Das Geheimnis von Herculaneum - Ilona Bulazel - E-Book
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Das Geheimnis von Herculaneum E-Book

Ilona Bulazel

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Beschreibung

Im Jahr 62 n. Chr. beginnt die Geschichte der schönen, aber unglücklichen Valona, deren tragisches Schicksal bereits besiegelt scheint. Wie durch ein Wunder entkommt sie dem großen Brand von Rom und flieht nach Herculaneum, um dort ein neues Leben anzufangen. Als der Prätorianer Marcus und sein zwielichtiger Freund Quintus ihren Weg kreuzen, verbinden sich ihre Schicksale auf unheilvolle Weise. Um zu überleben, lässt sich Valona auf ein gefährliches Spiel ein. Verrat, Missgunst und ein fein gesponnenes Netz aus Lügen und Intrigen werden ihr jedoch bald zum Verhängnis. Zu spät erkennt sie, dass in Herculaneum nicht nur die Liebe wartet, sondern auch eine tödliche Gefahr droht … (Seitenzahl der Taschenbuchausgabe: 256 Seiten)

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Das Geheimnis von Herculaneum

 

Copyright © 2017 Ilona Bulazel

Alle Rechte vorbehalten.

 

Impressum:

Ilona Bulazel

Sinzheimer Str. 40b

76532 Baden-Baden

Deutschland

E-Mail: [email protected]

Website: https://www.autorib.de

Facebook: https://www.facebook.com/ilonabulazel

Newsletter-Anmeldung über: https://www.autorib.de/newsletter

 

Neuauflage 25.2/2021

 

Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Heinen

www.sks-heinen.de

 

Covergestaltung: TomJay - bookcover4everyone / www.tomjay.de

Photo Images © Shutterstock / BlackMac, Maxx-Studio, Alvaro German Vilela

 

Über das Buch:

 

Im Jahr 62 n. Chr. beginnt die Geschichte der schönen, aber unglücklichen Valona, deren tragisches Schicksal bereits besiegelt scheint. Wie durch ein Wunder entkommt sie dem großen Brand von Rom und flieht nach Herculaneum, um dort ein neues Leben anzufangen.

Als der Prätorianer Marcus und sein zwielichtiger Freund Quintus ihren Weg kreuzen, verbinden sich ihre Schicksale auf unheilvolle Weise.

Um zu überleben, lässt sich Valona auf ein gefährliches Spiel ein. Verrat, Missgunst und ein fein gesponnenes Netz aus Lügen und Intrigen werden ihr jedoch bald zum Verhängnis. Zu spät erkennt sie, dass in Herculaneum nicht nur die Liebe wartet, sondern auch eine tödliche Gefahr droht …

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Epilog

Glossar

Schlusswort und Anmerkungen

Kapitel 1

 

Rom, im Jahre 62 nach Christus

 

»Es ist gleich geschafft«, rief die treue Dienerin Alba und drückte fest Tosias Hand.

Die Geburt war schwierig, und die werdende Mutter litt unter starken Schmerzen. Mit einem feuchten Tuch tupfte ihr eine der Sklavinnen die Stirn ab.

Die Hebamme machte ein besorgtes Gesicht, völlig unerwartet hatte man nach ihr gerufen.

»Es kommt zu früh«, murmelte sie und fing sich dafür von Alba einen bösen Blick ein.

»Sei ohne Sorge«, redete diese beruhigend auf die Gebärende ein. »Alles wird gut!«

»Es ist wie das letzte Mal«, schluchzte Tosia, bevor sie laut aufschrie. Eine weitere Wehe hatte schmerzhaft ihren Körper gequält.

Alba sah wieder zur Hebamme. Die hatte die Lippen fest zusammengepresst und versuchte, nach dem Säugling zu greifen, der so unbedingt schon jetzt das Licht der Welt erblicken wollte.

»Er wird es mir nicht verzeihen können. Was soll nur werden?«, weinte Tosia und sah Alba flehentlich an.

Die Dienerin war schon seit ihrem fünften Lebensjahr bei der Familie. Als Sklavin hatte man sie damals aus den Gebieten jenseits des Rhenus nach Rom gebracht. Sie stammte von einem der Barbarenstämme ab, zumindest wurde ihr das erzählt. Sie selbst hatte kaum eine Erinnerung an ihre früheste Kindheit. Manchmal sah sie in ihren Träumen dunkle Wälder und weißes Gespinst, das langsam und lautlos vom Himmel fiel. Außerdem war da stets das Gefühl von Kälte, aber mehr gab es nicht. Sie erinnerte sich weder an das Gesicht ihrer Mutter noch daran, wie sie von der Frau, die sie einst auf die Welt gebracht hatte, genannt worden war. Alba war der Name, den ihr die Sklavenhändler gegeben hatten. Er bedeutete hell, in Anlehnung an ihr blondes Haar, das mittlerweile jedoch bereits erste graue Strähnen zeigte. Sie hatte damals Glück gehabt und war in eine gute Familie gekommen, anständig behandelt worden, und schließlich hatte man ihr sogar die Freiheit geschenkt. Aber trotzdem wollte sie niemals von hier fort. Wo hätte sie auch hingehen können? Ihr Äußeres war nicht gerade das, was den römischen Männern gefiel: Sie war hochgewachsen und überragte die meisten Vertreter des anderen Geschlechts. Ihre kantigen Gesichtszüge wirkten irgendwie verdrießlich, und Männer fühlten sich dadurch nicht gerade ermuntert. Aber das hatte sowieso nie eine Rolle gespielt. Ihr ganzes Glück war immer schon Tosia gewesen, die man ihr vor fünfundzwanzig Jahren anvertraut hatte, als deren Mutter im Kindbett gestorben war. Alba selbst war zu dieser Zeit bereits vierundzwanzig. Sie hatte das Mädchen über den Verlust hinweggetröstet und war ihr immer mehr als nur eine Dienerin gewesen. Ja, sie liebte Tosia wie eine Tochter und hätte alles für sie getan.

Der Griff um ihre Hand wurde fester und riss sie aus ihren Gedanken.

»Es kommt«, stieß die Hebamme mit hochroten Wangen hervor. Auch ihr sah man die Anspannung an.

Mit einem letzten, schmerzerfüllten Aufschrei der werdenden Mutter endete die Geburt.

»Ist alles in Ordnung?«, rief diese nun mit zitternder Stimme. Da nicht sofort eine Antwort folgte, begann sie, in Panik zu geraten. »So sprich mit mir, Alba!« Der Ruf nach der getreuen Dienerin war mehr Flehen als Aufforderung.

Schnell berührte diese mit ihrer großen Hand sanft das schweißnasse Gesicht der jungen Frau.

»Alles wird gut. Der Säugling braucht Ruhe und du auch.«

»Ist es gesund?« Sie versuchte, sich zu erheben, aber die Erschöpfung war zu groß.

