Das Geheimnis des alten Strandhotels - Anna Bednorz - E-Book

Das Geheimnis des alten Strandhotels E-Book

Anna Bednorz

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Alte Liebesbriefe und ein düsteres Familiengeheimnis Aoife hat sich in ihrem Cottage im kleinen irischen Dorf Ard Carraig eingelebt und die Beziehung zu Pubbesitzer Tom läuft blendend. Als Tom ihr von seinem Plan erzählt, ein altes Hotel am Meer zu restaurieren, möchte sie ihn unbedingt unterstützen. Bei den Arbeiten am Haus entdeckt sie zufällig ein Bündel alter Liebesbriefe. Deren dramatischer Inhalt deutet auf einen Mordfall in der Vergangenheit hin. Aoifes Neugier ist geweckt und sie macht sich daran, bei den Dorfbewohnern nachzuforschen. Dabei kommt sie einem lange gehüteten Geheimnis auf die Spur …

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Das Geheimnis des alten Strandhotels

Die Autorin

Anna Bednorz, geboren 1982, ist eigentlich Paläontologin, arbeitet heute aber in der Software-Branche. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Katzen im Schwarzwald, hat aber schon früh ihr Herz an Irland verloren. Land und Leute haben es ihr auf zahlreichen Wandertouren v.a. im Südwesten angetan, und so spielt ihr erster Roman vor diesem Hintergrund. Neben dem Schreiben gehören Reenactment, Trekking sowie altmodische Handarbeiten zu ihren Hobbys.

Das Buch

Alte Liebesbriefe und ein düsteres Familiengeheimnis

Aoife hat sich in ihrem Cottage im kleinen irischen Dorf Ard Carraig eingelebt und die Beziehung zu Pubbesitzer Tom läuft blendend. Als Tom ihr von seinem Plan erzählt, ein altes Hotel am Meer zu restaurieren, möchte sie ihn unbedingt unterstützen. Bei den Arbeiten am Haus entdeckt sie zufällig ein Bündel alter Liebesbriefe. Deren dramatischer Inhalt deutet auf einen Mordfall in der Vergangenheit hin. Aoifes Neugier ist geweckt und sie macht sich daran, bei den Dorfbewohnern nachzuforschen. Dabei kommt sie einem lange gehüteten Geheimnis auf die Spur …

Anna Bednorz

Das Geheimnis des alten Strandhotels

Roman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuni 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-95819-205-8

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Herbst, 1947, in der Nähe von Durley Abbey

Kapitel 1

Oder: Was bisher geschah und Toms neuer Plan

Kapitel 2

Oder: Ein seltsamer Fund in der Wand

Kapitel 3

Oder: Eine tragische Liebe und wie ich eine promovierte Putzfrau kennenlernte

Kapitel 4

Oder: Die unbekannte Leiche

Kapitel 5

Oder: Wie ich die Briefe verlor

Kapitel 6

Oder: Ein aufschlussreicher Nachmittag auf Durley Abbey

Kapitel 7

Oder: Eine brüske Abweisung und ein neues Paar

Kapitel 8

Oder: Ein DVD-Abend mit Sherlock Maggie

Einschub: Ard Carraig, 1946

Kapitel 9

Oder: Der Druide mal wieder …

Kapitel 10

Oder: Ein seltsames Dokument

Kapitel 11

Oder: Begegnungen und wie wir jemanden trafen, den wir nicht erwartet hätten

Kapitel 12

Oder: Streitgespräche, Entdeckungen und Forderungen

Kapitel 13

Oder: Wie wir endlich C fanden

Kapitel 14

Oder: Erste Enthüllungen

Kapitel 15

Oder: Ein Familientreffen

Nachwort

Rezept

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

Herbst, 1947, in der Nähe von Durley Abbey

Der Zufall spielte ihm in die Hände: Es war Neumond und die Nacht tiefschwarz. So konnte er ihm ungesehen folgen. Er hatte sich auf die Lauer gelegt, stundenlang, hatte unermüdlich abgewartet und auf das imposante Herrenhaus gestarrt. Irgendwann hatte er ihn aus dem Haus kommen sehen, und seitdem folgte er ihm.

Er kannte natürlich seinen Namen: Simon. Der zukünftige Erbe von Durley Abbey. Ihr Ehemann. Wie er ihn hasste!

Trotz der Dunkelheit konnte er sehen, wie selbstgefällig, wie arrogant Simon sich bewegte. So wurde man wohl, wenn man privilegiert aufwuchs. Simon sah nicht aus, als bedrückten ihn Schuldgefühle oder Sorgen. Wie konnte er sich nur so verhalten, nachdem seine Ehefrau seit Wochen ohne ein Lebenszeichen verschwunden war?

Simon war stehengeblieben, und so musste auch er stehenbleiben, damit er nicht vorzeitig entdeckt wurde. Sein Herz zog sich vor Verzweiflung und Kummer zusammen. Wo war sie nur? Kein einziger Brief, nichts. Es war etwas passiert, das konnte er tief in sich spüren, und er wusste, dass Simon etwas damit zu tun hatte. Simon, der in zahlreichen Zeitungsartikeln besorgt um Hilfe bei der Suche nach seiner Frau bat. Dabei war er doch für ihr Verschwinden verantwortlich!

Er atmete tief durch, um sein schnell schlagendes Herz zu beruhigen. Die Trauer machte Zorn Platz. Das war neben der Wut, neben der Angst seit Wochen sein einziges anderes Gefühl gewesen. Er hatte an nichts mehr Freude, verspürte keine Leichtigkeit mehr, hatte keinen Appetit mehr und nichts, worauf er noch hoffen konnte.

Plötzlich stockte ihm der Atem: Simon hatte sich umgedreht und kam nun auf ihn zu. Er hatte ihn entdeckt.

»Was soll das?«, herrschte Simon ihn an, mit einer Stimme, die seit frühester Kindheit die eigene Autorität gewohnt war. »Folgst du mir etwa? Wer bist du? Einer der neuen Stallburschen? Los, sprich schon!«

»Du Mistkerl! Was hast du ihr angetan?«, brüllte er zurück, das Gesicht vor Verzweiflung verzerrt.

Simon ließ das kalt. Er verschränkte seine Arme und sah auf den anderen herab. »So, so, du willst mir doch nicht sagen, dass sie sich mit dir eingelassen hat? Ich hätte ihr mehr Geschmack zugetraut.«

Simons Worte trafen ihn tief. War da nicht, seit ihrem Verschwinden, dieser winzig kleine Stachel des Zweifels, der sich immer weiter in sein Herz bohrte und die Frage zurückließ, ob sie ihn nicht wirklich einfach wortlos verlassen hatte?

Mit einem Aufschrei warf er sich auf Simon und verpasste ihm einen Kinnhaken. Simon taumelte kurz, fasste sich jedoch schnell wieder und knurrte: »Du wagst es?« Dann war er es, der sich auf ihn stürzte. Sie gingen gemeinsam zu Boden und rollten über den Feldweg.

Irgendwann war Simon über ihm, die Hände an seiner Kehle, die unerbittlich zudrückten.

