!“

„Aber wohin soll ich denn gehen? Ich kann doch wohl kaum ganz bis nach Northumberland zu Tante Elizabeth reisen - noch dazu ohne jede Begleitung. Und wenn ich Nattie mitnehme, wird Betsy es ganz bestimmt ablehnen, hier irgendetwas zu tun.“

„Mein Gott, was machst du nur für unnötige Schwierigkeiten!“ rief Gerard aus.

„Das tue ich doch gar nicht, bestimmt nicht. Aber wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Du weißt ganz genau, dass ich hier den Haushalt in Gang halte. Ich koche für dich, wenn du hier bist. Ich kümmere mich um die Wäsche. Ich sorge dafür, dass die Zimmer gemacht werden und dass Staub gewischt wird.“

„Dann stell doch jemand ein, der das tut, während du fort bist“, entgegnete ihr Bruder ärgerlich.

„Wen denn? Alle geeigneten Frauen sind doch schon längst irgendwo angestellt, um die Besucher der Pferde zu versorgen.“

Darauf wusste Gerard nichts zu erwidern.

„Und überdies kann ich keine fremden Dienstboten ins Haus nehmen. Sie würden die wenigen Sachen, die wir noch haben, verderben, wie die Bettlaken mit echter Spitze, die Mama immer benutzte, und die Kissenbezüge, die sie so schön bestickt hat.“

Ihr Bruder wollte gerade etwas sagen, als sie mit aufgeregter Stimme fortfuhr. „Jetzt ist es mir eingefallen! Ich weiß, was ich tun werde! Ich habe das ganze Problem gelöst.“

„Und wo willst du nun bleiben?“

„Im Priester-Zimmer.“

„Im Priester-Zimmer?“ wiederholte er.

„Dort werde ich schlafen. Niemand wird wissen, dass ich im Haus bin. Und wenn du bei den Rennen bist, kann ich mich um alles kümmern und die Sachen vor deiner Rückkehr in Ordnung bringen.“

Gerard sah sie nachdenklich an. Dann sagte er langsam: „Mir gefällt das nicht. Es ist zu gefährlich.“

„Wieso gefährlich?“

Er wollte das offensichtlich nicht näher erläutern. Aber man merkte ihm an, dass er seine Schwester zum ersten Mal mit anderen Augen betrachtete. Er war an ihre Gegenwart so gewöhnt, dass es ihm bisher nie aufgefallen war, wie außerordentlich lieblich sie war. Ihre Schönheit war von anderer Art als die der Frauen in London.

In ihrem kleinen ovalen Gesicht war ein sehr junger, fast kindlicher Ausdruck. Ihre großen Augen hatten die Farbe von Stiefmütterchen.

Bei allen Langstens wirkten die Augen in einem bestimmten Licht purpurn. Diese Familientradition galt auch für Gerard und Diana, die jedoch die Haarfarbe von ihrer Mutter geerbt hatte, ein blasses Gold, das manchmal silbern wirkte.

Augen- und Haarfarbe bildeten bei ihr eine eigenartige Kombination, die so ungewöhnlich und anziehend wirkte, dass sie jedermann bezaubern würde.

Diana war vier Jahre jünger als ihr Bruder. In seinen Augen war sie immer noch ein Kind, obgleich sie sich in vielerlei Hinsicht so um ihn kümmerte, als sei sie seine Mutter. Er sagte sich nun, dass er sie beschützen müsse, besonders gegen einen Mann wie den Grafen von Trevarnon.

„Warum siehst du mich so an?“ wollte Diana wissen.

Er lächelte und wirkte dadurch anziehend und jungenhaft.

„Ich denke gerade, wenn man dich richtig kleiden würde, könntest du ein großer Erfolg im St.-James-Club sein.“

„Das will ich nicht hoffen!“ rief Diana. „Mama hat immer gesagt, dass es nicht gut für Damen sei, wenn über sie in den Clubs geredet wird. Das bedeutet nämlich in Wirklichkeit, dass sie gar keine Damen sind.“

„Nun, für dich kommt das nicht in Frage, deshalb brauchen wir uns mit diesem Problem nicht zu beschäftigen“, meinte Gerard mit einem plötzlichen Ton von Autorität in seiner Stimme. „Wenn ich es zulasse, dass du im Priester-Zimmer bleibst, dann musst du mir schwören, dass du die geheimen Gänge nicht verlässt, solange Trevarnon oder einer seiner Gäste noch im Hause ist.“