Die Hebamme wollte antworten, aber wieder war es Albas Blick, der sie verstummen ließ.

»Alles ist in Ordnung. Hier, trink!«, entgegnete die Dienerin und flößte Tosia eine bittere Flüssigkeit ein. »Das lässt dich schlafen, damit du bald wieder zu Kräften kommst.«

Mit einem unwirschen Befehl forderte Alba die Sklavinnen auf, ihr zu helfen, Tosia von dem Geburtsschemel ins Bett zu befördern. Kaum, dass sich die erschöpfte Frau ausgestreckt hatte, schlossen sich auch schon ihre Lider, der Schlaftrunk wirkte.

»Lasst uns allein«, zischte Alba, woraufhin die Sklavinnen sofort aus dem Raum huschten. Erst dann wandte sie sich an die Hebamme.

»Es kam zu früh«, sagte diese nun beinahe trotzig und hob ihr das blutige Leinen entgegen, in das das Kind eingewickelt war.

Alba seufzte unglücklich. Sie sah sofort, dass der Säugling tot war. Das winzige Geschöpf hatte bläulich verfärbte Lippen und eine merkwürdig wächserne Haut. Es war noch nicht bereit gewesen.

»Bei den Göttern. Du musst ihr sagen, dass das Kind tot ist.«

Die Dienerin gab darauf keine Antwort, sondern bemerkte: »Es ist ein Junge, nicht wahr?«

Die andere nickte.

Alba war nicht überrascht, sie hatte von einem Knaben geträumt. Einem Knaben, der in Blut badete. Sie hatte es geahnt.

Juno, hilf, flehte sie still, dann traf sie eine Entscheidung.

»Du bleibst hier in der Kammer. Sollte die Domina erwachen, so gib ihr noch mehr von dem Schlaftrunk. Unter keinen Umständen darf sie vom Tod ihres Kindes erfahren. Und auch sonst niemand.«

»Sieh es an«, zischte die Hebamme nun giftig. »Wie soll ich das verheimlichen?«

Alba machte einen Schritt auf die wesentlich kleinere Frau zu. Die massige Gestalt der Dienerin war beeindruckend, aber es waren die hellen Augen mit dem Ausdruck kalten Zorns, die der Hebamme Angst einjagten.

»Tu, um was ich dich gebeten habe. Ich bin bald zurück.«

Eingeschüchtert gab die andere nach. »Aber lass mich nicht zu lange warten!«

 

* * *

 

In der gleichen Nacht, fast zur selben Stunde, lag auch eine andere Frau in den Wehen. Sie hatte niemanden, der ihr Beistand leistete. Jedoch war nicht die Armut der Grund dafür, dass sie so völlig auf sich allein gestellt war, sondern die Umstände der Schwangerschaft. Ihr Mann durfte nichts davon erfahren. Die Veränderungen ihres Körpers unter den weiten Gewändern vor ihm zu verbergen, war nicht allzu schwierig gewesen. Aber die Geburt selbst stellte sie vor eine Herausforderung. Wie hatte nur alles so weit kommen können?

Vom eigenen Vater war sie mit vierzehn an ihren heutigen Ehemann übergeben worden. Sie war im heiratsfähigen Alter gewesen, und ihr Vater hatte Schulden gehabt; schnell war ein Arrangement getroffen worden. Seither lebte sie wie eine Sklavin unter der Fuchtel dieses alten Geizkragens, der sie anfangs regelmäßig misshandelt hatte. Dann war sie älter geworden und zu einer regelrechten Schönheit herangereift. Er verlor dennoch das Interesse an ihr und vergnügte sich seither mit blutjungen Sklavinnen und Sklaven. Bisher hatte er nie davon gesprochen, sich scheiden lassen zu wollen, schließlich schmückte er sich gerne mit seiner schönen Gemahlin. Wäre sie eine Frau aus der Oberschicht gewesen, mit eigenem Vermögen, dann hätte sie sich natürlich längst scheiden lassen können. Aber da ihre Eltern nicht mehr lebten und es auch sonst keine Familie gab, war sie voll und ganz abhängig vom Wohlwollen ihres Ehemannes. Sie hatte sich ihrem Schicksal bereits ergeben, als dieser junge, gut aussehende Legionär in ihr Leben getreten war. Sie glaubte ihm all seine Schwüre, gab sich ihm leidenschaftlich hin – aber als sie die Schwangerschaft bemerkte, da wollte er nichts mehr von ihr wissen.

Trotz ihrer Versuche, einen Ausweg zu finden, scheiterte sie. Die Tränke, Beschwörungen und Opfergaben waren vergebens. Sogar ihrem Ehemann bot sie sich zu sexuellen Gefälligkeiten an, um so ihre Schwangerschaft rechtfertigen zu können, aber der lehnte ab. Sie glaubte mittlerweile zu wissen, dass seine Männlichkeit bei erwachsenen Frauen versagte. Dennoch hatte sie es probiert, doch er war daraufhin ärgerlich und misstrauisch geworden.

Letzten Endes blieb ihr keine andere Wahl, als das Kind heimlich auf die Welt zu bringen.

Sie hatte aufmerksam zugehört, wenn über Geburten gesprochen worden war, hatte bei einer Hebamme unter einem Vorwand Informationen eingeholt und sich auf diesen Tag vorbereitet, so gut es eben ging. Aber trotzdem war das, was sie eben erlebte, weit entfernt von all ihren Vorstellungen. Sie biss auf das kleine Stück Holz zwischen ihren Zähnen, um den Schmerz nicht hinauszuschreien. Niemand im Haus durfte erfahren, was hier in ihrem Cubiculum gerade vor sich ging.

 

* * *

 

Alba hastete aus dem Haus. Sie musste sich beeilen, ihr Ziel war nicht weit, und so eilte sie, die Öllampe fest umklammert, die leeren Straßen entlang. In der Dunkelheit war es gefährlich, alleine unterwegs zu sein. Aber sie schob alle Bedenken beiseite und konnte nur noch an Tosias flehende Augen denken. Es war eine Schande.

»Oh Juno, so hilf ihr doch!«, wandte sie sich erneut flüsternd an die römische Göttin, die sie so sehr verehrte.

 

* * *

 

Auch eine andere Gestalt, verhüllt von einem langen Schal, einen frisch geborenen Säugling im Arm, schlich wenig später durch die Nacht. Sie hatte es vermieden, in das kleine Gesichtchen mit den großen Kulleraugen zu blicken. Was hätte das für einen Sinn gemacht? Es gab schließlich keine Zukunft für sie und das Kind. Den Platz, den sie jetzt aufsuchen wollte, hatten schon viele verzweifelte Mütter vor ihr betreten; dort legten sie ihre ungewollten Kinder ab, in der Hoffnung, dass sich ihnen ein barmherziger Mensch annehmen würde.