»Na warte, ich werde dich lehren, die Hand gegen mich zu erheben«, zischte Simon, während seine Hände fester zupackten und ihm die Luft zum Atmen nahmen.

Panisch tasteten seine eigenen Hände über den Boden, auf der Suche nach etwas, mit dem er sich Simon vom Leib halten konnte. Er würde nicht mehr lange durchhalten. Sein Blick verschwamm allmählich und Blitze zuckten durch sein Gesichtsfeld. Da! Mit der rechten Hand erspürte er etwas Hartes, Kantiges. Ein Stein. Seine Hand umfasste ihn, und mit der letzten ihm noch verbleibenden Kraft schlug er den Stein gegen Simons Schläfe.

Simon sackte zusammen. Sein schwerer Körper lag auf ihm, doch seine Hände hatten den schraubstockartigen Griff um seinen Hals endlich gelockert.

Er hustete und sog gierig die Luft in seine schmerzenden Lungen ein, bis er nicht mehr das Gefühl hatte, dass sein Brustkorb in Flammen stand. Dann wälzte er den Bewusstlosen von sich herunter, dessen Körper schlaff auf den Rücken fiel. Erst da konnte er sehen, dass Simon tot war. Die Augen blickten starr in den Nachthimmel hoch und von seiner Stirn zog sich eine rote Blutspur über sein Gesicht.

Zittrig hob er den Stein auf. An einer Seite war er von Blut bedeckt. Fassungslos blickte er vom Stein zu Simon und wieder zurück. Das hatte er nicht gewollt!

Panisch wandte er seinen Kopf und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Hoffentlich hatte niemand ihn hier gesehen. Nein, er war allein, und so finster, wie es war, war es sehr unwahrscheinlich, dass ihn jemand beobachtet hatte. Hoffentlich konnte sich keiner der Landarbeiter von Durley Abbey an ihn erinnern. Er hatte in den letzten Tagen versucht, unauffällig an Informationen über Simon zu gelangen.

Er ließ den Besitzer von Durley Abbey liegen, wo er war, und schlich davon. Den Stein hielt er immer noch fest umklammert. Als ihm das bewusst wurde, schleuderte er ihn in die Dunkelheit und wischte sich die blutige Hand an seiner Hose ab.

Er musste weg von hier, so schnell wie möglich. Er musste zurück nach Hause. Seine Hand huschte zu einer seiner Jackentaschen. Dort trug er, seit ihrem Verschwinden, ihre Briefe stets bei sich. Es wurde Zeit, dass er sie woanders unterbrachte. Und wo wären sie besser aufgehoben, als an dem Ort, an dem sie sich geliebt hatten? In dem kleinen Hotel am Rand von Ard Carraig.

Kapitel 1

Oder: Was bisher geschah und Toms neuer Plan

Endlich.

Ich hatte es geschafft und das letzte Wort getippt. Der Cursor blinkte hektisch und war wohl genauso erleichtert wie ich, dass ich nun »Ende« eingeben konnte. Zufrieden lächelnd lehnte ich mich zurück und streckte die Arme über den Kopf. Meine Gelenke knackten kurz und verrieten mir, dass ich schon wieder zu lange in der gleichen Position ausgeharrt hatte. Aber es war notwendig gewesen, denn ich hatte mich danach gesehnt, fertig zu werden, und nun war es soweit. Der sechste Band meiner Huntington-Reihe war zu Ende geschrieben.

Nun ja, beinahe jedenfalls, denn ich wusste, dass in den nächsten Wochen noch etliche Korrekturen anstehen würden. Mein Lektor und auch der Korrektor standen schon seit einer ganzen Weile in den Startlöchern, und sie hatten bislang erst einige Passagen meines Romans lesen dürfen. Doch nun würden sie das komplette Manuskript erhalten, und wie immer noch den einen oder anderen Fehler finden, Ungereimtheiten aufdecken und Logiklöcher stopfen. Ich war froh, dass es sie gab.

Ich speicherte meine Arbeit ab und stöpselte dann den Drucker an, um das letzte Kapitel auszudrucken. Meine Hand fuhr gedankenverloren über die Mappen, die neben dem Drucker lagen. Ein kleiner Spleen von mir war es, die allererste Rohfassung als physischen Abzug in meinen Unterlagen zu behalten. Ich besaß von allen meinen Büchern einen Ausdruck der ersten Version, mit all ihren Fehlern, mit all ihren Unzulänglichkeiten. Ich wusste nicht genau warum, aber ich hatte mir diese Vorgehensweise von Anfang an angewöhnt. Sie hatten etwas Besonderes, diese allerersten Fassungen. Meine Romane gingen vor der Veröffentlichung durch zahlreiche Hände, aber diese Erstfassung war allein mein Werk.

Ich legte den Stapel Papier, den der Drucker mir mit einem nervtötenden Geräusch entgegenspuckte, auf den bereits gedruckten Teil des Manuskripts, der auf meinem Schreibtisch lag. Noch wusste ich nicht genau, wie viele Passagen der Korrekturwut meines Verlags zum Opfer fallen würden, aber schon jetzt konnte ich erahnen, dass das kommende Buch einen deutlich größeren Umfang haben würde als die bisherigen Bände.

Ein wenig wunderte ich mich darüber, denn diesmal war es ein wahrer Kraftakt gewesen, das neueste Abenteuer der Lady Huntington von Baddon Hall zu Papier zu bringen. Nicht, dass mich meine Hauptperson allmählich langweilte. Ganz im Gegenteil, ich hatte einige Ideen und dramatische Wendungen im Hinterkopf und würde die Reihe noch erweitern. Aber die Schreibumstände waren diesmal nicht gerade ideal gewesen. Ich musste kurz schmunzeln, denn mir wurde bewusst, wie sehr ich untertrieb. »Nicht ideal« war eine geschönte Umschreibung der Vorfälle, die ich seit beinahe fünf Monaten zu verdrängen versuchte.

Ich ordnete die bedruckten Seiten zu einem akkuraten Stapel und verstaute sie in einer stabilen Kartonmappe, auf der außen der Arbeitstitel stand: »Lady Huntington und der Dornengarten«. Ich hatte dem Verlag diesen Titel bereits vorgeschlagen, und vermutlich würde das Buch auch unter diesem Namen verlegt werden. Aber bislang hatte Laurie immer einige alternative Vorschläge gehabt. Laurie würde …

Ich ertappte mich bei dem Gedanken an meinen ehemaligen Lektor und schüttelte mich. Nie hätte ich gedacht, dass er, der mir nicht nur beruflich nahe gestanden, sondern den ich auch eine Zeitlang Freund genannt hatte, hinter den Buchmorden steckte. Rückblickend konnte ich jedoch auch Positives aus der Aufregung ziehen: Durch die Detektivarbeit und Suche nach dem Büchermörder lernte ich nicht nur das Dorf kennen, sondern verliebte mich auch in Tom, den hiesigen Pubbesitzer – und er sich glücklicherweise in mich.

Dennoch, ich war erleichtert, dass das Kapitel mit Laurie endgültig vorbei war. Manchmal, so wie jetzt, musste ich trotzdem an ihn denken.

