Das Glück - Heinrich Laube - E-Book

Das Glück E-Book

Heinrich Laube

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Beschreibung

Über das Leben und Glück eines jungen Mannes mit Namen Gustav.

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Heurathskatechismus

1.

Es war ein bedeckter Frühlingstag, mild und erquicksam wehte die Luft, das neue Gras war duftend aus der Erde geschossen, zwei große Buben wälzten sich darauf umher, und jubelten und tollten. Als sie sich ermüdet hatten, saßen sie ein wenig still, und Athem schöpfend und sich erholend sahen sie nach der Stadt hinunter, über welche zuweilen ein breiter üppiger Sonnenstrahl sich ausbreitete, wenn die dünnen, schleierartigen Wolken eine kleine Strecke wichen und sich lösten.

Diese Stadt war Prag, das vielgethürmte; am Kapuzinerberge spielten die Buben.

Vielleicht klingt es Manchem unwahrscheinlich, Mancher wird es aber selbst erfahren haben, daß wir in einer gewissen Knabenzeit unter Ballspiel und Tändelei oft geneigt sind, ganz altväterisch ernsthaft über diejenige Lebenszukunft zu sprechen, welche für den Knaben existirt. Das heißt über diejenigen Wünsche, welche man aus den nächsten Vergleichen und Beispielen schöpft, ob man es nicht zum Exempel sehr schön finde, wie jener Nachbar zu leben, der den ganzen Tag Bücher lesen, oder wie jener, der sich stattliche Pferde und geputzte Lakaien halten, oder wie jener, der immerfort Tabak rauchen und neben der geschmückten, freundlichen Frau vor der Thür oder am Fenster sitzen könne. Es giebt Knaben, welche neben einander im Grase liegen, und sich ganz detaillirte wirthschaftliche Pläne mittheilen, wo sich der eine bloß so und so viel tausend Thaler und Gretchen zur Frau wünscht, weil sie eine vortreffliche Wirthin und von Herzen gut sei, der andre freilich größere Dinge, dann geben sie sich die Hand mit dem herzhaften Versprechen, sich immer zu lieben, wenn auch der eine ein großer Herr werden sollte und der andere nicht.

Unsere beiden Knaben geriethen an jenem Frühlingstage auch auf ein ähnliches Gespräch, und bekundeten darin ihre sehr verschiedenen Charaktere. Lebhaft waren beide, aber jeder in andrer Art: Victor, ein dunkelgelockter, feuriger Bursch, war voll Ungestüm und Wildheit, aber leicht beschwichtigt, leicht versöhnt; Gustav, ein blonder, feiner Knabe, war munter, dreist, bei Hindernissen und Widersprüchen leicht eigensinnig. Jener, eines nur mäßig bemittelten Bürgers Sohn, strebte in's Weite, bestimmte Verhältnisse aus der nahen Umgebung lockten ihn nicht, was Reichthum, Glanz und Ueberfluß! sagte er mit ein wenig andern Worten, die locken mich nicht, aber ein Held will ich werden, die Welt soll meinen Namen kennen, verzauberte Prinzessinnen will ich befrei'n, rothe Hosen mit Goldborten will ich tragen.

Es schmerzt mich, sagen zu müssen, daß dieser Romantiker nicht der Held unserer Geschichte wird, wenn auch Gustav, für den Augenblick sein Gefährte, weniger reizt.

Dieser stammte von armen Eltern, war aber zeitig von einem Onkel adoptirt worden, und hatte eine reiche Erbschaft und glänzende Existenz vor sich. Der Onkel und die Tante liebten ihn wie den Augapfel, und er war auch wirklich ein schöner, in Blüthe strotzender Knabe – »blond war sein Haupt, leicht war sein Sinn.«

Victor's Lebenswunsch ward von ihm nicht beachtet, und er sagte ohne weiteres Eingehen darauf: Ich werd' mir ein Billard anschaffen, ein ordentliches, großes, und im Gartenhause werd' ich mir ein Theater bauen, du kannst aber alle Tage mit mir ausfahren, Victor, und zu Mittage essen mußt du auch mit mir.