Hier hätte das Kleine vielleicht eine Chance. Die Frau redete sich das zumindest ein, denn nicht nur gute Menschen interessierten sich für die hilflosen Geschöpfe. Auch die herzlosen suchten an diesem Ort nach geeigneter »Ware«, die sie an die Sklavenhändler verkaufen konnten.

Die verhüllte Gestalt blieb nicht stehen. Sie konnte nur hoffen und beten, einen anderen Weg gab es nicht. Würde ihr Mann von dem Kind erfahren, dann wäre damit niemandem geholfen. Sie würde auf der Straße landen und wäre vermutlich gezwungen, sich als Prostituierte ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das Kleine bekäme zudem, den ganzen Jähzorn ihres Ehemanns zu spüren. Kaum denkbar, dass es dies überleben würde.

Sie hatte nun die Mitte des Platzes erreicht und sah sich verstohlen um. Es schien niemand da zu sein. Als sie in die Knie ging, um das Kind abzulegen, spürte sie einen heftigen Stich in ihrem Unterleib. Sie sagte sich, dass das vollkommen normal sei – immerhin hatte sie gerade erst entbunden und war schon wieder auf den Beinen. Noch einmal durchfuhr sie ein quälender Schmerz, und ein Keuchen entschlüpfte ihrer Kehle.

»Ich muss hier weg«, flüsterte sie leise.

Das Kind fing an, unruhig zu werden, so als würde es spüren, dass sich die Mutter für immer entfernen wollte. Deren Herz brach, als sie nun aufstand, den Platz verließ und in der Dunkelheit verschwand, während sie hinter sich ein leises Weinen vernahm. Es war nicht nur das körperliche Leid, das die Tränen nicht mehr versiegen ließ, die ihr nun über das Gesicht liefen.

 

Alba hatte die Szene beobachtet. Schnell näherte sie sich dem weinenden Kind, als die Schritte der fremden Frau, die es gebracht hatte, nicht mehr zu vernehmen waren. Ihre Gebete schienen erhört worden zu sein. Im Licht der Öllampe begutachtete sie den Säugling und war erleichtert, keine dunkle Färbung der Haut und keine Missbildungen entdecken zu können.

»Was haben wir denn hier?«, scherzte sie leise. »Ein kleines, gesundes Mädchen!«

 

* * *

 

»Du warst lange weg. Was, wenn der Herr nach Hause gekommen wäre?« Die Hebamme wartete bereits ungeduldig auf Alba.

»Er ist in Herculaneum und kümmert sich um die Geschäfte«, gab die Dienerin gereizt zurück.

Die Hebamme betrachtete den mitgebrachten Säugling. »Das ist nicht recht«, begehrte sie auf.

»Es wird dein Schaden nicht sein«, zischte Alba. »Ich kann dafür sorgen, dass man glaubt, du bist die Richtige in hoffnungslosen Fällen.«

Sie bemerkte das Interesse in den Augen der Frau und fuhr fort. »Stell dir vor, die ganzen Patrizierfamilien werden künftig dich rufen. Da sind eine Menge Sesterzen zu verdienen.«

Noch zögerte die Hebamme, und Alba legte nach. »Andererseits will dich vielleicht keiner mehr haben, wenn sich herumspricht, dass meine Herrin unter deinen Händen bereits ihr zweites Kind tot geboren hat.«

»Du hast ein Mädchen mitgebracht«, entgegnete die andere darauf gehässig. »Ich denke, der Herr wünscht sich einen Sohn.«

Die Augen der Dienerin blitzten schlau auf. »Ein gesundes Mädchen verheißt weitere Kinder. Der Erbe wird folgen.«

»Barbarenhexe«, giftete die Hebamme, ließ sich aber auf den Handel ein. Die Alte hatte recht, ein guter Ruf war tatsächlich Gold wert, immerhin war eine Geburt ein hohes Risiko. Von den reichen Damen geschätzt zu werden, würde sich sicher auszahlen. Und war es ihr nicht sowieso einerlei, was dieses riesenhafte Weib und deren Herrin hinter dem Rücken des Ehemanns trieben?

 

Wenige Stunden später erwachte Tosia aus einem unruhigen Schlaf. Ängstlich fragte sie nach ihrem Kind. Alba legte ihr das Mädchen in die Arme und sagte ruhig: »Alles ist in Ordnung, die Kleine wird eines Tages sicher eine Schönheit!« Tosia lächelte glücklich. Ein gesunder Säugling, das würde Spurius glücklich machen, auch wenn es kein Junge war. Sie würde noch viele Kinder bekommen. Nach zwei Fehlgeburten und einer Totgeburt war der Bann nun gebrochen.

Alba betrachtete liebevoll Mutter und Tochter. Sie würde das Geheimnis für sich behalten, Tosia und auch das Kind sollten nie etwas davon erfahren. Unbewusst berührte sie den Armreif in der Tasche ihres Gewandes; er hatte in der Decke gelegen, in der das Mädchen eingewickelt gewesen war. Allerdings ließ sich daraus nicht auf die Herkunft des Kindes schließen, was umso besser war. Alba nahm das als gutes Omen.

 

* * *

 

Während die eine Frau den Säugling sanft in ihren Armen schaukelte, kämpfte dessen leibliche Mutter ums Überleben. Fast wäre es ihr nicht gelungen, den Weg nach Hause zu bewältigen.

Eine schlimme Infektion trieb das Fieber hoch, und da niemand von der heimlichen Entbindung wusste, konnte man sich den Zustand der Herrin nicht erklären. Mehrere Tage kämpfte sie mit dem Tod. Ihren Ehemann interessierte das allerdings wenig.

Anfangs raubte ihr die Verzweiflung jeden Lebenswillen, und sie bat die Götter, sie endlich zu sich zu holen. Aber offensichtlich war ihre Zeit noch nicht gekommen. Als es ihr langsam besser ging, überkam sie eine unbändige Wut. Auf die Götter, die sie ihrem Schicksal überließen, auf den jungen Legionär, der sie so schamlos ausgenutzt hatte, und auf ihren Ehemann, der ein widerlicher, grausamer Mensch war. Mit einem Mal wusste sie, was sie zu tun hatte. Sie wollte künftig nach ihren eigenen Regeln leben – und wehe dem, der sich ihr dabei in den Weg stellen sollte.

 

Kapitel 2

 

Rom, auf dem Exerzierplatz der Prätorianergarde

 

Marcus’ Blick war verschleiert, Schweißtropfen hatten sich in seinen langen, dunklen Wimpern verfangen. Er blinzelte, um sie loszuwerden und klare Sicht zu erhalten.