Als ob er ahnen würde, dass ich eine Ablenkung brauchte, stolzierte in diesem Moment Dr. Jingles vom Wintergarten ins Wohnzimmer. Sein geringelter Schwanz war wie ein kleines Fragezeichen in die Höhe gestreckt, und er maunzte mich beim Näherkommen herausfordernd an. Irgendwie klang er dumpf. Ich fragte mich noch, was dies zu bedeuten hatte, als er mir den Grund stolz vor die Füße spuckte. Eine Maus.

Entnervt seufzte ich auf und inspizierte sie. Glücklicherweise schien sie ein schnelles Ende gefunden zu haben. Eine kleine Blutspur im Nacken verriet mir, dass der Jäger sie mit einem einzigen Biss ins Jenseits befördert hatte. Dr. Jingles saß entspannt vor seiner Beute, den Schwanz adrett um die Füße gelegt, und machte keine Anstalten, die kleine Maus wieder an sich zu nehmen. Also packte ich sie mit spitzen Fingern und angeekeltem Gesicht am Schwanz und brachte sie in den Garten auf den Kompost. Ich konnte schon nicht mehr zählen, die wievielte Maus mein kleiner Kater erlegt hatte. Seitdem wir in Ard Carraig wohnten, hatte sich der ehemalige Wohnungstiger ein neues Hobby zugelegt, und das war das Jagen. Anfangs begnügte er sich noch damit, im Garten der Nachbarn Unfrieden zu stiften und die gut gepflegten Pflanzen als Katzenklo zu missbrauchen, doch das legte sich schnell, und nun brachte er mir seit Wochen verschiedenste Kleintiere ins Haus. Ich vermutete, es waren Geschenke an mich. Neben Mäusen fand ich auch Libellen, Käfer und Vögel. Und nicht immer waren sie so mausetot wie das Exemplar eben. Manchmal lebten sie noch und versteckten sich dann tagelang unter den Schränken, dem Sofa, in den kleinsten Ritzen und Ecken, die so ein altes Cottage zu bieten hatte. Nicht alle fand ich wieder.

Als ich Tom bei einer Gelegenheit davon erzählte, grinste er mich an und meinte süffisant: »Du weißt aber schon, dass das keine Geschenke sind, sondern dass deine Katze dir damit zeigen möchte, dass du zu blöd zum Jagen bist?«

Im Haus erwartete Dr. Jingles mich in der Küche vor seinem leeren Napf und verlangte seine allabendliche Portion Futter.

»Na gut«, grummelte ich gutmütig. »Ich muss mich wohl für das Geschenk bei dir bedanken.« Ich löffelte ihm eine ordentliche Menge seines übelriechenden Katzenfutters in den kleinen Keramiknapf. Trotz der unappetitlichen Düfte gab mein Magen ein leises Knurren von sich. Wie so oft hatte ich über dem Schreiben das Essen vergessen. Doch bevor ich zum Abendessen ins Pub gehen würde, kam ich nicht drumherum, noch einen Anruf zu erledigen. Ich wusste, Donna saß bereits seit Tagen auf glühenden Kohlen.

Ich ging zurück ins Wohnzimmer, nahm mein Handy zur Hand und drückte eine Kurzwahltaste. Nach einer kurzen Verzögerung – die mir verriet, dass ich mich in Ard Carraig auch wirklich im Niemandsland im Südwesten Irlands befand – hörte ich das vertraute Freizeichen.

Wenig später ging Donna ran. »Aoife«, rief sie aus. »Bitte sag mir, dass du nicht anrufst, weil du eine Verlängerung brauchst.«

Ich hörte leichte Panik in ihrer Stimme und lachte ins Telefon. »Hallo Donna, im Gegenteil. Du kannst die Champagnerflasche herausholen. Ich bin fertig.«

Sie stieß einen erleichterten Freudenschrei aus. »Das sind großartige Neuigkeiten. Oh, was freue ich mich. Glückwunsch. Wann schickst du es mir rüber?«

»Just in diesem Moment.« Ich hatte mich wieder an meinen Laptop gesetzt und das Mailprogramm geöffnet. Nun hängte ich die letzten drei Kapitel an eine neue Nachricht. »So, es sollte jeden Augenblick bei dir sein. Ich habe es eben losgeschickt.«

»Super. Ich wollte heute Abend zwar ins Kino, aber ich glaube, das lasse ich sausen. Ich muss sagen, ich kann es kaum erwarten, alles durchzugehen. Ich hoffe, du gönnst dir nun etwas Ruhe? Ich weiß, dass die letzten Wochen etwas hektisch für dich waren.«

»Das kannst du laut sagen.« Ich seufzte. Es war wirklich hart gewesen. Nachdem mich Laurie durch die mutwillige Zerstörung meiner Bücher in Angst und Schrecken versetzt hatte, war ich zunächst mehrere Tage nicht in der Lage gewesen, mich auf meinen Roman zu konzentrieren. Ach was, ich konnte tagelang nicht einmal ein Buch ansehen oder in die Hand nehmen, geschweige denn an einem arbeiten. Und auch in den Wochen danach hatte ich nur Mist fabriziert. Ich schrieb schlecht und wenig. Und war unzufrieden mit mir. Meine Gedanken machten sich unentwegt selbstständig und landeten immer wieder bei Laurie und den Vorfällen rund um meine Bücher. Mein ehemaliger Lektor hatte es mir schwer gemacht, und sein Verrat kreiste ständig in meinem Kopf. Erst als Donna als Nachfolgerin im Verlag angefangen hatte, ging es langsam bergauf. Zu ihrem Einstand war ich nach Dublin gefahren, zu einer kleinen verlagsinternen Feier, und sie war mir auf Anhieb sympathisch gewesen. Sie war vielleicht zehn Jahre älter als ich, notorischer Single und Dublinerin durch und durch. Und sehr lebenslustig und hungrig nach Partys. Das hatten wir nicht unbedingt gemeinsam, aber sie war ein offener Mensch, der ehrliches Interesse an meinen Geschichten hegte und die Reihe um Lady Huntington mit mir gemeinsam ausbauen wollte. Schon das eine oder andere Wochenende hatten wir mit interessanten Gesprächen und jeder Menge Wein verbracht. Aus einem beruflichen Kontakt entwickelte sich langsam eine Freundschaft, über die ich sehr froh war, denn nach dem Beziehungsaus mit Andrew hatten sich einige unserer gemeinsamen Freunde von mir abgewandt. Donna hatte es geschafft, dass ich mich wieder an meinen Laptop traute, dass sich meine Ideen zu einem Plot zusammenfügten und ich sie zu Papier bringen konnte. Und das, obwohl sie bis heute nichts über den wahren Grund des Weggangs ihres Vorgängers wusste. Sie war einfach eine motivierende Person. Dennoch, hatte es mich niemals zuvor so viel Mühe gekostet, ein Manuskript zu beenden. Umso erleichterter und glücklicher war ich nun, dass ich es hinter mir hatte.