Er machte eine kurze Pause und fügte hinzu: „Ich meine das ganz ernst, Diana. Du musst mir dein Ehrenwort geben, oder du musst mit Nattie nach Northumberland fahren.“

„Natürlich verspreche ich dir das“, entgegnete Diana entwaffnend. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich Männern wie dem Grafen oder irgendeinem anderen deiner liederlichen Freunde begegnen will? Es ist für mich zwar immer faszinierend, wenn du von ihnen erzählst, aber ich schätze eigentlich keinen von ihnen und bin nicht mit ihnen einverstanden.“

Gerard lachte. „Ich vertraue dir. Vielleicht ist es falsch, was ich jetzt tue. Aber mir leuchtet ein, dass der ganze Haushalt von dir abhängt.“

„Das ist das Netteste, was du mir jemals gesagt hast“, lächelte Diana. „Wenn du nun so viel Geld bekommst, dann gibst du mir doch bestimmt etwas für die Löhne und unser Essen, wenn du nicht hier bist?“

„Natürlich“, antwortete ihr Bruder. „Ich bin zwar nicht immer besonders nett zu dir, Diana, aber genauso wie du die schlechten Zeiten mit mir teilst, sollst du natürlich auch an den guten teilnehmen.“

„Vielen Dank, mein Lieber. Ich wusste, dass du das verstehen würdest. Es ist mir sehr unangenehm, wenn ich hier in den Läden Schulden machen muss.“

Damit küsste sie ihren Bruder auf die Wange, und er erwiderte: „Ich muss Trevarnons Scheck noch einlösen, aber hier hast du schon ein paar Guineas für den Anfang.“

Er zog einige Goldstücke aus der Tasche und gab sie ihr. Diana küsste ihn noch einmal.

„Ich muss jetzt gehen und sehen, dass alles rechtzeitig fertig wird“, sagte sie. „Wenn die Herren schon morgen kommen, bleibt nur wenig Zeit. Und du solltest in die Ställe gehen und Abbott sagen, dass er sich auf die Pferde vorbereite. Die Boxen sind alle in Ordnung bis auf drei. Dort sind Löcher im Dach, es regnet durch.“

„Es sieht nicht nach Regen aus. Auf dem Ritt hierher war es schrecklich heiß. Rollo und ich waren ganz schön erschöpft, als wir Windsor erreichten.“

„Hast du Rollo den ganzen Weg geritten? O Gerard, wie konntest du nur!“

„Er durfte sich ausruhen, als ich etwas aß. Die letzten fünf Meilen habe ich ihn sehr vorsichtig geritten. Ich kam außerdem quer über das Land. Das ist kürzer, wie du weißt. Ich kann mir in London nicht mehr als ein Pferd zurzeit leisten.“

„Das weiß ich, aber für Rollo ist es wirklich viel zu weit.“

„Und für mich auch!“ erwiderte Gerard. „Ob ich wohl ein Bad nehmen kann?“

„Natürlich, wenn du nichts gegen kaltes Wasser hast.“

„Es würde mir guttun.“

„Ich werde es für dich vorbereiten. Wenn du eine Flasche Wein trinken willst, musst du dich allerdings selbst darum kümmern. Ich glaube, wir haben nur noch sehr wenig im Keller. Aber Seine Lordschaft wird wohl eigenen Wein mitbringen.“

Gerard grinste. „Wenn er auf das angewiesen wäre, was wir ihm bieten können, würde er sehr durstig bleiben.“

Diana erhob sich und ging zur Tür. „Du hast mir noch nicht gesagt, wieviel Gäste zu der Gesellschaft gehören.“

„Mit mir sind es sechs!“

„Seid ihr zum Essen hier?“

Gerard schüttelte den Kopf. „Ich werde Dysart in Winkfield besuchen und ihm erzählen, dass der Graf hier wohnt. Die beiden essen Dienstag zusammen, nach dem Rennen. Der Herzog von York ist sich völlig sicher, dass er gewinnen wird. Er hat Trance benannt.“

„Mit Trance wird er wohl gewinnen“, meinte Diana nachdenklich. „Ist viel auf ihn gesetzt worden?“

„Tausend!“ Der Ton seiner Antwort ließ Diana aufhorchen. Sie sah ihn scharf an.