Die Sonne stand hoch am Himmel, der sich strahlend blau präsentierte. Der Tag hatte sich so wundervoll angekündigt, und er, Marcus, erinnerte sich, wie Rom beim Sonnenaufgang in ein warmes rotes Licht getaucht gewesen war.

Seine ausgestreckten Arme fingen an zu zittern. Kurz gab er das Geradeausstarren auf und schielte auf die zuckenden Muskeln. Er presste die Lippen noch fester aufeinander, sodass es ihn schmerzte – er musste sich konzentrieren und seine Gedanken darauf lenken, die Strafe zu überstehen. Marcus atmete ruhiger und bemerkte zu seiner Erleichterung, dass das Zucken aufhörte. Obwohl er sich fest vorgenommen hatte, die körperlichen Qualen zu ignorieren, wurde ihm immer mehr bewusst, dass er dem Unvermeidlichen nicht entgehen konnte.

»Müde, Prätorianer?«, hörte er die tiefe Stimme seines Vorgesetzten, in der Zorn, aber auch Enttäuschung mitschwang.

Marcus antwortete nicht, sondern wappnete sich für den Schlag, der auch sofort folgte: Der knorrige Holzstock traf hart auf seinen Rücken. Er schloss für einen Moment die Augen und musste alle Kraft aufbringen, die ausgestreckten Arme nicht einfach sinken zu lassen.

In jeder Hand hielt er ein schweres Holzschwert. Sie dienten den Soldaten normalerweise als Trainingsgeräte und hatten mehr Gewicht als die Standardwaffe der Prätorianer, dem Gladius.

Marcus dachte zurück an den Morgen. Man warf ihm vor, er hätte seine Pflichten vernachlässigt, was allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprach. Er büßte für den Fehler seines Kameraden und besten Freundes Quintus. Aber das konnte er unmöglich zu seiner Verteidigung vorbringen, denn das wäre einem Verrat gleichgekommen; etwas, das sein Ehrgefühl niemals zulassen würde.

Also stand er bei sengender Hitze auf dem Exerzierplatz, nur mit einem Subligaculum bekleidet, das seine Scham bedeckte, klaglos die Prügel ertragend, die so ungerechtfertigterweise auf ihn niedergingen.

Es war ein perfides Spiel mit nur einer Regel. Würde er die Schwerter sinken lassen, dann wäre er die längste Zeit Prätorianer gewesen. Es gab kein Zeitlimit und damit auch nicht den Hauch einer Chance für Marcus, seine Stellung zu behalten. Eigentlich hätte er sich auch gleich wie ein geprügelter Hund aus dem Tor schleichen können, denn am Ende würde ihm nur dieser Weg bleiben. Trotzdem wollte Marcus kämpfen. So war er immer schon gewesen, aufgeben kam für ihn nicht infrage.

»Du bist Prätorianer?«, bellte sein Peiniger ungehalten und holte erneut mit dem Stock aus. »Du willst zu der Leibgarde des Kaisers gehören?« Der Mann trat nun seitlich an Marcus heran. »Du bist nicht würdig!«, schnarrte er und sah verächtlich auf den Soldaten, der den Blick weiter stur geradeaus hielt.

Marcus ignorierte das Ziehen seiner verkrampften Muskulatur und dachte an Rom.

Sein Vater hätte ihn lieber zu Hause gewusst, aber er klagte nie darüber, dass sich der Sohn, der sich unter allen Umständen den Herausforderungen des Lebens stellen wollte, freiwillig zur Legion gemeldet hatte. Und natürlich hatte er auch Stolz empfunden, als sein Fleisch und Blut für die Prätorianergarde ausgewählt worden war. Marcus hatte bereits als kleiner Junge davon geträumt, mit den kaiserlichen Truppen zu den entlegensten Winkeln des Imperiums zu reiten. Er wollte die schrecklichen Barbaren im Norden besiegen, sich den kriegerischen Völkern im Süden stellen, die Aufstände an den Außengrenzen im Osten niederschlagen und in die Schlacht ziehen, um den Rest der Welt dem Römischen Reich unterzuordnen. Aber sein Plan war es nicht gewesen, das als gewöhnlicher Legionär zu tun – nein, er wollte an der Seite des Kaisers leben und sterben. Deshalb hatte er alles daran gesetzt, ein Prätorianer zu werden. Stationiert in Rom, solange das Staatsoberhaupt nicht auf einen Feldzug ging. Auch das war ein gewichtiger Grund für seine Entscheidung. Als Legionär hätte er zwischen den Schlachten womöglich Tag um Tag in einer öden Festung gesessen, aber hier in Rom ... Was es auf der Welt gab, das gab es auch in Rom! Etwas, das für Marcus unumstößlich feststand, und schon, als er die Stadt das erste Mal betreten hatte, wurde ihm das bestätigt.

Nirgendwo sonst waren die Straßen so vollgestopft mit Menschen aus allen Regionen des Reiches. Dunkelhäutige, Bleiche mit beinahe durchsichtiger Haut, schöne Nubierinnen, stolze Griechinnen und natürlich die modernen Römerinnen. Aber nicht nur das menschliche Sammelsurium übte so eine Faszination auf den jungen Soldaten aus, auch die Stadt selbst mit ihrer Lebendigkeit und dem stetig rastlosen Treiben hatte ihn verzaubert, ihn zu ihrem Gefangenen gemacht und für alle Zeiten Fesseln angelegt, sodass er dieser Magie niemals entfliehen könnte. Er dachte an die Wagenrennen im Circus. Noch nie zuvor hatte er etwas Vergleichbares erlebt. Inmitten dieser hunderttausend Menschen zu stehen, ihre begeisterten Schreie und Anfeuerungsrufe zu hören, die majestätischen Pferde zu beobachten, die schon vor dem Start unruhig schnaubten, hin und her tänzelten, angespannt und voller Ungeduld, genau wie die Zuschauer, bis endlich das weiße Tuch den Boden berührte und damit das erlösende Startsignal fiel, das war wie ein verrückter Rausch der Sinne. Begeistert hatte er die Gespanne beobachtet und dem Trommeln der Pferdehufe gelauscht, welches reinste Musik für seine Ohren gewesen war. Das harte Aneinanderschlagen der Wagen beim rücksichtslosen Kampf um den Sieg hatte ihn so sehr beschwingt, dass er einfach in das Jubelgeschrei, das dem Gewinner galt, mit einstimmen musste, selbst wenn seine Wette auf ein anderes Gespann platziert gewesen war.