Ach, erwiederte dieser, ich werde ganz anderswo herumreiten.

Du sollst aber nicht, rief Gustav, und sprang in die Höhe.

Victor besänftigte ihn, und schlug vor, nach Hause zu gehn, es habe schon zwölf geschlagen, und wenn er's Mittagessen versäumte, so ginge es ihm schlecht. Gustav hatte noch keine Lust, und Victor ließ sich bereden. Als sie nun später nach Hause sprangen, bekam dieser Prügel, weil er das Mittagessen verpaßt habe, Gustav aber ward mit Liebkosungen empfangen, weil ihm nichts Uebles passirt sei, und die Tante bat nur streichelnd, er solle sich nicht immer so erhitzen. –

Nach einigen Jahren hatte sich Mancherlei verändert. Victor war in die weite Welt gegangen, sein Vater ließ sich nicht gern nach ihm fragen, die Leute zuckten die Achseln, wenn darauf die Rede kam; Gustav's Onkel war gestorben, und die kränkelnde Tante, welche das Vermögen zu administriren hatte, schloß sich mit immer größerer Zärtlichkeit an den schön und kräftig gedeihenden Neffen. Gustav war mit zwanzig Jahren eine ausgezeichnete, glänzende Erscheinung in Prag. Schön, heiter, gewandt, voll Leben und Bewegung, Erbe eines großen Vermögens war er überall willkommen, gefiel er allerwärts.

2.

Das große Vermögen der Tante beruhte zumeist in großen Fabriken, die einige Meilen von Prag entfernt lagen. Sie war eine sehr einfach gewöhnte Frau, die keine besonderen Gesellschaftsfreuden wünschte und kannte, das Gedeihen der Fabriken machte auch die Anwesenheit der Herrschaft nöthig, und so entschloß sie sich mit leichter Mühe, ihren Wohnsitz in der Stadt mit dem in einem Landstädtchen zu vertauschen. Gustav, der bereits ohne Einschränkung die Geschäfte leitete, und über alles verfügte, ohne dessen Gegenwart die Tante nicht bestehen konnte, war genöthigt, ebenfalls mit dahin zu ziehen, obwohl dies seinem lebenslustigen Sinne, der in der großen Stadt mehr Anregung und Befriedigung fand, wenig zusagen mochte. Aber er liebte die Tante sehr, und wenn diese kindliche Zuneigung auch vielfach von jenem jugendlichen Leichtsinne gestört ward, wie er bei jungen Männern oft zu finden ist, weil sie sich im Grunde nur eines deutlichen Bezuges zu gleicher Jugend und lebendiger Welt bewußt sind, wenn er also auch nicht eben gern in die Stille des kleinen Städtchens folgte, so war doch so viel Pietät in ihm, daß sein Mitgehn keiner ernstlichen Frage unterworfen ward.