»Es ist da«, rief Donna in diesem Moment. »Scheint, als hättest du in die letzten Kapitel noch ordentlich Inhalt rein gepackt. Die Datei sieht groß aus.«

»Ja, gegen Ende konnte ich nicht mehr aufhören.« Ich lachte und fuhr nebenbei den Laptop herunter. Ich würde ihn heute nicht mehr brauchen.

»Wie wirst du feiern? Ich hoffe doch, du wirst feiern. Wobei, warte, WIE zur Hölle kann man in Ard Carraig überhaupt feiern?«

»Ha, ha«, ätzte ich zurück. »Also ein paar Drinks bekommt man hier schon.«

Donna schnaubte belustigt. »Ja klar. In einem Zweitausend-Seelen-Nest mitten im Niemandsland an der Küste. Ich hätte ja gesagt, du setzt dich sofort in dein Auto und düst rüber nach Dublin, und dann machen wir die Stadt unsicher. Es gibt ein paar neue Locations hier, die ich letzten Monat entdeckt habe und die dir die Schuhe ausziehen würden. Aber ich vermute, du kannst dich gerade nur schwer von Tom trennen?« Ein neckischer Tonfall hatte sich in ihre Stimme geschlichen. Sie kannte mich mittlerweile einfach zu gut.

»Machʼs gut, Donna«, würgte ich sie ab.

Sie lachte erneut. »Okay, ich verstehe. Dann viel Spaß heute Abend. Ich melde mich die Woche wieder bei dir, sobald ich durch bin. Vielleicht hat der Zweitleser bis dahin auch schon eine erste Rückmeldung. Mal sehen. Bis bald, Aoife.«

Ich legte auf und machte mich auf die Suche nach meiner Handtasche. Im Flur lag sie nicht, obwohl das ihr angestammter Platz war, und so vermutete ich, dass ich sie irgendwann in den letzten Tagen mit ins Schlafzimmer im ersten Stock genommen hatte. Und tatsächlich, ich fand sie auf dem alten, leicht wackligen, gepolsterten Stuhl unter einem Haufen abgelegter Kleidungsstücke. Mein Blick durchstreifte das Zimmer und mir wurde mit Schrecken bewusst, dass ich seit meinem Einzug immer noch inmitten der altmodischen Dekoration inklusive Spitzendeckchen meiner Vermieterin Cathy lebte. Dabei lag mein Einzug in das Haus bereits über ein halbes Jahr zurück. Cathy selbst kannte ich noch nicht persönlich, denn den Rückzugsort in diesem kleinen Cottage hatte Laurie mir damals vermittelt, aber mittlerweile wusste ich, dass sie im Rentenalter war und eigentlich nur für einige wenige Wochen in die Vereinigten Staaten hatte fliegen wollen, um ihrer Tochter beim ersten Kind zur Seite zu stehen. Doch sie schien gar nicht mehr wiederkommen zu wollen. Wir hatten in der Zwischenzeit lediglich einmal kurz telefoniert, um uns gegenseitig zu versichern, dass wir mit dem momentanen Arrangement mehr als zufrieden waren. Offenbar war es sehr angenehm drüben in Florida, und meine Vermieterin genoss sowohl das Wetter als auch ihr Enkelkind und die Nähe zu ihrer Familie. Mary, die ehemalige Lehrerin der Dorfschule, die engen Kontakt zu Cathy pflegte, hatte mir eines Abends im Pub ihre Vermutung anvertraut, dass Cathy nur noch einmal zurück nach Irland kommen würde: nämlich, um das Cottage zu veräußern, einigen lieben Freunden Lebewohl zu sagen und sich dann aus dem Staub zu machen.

Mir war’s recht. Mit Ausnahme des stilistisch fragwürdigen Designs des Schlafzimmers fühlte ich mich mittlerweile außerordentlich wohl im kleinen Cottage im ebenso kleinen Ard Carraig. Es war ein bezauberndes buntes Dörfchen an der Südwestküste Irlands, und obwohl ich anfangs geglaubt hatte, ich würde mich hier sehr auf das Schreiben konzentrieren können und ansonsten furchtbar langweilen, hätte ich falscher nicht liegen können. Mein Leben hatte sich von Grund auf verändert. Ich hatte zwar einen – wie ich gedacht hatte – guten Freund verloren, dafür jedoch eine Liebe gefunden.

Ich riss mich vom Anblick der monströsen geblümten Vorhänge, der dazu passenden Tagesdecke und den kleinen Lampenschirmen im gleichen Dekor los und machte mir eine gedankliche Notiz, beim nächsten Ausflug nach Tralee oder Cork den Besuch eines Heimtextilienladens einzuplanen.

Wenige Minuten später verließ ich das Cottage und spazierte gemütlich in Richtung Dorfzentrum. Ich wagte einen kurzen Blick in den Garten meiner Nachbarin, doch Petula war nirgends zu sehen. Dabei war das erstaunlich gute Wetter jetzt im September hervorragend geeignet, um im Garten letzte Arbeiten zu erledigen. Normalerweise nutzte meine Nachbarin jeden Moment aus, um an ihren Sträuchern, Stauden, Rabatten und Büschen mir unbekannte Tätigkeiten auszuführen. Ständig schnitt, zupfte und rechte sie an ihren Beeten herum. Ihre Mühen lohnten sich: Ihr Garten war ein wahres Wunderwerk an Farben, Düften und Formen. Ich beneidete sie inständig.

Ich fühlte mich von Zeit zu Zeit leicht überfordert damit, den vergleichsweise kleinen Garten von Cathy in Schuss zu halten. Obwohl ich mittlerweile sämtliche Gartenratgeber aus Cathys Bücherregalen verschlungen hatte und akribisch versuchte, mich an die Anweisungen zu halten, schwang immer die Angst mit, dass die Pflanzen unter meiner Pflege eines Tages Selbstmord begehen würden. Glücklicherweise war bisher nichts Schlimmes passiert. Außer einer großen Hortensie, die eines Morgens für mich völlig überraschend von kleinen krabbelnden Tieren übersät gewesen war, hatte es keine Opfer gegeben. Nun gut, ich würde vielleicht die zwei oder drei Orchideen im Wintergarten nicht erwähnen, sondern sie bei Gelegenheit durch lebende Exemplare ersetzen, aber ansonsten war das doch kein schlechtes Ergebnis für jemanden, der statt mit einem grünen eher mit einem braunen Daumen gesegnet war.

Ich näherte mich der Dorfmitte. Die Straße wurde hier breiter, und die Häuser drängten sich bunt und eng aneinander. Vor Murphyʼs Groceries standen wie üblich einige Fahrräder und vor Toms Pub saßen Menschen, die die letzten schönen Sonnenstrahlen dieses Spätsommers bei einem Pint genossen. Am alten Kriegerdenkmal kniete Claire, die Sympathische, die sich um die Blumenarrangements des Denkmals kümmerte. Ich trat zu ihr hin und begrüßte sie.