Marcus hätte am liebsten laut geseufzt. Er dachte noch einmal an das abendliche Zechen in den Tabernae und die zufriedenen Momente in den Armen einer römischen Hure mit üppigen Rundungen. Er schmeckte immer noch ihre süßen Küsse, sah die schrille Farbe ihrer Perücke vor seinem geistigen Auge und erinnerte sich an die heißen, nackten Schenkel, die ihm so großzügig dargeboten worden waren. Zurück in sein altes Leben als Legionär zu müssen, wäre mehr Strafe als die Stockschläge und Beschimpfungen, denen er im Moment ausgesetzt war. Vielleicht würden die anderen Soldaten sein Versagen nicht kommentieren und ihn aufnehmen wie einen alten Freund – trotzdem würde er sich grämen. Und Quintus?

Plötzlich flammte Wut in ihm auf. Wut, die ihm die Kraft verlieh, die Arme weiter gestreckt zu halten. Solange er hier auf dem sandigen Boden stand, solange gehörte er immer noch zu den Prätorianern. Sie würden ihn hinaustragen müssen, denn er war nicht bereit, freiwillig zu gehen. Zwar nutzte er die Wut auf Quintus, durch dessen Schuld er zu spät zu seinem Dienst gekommen war, aber gleichzeitig schämte er sich für seine Gefühle. Jemand anderem die Verantwortung für das eigene Handeln aufzubürden, war nicht recht. So war er erzogen, und so wollte er eines Tages auch seine Kinder erziehen. Falls er nach dieser Schmach jemals eine ehrbare Frau finden würde.

 

Marcus’ Vorgesetzter hatte sich in den Schatten zurückgezogen. Neben ihm stand sein Adjutant, der sich zu einer Bemerkung hinreißen ließ. »Wir hatten noch nie einen, der so lange durchgehalten hat.« Er machte keinen Hehl aus seiner Bewunderung. »Wenn er so unerbittlich kämpft, wie er dir die Stirn bietet, Decimus Cornelius Britannicus, dann siehst du einen guten Mann dort in der Sonne stehen.«

Decimus Cornelius Britannicus war ein altgedienter Soldat. Er konnte Männer einschätzen. Allerdings waren ihm seine Feinde meist ein weniger großes Rätsel als seine Verbündeten. Das hatte er in den Jahren seiner Dienstzeit oftmals auf unangenehme Weise zu spüren bekommen. Die Prätorianer sollten Soldaten sein und keine Ränke schmieden. Seiner Meinung nach stand es der Leibgarde des Kaisers nicht zu, sich so dermaßen in die Politik einzumischen. Aber ihn fragte ja niemand, und mittlerweile machten unschöne Gerüchte die Runde. Man sprach davon, dass die Garde demjenigen den Eid leistete, der am besten bezahlte. Außerdem beäugte er kritisch, wie viel Einfluss die Befehlshaber der Garde, die Prätorianerpräfekten, mittlerweile nahmen. Das sorgte nämlich schon seit einiger Zeit für böses Blut und Feindschaften am Hof.

Decimus wollte mit Verschwörungen nichts zu schaffen haben und versuchte deshalb, dem Kaiser treu zur Seite zu stehen. Ganz offen verurteilte er Bestechung und Gemauschel. Mit ein Grund dafür, dass seine Karriere nicht steil nach oben verlaufen war, denn mit dieser Einstellung hatte er mehr als einmal seine Vorgesetzten verstimmt. Allerdings hatte man ihn nach Ablauf seiner regulären Dienstzeit dann von höchster Stelle auf diesen Posten gebeten. Somit gehörte er zu den Evocati, war heute für die Ausbildung der Gardemitglieder zuständig und gab Empfehlungen bezüglich ihres späteren Einsatzbereiches. Keine Frage, er hielt das, was er tat, für wichtig.

Vor knapp zwanzig Jahren, als junger Soldat, war er dabei gewesen, als Kaiser Claudius Britannien erobert hatte. Ihm war der Tod vertraut. Und er wusste auch, dass der Weg ins Jenseits jederzeit beginnen konnte. Denn die Gegner saßen längst nicht mehr nur in ihren Festungen außerhalb Roms. Nein, Decimus beobachtete mit zunehmender Sorge, dass sich die Feinde des Princeps in den kaiserlichen Palästen aufhielten, verborgen hinter Speichelleckerei und Schöngetue, das sie hervorragend beherrschten. Umso wichtiger war es, dass er mit Bedacht die Männer auswählte, die nach seinem Dafürhalten geeignet waren, den Kaiser zu schützen.

Allerdings machte ihm noch etwas anderes zu schaffen: das Wirken des Kaisers selbst.

Natürlich gab es bei jedem Herrscher Getuschel hinter vorgehaltener Hand, aber leider waren das in Neros Fall mehr als nur Gerüchte. Decimus hatte derlei bisher noch nie erlebt. Man munkelte, die Mutter des Kaisers, Agrippina, hätte Neros Vorgänger Kaiser Claudius vergiftet, um den eigenen Spross auf den Thron zu bringen. Sollte das stimmen, dann hätte es ihr Nero schlecht gedankt. Längst war Agrippina nämlich selbst tot, ihr Sohn hatte sie der Verschwörung beschuldigt.

Vor Kurzem war Decimus’ Vorgesetzter, der Prätorianerpräfekt Burrus, gestorben. Auch sein Ableben wurde von gehässigen Zungen als nicht natürlich kommentiert. Über kurz oder lang würde es Probleme geben, das spürte Decimus. Nero war sein Kaiser, und er war ihm verpflichtet, aber wenn der Imperator die Zeichen nicht erkennen würde, dann wären eines Tages nur noch wenige bereit, ihm die Treue zu halten.

Decimus bemühte sich zwar, die Eskapaden des Kaisers zu ignorieren, aber das wurde zunehmend schwerer, gebärdete sich Nero doch zuweilen ganz und gar nicht wie ein würdiger Herrscher. So widmete er sich vor aller Augen viel zu sehr dem Schauspiel und der Sangeskunst. Der Kaiser verbrachte seine Zeit mit Poesie oder dem Zupfen der Kithara, anstatt sich zu fragen, ob er wirklich die richtigen Berater an seiner Seite hatte. Weit entfernt von dem, was gemeinhin als standesgemäß galt, zerstreute sich der erste Mann im Staat als Wagenlenker. Nein, das ziemte sich wahrlich nicht für den Imperator des Römischen Reiches. Decimus war bei weit mehr peinlichen Gegebenheiten Zeuge gewesen, als ihm lieb war. Manchmal kam ihm Nero wie ein verwöhntes Kind vor. Fügsam und freundlich, wenn es seinen Willen bekam, jedoch trotzig und höchst gefährlich, wenn das einmal nicht der Fall sein sollte. Der Prätorianer war nicht blind. Er sah die verstohlenen Blicke, die die Senatoren dem Kaiser zuwarfen, hörte das Flüstern der reichen Bürger aus der Oberschicht, wenn sie sich im Palast unbeobachtet fühlten, und schnappte hin und wieder das Murren der Ritter auf. Nein, mit diesem Kaiser würde es nicht gut enden, auch wenn ihn das Volk augenblicklich noch verehrte, zeigte er sich doch verantwortungsvoll und zuverlässig, was die Getreideversorgung der Einwohner Roms anging. Außerdem gelang es ihm, seine Untertanen mit unterschiedlichen Spektakeln bei Laune zu halten. Aber die Plebs war eine undankbare Geliebte.