Die Tante richtete sich nun in ihrer sorgenfreien Zurückgezogenheit auf die Weise ein, wie wir sie gewöhnlich bei Leuten aus den Mittelständen finden – sie haben bei großem Vermögen doch kein Bedürfniß feinerer Luxusstoffe, und umgeben sich nur mit Einzelnheiten derselben, um dadurch auf eine freundliche Weise an die ihnen gewährte Wohlhabenheit erinnert zu werden. So sehen wir denn auch das große Wohnzimmer der Tante, welches Mittelpunkt dieses kleinstädtischen Lebens wurde. Das Tageslicht ward gedämpft durch schwer seidne gelbe Gardinen, auf einem marmornen Spiegeltisch stand eine große massive Uhr von moderner Fassung, die Wände waren mit reichen, dunkelfarbigen Tapeten bekleidet, in allem Uebrigen aber war das altbürgerliche Meublement unverändert geblieben. Ein großer eichener Tisch mit grüner Tuchdecke stand mitten im Zimmer, die Stühle waren mit Leder gepolstert, und hatten noch die hohen Lehnen, an welchen früher die Erziehung junger Mädchen geprüft wurde, die mit geradem Rücken immer in gesetzmäßiger Entfernung von der lockenden Lehne sitzen mußten, ein Sofa war nicht zu sehen, seine Stelle vertrat ein breiter Großvaterstuhl mit Ohren, der Ofen war umfangsreich wie ein breiter Thurm und bestand aus braunen Thonkacheln, der Fußboden, stets sehr sauber, hatte weiße Dielen von festem, hartem Holze, das Ganze sah ein wenig leer aus, denn es fand sich von sonstigen Mobilien nur noch ein kleiner Tisch vor, und ein großer, himmelhoher Schreibsekretair. Dieser Schreibsekretair war aus rothem Kirschbaumholze gefertigt, und noch von jenem alten Schnitte, wo das eigentliche Schreibepult mit der unten daran gefügten Kommode hervorstand neben dem zurücktretenden schmalen, hohen Aufsatze, welcher durch zwei lange Flügelthüren geschlossen ward. In diesem Sekretair fanden sich alle Rechnungen, Dokumente und wichtige Familienpapiere. Die Tante führte den Schlüssel stets in der hirschledernen Tasche, die sie am Gürtel trug und welche sie Nachts unter das Kopfkissen legte. Sie vergaß diese Vorsicht niemals, obwohl sie nach täglicher Versicherung einen so leisen Schlaf hatte, daß sie von einem lauten Holzwurme geweckt ward, ihres Hustens gar nicht zu gedenken.

Also eingerichtet sitzt sie des Abends bei zwei Talglichtern, die in blanken messingnen Leuchtern stehen, auf dem Großvaterstuhle am großen Tische, und strickt wollene Strümpfe für sich und Gustav, der seit Jahren umsonst gegen wollene Strümpfe eifert, und wiederholt sich manchmal, was Pater Lorenz heute gesagt hat. Das zweite Licht, was sie für unnütz hält, hat der Neffe auch mit Mühe durchgesetzt – sie ist immer schneeweiß gekleidet, das heißt sie trägt über dem weißen Unterkleide von Kambrai ein Jäckchen von feinem Pique und eine weiße Mütze, unter welcher zierliche graue Löckchen hervorquellen, die ihr Gustav aus Prag besorgt. Die große Hornbrille liegt vor ihr, und sie greift nur darnach, wenn ihr eine Schlinge gefallen ist, oder wenn sie nach einem Posten in den Rechnungen sehen will, die ihr Gustav des Abends vorlegt. Es ist dies immer ein Posten in der Ausgabe, der ihr zu hoch dünkt.

Man glaube deshalb nicht etwa, die Tante sei geizig, Gott bewahre, sie ist nur genau und ordentlich – in Bezug auf Gustav verschwinden alle diese Rücksichten, dem steht der Schlüssel zum Schreibsekretair jeden Augenblick zu Diensten, und der darf herausnehmen was er will, und kann Geld ausgeben, so viel er mag. Gegen ihn hat sie nur eine Ermahnung: er soll seine Gesundheit schonen, nicht erhitzt trinken, und wenn er Abends nach beseitigten Rechnungen in's Kasino des kleinen Städtchens geht, so bittet sie ihn nur, sich niemals als erste Person der Umgegend etwas zu vergeben, und das Tabakrauchen sich nicht einreden zu lassen. Das schade der Brust, sei unreinlich, und fremd in der Familie: der Onkel hatte auch nicht geraucht.