»Ah, hallo Aoife«, sagte Claire, als sie aufsah, und wischte sich mit einer behandschuhten Hand den Schweiß von der Stirn. »Sie sind wohl auf dem Weg ins Pub?«

Es hatte nicht lange gedauert, bis das komplette Dorf von meiner Beziehung zu Tom wusste. In Ard Carraig ließ sich nur schwer etwas verheimlichen. Glücklicherweise war mir noch nicht zu Ohren gekommen, dass sich jemand abfällig oder negativ zu Tom und mir geäußert hätte. Im Gegenteil, seine Ex-Frau Chloe war nie sehr beliebt gewesen, und es schien, als würden die Einheimischen mich für das geringere Übel halten. Glück gehabt. Toms Scheidung war seit letztem Monat durch, was wir mit einem Ausflug an den Strand gefeiert hatten.

»Ja, ich habe heute seit dem Frühstück quasi nichts mehr gegessen und mein Magen hängt nun zwischen den Knien«, antwortete ich. Ich beobachtete Claire, wie sie einige der bunten Blümchen vorsichtig aus dem Zierbeet neben der Namensliste der Verstorbenen der letzten beiden Weltkriege herauszog und in einen Korb legte. »Was genau machen Sie denn da?«, fragte ich stirnrunzelnd. »Normalerweise pflanzen Sie doch Blumen ein und rupfen sie nicht heraus, oder irre ich mich?«

Claire hielt in ihrer Arbeit inne und lachte kurz auf. »Ja, das ist wohl wahr. Aber ich bereite heute den Platz vor. Nächste Woche soll doch hier die Infotafel zum Rundwanderweg aufgestellt werden.«

Ich sah sie überrascht an. »Was denn für eine Infotafel? Und was für ein Rundweg?«

Sie zog sich ihre Handschuhe aus, stemmte sich mit einem erleichterten Stöhnen hoch und ließ sich auf die kleine Holzbank plumpsen. »Ah, das tut gut. Mein armer Rücken.« Sie wischte einige Krümel dunkler Erde von ihrer Hose und fuhr fort: »Ich glaube, Sie sind noch nicht lange genug hier bei uns, um von dem geplanten neuen Wanderweg gehört zu haben. Wobei Petula bei der letzten Dorfversammlung von der Entscheidung der Kommission erzählt hat. Jetzt erinnere ich mich, dass ich Sie da gar nicht gesehen habe.« Spitzbübisch sah sie mich unter ihrem großen Strohhut hervor an.

»Richtig, ich habe das letzte Mal gefehlt.« Das war der Abend der Feierlichkeiten um die vollzogene Scheidung Toms gewesen, und wir hatten uns entschlossen, die Versammlung zugunsten eines romantischen Abends zu zweit sausen zu lassen. Ich bereute das keine Sekunde, dennoch gelang es Claire, dass sich in mir ein Hauch von schlechtem Gewissen breitmachte.

Sie zwinkerte mir zu und flüsterte in einem verschwörerischen Tonfall: »Glauben Sie mir, mein Mann ist derjenige, der mich jedes Mal zu diesen Versammlungen schleift. Hätte ich die Wahl, würde ich glatt schwänzen.« Dann fuhr sie in gewohnter Lautstärke fort: »Na jedenfalls, vor ungefähr einem Jahr wurde vom Tourismusverband beschlossen, dass wir hier in der Gegend einen Wanderweg bekommen sollen. Ich denke, Sie kennen sicher den berühmten Kerry-Way.«

Ich nickte eifrig, denn viele meiner Freunde und sogar eine meiner Tanten waren diesen gut ausgebauten Rundwanderweg auf der Halbinsel Kerry schon abgelaufen. Sie alle schwärmten von den tollen Aussichten auf das Meer und die Berge und den hübschen kleinen Dörfern auf dem Weg. Wenn man fit genug war, schaffte man die knapp zweihundert Kilometer in einer Woche.

»Die Marketing-Spezialisten denken nun, sie können den gerade anhaltenden Wander-Trend noch ein wenig weiter ausnutzen. Sie möchten viele der alten kürzeren Routen hier bei uns zu einem großen, zusammenhängenden Weg verbinden und unter einem neuen Namen groß rausbringen. Dafür werden in jedem Dorf auf der Route diese neuen Infotafeln aufgestellt. Damit die Wanderer wissen, wo genau sie sind, was sie noch vor sich haben und welche regionalen Besonderheiten es gibt.« Claire legte ihre Handschuhe zu den Pflanzen in ihren Korb und stand auf. »Ich sollte langsam nach Hause. George wird schon mit dem Essen auf mich warten. Sie können später auf dem Nachhauseweg übrigens mal aufmerksam schauen, einige Hinweisschilder mit Richtungspfeilen sind schon aufgestellt.«

»Ich werde darauf achten«, versicherte ich ihr. »Grüßen Sie George von mir.«

Wir trennten uns, und ich ging in Richtung Pub. Soeben trat Tom mit einem Tablett aus der Tür, um die leeren Gläser auf den Holztischen einzusammeln. Ich blieb kurz stehen, um zu beobachten, wie er routiniert Gläser stapelte und alles mit einer Hand auf dem kleinen Tablett balancierte. Er trug seine übliche Pub-Kluft: lässige Jeans, ein helles Baumwollhemd mit aufgerollten Ärmeln und – weil es mittlerweile doch nicht mehr Hochsommer war – eine alte, enganliegende braune Wollweste darüber. Mit Gummistiefeln über der Hose hätte er genauso gut aus dem Stall kommen können. Aber ich liebte diesen Look mittlerweile. Alles an ihm wirkte echt und ungekünstelt. Authentisch. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass Andrew diesen Aufzug nicht einmal als Verkleidung akzeptiert hätte. Was war ich froh, dass auch dieses Kapitel geschlossen war.

Tom blickte auf und sah mich näherkommen. Ein Strahlen ging über sein Gesicht und zauberte ihm zahlreiche Fältchen um seine hellen blauen Augen. Zusammen mit seinen zerzausten roten Haaren bildete das einen Kontrast, an dem ich mich nicht sattsehen konnte.

»Na endlich, ich war schon kurz davor, einen Suchtrupp loszuschicken. Wolltest du nicht schon mittags da sein?«, begrüßte er mich und drückte mir einen Kuss auf die Lippen.

Ich küsste zurück und antwortete: »Ja, aber stell dir vor, ich habe es durchgezogen, und nun bin ich tatsächlich fertig.«

Erstaunt riss Tom die Augen auf. »Wirklich? Das ist ja wunderbar. Das müssen wir feiern! Was hältst du davon, wenn Rory dir gleich etwas besonders Gutes kocht, und ich öffne eine Flasche Sekt?«

»Ich habe selten etwas Besseres gehört«, scherzte ich und folgte ihm ins Innere des Laughing Pig. Von außen in einem scheußlichen Schweinchenrosa gestrichen – um zum ungewöhnlichen Namen zu passen – war das Pub innen alles andere als kitschig. Dunkles Eichenholz wechselte sich ab mit der kalkweißen Wandfarbe, zahlreichen gerahmten Fotos von Gästen und einigen von Eds fotografischen Meisterwerken. Die große Theke aus altem Holz war das Highlight des Raums, doch auch der offene Kamin aus Bruchstein am anderen Ende und die vielen verschiedenen Sitzgelegenheiten versprachen irische Gemütlichkeit.