Erst gestern hatte Decimus einen bösen Traum gehabt. Seine Großmutter war ihm erschienen, das bedeutete nie etwas Gutes.

 

Sein Adjutant holte ihn zurück ins Hier und Jetzt. »Verzeih, Decimus, was soll nun mit Marcus Cassius Magnus geschehen?« Er deutete mit dem Kinn zur Mitte der Arena, in der Marcus immer noch mit ausgestreckten Armen und den schweren Holzschwertern stand.

Decimus drehte den Kopf von einer Schulter zur anderen und griff sich sein Kurzschwert samt Schild. »Bringt ihm seine Waffen, ich will sehen, wie bereit er für die Garde ist.«

Der so Geheißene machte ein verblüfftes Gesicht, wagte es jedoch nicht, nachzufragen. Er wusste, dass Decimus ein rauer Soldat war. Wer von ihm ausgebildet wurde, stand in dem Ruf, einer der Besten zu sein. Dennoch konnte man nicht umhin, seine Methoden manches Mal zu hinterfragen und bestenfalls als unorthodox zu bezeichnen. Wen er für einen Fehler bestrafte, würde diesen keinesfalls ein zweites Mal begehen.

Als sich der Ausbilder nun seinem Rekruten näherte, wusste er natürlich, dass dieser bereits am Ende seiner Kräfte war.

Ein zäher Bursche, dachte er insgeheim.

Doch von dieser Bewunderung konnte Marcus nichts spüren, als ihn der Vorgesetzte jetzt anblaffte: »Du kannst die Schwerter fallen lassen!«

Marcus’ Körper, der von der Sonne gerötet und schweißnass war, blieb starr. Nur sein Kopf bewegte sich Richtung Decimus, mit trotzigem Blick sah er den Mann nun an.

Dieser nickte auffordernd, woraufhin Marcus die Holzschwerter endlich auf den Boden warf. Als er die Arme senkte und das Blut langsam wieder zu zirkulieren begann, verzog sich sein Gesicht vor Schmerz. Er hatte diese Regung, sehr zu seinem Ärger, nicht verhindern können. Im Augenwinkel bemerkte er, wie jemand den Gladius und seinen Schild neben ihn legte.

Decimus bellte ihn mit befehlsgewohnter Stimme an: »Du willst Prätorianer sein?« Er wartete nicht auf die Antwort, sondern sprach weiter: »Dann beweise mir, dass du bereit bist, dafür zu sterben. Oder ...«, machte er eine dramatische Pause und ließ den Blick über die Arena schweifen, »... oder gehe sofort durch das Tor zu deiner Legion und kehre nie wieder hierher zurück!«

Marcus hatte verstanden. Er sollte kämpfen oder verschwinden, niemand würde ihn aufhalten. Ihm stand es frei, das Übungsgelände zu verlassen und ein ganz gewöhnliches Soldatenleben zu führen. Ein Leben, das für ihn immer den Beigeschmack der Ehrlosigkeit haben würde. Oder aber er würde die Herausforderung annehmen und den sicheren Tod finden – denn Decimus galt als begnadeter Schwertkämpfer. Manche behaupteten sogar, er könnte jeden Gladiator schlagen, ganz zu schweigen von den Feinden Roms.

Marcus atmete hechelnd ein und aus. Ein Umstand, der ihm selbst gar nicht bewusst war. Auf ein Zeichen von Decimus eilte ein Sklave mit einem Krug heran.

»Trink!«, rief der Ausbilder nicht ohne Spott. »Es möge später keiner behaupten, ich hätte einem schnappenden Fisch den Kopf abgeschlagen.«

Irgendwo wurde gelacht, aber Marcus registrierte auch das nicht. Er nahm dankbar den Krug und trank gierig den mit Wasser verdünnten, bitteren Wein. Ein letztes Mal hielt er sich vor Augen, dass es nur wenige Meter waren, die er durch den trockenen Sand hätte stolpern müssen, um dem sicheren Tod zu entgehen. Allerdings wäre das Leben, das ihm nach diesem Gang bevorgestanden hätte, niemals seines. Er warf wütend den Krug zur Seite und griff nach Schwert und Schild. Kurz erinnerte er sich an die Gladiatoren, die bei jedem Einzug in die Arena nicht wussten, ob sie diese auch wieder lebend verlassen würden.

Mehr Gedanken konnte er nicht verschwenden, denn schon im nächsten Augenblick schnellte Decimus’ Schwert auf ihn nieder. In allerletzter Sekunde riss er seinen Schild nach oben, um die stählerne Klinge des Gegners abzuwehren. Weitere Hiebe folgten. Wie eine Schildkröte duckte sich Marcus unter seinem Schild, versuchte, den harten Schlägen auszuweichen, und taumelte dabei rückwärts. Keinesfalls wollte er aufgeben und rief sich daher alles in Erinnerung, was er bisher über den Schwertkampf gelernt hatte. Und plötzlich verstand er, was ihm einer der altgedienten Prätorianer zu später Stunde und nach dem Genuss etlicher Becher Wein zu erklären versucht hatte: »Beim Kämpfen darfst du nicht denken, sondern nur kämpfen!«

Marcus gelang es, genau das zu tun. Er riss sein Schild hoch, benutzte es wie einen Rammbock und stürmte damit gegen Decimus. Den überraschte diese Attacke derart, dass er für einen kurzen Moment unachtsam wurde. Marcus stach zu. Sein Gladius erwischte den Ausbilder am Oberarm und ritzte die Haut auf, Blut tropfte auf den staubigen Boden, und mit einem Mal verstummten alle Anwesenden. Es war unfassbar: Dieser Niemand bot dem großen Decimus tatsächlich die Stirn. Schon wurden verstohlen die ersten Wetten platziert. Nicht auf den Sieger, der stand für sie längst fest. Aber ab jetzt würde es interessant werden, wie Decimus gedachte, seinen Gegner zu töten.