„Wieviel hast du riskiert?“

„Du weißt genau, dass es kein Risiko gibt, soweit es um Trance oder Moses geht.“

Diana wollte sich schon mit ihm anlegen, aber sie wusste, dass er die Wahrheit sagte. Trance war ein außergewöhnliches Pferd, und mit Moses hatte der Herzog von York im letzten Jahr das Derby gewonnen. Mit Ausnahme von Crusader war Moses das weitaus beste unter all den hochgezüchteten Pferden, die man während des Rennens sehen konnte.

Als Diana nach oben eilte, um die Schlafräume zu lüften, die teilweise längere Zeit nicht mehr benutzt worden waren, dachte sie interessiert und aufgeregt an die Pferde, die sie in zwei Tagen sehen würde. Für sie waren die Pferde viel wichtiger als all die vornehmen Leute, die dem Rennen zusehen würden.

Die Vorstellung, dass Crusader in ihrem Stall sein würde, erregte sie mehr als alles, was sie seit langem erlebt hatte. Es drängte sie, mit Abbott darüber zu sprechen. Aber sie wusste, dass sie zuerst das Haus für den Grafen und seine Gäste vorbereiten musste. Sie hoffte nur, dass er nicht das Gefühl haben würde, sein Geld schlecht angelegt zu haben.

Die Wände der großen, aber niedrigen Gemächer waren mit altertümlich geschnitztem Holz getäfelt. Die Baldachine der Himmelbetten reichten bis an die Zimmerdecke. Diana liebte die Verzauberung, die diese Räume ausstrahlten. Sie waren Teil ihres Lebens gewesen.

Als sie die Vorhänge, von denen etliche zerschlissen waren, zurückzog und die rautenförmigen Fenster öffnete, fragte sie sich, ob der Graf mit all seinem Reichtum sehen würde, wie schäbig alles war. Vielleicht würde er die zarte Schönheit der verschossenen Gobelins, die Farbe der gebohnerten Dielen oder die sanften Farbtöne der zahlreichen kleinen Teppiche nicht wahrnehmen.

Für Diana war alles schön, und in jedem Raum, in jedem Gemälde, in jedem Möbelstück lebte etwas von der Geschichte der Langstens.

Es war nur ein Segen, dass das Wetter schon so heiß gewesen war und sie deshalb frische Duftsträuße hergestellt hatte, deren Duft die meisten Zimmer durchzog. Ihre Mutter hatte ihr die geheimen Rezepte verraten, die von den elisabethanischen Vorfahren überliefert waren. Von ihr hatte sie auch erfahren, wie sie das Bienenwachs herstellen musste, mit dem sie die Fußböden und die Möbel polierte. Sie kannte zudem einige Mischungen herzstärkender Mittel, die sie den Dorfbewohnern gab, wenn sie Beschwerden hatten, die dem Arzt in Windsor einen Besuch nicht wert schienen.

Auf dem Landsitz gab es gewöhnlich keinerlei Aufregungen. Er lag an dem äußersten Ende des Forstes von Windsor, umgeben von Bäumen. Bis zum Rennplatz war es zwar nur wenig mehr als eine Meile, aber der Lärm der Menschenmenge drang nicht bis hierher.

Nun aber war es für Diana sehr aufregend, dass ihr Haus in die spannenden Ereignisse der Rennwoche einbezogen wurde. Als sie Gerard bedrängt hatte, sie hierzulassen, hatte sie nicht nur Furcht davor gehabt, im Haus könne etwas schieflaufen, sondern sie hatte es vor allem deshalb getan, weil sie es nicht hätte ertragen können, dem Rennen fern zu sein.

Sie hatte seit ihrer Kindheit keines der Rennen ausgelassen. Sie liebte alles, was damit zusammenhing. Sie wusste, dass man jetzt - wie jedes Jahr - die Zelte und Buden am Rande der Rennbahn aufstellte. Für hungrige und durstige Besucher würden die verschiedensten Erfrischungen bereitgestellt. Gaukler, fahrende Sänger, Ausgeflippte würden für Unterhaltung sorgen. Überall würden Spielzelte aufgeschlagen werden, in denen man die Leute schröpfte, die dumm genug waren, ihre hart erarbeiteten Ersparnisse aufs Spiel zu setzen. Natürlich würden auch zahlreiche Taschendiebe und andere Gauner erscheinen.