Soll nun auch ein Bild von Gustav aus jener Zeit gegeben werden, so ist eine sehr schwierige Aufgabe zu lösen. Es geht doch am Ende mit solchen jungen Leuten, wenn sie nicht sehr eintönig und pedantisch angelegt sind, zumeist wie mit den Knospen unbekannter Bäume und Blüthen im Frühjahre. Heut ist die Knospe grün, morgen blau im Schweiße des Wachsthums, übermorgen braun vom Drange einer fruchtbaren Nacht, wir können nichts bestimmen, und müssen mit in den Schooß gelegten Händen auf das Wunder der Bildung harren – blau schattirt, denken wir ganz im Stillen, wird doch wohl die Blüthe werden, und in duftiger Frühe finden wir sie lachend roth aufgegangen.

Gustav hatte Anlagen zu Allerlei, ohne doch von irgend einem entschiedenen Drange inkommodirt zu werden. Das Grundbewußtsein seines Wesens bestand in der trockenen Ueberzeugung, daß er mit tüchtigem Vermögen ausgerüstet ein ganz hübsches Leben führen werde. Was sich nun etwa an Liebhabereien einstellen möge, das stehe ruhig zu erwarten. Nichts Phantastisches, nichts Enthusiastisches, nicht einmal etwas Charakteristisches war zu entdecken, will man nicht etwa dieses fraglose Hinleben also nennen.

Er ging auf die Jagd, ging in's Kasino, ritt spaziren, besorgte die Geschäfte des Fabrikwesens, dressirte sich Hunde, und wenn er von der kleinen, schönen Wlaska erzählen hörte, so lächelte er, und sagte, sie sei ein hübsches Mädchen.

Wlaska war nämlich das Wunder des kleinen Städtchens. Sie hatte alle Bücher gelesen, machte Verse, und sollte auf dem nahen Schlosse des Grafen mehrmals sehr schön Komödie gespielt haben. Dazu schlug sie eine Partie nach der andern aus, obwohl ihr Vater nur ein mäßig salarirter Beamter war. Gustav nahm noch wenig Interesse an den Weibern, und hatte sich wenig um das Mädchen gekümmert. Wlaska desto mehr um ihn.

3.

Der schöne junge Mann war ihrem phantastischen Wesen ein reizendes Ideal geworden – das mannigfach Unentschiedene, Unentwickelte in seinen Gewohnheiten, Aeußerungen und Sympathieen hatte seine Anziehungskraft ebenfalls beigesteuert. Wir lieben in einer gewissen Jugend durchaus alles Romantische, was den Reiz verbergen kann, weil es überhaupt verbirgt; Charakteristisches mag uns später ansprechen. Die glänzende Stellung, welche Gustav dort in der kleinen Welt einnahm, mochte redlich geholfen haben an der Illusion des lebhaften Mädchens, wenn sie auch nicht das Mindeste davon wußte, ja mit Entrüstung jedwedes solches Motiv als ein verächtliches zurückgewiesen hätte. Es dünkte ihr just überaus entzückend, Gustav als armen Schäfer an's Herz drücken zu können.

Die äußere Welt, deren wir uns so gern überheben, treibt darin ihr verstecktes Spiel mit uns: der äußere Reichthum, welcher uns entgegentritt, macht uns doppelt empfänglich, inneren zu suchen oder zu lieben, auch wenn wir glauben, daß nicht die mindeste derartige Rücksicht in uns möglich sei. Denkt Euch zwei Mädchen, die in Liebenswürdigkeit vollkommen gleich mächtig sind, die eine lebt in unscheinbaren Verhältnissen, die andere in glänzenden – wie viel lockender, blendender wird die Illusion sein, welche die letztere entzündet! Nur der Gegensatz andrer Art kann die Wirkung solchen Kontrastes ändern: ein Mann oder ein Weib, die von Jugend auf in begründeten, besten Verhältnissen gelebt haben, werden in der Neigung leichter zu den Erben der Unscheinbarkeit gezogen.