Marcus versuchte, einen zweiten Treffer zu landen, aber dieses Mal war das Überraschungsmoment nicht mehr auf seiner Seite. Das Kurzschwert des Angreifers hämmerte unbarmherzig auf seine Deckung nieder, Marcus blieb nur der Rückzug. Trotzdem versuchte er, die Schläge zu parieren. Niemand, der diesem Spektakel beiwohnte, hätte später behaupten können, er hätte nicht gekämpft. Obwohl er verzweifelt versuchte, erneut anzugreifen, fehlten ihm am Ende das Geschick und die Ausdauer seines Gegners. Bei einem weiteren kraftvollen Hieb wurde Marcus am Oberschenkel getroffen, die Klinge bohrte sich in die Haut. Er fühlte weder das warme Blut noch den brennenden Schmerz, als ihn ein weiterer Schwerthieb von den Beinen riss. Hart prallte er mit dem Rücken auf den Boden. Bevor er sich hätte aufrichten können, trat Decimus ihm mit so viel Wucht seinen Schild aus der Hand, dass der daraufhin quer über den Platz flog, als wäre er nur aus leichtem Stoff. Im nächsten Augenblick fiel ein Schatten auf Marcus’ Gesicht. Decimus stand über ihm, das Schwert auf sein Herz gerichtet.

»Ich vermute, du hast genug«, brüllte der Ausbilder.

Die Zuschauer verfolgten gespannt die Szene und erwarteten Marcus’ Flehen um Gnade.

Er hatte gekämpft, solange er konnte. Nun war er der Unterlegene, aber das würde nichts ändern. Für ihn gab es nur das Leben als Prätorianer oder gar keines. Und gleich eines besiegten Gladiators, dem die Gnade verwehrt wurde, streckte er Decimus deshalb seinen Oberkörper entgegen, damit der den tödlichen Stoß ausführen konnte. Die Anwesenden kamen ob dieses Mutes nicht um ein kollektives Aufstöhnen umhin.

Decimus starrte auf den Besiegten und war zufrieden. Er hatte sich also nicht in dem Jungen getäuscht.

»Wir sind nicht im Amphitheater«, blaffte er und verpasste dem Mann auf dem Boden einen unsanften Tritt. »Los, steh auf und lass dich von den Ärzten versorgen. Danach hast du dich umgehend bei mir zu melden.« Und im Weggehen fügte er noch ein »Dann sehen wir weiter, Prätorianer!« an.

Marcus atmete aus. Hände griffen nach seinen Armen, jemand flößte ihm Flüssigkeit ein, und anschließend schleifte man seinen geschundenen Leib in die kühlen Gemäuer des Arztes.

 

Der junge Prätorianer konnte es kaum fassen, dass er noch lebte und, was für ihn wesentlich mehr zählte, dass er womöglich immer noch ein Teil der kaiserlichen Garde war.

Die Sklaven hievten ihn unsanft auf die Bettstatt. Marcus stieg der beißende Geruch verbrannter Kräuter in die Nase, die Gewölbe waren durchzogen von diesem Duft. Der Assistent des Arztes hatte ihm bei einer anderen Gelegenheit einmal erklärt, dass das zur Genesung der Kranken und Verletzten beitragen würde. Trotzdem wäre der Soldat heute gut ohne die intensiv riechenden Nebelschwaden ausgekommen. Er schloss die Augen, versuchte, die Muskeln zu entspannen, und spürte plötzlich jede Faser seines schmerzenden Körpers. Die gerötete Haut spannte, die Arme schienen ihm zerreißen zu wollen, und die Wunde am Oberschenkel fühlte sich an, als würde sich langsam eine fette, giftige Natter durch das Fleisch schieben. Seine Kehle war ausgetrocknet, und sein Herz raste immer noch unkontrolliert.

Er spürte, wie man ihm einen Tonbecher an die Lippen setzte. Einer der medizinischen Helfer flößte ihm verdünnten Wein mit Honig ein.

»Er hat dich also am Leben gelassen«, ertönte unvermittelt die Stimme des Arztes neben ihm. Der Mann war ein erfahrener Chirurg, der auch schon die römischen Legionen auf ihren Feldzügen begleitet hatte. Allerdings war sein Mundwerk genauso scharf wie sein Skalpell, was Marcus sogleich zu spüren bekommen sollte.

»Vermutlich wollte mir dieser verflixte Decimus mit einem verletzten Überlebenden den Tag verderben!« Er seufzte geräuschvoll und betrachtete mit einem beinahe spöttischen Blick seinen Patienten.

Marcus musterte seinerseits den Mann. Er war unverkennbar griechischen Ursprungs, so wie viele Ärzte Roms. Der Medicus berührte mit den Fingern die Wunde am Oberschenkel und drückte unsanft die Haut zusammen. Aus der Kehle des Verletzten drang ein Stöhnen.

»Glück gehabt«, entgegnete der Arzt ungerührt.

Der Schmerz fühlte sich zwar nicht nach »Glück gehabt« an, aber Marcus hütete sich, durch einen Kommentar den Mann zu verärgern, der Herrscher über diese Vielzahl von scharfen, hinterhältig aussehenden Gerätschaften war. Deshalb presste er die Lippen zusammen und ließ das weitere Begutachten der Wunde über sich ergehen.

»Wir nehmen das Brenneisen«, konstatierte der Mediziner und nickte seinem Assistenten zu.

Sein Patient riss die Augen auf, schwieg aber weiterhin. Das Kauterisieren einer Wunde war zwar eine schnelle, aber auch äußerst schmerzhafte Behandlung.

»Wir geben dir einen Trank«, sagte der Arzt, der die Gedanken des Verletzten zu erraten schien.

Erst wollte der Prätorianer zustimmen, aber dann besann er sich anders. Er musste noch zu seinem Ausbilder Decimus, keinesfalls wollte er dort benommen oder im schlimmsten Fall überhaupt nicht erscheinen. Womöglich würde man einen Fehler bei der Dosierung machen. Das fremdländische Zeug, das in die Tränke gerührt wurde, konnte bei unsachgemäßer Mixtur einen Mann töten oder ihn für immer zum Idioten machen. Nein, plötzlich schien es Marcus einfach selbstverständlich, die Qualen der Behandlung auszuhalten.

»Ohne Trank?« Die Lippen des Griechen kräuselten sich belustigt, und er zog die Augenbrauen nach oben. »Nun gut, umso schneller wird der Platz hier wieder frei.«

Der Arzt winkte zwei seiner Helfer herbei und steckte Marcus einen ledernen Knebel in den Mund. Die beiden Assistenten sollten den Verletzten bei der Prozedur festhalten.

Jetzt brach dem Prätorianer doch der Angstschweiß aus, als er dem Medicus zusah, wie dieser das Brenneisen in die Glut eines Kohlenbeckens hielt, bis es sich tieforange verfärbte.