Im Pub war heute einiges los, und bevor Tom sein Versprechen einlösen konnte, musste er zunächst einige der wartenden Gäste bedienen. Ich setzte mich an meinen Stammplatz, auf einen Barhocker an der Theke, von dem aus ich sowohl mit Tom reden, als auch die Gäste beobachten und zur Not schnell hinter die Theke schlüpfen und beim Zapfen helfen konnte. Mittlerweile stellte das gar kein Problem mehr für mich dar, ich war schon häufig für Tom eingesprungen, wenn gerade viel los gewesen war oder er kurz nach Lizzie sehen oder ans Telefon musste.

Fünf Minuten später stand vor mir ein Glas mit einer blubbernden Flüssigkeit, und ich stieß mit Tom an.

»Auf dein neues Meisterwerk.« Er nahm einen Schluck und fragte dann: »Wann darf ich es denn endlich lesen?«

»Ab jetzt jederzeit. Oder du wartest, bis ich die Änderungen vom Verlag eingearbeitet habe.«

Überraschenderweise hatte Tom sich als großer Fan meiner Romanreihe herausgestellt. Auf der Suche nach dem Büchermörder hatte er sämtliche Bände verschlungen und dabei großen Spaß gehabt. Für mich war das unvorhersehbar gewesen, denn üblicherweise wurden meine Bücher aufgrund der hohen Anteile von Romantik, Herzschmerz und Drama eher von Frauen gelesen. Seit Wochen nervte er mich mit der Frage, wann er denn den neuesten Band lesen dürfte.

»Ich kann nicht mehr abwarten«, sagte er. »Je eher, desto besser. Und was glaubst du, wie es Lizzie geht? Mittlerweile haben all ihre Mitschülerinnen die Bücher gelesen, und es gibt Abende, da reden die nicht über Jungs, sondern darüber, wie es mit Lady Huntington weitergehen könnte.«

Ich lachte überrascht auf. Lizzie, Toms Tochter aus erster Ehe, war eine bildhübsche Jugendliche, die ich sehr gern mochte. Wir verstanden uns gut, auch wenn ich manchmal das unwillkommene Gefühl hatte, dass sie noch nicht so ganz einverstanden mit der neuen Beziehung ihres Vaters war. Aber vielleicht täuschte ich mich auch. Sie wusste nicht, dass ich die Autorin der Huntington-Reihe war. Tatsächlich wussten das bislang nur Tom, sein bester Freund Will und – weil es unvermeidlich gewesen war – Petula, meine Nachbarin. Gut, Ed stand ebenfalls noch auf der Liste, aber Ed war ein Fall für sich.

Ich ließ mir von Tom ein zweites Glas Sekt einschenken und sagte: »Ich glaube, mir wurde vorhin ein Essen versprochen. Ich gestehe, ich sterbe vor Hunger.« Dabei sah ich ihn gespielt gequält an.

Tom, der die Flasche Sekt gerade im Kühlschrank unter der Theke verstaut hatte, richtete sich wieder auf und zeigte ein mitleidiges Gesicht. »Dein Wunsch sei mir Befehl.« Er ging in die Küche und kehrte wenig später zurück, allerdings ohne einen Teller in der Hand. »Noch einen kleinen Moment«, meinte er, als er bemerkte, dass mein Blick nun wirklich gequält aussah.

Und tatsächlich, keine fünf Minuten später ging die Küchentür auf, und ein schlaksiger junger Mann trat mit einem Teller heraus und stellte ihn vor mir ab. »Hallo, Aoife«, begrüßte er mich.

Ich lächelte ihn ehrlich erfreut an. »Oh, Rory, schön, dich zu sehen.« Ich blickte auf das Kunstwerk vor mir. »Und das Essen sieht einfach wunderbar aus. Du hast dich mal wieder selbst übertroffen.«

Rory winkte ab, lief aber dennoch rötlich an. Komplimente war er noch nicht gewohnt, auch wenn er sie sich redlich verdiente. »Lass es dir schmecken«, sagte er und eilte zurück in die Küche.

Tom trat zu mir, stützte seinen Kopf in die Hände und blickte sehnsüchtig auf den Teller. »Ich hatte heute zwar schon eine Portion, aber wenn ich mir das hier so ansehe, dann könnte ich glatt noch einmal davon essen.«

»Nichts da«, entgegnete ich und zog den Teller näher zu mir. Warnend schielte ich zu ihm hinüber. »Wage es ja nicht, auch nur einen kleinen Bissen zu stibitzen«, sagte ich halb im Scherz und halb im Ernst. In den nächsten fünfzehn Minuten seufzte ich nur wohlig und gab ab und an ein »Mh« von mir. Die kleine Pastete, die Rory gezaubert hatte, schmeckte hervorragend. Kein Vergleich zu den zahlreichen Teigklumpen, die ich in der Vergangenheit gegessen hatte. Statt knorpeligem und minderwertigem Fleisch hatte Rory fangfrischen Fisch und Meeresfrüchte für die Füllung verwendet und sie gekonnt gewürzt. Und auch der Teigmantel hatte keine Ähnlichkeit mit den schwer verdaubaren Exemplaren aus meiner Erinnerung. Er war kross und dünn und auf seiner Oberfläche sogar verziert. Ich war beinahe enttäuscht, als ich die letzten Krümel vom Teller aufpickte.

»Das war einfach göttlich«, lobte ich. »Du hast mit Rory wirklich einen Glücksgriff getan.«

Und das hatte Tom wirklich. Wenn auch völlig unerwartet. Monatelang war er auf der Suche nach einem Koch gewesen, ohne dass sich auf seine zahlreichen Stellenanzeigen auch nur ein einziger Bewerber gemeldet hatte. Zeitweilig hatte Tom seine Notlage damit überbrückt, ein wechselndes Tagesgericht zu kochen, um seinen Gästen überhaupt etwas Essbares servieren zu können, aber auf Dauer war das nur ein schwacher Kompromiss gewesen. Und dann war eines Tages Rory ins Pub gestolpert. Er war noch keine zwanzig Jahre alt, aber sein jungenhaftes Gesicht zeigte bereits Spuren eines Lebens auf der Straße. Rory war zu diesem Zeitpunkt seit beinahe einem halben Jahr in Irland unterwegs gewesen, eine Art moderner Nomade. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs und Gitarre spielen über Wasser, hatte jedoch sehr müde gewirkt. Als er den Aushang in Toms Pub sah, kam er herein und fragte, ob er es probieren konnte. Tom war anfangs skeptisch gewesen, denn Rory hatte keinerlei Ausbildung oder Erfahrung als Koch vorzuweisen. Genauer gesagt hatte er überhaupt keine Ausbildung. Später erzählte Tom mir, dass irgendetwas in Rorys Blick ihn überzeugt hätte, ihm eine Chance zu geben, und so ließ er ihn einige seiner bewährten Rezepte zur Probe kochen. Rory entpuppte sich als absolutes Ausnahmetalent in der Küche und gehörte seitdem quasi zum Inventar. Er kochte die Gerichte nicht nur fehlerfrei und essbar nach, sondern verlieh vielen von ihnen durch seine Kreativität eine eigene Note, indem er sie mit anderen Gewürzen aufpeppte oder besonders hübsch auf den Tellern arrangierte. Nach einer Weile hatte er damit begonnen, einige neue Rezepte an den Pubbesuchern auszuprobieren, und die Resonanz war stets hervorragend. Tom revanchierte sich mit einem Gehalt, das jemand mit Rorys fehlender Ausbildung niemals erhalten hätte, und vermittelte ihm ein günstiges Zimmer im Dorf.