Es ist aber dies derselbe Bezug, wenn auch umgekehrt.

Von Gustav war dies nicht zu sagen; seine Phantasie war darin unthätig, sie ging nicht aus dem geordneten Kreise hinaus; die Neigung und Leidenschaft wußte nichts von einem näheren Bezuge zu Wlaska, für seine Phantasie existirte die Möglichkeit solch einer Verbindung gar nicht. Er nahm es deshalb auch ganz harmlos auf, als sie durch kleine unschuldige Machinationen eine Einladung in ihr Haus an ihn gebracht hatte, und er erschien.

Das Ungewöhnliche interessirt oft, ohne gerade einen besondern Reiz auszuüben. Wlaska war ganz anders, als die übrige Welt, mit der Gustav zu verkehren hatte, die Unterhaltung, welche sie in dem kleinen, etwas wunderlichen Zimmer für den erwünschten Gast versuchte, war diesem so neu, daß sie ihm nothwendig eine gewisse Spannung bereiten mußte. Er kam öfter zu ihr; der langweilige Papa, welcher sich Anstands halber mit der langen Pfeife im Zimmerchen einzufinden pflegte, ließ sich nicht mehr von seinem Kasino abhalten, als Gustav's Besuche nicht mehr so neu waren, die Freundinnen Wlaska's, welche zuerst mitgebeten waren, fanden sich so vernachlässigt, daß sie im ersten Trotze auch wegblieben. Sie bereuten es zwar bald, denn Gustav interessirte sie höchlich, und sie hatten auch nur so trotzig gethan, um zu zeigen, daß sie größere Berücksichtigung verdienten; aber das Manövre war ihnen verunglückt. Weder Wlaska noch Gustav nahmen Notiz davon, und so finden wir denn diese beiden junge Leute manchen Abend allein bei einander, und dürften nach her-kömmlicher Voraussetzung ein Liebesverhältniß erwarten.

Wlaska's Zimmerchen ging auf einen kleinen Garten hinaus, mit welchem es durch eine altmodische Glasthüre in Verbindung stand Dieß mochte im Winter seine großen Uebelstände haben, das Mädchen ließ sich aber um keinen Preis etwas davon ändern, und verwahrte im Spätherbste die mangelhaft schützende Thür so gut es nur gehen wollte mit grün und braunem Moose. Ihre Bekanntschaft mit Gustav fiel in's zeitig beginnende Frühjahr, hie und da wurde schon ein Sträuchlein grün im Garten, und es war unserer Kleinen von außer-ordentlichem Genüge, die Thür größtentheils offen halten und bei den lebhaft sich geberdenden Empfindungen ihres Temperaments zuweilen hinausagiren zu können. Das Zimmer selbst hatte wenig Möbel, und diese wenigen zeichneten sich mehr durch Wunderlichkeit aus als durch schöne Fassung: der Tisch hatte arg verschränkte Beine, auf der eingeschweiften Kommode war ein kleiner Zaun angebracht, der die obere Fläche zum Schreibtisch einrahmte, das große, blau gemalte Schreibzeug von Porzellan hatte an den Ecken tolle Köpfe, welche groteske Fratzen schnitten. Auf dem Bette, was im Zimmer war, lag eine rothe Decke ausgebreitet mit großen schwarzen Figuren, und das alte Klavier, welches zwischen Bett und Kommode stand, sah auch ganz absonderlich aus. Bücher, Putzsachen, Bilder, Noten waren in allen Winkeln zu finden; sie lagen keineswegs unordentlich herum, sondern hatten ihre regelmäßige Stelle, aber die ganze Anordnung war von der Art, daß Alles barock aussah und frappant in die Augen fiel.