»Bereit?«, fragte der Arzt, wartete aber nicht auf die Antwort und legte schnell und gezielt das glühende Metall auf die Wunde. Es zischte, als der Schweiß verdampfte, der die Stelle um die Verletzung herum befeuchtet hatte. Sofort mischte sich der Gestank von verbranntem Fleisch mit dem allgegenwärtigen scharfen Geruch der Kräuter. Marcus biss auf das Leder, Tränen schossen ihm in die Augen, und er versuchte, sich unter der glühenden Klinge zu winden, aber der Griff der Assistenten war geübt. Ihre Hände umschlangen seine Gelenke wie dicke Stricke, denn noch war es nicht vorbei. Der Arzt musste gründlich sein, die Verletzung sollte sich schließlich später nicht entzünden. Da der Gladius seines Ausbilders einen breiten Schnitt hinterlassen hatte, war der Medicus gezwungen, das Eisen zu verrücken. Wieder schoss der Schmerz durch Marcus’ Körper, als das sengend heiße Metall erneut auf die blutende Wunde gedrückt wurde. Ganz automatisch bäumte sich sein Leib auf, dann fiel er in eine erlösende Ohnmacht.

 

* * *

 

Nachdem der junge Prätorianer wieder zu sich gekommen war, schoss er erschrocken hoch, sank aber sofort wieder mit einem Stöhnen zurück.

»Wie lange bin ich schon hier?«

Der Arzt lachte. »Keine Sorge, du warst nur ein paar Wimpernschläge bei deinen Ahnen. Hier, trink das!«

Mit unsicherer Hand griff der Soldat nach dem angebotenen Becher und verzog sofort das Gesicht, als er daran nippte.

»Zur Kräftigung und Heilung der Wunde. Leere den Becher in kleinen Schlucken, dann komme ich wieder und lege dir einen Verband an.«

Marcus gehorchte und versuchte, das undefinierbare, dickflüssige Gesöff die Kehle hinunterzuzwingen, wobei es ihm nicht gelang, einen Laut des Abscheus zu unterdrücken. Mit Unbehagen betrachtete er dabei die Gerätschaften, die überall herumlagen. Auch wenn er das niemals zugegeben hätte, waren es vor allem die kleinen Instrumente, die eine besonders Furcht einflößende Wirkung auf ihn hatten. Er hoffte zum Beispiel inständig, niemals mit einer der spitzen Nadeln behandelt werden zu müssen. Wusste er doch, dass die einem mitten ins Auge gestochen wurden, wenn sich dieses getrübt hatte. Sein Mund verzog sich angewidert, als er ein weiteres Utensil erkannte. Es handelte sich um eine Zange. Ihre Greifflächen waren breit und uneben, ideal, um die mandelförmigen Zäpfchen aus dem Hals zu entfernen, die manchmal so unangenehm anschwellen konnten. Marcus hatte so eine Behandlung einmal als Kind gesehen, als einer Sklavin die bösen Auswüchse im Gaumen zuerst mit der Zange lang gezogen und dann mit einem Skalpell abgetrennt worden waren. Die Schreie der Frau hatten ihn noch nächtelang in seinen Träumen verfolgt. Unwillkürlich erschauerte er bei der Erinnerung daran und wollte nicht weiter über die Pinzetten, Klammern, Sägen und Katheter nachdenken, die alle untrüglich dazu geschaffen worden waren, Schmerz zu verursachen, bevor man auf Linderung hoffen konnte.

 

Erst jetzt bemerkte er, dass noch ein weiterer Mann anwesend war. Er kannte den anderen vom Sehen; es war ein Centurio, der achtzig Mann unter sich hatte und dem man besonders viel Achtung entgegenbrachte. Marcus grüßte, und der Ranghöhere erwiderte dies mit einem entsprechenden Handzeichen. Zu einem Gespräch kam es nicht, denn jetzt erschien wieder der Medicus und hielt triumphierend eine Zahnzange nach oben, die dafür sorgte, dass der Centurio erbleichte, das konnte Marcus sogar in dem diffusen Licht der Öllampen erkennen. Außerdem sah er, wie der Soldat unwirsch nach dem Becher griff, den ihm der Arzt entgegenhielt, und ihn in einem Zug leerte.

»Wir werden dem Centurio zwei Zähne ziehen müssen«, flüsterte einer der Assistenten, der sich daran machte, Marcus’ Körper mit einer Salbe zu bestreichen. Der Geruch der gelblichen Paste war zwar unangenehm, aber die wohltuende, kühlende Wirkung glich das wieder aus.

Offensichtlich war der Helfer einer von der geschwätzigen Sorte, denn schon plapperte er munter weiter. »Hat sich so lange geweigert, die Zähne entfernen zu lassen, bis das ganze Fleisch im Kiefer entzündet war. Der Ärmste.«

Marcus hatte nicht den Eindruck, dass der Assistent besonders viel Mitleid für den Centurio empfand. Eher schien es, dass ihm der Gedanke an die bevorstehende Behandlung ein gewisses Vergnügen bereitete. Daher klangen seine nächsten Worte fast wie eine Bestätigung. »Wenn er Pech hat, ist die Sache mit den zwei Zähnen noch lange nicht erledigt, vielleicht muss sogar zum Brenneisen gegriffen werden, wenn die Fäulnis des Mundfleisches schon besonders weit fortgeschritten ist.«

Marcus blickte erschrocken auf, was dem Assistenten ein albernes Kichern entlockte.

Mittlerweile schien zumindest der Trank, den man dem Centurio gegeben hatte, zu wirken. Er war auf dem seltsamen Konstrukt eingenickt, das entfernt an eine Liege erinnerte, vermutlich eine Erfindung des Arztes. Sein Kopf sank nach hinten, und er begann leise zu schnarchen. Der Prätorianer fragte sich bei dessen Anblick, ob er nicht besser auch den Trank angenommen hätte. Vor allem, weil sein Bein inzwischen mehr schmerzte als vor der Behandlung.

»So, das ist getan«, sagte der Helfer des Arztes leutselig und stellte die stinkende Pomade zur Seite.

Der Medicus wandte sich nun noch einmal an seinen Patienten und legte den Verband an.

»Halte die Wunde sauber und komme morgen wieder.« Dann gab er Marcus noch eine kleine Amphore in die Hand. »Trinke das, bevor du dich schlafen legst, das lindert die Schmerzen!«

Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Arzt nun um und widmete sich den Zähnen des Centurios. Marcus dachte nicht daran, dieser Prozedur beizuwohnen, und richtete sich mühsam auf. Man hatte ihm eine Tunika gereicht, die er jetzt vorsichtig überstreifte, dann humpelte er mit gemischten Gefühlen zu den Räumen seines Ausbilders Decimus Cornelius Britannicus.

 

Noch bangte Marcus um seine Zukunft in der Prätorianergarde. Decimus war nicht so leicht zu durchschauen, bei ihm konnte man nie wissen, was als Nächstes folgen würde.

Als der junge Soldat seinen ganzen Mut zusammennahm und beherzt gegen die Tür des Vorgesetzten klopfte, flehte er im Stillen seine Laren, die Schutzgeister der Familie, um Beistand an.

Die ruppige Stimme des Ausbilders zitierte ihn hinein.

---ENDE DER LESEPROBE---