Meine Pastete schien eines von Rorys Experimenten gewesen zu sein, denn ich war bislang noch nicht in ihren Genuss gekommen.

Als er wenig später aus der Küche trat, um meinen Teller abzuräumen, lobte ich ihn erneut. »Rory, wirklich, das war köstlich. Wie kommst du nur auf diese Ideen?«

Er zuckte mit den Schultern, während sich auf sein Gesicht ein vorsichtiges Grinsen schlich. »Ich weiß es auch nicht genau. Ich probiere einfach gerne herum.«

»Ach, was ich dich noch fragen wollte«, sagte ich wenig später zu Tom, »ich habe vorhin Claire getroffen, und sie erzählte etwas von einem neuen Rundweg hier in der Gegend. Weißt du etwas darüber?«

Tom sah mich erstaunt an und antwortete: »Ach, Aoife, du hast die letzten Tage wohl wirklich hart gearbeitet. Erinnerst du dich gar nicht mehr?«

Ich sah ihn verwirrt an: »Erinnern? Woran? Was habe ich verpasst?«

»Du hast es also wirklich vergessen. Wir haben doch vorletzte Woche noch darüber gesprochen. Bevor Lizzie zu ihrem Schulausflug aufgebrochen ist.«

»Schulausflug …«, echote ich. »Da klingelt was bei mir.«

Vage erinnerte ich mich, dass Tom mir erzählt hatte, Lizzie würde die nächsten fünf Tage bei einem Schulausflug sein. Die Einzelheiten waren mir jedoch entfallen.

Entschuldigend blickte ich ihn an. »Wohin genau ist sie gefahren? Ich befürchte, die letzten Wochen habe ich fast nur noch an meinen Roman gedacht und alles andere ausgeblendet.«

Tom setzte einen gespielt kritischen Blick auf. »Ich hoffe für dich, dass er gut wird.« Er lachte kurz und fuhr fort: »Lizzie ist mit ihrer Klasse auf dem neuen Wanderweg unterwegs. Einige Klassen aus dem Einzugsgebiet haben die Möglichkeit bekommen, ihn als Erste auszuprobieren und darüber einen Bericht zu schreiben. Ein paar der Berichte sollen dann in den neuen Wanderführer aufgenommen werden. Es ist eine recht große Marketing-Kampagne geplant.« Er kratzte sich am Kopf. »Ich finde das gar nicht so übel. Ein neuer Weg wird mehr Touristen ins Dorf bringen, und jeder Tourist ist durstig. Und hungrig, wenn er zuvor etliche Kilometer gewandert ist.«

»Das hört sich nicht schlecht an. Wann wird Lizzie denn zurück sein?«

»Eigentlich sollte sie schon seit dem frühen Nachmittag wieder hier sein. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Klasse zum Abschluss noch irgendwo eine Kleinigkeit essen gegangen ist. Sie müsste jeden Moment auftauchen.«

Ich konnte mich irren, aber ich hatte das Gefühl, dass sich in Toms Stimme leichte Sorge eingeschlichen hatte. Ich drückte seine Hand und sagte: »Mach dir mal keine Gedanken. Wenn etwas gewesen wäre, hätten die Lehrer hier doch schon längst angerufen. Was weißt du denn noch über diesen neuen Weg? Ich habe das Gefühl, ich bin die Einzige, die nicht im Bilde ist.«

»Das liegt daran, dass wir schon vor über einem Jahr über den Weg informiert wurden. Und da warst du noch nicht hier. Vorher hatte es viele Monate gedauert, die Route mit den Landbesitzern abzustimmen. Denn einige haben sich klar dagegen ausgesprochen. Sie wollten nicht, dass Wildfremde über ihre Schafweiden stapfen, Müll hinterlassen und Gatter offenstehen lassen. Also hat das Ganze gedauert. Aber die Strecke steht nun seit einiger Zeit fest, und der Weg wurde in der letzten Zeit vorbereitet. Von Miles weiß ich, dass auch bei uns in der Gegend Richtungspfeile aufgestellt und kleine Plaketten in den Straßen angebracht wurden. An Murphy’s Groceries hängt seit gestern auch eine.«

Ich nickte beeindruckt. Das würde ich mir später genauer ansehen. Der neue Weg machte mich neugierig. Schon seit vielen Jahren spielte ich mit dem Gedanken, einen Wanderausflug zu machen, doch mit Andrew wäre es unvorstellbar gewesen. Er konnte der freien Natur nichts abgewinnen und wäre ohne konstanten Internetanschluss völlig aufgeschmissen gewesen. Von Funktionskleidung an seinem Körper gar nicht zu sprechen.

»Was hat die Leute hier umgestimmt, doch mitzumachen?«, fragte ich.

»Ich denke, es waren letztendlich die positiven Erfahrungen, die die Bewohner rund um den Kerry Way gemacht haben«, antwortete Tom. »Es gab eine öffentliche Diskussion, bei der jeder seine Meinung abgeben und Fragen stellen konnte. Und fast alle entlang des Kerry Way hatten Gutes zu berichten.« Er zählte die Punkte an seinen Fingern ab. »Kein Müll auf den Wegen, da Wandertouristen die Sorte von Touristen sind, die eher sorgsam mit der Natur umgehen. Mehr Geld für die einzelnen Ortschaften, da jeder Wanderer ein Dach über dem Kopf braucht und abends und morgens etwas essen und trinken möchte. Und der Menschenstrom hält sich in Grenzen, da die meisten Touristen doch eher faul sind und Sightseeing einer anstrengenden mehrtägigen Wandertour vorziehen. Alles in allem halb so schlimm wie erwartet. Ich denke, hier wird es ähnlich laufen.«

Ich nickte bedächtig und stimmte in Gedanken zu. Unsere Ecke würde es schon schwer genug haben, gegen den dominanten und sehr bekannten Kerry Way anzukommen, und ich bezweifelte, dass plötzlich Menschenmassen durch Ard Carraig stapfen würden, nur weil ein paar Marketingleute einige Wegweiser aufstellten. Vermutlich würde es Jahre dauern, bis der neue Weg bekannt genug wurde, um spürbar mehr Geld in die einheimischen Kassen zu spülen.

»Wie soll denn der neue Weg überhaupt heißen?«, fragte ich.