Wlaska selbst aber schien ganz an diesen Ort zu gehören; sie war ein Mädchen unter Mittelgröße, aber in den anmuthigsten Verhältnissen gewachsen, schlank und drall, geschmeidig, behende wie ein bunter gewandter Eidechs war sie bald hier bald da, bald tanzend, bald sitzend, immer in der zierlichsten Stellung, immer mit dem ganzen Körper thätig, immer voll Beredsamkeit, die von den kleinen, schön gefärbten Lippen, oder von den schwarzen Augen floß. Sie mochte damals achtzehn Jahre alt sein, oder wurde es doch in Kurzem, und hatte viel von der böhmischen Nationalfarbe, welche mitunter an asiatische Völkerschaft erinnert, viel von jenem Aussehen, was die Franzosen Bohèmienne heißen, und was mit dem Worte Zigeunerin unvollständig übersetzt wird. Die meisten Franzosen denken sich zwar auch weiter nichts darunter, aber in der Ahnung, welche hinter jedem sprachlichen Ausdrucke verborgen liegt, ruhen noch ganz andere Dinge. Ein fremder Welttheil mit unbekannten Reizen der Furcht und der Leidenschaft, der Form und Farbe verbirgt sich unter solchen Ausdrücken. Wlaska's Teint war ein wenig dunkel, aber von einem lockenden Glanze, ihre Formen waren mädchenhaft erfüllt, aber von der festen, straffen Art, in welcher eine Gewähr zu liegen scheint, daß sie niemals feist, fleischig werden dürften. Der Ausdruck des Gesichtes war nicht nur über alle Trivialität erhaben, sondern ging auch mitunter über den Gegensatz hinaus und konnte phantastisch genannt werden. So unangenehm dies bei älteren Gesichtern werden mag, so viel Zauber entwickelt es bei jungen Mädchen. Sie hatte eine wohlklingende, tiefe Stimme, und deklamirte und sang den ganzen Tag. Es ließ sich hierbei schnell bemerken, daß ihr jenes Element des Maßes, der Ruhe abging, was sich bei den verschiedenen Nationen verschieden gestaltet, bei allen aber die Vermittlung bildet zwischen dem inneren und äußeren Leben, was bei der Französin Witz und Laune, bei der Deutschen Behaglichkeit und Humor wird; wo es fehlt, da giebt es nur eine stoßweise, unruhige Existenz, der wohlthätige Fluß des Daseins wird vermißt.

Dergleichen beobachtete aber weder Gustav in seiner Unbekümmertheit noch sonst Jemand, ein Mädchen zwischen siebzehn und achtzehn Jahren, das Lieder dichtet und singt, und in erster Jugend fortwährend schafft und producirt, fordert nicht zu sorglichen Gedanken heraus; was unstät erscheinen mag, schreibt man der Jugend zu, und für die späteren Jahre verhofft man das Beste.

Dies ist ein Moment reichen Unglücks unserer Welt. Die Erde, die Realität verlangt ihre Berücksichtigung, denn sie ist nichts Einzelnes, was sich verläugnen ließe – daß dieser Moment übersehen wird bei denjenigen Mädchen, deren Naturel nicht von selbst behilflich ist, das gibt uns die große Klasse derer, welche man obenhin überspannt nennt, und die größtentheils alte Jungfern werden. Für den Mann ist es weniger bedenklich, ihn greifen die tausend Konflikte, und was er nicht gutwillig suchen will, das wird ihm schmerzhaft aufgedrungen; mag er auch den Verlust des rein Idealen wie einen poetischen Schmerz pflegen, denn wir haben noch immer die Tradition einer schlechten Erde in unseren Adern, mag er auch klagen, er gewinnt gegen seinen Willen den Aplomb der Bildung – nicht so das Weib, das der Einseitigkeit überlassen bleibt.

Dergleichen hätte nun Wlaska gar nicht verstanden, und es war im ganzen Städtchen Niemand, dem solcher Ideengang nothwendig oder begreiflich geschienen hätte. Das ist ein tief poetischer Reiz der Welt; nichts bleibt verloren in seinen Beziehungen, wenn auch die Dinge eines eng geschlossenen Kreises in diesem Kreise keinen höheren Bezug finden; der Geist unserer Welt und Geschichte ist eine Atmosphäre.

Wem solche Fäden zu dünn sein möchten, der denke sich einen Vogel, welcher weit, weit hergeflogen kommt aus unbekanntem Lande, das Samenkorn einer uns unbekannten Frucht ruht in seinem Schnabel, es fällt auf unsern Boden, und wir wundern uns höchlich, von wannen die Staude kam, welche aufschießt über Nacht. Die Bildung hat tausend unbekannte Wege.

4.

Das wunderliche Verhältniß zwischen den beiden Leuten hatte schon eine Zeit lang gedauert; es war Gustav unterhaltender, gegen Abend statt auf's Kasino in Wlaska's Stübchen zu geh'n. Nur ein schöner Jagdtag ging ihm darüber; er war neben dem feurigen Mädchen vollkommen harmlos geblieben, und es ist schwer zu sagen, ob nur irgend etwas anderes, als das Ungewöhnliche der Unterhaltung ihn anzog, im Ganzen war er völlig gedankenlos dabei. Er hörte auch wohl nur mit halbem Ohre hin, wenn Wlaska Schauspiele recitirte, und spielte unterdessen behaglich mit den Ohren seines großen Jagdhundes. Fuhr dieser einmal bei einer überraschenden Bewegung des Mädchens bellend auf, so amusirte ihn das sehr. Es schlief Alles noch in tiefem Schlafe bei diesem jungen Manne, auch die Sinnlichkeit, er war gleich einer Nuß mit harter Schale, man wirft sie dem Kerne unbeschadet hin und her. Auch die Eitelkeit, sollte man glauben, war noch nicht aufgewacht, und doch war etwas davon thätig bei seinem halben Interesse für Wlaska; eitel sind wir schon, wenn wir noch gar nichts sind, diese Eigenschaft ist wie ein fettes Fleisch mit unsern edelsten Theilen verwachsen. Er dachte nicht darüber nach, aber die Behaglichkeit davon empfand er doch, der Gott eines hübschen, ungewöhnlichen Mädchens zu sein.

Es war ein warmer Frühlingsabend, als er mit seinem Hektor von der Jagd heimkehrend über den Gartenzaun sprang, und in die offene Thüre von Wlaska's Stübchen trat. Sie saß an dem alten Klavier, und sang eine große Arie, Gustav nicht bemerkend. Er blieb stehen, drohte dem Hunde, der in's Zimmer springen wollte, hörte eine Weile zu, zog dann leise den Schuß aus der Büchse, und sah, als die Arie noch immer nicht endigen wollte, nach den Wolken, wahrscheinlich um zu prüfen, ob den andern Tag Jagdwetter sein werde.

Als ihn Wlaska bemerkte, sprang sie jubelnd auf ihn zu, und sie wäre ihm vielleicht um den Hals gefallen, wenn er nicht kühl die Hand zum Gruße entgegengestreckt hätte. Das Verhältniß stand schon lange auf dem Punkte, daß nur seine große Harmlosigkeit den leidenschaftlichen Ausdruck des Mädchens immer noch zurückhielt.

Sie küßte ihm die Hand, und er strich ihr das wallende, dunkle Lockenhaar aus der Stirn, streichelte ihr die Wange, und verwunderte sich, wie man so heiß werden könne vom bloßen Singen.