Tom runzelte beim Nachdenken kurz die Stirn und meinte: »Wenn ich mich nicht irre, wird er Wild Coast Path heißen, auch wenn er nicht nur an der Küste entlang verläuft, sondern zwischendurch quer durchs Bergland.«

»Hm, klingt wild und romantisch. Allein der Name wird sicher den einen oder anderen neugierig machen.« Ich zwinkerte Tom zu und schwenkte dann das leere Sektglas vor seiner Nase herum. »Also ein kleines Gläschen würde ich schon noch vertragen.«

Tom quittierte das nur mit einem Lachen, während er die Sektflasche erneut aus dem Kühlschrank holte. Er schenkte auch sich selbst nach und wollte gerade mit mir anstoßen, da hielt er kurz inne, als überlege er, mir noch etwas zu sagen.

»Was ist los?«

Er druckste herum, kratzte sich verlegen am Hinterkopf und schien plötzlich alles um sich herum interessanter zu finden als mich.

»Na los, Tom, raus mit der Sprache. Was hast du?«, fragte ich ihn.

Endlich blickte er auf und seufzte kurz. »Na gut«, begann er und räusperte sich. »Ich habe eine Neuigkeit für dich.«

Ich sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Der Mann besaß das zweifelhafte Talent, es spannend zu machen.

»Spann mich doch nicht so auf die Folter!«, knurrte ich, als er immer noch keine Anstalten machte, mit der Sprache herauszurücken.

Eilig nahm er einen Schluck und musste einen Hustenanfall unterdrücken, da er die Menge des schäumenden Getränks offenbar unterschätzt hatte. Dann sagte er ohne weitere Vorwarnung: »Ich denke, ich werde ein Hotel eröffnen.«

Kapitel 2

Oder: Ein seltsamer Fund in der Wand

»Ein Hotel?«, echote ich. »Du willst ein Hotel eröffnen?« Zu sagen, diese Neuigkeit wäre eine Überraschung für mich, wäre untertrieben gewesen. Tom hatte noch nie von derartigen Plänen gesprochen.

Er nickte und blickte versonnen über meinen Kopf hinweg. »Ja, das will ich eigentlich schon seit geraumer Zeit machen. Schon als ich das Laughing Pig vom Vorbesitzer übernommen habe, wollte ich ein Pub mit angeschlossenem Bed & Breakfast eröffnen. Das haben die Örtlichkeiten hier allerdings nicht hergegeben. Die Zimmeraufteilung ist einfach nicht ideal, sodass nicht gleichzeitig Lizzie, ich und weitere Gäste hier wohnen könnten.«

»Was hat dich denn wieder auf die Idee gebracht? Ich nehme an, am Grundriss hat sich bis heute nichts geändert. «

Tom sah mich an. »Ehrlich gesagt, ist es der neue Wanderweg. Über kurz oder lang wird er einige zusätzliche Touristen nach Ard Carraig bringen, und ich würde das natürlich gerne nutzen.«

»Du bist ja ein Vollblut-Ökonom«, scherzte ich.

Er blieb ernst. »Ich möchte langfristig denken. Nein, ich MUSS langfristig denken. Auch im Hinblick auf Lizzie. Wer weiß, vielleicht will sie das alles hier später übernehmen?« Er ließ seinen Blick durch den gemütlichen Raum wandern.

Ich sah ihn überrascht an. »Weiß Lizzie denn schon, was sie nach der Schule machen möchte?« Bislang war mir Toms Tochter nicht durch allzu großen Ehrgeiz oder ausgereifte Zukunftspläne aufgefallen, aber ihr Vater hatte in diesem Punkt natürlich mehr Einblicke als ich.

Tom seufzte auf. »Nein, natürlich nicht. Sie ähnelt da allen Jugendlichen. Mal möchte sie etwas mit Medien machen, im nächsten Moment kommt nur ein Studium der Tiermedizin infrage und einen Tag später würde sie am liebsten mit einem Rucksack nach Australien abhauen. Ich denke, sie braucht noch eine Weile, um sich klar zu werden, wohin ihr Weg führen soll.« Er räusperte sich kurz. »Nichtsdestotrotz, ein kleines Landhotel ist MEIN Traum, und wenn ich damit etwas Gutes für Lizzies Zukunft tue, dann ist es schön, aber das ist nicht mein primäres Ziel. Ehrlich gesagt hätte ich den Plan vielleicht gar nicht verfolgt, wenn nicht dieses Haus am Strand unten immer noch leer stehen würde.«

Wieder einmal merkte ich, dass ich zwar in Ard Carraig lebte, aber noch weit davon entfernt war, auch nur ansatzweise alle Neuigkeiten mitzubekommen. »Welches Haus am Strand denn? Das klingt ja zauberhaft«, meinte ich.

Und stellte mir in Gedanken bereits romantische Abende zu zweit vor: wie wir auf einen tiefroten Sonnenuntergang über dem Meer blickten und dabei tiefsinnige Gespräche über den Sinn des Lebens führten. Der Wind würde uns sanft durch die Haare wehen, und unsere bloßen Füße würden wir im warmen Sand vergraben. Natürlich hätte Rory uns einen großen Picknickkorb mit vielfältigen Leckereien vorbereitet, und wir würden uns gegenseitig mit diesen Köstlichkeiten füttern und …

»… das würdest du nicht sagen, wenn du dieses Haus gesehen hättest … Äh, hallo? Aoife? Erde an Aoife! Bist du noch da?« Toms schnippender Finger vor meiner Nase riss mich jäh aus meinem kleinen Tagtraum.

»Es war schön in meiner Vorstellung«, meinte ich mit gespieltem Vorwurf.

Er prustete kurz und erwiderte: »Wirklich, das würdest du nicht sagen, wenn du das Haus gesehen hättest. Es ist ein wenig heruntergekommen.«

»Aber warum ziehst du es dann in Betracht?«, fragte ich verwirrt. »Es klingt fast so, als wäre es eine komplette Bruchbude.«

»Das ist es realistisch gesehen auch. Sämtliche Fenster müssen ausgetauscht werden, weil es durch sie durchzieht wie Hechtsuppe. Das Dach ist noch ganz okay, wird aber vermutlich in den nächsten fünf Jahren ausgebessert werden müssen. Die komplette Elektrik muss raus, die Leitungen sind quasi vorsintflutlich, und ich glaube, sie könnten jederzeit durchbrennen.« Er fuhr sich gedankenverloren durch die Haare. »Und an die ganzen Schönheitsreparaturen will ich gar nicht denken. Alle Tapeten runter, neue dran. Die Böden müssen teilweise ersetzt werden. Wände streichen, verspachteln, neue Badezimmer einbauen. Reparaturen an der Außenfassade. Und so weiter und so fort.«

Ich blinzelte verstört. »Tom, ich wiederhole mich vielleicht, aber warum ziehst du dieses Haus überhaupt in Betracht, wenn du mit einem Neubau vermutlich viel weniger Aufwand hättest?«

Er lächelte mich milde an. »Du wirst es verstehen, wenn du es siehst. Das Haus hat Charme und die Lage ist perfekt.« Sein Lächeln ging in ein breites Grinsen über. »Die Lage ist ein Traum. Es liegt sozusagen direkt am Strand und der Blick aufs Meer ist unverbaubar. Die Bausubstanz ist grundsätzlich okay, keine nassen Wände oder wegbröckelnde Teile. Und das Beste: Der zukünftige Wanderweg führt direkt am Haus vorbei. Es ist einfach ideal.«