Wlaska brachte einen der schweren Stühle an die Thür, und als der ermüdete Jäger darauf Platz genommen, und tief Athem holend die Ermüdung des Frühlingswetters fortgeblasen hatte, holte sie sich eine kleine Fußbank und setzte sich vor ihm nieder. Es war die Zeit der Abenddämmerung, die warme, würzige Frühlingsluft wogte weich aus dem Garten, dessen grüne Blüthenbäume im Abendscheine glänzten und flüsterten. Hektor hatte seinen Kopf auf Gustavs Knie gelegt, und es mochte ein artiges Bild sein, vom Garten aus die Gruppe zu sehen, welche auf dem Hintergrunde des barocken Zimmerchens sich noch wunderlicher ausnahm. Der schlanke Jäger mit der Büchse und dem grünen Jagdrocke, Wlaska im leichten dunkelrothen Kleide, den einen glatten Arm auf Hektors Hals legend, mit dem andern auf Gustavs Knie sich stützend und zu ihm aufsehend. –

Das sanguinische Mädchen ward indessen bald von ihrem Temperamente übereilt, der feine Duft und Zauber einer Neigung, welche noch immer das entscheidende Wort vermieden hat, existierte nicht für sie, das mädchenhaft Zurückhaltende war in ihr übersprungen durch stete Beschäftigung mit excentrischen Gebilden und Ausdrücken – sie fiel am Ende Gustav wirklich um den Hals, schluchzte, weinte und rief dazwischen, daß sie ihn mit unwiderstehlicher Allgewalt liebe. Hektor bellte, Gustav nahm es hin, wie man die Liebkosungen eines Kindes aufnimmt, nur mit dem Unterschiede, daß solch ein Empfangen von seiner Seite nicht Produkt der Reflexion war, er dachte nur eben nichts Weiteres dabei. Eine Liebesneigung war nicht da, die Sinnlichkeit lag noch ohne Augen in ihm, wenn sie auch bereits existirte – so kam's, daß ihm der Zustand wohl ein leichtes Behagen weckte, daß er eine harmlose Tändelei für die Leidenschaft zurückgab, dem Mädchen Wange und Nacken streichelte, und ihren feurigen Kuß auf die Lippen dulden mochte. –

In dem Augenblicke öffnete sich die innere Thür des Zimmers, welche nach dem Hause führte, Hektor sprang auf und bellte noch lauter, Wlaska's Papa mit der langen Pfeife erschien auf der Schwelle. Er blies eine gute Wolke aus dem Munde, hob die Pfeife einen Moment lang völlig aus den Zähnen, und lächelte verschmitzt über das ganze Gesicht; dann fand die Pfeife wieder den alten Weg, er wandte sich zum Abgehn, und sprach: Kinderchen laßt euch nicht stören!

5.

Den nächsten Tag gab's Viel zu thun und des Abends so viel zu rechnen, daß Gustav nicht ausgehen konnte. Am folgenden kam ein Geschäftsbesuch, welcher bis spät in Anspruch nahm, und als Gustav endlich am eichenen Tische neben der Tante saß, den Tagesabschluß gemacht hatte, und eben aufstehn wollte, um fortzugehn, da sagte diese: Lieber Gustav, bleib doch noch einen Augenblick, ich möchte dich gern was fragen – und nun erzählte sie ihm denn, wie seit gestern das Städtchen davon erfüllt sei, daß Gustav eine Liebschaft mit der kleinen Wlaska habe, daß man das Paar sehr hübsch finde, und nur über das Verschieben der Hochzeit sein Bedauern äußere. Denn man wollte es auch schon wissen, was die Tante dazu gesagt, und wie sie zwei Jahre Brautstand verlangt habe, auf den Sonntag aber sei schon der erste Kaffee bei ihr, und die nahen und fernen Verwandten Wlaska's beschäftigten sich lebhaft mit der Frage, wer von ihnen eingeladen werden dürfte. Wlaska's Vater rauche seit gestern um zehn Kreuzer aufs Pfund kostspieligern Tabak, und habe zum Nachbar Krämer gesagt, nun werde der Cichorien ganz abgeschafft für seinen Kaffee.

Die Tante hatte Mühe, Gustav all diese Dinge begreiflich zu machen; er erzählte ihr Alles, was vorgefallen, wäre aber in seiner Arglosigkeit